Living Language Teaching

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Living Language Teaching
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Engelbert Thaler / Petra Rauschert / Dorottya Ruisz

Living Language Teaching

Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8233-8319-2 (Print)

ISBN 978-3-8233-0165-3 (ePub)

Inhalt

  Vorwort

 History comes to lifeFremdsprachenunterricht in der Frühen Neuzeit: Grundlagen, Unterrichtsräume, Lehrwerke, Unterrichtsgestaltung1 Schule in der Frühen Neuzeit2 Richard Mulcasters pädagogische Grundlagen3 Unterrichtsräume4 Medien5 Methoden6 Die Kunst des UnterrichtensLiteratur

 Lively literature lessonsStorytelling und Story Projects in der Sekundarstufe I1 Materialgestütztes Storytelling im Fremdsprachenunterricht2 Vier Gründe für Storytelling in der Sekundarstufe I3 Textauswahl: Arten von Picture Books4 Vorgehensweise und Unterrichtsplanung5 Story Projects6 FazitLiteraturPimp my Lehrwerkstunde mit Impro-Techniken1 Improvisation im Fremdsprachenunterricht2 Die drei wichtigsten Impro-Techniken3 Eine Sprechübung aus einem Lehrwerk und wie sie aufgemotzt werden kann4 Abschließende ÜberlegungenLiteratur…the good we oft might win, by fearing to attempt: Performative Pedagogy with Shakespeare in University ELT1 Curtain up – Shakespeare!2 ‘Doing’ Shakespeare …3 Report on practice4 ConclusionsLiterature

 The fun life of EFL studentsDiagnostic Tool and Miracle Cure?1 Introduction2 Pronunciation Instruction3 The teaching and learning context4 Teaching through tongue twisters: observations5 Discussion6 Conclusion and recommendationsLiteraturA laugh or lots of laughter?1 Einführung2 Methodisches Vorgehen3 Ergebnisse der Lehrbuchanalyse4 SchlussbemerkungLiteraturAnhang

 Differentiated instruction in everyday school lifeDifferenzierung im Englischunterricht?1 Einführung2 Heterogenität3 Heterogenität im Fremdsprachenunterricht4 Bildungsplan Baden-Württemberg 20165 Lehrwerke im differenzierenden Englischunterricht6 Herausforderungen und Risiken eines differenzierenden Unterrichts7 Lehrkraft8 SchlussLiteraturSekundärliteraturLehrwerke und MaterialienLerntypen im kompetenzorientierten Grammatikunterricht1 Einleitung2 Forschungsstand3 Forschungsfragen4 Studie5 Ergebnisse6 SchlussbetrachtungLiteratur

 Preparing for a lifetime of teachingLehrerhandbücher als Wissensquelle für lebenslanges Lernen von Fremdsprachenlehrkräften1 Fachdidaktik matters – auch in Lehrerhandbüchern?2 Lehrerhandreichungen als eine mögliche Quelle von Professionswissen3 Beispielhafte Analysen4 AusblickLiteraturLehrwerkbasierte Unterrichtsgestaltung: Herausforderungen für die sprachpraktische Englischlehrerbildung an Universitäten und Pädagogischen HochschulenEinleitung und Problemaufriss1 Untersuchungsmethodische Vorbemerkungen2 Bildungspolitische Verlautbarungen, Forderungen und (Könnens-)Visionen3 Englischdidaktische Konzepte und Empfehlungen4 AusblickLiteraturWann entscheiden sich Englischlehrkräfte gegen die Arbeit mit dem Lehrbuch?1 Forschungsstand2 Abweichen vom Lehrbuch3 Methodik4 Auswertung5 Zusammenfassung und DiskussionLiteratur

 New challenges to a teacher’s lifeLernaufgaben im Fremdsprachenunterricht – unterschiedliche Konzepte im Vergleich1 Einführung2 Aufbau von Lehrwerkslektionen im kommunikativen Ansatz3 Lernaufgaben4 Unterschiedliche Konzepte von Lernaufgaben5 Die unterschiedlichen Konzepte im Vergleich6 FazitLiteraturNeurodidaktik und UnterrichtstraditionEinführung1 Neuroskepsis und Neurohype2 Wortschatz- und Grammatikvermittlung aus der Sicht der Neurowissenschaften3 Bewegungsunterstütztes Lernen4 Die Rolle der Emotionen für das Lernen5 Der permanente Lernstress und die Folgen6 Lernerfolge und Belohnung7 Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur GenderdifferenzierungLiteraturAutorInnen und HerausgeberInnenTabula Gratulatoria

