Handbuch des Strafrechts

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b) Beiträge nach formeller Vollendung

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Mit dieser Bestimmung ist auch die Grundlage gelegt für die Behandlung der „sukzessiven Mittäterschaft“ nach formeller Tatvollendung. Festgestellt wurde bereits, dass eine mittäterschaftliche Zurechnung zumindest eine Mitwirkung an dem in den Tatbeständen des Besonderen Teils normierten Unrecht durch den Hinzutretenden erfordert.[165] Dementsprechend scheidet auch eine Zurechnung bereits vollständig abgeschlossener (beendeter) Taten aus.[166] Im Übrigen aber lassen Rechtsprechung und Teile der Literatur sowohl einen mittäterschaftlichen Beitritt nach formeller Vollendung als auch eine Zurechnung bereits verwirklichten Unrechts gegenüber dem hinzutretenden Beteiligten zu.[167] Dies führt in Teilen zu merkwürdigen Ergebnissen: Bricht der Ersttäter in eine Privatwohnung ein, nimmt dort Sachen weg, verlässt das Haus durch die Tür, lässt diese offen stehen und sichert sodann das Diebesgut, bevor er mit einem Komplizen zurückkehrt, das Haus diesmal durch die Tür betritt und weitere Sachen stiehlt, soll die Bestrafung des Komplizen gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 (Abs. 4 StGB) nach der Rechtsprechung allein davon abhängen, ob der Ersttäter den Diebstahl ursprünglich als abgeschlossen ansah und erst später den Entschluss zur Rückkehr gefasst hatte, oder ob er von vornherein geplant hatte, die Wohnung in mehreren Fuhren auszuräumen. Nur im letzteren Fall soll der Komplize als Mittäter des einheitlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls strafbar sein[168] und damit nach heutigem Recht der Verbrechensstrafbarkeit des § 244 Abs. 4 StGB unterfallen, obwohl die kriminelle Energie seines Handelns objektiv wie subjektiv die gleiche ist wie im ersten Fall.

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Doch auch bei einer mittäterschaftlichen Beteiligung nach Vollendung der Tat bzw. nach Verwirklichung von Erschwerungsmerkmalen fehlt es an der gemeinsam-gleichwertigen Ausführung der Tat.[169] Aber mehr noch: Tritt ein Beteiligter mit einem qualitativ gewichtigen wechselseitig-bestärkenden Beitrag – sonst liegt ohnehin nur Beihilfe vor – in ein bereits in der Ausführung befindliches Delikt ein, so ist seine Mittäterschaft überhaupt nur hinsichtlich der im Folgenden noch realisierten Merkmale begründet. Das sämtliche voranliegende, von einem anderen realisierte Geschehen hat er nicht gemeinsam mitausgeführt, richtigerweise erstreckt sich der Tatentschluss, in den er eintritt, schon nicht mehr auf die bereits abgeschlossenen Teile. Von einer wechselseitig-bestimmenden Unrechtsbestärkung und einer gemeinsamen Zwecksetzung kann hinsichtlich abgeschlossener Teilakte nicht gesprochen werden.[170] Tritt jemand nach der Verübung von Gewalt in einen Raub ein, bleibt er nur Mittäter des Diebstahls. Kommt er erst nach der Wegnahme hinzu, bleiben nur die Anschlussdelikte. Auch eine Beihilfe hinsichtlich der bereits abgeschlossenen Teile muss ausscheiden, weil derjenige, der erst nach der Wegnahme die Flucht unterstützt, die Wegnahme selbst nicht gefördert hat.[171]

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Das Problem der sukzessiven Mittäterschaft stellt sich besonders deutlich bei zweiaktigen Delikten. In Teilen wird angenommen, dass eine Mittäterschaft am Gesamtgeschehen selbst bei grundsätzlicher Ablehnung der sukzessiven Mittäterschaft hier allein durch die Beteiligung beim zweiten Akt begründet werden könne.[172] Daran ist richtig, dass insoweit eine Mittäterschaft vor Vollendung in Rede steht. Doch kann es hinsichtlich der Zurechnung eines bereits begangenen Unrechts keinen Unterschied machen, ob dieses Unrecht eigenständig vertypt ist oder als ein Teilakt eines zweiaktigen Delikts erscheint. In beiden Fällen ist eine Zurechnung des bereits realisierten Unrechts ausgeschlossen.[173] Deshalb kann z.B. derjenige, der eine von einem anderen allein geschaffene Bemächtigungslage gemeinsam mit diesem zu einer Erpressung ausnutzt, richtigerweise kein Mittäter des § 239a Abs. 1 Var. 2 StGB sein.

