Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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|40|5. Situationen und Anlässe für Bekenntnisse im frühen Christentum

In welchen Situationen und aus welchem Anlass legten Christen in der Antike ein Bekenntnis ab? Nicht jede Äußerung von Christen ist ja als ein Bekenntnis anzusehen.

1. In unseren Kirchen hat das Glaubensbekenntnis eine besondere Funktion bei der Taufe: Die Gemeinde spricht das Bekenntnis zum dreieinigen Gott, »auf dessen Namen« die Taufe vollzogen wird. Jesus war von Johannes dem Täufer getauft worden; die an Jesu Auferweckung Glaubenden hatten diese Praxis übernommen, ohne dass wir die genauen Gründe dafür kennen. Die »christliche« Taufe erfolgt anfangs »auf den Namen Jesu« und zeigt so die enge Beziehung zwischen dem getauften Menschen und Jesus Christus; Paulus verwendet dafür in Gal 3,27f. das Bild, die Getauften hätten in der Taufe Christus »angezogen«, geradezu so wie ein Kleid. Später wird dann die dreigliedrige Taufformel üblich; sie steht am Ende des Matthäusevangeliums (Mt 28,19) und in der Didache (7,1–3), einer frühen Kirchenordnung. Jetzt geschieht das Taufen »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes«.[67] Indem Matthäus den auferstandenen Jesus diese Taufformel im Kontext des Missionsauftrags aussprechen lässt, führt er die tatsächlich ja längst bestehende christliche Taufpraxis auf dessen Weisung zurück; es heißt dann weiter: »[…] und lehret sie halten alles, was ich euch geboten habe« (28,20), und damit wird deutlich, dass zur Taufe der Unterricht über die Inhalte des Glaubens und über die damit verbundene Lebenspraxis gehört, so wie Matthäus es als Wort und Tat Jesu in seinem Evangelium darstellt.[68] Dass die Taufe auch mit der Gabe des Geistes verbunden ist, wird schon bei Paulus und dann vor allem in der Apostelgeschichte vorausgesetzt und betont (Apg 2,38 u.ö.).

|41|Keine der neutestamentlichen Schriften bietet einen genauen Bericht über den konkreten Vollzug einer Taufe, obwohl durchweg vorausgesetzt ist, dass die Gemeindeglieder getauft sind. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob die Täuflinge ein Bekenntnis ablegten und ob im Fall der Taufe Unmündiger das Bekenntnis gleichsam stellvertretend von anderen gesprochen wurde.[69] In der Apostelgeschichte wird bisweilen erzählt, dass viele Menschen auf einmal getauft wurden (2,41; 10,48),[70] ohne dass dazu Einzelheiten genannt werden. Eine Ausnahme ist die Erzählung in Apg 8,26–40, wo Lukas relativ ausführlich von der Taufe eines Einzelnen spricht: Der Missionar Philippus, der vom Engel des Herrn den Auftrag erhalten hatte, an die von Jerusalem nach Gaza führende Straße zu gehen, trifft dort einen Mann, der in Jerusalem den Tempel besucht hatte; er ist ein Eunuch, »Schatzkanzler« der äthiopischen Königin. Auf seinem Wagen sitzend[71] liest er im Buch des Propheten Jesaja die Worte vom leidenden Gottesknecht: »Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt; und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf« (Jes 53,7f.). Philippus fragt ihn: »Verstehst du auch, was du liest?« Daraufhin bittet der Mann um eine Auslegung, und Philippus gibt ihm die Deutung der Bibelstelle auf Jesus Christus hin (V. 35). Und dann heißt es weiter (V. 36.38): »Als sie aber ihres Weges zogen, kamen sie an ein Wasser, und der Eunuch sagte: Siehe, hier ist Wasser. Was hindert’s, dass ich getauft werde? Und er befahl, den Wagen anzuhalten, und sie stiegen beide hinab zu dem Wasser, Philippus und der Eunuch, und er taufte ihn.« Anschließend wird Philippus durch den Geist Gottes entrückt, der äthiopische Eunuch aber zieht fröhlich auf seiner Straße weiter (V. 39).[72]

