Qualitative Medienforschung

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Gelebte Erfahrungen und widerspenstige Praktiken

Widerstand ist ein elementarer Begriff in den Cultural Studies, der durch Antonio Gramscis Hegemonieanalysen (Gramsci 1991 ff.), seine Überlegungen zur Popularkultur und vor allem durch Michel Foucaults Analytik der modernen Macht (Foucault 1976, 1977) bestimmt wird. Trotz massiver Kritik nimmt er bis heute eine sehr wichtige Rolle in der Analyse gelebter Erfahrungen und Praktiken ein. Seine wichtige Bedeutung veranschaulicht, dass Cultural Studies kulturelle und mediale Prozesse im Kontext sozialer und kultureller Ungleichheit sowie als Teil der Dispositive der Macht betrachten. Ihre Perspektive ist immer auch die »von unten«, die das Leiden an der Gesellschaft, das Elend der Welt, registriert, analysiert, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten von Utopie und gesellschaftlicher Transformation aufzeigen möchte (Kellner 1995, Denzin 2010).

So wundert es nicht, dass Widerstand zur zentralen Kategorie dieser kritisch interventionistischen Theorie und Forschungspraxis wurde. Gerade im alltäglichen Gebrauch von Medien, in deren Rezeption und (produktiver) Aneignung, finden sich die Merkmale und Spuren widerspenstiger Praxis und kreativen Eigensinns, die mediale Texte gegen den Strich lesen und zur Artikulation eigener Perspektiven nutzen (Winter 2001). Zum Streitpunkt wurde dabei die Frage, wie weitreichend dieser Widerstand gegen Macht sein kann und welche Bedeutung ihm im Kontext gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen zukommt. Hat der Widerstand (nur) symbolischen Charakter oder auch »reale« Auswirkungen? Als methodologisch schwierig erweist es sich nämlich, die kreativen und widerständigen Elemente alltäglicher Erfahrung zu erfassen, da diese immer bereits von Diskursen durchdrungen und strukturiert werden.

In der frühen Widerstandsforschung, die allerdings keine von einem Programm ausgehende einheitliche Tradition darstellt, wird bereits ein zentraler Aspekt von Cultural Studies deutlich: ihr Kontextualismus. Widerspenstige Praktiken lassen sich nur dann verstehen, wenn der Kontext (re-)konstruiert wird, in dem sie sich ereignen und den sie (mit)konstituieren. Für Lawrence Grossberg (1999, S. 60, 2010, S. 169–226) werden die Cultural Studies von einem radikalen Kontextualismus geprägt: »Um es für Cultural Studies auf den Punkt zu bringen: der Kontext ist alles, und alles ist kontextuell.«

So kann Paul Willis in seiner in der Zwischenzeit zum Klassiker gewordenen ethnographischen Studie Spaß am Widerstand (1979) in einer dichten Beschreibung zeigen, wie die »lads«, Jungs aus der Arbeiterklasse, eine lebendige und aufmüpfige Gegenkultur schaffen, die die Mittelklassenormen ihrer Schule ablehnen und subversiv unterlaufen. Ihre kreativen Praktiken prangern Langeweile und Entfremdung schulischer Sozialisation an, führen jedoch nicht zu einer Transformation »realer« Herrschaftsstrukturen, weil den schlecht ausgebildeten »lads« nämlich nichts anderes übrig bleibt, als nach der Schule Arbeiterjobs anzunehmen. Damit ist ihr Protest, den sie subjektiv als Freiheit erfahren, in die Reproduktion sozialer Ungleichheit eingebunden.

In ihrer ebenfalls berühmt gewordenen Studie Reading the Romance (1984), die multidimensional angelegt ist und historische Betrachtungen mit narrativen Analysen von Romanen und empirischer Erforschung der Perspektive der Leserinnen verbindet, kam Janice Radway zu dem Ergebnis, dass die Rezeption von Liebesromanen, zunächst unabhängig von ihrem Inhalt, eine grundsätzlich positive Bedeutung für Frauen haben kann. Die regelmäßige und enthusiastische Lektüre, das Sich-Verlieren im Lesen, helfe ihnen nämlich, sich von den sozialen Pflichten und Beziehungen des Alltags zu distanzieren und einen Freiraum für sich selber im häuslichen Ambiente zu schaffen, wo von ihnen ansonsten erwartet wird, ausschließlich für die Familie da zu sein und ihre Selbstfindung daran zu binden. Im Weiteren kann Radway dann zeigen, wie in den Liebesromanen auch weibliche Sinnangebote gegen die des Patriarchats ausgespielt und als höher eingestuft werden. Die scheinbar harmlose Praktik des Lesens von relativ standardisierten Liebesromanen erweist sich als widerspenstig und führt zur Bildung einer lebendigen, widerständigen Subkultur. Allerdings kommt Radway zu dem Schluss, dass die realen patriarchalen Strukturen, die familiäre und gesellschaftliche Beziehungen durchdringen, nicht transformiert werden. Der Widerstand kann sogar zu ihrer Stärkung beitragen.

