Methoden der Theaterwissenschaft

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From the series: Forum Modernes Theater #56
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Verknüpfung und Vernetzung

Der bereits zitierte Tim Cresswell betont in Hinblick auf Mobilität, dass diese mehr ist als nur der Weg von A nach B.1 Mobilität ist vielmehr als eine soziale und damit relationale Dimension zu verstehen. Dies wird auch in dem gerade angeführten Zitat von Balme und Leonhardt deutlich, bei dem die durch Mobilität entstehenden Verbindungen hervorgehoben werden. Betrachtet man nämlich Auswanderung und Einwanderung – um bei dem Beispiel von Theatermigration zu bleiben – nicht als zwei voneinander getrennte Momente, sondern vielmehr als einen dynamischen, sich gegenseitig bedingenden Prozess, der im biographischen Kontinuum zusammenfällt, da der Aus- und der Einwanderer ein und dieselbe Person sind,2 so wird deutlich, dass Biographien von Theatermigranten grenzüberschreitende Verknüpfungen und Vernetzungen offenlegen. Schließlich, so argumentiert auch Volker Depkat, sind transnationale Biographien in mehreren Räumen angesiedelt und entfalten sich im komplexen Neben- und Miteinander von Herkunfts- und Niederlassungsländern. Sie überschreiten deshalb nationale Grenzen nicht nur, sie verknüpfen vielmehr auch verschiedene Gesellschaften und Kulturen miteinander, die durch diese Grenzen vermeintlich getrennt sind.3

Auf diese Weise regen Migranten nicht nur Verbindungen über geographische Grenzen hinweg, sondern auch multidirektionale Transfer- und Austauschprozesse an und sind an der Bildung von personalen und institutionellen Netzwerken beteiligt. Betrachten wir z.B. den 1844 in Prag geborenen Gustav Amberg, der im Alter von 20 Jahren in die USA auswanderte, so fällt auf, dass dieser als ein solcher wichtiger Vermittler und Netzwerker fungierte. Er managte deutschsprachige Theatergruppen und Theater in Detroit, St. Paul, Cincinnati und seit 1876 in New York. Hier ließ er deutschsprachige Operetten, wie beispielsweise Die Fledermaus von Johann Strauß, deutschsprachige Dramen, aber auch zahlreiche in Europa bekannte Theaterstücke des Naturalismus in ihrer deutschen Übersetzung spielen. Damit jedoch nicht alles; Amberg hat eine Vielzahl an Schauspielern aus dem deutschsprachigen Gebiet in die USA für Gastauftritte engagiert und so das Tourneetheaterbusiness befördert. Sie sowie die Programmauswahl in vom Amberg geführten Häusern waren ein Zuschauermagnet, der schließlich Publika verschiedener Nationalitäten ins Theater lockte, wie Hermann Rothfuss hervorhebt:

It must have been a glorious time for German theatre goers in New York – and not only for them, for it was estimated that thirty to forty percent of the people attending Amberg’s offerings were of non-German background.4

Amberg schaffte es also, nicht nur Verbindungen zwischen den deutschsprachigen Ländern in Europa und den in den USA lebenden deutschen Emigranten herzustellen. Indem sein Theater auch von Zuschauern anderer Nationalitäten besucht wurde, indem US-Amerikanische Zeitschriften über die Aufführungen in Ambergs Theatern berichteten, erschuf er einerseits einen transnationalen sozialen Raum und eine kulturelle Kontaktzone, ermöglichte andererseits aber die Popularisierung deutscher Kunst und deutscher Künstler über dem Atlantik. Seine Theater waren oftmals ein Sprungbrett für deutschsprachige Schauspieler, die durch ihre Erfolge am New Yorker Thalia oder am Amberg Theater Einladungen von anderen Häusern in den USA erhielten und größere Gastspielreisen machten. Rekonstruiert man die Verbindungen, die Amberg erschuf, so kommt ein ausgedehntes transnationales Netzwerk zum Vorschein. Ein Netzwerk, dessen Wert die berühmten Shubert Brüder erkannten, als sie Amberg – nach der Aufgabe seiner Tätigkeit als Theatermanager – als Agenten engagierten.5 Für sie zog er zurück nach Europa, wo er den Theatermarkt nach Kassenschlagern für die USA studierte und mit Verlegern Rechte und Verträge aushandelte, wie die folgende Korrespondenz veranschaulicht:

Abb. 1:

Korrespondenz Shubert-Amberg, Shubert Archive New York.