|42|Die Tatsache, dass Philippus der Bitte um die Taufe ohne Weiteres nachgekommen war, löste in der späteren Kirchengeschichte Erstaunen aus. In einigen Handschriften folgt auf die Frage des Eunuchen: »Was hindert’s, dass ich getauft werde?« deshalb ein kurzer Dialog: »Philippus aber sagte zu ihm: Wenn du von deinem ganzem Herzen glaubst, ist es möglich und du wirst gerettet werden. Der aber antwortete: Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist«, und erst nach diesem Bekenntnis vollzieht Philippus die Taufe. Durch diese dann als »V. 37« gezählte Textergänzung sollte offensichtlich der »Fehler« korrigiert werden, dass Philippus den Mann taufte, ohne dass dieser zuvor seinen Glauben bekannt hatte.[73]

Der um die Mitte des 2. Jh. in Rom wirkende Philosoph und Theologe Justin schildert in seiner formell an Kaiser Antoninus Pius gerichteten »Apologie« das Taufgeschehen (apol. 1,61–65):[74] Diejenigen, die von der Wahrheit der Glaubensverkündigung überzeugt werden und versprechen, ihr Leben danach auszurichten, beten und fasten, und sie bitten Gott um Vergebung für die früheren Verfehlungen – zur Taufe gehört jetzt also, wie schon bei Johannes dem Täufer, der Aspekt der Sündenvergebung. »Wir« beten und fasten gemeinsam mit den Täuflingen, die dann ein »Bad« (λουτρόν) nehmen »auf den Namen des Vaters und Jesu Christi und des Heiligen Geistes«. Vermutlich wurde die Taufformel beim Vollzug der Taufe gesprochen; dass der Täufling oder die anwesende Gemeinde dabei ein Bekenntnis ablegt, wird nicht gesagt.[75]

2. Anlass für das Bekenntnis konnten innergemeindliche Konflikte sein. Ein besonderer Konflikt spiegelt sich in dem wahrscheinlich in einer späteren Phase des frühen Christentums verfassten Ersten Johannesbrief,[76] wo es in 2,23 heißt: »Jeder, der den Sohn verleugnet, |43|hat auch den Vater nicht, wer den Sohn bekennt (ὁ ὁμολογῶν τὸν υἱόν), der hat auch den Vater.« Es gab offenbar Christen, die den irdischen Jesus als Sohn Gottes ablehnten und denen deshalb gesagt wurde, dass sie damit zugleich Gott verleugneten.[77] Zugleich wird gesagt, dass das Bekenntnis zum Sohn zugleich das Bekenntnis zu Gott als dem Vater mit einschließt.

In 1 Joh 4,15 wird gesagt: »Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist (ὃς ἐὰν ὁμολογήσῃ ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ), in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott.« Hier zeigt sich möglicherweise Kritik an Christen, die den Gedanken der Einheit des Menschen Jesus mit Gott nicht akzeptierten.[78] Offenbar gab es auch Christen, die die Vorstellung ablehnten, Jesus sei wirklich Mensch gewesen; das zeigt die Feststellung im Zweiten Johannesbrief (V. 7): »Viele Irrlehrer sind in die Welt hinausgegangen, die nicht bekennen, dass Jesus Christus im Fleisch kommt.«[79] Der ausdrücklich als Irrlehre bezeichnete »Doketismus«, demzufolge Jesus nur einen Scheinleib gehabt habe und folglich gar nicht wirklich gestorben sei, gewann im Laufe des 2. Jh. zunehmend an Einfluss; er wurde dann aber mehrheitlich zurückgewiesen, und durch das im Jahre 325 vom Konzil in Nicäa beschlossene und 381 in Konstantinopel modifizierte Glaubensbekenntnis wurde diese Lehre verworfen.[80]