Die Analysen des Widerstandes innerhalb von Cultural Studies beschäftigen sich also mit auf den ersten Blick trivialen, unbedeutenden alltäglichen Erfahrungen und Praktiken untergeordneter Gruppen, die in ihrer Eigenart, insbesondere wie sie den realen Strukturen von Macht und Herrschaft widerstehen, untersucht werden. Auch wenn in der Lesart von Cultural Studies Ideologien und die hegemoniale Kultur das Verhältnis der Handelnden zur Welt vermitteln, kennen sie diese Strukturen jedoch mittels ihres praktischen Wissens, was die Voraussetzung für ihren Widerstand ist, der in der Regel jedoch im Imaginären verbleibt und vergeblich ist.

Methodologisch werden die alltäglichen Erfahrungen und Praktiken, so z. B. die Medienrezeption, ernst genommen und damit auch deren Bedeutung. Allerdings kontextualisiert sie der Forscher und bestimmt damit ihre eigentliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird in der neueren Diskussion oft die Kritik geäußert, dass dieser »Durchblick« des Forschers seiner Selbstreflexivität im Wege steht. So kann er z. B. nicht erkennen, wie die von ihm analysierten »realen« Herrschaftsstrukturen durch seine eigenen theoretischen Vorannahmen oft erst begriffliche Kontur gewinnen. Sowohl Willis als auch Radway wurden dahingehend kritisiert, dass ihre theoretischen Vorannahmen zur Ausbildung blinder Flecke führen, was freilich für jede Forschung gilt. In der neueren ethnographischen Diskussion wird etwas übertrieben eingewendet, dass man oft mehr über die theoretische Perspektive der Forscher/-innen erfährt als über die untersuchten Personen. Diese Kritik wurde auch an John Fiske geübt, der als der wichtigste Vertreter des Widerstandsparadigmas gilt und dessen Analysen in der Exploration von Möglichkeiten in dem Dickicht der Lebenswelt für viele einen zu optimistischen Charakter annehmen.

In seinen Analysen des Populären in der Gegenwart (Fiske 1989) knüpft er eng an Foucaults (1976) Unterscheidung zwischen Macht und Widerstand an. »Widerstand« kann in spezifischen historischen Situationen im Verhältnis von diskursiven Strukturen, kultureller Praxis und subjektiven Erfahrungen entstehen. Fiske begreift den Alltag als kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen den Strategien der »Starken« und den Guerillataktiken der »Schwachen«. Im Gebrauch der Ressourcen, die das System z. B. in Form von medialen Texten und anderen Konsumobjekten zur Verfügung stellt, versuchen die alltäglichen Akteure ihre Lebensbedingungen selbst zu definieren und ihre Interessen auszudrücken. Dabei interessiert er sich nicht für die Aneignungsprozesse, die zur sozialen Reproduktion beitragen, sondern für den heimlichen und verborgenen Konsum, der im Sinne von Michel de Certeau (1988) eine Fabrikation, eine Produktion von Bedeutungen und Vergnügen ist, in der den Konsumenten ihre eigenen Angelegenheiten deutlicher werden und die (vielleicht) zur allmählichen kulturellen und sozialen Transformation beitragen kann (Winter 2001).

Fiske (Fiske 1999; Winter/Mikos 2001) dekonstruiert in seinen Analysen die unterschiedlichsten populären Texte von Madonna über Stirb langsam bis zu Eine schrecklich nette Familie mit dem Ziel ihr Potenzial an Bedeutungen aufzuzeigen, das je nach sozialer und historischer Situation der Zuschauer von diesen unterschiedlich realisiert wird. Er zeigt die Inkonsistenzen, die Unabgeschlossenheit, die widersprüchliche Struktur oder die Polyphonie medialer Texte auf, arbeitet heraus, wie eng populäre Texte auf die gesellschaftliche Wirklichkeit bezogen sind und soziale Differenzen artikulieren. Die Rezeption und die Aneignung von Texten werden zu einer kontextuell verankerten gesellschaftlichen Praxis, in der die Texte als Objekte nicht vorgegeben sind, sondern erst auf der Basis sozialer Erfahrungen produziert werden. Damit gelingt es Fiske, die situative Einzigartigkeit und Signifikanz kultureller Praktiken aufzuzeigen, die an einem besonderen Ort zu einer besonderen Zeit realisiert werden.

