Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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|103|Der Glaube an einen persönlichen und universalen Christus Jesus

Martin Leiner

1. Die Rede von Christus als Glaubensaussage

Diese Tagung trägt den Titel »die Rede von Christus als Glaubensaussage«. Auch wenn der Zweite Artikel des Apostolikums das »ich glaube« nicht noch einmal eigens wiederholt, gehe ich davon aus, dass es nicht ganz überflüssig ist, zum Thema des Glaubens einige Überlegungen aus systematisch-theologischer Sicht vorauszuschicken.

Es geht im Apostolikum um ein Glauben an: Gott Vater, Jesus Christus, den Heiligen Geist. Erst am Schluss, wenn es heißt: »Ich glaube die christliche Kirche […]« bis hin zum ewigen Leben kann man erwägen, ob es um einen Glauben an heilvolle Realitäten wie die Kirche und die genannten Heilsereignisse geht oder ob diese Realitäten im Glauben an den Heiligen Geist eingeschlossen sind. Glauben im Sinne des Glaubensbekenntnisses ist zunächst und vor allem nicht eine mindere Form des Wissens, sondern eine vertrauende Bezugnahme auf eine Person. Es wäre verfehlt, wenn man den Gegensatz überbetonen wollte, wie dies etwa Martin Buber in seiner Schrift »Zwei Glaubensweisen«[1] getan hat. In den Glauben an die trinitarische Person eingeschlossen ist der Glaube an Aussagen über diese Person. Das hebräische הֶאֱמַ֣נְתִּי (hä’äminthi), das griechische πιστεύω (pisteuō), das lateinische credo und das deutsche »ich glaube« betonen unterschiedliche Aspekte der personalen Beziehung und der mit ihr verbundenen Glaubensaussagen: Die Wurzel אמן (’mn): Das Getragen- und Gehaltensein durch eine Person[2] schließt auch die Beständigkeit und Zuverlässigkeit mit ein,[3] das griechische πιστεύω ist ohnehin zunächst das Vertrauen auf eine zuverlässige Realität,[4] wozu dann auch Personen zählen können, credo, nach einer umstrittenen Etymologie |104|von cor (»Herz«) und dare (»geben/schenken«):[5] Das Schenken des Herzens, zumindest das »Vertrauen schenken« und »ich glaube«, das »sich etwas lieb, vertraut machen«[6] schließen beide die sich auf den anderen verlassende Selbstfestlegung mit ein, wie es in den wortgeschichtlich verwandten Ausdrücken »Kredit geben« bzw. »geloben« zum Ausdruck kommt. Bekannt wird im Glaubensbekenntnis gleich in welcher Sprache immer zunächst und vor allem die Beziehung des ich – im Nizänum auch des wir – zu einer Person: Gott Vater, Jesus Christus, Heiliger Geist. Wenn sich der Glaube auf die Person Jesus Christus bezieht, dann lässt sich dies nicht vereinbaren mit einer Opposition zwischen dem irdischen Jesus und dem auferstandenen Christus. Nachdem Karl Barth eine Zeitlang die Kritik Rudolf Bultmanns an der liberalen und pietistischen Orientierung an Jesus geteilt hatte, schreibt er gegen diesen Gegensatz in KD II/2, 631: »Gott will Jesus […]. Es handelt sich beim Gehorsam gegen Gott immer darum, Jesus gehorsam zu werden und zu bleiben.« Als Menschen können wir gar nicht anders als mit dem Menschen Jesus und der Vielfalt seiner menschlichen Züge, die uns die Evangelien zeigen, in glaubende Beziehung zu treten.

