Qualitative Medienforschung

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Eine medientheoretische Erweiterung

Einen paradigmatischen Fall audiovisuell verfasster Kommunikationsformen, die sich ebenfalls im Kontext spezifischer Gattungen vollziehen, stellt das breite Spektrum filmischer Produkte dar. Gegenüber ihren direkten interpersonalen Formen ist hier die Kommunikationssituation jedoch eine durchaus andere. Gesprächssituationen im Fernsehen beispielsweise sind hochgradig institutionalisiert, inhaltlich mehr oder weniger vorbestimmt und inszeniert. Bei fiktionalen Sendungen (in Spielfilmen oder Unterhaltungsserien) folgen die Dialoge meist einer schriftsprachlich konstituierten Vorlage, dem Drehbuch. In nicht fiktionalen Sendungen gibt es Sendetypen, in denen Sprachhandlungen ebenfalls bis ins Detail vorgeplant sind. Hier können indes Elemente des eher »spontanen« Sprechens eingebaut sein (wie bei einem Interview zwischen Journalist und Politiker in den Nachrichten). Es gibt aber auch Sendetypen, in denen Sprachhandlungen nur grob vorgeplant sind, in denen die Handelnden also gewisse Spielräume für Spontaneität haben (z. B. bei Talkshows). Und es gibt Sendungen, in denen der verbale Austausch gar nicht im Zentrum der audiovisuellen Kommunikation steht – man denke an Sportübertragungen, Musiksendungen oder Filme mit nur sparsamen Dialogen. Das bedeutet, dass man, wenn man die Gattungsanalyse des hier beschriebenen Typs zur Untersuchung medial vermittelter Kommunikationsprozesse heranzieht, auf eine besondere Weise der spezifischen materialen Verfasstheit der audiovisuellen technischen Kommunikation Rechnung tragen muss.

Mediale Gattungen sind dann als eine Unterklasse der Gattungen der Kommunikation zu verstehen. Gattungen der Kommunikation sind Schemata der Ordnung kommunikativer Sequenzen, die den Teilnehmern eine Orientierung über die Art des stattfindenden Kommunikationsprozesses bieten. Gattungen in diesem Sinn sind für eine gewisse Dauer feststehende Prozeduren der Kommunikation. Das Besondere an Gattungen der Kommunikation ist gerade, dass sie bereits durch die Art ihres Verlaufs eine Orientierung erzeugen, die alles prägt, was im Verlauf der jeweiligen kommunikativen Einheit zur Sprache und zur Anschauung kommt. Dies ist bei der direkten mündlichen Kommunikation der Fall, etwa wenn eine Belehrung stattfindet, über jemanden geklatscht wird oder ein Ereignis der Vergangenheit rekonstruiert wird (Keppler 1989; Keppler/Luckmann 1992; Bergmann 1987; Keppler 1987). Entsprechend stellen mediale Gattungen verfestigte Arten der Inszenierung dar – festliegende Arten, in denen z. B. im Film von etwas berichtet, eine Geschichte erzählt oder ein Gesprächsverlauf dargeboten wird. Zu den für eine Gattung charakteristischen Faktoren können z. B. bildliche Motive, narrative Abläufe, die Wahl von Schauplätzen, Arten der Kommentierung, der Einsatz von Musik oder bestimmte visuelle Dramaturgien gehören. Welche dieser Faktoren ausschlaggebend sind, lässt sich nicht allgemein sagen; sicher ist nur, dass Gattungen stets signifikante Konfigurationen filmischer Merkmale darstellen. Zu einer Talkshow beispielsweise gehört der Schauplatz einer Gesprächssituation, an der mindestens zwei Personen beteiligt sind, deren Gespräch auch das Zentrum der visuellen Dramaturgie des Films bildet, und außerdem ein Gesprächsverlauf, der – im Vergleich etwa zum politischen Interview – eher auf persönliche Episoden und Erfahrungen gerichtet ist.