3. Eine entscheidende Rolle spielte das Bekenntnis in der Beziehung nach außen, zumal in Situationen der Verfolgung. Da der christliche Glaube einen Ausschließlichkeitsanspruch erhob, die Verehrung anderer Götter also nicht in Frage kam, und da die Christen, im Unterschied zu den Juden, eine »neue« Gruppe waren, musste es zu Konflikten mit der Umwelt kommen. Deren Schärfe wurde allerdings erst im Laufe der Zeit deutlicher, denn im 1. Jh. n. Chr. gab es mit Ausnahme der Aktionen Neros gegen die Christen nach dem Brand Roms im Jahre 64 wohl noch keine größeren Christenverfolgungen.[81] Aber zu Beginn des 2. Jh. n. Chr. zeigt sich eine veränderte Situation. Um das Jahr 110 schreibt Plinius der Jüngere, Statthalter der am |44|Schwarzen Meer gelegenen römischen Provinz Pontus und Bithynien, einen Brief an Kaiser Trajan, in dem er um Weisungen bittet, wie bei Anzeigen gegen Christen zu verfahren sei:[82] Ist das Christsein als solches (nomen ipsum) strafbar oder erst die damit möglicherweise verbundenen Verbrechen (flagitia cohaerentia nomini)? Bisher habe er, so berichtet Plinius, diejenigen, die ihm als Christen angezeigt wurden, gefragt, ob sie Christen seien; wer das bejahte und auch nach mehrmaligem Befragen dabei blieb, sei verurteilt worden – »denn Eigensinn und unbeugsame Halsstarrigkeit glaubte ich auf jeden Fall bestrafen zu müssen« (ep 10, 96,4). Diejenigen jedoch, die leugneten, Christen zu sein, habe er freigelassen, nachdem sie, wie er dem Kaiser schreibt, »nach einer von mir vorgesprochenen Formel unsere Götter angerufen hatten und vor Deinem Bild, das ich zu diesem Zweck zusammen mit den Statuen der Götter hatte bringen lassen, mit Weihrauch und Wein geopfert und außerdem Christus verflucht hatten«, nachdem sie also Dinge getan hatten, »zu denen wirkliche Christen sich angeblich nicht zwingen lassen« (quorum nihil cogi posse dicuntur, qui sunt re vera Christiani, 96,5). Das Bekenntnis der Christen bestand also darin, die Verehrung der Götter und des Kaisers zu verweigern und sich auf Christus zu berufen.

Über die religiöse Praxis berichtet Plinius, ehemalige Christen hätten ihm erklärt, dass »ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum« darin bestand, sich an einem bestimmten Tag früh am Morgen zu versammeln und Christus als ihrem Gott (Christo quasi deo) einen Lobgesang darzubringen. Außerdem hätten sie sich verpflichtet, Diebstahl, Raubüberfall oder Ehebruch nicht zu begehen, ein gegebenes Wort nicht zu brechen und eine angemahnte Schuld nicht abzuleugnen; die Praxis gemeinsamer Mahlzeiten hätten sie, dem kaiserlichen Verbot der hetaeriae folgend, aufgegeben.[83] Plinius schreibt, er habe zwei als »Diakone« bezeichnete Mägde (ancillae, quae ministrae |45|dicebantur)[84] foltern lassen, aber nichts anderes gefunden als »einen wüsten, maßlosen Aberglauben« (96,8). »Aberglaube«, superstitio, war in römischer Sicht allerdings nicht eine harmlose Spinnerei, sondern dieser Begriff bezeichnete ein als absurd angesehenes Denken, das dem öffentlichen Interesse zuwiderlief und folglich bekämpft werden musste.[85]

 

Trajan antwortet (10, 97,1–2), wer als Christ überführt worden sei, müsse bestraft werden; wer es aber leugnet und das »durch die Anrufung unserer Götter auch beweist«, soll auf Grund seiner Reue Verzeihung erhalten (veniam ex paenitentia impetret). Anonym eingereichten Klagen darf die Behörde nicht nachgehen, »denn das wäre ein schlimmes Beispiel und passt nicht in unsere Zeit« (nam et pessimi exempli nec nostri saeculi est).