Wie bei Radway und bei Willis stellt sich jedoch auch bei Fiske die Frage, welche über den unmittelbaren Kontext hinausgehende Bedeutung diese symbolischen Kämpfe haben können. Eine nahe liegende Kritik lautet, dass widerständiger Medienkonsum, wie Fiske (2001) ihn in seiner berühmt gewordenen Madonna-Studie aufzeigt, ineffektiv bleibt, weil er die patriarchalen Herrschaftsstrukturen nicht ändert. So zu argumentieren, heißt jedoch, nicht sehen zu wollen, dass Fiske dies zum einen nicht behauptet. Zum anderen geht es ihm gerade darum, die Bedeutung, ein Madonna-Fan zu sein, ernst zu nehmen und – vor allem in seinen späteren Arbeiten – die Singularität kultureller Erfahrungen und Praktiken in spezifischen Kontexten herauszuarbeiten, ohne überhaupt den Anspruch auf Generalisierung oder unmittelbare Transformation von Herrschaftsstrukturen zu stellen. Allerdings entgeht auch Fiske nicht der Kritik, dass er als Forscher vorgibt, die Bedeutung der Praktiken der Untersuchten besser zu verstehen als diese selbst.

Diesem für die Forschungen zum Widerstand charakteristischen Dilemma versucht man in neueren Arbeiten dadurch zu entgehen, dass Phänomene aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden und auf diese Weise das methodologische Instrumentarium sensibler für die Erfahrung des Anderen werden soll. So wird untersucht, welchen Einfluss Widerstandspraktiken in einem spezifischen Kontext auf Ereignisse und Prozesse in anderen Bereichen haben, wie sie mit diesen artikuliert sind. Zudem werden Erfahrungen, Praktiken und Diskurse in multiplen lokalen Kontexten analysiert, sodass sich verschiedene Formen von Subordination und Widerstand aufzeigen lassen (Saukko 2003). Innerhalb von Cultural Studies spielt die Analyse subversiven Medienkonsums also weiterhin eine wichtige Rolle, auch wenn die damit verbundenen optimistischen Hoffnungen nicht mehr im Zentrum der Betrachtung stehen.

 

Texte in Kontexten

Ein weiteres zentrales methodologisches Merkmal von Cultural Studies ist ihre Analyse von medialen Texten, die nicht als diskrete Entitäten betrachtet werden, in ihrer kontextuellen Verankerung. Sie interessieren sich dafür, wie Texte und Diskurse mit sozialen, historischen oder politischen Kontexten artikuliert werden. Von Anfang an haben sie die traditionell marxistische Vorstellung abgelehnt, dass Kultur im Wesentlichen im Rahmen einer dominanten Ideologie begriffen werden kann. Vor allem Stuart Halls berühmtes »Encoding/Decoding«-Modell (Hall 1980) machte deutlich, dass in der Produktion und Rezeption von Nachrichtensendungen um die Bedeutung der dargestellten Ereignisse gerungen wird. Mediale Texte werden zum Ort der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, die ihre eigenen Interpretationen durchsetzen möchten.

Daher spielten schon in der Frühphase der Cultural Studies in Birmingham semiotische und strukturalistische Analysen eine wichtige Rolle. Zeichen wurden als polysem und multiakzentuell begriffen, die Verknüpfung zwischen Signifikant und Signifikat war in der Lesart von Cultural Studies vor allem politisch motiviert. Mediale Texte, wie z. B. die Studie zu James Bond (Bennett/Woollacott 1987) zeigte, wurden in ihrer intertextuellen Verankerung (Winter 1992; Mikos 1994) analysiert, um den oft formalistischen Charakter semiotischer und narrativer Analysen, die an primären Texten orientiert sind, zu überwinden. Durch die Berücksichtigung textueller und sozialer Kontexte gewannen die Analysen populärer Texte an Tiefe und Komplexität, weil ihre gesellschaftliche Bedeutung ins Zentrum rückte, die in Beziehung zu komplexen sozialen und kulturellen Kräften entsteht.