IV. Folgen der mittäterschaftlichen Zurechnung

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Mitzugerechnet werden können über die Mittäterschaft nur objektive Tatbeiträge. Sonstige Tatbestandsmerkmale können den Beteiligten dagegen nicht zugerechnet werden. Dies gilt zunächst für subjektive Tatbestandsmerkmale. Jeder Mittäter muss vorsätzlich hinsichtlich der Realisierung der objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt haben. Eine ggf. erforderliche besondere subjektive Absicht (überschießende Innentendenz) muss ebenfalls jeder Beteiligte in seiner Person verwirklichen.[174] Dies gilt auch dann, wenn die besonderen subjektiven Merkmale nicht eigenständig im Tatbestand vertypt sind, sondern – wie die Eigennützigkeit (sich eine Einnahmequelle verschaffen) bei der gewerbsmäßigen Begehung – in einem (auch-objektiven) Merkmal enthalten sind.[175]

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Bei erfolgsqualifizierten Delikten richtet sich die Beteiligungsform nach dem Grunddelikt.[176] Sodann ist § 18 StGB zu beachten. Dieser führt dazu, dass die Mittäter des Grunddelikts hinsichtlich des erfolgsqualifizierten Delikts nur haften, wenn ihnen insoweit mindestens Fahrlässigkeit (bzw. Leichtfertigkeit) zur Last fällt. Misshandeln A und B gemeinsam den O, wobei die tatsächlich eingetretene schwere Folge (§ 226 StGB) als zurechenbare Folge der Misshandlung für A nicht vorhersehbar war, von B aber sogar bedingt vorsätzlich herbeigeführt wurde, so haftet A nur nach §§ 223, 224 StGB. Zu beachten ist zudem, dass die (Verletzungs-)Handlung bzw. der (Verletzungs-)Erfolg, auf dem die schwere Folge basiert, vom Tatplan umfasst sein muss. Liegt schon insoweit ein Exzess des einen Mittäters vor, etwa weil er abredewidrig statt mittelschweren körperlichen Misshandlungen einen vorsätzlichen, tödlichen Tritt gegen den Kopf des Opfers ausführt, scheitert eine Zurechnung unabhängig von der Vorhersehbarkeit am insoweit fehlenden gemeinsamen Tatentschlusses.[177]

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Den Mittätern kann auch der Umfang des Unrechts wechselseitig zugerechnet werden, weshalb beispielsweise im Betäubungsmittelstrafrecht die Mengen, mit denen die einzelnen Mittäter hantieren, auch zusammengerechnet werden und so eine „nicht geringe Menge“ i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ergeben können.[178]

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 51 Mittäterschaft › E. Besondere Problembereiche

E. Besondere Problembereiche

I. Eigenhändige Delikte

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Bei den sog. eigenhändigen Delikten ist eine nicht-eigenhändige Mittäterschaft ausgeschlossen. Die allgemeine Anerkennung dieses Ergebnisses darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass höchst umstritten ist, ob eine eigenständige Kategorie der eigenhändigen Delikte anzuerkennen ist[179] und ggf. welche Delikte unter diese Gruppe fallen. Die Einzelheiten sind Fragen des Besonderen Teils. An dieser Stelle sollen einige Hinweise zu einzelnen Delikten genügen. Als klassisches Beispiel eines eigenhändigen Delikts gilt der Inzest (§ 173 StGB). Das hat zur Folge: Wer nicht selbst eine verwandtschaftliche Beziehung hat und den tatbestandsmäßigen Beischlaf vollzieht, kann noch so tatbeherrschend auftreten, aber dennoch kein Mittäter sein.[180] Auch die Verkehrsdelikte gelten als eigenhändige Delikte, die nur von dem täterschaftlich verwirklicht werden können, der das Fahrzeug führt. Freilich muss man sich fragen, was die Beschreibung als eigenhändiges Delikt in diesem Fall bewirken soll. Denn die Verkehrsstraftaten lassen sich ohne Probleme auch als Sonderpflichtdelikte einordnen, die den Fahrer als sonderverpflichteten Täter voraussetzen. Gleiches gilt für den Zeugen der Falschaussagedelikte, der allein in der staatsrechtlichen Sonderpflichtenstellung des Aussagenden steht, so dass sich auch hier ein Sonderpflichtdelikt annehmen lässt.