2. Glaubensbekenntnis und Gesetzlichkeit

Systematischen Theologen ist die Beobachtung, dass der Glaube sich auf Personen richtet, wichtig, weil sie einem gesetzlichen Verständnis des Glaubensbekenntnisses entgegensteht. Gerhard Ebeling spricht dieses Problem wie folgt an: »Der Glaube an Jesus Christus entfaltet sich in einer Vielzahl von Aussagen. Das bringt ihn in den Geruch religiöser Gesetzlichkeit.«[7] Die Annahme aller einzelnen, vielleicht noch zerstückelten Glaubensaussagen wird zum frommen Werk. Je absurder oder schwerer verständlich die Aussage – von der |105|Jungfrauengeburt bis zur Himmel- und Höllenfahrt – umso größer ist die Leistung, die der »Glaubende« erbringen muss. Umso mehr wird das Glaubensbekenntnis Instrument der Werkgerechtigkeit und damit des Unglaubens. Man kann nach Ebeling dieser Gesetzlichkeit dadurch entgehen, dass man die christologischen Aussagen, auch in ihrer Fülle nicht als Glaubenspflicht, sondern als Ausdruck der unerschöpflichen Liebe Gottes versteht.[8] »Das ist gewissermaßen der Schlüssel zu allen christologischen Schlössern.«[9] Die beschreibenden Kennzeichnungen Jesu Christi, die wir in den Glaubensaussagen des Apostolikums vorliegen haben, sind in gewisser Weise sogar überflüssig, redundant. Im Grunde ist alles bereits im Glauben an Jesus Christus enthalten. Selbstverständlich ist Jesus Christus für jeden, der das Neue Testament kennt, derjenige über den das alles ausgesagt werden kann. Es ist ähnlich selbstverständlich für den Kenner, wie es für den Kenner nichts hinzufügt, wenn ich statt: »Ich beziehe mich auf Martin Luther«, sage: »Ich beziehe mich auf Martin Luther, den Reformator, der in Eisleben geboren ist, der in Leipzig an einer Disputation teilgenommen hat, der in Wittenberg Professor war und der in Eisleben gestorben ist.« Die Auswahl von Aussagen, die das Glaubensbekenntnis macht, scheint mir nicht darauf zu zielen, Jesus Christus besser zu identifizieren, sie hat offensichtlich auch nicht das Ziel, Vollständigkeit zu erreichen. Sehr wichtige Elemente des Lebens und der Lehre Jesu fehlen, etwa seine Beziehung zu Johannes dem Täufer, seine Predigt vom Reich Gottes, die Wunder, seine Ethik, seine Gleichnisse, die Einsetzung des Abendmahls auch die Heilsbedeutung seines Todes. Die Auswahlkriterien sind offenbar auch nicht allein zeitgenössische theologische Debatten, über das Leiden unter Pontius Pilatus sind keine solchen Debatten in der Alten Kirche bekannt. Damit wird die Frage spannend: Welches sind die Auswahlkriterien? Der Text des zweiten Artikels des Apostolikums verbindet, so meine Interpretation, die universale Bedeutung Jesu Christi mit absolut konkreten, individuellen Aussagen. Die individuellen Aussagen sind: der Name »Jesus«, er ist der »einziggeborene Sohn«, die Mutter »Maria«, »gelitten unter Pontius Pilatus«, »am dritten Tag« auferstanden. Die Universalität wird transversal als eine alle Bereiche des Seins durchlebende Geschichte erzählt: Im Nizänum noch klarer beginnt die Geburt aus Gott, dann das Erdenleben bis hin zum Tod |106|am Kreuz und zum Grab, dann tiefer noch bis in das Reich des Todes, durch die Auferstehung und die Himmelfahrt dann wieder zurück zu Gott. Die Auswahlkriterien des Apostolikums entsprechen ziemlich genau der christologischen Formel von Paul Tillich, die christliche Theologie habe in Jesus Christus eine Grundlage, die vollkommen konkret und absolut universal zugleich sei.[10]