Für das Vorhaben einer Mediengattungsanalyse im Anschluss an die Theorie kommunikativer Gattungen ist es notwendig, über die für gängige Verfahren beispielsweise der Filmanalyse übliche Berücksichtigung filmsprachlicher Strukturen hinauszugehen und auch feinste sprachliche Strukturen (inklusive Prosodie und Stimmqualität) zu berücksichtigen. Grundsätzlich gilt auch hier, dass das mediale Produkt Richtungen seiner Wahrnehmung vorgibt, die von den Zuschauern teils befolgt werden müssen, teils befolgt werden können und teils befolgt werden sollen. Anders als die Beteiligten an einer mündlichen Konversation jedoch können die Zuschauer angesichts filmischer Verläufe nicht jederzeit den Gang der Ereignisse beeinflussen. Sie können weder den Gang der Dinge unterbrechen noch Zäsuren markieren, Widerspruch anmelden oder die Verbindlichkeiten des gewählten Gesprächsformats absichtlich oder unabsichtlich verletzen. Denn die Zuschauer von Filmen sind dem klangbildlichen Geschehen – der äußeren Abfolge der jeweils sichtbaren Ereignisse, dem Wortwechsel zwischen den Figuren etc. – zwangsläufig ausgesetzt, so lange sie den Film überhaupt verfolgen. So groß ihr Deutungsspielraum auch sein mag, den visuellen und akustischen Rhythmus der betrachteten Produkte können sie nicht verändern. Dieser liegt vor, an diesem verändert sich im Lauf der filmischen Kommunikation nichts. Es sind feststehende Strukturen des Produkts, innerhalb derer sich erst der Raum für eine Zuweisung von Bedeutungen, Wertungen und Typisierungen bildet.

Dennoch, und das ist nun wieder das Gemeinsame, hat etwa auch das technisch unvermittelte mündliche Erzählen z. B. einer Geschichte bestimmte zeit- und kulturbedingte Formen, die durchaus vorgeben, wie eine Geschichte zu gliedern, zu beginnen und abzuschließen ist (Sacks 1971). In der Praxis des Erzählens haben sich Regeln ausgebildet, die Sprecher und Zuhörer beachten müssen (bzw. nicht nicht beachten können), wenn sie einander eine Geschichte oder einen Witz erzählen wollen. Die durch frühere kommunikative Praktiken entstandene Vorgabe kommunikativer Muster legt bestimmte Möglichkeiten fest, innerhalb derer ein – je nach Formalisierungs- und Verfestigungsgrad der Gattung – mehr oder weniger weiter Variationsspielraum besteht.