Der biographische Ansatz ermöglicht es also, Prozesse der Verknüpfungen und Vernetzungen auf einer Mikroebene aufzudecken und so Funktionsweisen der Theaterpraxis wie auch ihre Netzwerke freizulegen. So beschreibt Marlies Schweitzer, die Auswirkungen der Mobilität um den Jahrhundertwechsel resümierend, als die Etablierung einer transnationalen Theaterkultur:

By 1910, many of the plays, performers, songs, and costumes that filled commercial theatres in New York were similar to if not identical to those filling commercial theatres in London, Paris, Berlin, Budapest, Vienna, Leipzig, Sydney, Melbourne, Cape Town, and Calcutta.6

Individuelle Perspektive

Wichtig erscheint es in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass es nicht ausreicht, lediglich die Reise- und Migrationswege sowie die hierdurch erschaffenen Verknüpfungen und Netzwerke zu studieren bzw. zu rekonstruieren, um einer transnationalen Geschichtsschreibung gerecht zu werden. Gerade ein biographischer Ansatz, der nach individuellen Erfahrungen der Mobilität und ihren Folgen fragt, bietet die Möglichkeit, auch die individuelle Perspektive mit in die Analyse zu bringen. Hierdurch offenbart sich die Vielschichtigkeit von Mobilitätsprozessen und ihren Auswirkungen auf das Theater. Hierdurch bekommen wir auch einen sonst im Verborgenen gebliebenen Einblick in Hintergründe von Handlungen und Entscheidungen.

Auf diese Weise wird u. a. deutlich, warum sich Theaterschaffende überhaupt in Bewegung setzten. Der Entschluss auszuwandern beispielsweise, ist nicht einzig mit makroökonomischen Gründen zu erklären. Im Fall Heinrich Börnsteins waren es – zumindest was die Ausreise in die USA betrifft – politische Gründe; die Eltern der Shubert Brüder hingegen verließen Litauen aufgrund antisemitischer Verfolgung. Die ausschlaggebenden Beweggründe der Emigration der polnischen Schauspielerin Helena Modrzejewska, die 1876 gemeinsam mit ihrem Ehemann Karol Chłapowski und ihrem Sohn Rudolf Richtung Amerika aufbrach, lassen sich sogar in eine offizielle und eine inoffizielle Version kategorisieren, wobei sicherlich eine Mischung aus beiden als zutreffend konstatiert werden kann. So begründete Modrzejewska in der Öffentlichkeit ihre Ausreise in die USA mit der Faszination für das Fremde, einer gewissen romantischen Neugier auf ein abenteuerliches Leben in den USA, aber auch mit der schwierigen politischen Situation im geteilten Polen:

Our friends used to talk about the new country, the new life, new scenery, and the possibility of settling down somewhere in the land of freedom, away from the daily vexations in which every Pole was exposed in Russian or Prussian Poland.1

Des Weiteren ist die Rede von einer Überarbeitung der Actrice und dem hiermit einhergehenden Wunsch nach einer Erholungspause:

[…] my husband’s only desire was to take me away from my surroundings and give me perfect rest from my work. He thought, and the doctors agreed with him, that a long sea voyage might restore my health and strengthen my nerves.2

Aus der Briefkorrespondenz der Schauspielerin lässt sich allerdings auch der langgehegte Wunsch, im Ausland in englischer Sprache zu debütieren, als ein weiterer Grund für die Emigration herauslesen. Diesen formulierte sie gegenüber ihrer Freundin Stefania Leo – allerdings erst nach ihrer Emigration – sogar sehr eindeutig: „Das war mein geheimer Plan von Anfang an.“3 Diesen Plan hielt sie zunächst geheim, was zum einen daran lag, dass sie sich eines Erfolges in Amerika nicht sicher sein konnte und Angst vor einer öffentlichen Demütigung im Fall eines Misserfolgs hatte. Zum anderen stand sie unter Vertrag mit dem Warschauer Theater, den sie aus Sicherheitsgründen nicht aufgeben wollte. So nahm sie zunächst unter der Angabe gesundheitlicher Gründe eine einjährige Spielpause, selbst noch aus den USA beteuernd, dass sie nach Warschau zurückkehren werde.4 Das Vorhaben, in den USA zu debütieren, muss dennoch recht fest gewesen sein. Hinweise hierfür finden sich noch vor der Emigration aus Polen im Briefverkehr zwischen Modrzejewskas Mann Karol Chłapowski und dem zu der Zeit in England lebenden Schriftsteller Ignacy Maciejewski. Der letztere gab Tipps, wie Modrzejewska in der US-Presse beworben werden könnte. So schrieb er den folgenden Vorschlag für den New York Herald, der – meines Wissens nach – jedoch nie erschien:

