Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

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Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin
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Andreas Grünewald / Sabrina Noack-Ziegler / Maria Giovanna Tassinari / Katharina Wieland (Hrsg.)

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

Festschrift für Daniela Caspari

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© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISSN 0175-7776

ISBN 978-3-8233-8461-8 (Print)

ISBN 978-3-8233-0332-9 (ePub)

Inhalt

  Tabula gratulatoria

  Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin Literatur

 Themenblock I: Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin„Die geeignetste Vorbildung der Lehrer“ – Fachdiskussion und bildungspolitische Entwicklungen in der neusprachlichen Reformbewegung1 Die Vorgeschichte2 Fremdsprachenlehrerbildung in der neusprachlichen ReformbewegungLiteraturGrammatik im Übungsapparat von Französischlehrwerken (1970 – 2020)1 Einleitung2 Grammatik im Übungsapparat von Lehrwerken3 Darstellung der Ergebnisse4 FazitLiteraturGrammatik und Kompetenzorientierung: une mésentente cordiale?1 Impressionen eines Missverhältnisses oder Missverständnisses2 Sprachliche Mittel bei der Kompetenzorientierung in administrativen Dokumenten3 Lösungsvorschläge auf der unterrichtlichen Ebene4 Einige Impulse aus der deutschen Fremdsprachendidaktik5. Das Vermittlungsangebot einer multiperspektivischen Sicht auf GrammatikLiteraturNachhaltiges Wortschatzlernen mit digitalen Ressourcen1 Einleitung2 Wortschatzlernen in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften3 Möglichkeiten zur Erforschung des individuellen Wortschatzlernens4 AusblickLiteraturDas didaktische Potential mehrsprachig-wortserieller Einsatzübungen (EuroComDidact ToGo)1 Kurze Vorstellung der Lernapp EuroComDidact ToGo2 Lehrlernziele3 Modellierung von morphosemantischer Distanz und Transparenz auf der Wortebene4 Das meseWot-Übungsformat5 Zum didaktischen Potential des meseWoT-Formats in Lehrwerken6 Die meseWoT-Struktur7 Interlinear-Anordnungen – ein verwandtes Übungsformat8 Didaktische Steuerung9 Reichweite und Lernwirksamkeit des ÜbungsformatsLiteraturChronik eines angekündigten Todes? Anmerkungen zu einigen Normativitäten in der (nicht nur) romanistischen Literatur- und Kulturvermittlung1 Einleitung2 Lernbedingungen für Literatur im Unterricht der romanischen Sprachen3 Praxisdokumente4 Nach der Didaktik des Fremdverstehens5 Praxeologische Schlüsse für die Literatur- und Kulturdidaktik6 FazitLiteraturProfessionalisierung in biografischer Perspektive. Gedanken zu einer reflektierten Fachlichkeit in der universitären Fremdsprachenlehrer*innenbildung1 Einleitung2 Impulse aus der Professionsforschung3 Der berufsbiografische Ansatz von Professionalität: Erfahrung und Reflexivität4 Zum Verständnis der Fachlichkeit in den fremdsprachenphilologischen Studienanteilen5 FazitLiteraturEthnographische Forschung als professionelle Kompetenz1 Die Forschung als wissenschaftliche Domäne und die Unterrichtspraxis2 Ethnographie als Methode3 Ethnographie als lebensweltbezogene Forschung und Grundlage des Unterrichts4 Ethnographie als kulturelle Forschung5 Ethnographie als fremdsprachendidaktische Praxisforschung: Aufgaben und Unterrichtsentwicklung6 Ethnographisches Forschen als didaktische KompetenzLiteraturFremdsprachendidaktische Professionalisierung – Prinzipien und Forschungsansätze: Anmerkungen zu Fortbildungsprojekten des Goethe-Instituts1 Das Forschungsfeld Lehr- und Professionsforschung2 Rückblick auf zehn Jahre Deutsch Lehren Lernen: Prinzipien „wirksamer“ Lehrer*innenfortbildung3 Unterrichtsbezug und reflektiertes Erfahrungslernen: Merkmale des Programms Deutsch Lehren Lernen4 Forschungsperspektiven und Forschungsstand zu DLLLiteratur