4. Aus dem protokollartigen Bericht von dem römischen Gerichtsverfahren gegen Justin und seine Gefährten[86] geht hervor, dass sich in der Situation der Verfolgung das Bekenntnis sogar auf einen Satz beschränken kann: »Ich bin Christ«, Christianus sum. Der Stadtpräfekt Rusticus fordert Justin auf, den Göttern zu gehorchen und sich dem Kaiser zu unterwerfen (2,1). Damit verlangt er aus seiner Sicht kein besonderes »Bekenntnis«, aber er erwartet einen Akt der Loyalität, den man nicht verweigern darf, dem man sich aber auch nicht zu entziehen braucht, weil die Verehrung der anderen Götter selbstverständlich erlaubt bleibt. Als Justin unter Berufung auf die von Christus gegebenen Gebote diese Forderung zurückweist, fragt ihn der Präfekt, welche Lehre (griech. δόγμα) er vertritt (2,4), und jetzt ist die von Justin gegebene Antwort ein ausführlich formuliertes Bekenntnis: »Wir verehren den Gott der Christen, und wir sind überzeugt, dass ein einziger Gott ist, der die ganze Welt geschaffen hat. Wir bekennen uns zu dem Herrn Jesus Christus als dem Sohn Gottes, der von den Propheten vorausverkündigt worden war als kommender Verkündiger der Rettung aller Menschen und als Lehrer aller Wahrheiten.« In 3,4 fasst der Präfekt das Verhör Justins in der Frage zusammen: »Bist du ein Christ?«, und dieser antwortet: |46|»Ja, ich bin ein Christ« (Ναί, Χριστιανός εἰμι). Jeder seiner Gefährten schließt sich an (4,1–8), und als schließlich Liberianus nach seiner Frömmigkeit gefragt wird, antwortet dieser: »Auch ich bin ein Christ. Ich fürchte und verehre den einen, wahren Gott« (εὐσεβῶ γὰρ καὶ προσκυνῶ τὸν μόνον ἀληθινὸν θεόν). Als die Angeklagten nochmals aufgefordert werden, den Göttern zu opfern, sagt Justin, dass kein richtig denkender Mensch von der (wahren) Frömmigkeit abfällt zur Gottlosigkeit (οὐδεὶς εὖ φρονῶν ἀπὸ εὐσεβείας εἰς ἀσέβειαν μεταπίπτει, 5,4). Angesichts der Todesdrohung sprechen die Angeklagten von ihrer Zuversicht, vor dem Richterstuhl Christi zu bestehen, sagen nochmals, dass sie Christen sind und den Götzen nicht opfern (εἰδώλοις οὐ θύομεν, 5,7). Daraufhin verurteilt der Präfekt sie zum Tode, und sie werden enthauptet.

In solchen Martyriumsberichten ist sicher nicht jede Einzelheit historisch zuverlässig; klar ist aber, dass die Verfolgung der Christen nicht deshalb erfolgte, weil man ihnen konkrete Straftaten zur Last legte, sondern sie erfolgte auf Grund des Bekenntnisses, das es den Christen unmöglich machte, den Göttern und dem Kaiser religiöse Verehrung zu erweisen.

6. Das Verhältnis von Glaube und Leben

Welche Bedeutung das Bekenntnis für das alltägliche Leben der Christen im 1. und 2. Jh. hatte und wie sich dieses Leben von dem der Mehrheitsgesellschaft unterschied, ist nur schwer zu sagen; die uns zur Verfügung stehenden Quellen gewähren uns kaum einen Blick in die Alltagswelt, weil beispielsweise private Briefe von Christen aus dieser Zeit nicht erhalten sind. Die summarischen Schilderungen des Lebens der Jerusalemer Urgemeinde, die die Apostelgeschichte bietet, sind zumindest idealisierend. So heißt es in 2,44f.: »Alle Glaubenden aber hielten zusammen und hatten alles gemeinsam; Güter und Besitz verkauften sie und gaben von dem Erlös jedem so viel, wie er nötig hatte.« In 4,32 schreibt Lukas: »Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele, und nicht einer nannte etwas von dem, was er besaß, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.« Dass dies aber wohl doch nicht der Regelfall war, zeigt die Geschichte des aus Zypern stammenden Leviten Joseph Barnabas, von dem ausdrücklich gesagt wird, er habe ein Grundstück verkauft und den Erlös der Gemeinde gestiftet (4,36f.).