II. Sonderpflichtdelikte

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Auch besondere Pflichten, die erst eine Täterschaft begründen, können über § 25 Abs. 2 StGB nicht zugerechnet werden. Täter eines solchen Pflichtdelikts kann nur sein, wer selbst verpflichtet ist. Der Extraneus kann dagegen selbst bei vollständiger eigenhändiger Tatausführung nur Teilnehmer sein. Dies setzt freilich eine taugliche Haupttat voraus und wirft die Frage auf, ob und inwiefern der Verpflichtete auch dann Täter sein kann, wenn er bei der eigentlichen Tatbegehung nicht mitwirkt. Namentlich Roxin begründet die Täterschaft bei den Pflichtdelikten nicht wie bei den Begehungsdelikten mit dem Prinzip der Tatherrschaft, sondern meint, Strafgrund der Pflichtdelikte sei die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht. Diese Pflichtverletzung könne auch der begehen, der an der eigentlichen Tatausführung nicht mitwirke. Bei den Pflichtdelikten ersetze daher die Pflichtenstellung das Merkmal der Tatherrschaft, so dass der Intraneus auch dann Täter sei, wenn sich seine Mitwirkung auf einen geringfügigen äußeren Beitrag beschränke.[181]

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Auch Murmann geht davon aus, dass der spezifische Unrechtsgehalt der Pflichtdelikte nur dem Intreaneus zugänglich sei, da diesem allein die Pflicht zur Wahrung des betreffenden Rechtsguts obliege. Das darin begründete Rechtsverhältnis verletze er selbst täterschaftlich auch dann, wenn er selbst nicht die Ausführungshandlung begehe.[182] Murmann ersetzt damit nicht die Tatherrschaft durch die Pflichtenstellung, sondern begründet die Tatherrschaft aus der Pflicht. Die gleiche Konsistenz erreicht die Begründung Kindhäusers, der die Mittäterschaft allgemein auf die Zuständigkeit des Täters für die Erfüllung von Pflichten gründet und deshalb bei den Pflichtdelikten die Täterschaft auf die Verletzung der Sonderpflicht gründen kann.[183]

 

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Doch greift auch dieses Verständnis von Tatherrschaft zu kurz. Eine allein auf die Sonderpflicht gegründete Täterschaft ist weder mit den geltenden gesetzlichen Regelungen noch mit der Begründung des Rechts allgemein und der Mittäterschaft im Besonderen aus der Freiheit des Einzelnen vereinbar. Vgl. auch insgesamt → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 109 ff.

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Die besondere Täterstellung, namentlich bei den Amtsdelikten, begründet erst die Täterschaft. Würde hier die Pflichtenstellung die Tatherrschaft ersetzen, wäre die spezielle Erweiterung der Pflichtdelikte in § 340 („… oder begehen läßt“) und § 344 StGB („… oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt“) nicht erforderlich.[184] Die Behauptung, dass diese Ergänzung in den anderen Pflichtdelikten nur aus stilistischen Gründen unterblieben sei,[185] trifft jedenfalls den Kern des Problems nicht: Es geht nicht um die anderen Tatbestände, sondern um die Frage, warum der Gesetzgeber die dann wohl sinnlose Ergänzung bei §§ 340, 344 StGB vorgenommen haben soll. Es könnte vielmehr ebenso davon ausgegangen werden, dass die Ergänzung durchaus notwendig war, um die Täterschaft des sich im Hintergrund haltenden Pflichtunterworfenen begründen zu können.[186] Hinzu kommt, dass die sog. Pflichtdelikte eine Beschränkung des strafbaren Verhaltens darstellen: Die Verletzung des Rechtsverhältnisses kann nur durch den besonders Verpflichteten erfolgen, erfordert aber gleichwohl mindestens ein gemeinsam-gleichwertiges Ausführen der tatbestandsmäßigen Handlung. Denn die Verletzung verlangt bei diesen Delikten eben auch die Verletzung des Rechtsgutsobjekts. Täterschaft erfordert demnach auch die Herrschaft über die Verletzung des Rechtsgutsobjekts. Kommt dem Verpflichteten diese Herrschaft nicht zu, weil allein der Extraneus die Verletzung ausführt, scheidet seine Täterschaft aus. Der Extraneus ist gar nicht in der Position, einen wechselseitigen Tatentschluss bezogen auf die gemeinsame Tat mit dem Haupttäter zu fassen, weil er mangels Verpflichtung keinen originär-eigenen Unrechtsentschluss bildet, sondern von vornherein nur akzessorisch zum Verpflichteten Unrecht verwirklichen kann. Der Intreaneus wiederum ist allein der Pflicht unterworfen und nur von ihm verlangt das Recht, seinem Handeln keine pflichtwidrig-unrechtmäßige Zwecksetzung zugrunde zu legen.

