Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa

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Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa
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Rahel Beyer / Albrecht Plewnia

Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa

Sprachminderheiten und Mehrsprachigkeitskonstellationen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

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ISBN 978-3-8233-8154-9 (Print)

ISBN 978-3-8233-0174-5 (ePub)

Inhalt

  Vorwort Literatur

 Die deutsche Minderheit in Nordschleswig in Dänemark1 Geographische Lage2 Demographie und Statistik3 Geschichte4 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung4.1 Wirtschaftliche Situation4.2 Politische Situation4.3 Rechtliche Stellung des Deutschen4.4 Schulsystem4.5 Kulturelles Leben, Verbände, Institutionen und Medien5 Soziolinguistische Situation5.1 Kontaktsprachen5.2 Die einzelnen Sprachformen des Deutschen5.3 Sprachenwahl: Code-Switching, Sprachmischung6 Sprachgebrauch und -kompetenz7 Spracheinstellungen8 Linguistic Landscapes8.1 Die Minderheitensprache in der Mehrheitsgesellschaft8.2 Zweisprachige Straßenschilder9 ZusammenfassungLiteratur

 Deutsch in Ostbelgien1 Einleitung2 Geographische Lage und Demographie3 Geschichtliche Gegebenheiten3.1 Vor 19193.2 Vom Versailler Vertrag bis zum Zweiten Weltkrieg3.3 Der Zweite Weltkrieg3.4 Vom Zweiten Weltkrieg bis 19633.5 Die verschiedenen Staatsreformen in Belgien4 Die Politik und die rechtliche Stellung der DG heute4.1 Überblick4.2 Befugnisse4.3 Offene Frage: Separatismus4.4 Eine siebte Staatsreform?5 Die wichtigste Kompetenz: das Schulsystem6 Medien und Kultur6.1 Treffen der Staatsoberhäupter der Länder mit Amtssprache Deutsch6.2 Rat für deutsche Rechtschreibung6.3 Die Medien6.4 Kultur in Ostbelgien7 Soziolinguistische Aspekte7.1 Sprache und Dialekt7.2 Qualität der Sprache und schulische Leistungen7.3 Zweisprachigkeit8 Linguistic Landscape9 SchlussfolgerungLiteratur

 Luxemburg1 Geographische Lage2 Demographie und Statistik3 Geschichte4 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung4.1 Wirtschaftliche Situation4.2 Politische Situation4.3 Offizielle Sprachregelungen4.4 Schulsystem4.5 Medien, Literatur, Werbung5 Soziolinguistische Situation5.1 Kontaktsprachen5.2 Die einzelnen Sprachformen des Deutschen6 Sprachgebrauch und -kompetenz6.1 Einschätzung der Sprachkompetenz in den verschiedenen Sprachen/Varietäten6.2 Kommunikationssituationen des Deutschen7 Spracheinstellungen8 Linguistic Landscape9 FaktorenspezifikLiteratur

 Der germanophone Teil Lothringens1 Geographische Lage2 Demographie und Statistik3 Geschichte3.1 Die Sprachgrenze als diskursives Konstrukt3.2 Ancien Regime3.3 Von der Französischen Revolution bis 18703.4 Eine Region als Spielball im Machtkampf verfeindeter Nachbarn3.5 Nach dem Zweiten Weltkrieg4 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung4.1 Wirtschaftliche Situation4.2 Politische Situation4.3 Rechtliche Stellung des Deutschen, Schulsystem, offizielle Sprachregelungen4.4 Kulturelle Institutionen, Verbände, Medien, Literatur5 Soziolinguistische Situation5.1 Kontaktsprachen5.2 Die einzelnen Sprachformen des Deutschen5.3 Sprachenwahl und Code-Switching6 Sprachgebrauch und -kompetenz6.1 Allgemeines6.2 Einschätzung der Sprachkompetenz in den verschiedenen Sprachen/Varietäten6.3 Sprachgebrauch: Sprecherkonstellationen und -typen6.4 Monologische Sprechsituationen, schriftlicher Sprachgebrauch und Mediennutzung6.5 Kommunikationssituationen des Deutschen7 Spracheinstellungen7.1 Affektive Bewertung7.2 Kosten-Nutzen-Kalkulation7.3 Einstellung gegenüber Dialekt und Hochsprache als Identitätsmerkmal8 Linguistic Landscape9 ZusammenfassungLiteratur