|47|In ihrer sozialen Zusammensetzung entsprachen die christlichen Gemeinden vermutlich den örtlichen Verhältnissen (vgl. 1 Kor 1,26–31).[87] Dass Christen bestimmte Berufe nicht ausüben konnten oder wollten und dass sie womöglich Theateraufführungen oder Sportveranstaltungen nicht besuchten, lässt sich für die Frühzeit nicht zeigen. Ehen mit »heidnischen« Partnern sollten möglichst nicht geschlossen werden, wie Paulus rät (vgl. 1 Kor 7,39), aber bestehende »Mischehen« sollten nicht aufgelöst werden (1 Kor 7,1–14). Es ist aber zu vermuten, dass es in den Gemeinden zu solchen Fragen unterschiedliche Positionen gab.[88]

Gegen Ende seines langen Briefes nach Rom spricht Paulus den Wunsch aus, »der Gott der Geduld und des Trostes« möge den Adressaten gewähren, dass sie »untereinander eines Sinnes sind, nach dem Vorbild Jesu« (ὁ δὲ θεὸς […] δῴη ὑμῖν τὸ αὐτὸ φρονεῖν ἐν ἀλλήλοις κατὰ Χριστὸν Ἰησοῦν, 15,5), damit sie auf diese Weise »einmütig mit einem Munde« Gott loben ([…] ἵνα ὁμοθυμαδὸν ἐν ἑνὶ στόματι δοξάζητε τὸν θεὸν, V. 6). Dieser Wunsch ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass es in der Gemeinschaft der Glaubenden durchaus erhebliche Konflikte geben konnte. Paulus zieht in V. 7 die sehr konkrete Folgerung: »Nehmt also einander an (προσλαμβάνεσθε ἀλλήλους), wie auch Christus euch angenommen hat, zur Ehre Gottes«; darin ist mehr enthalten als ein schlichtes »Seid nett zueinander«. Paulus rechnet durchaus mit innergemeindlichen Konflikten, wobei die Aussagen in V. 8–12 erkennen lassen, dass es solche Konflikte offenbar auch im Verhältnis zwischen Christen jüdischer und Christen nichtjüdischer Herkunft gab.[89] Der abschließende V. 13 hebt dann aber wieder die Gemeinsamkeit hervor: »Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit |48|aller Freude und allem Frieden im Glauben, den er euch schenkt, und ihr werdet im Überfluss teilhaben an der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.«[90] Der den ganzen Gedankengang einleitende Wunsch »Nehmt einander an« (V. 7) ist also ein Appell zur Verständigung in Konfliktsituationen.