3. Zur Frage eines Aufbrechens der Israel-Vergessenheit des Credos

Auf dieser Grundlage ergibt sich auch meine Antwort auf das von Karl-Wilhelm Niebuhr angeregte Aufbrechen der Israel-Vergessenheit des Credos. Wenn die christologischen Aussagen nicht nach der Logik der Vollständigkeit, sondern der Kombination von individueller Konkretheit und universaler Reichweite ausgewählt wurden, ist eine Erweiterung grundsätzlich möglich, wenn auch ökumenisch höchst konfliktträchtig. Auch andere Erweiterungen könnten wichtig sein. Eine Einbeziehung Israels wäre in antijudaistischen Zeiten etwa in den 1930er und 40er Jahren aus ethischer Sicht sehr wünschenswert gewesen, sie steht aber, wenn die gegebene Analyse richtig ist, quer zum Text, indem sie weder auf Individuelles noch auf Universales, sondern auf etwas Partikulares, etwas, was ein Volk und dieses allein, betrifft, abhebt.

Dahinter stehen wichtige hermeneutische Klärungen, die zwischen Neuem Testament und Systematik vorangebracht werden müssen. Das Apostolikum ist ein Text, der insofern im Gegensatz zu den paulinischen Schriften steht, als er die Israelbezogenheit in den Hintergrund treten lässt. Universales räumliches Denken setzt sich im Apostolikum gegenüber heilsgeschichtlichem, partikular-israelisches |107|unterstreichendem Denken durch. Eine hermeneutisch-kritische Grundfrage ist: Wie soll in dieser Diskrepanz entschieden werden? Welche Texte verdienen unter welchen Gesichtspunkten den Vorrang? Ein ähnliches Problem liegt auch bei dem Untertitel der jetzigen Einheit vor: Die Rede von Jesus als »Person der Trinität«, wie sie im Untertitel erscheint, ist Produkt der Dogmenbildung, sie ist als solche nicht im Neuen Testament zu belegen. Soll man sie deshalb zugunsten des neutestamentlichen Textes kritisch relativieren?

4. Die hermeneutische Aufgabe im Blick auf das Judentum und das trinitarische Dogma

Die Konkordienformel gibt eine klare Antwort auf diese Frage: »Solchergestalt wird der Unterschied zwischen der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes und allen andern Schriften erhalten, und bleibt allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein. Die anderen Symbola aber […] sind nicht Richter wie die Heilige Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie jederzeit die Heilige Schrift in streitigen Artikuln in der Kirchen Gottes von den damals Lebenden vorstanden und ausgeleget […] worden.«[11] Dieser Text scheint dazu anzuleiten, die biblischen Aussagen als etwas Statisch-Wahres (»Probierstein«) den zeitlich sich wandelnden relativen Bekenntnissen gegenüberzustellen. Der Vergleich von Wortlaut und Aussagen mit der Schrift scheint auszureichen, um zu einem Urteil über die Bekenntnisse zu kommen. Diesem vereinfachten Verständnis der Position der Konkordienformel gegenüber ist es wichtig festzuhalten, dass die biblischen Texte eine Dynamik enthalten, die von Leben, Lehre und Geschick Jesu Christi ausgeht. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, Kreise bis ans Ende des Sees zieht, so setzt Jesus Christus eine Sprach-Bewegung in Gang, die nicht schon an den Enden des biblischen Kanons aufhört. Die neutestamentlichen Schriften enthalten unterschiedlich starke Zeugnisse dieser Dynamik, manchmal auch Stagnationen und Rückschritte. Insgesamt ist das frühe Christentum aber keine Reformbewegung im |108|Judentum, sondern hat die jüdische Religion als Ganze um ein neues Zentrum, Jesus Christus, neu geordnet und interpretiert. Es findet mit dem Christentum eine semiotische Revolution statt, deren Movens die Rekapitulationsdynamik ist, bei der Signifikate neu den Signifikanten zugeordnet und alles von Christus her neu interpretiert wird.[12]

 