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Die Diskussion bezieht sich im Wesentlichen auf einige bestimmte Delikte. (1) Bei §§ 340, 344 StGB gilt: Der Extraneus verwirklicht allenfalls (mittäterschaftlich) den „Grundtatbestand“ (Körperverletzung, (versuchte) Nötigung), der Intraneus ist Mittäter der „Qualifikation“ und zwar auch dann, wenn er selber nur einen geringen Beitrag leistet. Dies allerdings nicht kraft § 25 Abs. 2 StGB, sondern kraft der tatbestandlichen Fassung der §§ 340, 344 StGB. (2) Für §§ 332, 334 StGB, die diese Fassung nicht aufweisen, lässt sich eine Mittäterschaft dagegen nicht allein auf die besondere Täterpflicht gründen. Nimmt ein Beamter nicht selbst einen Vorteil entgegen, so verletzt er selbst keine Pflicht. Der Fall der „mittelbaren Bestechung“, in dem die Vorteile einem Angehörigen des Beamten zugewendet werden,[187] hat sich mit der Einführung der Drittvorteilsannahme insoweit erledigt. Anders gelagert ist die Frage, ob Mittäterschaft zweier Beamter vorliegen kann, wenn beide einen Vorteil erhalten, aber nur der eine die pflichtwidrige Diensthandlung vornimmt bzw. vornehmen soll. Nach der Rechtsprechung soll es genügen, dass die Handlung für jeden Beteiligten pflichtwidrig ist und jedenfalls zum Teil in das Amt einschlägt.[188] Dies solle eine mittäterschaftliche Zurechnung der vorgenommenen oder vorzunehmenden Handlung erlauben. § 332 StGB fordert aber, dass der Amtsträger seine Pflichten dadurch verletzt, dass er eine Diensthandlung vornimmt. Die Diensthandlung des anderen kann sich aber nicht als eigene Diensthandlung des Beamten darstellen. In vielen Fällen wird die Bezugshandlung durch andere Diensthandlungen (z.B. Nicht-Meldung) ersetzbar sein. Wo dies aber nicht der Fall ist, kann der Beamte A seine Dienstpflicht nicht (mittäterschaftlich) dadurch verletzen, dass der Beamte B eine Diensthandlung vornimmt. Eine mittäterschaftliche Zurechnung der Bezugshandlung scheidet deshalb entgegen der wohl h.M. aus. (3) § 266 StGB: Wer als Vermögensbetreuungspflichtiger nur einen geringen Beitrag zur Veruntreuung durch einen anderen Vermögensbetreuungspflichtigen leistet oder einen Nicht-Vermögensbetreuungspflichtigen das Geld aus der Kasse nehmen lässt, ist nicht allein deshalb Mittäter des § 266 StGB. In vielen Fällen wird aber die Vermögensbetreuungspflicht hier durch Unterlassen verletzt sein, so dass ein täterschaftlicher Einfluss auf dieses Unterlassen gegründet werden kann.

III. Mittäterexzess

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Zugerechnet werden können nach § 25 Abs. 2 StGB nur solche Tathandlungen, die vom gemeinsamen Tatplan umfasst sind. Geht ein Täter über diesen Tatplan hinaus, so kann den anderen Beteiligten dieser Exzess nach allgemeiner Ansicht nicht zugerechnet werden.[189] Allerdings ist es denkbar, dass ein bestimmtes Verhalten zwar nicht konkret geplant war, der Tatplan aber für Abweichungen offen war und Verhalten, was sich im Rahmen dieser Offenheit bewegt, keinen Exzess begründet. Maßgeblich ist dabei die tatsächliche Reichweite des Tatplans. Demgegenüber legt der BGH einen normativen Maßstab an und fragt danach, ob es sich bei dem in Frage stehenden Verhalten um eine wesentliche Abweichung vom gemeinsamen Tatplan handelt.[190] Dies konkretisiert er durch weitere Einschränkungskriterien und rechnet deshalb zum einen ein Verhalten auch dann zu, wenn die verabredete Tatausführung durch eine in Schwere und Gefährlichkeit gleiche Handlung ersetzt wird.[191] Zudem soll nach Ansicht des BGH kein Exzess vorliegen, wenn die Mittäter dem exzessiven Verhalten gleichgültig gegenüberstehen.[192]