Schon zuvor hatte Paulus zwei grundsätzlich mögliche Konflikte erwähnt, die vielleicht sogar in Rom virulent waren (Kap. 14):[91] Es konnte Streit geben über religiös begründete Speisevorschriften (V. 2–4), weil manche Christen den Verzehr von Fleisch ablehnten. Wenn Paulus schreibt: »Der eine glaubt, alles essen zu dürfen, der Schwache aber isst nur Pflanzliches« (V. 2), dann hat er offenbar die jüdischen Speisegebote im Blick; der Verzicht auf Fleischspeisen gewährleistet jedenfalls, dass man nichts Unreines zu sich nimmt. Auch die Bedeutung bestimmter Tage bzw. Termine steht offensichtlich zur Diskussion: »Der eine nämlich unterscheidet zwischen den Tagen, der andere aber beurteilt jeden Tag gleich« (V. 5a); dabei geht es vermutlich um die Beachtung der jüdischen Festtage, vielleicht vor allem um den Sabbat. Paulus hatte den ganzen Gedankengang eingeleitet mit der Aufforderung an die Adressaten, sie sollten den »im Glauben Schwachen« annehmen (14,1: τὸν δὲ ἀσθενοῦντα τῇ πίστει προσλαμβάνεσθε) und nicht über (unterschiedliche) Meinungen in Konflikte geraten (μὴ εἰς διακρίσεις διαλογισμῶν). Der religiös begründete Fleischverzicht ist für ihn anscheinend ein Zeichen der »Schwäche« des Glaubens,[92] aber er mahnt (V. 3): »Wer isst, soll den nicht verachten, der nicht isst; wer aber nicht isst, soll den nicht richten, der isst; denn Gott hat ihn angenommen (ὁ θεὸς γὰρ αὐτὸν προσελάβετο)«.[93] Hinsichtlich der (Fest?-)Termine nimmt Paulus keine Wertung vor, aber er ruft dazu auf (V. 5b), jeder solle seiner Überzeugung treu bleiben (ἕκαστος ἐν τῷ ἰδίῳ νοῒ πληροφορείσθω). Dann stellt er in V. 6 fest: »Wer den Tag beachtet, der tut es vor dem Herrn |49|(ὁ φρονῶν τὴν ἡμέραν κυρίῳ φρονεῖ). Und wer isst, der isst vor dem Herrn, denn er dankt Gott dabei (καὶ ὁ ἐσθίων κυρίῳ ἐσθίει, εὐχαριστεῖ γὰρ τῷ θεῷ). Und wer nicht isst, der tut auch das vor dem Herrn, und er dankt Gott (καὶ ὁ μὴ ἐσθίων κυρίῳ οὐκ ἐσθίει, καὶ εὐχαριστεῖ τῷ θεῷ).« Wie die Adressaten in Rom diesen Appell zu innergemeindlicher Toleranz aufgenommen haben, wissen wir nicht; aber sie haben den Brief des Paulus aufbewahrt und anderen Gemeinden zugänglich gemacht, und so sind uns diese Worte des Apostels erhalten geblieben.

Es gab auch Grenzen der innergemeindlichen Toleranz. In 1 Kor 5 verlangt Paulus, die Gemeinde müsse sich von einem Mann trennen, der mit der Frau seines Vaters in offenbar eheähnlicher Gemeinschaft zusammen lebt;[94] Paulus sieht darin eine sexuelle Verfehlung (πορνεία), wie sie – so schreibt er – »nicht einmal bei den Heiden vorkommt«. Daher könne der betreffende Mann auf keinen Fall Mitglied der Gemeinde bleiben, sondern er müsse »dem Satan übergeben« werden (V. 5).[95] Auch hier wissen wir nicht, wie die Gemeinde auf diese scharfe Kritik reagiert hat. Im Galaterbrief verteidigt Paulus die Wahrheit des Evangeliums, wie er sie sieht; er spricht sogar einen Fluch aus über jeden, dessen Botschaft zu dieser Wahrheit im Widerspruch steht (Gal 1,6–9). In dem in Galatien aktuellen Konflikt über die Geltung der Tora (Gal 3.4) und speziell die Beschneidung (5,2–12) geht es aus der Sicht des Paulus nicht um Detailfragen, sondern es steht die Substanz der Evangeliumsbotschaft auf dem Spiel.[96] Der Fluch, so schreibt Paulus emphatisch, muss auch ihn selber treffen oder sogar einen Engel vom Himmel, sofern sie »ein anderes Evangelium« predigen würden (Gal 1,8f.).[97] Auch hier wissen wir nicht, |50|welche Wirkung Paulus mit seinem Brief in den galatischen Gemeinden erreicht hat; aber der Brief ist immerhin erhalten geblieben und weitergegeben worden.