Es ist die erste Künstlerin – nicht nur Polin, sondern Europäerin – , bei deren Betrachtung Ristori vor Neid und aus Demütigung in Ohnmacht fiel, und die berühmte Bayerin Ziegler, wild und leidenschaftlich, wie Medea ihrer unvergleichbaren Süße, ihrem Charme und ihrem Gefühlsreichtum erlag.5

Recht bald nach ihrer Ankunft in den USA begann die Schauspielerin, ihr Debüt in die Wege zu leiten. Im August 1876, also nur einen Monat nach ihrem Aufbruch berichtete sie in einem Brief an Stanisław Witkiewicz, dass sie einen gewissen Herrn Zolnowski, den Präsidenten der amerikanischen Polnischen Dramatischen Gesellschaft in New York getroffen habe, der ihr Hoffnungen machte, auf Englisch zu spielen.6 Genaueres wird zu diesem Zeitpunkt aber nicht genannt. Im Oktober schienen die Pläne insofern konkreter zu sein, als Chłapowski in einem Brief an seine Schwester Anna anmerkt, dass sie einige Monate auf der von ihnen gepachteten Farm in Anaheim verbringen werden, wo sich Helena auf ein Debüt vorbereiten müsse.7 Im November verriet er seiner Familie dagegen, dass seine Frau schon in wenigen Wochen nach San Francisco aufzubrechen plane, um dort Englischunterricht zu nehmen und so das Debut voranzutreiben.8Auch wenn Chłapowski schon in den Januarbriefen an seine Familie euphorisch den März 1877 als einen möglichen Debuttermin benennt9, so lag zu diesem Zeitpunkt weder ein Angebot noch überhaupt ein Vorsprechtermin vor. Erst im Mai 1877 – nach mehreren frustrierenden Anläufen sowie dank der Kontakte polnischer Landsleute – durfte Modrzejewska am California Theatre vorsprechen, wo sie schließlich zu überzeugen vermochte und die Möglichkeit bekam, vor US-amerikanischem Publikum aufzutreten.10 Zuvor musste sie allerdings ihren Nachnamen ändern, weil dieser dem Manager des California Theatre John McCullough zu fremd klang und er fürchtete, damit das Publikum abzuschrecken. Modrzejewska war nicht bereit dazu, sich einen komplett neuen Nachnamen geben zu lassen, und machte den Vorschlag, diesen so zu vereinfachen, dass die polnischen Wurzeln dennoch erkennbar bleiben. In ihrer Autobiographie beschreibt sie die Situation wie folgt:

 

I told him […] I might, by the omission of a few letters, make out a name which would sound pretty much like my own, and yet not frighten people away, and I wrote down ‘Modgeska.’ He smiled again, saying it might remind one of ‘Madagascar.’ I soon perceived the point, and changed the ‘g’ into a ‘j’. He spelled aloud ‘Modjeska.’ ‘Now,’ he said, ‘it is quite easy to read, and sounds pretty, I think’.11

So wurde aus Helena Modrzejewska Helena Modjeska. Unter diesem Namen debütierte sie am 20. August 1877 am California Theatre in San Francisco mit der Rolle der Adrienne Lecouvreur.12

Neben den hier angeführten Gründen für Emigration dokumentieren also zahlreiche Ego-Dokumente den Weg Modrzejewskas auf die US-Bühne. So erfahren wir über das Studium der individuellen Perspektive also, dass Schauspieler nicht nur mit Hilfe von Agenten oder Theatermanagern im Ausland debütierten, sondern dass sie sich auch auf eigene Faust in die Fremde aufmachten und selbständig um Auftritte bemühten. Wir erfahren – sofern in Quellen auffindbar –, welche Schritte sie hierzu einleiteten, welche Erfahrungen sie machten und wie sich diese Erfahrung auf ihre berufliche wie private Situation auswirkten.