Bereits im Neuen Testament lassen sich deshalb auch Strömungen finden, die über das Festhalten heilsgeschichtlicher Vorzüge Israels hinausgehen und zu einem Universalismus tendieren. »In Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« (Gal 5,6) oder: »Hier ist nicht Jude noch Grieche […] denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus« (Gal 3,28). Ebenso ist die Bewegung, die zur Trinitätslehre führt, bereits im Neuen Testament angelegt. Jesus Christus wird mit dem Titel Herr, Kyrios und sogar »Gott« (Röm 9,5) bezeichnet. Kyrios ist in der Septuaginta die Wiedergabe für den Gottesnamen. Die Rekapitulationsdynamik geht schon sehr früh so weit, dass Christus mit Jahwe identifiziert wird. Dasselbe wird in 2 Kor 3,17 auch vom Geist ausgesagt: »Der Herr (ὁ κύριος) ist der Geist.« Damit sind die Grundlagen für den Trinitätsglauben gelegt, auch wenn die Begrifflichkeit des trinitarischen Dogmas erst in einem anderen Kontext und Jahrhunderte später festgelegt wird.

Eine Hermeneutik, die die Dynamik der Texte aufnimmt, kann deshalb nicht durch Abgleich von Aussagen vorgehen, sondern sie muss die von Christus als der Mitte des Neuen Testaments bestimmte Dynamik verstehen und legitime Dynamiken innerhalb und außerhalb des Kanons von unakzeptablen Dynamiken sowie von Stagnation und Rückschritten unterscheiden. Das Evangelium ist eine »Kraft zur Rettung« (δύναμις εἰς σωτηρίαν, Röm 1,16), keine Sammlung statischer Wahrheiten. Kriterium für die Prüfung solcher Dynamiken ist, ob und inwieweit sie Jesus Christus entsprechen und ob und inwieweit sie als Evangelium, als frohe Botschaft von der Liebe Gottes, rezipiert werden können. Im Rahmen dieses Vortrags habe ich nicht die Zeit, dies im Einzelnen auszuführen. Man kann aber zeigen, dass das trinitarische Dogma eine sinnvolle Darstellung der von Jesus ausgehenden |109|Rekapitulationsdynamik ist. Das Hauptargument ist soteriologisch: Nur wenn Gott in Christus als Mensch erschienen ist, hat er unsere Existenz und ihre Bedingungen angenommen. Wenn nur das Angenommene geheilt und gerettet werden kann, dann lässt sich Heil nur auf der Grundlage der Trinitätslehre denken.[13] Dem Heiligen Geist muss dabei auch die Identität mit Gott zuerkannt werden, weil er den einzelnen Christen in das Heil einbezieht.

5. Jesus Christus, seinen einigen Sohn, unseren Herrn – gedeutet von Gottes Liebe und der Menschlichkeit Jesu aus

»Ist Jesus gleichsam der Text, so ist Christologie das Entziffern, das Vorlesen und das Auslegen dieses Textes.«[14] Geht man von diesem Grundsatz Gerhard Ebelings aus, dann bietet es sich an, die Bekenntnisaussagen von Leben, Lehre und Geschick Jesus aus zu entwickeln. Mit diesem Ausgehen von Jesus von Nazareth, seinem biblischen Bild und den historischen Rekonstruktionen, ergibt sich die Möglichkeit, dass Gott in Christus für uns menschlich erfahrbar wird. Für unsere Passage heißt dies: Jesus wird als der Christus bekannt, weil er sich sehr intensiv mit Messiaserwartungen seiner Zeitgenossen auseinandersetzen musste, was auch dazu führte, dass er als angeblich falscher Messias gekreuzigt wurde. Jesus als Messias zu bekennen, bedeutet, für ihn Partei zu ergreifen gegen andere Messiasbilder und gegen diejenigen, die ihn verurteilt haben. Entsprechend der Rekapitulationsdynamik ist nun von Jesus aus semantisch zu füllen, was mit Messias gemeint ist. Auch die messianischen alttestamentlichen Verheißungen werden von ihm aus legitimiert, kritisiert und interpretiert. So ist Jesus leicht zu identifizieren mit dem messianischen Zitat von Jes 42,7, durch das das Lukasevangelium Jesu öffentliches Auftreten charakterisiert (Lk 4,18f.). Jesus ist der Messias der liebenden Zuwendung an die Schwachen, Armen, Zerschlagenen.