 Themenblock II: Fremdsprachendidaktik als AusbildungsdisziplinNeue Professionalitätsfacetten im frühen Englischunterricht auf Distanz1 Lernarrangements auf Distanz im frühen EnglischunterrichtBeispiel I: Phasen direkter InstruktionBeispiel II: technology-mediated task-based language learning2 Agiles Unterrichtsmanagement durch adaptive Fremdsprachenlehrerprofessionalität3 Erweiterung digitaler Kompetenzmodelle4 AusblickLiteraturFremdsprachenunterricht professionell planen1 Professionalisierung als Herausforderung für die Fremdsprachendidaktik2 Unterrichtsplanung als Baustein der Professionalisierung3 Studien zur Planung von Fremdsprachenunterricht4 Professionalisierung mit dem Pro Plan Modell5 Erforschung des Planungshandelns6 AusblickLiteraturProfessionsorientiertes Lehren und Lernen in der Lehrkräftebildung1 Einführung2 Erstes Beispiel: „Lernen durch Lehren“ in der sprachendidaktischen Grundausbildung von Lehrer/-innen3 Zweites Beispiel: Verbindung von Theorie und Praxis im Berliner Praxissemester durch den ko-konstruktiven Ansatz4 Drittes Beispiel: Performativ-forschendes Lernen und Lehren in der Lehrkräfteweiterbildung5 SchlussreflexionLiteraturÜberlegungen zu Vernetzung und Kohärenzerleben in der fremdsprachlichen Lehrer*innenbildung1 Problemaufriss2 Fokussierte Kompetenzschulung als kohärenzstiftendes Element3 Vernetzung von Strukturen, Inhalten und Phasen der Lehrer*innenbildung4 Reflexion und reflexive Handlungspraxis5 AusblickLiteraturUnterrichtsentwicklung als gemeinsames Ziel?!1 Unsere Perspektive: die Schnittstelle2 Ausgewählte Momente des Zusammenwirkens in der Bildungsregion Berlin-Brandenburg3 Bildungspolitik/ Bildungsverwaltung – ein verkannter Akteur?4 Fragen5 WünscheLiteraturSprachlernberatung in der Lehrerausbildung – Lernszenarien zum Erwerb professioneller Kompetenzen1 Sprachlernberatung: von den Bedürfnissen der Lernenden zu den Kompetenzen der Lehrenden2 Sprachlernberatung: Grundlage eines komplexen Lehr-Lern-Szenarios in der Lehrerausbildung3 Aufgaben: Auslöser von professionellen KompetenzenLiteraturPrêter sa voix à quelqu’un d’autre: Eine Lernaufgabe zum inklusiven Miteinander anhand von französischen Jugendromanen1 Einleitung2 Die komplexe Lernaufgabe2.2 La tâche et le plan de travail3 Didaktisch-methodische Begründung der Lernaufgabe4 SchlussbemerkungLiteraturIl ou elle von Bernard Friot1 Literaturarbeit als Teil des Bildungsauftrags von Fremdsprachenunterricht2 Symbolische Bildung im fremdsprachlichen Literaturunterricht3 Il ou elle von Bernard Friot: Vorschläge für den Französischunterricht4 Fazit und AusblickLiteraturIl ou elleVon der Idee zum Text – Begleitung und Konzeption von empirischen Masterarbeiten in der Fremdsprachendidaktik an der Universität Bremen1 Einführung2 Abschlussmodul zur Begleitung von Masterarbeiten in der Didaktik der romanischen Sprachen der Universität Bremen3 Der Aufbau einer fachdidaktischen empirischen Masterarbeit4 Das Kolloquium5 Fachspezifische Sprachlichkeit6 Die Bewertungskriterien7 FazitLiteraturVarianten empirisch orientierter fremdsprachendidaktischer Abschlussarbeiten1 Einleitung2 Forschende Elemente im Rahmen der fachdidaktischen Ausbildung3 Varianten empirisch orientierter Abschlussarbeiten im Bereich der Fremdsprachendidaktik4 Masterkolloquium „Fachdidaktik Romanische Sprachen“Literatur