 Das Elsass1 Einleitung2 Geographische Lage3 Demographie und Statistik4 Geschichte4.1 5. Jahrhundert bis Ende 17. Jahrhundert4.2 18. und 19. Jahrhundert (bis 1870)4.3 Seit 18715 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung5.1 Rechtliche Stellung des Deutschen und offizielle Sprachregelungen5.2 Wirtschaftliche Situation (Rolle des Deutschen in der Wirtschaft/auf dem Arbeitsmarkt)5.3 Politische Situation5.4 Kulturelle Institutionen, Verbände, Medien, Literatur6 Soziolinguistische Situation7 Sprachgebrauch und -kompetenz7.1 Allgemeines7.2 Einschätzung der Sprachkompetenz in den verschiedenen Varietäten7.3 Sprachgebrauch7.4 Kommunikationssituationen des Deutschen8 Spracheinstellungen8.1 Affektive Bewertung; Dialektverlust8.2 Kosten-Nutzen-Kalkulation8.3 Einstellung gegenüber Hochsprache und Dialekt (als Identitätsmerkmal)9 Linguistic Landscapes9.1 In der offiziellen Öffentlichkeit9.2 In der privaten Öffentlichkeit10 FaktorenspezifikLiteratur

 Die Schweiz1 Geographische Lage2 Demographie, Statistik, Wirtschaft3 Geschichte3.1 Von den Pfahlbauern zu den Alemannen3.2 Von der Alten Eidgenossenschaft zum modernen Bundesstaat3.3 Zur Geschichte der Schriftsprache in der Deutschschweiz4 Politik, Kultur und rechtliche Stellung der Sprachen4.1 Politische Lage4.2 Rechtliche Stellung des Deutschen, Schulsystem, offizielle Sprachregelung4.3 Sprachenlernen an Schweizer Schulen, die Bedeutung von Deutsch in nicht-deutschsprachigen Landesteilen4.4 Kulturelle Institutionen, Medien, Literatur5 Soziolinguistische Situation, Sprachgebrauch, Sprachkompetenz5.1 Varietäten und Varianten in den verschiedenen Sprachgebieten5.2 Die Standardsprache in der Deutschschweiz5.3 Die schweizerdeutschen Dialekte5.4 Sprachkontakt zwischen Deutschsprachigen und Anderssprachigen6 Einstellungen6.1 Einstellungen gegenüber den Dialekten6.2 Einstellungen gegenüber der Standardsprache6.3 Einstellungen zwischen den Sprachgruppen7 Sicht- und Hörbarkeit von Sprachen im öffentlichen Raum7.1 Linguistic Landscape7.2 Linguistic Soundscape8 AusblickLiteratur

 Südtirol1 Geographische Lage2 Demographie und Statistik3 Geschichte4 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung4.1 Wirtschaftliche Situation4.2 Politische Situation4.3 Rechtliche Stellung des Deutschen, Schulsystem, offizielle Sprachregelungen4.4 Kulturelle Institutionen, Verbände, Medien, Literatur5 Soziolinguistische Situation5.1 Allgemeines5.2 Kontaktsprachen5.3 Die einzelnen Sprachformen des Deutschen5.4 Sprachkontakt5.5 Sprachenwahl: Code-Switching, Sprachmischung6 Sprachgebrauch und -kompetenz6.1 Allgemeines6.2 Einschätzung der Sprachkompetenz in den verschiedenen Sprachen/Varietäten6.3 Sprachgebrauch in einzelnen Domänen7 Spracheinstellungen7.1 Affektive Bewertung7.2 Kosten-Nutzen-Kalkulation7.3 Einstellung gegenüber Dialekt und Hochsprache (als Identitätsmerkmal)8 Linguistic Landscapes9 Faktorenspezifik (Zusammenfassung)Literatur

 