Dass Jesus Gottes einiger, einziger oder heute völlig unverständlich: »eingeborener« Sohn ist, lässt sich dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1–12 par.) folgend dahingehend verstehen, dass Jesus der einmalige Repräsentant von Gott selbst auf Erden |110|war. Die Inkarnation Gottes hängt mit seiner Wortverkündigung zusammen: »Für die Menschwerdung Gottes kann es nicht als zufällig und nebensächlich gelten, daß Jesus verkündigend auftrat. […] Aus seinem Menschsein ist nicht wegzudenken, dass er sich darein verströmte und sein Leben dafür einsetzte, Gott den Menschen auszusagen und zuzusagen.«[15]

Dass Jesus Christus unser Herr ist, verbindet sich nicht nur mit dem Gottesnamen des Alten Testaments, sondern auch mit einer Kritik anderer Herren. Auch wenn andere Herren und Mächte auf uns Einfluss haben, so ist doch nur er unser Herr.

In diesem Sinne, kann Gerhard Ebeling, der Kirchengeschichtler, der auch Neutestamentler und Systematischer Theologe war, Neutestamentler und Systematiker in der Christologie zusammenbringen und uns zum Achten auf die Menschlichkeit Jesu hinweisen. Um der ethischen Dimension gerecht zu werden, müsste man über Ebeling hinaus natürlich auch Bonhoeffer, von dem Ebeling leider so wenig übernommen hat, mit hineinnehmen. Um ein Beispiel zu geben: Bei der Versöhnung durch Christus ist es aus dieser Sicht nicht so grundlegend oder entscheidend, ob – wie eine wichtige Debatte in der neutestamentlichen Forschung der letzten Dekaden diskutierte – der Bildbereich des Jom Kippur oder der Kaiserideologie prägend ist. Es ist auch nicht so wichtig, welchem der drei Typen der Versöhnungslehre von Gustaf Aulén zu folgen ist, wie dies immer noch von Systematikern diskutiert wird. Sondern man kann davon ausgehen, dass der Mensch Jesus Feindesliebe und Verzeihung gepredigt hat und dass man von ihm erzählen konnte, dass er am Kreuz noch für seine Feinde gebetet habe: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 22,34). Aus diesem Geschehen ergibt sich alles Weitere und in ihm teilt Gott selbst sich mit. Erfahrbar wird die Glaubwürdigkeit der Versöhnung in der Nachfolge, in der Menschen Feindesliebe und Verzeihung praktizieren.

Fußnoten

1

Vgl. M. BUBER, »Zwei Glaubensweisen«, in: Martin Buber Werkausgabe IX, Schriften zum Christentum, hg.v. K.-J. Kuschel, Gütersloh 2011, 202–312.

2

Vgl. A. WEISER verweist in πιστεύω κτλ. B, ThWNT 6 (1959), 182–197, 183, auf das »Kind, das im Gewandbausch getragen wird« (Jes 60,4).

3

Vgl. H. WILDBERGER, אמן, THAT 1 (1978), 178–210.178.

4

Vgl. R. BULTMANN, πιστεύω κτλ., ThWNT 6 (1959), 174–182.197–230.

5

Zur Vielfalt des lateinischen credere vgl. K.E. GEORGES/H. GEORGES, Ausführliches Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Darmstadt 1995 (Nachdruck der Ausgabe von 1913), 1737–1743.