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Gleichgültigkeit allein kann jedoch für die Bestärkung des Unrechtsentschlusses nicht genügen. Allerdings wird der Tatplan zumeist so weit gefasst sein, so dass auch bestimmte Abweichungen vom explizit Besprochenen noch im Rahmen des gemeinsamen Tatplans liegen können. Fraglich ist zudem, ob eine mittäterschaftliche Zurechnung von Exzessen schon dann möglich ist, wenn mit dem Exzess nach den Umständen gerechnet werden musste.[193] Dieser Vorwurf kann jedoch allenfalls Fahrlässigkeit, nicht aber ein den Unrechtentschluss festigendes Einverständnis mit dem Exzess darstellen. Tatsächlich prüft der BGH daher auch, ob die Beteiligten mit dem vermeintlichen „Exzess“ (tatsächlich) rechneten.[194]

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Allerdings müssen die Beteiligten nicht von jeder Handlung des anderen vorab eine klare Vorstellung gehabt haben.[195] Maßgeblich darf dabei aber nicht eine normative Gefährlichkeitsbewertung sein, die letztlich keine klaren Abgrenzungskriterien präsentiert und sich von den tatsächlichen Vorstellungen der Beteiligten enorm entfernen kann.[196] Vielmehr muss es darauf ankommen, ob der Tatplan für Abweichungen offen war und diese Abweichungen auch vom Willen der Mittäter gedeckt waren. Im Rahmen der Frage nach dem Umfang des Tatplans können dann die vom BGH herangezogenen Kriterien der Vorhersehbarkeit und der Gefährlichkeit als Indizien herangezogen werden, sie führen aber nicht eo ipso zur Zurechenbarkeit.[197]

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Sorgfältig zu prüfen ist zudem, ob die anderen den Tatentschluss während der Tatausführung möglicherweise durch stillschweigende Übereinkunft erweitert haben.[198] Zu beachten ist aber, dass aus der oben abgelehnten Möglichkeit eines „Einpassungsbeschlusses“ auch folgt, dass allein der fehlende Widerspruch zu einer Tatplanerweiterung, also das bloße Weiter-Mitwirken trotz eines Exzesses durch einen der Täter, nicht eine Tatplanerweiterung begründen kann.[199] Verfehlt ist es aus einem reinen Weiterverfolgen des Geschehens eine Tatplanerweiterung abzuleiten. Eine solche nachträgliche Billigung ist als dolus subsequens unbeachtlich und kann auch nach dem BGH keine Zurechnung des schon begangenen Unrechts (als sukzessive Mittäterschaft) begründen.[200] Übt deshalb ein Beteiligter eines Diebstahls einen Gewaltexzess und nehmen die anderen danach trotzdem noch Sachen weg, begründet dieser Umstand allein keine Mittäterschaft hinsichtlich eines Raubes. Aber auch künftiges Unrecht kann allein aufgrund einseitiger Zustimmung nicht zugerechnet werden.[201] Vielmehr muss auch in der Tatplanerweiterung eine wechselseitige Bestärkung des Unrechtsentschlusses erfolgen. Dabei genügt es auch nicht, dass sich der Beteiligte einer Eskalation der gewählten Tatmittel bewusst ist, vielmehr muss auch gerade sein Einverständnis mit den dann folgenden eskalierenden Handlungen festgestellt werden.[202]

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Liegt nach diesen Grundsätzen ein die Zurechnung ausschließender Exzess vor, kann der Beteiligte nicht wegen des mittäterschaftlichen Begehungsdelikts strafbar sein. Denkbar ist aber, dass das vorangegangene Geschehen schon die naheliegende Gefahr eines derartigen Exzesses hervorgerufen hat und diese Gefahr von den anderen Mittätern pflichtwidrig herbeigeführt wurde. Insoweit kommt dann eine Stellung als Beschützergarant kraft Ingerenz in Betracht,[203] welche nach zutreffender Ansicht eine Strafbarkeit wegen Täterschaft oder Beihilfe durch Unterlassen begründen kann. Zur Begründung der Ingerenz kann aber nicht auf die Gefahr der Eskalation durch den Mittäter abgestellt werden.[204] Dies würde letztlich zu einer Rechtspflicht des Beteiligten zur Kontrolle des anderen führen und ihn zum Überwachergaranten für seine Mittäter machen, die aber für ihre außerhalb des Tatplans liegenden Handlungen allein verantwortlich sind. Die Beschützergarantenstellung kraft Ingerenz kann sich vielmehr nur aus der geschwächten Verteidigungsfähigkeit des Tatopfers, welche durch die vorherige mittäterschaftliche Misshandlung herbeigeführt wurde, ergeben. Erforderlich ist zudem, dass der Garant auch eine Möglichkeit zum Eingreifen hat, was namentlich bei überraschend ausgeführten Tötungshandlungen fehlen kann.