Tabula gratulatoria

Dagmar Abendroth-Timmer, Siegen

Karin Aguado, Kassel

Grit Alter, Innsbruck

Markus Bär, Wuppertal

Rupprecht S. Baur, Duisburg/Essen

Mark Bechtel, Osnabrück

Ellen Beermann, Berlin

Anka Bergmann, Berlin

Ursula Behr, Jena

Gabriele Bergfelder, Schopfheim

Gabriele Blell, Hannover

Stephan Breidbach, Berlin

Andreas Bonnet, Hamburg

Eva Burwitz-Melzer, Gießen

 

Helene Decke-Cornill, Berlin/Hamburg

Kristine Deharde, Berlin

Bettina, Deutsch, Berlin

Bärbel Diehr, Wupptertal

Daniela Elsner, Frankfurt a.M.

Christiane Fäcke, Augsburg

Jeannine Feix, Berlin

Claudia Finkbeiner, Kassel

Manuela Franke, Potsdam

Britta Freitag-Hild, Potsdam

Uwe Gellert, Berlin

Georgia Gödecke, Bremen

Juliana Gómez Medina, Bogotá

Virtudes González, Göttingen

Andreas Grünewald, Bremen

Urška Grum, Potsdam

Wolfgang Hallet, Gießen

Claudia Harsch, Bremen

Lene Heine, Bochum

Myriam Hilout, Berlin

Adelheid Hu, Luxembourg

Britta Hufeisen, Darmstadt

Bernhard Huss, Berlin

Brigitte Jostes, Berlin

Christine Junghans, Berlin

Petra Kirchhoff, Erfurt

Friederike Klippel, München

Corinna Koch, Münster

Elisabeth Kolb, München

Katharina Kräling, Berlin

Almut Küppers, Frankfurt a. M.