Vorwort

Rahel Beyer / Albrecht Plewnia

Die heutige Ausdehnung des zentralen (geschlossenen) germanophonen Sprachraums in der Mitte Europas ist das Ergebnis mehrerer Jahrhunderte Besiedlungs- und Expansionsgeschichte germanischer Stämme, die im Frühmittelalter Territorien einnahmen und dort auch ihre Sprache etablierten (Roelcke 2009: 17f.). So kamen etwa die Alemannen im 9. Jahrhundert bis ins Wallis, die Siedlungen der Baiern erstreckten sich schließlich bis über das ganze heutige Österreich. Mit dem Ende des Mittelalters waren die Sprachgrenzen in Europa dann konsolidiert und haben sich seitdem nur wenig verändert. Indessen hielten Annexionsbewegungen, Staatenbildung und Grenzverschiebungen von Staaten (z.B. im Rahmen des Wiener Kongresses 1814/1815) bis ins 20. Jahrhundert an. Die neuen Grenzziehungen orientierten sich nun überwiegend nicht an sprachlichen Räumen, sondern durchquerten und zerteilten sie vielmehr. Dementsprechend gibt es heute eine Reihe von Staaten, in denen das Deutsche (bzw. bestimmte dem Deutschen zuzuordnende oder eng mit ihm verwandte Varietäten) in Minderheits- und/oder Mehrsprachigkeitsverhältnissen steht, d.h. in Ko-Existenz mit anderen Sprachen in je unterschiedlichen Konstellationen, sei es mit einer anderen (weiteren) Amtssprache, sei es in territorialer Mehrsprachigkeit. Solche Fälle finden sich in mehreren Gebieten am Rande des geschlossenen deutschen Sprachraums, also jenseits der Grenzen der Staaten mit deutscher Mehrheitssprache. Diesen widmet sich das vorliegende Handbuch.

Es reiht sich ein in eine Serie von Handbüchern, die Minderheiten mit Beteiligung des Deutschen systematisch in einer Zusammenschau erfasst und eine Grundlage für einen Vergleich „in grundsätzlicher Hinsicht“ (Eichinger 2008: VIII) liefert. Den Anfang dieser Serie bildet das Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten (Hinderling/Eichinger 1996), in dem deutsche Minderheiten in Mitteleuropa und anderssprachige Minderheiten in deutschsprachigem Mehrheitsgebiet vergleichend gegenübergestellt wurden. Ergänzt wurde dieses Handbuch in den Folgejahren durch je einen Band zu deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa (Eichinger/Plewnia/Riehl 2008) und zu deutschen Sprachminderheiten in Übersee (Plewnia/Riehl 2018).

Mit diesem Band liegt nun der erste von zwei Teilen einer vollständig überarbeiteten und erweiterten Neufassung des Ausgangsbandes vor (der zweite Teil wird die Sprachminderheiten mit Deutsch als Mehrheitssprache zum Gegenstand haben). Der Fokus dieses Bandes liegt auf West- und Mitteleuropa; dabei bilden Geographie und Entstehungsbedingungen die verbindende Klammer. Über die Dichotomie von Mehrheit und Minderheit1 hinaus sind hier weitere Ausprägungen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit zu finden. So bilden etwa die Deutschsprachigen in Belgien – gewissermaßen ein Prototyp einer Grenzminderheit – eine nationale Minderheit, da die Verwendung und Reichweite des Deutschen räumlich auf neun Gemeinden in Ostbelgien beschränkt ist. Dort stellt es wiederum eine regionale Mehrheitssprache dar, und ist aufgrund dessen auf nationaler Ebene Amtssprache. Luxemburg dagegen hat gar keine allochthonen Deutschsprecher, sodass man im eigentlichen Sinne nicht vom Deutschen als Minderheitensprache sprechen kann – dort ist heute das mit dem Deutschen eng verwandte Luxemburgische die meistgesprochene Sprache. Historisch gesehen ist das Deutsche jedoch ohne Zweifel Teil des kulturellen Erbes des Großherzogtums (Sieburg 2013: 95) und hat auch gegenwärtig durchaus seinen Platz in der Sprachlandschaft, jedoch mit differenzierterem Status. Ähnliches gilt für die deutschsprachige Schweiz: Einerseits wird vorherrschend das deutsche Diasystem verwendet, andererseits geht mit der stark ausgeprägten Standard-Dialekt-Diglossie eine distanzierte Haltung gegenüber dem „Schriftdeutschen“ bis hin zur Entfremdung einher, so dass auch hier das Deutsche nicht unbedingt als die „natürliche Sprache“ (Haas 2000: 106) gilt. Gemein ist allen Szenarien, dass sie unmittelbar an ein Gebiet mit deutschsprachiger Mehrheitsbevölkerung angrenzen, dass das Deutsche einen offiziellen Status besitzt und neben (mindestens) einer anderen Sprache, d.h. in einer Mehrsprachigkeitskonstellation, existiert.