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Scheidet daher auch eine Unterlassensstrafbarkeit aus, bleibt ggf. eine Strafbarkeit wegen eines erfolgsqualifizierten Delikts. Praktisch häufig sind hier eskalierende Gewalthandlungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Raubes sowie eskalierende Gewalt nach vorangegangenen gemeinschaftlichen Misshandlungen des Tatopfers. Nach der Rechtsprechung des BGH soll es möglich sein, dass bei mittäterschaftlicher Realisierung des Grunddelikts die Beteiligten auch aus dem erfolgsqualifizierten Delikts haften, wenn sich die Handlung, die zum (Todes-)Erfolg geführt hat, als Exzess eines Mittäters darstellt. Das soll z.B. dann der Fall sein, wenn ein Mittäter einer gemeinschaftlichen Körperverletzung plötzlich (z.B. in Nachstellung einer Filmszene) mit Tötungsvorsatz massive Gewalthandlungen vornimmt.[205] Dies setzt allerdings nach früherer Rechtsprechung voraus, dass diese konkrete Gewalthandlung noch vom Tatplan umfasst war.[206]

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Ist jedoch bereits die massive Gewalthandlung als solche nicht vom Tatplan umfasst, sondern als Exzess zu bewerten, können auch die darauf beruhenden Folgen den anderen Mittätern nicht zugerechnet werden und zwar auch dann nicht, wenn die Handlung für den Mittäter vorhersehbar war.[207] Die zum Erfolg führende Gewalthandlung muss sich vielmehr als vorsätzliche Körperverletzung darstellen. Hingegen genügt es nicht, schon die vorherigen nicht-exzessiven Gewalthandlungen als Anknüpfung für die spätere Eskalation und Todesfolge anzusehen.[208] Von dieser Rechtsprechung ist der BGH wohl in NStZ 2004, 684 und im sog. „Schweinetrogfall“[209] abgewichen.[210]

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In einigen neueren Entscheidungen wird eine Zurechnung allein an die Beteiligung an den körperlichen Auseinandersetzungen geknüpft, sofern schon diese eine Gefahr der tödlichen Eskalation in sich bargen.[211] Das ist verfehlt: Entweder ist die letztlich tödliche Handlung noch vom Tatplan umfasst und kann den Mittätern zugerechnet werden oder sie stellt einen Exzess dar und kann den anderen weder als Tötungs- noch als Körperverletzungshandlung zugerechnet werden und dann auch keinen Anknüpfungspunkt für eine Erfolgsqualifikation darstellen.[212]

 

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Umstritten ist, ob sich ein error in persona eines Mittäters für die anderen als Exzess darstellt. BGH und h.M. verneinen dies und halten einen solchen Irrtum nur bei tatbestandlichen Ungleichwertigkeit der angegriffenen Rechtsgüter für relevant.[213] Ist Voraussetzung der mittäterschaftlichen Zurechnung der gemeinsame Tatplan und der Vorsatz des Mittäters, muss ein fahrlässiges Überschreiten des Tatplans ebenso wie ein vorsätzliches Überschreiten die Zurechnung zu den anderen Beteiligten ausschließen. Das gilt freilich gleichermaßen im Rahmen eines unvorhergesehenen Kausalverlaufs. Maßgeblich ist also stets der Umfang des gemeinsamen Tatentschlusses und die Vorstellung des Mittäters vom Tatablauf.[214] Wird daher in maßgeblicher Weise von den Festlegungen des Tatplans abgewichen, scheidet auch eine Zurechnung aus. Entsprechend den oben festgelegten Grundsätzen reicht es dabei nicht aus, dass die Überschreitung für den Mittäter vorhersehbar war, vielmehr muss sein Vorsatz auch die Irrtumsmöglichkeit umfassen. Rechnete er also angesichts der Offensichtlichkeit des Irrtums nicht mit der Tatausführung durch seine Mittäter, fehlt es insofern am nötigen Vorsatz. Zu den sog. Verfolgerfällen vgl. oben Rn. 48.