Der vermutlich gegen Ende des 1. Jh. geschriebene 1. Petrusbrief zeigt, dass Christen um ihres Glaubens willen Anfeindungen ausgesetzt sind – in diesem Fall nicht seitens der Behörden, sondern aus der unmittelbaren Nachbarschaft.[98] Der Verfasser mahnt (2,12): »Führt ein wohlgefälliges Leben unter den Völkern (τὴν ἀναστροφὴν ὑμῶν ἐν τοῖς ἔθνεσιν ἔχοντες καλήν), damit sie, während sie euch als Übeltäter (κακοποιῶν) schmähen, durch eure guten Taten (ἐκ τῶν καλῶν ἔργων) zur Erkenntnis kommen und Gott preisen am Tag der Heimsuchung (δοξάσωσιν τὸν θεόν ἐν ἡμέρᾳ ἐπισκοπῆς).« Die Kritiker des Christentums, dessen ist der Briefautor gewiss, werden am Tag des Endgerichts die Wahrheit des christlichen Glaubens bezeugen müssen. Unmittelbar danach (2,13–17) werden die Leser[99] aufgerufen, die staatliche Ordnung zu respektieren, wobei der Verfasser den Kaiser[100] und die von ihm abhängigen Statthalter (ἡγεμόνες) nennt; dass die »göttliche« Würde des Kaisers nicht anerkannt werden kann, braucht gar nicht gesagt zu werden. Paulus hatte im Römerbrief (13,1–7) geschrieben, die »obrigkeitlichen Gewalten« (ἐξουσίαι ὑπερεχοῦσαι) seien Dienerin Gottes (θεοῦ γὰρ διάκονός ἐστιν), aber gerade diese Formulierung machte deutlich, dass den ἐξουσίαι göttliche Qualität gerade nicht zukommt.[101] In 1 Petr 3,15b fordert der Autor die Adressaten auf: »Seid stets bereit, jedem zu antworten (πρὸς ἀπολογίαν), der von euch Rechenschaft (λόγος) fordert über die Hoffnung, die in euch ist.« Christen sollen nicht nur wissen, was sie glauben und worauf |51|sie hoffen, sondern sie sollen auch imstande sein, den Inhalt ihres Glaubens und ihrer Hoffnung anderen mitzuteilen. Vielleicht war es für die Christen schon damals nicht leicht, über den eigenen Glauben Auskunft zu geben.

Christen bekennen sich zu Jesus als dem »Herrn«; niemandem sonst steht dieser Titel zu, insbesondere auch nicht dem Kaiser. Die Christen bleiben aber innerhalb der Gesellschaft, in der sie leben;[102] sie bilden zwar eigene Gemeinden, aber es gibt kein »christliches Volk« und sie streben nicht einen christlichen Staat an. Der Gedanke, Christen könnten oder müssten politische Verantwortung übernehmen, war in den ersten Jahrhunderten jenseits aller Vorstellungen. Ein bemerkenswertes Zeugnis für das ambivalente Verhältnis der Christen zu der sie umgebenden Gesellschaft und für ihr Selbstverständnis ist eine vermutlich im 2. Jh. verfasste apologetische Schrift, die an einen uns sonst unbekannten Mann namens Diognet adressiert ist, aber keinen Verfassernamen nennt.[103] »Christen«, so heißt es in Diog 5,1–2.4, »sind weder durch ein Land noch durch eine Sprache noch durch Sitten von den übrigen Menschen verschieden. […] Sie bewohnen vielmehr griechische und auch barbarische Städte, wie immer es einen jeden traf, und sie folgen den einheimischen Sitten in Kleidung und Essen und in der übrigen Lebenspraxis.« Die Christen sind also in die Gesellschaft integriert, aber sie grenzen sich auch ab (5,5): »Sie bewohnen jeder sein Vaterland, aber wie Nichtbürger (πατρίδας οἰκοῦσιν ἰδίας, ἀλλ’ ὡς πάροικοι); sie haben an allem Anteil wie Bürger, und alles erdulden sie wie Fremde (μετέχουσι πάντων ὡς πολῖται, καὶ πάνθ’ ὑπομένουσιν ὡς ξένοι).« Sehr konkret heißt es weiter: »Sie heiraten wie alle und bekommen Kinder; aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus«,[104] und dann folgt der Satz: »Einen gemeinsamen Tisch stellen |52|sie auf, aber nicht ein (gemeinsames) Bett.« Der »gemeinsame Tisch« (τράπεζα κοινή) meint wohl nicht allein das Abendmahl, sondern generell gemeinsame Mahlzeiten; die Bemerkung über das Bett (κοίτη) bezieht sich sicherlich auf die Ehe bzw. auf die von Christen anerkannten Maßstäbe im Bereich der Sexualität. Der Verfasser schreibt: »Auf Erden weilen sie, aber im Himmel haben sie Bürgerrecht (ἐπὶ γῆς διατρίβουσι, ἀλλ’ ἐν οὐρανῷ πολιτεύοντα, 5,9)«, und damit nimmt er offenbar Phil 3,20 (»unser Bürgerrecht ist im Himmel« – ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει)[105] auf, womit nochmals gesagt ist, dass es »christliche Städte« nicht gibt und auch nicht geben kann. Betont wird aber auch, dass die Christen den geltenden Gesetzen gehorchen (πείθονται τοῖς ὡρισμένοις νόμοις) und »mit der ihnen eigenen Lebensweise diese Gesetze sogar überbieten (καὶ τοῖς ἰδίοις βίοις νικῶσι τοὺς νόμους, 5,10)«. Der Verfasser stellt aber auch fest, dass die heidnische Umgebung darauf mit Unverständnis reagiert und mit Verurteilung (ἀγνοοῦνται, καὶ κατακρίνονται, 5,12). Wenn er schreibt: »Sie werden getötet, und sie werden lebendig gemacht (θανατοῦνται, καὶ ζωοποιοῦνται)«, dann will er offenbar zeigen, dass die Christen diese Verfolgungen deshalb zu ertragen vermögen, weil sie die Gewissheit ihrer Auferstehung haben.[106]