Vorwort

Dorottya Ruisz/Petra Rauschert/Engelbert Thaler

„Rituale sind schön, sie gelegentlich zu durchbrechen ist auch schön“ (Klippel 2016).1 Mit der vorliegenden akademischen Festschrift haben wir uns für das Ritual entschieden und möchten damit Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Klippel zum 70. Geburtstag gratulieren. Als Fremdsprachendidaktikerin zeichnete sich Friederike Klippel schon immer dadurch aus, ihr breites historisches Fachwissen mit Innovation zu verbinden – das spiegelt sich bereits im Eingangszitat wider, das dem Vorwort des Sammelbandes entnommen ist, den sie zu ihrem 65. Geburtstag herausgab. Der Titel Living Language Teaching – Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht legt den Fokus auf ein Thema, das sie in vielfältiger Weise in ihrem Leben begleitet hat: als Lehrerin, als Lehrwerksautorin und als Wissenschaftlerin. Living Language Teaching greift dabei den Gedanken auf, dass auch Fremdsprachenunterricht stetigem Wandel unterliegt und immer neue Facetten zeigt, während der Band einer Person gewidmet ist, die im wörtlichen Sinne das Sprachen lehren lebt.

Friederike Klippel, geboren am 25. Mai 1949, startete ihre fremdsprachendidaktische Karriere als Lehrerin für Grund- und Hauptschulen, bevor sie 1973 begann, das Lehren und Lernen aus gegenwärtiger und historischer Perspektive auch wissenschaftlich zu erforschen. Mit unermüdlichem Engagement setzte sie sich dafür ein, SchülerInnen fremdsprachliches Können und die Freude an der englischen Sprache zu vermitteln, an der Universität reflektierte PraktikerInnen auszubilden, WissenschaftlerInnen auf ihrem akademischen Weg zu begleiten und die Fachdidaktik durch eigene Forschungsprojekte als wissenschaftliche Disziplin zu stärken. Gleichzeitig trug die langjährige Inhaberin des Lehrstuhls für Englischdidaktik der LMU maßgeblich zu curricularen und administrativen Weichenstellungen bei, sei es als Lehrplanautorin, als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von KMK und BMBF oder als Prorektorin der Ludwig-Maximilians-Universität. Dass sie auch im Ruhestand noch als Gastprofessorin bis nach Wien zu pendeln bereit ist, belegt ihre Leidenschaft für das Fach.

Friederike Klippels Œuvre ist so umfangreich, dass es in keinem Vorwort Platz finden kann. Es dokumentiert mit den zahlreichen Monografien, Sammelbänden, Buchreihen, wissenschaftlichen Zeitschriften, Aufsätzen und Unterrichtsmaterialien jedoch die breit gefächerten Interessen und Kompetenzen der Jubilarin. Das Themenspektrum umfasst nicht nur Spieltheoretische und pädagogische Grundlagen des Lernspieleinsatzes im Fremdsprachenunterricht (1980), Englischlernen im 18. und 19. Jahrhundert (1994), fachdidaktische Einführungswerke (1987, 2000, 2007) und fremdsprachendidaktische Forschungsmethoden (2016), sondern auch eine Vielzahl von Unterrichtsmaterialien. Diese werden immer noch rezipiert, wie im Fall von Keep Talking (1984), das in seinen 35 Jahren über dreißig Mal gedruckt werden musste.

Ihre Reihe Münchner Arbeiten der Fremdsprachenforschung (MAFF) gewinnt im Rahmen des vorliegenden festlichen Buches eine besondere Bedeutung. Bei den 39 Bänden handelt es sich größtenteils um Dissertationen und Habilitationen, die Friederike Klippel betreut hat. Viele der Beitragenden zu diesem Band haben ihre Dissertationen ebenfalls in Friederike Klippels Reihe veröffentlicht. Sie hat nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Doktormutter Großes geleistet; bisher sind bei ihr 28 Doktorarbeiten und zwei Habilitationen entstanden, ohne Berücksichtigung weiterer Zweitgutachten. Auch als Herausgeberteam sind wir zutiefst dankbar für die intensive Betreuung unserer eigenen Forschung, für die jahrelange hervorragende Zusammenarbeit und für die akademische Großfamilie, die sie geschaffen hat.