6

T. SCHNEIDER verweist in seinem Buch: Was wir glauben. Eine Auslegung des apostolischen Glaubensbekenntnisses, Düsseldorf 51998, 23f., Anm. 13, auf die Etymologie: »Das gotische ›galaubjan‹, das althochdeutsche ›giloubo‹, das mittelalterliche ›gelouben‹ sind in ihrer Grundbedeutung ›sich etwas lieb machen, sich vertraut machen‹ stammverwandt mit dem Adjektiv ›lieb‹.«

7

G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens II. Tübingen 1979, 128; vgl. auch für die folgenden Gedanken a.a.O., 129.

8

A.a.O., 129.

9

Ebd.

10

Vgl. P. TILLICH, Systematische Theologie I, Stuttgart 1955, 37. Vgl. dazu den Kommentar von Andreas Rößler: »Jesus als der Christus ist der ›konkrete‹ oder auch ›inkarnierte Logos‹ […]. Der ›universale Logos‹ ist ontologisch ›universal‹ im Sinne von ›allumfassend‹, und er ist erkenntnistheoretisch ›universal‹ im Sinn der universalen Offenbarung Gottes. Der ›konkrete‹ oder ›inkarnierte Logos‹ wiederum, in dem sich der universale Logos in äußerster Dichte manifestiert hat, ist das Kriterium, der Maßstab dafür, ob eine behauptete Manifestation des Wesens und Wirkens Gottes wirklich authentisch ist oder ob es bei der bloßen Behauptung bleibt« (A. RÖSSLER, Der Christus und die zweite Person der Trinität. Zur universalen Perspektive in Paul Tillichs Christologie, IYTR 6, Berlin/Boston 2011, 61–87, 75).

11

Liturgische Konferenz (Hg.), Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998, 769.

12

Zu diesem Konzept vgl. M. LEINER, Die Entstehung des Christentums als semiotische Revolution, IYTR 6, Berlin/Boston 2011, 163–186, und DERS., Rekapitulation des israelischen Zeichensystems, Rekapitulation der Welt, Rekapitulation der menschlichen Seele als Person, in: P. Lampe/H. Schwier (Hg.), Neutestamentliche Grenzgänge. Symposion zur kritischen Rezeption der Arbeiten Gerd Theißens, Göttingen 2010, 140–160.

13

Vgl. A. KÄFER, Inkarnation und Schöpfung. Schöpfungstheologische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth, Berlin/New York 2010.

14

G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens II, Tübingen 1979, 10.

15

A.a.O., 91.

|111|Reflexionen und Impulse zur Diskussion

Georg Neugebauer

In der zur Diskussion stehenden Formel aus dem zweiten Artikel des Apostolikums ist der Prozess einer religiösen und theologischen Selbstverständigung altkirchlicher Glaubensgemeinschaften zum Abschluss gekommen. Zwar lassen sich alle Elemente, die darin Erwähnung finden, auf die neutestamentliche Überlieferung zurückführen. Die Hoheitstitel sind allesamt biblisch belegt. Sodann bekannte Petrus gegenüber Jesus: σὺ εἶ ὁ χριστός (»du bist der Christus«). Auch der Sohnestitel findet vielfach Verwendung. Selbiges gilt von der Bestimmung, dass Jesus der Herr sei. Und schließlich ist auch der Ausdruck μονογενής (»ein[zig]geboren«) in Joh 1,14 festgehalten. Aber auch wenn diese Elemente ihr Fundament im Neuen Testament besitzen, finden sie sich dort nicht in so geballter Form zusammengestellt wie im Apostolikum. Die Formel und an Jesus Christus, seinen einigen Sohn unsern Herrn, an deren Anfang die Verbindung zwischen dem Namen »Jesus« und dem Messiastitel steht, trägt die ganze Spannung bzw. das Paradox der Christologie in sich.[1]