Lutz Küster, Berlin

Jürgen Kurtz, Gießen

Margitta Kuty, Greifswald

Michael Legutke, Gießen

Eva Leitzke-Ungerer, Halle

Waltraud Löchel, Berlin

Simone Lück-Hildebrandt, Berlin

Beate Lüdtke, Berlin

Diana Maak, Berlin

Hélène Martinez, Gießen

Nicole Marx, Köln

Grit Mehlhorn, Leipzig

Judith Meinschaefer, Berlin

Franz-Josef Meißner, Gießen

Jürgen Mertens, Ludwigsburg

Anne Mihan, Berlin

Julia-Josefine Milster, Berlin

Christopher Mischke, Waiblingen

Nancy Morys, Luxembourg

Christian Neumann, Berlin

Christiane Neveling, Leipzig

Isabell Nicolas, Berlin

Sabrina Noack-Ziegler, Berlin

Wiebke Otten, Berlin

Helene Pachale, Hannover

Elke Philipp, Berlin

Jochen Plikat, Dresden

Kathleen Plötner, Potsdam

Elisabetta Proverbio, Berlin

Kerstin Rauch, Berlin

Marcus Reinfried, Jena/Mannheim

Daniel Reimann, Duisburg/Essen

Claudia Riemer, Bielefeld

Thorsten Roelcke, Berlin

Jana Roos, Potsdam

Henning Rossa, Trier

Andrea Rössler, Hannover

Bianca Roters, Soest

Michaela Sambanis, Berlin

Birgit Schädlich, Göttingen

Heike Schaumburg, Berlin

Andrea Schinschke, Berlin

Barbara Schmenk, Toronto

Torben Schmidt, Lüneburg

Ulrike Schneider, Berlin

Karen Schramm, Wien

Katrin Schultze, Berlin

Juliane Seidel, Berlin

Julia Settinieri, Bielefeld

Matthias Sieberkrob, Berlin

Nevena Stamenković, Berlin

Carola Surkamp, Göttingen

Maria Giovanna Tassinari, Berlin

Engelbert Thaler, Augsburg

Bernd Tesch, Tübingen

Eva Terzer, Berlin

Anita Traninger, Berlin

Graciela Vázquez, Berlin

Britta Viebrock, Frankfurt

Karin Vogt, Heidelberg

Laurenz Volkmann, Jena

Heike Wapenhans, Berlin

Maike Wäckerle, Berlin

Christa Weck, Stuttgart

Katharina Wieland, Berlin

Katja Wild, Berlin

Susanne Zepp-Zwirner, Berlin

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

Andreas Grünewald, Sabrina Noack-Ziegler, Maria Giovanna Tassinari & Katharina Wieland

Die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als forschende und ausbildende Disziplin in ein ausgewogenes und sich gegenseitig ergänzendes Verhältnis zu bringen, ist ein wichtiges Anliegen zur Konsolidierung des Selbstverständnisses unserer Disziplin. Entscheidende Beiträge für das Zusammenwachsen dieser lange Zeit getrennt betrachteten Bereiche hat Daniela Caspari während ihrer gesamten bisherigen beruflichen Laufbahn geleistet. Zum einen stehen ihre Aufsätze z. B. zur Professionalisierung von Fremdsprachenlehrpersonen oder zum Q-Master als individueller Weg in den Lehrberuf für ihr Verständnis der Fremdsprachendidaktik als Ausbildungsdisziplin. Zum anderen zeugen Publikationen zum beruflichen Selbstverständnis von Lehrer:innen oder zu Forschungstendenzen in der Fremdsprachendidaktik von ihrer Auffassung der Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin. Was also liegt näher, als der Jubilarin zu ihrem 60. Geburtstag eine Festschrift mit knapp 20 Beiträgen von 32 Autor:innen zu widmen, die ihr kreatives und bedeutsames Schaffen in der doppelten Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als forschende und (aus-)bildende Disziplin würdigt.

Was aber steckt eigentlich hinter der doppelten Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik? Wie hat sich diese entwickelt und wie stehen diese unterschiedlichen Perspektiven zueinander?

Hallet und Königs (2010, S. 11) bezeichnen die Fremdsprachendidaktik vor den 1970er Jahren als eine aus der Praxis erwachsene Rezeptologie, die durchaus auf einleuchtendem und schlüssigem Erfahrungswissen basierte. Zu dieser Zeit konnte sich die Fremdsprachendidaktik noch nicht auf evidenzbasiertes Wissen oder gar auf die empirische Verankerung ihrer Wissensbestände berufen. Mit der Ende der 1970er Jahre zunehmenden Einrichtung fremdsprachendidaktischer Lehrstühle an Universitäten wurde ein erster Schritt zur Konsolidierung des Faches getan. Aus der damaligen Kritik der „Anwendungsorientierung“ (Decke-Cornill & Küster, 2010, S. 8) der Fremdsprachendidaktik entwickelte sich in den 1970er Jahren parallel dazu die Sprachlehr-/-lernforschung, die auch nicht-schulische Spracherwerbskontexte in den Blick nahm und Prozesse der Sprachaneignung unter Einbezug von Bezugswissenschaften wie z. B. Linguistik, Psycholinguistik oder Kognitionswissenschaften wissenschaftlich zu untersuchen begann. Daraus folgte eine Fokussierung der Sprachlehr-/-lernforschung – die von der Aufgabe der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften für den Sekundarbereich entbunden war – auf die empirische Forschung und damit auf die Beschreibung von Forschungsgegenständen und zu deren Untersuchung angemessenen Forschungsmethoden.