An dieser Stelle wird in schriftlicher Form ein Familienfest gemeinsam mit engen akademischen FreundInnen gefeiert. Die Mitglieder dieser Festgesellschaft kommen entsprechend der vielseitigen Aktivitäten der Jubilarin sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis des Fremdsprachenunterrichts. Das Motto des Festes sind Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht, das aus verschiedenen Richtungen beleuchtet wird. Den Auftakt bildet ein geschichtlicher Beitrag, der die Fachgrenzen überschreitend an das Steckenpferd der Jubilarin anknüpft: historische Forschung; in Annette Haseneders Beitrag geht es um Schule und Fremdsprachenunterricht in der frühen Neuzeit. Keine Feier kommt ohne literarische Einlagen aus, und so beschäftigen sich Petra Rauschert, Bernd Ruoff und Jonathan Sharp in ihren Beiträgen mit fremdsprachlichem Literaturunterricht und der Verwendung geeigneter Unterrichtsmaterialien in Schule und Hochschule. Den essenziellen Funken Spaß steuern Sarah Boye mit Zungenbrechern im universitären Englischunterricht und Bettina Raaf / Angela Hahn mit ihrem Beitrag zu Humor in Englisch-Lehrbüchern bei. Mit der Vielfalt der Lernenden beschäftigt sich Liesel Hermes in einer kritischen Diskussion von Differenzierungsmaßnahmen und Stefan Lenhard in seiner Untersuchung der Bedeutung von Lerntypen für den kompetenzorientierten Grammatikunterricht. Einen Blick auf die Gestaltung von Lehrwerken und den Umgang der Lehrkräfte mit denselben im Laufe des Lehrerlebens werfen die Beiträge von Petra Kirchhoff / Sandra Stadler-Heer, Manuela Wipperfürth / Leo Will sowie Jürgen Kurtz. Daniela Casparis Vergleich von Konzepten von Lernaufgaben bietet eine Hilfe für die Entwicklung von modernen Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien. Zu guter Letzt wird wieder das Fächerübergreifende gesucht mit einem Wissensgebiet, das ebenfalls für die Erstellung von Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien essentiell ist. Es ist Werner Kiewegs Erörterung von Erkenntnissen der Neurowissenschaften für die Englischdidaktik.

 

Das Herausgebertrio sowie alle AutorInnen und GratulantInnen wünschen der Jubilarin mit dieser Festschrift von Herzen alles Gute mit many happy returns für many years of living language teaching.

History comes to life
Fremdsprachenunterricht in der Frühen Neuzeit: Grundlagen, Unterrichtsräume, Lehrwerke, Unterrichtsgestaltung

Annette Haseneder

Die Anfänge des Unterrichtens von modernen Fremdprachen in der Frühen Neuzeit stützte sich vor allem auf die Theorie und Praxis des Lateinunterrichts. Überraschende Einsichten durch die genaue Lektüre pädagogischer oder didaktischer Literatur englischsprachiger Autoren der Zeit zeigen, dass sich Lehrkräfte mit pädagogischem Gespür und fachlicher Reflexion über ihr Unterrichtshandeln sehr bewusst waren. Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick in den Unterricht der Frühen Neuzeit in Hinblick auf Unterrichtsräume, Lehrwerke und Unterrichtsgestaltung und skizziert so auch die Rahmenbedingungen von den Anfängen des Fremdsprachenunterrichts. Es wird festgestellt, dass die Prämissen des Unterrichtens trotz der unterschiedlichen Verhältnisse in einigen zentralen Aspekten mit der von heute große Ähnlichkeiten aufweisen.

1 Schule in der Frühen Neuzeit

Schulisches Lernen war vom frühen Mittelalter an eng verknüpft mit dem Fremdsprachenlernen: religiöse Inhalte und Abläufe waren streng an das Lateinische geknüpft und konnten nur nach einem entsprechenden Ausbildungsprogramm vollständig nachvollzogen werden. Auch nach der Ablösung von klösterlichen oder kirchlichen Strukturen hatte die zunehmend institutionalisierte Schule bis ins 17. Jahrhundert hinein das Erlernen der lateinischen Sprache als zentralen Bildungsgedanken.