Bei der Analyse der audiovisuellen technischen Kommunikation kommt es wesentlich darauf an, diese in der Einheit ihrer sichtbaren und hörbaren Komponenten zu erfassen. Denn allein deren Zusammenwirken macht den kommunikativen Gehalt der entsprechenden Produkte aus. Grundsätzlich gilt es daher, die hier oft noch vorherrschende Konzentration auf den sprachlichen Kanal zu überwinden und die entscheidende Rolle, die den Bildern im Rahmen des filmischen Diskurses zukommt, in die Analyse einzubeziehen. Viele der von entsprechenden Produkten angebotenen Wahrnehmungsmöglichkeiten sind den Zuschauern so vertraut, dass sie ihnen gar nicht eigens bewusst werden. Man denke nur an die Zeichen auf der Wetterkarte und die Bewegungen, die Ansagerinnen vor dieser vollführen. In der Welt des Alltags, »in der der hellwache, erwachsene Mensch inmitten seiner Mitmenschen handelt und auf die er einwirkt, einer Welt, die er in der natürlichen Einstellung als Wirklichkeit erlebt« (Schütz 1971b, S. 238), verstehen wir das Gezeigte und Gesagte, weil der Wetterbericht ein längst vertrautes Format des Fernsehens ist. Als Zuschauer verstehen wir uns auf diese Sendungen, so wie wir uns auf Konventionen des Grüßens, Klatschens oder Geschichtenerzählens verstehen. Wir wissen, wie die Sendung gegliedert ist, worauf es in ihr ankommt und was wir von ihr zu erwarten haben. Diese Verständnisse sind der Sendung durch ihren bildlichen und akustischen Aufbau inkorporiert, sie bestimmen auf diese Weise das Verstehen, das wir ihnen entgegenbringen. Die durch die mediale Inszenierung der Information über das Wetter der kommenden Tage quasi mitgelieferte Anleitung, wie die Information zu verstehen ist, lässt sich nun unter besonderer Beachtung der Bildregie, der Wahl der Symbole, der Farbgebung, der Gestik der Ansagerinnen usw. analysieren. Auf diese Weise wird auch in der Analyse medialer Kommunikationsformen das primäre (alltagsweltliche) Verstehen fortgeführt zu einem methodisch-wissenschaftlichen Verstehen: zu einer ausführlichen Explikation der Möglichkeiten des Verstehens, das die Sendung entwirft und enthält. Bei komplexeren Produkten wie einer ganzen Nachrichten- oder Magazinsendung, einer Talkshow oder einem Spielfilm verlangt dies eine sehr viel aufwendigere Interpretation, aber das Prinzip ist dasselbe. Das mediale Produkt, wie immer es auch gestaltet ist, stellt eine Objektivation manifester und latenter Sinnmöglichkeiten dar, die in ihrer Wahrnehmung erfasst oder nicht erfasst, gesucht oder gemieden, geschätzt oder verworfen werden können. Diese Möglichkeiten des Verstehens liegen in der Gestaltung der Produkte selbst, einer Gestaltung allerdings, die durch ihre Gattungszugehörigkeit und Gattungsbezogenheit ihre Signifikanz niemals in einem neutralen Feld gewinnt, sondern inmitten von ähnlichen bis alternativen Kommunikationsmöglichkeiten, wie sie in der medialen Praxis gängig sind. Gattungsanalyse medialer Produkte heißt also: das kommunikative Potenzial herausarbeiten, das in der gesamten audiovisuellen Verfassung medialer Produkte zu einer bestimmten Zeit2 angelegt ist.

An dieser Stelle ist es wichtig, sich noch genauer den Status von Gattungen vor Augen zu führen – und zwar zunächst den Sinn, den diese Einteilung weniger in der Theorie als vielmehr in der Praxis des Umgangs mit filmischen Bildern hat. Filmische Gattungen jedweder Art sind vonseiten der Hersteller wie auch der Zuschauer stets mit Erwartungen verbunden, man könnte geradezu sagen: Sie sind Erwartungen, die von beiden Seiten mit den jeweiligen audiovisuell verfassten Produkten verbunden sind. Die Produzenten erwarten, dass sie beim Publikum so und so aufgenommen werden, das Publikum erwartet, dass es durch den Film so und so informiert oder unterhalten wird. Diese Erwartungen können erfüllt oder enttäuscht werden. Eine Gattung bildet sich nur dann heraus, wenn die mit ihren Exemplaren verbundenen Erwartungen einigermaßen verlässlich erfüllt werden: wenn das Publikum in den Produkten das findet, was es erwartet hat oder auch etwas, das seine Erwartungen übertrifft; wenn die Produzenten etwas finden oder erfinden, was vom Publikum entsprechend geschätzt wird. Insofern sind filmische Gattungen etwas, deren Bestehen und deren Kontur zwischen Produzenten und Publikum gleichsam ausgehandelt werden muss; in diesem Sinn sind sie Resultate der filmischen Kommunikation, Resultate aber, die in jeder weiteren Kommunikation, in ihrer Fortsetzung immer wieder auf dem Prüfstand stehen.3 Denn nicht allein die einzelnen Filme oder Sendungen, so folgt hieraus, auch die Gattungen, zu denen sie gruppiert werden, haben eine Bedeutung, die auf diejenige der jeweiligen Produkte einwirkt. Für die Verfassung eines filmischen Produkts ist daher seine – wie immer fragile – Gattungszugehörigkeit ein wichtiger Bestandteil. Für eine soziologische Gattungsanalyse medialer Kommunikationsformen, der es vom Grundsatz her immer um eine Offenlegung der im jeweiligen Produkt angelegten Orientierungsmöglichkeiten geht, stellt die jeweilige Gattungszugehörigkeit des Untersuchungsgegenstandes daher einen wertvollen Untersuchungskontext dar. Indem das jeweils betrachtete Produkt in Beziehung zu anderen gesetzt wird, die entweder derselben oder einer anderen Gattung zugehörig sind, werden die charakteristischen Elemente der einzelnen medialen Produkte erst im vollen Sinn deutlich: die Art nämlich, in der das Produkt seinen kommunikativen Beitrag als Exemplar einer oder mehrerer Gattungen leistet – oder als ein Produkt, das die Grenzen der bisherigen Gattungen erweitert, transformiert oder sprengt.4