Es bildet nun eine der zentralen Fragen innerhalb der Diskussion dieses Lehrstücks, welche Aspekte von Jesu Leben, seinem Auftreten und seiner Wirksamkeit in Galiläa und Jerusalem zum Grund und zum Inhalt des Glaubens gehören. Das Spektrum an Antworten reicht von der vollständigen Ausblendung des historischen Jesus bis hin zu der Auffassung, die Christologie ausschließlich von dieser Person her konzeptualisieren zu können. Karl-Wilhelm Niebuhrs Beitrag Jesus, der Israelit setzt in diesem Zusammenhang einen besonderen Akzent und betrachtet das besagte Problem aus der Perspektive des Corpus Paulinum.[2] Die überraschende Antwort, die Niebuhr gegeben hat, |112|lautet: Wesentlich ist die jüdische Herkunft Jesu. Doch will er diesen Gesichtspunkt nicht allein als einen Beitrag zum Verständnis der Theologie des Heidenapostels verstanden wissen. Vielmehr sind seine Ausführungen mit dem Ziel verbunden, die »Israel-Vergessenheit der altkirchlichen Bekenntnisse« biblisch-theologisch aufzubrechen.

 

Dass es sich dabei für Niebuhr um keinen – mit Albert Schweitzer zu sprechen – Nebenkrater des paulinischen Denkens handelt, lässt sich an dem semantischen Feld ablesen, das in diesem Zusammenhang Verwendung gefunden hat. Dass Jesus ein Israelit bzw. jüdischer Herkunft war, gehört zu den »Grundaussagen« der paulinischen Christologie und Soteriologie. Es handelt sich um »Grundmotive« bzw. »wesentliche Elemente«. Gerade der schwierige Ausdruck des Wesentlichen impliziert, dass diesem Urteil eine kritische Scheidung zugrunde liegt. Denn wenn die jüdische Herkunft Jesu für die Soteriologie und Christologie des Heidenapostels wesentlich ist, dann heißt das zugleich, dass andere Aspekte diese Qualität bzw. diesen Wert nicht besitzen können. Die Bestimmung wesentlicher Elemente setzt der Werturteilsstruktur entsprechend zugleich das Vorhandensein unwesentlicher Elemente voraus. Hieran knüpft die erste Anfrage an den Beitrag Niebuhrs an, der ich zwei weitere an die Seite stellen möchte.

1) Niebuhr setzt sich mit den Passagen, in denen sich Paulus auf die jüdische Herkunft Jesu bezieht, ausführlich auseinander. Der Bedeutungsgrad, den dieser Aspekt innerhalb der paulinischen Theologie besitzt, lässt sich m.E. aber erst dann vollständig plausibilisieren, wenn er mit anderen zentralen Elementen derselben in Beziehung gesetzt wird. So ist es doch – auch für Niebuhr – völlig unstrittig, dass etwa der Begriff des Kreuzes in der Theologie des Heidenapostels fest verankert ist. Selbiges gilt für den christologisch durchdrungenen Geistbegriff. Wie aber verhalten sich diese Dimensionen der paulinischen Christologie zu der von Niebuhr aufgeworfenen? Liegen sie auf derselben Ebene, sind sie untergeordnet oder handelt es sich um Aspekte, die sich nicht ohne Weiteres miteinander in Beziehung setzen lassen? Es wäre für das Verständnis der aufgestellten These ausgesprochen hilfreich, deren Gehalt – zumindest andeutungsweise – in dem hier beschriebenen Sinne zu kontextualisieren. Denn der |113|von Niebuhr herausgestellte Gesichtspunkt der jüdischen Herkunft Jesu berührt auch die Frage nach dessen Normativität für die Selbstverständigung des christlichen Glaubens. Hieran knüpft ein zweiter Gesichtspunkt an.