Gelehrt wurden also Lesen und Schreiben der Muttersprache sowie die Fremdsprache Latein, in allen Phasen und Jahrgängen durchzogen durch religiöse oder humanistisch-moralische Wertevermittlung. Feste gemeinsame Gebetszeiten strukturierten den Tagesablauf. Lesen wurde in den Eingangsklassen an Gebetstexten oder dem Katechismus geübt, an einzelnen Schulstandorten von Anfang an auch in Latein, in den oberen Jahrgängen wurden als vorbildlich geltende Literaturtexte rezipiert. Die Unterweisung moderner Fremdsprachen kam im Laufe des 16. Jahrhunderts vor allem in größeren Zentren wie London zum Bildungsangebot dazu, wenn dies berufsbedingt sinnvoll oder notwendig war, galt allerdings eher noch als ungewöhnliches Additum.1

Sach- oder Fachunterricht sowie Mathematik und die Naturwissenschaften wie z.B. Sternkunde gehörten erst in den oberen Klassen der höheren Schulbildung zum Fächerangebot, was dementsprechend recht wenigen Lernenden zu Teil wurde. Weitere wichtige Kompetenzen wurden den Schülern je nach angestrebter Berufssparte durch die entsprechende Gilde oder den Meister in fachbezogener praktischer Ausbildung vermittelt. Wenn also beispielsweise ein Lehrling eines Stoffhändlers kaufmännische Berechnungen anstellen musste, so lernte er dies nicht in der Schule, sondern vor Ort in seinem Kontor.

Ebenso wie heute überlegten sich Lehrer der Frühen Neuzeit nicht nur, welche Inhalte sie ihren Schülern2 vermitteln möchten, sondern auch mithilfe welcher Medien oder Methoden sie das Wissen präsentieren, erklären oder lernen lassen wollen, wovon der nun folgende Überblick einen Eindruck geben soll.

2 Richard Mulcasters pädagogische Grundlagen

Eines der ersten englischsprachigen Pädagogik-Kompendien der Zeit war Richard Mulcasters The Training Up of Children.1 Er erklärt genau, warum er sein Werk nicht der akademischen Gepflogenheit entsprechend in Latein, sondern ganz in der Muttersprache verfasste:

I do write in my naturall English toungue, bycause though I make the learned my iudges, which vnderstand Latin, yet I meane good to the vnlearned, which vnderstand but English. And better it is for the learned to forbeare Latin, which they neede not, then for the vnlearned to haue it, which they know not. By the English both shall see, what I say, by Latin but the one, which were some wrong, where both haue great interest […] (Mulcaster 1581: 3).

Er möchte also seine grundlegenden Überlegungen für ein breites Leserpublikum zugänglich machen, insbesondere auch für solche Lehrpersonen, die Grundlagenunterricht verrichteten und selbst des Lateinischen nicht mächtig waren. Solcher Basisunterricht, der Lesen und zeitlich versetzt das Schreiben umfasste, wurde häufig von Lehrkräften, die selbst keine akademische Ausbildung durchlaufen hatten, im häuslichen Rahmen durchgeführt, insbesondere dann, wenn es sich um Mädchen, d.h. Schülerinnen, handelte.

Mulcasters breit gefasstes Konzept, das er in 45 Kapiteln behandelt, beginnt mit allgemeinen Grundlagen des Lernens und Lehrens, den Zielen der Erziehung und der Natur des Kindes. Er geht wesentlich vom Lernenden aus: „That parentes, and maisters ought to examine the naturall abilities in children, whereby they become either fit, or vnfit, to this, or that kinde of life“ (Mulcaster 1581: 24f.), und die Position der Eltern steht seiner Meinung nach unangefochten vor allen anderen Erziehungseinflüssen:

That the training vp to good manners, and nurture, doth not belong to the teacher alone, though most to him, next after the parent, whose charge that is most, bycause his commandement is greatest, ouer his owne childe, and beyond appeale (Mulcaster 1581: 25).