 

Eine auf diesem Weg um eine Analyse medialer Gattungen erweiterte Theorie kommunikativer Gattungen ermöglicht zugleich eine erweiterte empirische Untersuchung des kommunikativen Haushalts gegenwärtiger Gesellschaften. Denn auch die Inszenierungsweisen audiovisueller Produkte tragen zusammen mit den Praktiken ihrer Aneignung zu einer Präfigurierung individueller wie sozialer Orientierungen und somit des – unter heutigen Bedingungen gewiss heterogenen – Wissens über die gesellschaftliche Wirklichkeit bei (Keppler 2015).

Anmerkungen

1 Mediale Kommunikation, wie ich sie hier verstehe, vollzieht sich auf der Empfänger- wie auf der Senderseite im Gebrauch technischer Geräte. Harry Pross (1972) spricht in diesem Zusammenhang von »tertiären« Medien, wozu neben Telefon, Rundfunk, Film, Fernsehen usw. die elektronischen Geräte der Erzeugung, Speicherung und Verbreitung von sprachlichen, akustischen und visuellen Daten aller Art gehören (Pross 1972, S. 224).

2 Der Zusatz »zu einer bestimmten Zeit« ist nötig, da sich die Bedeutung medialer Produkte mit der Zeit ihrer Rezeption fast zwangsläufig ändert, weil die betreffenden Formate zu einer späteren Zeit im Kontext anderer medialer Kommunikationsformen stehen.

3 Vgl. hierzu die aufschlussreiche Diskussion zum Thema eines »kommunikativen Kontrakts« im Rahmen einer Pragmatik des Films in der Zeitschrift montage/av 2002, Jg. 10, H. 2 und 2003, Jg. 11, H. 2.

4 Erst durch dieses komparative Verfahren kann beides erreicht werden: eine genaue Interpretation einzelner Produkte und eine am Material belegte Interpretation der übergreifenden Formen, in denen sich die Kommunikation von Film und Fernsehen zu einer bestimmten Zeit vollzieht (Peltzer/ Keppler 2015).

Literatur

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Volosinov, Valentin N. (1975): Marxismus und Sprachphilosophie. Grundlegende Probleme der soziologischen Methode in der Sprachwissenschaft. Frankfurt a. M.

Cultural Studies
RAINER WINTER

Cultural Studies betreiben seit ihren Anfängen in Birmingham qualitative Medienforschung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Analyse des Verhältnisses von Erfahrungen, medialen Texten und sozialen Kontexten, wobei ihr transdisziplinär orientierter Forschungsprozess durch Bricolage und Perspektivenvielfalt gekennzeichnet ist. Ausgehend von den Machtstrukturen in den Gesellschaften der Gegenwart ist ein Schwerpunkt ihrer empirischen Analysen die Existenz von Formen des Widerstandes und deren Bedeutung. Dabei werden mediale Texte immer in ihrer kontextuellen Situierung untersucht. Dekonstruktive Interpretationsstrategien tragen dazu bei, Texte aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ergänzend bemüht sich die »neue Ethnographie« im Rahmen von Cultural Studies, durch plurale Forschungs-, Schreib- und Darstellungsstrategien den Perspektiven der Anderen so gerecht wie möglich zu werden.