Entsprechend der Einordnung in die erwähnte Serie orientiert sich auch die Gliederung des Buches bzw. der Beiträge an den Vorgängerarbeiten. Pro Beitrag wird ein Gebiet überblicksartig beschrieben, und dabei jeweils ein „gewisser Kernbestand an Problembereichen“ (Hinderling/Eichinger 1996: XII) behandelt. Die Beschreibungsdimensionen erstrecken sich von den historischen Entwicklungen über die aktuelle demographische und rechtliche Situation bis hin zur Rolle und Präsenz des Deutschen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Darüber hinaus wird für jedes Gebiet eine Beschreibung der Kompetenz- und Sprachgebrauchssituation, der soziolinguistischen Situation mit ihren je spezifischen Standard-Substandard-Verteilungen sowie der Spracheinstellungen der Sprecherinnen und Sprecher geboten. Im Vergleich zu den vorherigen Bänden neu hinzugekommen ist schließlich eine Erläuterung der Verteilung und Verwendung visuell realisierter Sprache(n) im öffentlichen Raum (linguistic landscape) in Form von Straßen- und Verkehrsschildern, Plakaten, Ladenbeschriftungen usw. Gliederung und Ausführlichkeit der einzelnen Kategorien variieren dabei in gewissem Umfang je nach den Gegebenheiten in den behandelten Gebieten.

Die Herausgeber danken allen beteiligten Autorinnen und Autoren für ihren Beitrag und den kollegialen Austausch. Ein großer Dank gilt auch Heike Kalitowski-Ahrens und Julia Smičiklas, die eine große Stütze bei Erstellung, Satz und Korrektur der Manuskripte waren.

Wir danken dem Gunter-Narr-Verlag für die Aufnahme des Handbuchs in das Verlagsprogramm und insbesondere Tillmann Bub für seine immer währende Geduld und Freundlichkeit in der Betreuung auch dieses Bandes.

Literatur

Eichinger, Ludwig M. (2008): Vorwort. In: Eichinger, Ludwig M./Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa. Tübingen: Narr, S. VII–X.

Eichinger, Ludwig/Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.) (2008): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa. Tübingen: Narr.

Haas, Walter (2000): Die deutschsprachige Schweiz. In: Bickel, Hans/Schläpfer, Robert (Hrg.): Die viersprachige Schweiz. 2., neu bearb. Aufl. Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg: Sauerländer, S. 57–138.

Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (Hrg.) (1996): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten. Tübingen: Narr.

Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (1996): Einleitung. In: Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (Hrg.): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten. Tübingen: Narr, S. IX–XVII.

Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.) (2018): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee. Tübingen: Narr.

Pusch, Claus D. (2010): Old Minorities within a Language Space. In: Auer, Peter/Schmidt, Jürgen E. (Hrg.): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Bd. 1. Theories and Methods. Berlin/New York: Mouton de Gruyter, S. 375–390.

Roelcke, Thorsten (2009): Geschichte der deutschen Sprache. München: Beck.

Sieburg, Heinz (2013): Die Stellung der deutschen Sprache in Luxemburg. Geschichte und Gegenwart. In: Sieburg, Heinz (Hrg.): Vielfalt der Sprachen – Varianz der Perspektiven. Zur Geschichte und Gegenwart der Luxemburger Mehrsprachigkeit. Bielefeld: transcript, S. 81–106.