Bei Mulcaster wird sogar die Wahl der richtigen Schullaufbahn reflektiert, und wieder geht er vom Kind und seinen Fähigkeiten aus:

Wherefore when sufficient abilitie in circumstances bid open the schoole dore, the admission and continuance be generall, till vpon some proofe the maister, whom I make the first chuser of the finest, and the first clipper of the refuse, begin to finde and be able to discerne, where abilitie is to go on forward, and where naturall weaknesse biddes remoue by times (Mulcaster 1581: 153).

Er vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass den Kindern und Jugendlichen nicht zu früh der weitere Ausbildungsweg versperrt werden sollte, denn manche Schüler brauchen ihre Zeit: „some good ripenesse in time, though with some great paines to the teacher in the meane time“ (Mulcaster 1581: 154), jedoch bei entsprechender Unfähigkeit sollten sie durchaus nicht zu lange an der Schule belassen werden, „[f]or the naturall dulnesse will disclose it selfe generally in all pointes, that concerne memorie and conceit“ (Mulcaster 1581: 154). Insgesamt mahnt Mulcaster zu Geduld, dem Kind oder Jugendlichen zuliebe eher ein wenig mehr Zeit einzuräumen:

Wherefore premptorie iudgement to soone, may proue perillous to some; and againe he that is fit for nothing else, for the tendernesse of his bodie, may abide in the schoole a litle while longer, where though he do but litle good, yet he may be sure to take litle harme (Mulcaster 1581: 154).

In weiteren Kapiteln widmet er sich um das körperliche Wohl der Schüler: „Of the student and his health. That all exercises though they stirre some one parte most, yet helpe the whole bodie“ (Mulcaster 1581: 40). Er stellt Überlegungen an zum Wert der athletischen Bewegung und Übung, bevor er auf einzelne Betätigungen eingeht, z.B. den Tanz, das Wrestling, den Weitsprung, die Jagd oder das Ballspiel. In Bezug auf das ‚akademische Programm‘ einer Schule bemerkt er, dass beide Disziplinen wesensgleich sind:

Why both the teaching of the minde, and the training of the bodie be assigned to the same maister. […] That who so will execute anything well, must of force be fully resolued of the excellency of his owne subject (Mulcaster 1581: 122).

Mulcasters Ausführungen sind praxisnah und präsentieren sich als fortschrittlich und dem Schüler zugewandt – doch muss mitbedacht werden, dass die Rute oder der Stock Teil des Schulalltags waren. Alexander (1937: 199) merkt an, dass Mulcasters Schule in London für „the severity of the whippings“ bekannt war.

3 Unterrichtsräume

Klassenzimmer in der Frühen Neuzeit befanden sich in der Regel im Wohnhaus des Lehrers, insbesondere dann, wenn dieser von einer Stadt oder einer Handwerksgilde angestellt war und die Dienstwohnung und Schulräume zur Verfügung gestellt wurden. Selbständig arbeitende Lehrer hingegen funktionierten häufig ihre privaten Wohnräume in Unterrichtsräume um, was vor allem im städtischen Gebiet vorkam, so dass sich diese in Ausstattung und Größe stark unterschieden. Insgesamt waren sich die Praktiker im Klaren darüber, dass Schüler nicht nur einen Ofen für den Winter, sondern auch genügend Licht benötigen, um zu lernen. Es wurden dunkle Räume abgelehnt oder von Aufsichtsbehörden gerügt (Gauger-Lange 2018: 199).

Bei angemessener finanzieller Ausstattung waren Schulen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit zwei Lehrkräften besetzt, wobei der Master die höheren Leistungsstufen unterrichtete und die Schulleitung innehatte, und der Usher sozusagen die zweite pädagogische Kraft im Unterrichtsraum darstellte. Letzterer war für den Grundlagenunterricht der unteren Jahrgänge zuständig. Dieser Unterschied zeigte sich auch in den Gehältern (vgl. Alexander 1937: 196f.). Ob Formen von team teaching praktiziert wurden, geht aus den untersuchten Quellen nicht hervor, lässt sich aber aufgrund der äußeren Umstände auch nicht von der Hand weisen: sicherlich mussten sich die Kollegen zu Unterrichtsphasen absprechen, besonders wenn es sich um Inhalte handelte, die alle Schüler unabhängig ihrer Altersstufe betraf, wie z.B. religiöse Unterweisung oder die Gebetszeiten. Da es sich bei einem Master in der Regel um einen an einer Universität ausgebildeten Lehrer handelte,1 während der Usher auch ungelernt als Lehrperson eingesetzt werden konnte, könnte in der Praxis die Kooperation auch hierarchisch angelegt gewesen sein, d.h. der Usher erhielt Aufträge, wie er seinen Unterricht zu halten habe.