Aushandlung und Produktivität

Mobile Theaterschaffende begegnen auf ihren Reisen anderen, ihnen meist fremden Kulturen. Sie müssen sich mit den Gegebenheiten vertraut machen, die die Theaterszene des jeweiligen Landes ausmachen und den Herausforderungen stellen, die sich hieraus ergeben. Sie sind mit fremden Sprachen, unterschiedlichen Spielkulturen und Publika konfrontiert. Der biographische Ansatz erlaubt es, diese interkulturellen Begegnungen und die damit zusammenhängenden bzw. daraus resultierenden Prozesse näher zu beleuchten. Die Untersuchung einzelner Fallbeispiele verdeutlicht, dass hierdurch 1. eine Vielfalt an Produktivität entsteht, sei es in Form der Gründung neuer Institutionen, der Zirkulation von Theaterstücken oder der Entstehung hybrider Phänomene. Sie zeigt aber auch, dass 2. keineswegs nur transnationale ‚Geschichten des Erfolges‘ produziert werden. Vielmehr offenbaren sich an den entstehenden Kontaktzonen zahlreiche Aushandlungsprozesse und Spannungsverhältnisse. So konstatiert auch Cresswell: „It is about the contested worlds of meaning and power. It is about mobilities rubbing up against each other and causing friction.“1 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass auch wenn die transnationale Geschichtsschreibung an solchen Phänomenen interessiert ist, die den nationalen Rahmen übersteigen, gar sprengen, so spielt die ‚Nation‘ in der Untersuchung dennoch immer wieder eine bedeutsame Rolle. So betont auch Patel: „Transnationale Geschichte umfasst demnach all das, was jenseits (und manchmal auch diesseits) des Nationalen liegt, sich aber auch durch dieses definiert – sei es, dass es sich daraus speist oder davon abgrenzt“.2 Und auch Sebastian Conrad unterstreicht: „Für viele Fragen wird der nationale Rahmen von Politik und Gesellschaft […] maßgeblich bleiben.“3

Als beispielsweise die hier bereits thematisierte Helena Modrzejewska in die USA einreiste, so formulierte sie den Wunsch, auf Englisch zu spielen.4 Ihre Bühnensprache sollte der des Gastgeberlandes angepasst werden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Zu diesem Zweck engagierte sie eine Lehrerin – Jo Tucholsky –, mit der sie an ihrem Bühnenenglisch arbeitete. Allen Bemühungen zum Trotz blieb der polnische Akzent jedoch bestehen. Modrzejewska ahmte als Nicht-Muttersprachlerin – ganz im Sinne von Bhabhas ‚Mimikry‘ – zwar die englische Bühnensprache nach, ihre Sprache war jedoch nicht dieselbe; eine Annäherung fand zwar statt, doch ein unerreichbarer Rest, eine Dissonanz blieb bestehen und zeigte Differenz an, eine Differenz, die in den herrschenden Diskurs eindrang und als Störfaktor innerhalb des kulturellen Referenzrahmens empfunden wurde, was das Homogene in Frage stellte, ihm widersprach und Aushandlungsprozesse in Gang setzte. Dies wird deutlich daran, dass in nahezu jeder Rezension Kritik an Modrzejewskas Aussprache geübt wird. Diese Kritik wurde umso schärfer, als die Schauspielerin begann, Rollen von Shakespeare auf Englisch zu spielen. So schrieb ein Rezensent der New York Times anlässlich ihrer Vorstellung als Viola: „[…] it was frequently impossible to understand her, and some of the loveliest verse put into the sweet mouth of Viola became, as she spoke it, unintelligible.“5

Das Hauptargument der Rezensenten war, dass die Schönheit der Shakespeare’schen Verse zerstört und damit die Bedeutung der Worte in ein falsches Licht gestellt werden würde. Der renommierte New Yorker Kritiker William Winter ging bei seiner Kritik sogar so weit, dass er nicht nur den Akzent der Schauspielerin beanstandete, sondern auch die Ansicht vertrat, dass die Rollen des englischen Dramatikers überhaupt lediglich den Akteuren vorbehalten seien, die seiner ‚Rasse‘ abstammten:

It is a fact, which all the protests made by foreign actors and their over-zealous advocates cannot obscure, that the greatest actors are those who, illustrating a true ideal of Shakespeare’s great characters, do so with perfect interpretative art; and the actors in whom that union of ideal and execution has been manifested at the best have been and are actors of Shakespeare’s race.6

Modrzejewska ließ sich durch diese Kritik jedoch nicht entmutigen. Auch wenn sie die Argumente der Rezensenten bezüglich ihrer fehlerhafte Aussprache nachvollziehen konnte, vor allem in Hinblick darauf, dass hierdurch die Poetik und die Melodie der Shakespeare’schen Verse an Schönheit verlören, veranlasste sie das keineswegs aufzugeben: Ganz im Gegenteil wählte sie die Strategie, an ihrem Englisch noch weiter zu arbeiten und der Kritik zum Trotz studierte sie weitere Shakespearerollen auf Englisch ein:

If the plays are rendered in English by foreign-born actors, their lack of familiarity with the acquired language may make their pronunciation defective, and thus imperil, if not the poetry of the sentence, at least the music of the verse. The latter is my own case, and therefore, whenever my pronunciation was found fault with, I could do nothing but accept the criticism in all humility and endeavor to correct the errors of my tongue; yet I persisted without discouragement, and went on studying more and more Shakespearean parts, conscious that their essential value consisted in the psychological development of the characters, and confident that I understood them correctly and might reproduce them accordingly to the author’s intentions.7

Des Weiteren versuchte Modrzejweska, das Argument ihrer Kritiker zu entkräften, indem sie gerade die Universalität und Internationalität von Shakespeares Rollen betonte:

We foreigners […] claim that before being English he [Shakespeare] was human, and that his creations are not bound either by local or ethnological limits, but belong to humanity… Our argument is that when Shakespeare wanted to present English people he located them in England, or at least gave them English names […].8

Während sie in den USA schließlich auf Englisch den Durchbruch schaffte, auch als Shakespeare-Darstellerin, blieb ihr dieser Erfolg in Großbritannien verwehrt. Hier durfte sie zwar in englischer Sprache spielen, jedoch lediglich mit Rollen französischer oder deutscher Autoren, wo die fehlerhafte Aussprache in Augen der Kritik verziehen werden konnte. Die Versuche mit Shakespeare zu reüssieren, scheiterten hingegen an nationalen Vorstellungen.

Resümee

Der hier vorgestellte briographische Ansatz zur Erforschung mobiler Theaterakteure zeigt einen möglichen Weg der Historiographie jenseits des methodologischen Nationalismus. Durch das Rekonstuieren von Mobilitätsrouten und -erfahrungen, das Aufspüren von Motivationen und Entscheidungen sowie das Erforschen von Konsquenzen, die aus der Mobilität resultieren, wird es möglich, transnationale Theatergeschichte(n) aufzudecken und so Interaktionen, Verflechtungen und Zirkulationen jenseits nationaler Grenzen zu zeigen, zahlreiche Aushandlungsprozesse offen zu legen sowie Einblicke in Hintergründen, Erfahrungen und Infrastruktur zu geben.

Theaterwissenschaftliche Forschung und die Methoden des Archivs

Patrick Primavesi

Unter den Methoden, derer sich theaterwissenschaftliche Forschung mehr oder weniger explizit bedient, kommt der Arbeit mit Archiven und dem Archivalischen insgesamt eine besondere Bedeutung zu, die sich ausgehend von ihrem Gegenstand aber erst auf den zweiten Blick erschließt. Der naheliegende Bezug auf Ereignisse, durch die etwas im Hier und Jetzt zur Aufführung gebracht wird, verdeckt leicht den Umstand, dass auch theatrale Praktiken in vieler Hinsicht an der Entstehung und Bearbeitung eines kulturellen Gedächtnisses teilhaben. Sie sind von einer komplexen Mehrzeitigkeit geprägt, insofern sie nicht nur Vergangenheit und Zukunft in der Aufführung als einem Moment von geteilter, gemeinsam erfahrener Gegenwart verbinden, sondern dabei auch die Wahrnehmung von Zeit, Dauer und Flüchtigkeit beeinflussen können. Insofern die spezifische Zeitlichkeit von Theater ebenso wie dessen Historizität von theaterwissenschaftlicher Forschung reflektiert wird, steht diese auch zum Archiv in einem Verhältnis, das weit über die gelegentliche Arbeit mit historischen Quellen und Dokumenten hinausgeht. Als Reflexion von Praktiken, die ihrerseits zur Aktualisierung von kulturellem Wissen beitragen, kann sie die intensive Erfahrung von Gegenwart und die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen derart verknüpfen, dass diese einander produktiv in Frage stellen. Das gilt auch für die Bedeutung theaterwissenschaftlicher Begriffe, deren kultur- und epochenspezifische Relativität die Forschung immer wieder herausfordert. Im Folgenden werden die damit angedeuteten Ebenen einer methodischen Relation von Theaterforschung und Archiv näher untersucht und in ihrem Wechselverhältnis zueinander betrachtet. Ausgangspunkt dafür sind vorläufige terminologische Bestimmungen, mit denen bereits die Komplexität einiger elementarer theaterwissenschaftlicher Kategorien deutlich werden kann, die dann mit weiteren Schritten im Kontext aktueller Entwicklungen von Archivarbeit und -theorie zu reflektieren bleibt.