Die Perspektive der Cultural Studies

Zentrales Merkmal der qualitativen Medienforschung im Kontext von Cultural Studies ist die theoretische und empirische Untersuchung des Verhältnisses von Erfahrungen, medialen Texten und sozialen Kontexten. Anders formuliert, ihr transdisziplinär orientiertes Forschungsinteresse gilt dem komplexen und vielschichtigen Zusammenhang von alltäglich erlebter, diskursiver und gesellschaftlicher Wirklichkeit in der globalen Ära des 21. Jahrhunderts. Diese dreiseitige Ausrichtung bringt unterschiedliche methodologische Orientierungen mit sich, deren wechselseitige Verknüpfung Cultural Studies seit ihren Anfängen bestimmen. Die Singularität und Kreativität dieses Forschungsansatzes, der sich dem »whole way of life« im Sinne von Raymond Williams (1958) verschrieben hat, beruhen auf der gegenseitigen Ergänzung und Bereicherung, aber auch auf den nicht vermeidbaren und produktiv genutzten Widersprüchen, die aus den differenten methodologischen Optionen resultieren.

So hat z.B. die qualitativ-empirische Erforschung der Medienrezeption einen phänomenologischen und hermeneutischen Schwerpunkt, da es um das Verständnis von »lived realities«, von Erfahrungen und Praktiken, geht (Winter 2010). Die Analyse medialer Texte stützt sich auf strukturalistische bzw. poststrukturalistische Ansätze. Denn die Logik eines Spielfilms oder einer Fernsehserie kann sich erschließen durch das Aufzeigen der Werte, die sich in der binären Logik von medialen Texten verstecken, der diskursiven Rahmungen, die mediale Wirklichkeiten strukturieren, oder der intertextuellen Bezüge, die ein medialer Text unterhält und die den mediatisierten Charakter unserer Wirklichkeitserfahrung und unseres Wissens hervorheben. Dagegen hat die Analyse der sozialen und politischen Kontexte, in der mediale Texte rezipiert und angeeignet werden, notwendigerweise einen »realistischen« Charakter, so z. B. in der Deskription des situationalen Settings, in der sich eine Medienrezeption vollzog, oder der zunehmenden globalen Vernetzung.

Cultural Studies zeichnen sich nun dadurch aus, dass sie die auf diese Weise entstehenden Spannungen, Konflikte und durch die Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven manchmal überraschenden Einsichten ins Zentrum ihrer Analysen rücken. Die Bricolage des Forschungsprozesses (Kincheloe/McLaren/Steinberg 2011), die Triangulation unterschiedlicher Methoden und Theorien je nach Forschungsfrage (→ Treumann, S. 264 ff.), veranschaulicht, dass diese transdisziplinär ausgerichtete Forschungstradition mit der positivistischen Agenda gebrochen hat, dass es das Ziel von Forschung sei, Hypothesen oder Theorien darüber aufzustellen, was in der Welt »wirklich« vor sich geht, und dann durch die methodisch erzeugte und kontrollierte Analyse von (harten) Daten herauszufinden, ob dies »wirklich« so ist. Dagegen zeigen Cultural Studies, dass Forschungsfragen, -methodologien und -interessen durch soziale, politische und historische Kontexte geprägt werden (Grossberg 2010). In der Forschung wird nicht Realität »objektiv« analysiert, vielmehr ist die Forschung Teil der Wirklichkeit, die sie erzeugt und sozial konstruiert. Da Methodologien und Schreibweisen der Forscher die Wirklichkeit nicht widerspiegeln, ist es angebracht, durch unterschiedliche Methoden auch verschiedene Wirklichkeiten zu erzeugen und zur Darstellung zu bringen. So wird die Partikularität von Perspektiven deutlich, und deren differenten Wirklichkeitskonstruktionen wird Rechnung getragen. Das gewonnene Wissen ist immer sozial und politisch lokalisiert, sodass die Forscher/-innen auch dazu aufgefordert werden, die Diskurse und Positionen, die ihr Denken prägen, kritisch zu hinterfragen. Dabei haben die neueren Ansätze von Cultural Studies einen »performance turn« vollzogen (Denzin 2003, Gergen/Gergen 2012). Sie sind sich dessen bewusst, dass sie Kultur in ihren Widersprüchen und Konflikten »zur Aufführung« bringen, wenn sie über sie forschen und schreiben. »Reflexive Performance« und (Auto-)Ethnographie rücken ins Zentrum der neueren qualitativen Forschung.