Orme (1998: 42) zeigt den Grundriss eines Klassenzimmers von Magdalen College School in Oxford: der Sitz des Masters befand sich am einen Ende des langgezogenen Raums, der des Ushers am entgegengesetzten Ende. Lange Bänke zogen sich an beiden Längsseiten des Zimmers entlang; die Mitte des Raumes blieb frei (Orme 1998: 41 und Gauger-Lange 2018: 197). Die Schulkinder saßen an beiden Seiten der Tischreihen. Ein Ende wurde den Schulanfängern zugeteilt, und jährlich wanderten die Schüler ein Stück weiter entlang der langen Tafel, bis sie als Schulabgänger am anderen Ende des Tisches angelangt waren. Die Jugendlichen erhielten dadurch ein Gefühl für ihr Fortschreiten des Lernniveaus: bereits die Sitzordnung zeigte, auf welchem Leistungsstand ein Schüler war. Die Lehrkräfte konnten zudem ihre Schüler in alters- und leistungsgleiche Gruppen unterscheiden2 und am Tisch entlanglaufen, um jeweils passende Arbeitsaufträge zu geben oder mit der entsprechenden Lernergruppe oder ggf. mit einem einzelnen Schüler zu sprechen.

 

Der Grundriss zeigt auch, dass das Klassenzimmer von 12 Säulen (je 6 in zwei Reihen) durchsetzt war. Diese dienten als Pin-Bretter3 oder auch als Raumteiler, z.B. um Vorhänge anzubringen. Auf diese Weise versuchten die Lehrkräfte eine Lernumgebung zu schaffen, die eine bessere Konzentration ermöglichte:

As any language teacher knows, the rules of grammar are difficult to explain and make interesting under the best circumstances. But in a large open space containing 100 boys or more at different academic levels, it was virtually impossible. The students’ attention was constantly diverted by what was happening elsewhere in the room; and there was thus a tendency to erect partitions, put up curtains, or create barriers in some way (Alexander 1937: 198).

Wenn der Lehrer allen Schülern etwas gleichzeitig mitteilte, insbesondere wenn es sich um religiöse Elemente des Unterrichts wie Gebet, Bibelauslegung oder -rezitation handelte, stand er am Ende der langen Tischreihen an einem Stehpult. Manche zeitgenössische Abbildungen zeigen, dass im sonstigen Unterrichtsverlauf die Lehrpersonen bisweilen an kleineren Tischen saßen, wobei die hervorgehobene Position des Masters häufig durch einen kunstvoll ausgestalteten Holzstuhl mit höherer Lehne gekennzeichnet war (Orme 1998: 41 sowie Willemsen 2008: 151 und 166).

In einigen Abbildungen sieht man, wie Kinder in Reihen hintereinander und nicht an seitlichen Bänken mit Tischen sitzen. Vermutlich lag dies ganz pragmatisch am Grundriss des zur Verfügung stehenden Klassenzimmers. Eine Sitzordnung in Reihen war jedoch eher an den Universitäten üblich: dort stand der Lehrer in der Regel vor seinen Zuhörern am Pult, eine intensive Lehrer-Schüler-Interaktion während der Vorlesungen war weniger vorgesehen.

In der Regel war eine schoole noch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein, insbesondere in ländlichen Gegenden, ein Ein-Klassenzimmer-Unternehmen und alle Jahrgänge waren in diesem einem Unterrichtsraum untergebracht. Ausnahmen hierzu bildeten größere Schulen in Großstädten, sowie alt eingesessene oder sofort größer konzipierte Schulen: „Apparently the first school building that had a separate classroom for each form was the one Thomas Farnaby created in London during the 1620s by merging several houses in Goldsmiths’ Alley“ (Alexander 1937: 199).