Beide Disziplinen existierten zunächst nebeneinanderher und beschäftigten sich mit dem gleichen Gegenstand (Fremdsprachen lehren und lernen) aus unterschiedlicher Perspektive bzw. mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Fremdsprachendidaktik, die institutionell verantwortliche Disziplin für die Ausbildung von Lehrkräften für den Sekundarbereich, hatte die Professionalisierung von zukünftigen Fremdsprachenlehrkräften im Blick und fokussierte daher – zumindest zu jener Zeit – eher auf Sprachlehrprozesse im institutionellen Kontext. Die Sprachlehr-/-lernforschung rückte hingegen die Aneignung der Fremdsprache und die damit verbundenen kognitiven Prozesse beim Lernen in den Mittelpunkt der Betrachtung.

In den 1990er Jahren wurden die Grenzen zwischen beiden Disziplinen immer unklarer und nicht umsonst lautet der 1997 erschienene Titel der Arbeitspapiere zur 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen“. Ende des Jahrtausends wurden beide als zwei getrennte Disziplinen beschrieben. Heute kann festgestellt werden, dass die Sprachlehr-/ -lernforschung als dezidiert forschungsbezogene Disziplin der Fremdsprachendidaktik wichtige Impulse gegeben hat, „zugleich aber auch in ihr aufgegangen ist“ (Hallet & Königs, 2010, S. 12). Auch Daniela Caspari (u. a. 2016, S. 1) subsumierte unter dem Begriff der Fremdsprachendidaktik in Anlehnung an Gnutzmann, Königs & Küster (2011, S. 7) die Sprachlehr-/-lernforschung, unterrichtsbezogene Zweitspracherwerbsforschung, Fremdsprachenforschung und Zweitsprachendidaktik. Das Zusammenwachsen der beiden Disziplinen ist Grund für die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik welche sich auch im Orientierungsrahmen der Gesellschaft für Fachdidaktik (2005, online) widerspiegelt:

Die Fachdidaktiken sind neben den Fachwissenschaften und der Erziehungswissenschaft dabei die dritte Säule der Lehrerbildung. Sie haben im Spannungsfeld zwischen den Wissenschaftsbereichen ein eigenständiges Profil sowohl als Wissenschaftsdisziplin wie auch als Ausbildungsdisziplin.

In ihrer Ausrichtung als Ausbildungsdisziplin befasst sich die Fremdsprachendidaktik beispielsweise gegenwärtig mit der Auswahl und der didaktischen Rekonstruktion von Lerngegenständen, mit der Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts, mit der Strukturierung von Lernprozessen, mit der Entwicklung und Evaluation von Lehr-/Lernmaterialien oder mit Kompetenz- sowie Aufgabenorientierung. In ihrer Ausrichtung als Wissenschaftsdisziplin und hier insbesondere als Forschungsdisziplin benennt Daniela Caspari (2016, S. 14) nach Durchsicht von knapp 100 Dissertationen aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik 13 Forschungsfelder, welche jede für sich genommen komplex sind: Begegnungsforschung, Curriculumforschung, Diagnostik, Interaktionsforschung, Kompetenzforschung, Konzeptforschung, Lehr- und Professionsforschung, Lehrwerks- und Materialforschung, Lernforschung, Lernerforschung, Schulbegleit- und Schulentwicklungsforschung, Testforschung sowie Zweiterwerbsforschung.