 

Der Missions- und Taufauftrag des auferstandenen Christus am Ende des Matthäusevangeliums enthält die Weisung an die Jünger, sie sollten die Getauften »lehren, alles zu halten, was ich euch geboten habe« (Mt 28,20), was sich auf die im Evangelium überlieferten Taten und vor allem auf die Worte Jesu bezieht. Gleichwohl werden diejenigen, die an Christus glauben und sich zu ihm bekennen, nicht in allen Fragen des Lebens ein- und derselben Meinung sein, sie werden aus ihrem Glauben nicht durchweg dieselben Konsequenzen ziehen. Es gibt kein für alle Glaubenden verbindliches »christliches« Handeln; es wäre ein Missverständnis, würde man den Glauben mit bestimmten unveränderlichen Handlungsnormen verknüpfen und dann womöglich sagen, der Glaube sei abhängig von der Einhaltung dieser Normen.

|53|Es gibt aber ein durch den Glauben begründetes Handeln. Paulus schreibt im Galaterbrief, dass in Christus »weder Beschneidung noch Vorhaut« Bedeutung hat, sondern vielmehr der »Glaube, der in der Liebe wirksam ist« (5,6). Christen sollen fähig sein, über ihren Glauben und über dessen Konsequenzen Auskunft zu geben; sie sollen aber auch miteinander ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben. Der christliche Glaube bezieht sich kritisch und selbstkritisch auf seine eigene Überlieferung; so können die Glaubenden erkennen, wann und wo sie womöglich von der richtigen Spur abweichen und wie sie in diese Spur zurückfinden können. Das ist der Sinn des ständigen Rückgriffs auf die Bibel, also auf die Anfänge der christlichen Überlieferung und auf das Bekenntnis als eine Art der Auslegung der biblischen Tradition. Die Texte sind immer wieder neu zu lesen und neu auszulegen. Ihre Aussagen dürfen nicht jeweils der Gegenwart angepasst werden;[107] aber es kommt darauf an, die Aussagen in der jeweiligen Gegenwart immer wieder neu auszulegen, damit sie verstanden und weitergegeben werden können. Deshalb ist es sinnvoll und geboten, stets aufs Neue nach dem Glauben und nach dem Bekenntnis der frühen Christenheit zu fragen.[108]