Die deutsche Minderheit in Nordschleswig in Dänemark

Karen Margrethe Pedersen / Tobias Haimin Wung-Sung

1 Geographische Lage

2 Demographie und Statistik

3 Geschichte

4 Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung

4.1 Wirtschaftliche Situation

4.2 Politische Situation

4.3 Rechtliche Stellung des Deutschen

4.4 Schulsystem

4.5 Kulturelles Leben, Verbände, Institutionen und Medien

5 Soziolinguistische Situation

5.1 Kontaktsprachen

5.2 Die einzelnen Sprachformen des Deutschen

5.3 Sprachenwahl: Code-Switching, Sprachmischung

6 Sprachgebrauch und -kompetenz

6.1 Allgemeines

6.2 Sprachkompetenz

6.3 Sprachgebrauch (Schriftsprache)

6.4 Sprachgebrauch in den Minderheitenorganisationen

7 Spracheinstellungen

8 Linguistic Landscapes

8.1 Die Minderheitensprache in der Mehrheitsgesellschaft

8.2 Zweisprachige Straßenschilder

9 Zusammenfassung

Literatur

1 Geographische Lage

Die deutsche Minderheit in Dänemark ist ein Produkt der Geschichte; sie befindet sich auf der dänischen Seite des deutsch-dänischen Grenzraums. Dieses Gebiet wird von der deutschen Volksgruppe Nordschleswig genannt – eine Bezeichnung, die daran erinnert, dass das Gebiet ursprünglich den nördlichen Teil des Herzogtums Schleswig bildete. Die dänische Mehrheit nennt diesen Raum hingegen Sønderjylland (Südjütland). Offiziell ist Nordschleswig einsprachig, was u.a. in den einsprachig-dänischen Orts- und Straßennamen zum Ausdruck kommt. Das schließt jedoch nicht aus, dass die deutsche Minderheit intern ihre eigenen Bezeichnungen für Orte und Straßen verwendet und sie einen großen Wunsch nach zweisprachigen dänisch-deutschen Beschilderungen hat. In Bezug auf das Siedlungsgebiet der deutschen Minderheit wird im Folgenden von Nordschleswig gesprochen; bei Ortsnamen werden die deutschen und die dänischen Bezeichnungen genannt. Nordschleswig umfasst heute die vier südjütischen Kommunen Tondern/Tønder, Apenrade/Aabenraa, Hadersleben/Haderslev und Sonderburg/Sønderborg. Diese Kommunen sind Teil der Region Syddanmark, die aus 22 Kommunen besteht.1

 

Abb. 1: Nordschleswig und die Institutionen der deutschen Minderheit

2 Demographie und Statistik

2017 hatten die vier südjütischen Kommunen insgesamt 227.777 Einwohner auf einer Fläche von 3.436 km2, d.h. 66 Einwohner pro km2. Die deutsche Minderheit stellt mit ungefähr 15.000 Einwohnern 6,5 Prozent dieser Bevölkerung. Die Volksgruppe bildet keine geographische Einheit, sondern lebt in mehreren konzentrierten Ansiedlungen verstreut unter der Mehrheitsbevölkerung.

In Nordschleswig lag das Durchschnittseinkommen im Jahr 2014 um 10 Prozentpunkte unter dem Landesdurchschnitt; die Einwohnerzahl ging zurück. Im Jahr 2016 machte die Bevölkerung von Nordschleswig 4 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung aus; im Jahre 2030 werden es voraussichtlich nur noch 3,7 Prozent sein (Sørensen 2016). Dieser Rückgang könnte negative Folgen für die Zukunft der Minderheit haben. Schon heute verlassen viele junge Leute die Region und ziehen bevorzugt in größere Städte außerhalb Nordschleswigs. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Prozess noch verstärkt und die Minderheit damit ihre Basis verliert. Eine solche Entwicklung ist für Streuminderheiten durchaus typisch. Eine Analyse der deutschen Schulen und der deutschen Gymnasiasten mit dänischer Personenkennzahl (CPR-Nummer) zeigt, dass sie sich in Bezug auf Bildung nicht von der Mehrheit der Jugendlichen unterscheiden. Die große Mehrheit (87 %) lebt in Dänemark, nur 9 Prozent in Deutschland (Deutscher Schul- und Sprachverein für Nordschleswig 2016a).