Sehr früh wurden auch die Charakteristika postmoderner Medientexte bestimmt, die Anleihen im Archiv der verfügbaren Medientexte machen und sich primär im Kontext dieser zirkulären Bezüge – und nicht als Referenz auf eine medial unvermittelte »Realität« – verstehen lassen (Denzin 1991). Dabei geht ein umstrittener Film wie Natural Born Killers selbstreflexiv und kritisch mit Medienbildern sowie mit unserem medial vermittelten Wissen über Serienkiller um. Nicht jeder hat aber eine postmoderne Sensibilität ausgebildet und versteht daher den Film als Parodie auf mediale Gewalt. Cultural Studies betonen daher, dass jede Lesart kontextgebunden ist und politischen Charakter hat. Das Wissen über Texte und Praktiken, deren räumliche und zeitliche Eigenschaften bestimmt werden müssen, ist immer ein situiertes Wissen. Wie die Forschungen zur Populärkultur zeigen, existieren Texte und Praktiken an besonderen Orten zu besonderen Zeiten für besondere Publika (Jenkins u. a. 2002). Deshalb lässt sich die Bedeutung eines medialen Textes nie erschöpfend bestimmen. Gerade im Bereich der Populärkultur vervielfachen sich die Bedeutungen, wenn Konsumenten und Forscher die Texte im Kontext ihres eigenen sozialen Lebens und ihrer kulturellen Identität verstehen. Im Rahmen von Cultural Studies sind oft die persönlichen Erfahrungen im Umgang mit medialen Texten ein Einstieg für deren kritische Analyse (Grossberg 1988). So geht es in der Folge darum, in selbstreflexiver Weise die sozialen Grundlagen unserer Interpretationen und damit auch deren Grenzen zu bestimmen.

In neueren, poststrukturalistisch orientierten Arbeiten der Cultural Studies werden hierzu auch genealogische und dekonstruktive Analysen durchgeführt. Im Anschluss an Foucault kann die Genealogie aufzeigen, wie unsere Auffassungen, Begriffe, Problembeschreibungen oder wissenschaftlichen Wahrheiten historischen Kontexten und spezifischen sozialen und politischen Prozessen entsprungen sind. So sind die Bilder, die wir uns von uns selbst, der Gesellschaft oder der Geschichte machen, nie vollständig oder unabhängig. Sie bleiben an die gesellschaftlichen Praktiken gebunden, aus denen sie hervorgegangen sind. Ein Genealoge versucht die medialen Praktiken unserer Kultur zu verstehen, die wir mit anderen teilen und die uns auch zu dem gemacht haben, was wir sind.

Die Dekonstruktion ermöglicht eine kritische Analyse der Logik medialer Texte. Hierzu werden z.B. binäre Oppositionen aufgedeckt und problematisiert. Hinter diesen verbergen sich Werte, ideologische Vorannahmen und kulturelle Hierarchien. Darüber hinaus zeigen dekonstruktive Lektüren die grundlegende Unbestimmtheit des Sinns medialer Texte auf, die durch ein unbegrenztes Spiel von Differenzen konstituiert werden und für vielfältige Lesarten in unterschiedlichen Kontexten offen stehen. Daher haben dekonstruktive Cultural Studies auch einen interventionistischen Charakter. Es geht ihnen darum »to expose the underlying ›structural‹ preconceptions that organize texts and to reveal the conditions of freedom that they suppress« (Denzin 1994, S. 196).

Cultural Studies haben also das Bestreben, mediale Texte von möglichst vielen Perspektiven aus zu analysieren, um die Diskurse aufzudecken (→ Diaz-Bone, S. 131 ff.), die sowohl diese als auch unser Alltagsverständnis und unsere Forschungsstrategien strukturieren. Der Forscher muss sich über seine eigenen Verpflichtungen, Interessen und Auffassungen klar werden, die historisch, politisch und sozial geprägt sind (vgl. Winter 2014).