Hinsichtlich der Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin wird schnell deutlich, dass die genannten Themenfelder hier sehr ähnlich sind. Das ist auch erwartbar, da die doppelte Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik nicht a priori dazu führt, dass unterschiedliche Themenfelder bearbeitet werden, sondern vielmehr dazu, dass die Themen sowohl in der Perspektive der Ausbildung als auch der Forschung behandelt werden: Fragen zur Unterrichtsstrukturierung und zu Aspekten des Lehrens von Fremdsprachen im institutionellen Kontext sind gleichermaßen Fragen der Ausbildung von Lehrkräften wie Fragen der Forschung in der Fremdsprachendidaktik. Idealerweise gehen die Ergebnisse fremdsprachendidaktischer Forschung in die Ausbildung und Professionalisierung zukünftiger Lehrkräfte ein. Die Verschränkung beider Perspektiven ist das wesentliche und konstituierende Element der Fremdsprachensprachendidaktik. Die Bearbeitung der Forschungsgegenstände der Fremdsprachendidaktik verlangt ein hohes Maß an Kooperation über Grenzen von Forschungsfeldern und Fachdisziplinen hinweg und vielfach auch eine Zusammenarbeit mit Partner:innen außerhalb des Wissenschaftssystems. In diesem Sinn kann die Forschung in der Fremdsprachendidaktik als Forschung mit Anwendungsorientierung beschrieben werden. Sie entspricht allen diesbezüglich genannten Aspekten des Wissenschaftsrates (2020, S. 12f.): Identifizierung von Problemlagen, Übersetzung in Forschungsfragen, Analyse des Wirkungspotenzials, Relevanzerwartungen, Kooperationspartner:innen und Zielgruppenorientierung.

Die eingangs gestellte Frage danach, wie die beiden Ausrichtungen der Fremdsprachendidaktik zueinander stehen, lässt sich also wie folgt beantworten: Eine im geschilderten Sinn anwendungsorientierte fremdsprachendidaktische Forschung steht zu den Schwerpunkten der (Aus-)Bildung von Lehrpersonen in einem sich gegenseitig anregenden und sich ergänzenden Verhältnis. Themen und Inhalte lassen sich nicht ausschließlich der einen oder der anderen Ausrichtung zuordnen, vielfach können beide Perspektiven miteinander verknüpft werden, wie die Beiträge in diesem Band nachvollziehbar illustrieren.

Dieser Band vereint sowohl theoretisch-konzeptionelle, historische und empirische Forschungsbeiträge als auch Beiträge zu Ausbildungs- und Unterrichts(planungs)modellen, zur Umsetzung des forschenden Lernens im Lehramtsstudium und zur Vernetzung der ersten und zweiten Phase in der Ausbildung von Lehrpersonen.

Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin

Mit Blick auf die Geschichte des Fachs stellt Friederike Klippel in ihrem Beitrag die wechselseitige Entwicklung schulischer Bildungsziele und Lehrer:innenbildung im Laufe des 19. Jahrhunderts dar. Sie zeichnet die einsetzende Debatte um Inhalte, Ziele und Strukturen der Fremdsprachenlehrer:innenbildung und ihrer Ausgestaltung mit Fokus auf die neueren Sprachen und Französisch und Englisch im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung und darüber hinaus nach.

Auch Jürgen Mertens nimmt eine historisch-rückblickende Perspektive ein und analysiert in seinem Beitrag die Entwicklung der Behandlung von Grammatik in Lehrwerken für Französisch im Anfangsunterricht im Zeitraum von 1970 bis 2020. Die Ergebnisse dieser umfangreichen Untersuchung zeigen, dass obwohl in den Lehrwerken der (neo)kommunikativen und der aufgabenorientierten Phase die Grammatikstrukturen zunehmend in fertigkeitsorientierten Kontexten und in Texten eingebettet sind, die Übungsformate sich wenig geändert haben. Dies gilt insbesondere für die Lehrwerke der aufgabenorientierten Phase: anstatt als Bausteine für eine zielgerichtete Planung von kommunikativen Handlungen, werden Grammatikübungen weiterhin als dekontextualisierte Vorbereitung zum Sprachgebrauch eingesetzt.