3 Geschichte

Die deutsche Minderheit ist das Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung des Herzogtums Schleswig. Schleswig war ursprünglich ein fester Bestandteil des dänischen Königreiches, wurde aber im Laufe des 13. Jahrhunderts – als Folge der Belehnungspraxis der dänischen Könige – ein eigenes Herzogtum, das bis 1864 durch Personalunion mit Dänemark verbunden blieb. Über Jahrhunderte lebten Dänen und Deutsche friedlich zusammen, und es wurden als Volksprachen sowohl Dänisch, d.h. ein südjütischer Dialekt, als auch Niederdeutsch und später Hochdeutsch gesprochen. Die überwiegend südjütischsprechenden Deutschgesinnten in Nordschleswig haben ihre Wurzeln in den Volkstumskämpfen, während derer der nationale Gedanke des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewann. Im Königreich Dänemark traten die Nationalliberalen, unterstützt von den Führern der dänischgesinnten Schleswiger, für die Eidergrenze ein und damit für die Eingliederung des Herzogtums Schleswig nach Dänemark. Die Schleswig-Holsteiner und die Deutschgesinnten hingegen verfolgten die Eingliederung Schleswigs und Holsteins nach Preußen. Die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848 bis 1851 (Treårskrigen) führte zu keiner Lösung der Probleme. Der Deutsch-Dänische Krieg 1864 und die folgende Abtretung Schleswigs an Österreich/Preußen (ab 1866 Preußen allein) brachte hingegen radikale Veränderungen. Während die deutschgesinnte Bevölkerung in Schleswig sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr als nationale Minderheit innerhalb der dänischen Monarchie verstand, waren gleichzeitig umgekehrt die Dänischgesinnten zur Minderheit in Preußen geworden. Die preußische Obrigkeit versuchte die Dänen bezüglich Sprache und Kultur zu assimilieren. Seit 1888 wurde Deutsch überall als Schulsprache durchgesetzt; Dänisch dagegen wurde zu einem Schulfach. Amtssprache und die Sprache in den Kirchen waren schon Deutsch. Diese Politik führte dazu, dass sich die Dänischgesinnten in mehreren nationalen Vereinen in den Bereichen Sprache, Kultur und Schule zu organisieren begannen, in denen sie trotz der preußischen Annexion und Assimilationspolitik am Wunsch nach der Vereinigung mit Dänemark festhielten.

Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg wurde die Grenzfrage 1920 auf der Grundlage der Prinzipien des Selbstbestimmungsrechtes der Völker mit Volksabstimmungen angegangen. In der damaligen Zone 1, die sich nördlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze erstreckte, nahmen 1920 91,5 Prozent der Stimmberichtigten teil, von denen zirka 75 Prozent für einen Anschluss an Dänemark votierten – in Städten, die nahe der heutigen Staatgrenze liegen wie Hoier/Højer, Tondern/Tønder und Tingleff/Tinglev, stimmte die Mehrheit jedoch für Deutschland. Dieses Resultat führte zur Abtretung Nordschleswigs an Dänemark und zur Wiedereinführung von Dänisch als Amts-, Schul- und Kirchensprache in diesem Gebiet. Die Deutschgesinnten organisierten sich daraufhin als nationale Minderheit mit deutschen Verbänden und Vereinen. Sie bekamen kommunale und private Schulen, unabhängige Kirchengemeinden und ihre eigene deutschsprachige Presse. Sie organisierten sich außerdem in einer politischen Partei, die eine Grenzrevision forderte.

Die deutsche Minderheit bestand teils aus Familien, die sich seit Generationen, angezogen von der deutschen Kultur und der deutschen Sprache, als Deutsche verstanden, auch wenn sie zu Hause den dänischen Dialekt Sønderjysk sprachen; teils stammten sie aus Familien, deren Vorfahren als Handwerker, Kaufleute, Landwirte oder Verwaltungsbeamte vor allem aus Holstein eingewandert waren und ihre deutsche Identität bewahrt hatten.

Während des nationalsozialistischen Regimes 1933 bis 1945 wurden viele Mitglieder der Minderheit stark nazifiziert. Sie wurden nach Ende des Krieges 1945 interniert und manche zu Freiheitsstrafen verurteilt. Im selben Jahr erklärte die Minderheit ihre Loyalität gegenüber dem dänischen Staat und erkannte die Grenze von 1920 an. Auf demokratischer Grundlage fand jetzt eine Neuorganisation der Minderheit statt. Der Bund deutscher Nordschleswiger wurde die Dachorganisation für kulturelle und politische Vereine sowie für die Zeitung Der Nordschleswiger. Die geschlossenen deutschen Schulen wurden wieder geöffnet und als private Schulen auf der Basis des dänischen Gesetzes Lov om frie skoler eingerichtet. Nach der Kopenhagener Erklärung 1955 bekamen sie auch das Examensrecht. Eine deutschsprachige Kirche wurde mit vier staatlichen Pastoren in der dänischen Volkskirche etabliert. Später wurde die Versorgung mit Pastoren auch durch die Nordelbische Kirche unterstützt.