Neue Formen von Ethnographie

Die bereits erwähnte Kritik an der Theorielastigkeit der Forschungen zum Widerstand führte innerhalb der Cultural Studies zur Diskussion und Entwicklung neuer Forschungsstrategien, die der gelebten Wirklichkeit angemessener sind. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei dem Dialog zwischen dem Selbst des Forschers und der Perspektive des Anderen, dem Untersuchungsobjekt, zu (Lincoln/Denzin 2003). Dessen Welt soll nicht von außen beschrieben werden, sondern es geht um eine Interaktion bzw. eine Begegnung zwischen verschiedenen Welten, bei der die Perspektive des Untersuchten möglichst unter dessen aktiver Mitwirkung »authentisch« erfasst werden soll. So muss sich der Forscher zunächst klar machen, was ihn daran hindert, die Welt des Anderen, der z. B. leidenschaftlich gerne Horrorfilme schaut oder Gangsta Rap hört, zu verstehen. Sich der eigenen Grenzen bewusst zu werden, fördert dann die Sensibilität gegenüber fremden und radikal differenten Erfahrungswelten. Ergänzt wird dieser Reflexionsprozess durch neue Formen des Schreibens (Richardson 2000, Leavy 2013), die persönlich, literarisch und experimentell auch die nicht rationalen Aspekte der Erfahrung des Forschers darstellen, die sich auf die (Medien-) Welten der Anderen beziehen. Die Forschungsberichte, die deren Erleben möglichst gerecht werden sollen, sind oft multivokal gestaltet. Eine Strategie besteht auch darin, die Ergebnisse in einer Performance zu vermitteln (Denzin 1999, Winter/Niederer 2008, Gergen/Gergen 2012). Auf diese Weise kommen ästhetisch geprägte Formen der Wahrnehmung und des Wissens zur Geltung, die die Konstruktionen von Selbst und Anderen verändern können (Gergen/Gergen 2012). Zudem wird den Untersuchten genügend Platz zugestanden, ihre eigene Perspektive darzustellen, bevor sie dann vom Forscher lokalisiert und reflektiert wird. Des Weiteren wird in diesen neuen Formen von Ethnographie hervorgehoben (→ Winter, S. 588 ff.), dass die untersuchten (Medien-)Welten eine Vielzahl an Stimmen beinhalten und so die Perspektiven unterschiedlicher Akteure in ihrer jeweiligen Lebenssituation eingeholt werden sollen.

Ethnographische Praktiken im Rahmen von Cultural Studies erweisen sich so in der globalen Medienwelt des 21. Jahrhunderts auch als ein moralischer Diskurs (Denzin 1997, Denzin 2010, Winter/Niederer 2008), der (problematische) Lebens- und Medienerfahrungen zugänglich macht und Einblick in (neue) Formen sozialer und kultureller Ungleichheit geben kann.

Fazit

Cultural Studies betreiben qualitative Medienforschung im Rahmen umfassender Kultur- und Gesellschaftsanalysen. So ist ihre Stärke gerade die Herstellung von Zusammenhängen über einzelne Erfahrungsräume hinweg und damit der Nachweis, dass Kultur eine »ganze Lebensweise« (»a whole way of life«) ist. Ihre Theorien und Modelle werden als Antwort auf die sozialen Probleme und Fragestellungen spezifischer Kontexte entwickelt (Grossberg 2010). Cultural Studies sind sowohl konstruktivistisch, so z. B. in der Herstellung von Kontexten, als auch kritisch, so in der Analyse von Machtverhältnissen, orientiert. Stuart Hall bestimmt als ihr Ziel »to enable people to understand what [was] going on, and especially to provide ways of thinking, strategies for survival, and resources for resistance« (Hall 1990, S. 22).

Literatur

Bennett, Tony/Woollacott, Janet (1987): Bond and Beyond. The Political Career of a Popular Hero. London.

De Certeau, Michel (1988): Kunst des Handelns. Berlin.

Denzin, Norman K. (1991): Images of Postmodern Society. Social Theory and Contemporary Cinema. London/Thousand Oaks/New Delhi.

Denzin, Norman K. (1994): Postmodernism and Deconstructionism. In: Dickens, David/Fontana, Andrea (Hrsg.): Postmodernism and Social Inquiry. London, S. 182–202.

Denzin, Norman K. (1997): Interpretive Ethnography. Ethnographic Practices for the 21st Century. London/ Thousand Oaks/New Delhi.

Denzin, Norman K. (1999): Ein Schritt voran mit den Cultural Studies. In: Hörning, Karl H./Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M., S. 116–145.

Denzin, Norman K. (2003): Performance Ethnography. Critical Pedagogy and the Politics of Culture. London/ Thousand Oaks/New Delhi.

Denzin, Norman K. (2010): The Qualitative Manifesto. A Call to Arms. Walnut Creek/CA.

Fiske, John (1989): Understanding Popular Culture. London/Sidney/Wellington.