 

Im sich anschließenden Beitrag von Elisabeth Kolb geht es auch um die Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht, dieses Mal jedoch anhand von Beispielen aus Bildungsdokumenten, fachdidaktischen Aufsätzen und Lehrwerken für den Englisch- und Französischunterricht. Das bisweilen schwierige und von den einzelnen Akteur:innen unterschiedlich interpretierte Zusammenspiel von Grammatik und Kompetenzorientierung wird von der Verfasserin auf seine konzeptuelle Bestimmung und praktische Umsetzung beleuchtet.

Grit Mehlhorn und Christiane Neveling beschäftigen sich alsdann ebenfalls im Bereich der sprachlichen Mittel mit strategischer Wortschatzarbeit in der Lehrer:innnenbildung. Insbesondere nehmen sie einige digitale Webtools zum Wortschatzlernen unter die Lupe und zeigen, wie Lehramtsstudierende herangeführt werden, das Lernpotenzial einiger Tools selbst zu erkunden, Ansätze für die Strategievermittlung und Reflexion über die Wortschatzarbeit in Schulpraktika auszuprobieren und/oder in Masterarbeiten zu evaluieren.

Ebenfalls eine App steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Franz-Joseph Meißner, der wissenschaftliche Grundlagen und didaktisches Potenzial einer App zur Interkomprehension behandelt: Durch verschiedene Übungsformate werden Lernende angeregt, Äquivalenzen und Unterschiede unter Wörtern des Kernwortschatzes sowie unter syntaktischen Strukturen in verschiedenen romanischen Sprachen zu erkennen und zu verinnerlichen. Die Lernwirksamkeit der Übungsformate liegt u. a. in der Entwicklung mehrsprachiger Kompetenzen und im Zusammenspiel zwischen explizitem und implizitem, deklarativem und prozeduralem Wissen.

Ein weiteres der Fremdsprachendidaktik immanentes Forschungsfeld ist die Literatur- und Kulturvermittlung. Bernd Tesch analysiert im vorliegenden Essay, welche Normativitäten ihr im Fremdsprachenunterricht zu Grunde liegen. Diese durchleuchtet er aus dem Blickwinkel der konstruktiv-kritischen Didaktik pointiert auf ihre theoretischen Begründungen. In der Zusammenschau stellt er die Argumente gleichsam unter Berücksichtigung realer Lernbedingungen aus praxeologischer Perspektive auf den Prüfstand und leistet einen Beitrag zu diesem Diskurs.

Die drei letzten Beiträge dieses ersten Teils stellen die Forschung von, mit und an angehenden Fremdsprachenlehrkräften in den Mittelpunkt. Anka Bergmann, Stephan Breidbach und Lutz Küster analysieren in ihrem Text das Verhältnis von Fachdidaktik und Fachwissenschaft im Rahmen der Professionalisierung von Lehrpersonen vor dem Hintergrund einer berufsbiografischen Perspektive. Dabei plädieren sie dafür, dass sowohl in der Fachdidaktik als auch in der Fachwissenschaft systematische Ansätze zur Förderung der Reflektivität über die eigene Lern- und Lehrerfahrung integriert werden.

Wolfgang Hallet plädiert für die Integration ethnographischer Forschungsmethoden in die Lehrer:innenaus- und -fortbildung. Unterrichtliche Prozesse profitieren demnach von einer stärkeren Gewichtung der Lernendenperspektive, eröffnen erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Fremdsprachenlernende und unterstützen das Erfassen, „Beschreiben und Verstehen lebensweltlicher und fremdsprachiger Kulturen“.

Schließlich setzt sich Michael Legutke mit dem Handlungsfeld der fremdsprachendidaktischen Fortbildung von Lehrkräften auseinander und stellt fest, dass diese nur selten Gegenstand empirischer fremdsprachendidaktischer Forschung ist. Am Beispiel des Fort- und Weiterbildungsprogramms Deutsch Lehren Lernen (DLL) des Goethe-Instituts zeigt der Verfasser auf, welche Forschungsperspektiven sich im Arbeitsfeld der Lehrkräftefortbildung ergeben könnten.