Die dänischen Reaktionen auf die Entwicklung waren unterschiedlich. Einige wollten, dass die Minderheit – insbesondere durch dänische Schulbildung – vollständig assimiliert wurde. Andere jedoch – vor allem auf nationaler Ebene – verstanden den Wunsch der Minderheit, die deutsche Kultur und Identität zu bewahren. Die Beziehung zwischen Dänisch und Deutsch war immer noch angespannt. Obwohl die Minderheit nun nicht mehr den Anschluss Nordschleswigs an Deutschland anstrebte, war die nationale Frage damit nicht beantwortet. Im Schulwesen konzentrierte man sich darauf, den Kindern und Jugendlichen ein klares Bewusstsein für ihre Verbindung mit Deutschland und ihre deutsche Identität zu vermitteln. Besonders Schulrat Fr. Christensen betonte, dass die Kinder der Minderheit deutsche Schulen zu besuchen hätten und bezeichnete Eltern, die ihre Kinder auf dänische Schulen schickten, als Verräter. Die Minderheit versuchte, diejenigen, die sie für ihrer Gruppe zugehörig hielten, an sich zu binden. Christensen und die Minderheit der Nachkriegszeit waren dabei nicht eigentlich anti-dänisch eingestellt, dachten aber in dänischen und deutschen nationalen Gegensätzen. In gegenseitiger Achtung für einander und für die jeweiligen Unterschiede sollte man in Nordschleswig zusammen, aber getrennt voneinander leben.

In den 1960er Jahren begannen einige Jugendliche der Minderheit, die Idee der Isolation und des nationalen Kampfes in Frage zu stellen. Ein junger Student, Günter Weitling, schrieb im Nordschleswiger, die Minderheit solle sich als Brückenbauer zwischen dänischer und deutscher Kultur sehen. Ihm zufolge gehörte der nationale Kampf der Vergangenheit an, während die Zukunft in der entstehenden europäischen Zusammenarbeit lag. Auch die ersten Abiturienten mit dem deutschen und dänischen Abitur des neuen Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig erregten Aufsehen mit den rot-weißen dänischen Abiturienten-Mützen, die in Deutschland unbekannt waren. Mehrere der Abiturienten brachten zum Ausdruck, der nationale Kampf gehöre jetzt vor dem Hintergrund des Kalten Krieges der Vergangenheit an. Hinzu kam, dass einige Jugendliche begannen, Interessen zu entwickeln, die über die traditionellen und national aufgeteilten Aktivitäten wie Sport, Pfadfinder und Abendvorträge hinausgingen. Diese Jugendlichen wollten ihre Freizeitaktivitäten selbst arrangieren und planen und nicht von den Dänen isoliert werden. Sowohl politische als auch kulturelle Veränderungen in der Welt außerhalb der Grenzregion fanden Anklang bei der Minderheit.

In den 1970er und 1980er Jahren wurden die Ideen der Jugendlichen in der Minderheit generell akzeptiert und übernommen, und die offizielle Zielsetzung des Schulwesens war jetzt, dass die Schüler Verständnis und Verbundenheit sowohl zur dänischen als auch zur deutschen Sprache und Kultur entwickeln sollten. Die Jugendlichen erhielten mehr Mitbestimmung in Bezug auf die Freizeitaktivitäten für Jugendliche, und eine Zusammenarbeit mit dänischen Institutionen und Jugendzentren wurde ermöglicht. Trotz dieser Entwicklung verschwand der alte Gegensatz zwischen Deutsch und Dänisch nicht völlig. Insbesondere ältere Dänen hegten immer noch Skepsis und Gegenwillen der deutschen Minderheit gegenüber.

In den folgenden Jahren erreichte die Minderheit eine formale Gleichbehandlung mit der Mehrheit. Dabei war die Minderheit insgesamt zurückhaltend und hat keine Forderungen an die Mehrheit gestellt, die sich ihrerseits für die Mitglieder der Minderheit kaum interessierte. Diese wurden zwar akzeptiert, aber erst in den 1990er Jahren fühlten sie sich respektiert. Zu den Jubiläumsfeiern der dänischen Wiedervereinigung 1995 wurde auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, Hans Heinrich Hansen, eingeladen. Das trug dazu bei, das Eis zu brechen, und Hansen sagte anschließend in einem Interview, dass die Minderheit jetzt nicht mehr nur gleichberechtigt, sondern auch gleichwertig mit der Mehrheit sei. Im selben Zeitraum nahm die deutsche Minderheit auch die Zusammenarbeit mit der dänischen Minderheit in Südschleswig auf, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten und im Zusammenhang mit der Arbeit der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) und dem Minderheitenschutz des Europarates.