Fiske, John (1999): Wie ein Publikum entsteht: Kulturelle Praxis und Cultural Studies. In: Hörning, Karl H./ Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M., S. 238–263.

Fiske, John (2001): Die britischen Cultural Studies und das Fernsehen. In: Winter, Rainer/Mikos, Lothar (Hrsg.) (2001): Die Fabrikation des Populären. Der John Fiske Reader. Bielefeld, S. 17–68.

Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M.

Foucault, Michel (1977): Sexualität und Wahrheit. Band 1. Der Wille zum Wissen. Frankfurt a. M.

Gergen, Mary M./Gergen, Kenneth J. (2012): Playing with Purpose. Adventures in Performative Social Science. Walnut Creek/ CA.

Göttlich, Udo/Mikos, Lothar/Winter, Rainer (Hrsg.) (2001): Die Werkzeugkiste der Cultural Studies. Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen. Bielefeld.

Gramsci, Antonio (1991 ff.): Gefängnishefte in 10 Bänden. Hamburg/Berlin.

Grossberg, Lawrence (1988): It’s a Sin. Essays on Postmodernism, Politics & Culture. Sidney.

Grossberg, Lawrence (1999): Was sind Cultural Studies? In: Hörning, Karl H./Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M., S. 43–83.

Grossberg, Lawrence (2010): Cultural Studies in the Future Tense. Durham.

Hall, Stuart (1980): Encoding/Decoding. In: Hall, Stuart/Hobson, Dorothy/Lowe, Andrew/Willis, Paul (Hrsg.): Culture, Media, Language. London, S. 128–138.

Hall, Stuart (1990): The Emergence of Cultural Studies and the Crisis of the Humanities. In: October 53, S. 11–23.

Hörning, Karl H./Winter, Rainer (Hrsg.) (1999): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M.

Jenkins, Henry/McPherson, Tara/Shattuc, Jane (Hrsg.) (2002): Hop on Pop. The Politics and Pleasures of Popular Culture. Durham.

Kellner, Douglas (1995): Media Culture. London/New York.

Kincheloe, Joe/McLaren, Peter/Steinberg, Shirley R. (2011): Critical Pedagogy and Qualitative Research: Moving to the Bricolage. In: Denzin, Norman K./Lincoln, Yvonna S. (Hrsg.): The SAGE Handbook of Qualitative Research. Fourth Edition. Los Angeles u.a., S. 163–178.

 

Leavy, Patricia (2013). Fiction as Research Practice. Short Stories, Novellas, and Novels. Walnut Creek/CA.

Lincoln, Yvonna S./Denzin, Norman K. (Hrsg.) (2003): Turning Points in Qualitative Research. Walnut Creek/ CA.

Mikos, Lothar (1994): Fernsehen im Erleben der Zuschauer. München.

Radway, Janice (1984): Reading the Romance. Woman, Patriarchy, and Popular Literature. Chapel Hill.

Richardson, Laurel (2000): Writing: A Method of Inquiry. In: Denzin, Norman K./Lincoln, Yvonna S. (Hrsg.): Handbook of Qualitative Research, 2. Auflage. London/Thousand Oaks/New Delhi, S. 923–948.

Saukko, Paula (2003): Doing Research in Cultural Studies. London/Thousand Oaks/New Delhi.

Williams, Raymond (1958): Culture and Society 1780–1950. London.

Willis, Paul (1979): Spaß am Widerstand. Gegenkultur in der Arbeiterschule. Frankfurt a. M.

Winter, Rainer (1992): Filmsoziologie. Eine Einführung in das Verhältnis von Film, Kultur und Gesellschaft. München.

Winter, Rainer (2010): Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess. Zweite überarbeitete und ergänzte Auflage. Köln.

Winter, Rainer (2001): Die Kunst des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht. Weilerswist.

Winter, Rainer (2014): Ein Plädoyer für kritische Perspektiven in der qualitativen Forschung. In: Mey, Günter/ Mruck, Katja (Hrsg.): Qualitative Forschung. Analysen und Diskussionen – 10 Jahre Berliner Methodentreffen. Wiesbaden: VS Springer, S. 117–132.

Winter, Rainer/Mikos, Lothar (Hrsg.) (2001): Die Fabrikation des Populären. Der John-Fiske-Reader. Bielefeld.

Winter, Rainer/Niederer, Elisabeth (Hrsg.) (2008): Ethnographie, Kino und Interpretation – die performative Wende der Sozialwissenschaften. Der Norman K. Denzin Reader. Bielefeld.