2) In der Diskussion um die Christologie wurde im 20. Jh. mehrfach mit dem Begriffspaar Faktum und Deutung/Bedeutung operiert.[3] Das Faktum wurde auf den historischen Jesus bezogen und die Frage bestand – und besteht bis zum heutigen Tage – darin, wie sich die Verknüpfung dieser historischen Gestalt mit dem Messiassymbol erklären lässt. Die Position Niebuhrs lässt sich in diese Diskussion insofern einzeichnen, als er ausdrücklich bemerkt: »Der Name Jesus definiert also den Sinn des christlichen Messiasbekenntnisses, nicht legt umgekehrt eine (oder gar ›die‹) traditionelle biblisch-jüdische Messiaserwartung fest, wie der christliche Messias auszusehen hat und was das christologische Bekenntnis bedeuten soll.« Die damit festgelegte »Leserichtung« besagt also, dass der Name »Jesus« und das damit verbundene »geschichtlich-konkrete Leben eines Juden« die entscheidende bedeutungsstiftende Funktion für die christliche Messiasvorstellung besitzt. Die biblisch-jüdische Messiaserwartung wird demgegenüber in die zweite Reihe gestellt, d.h. ihr wird keine sinnkonstituierende Funktion für das christliche Messiasbekenntnis zugebilligt. Um die Außergewöhnlichkeit dieser Leserichtung zu unterstreichen, hat Niebuhr wenige Zeilen zuvor bemerkt, dass es sich bei »Jesus« um einen »jüdischen ›Allerweltsnamen‹« handelt, der »von sich aus keinerlei christologische Bedeutung in sich trägt«. Damit aber würde Niebuhr die Auffassung vertreten, dass das »Jesusphänomen« den exklusiven Bestimmungsgrund der christlichen Messiasvorstellung darstellte. Wenn dem so wäre, müsste die christliche Messiasvorstellung als eine Neuschöpfung bzw. -kodierung des Ausdrucks »Messias« im strengen Sinne des Worts begriffen werden. Dagegen lässt sich aber – auch wiederum mit Niebuhr – einwenden, dass für Paulus auch der »Gedanke der Messianität im biblisch-jüdischen Sinn maßgeblich ist«. Diese Formulierung schwächt die zuvor aufgestellte These von der eindimensionalen Leserichtung ab und deutet ein nicht weiter erläutertes Wechselbedingungsverhältnis zwischen der jüdischen Messiasvorstellung und dem christlichen |114|Messiasbekenntnis an. Das aber wirft die Frage auf, wie die Relation zwischen dem »Jesusphänomen« und der überlieferten jüdischen Messiasvorstellung als Bestimmungsgründen des christlichen Messiasbekenntnisses spezifiziert werden kann.

3) Der dritte Gesichtspunkt schließlich berührt den Text des Apostolikums selbst. Dieser besitzt eine lange Entstehungsgeschichte und kennt eine Vielzahl an überlieferten Varianten, die bereits um 1900 von Ferdinand Kattenbusch in eindrucksvoller Gelehrsamkeit untersucht wurden. Der damals in Gießen ansässige Theologe befasst sich in seiner Untersuchung zum apostolischen Symbol in aller Ausführlichkeit mit der Entstehungsgeschichte des Apostolikums. Im Mittelpunkt seines zweibändigen opus steht die lateinische, durch Rufin überlieferte Fassung des altrömischen, mit R abgekürzten Symbols, das um 100 entstanden sein soll.[4] In seiner historisch-kritischen Analyse dieses »Muttersymbol[s]«[5] geht er ausdrücklich auf die Frage ein, wie die Ausdrücke Ἰησοῦς/Χριστὸς miteinander kombiniert wurden. In R heißt es noch Χριστὸς Ἰησοῦς,[6] und bereits in dieser Kombination erblickt Kattenbusch eine besondere Pointe, die sich mit der These von der Israel-Vergessenheit des Apostolikums in Verbindung bringen lässt. Der Theologe hält einerseits fest: »das Symbol verrate als Ursprungszeit und -stätte eine solche, in der nicht die Auseinandersetzung mit der Synagoge als dringend angesehen«[7] wurde. Dementsprechend besitze das römische Taufsymbol keine antijüdischen Invektiven. Und doch bemerkt er andererseits: »Man beachte die Eigentümlichkeit des Ausdrucks ›χριστὸς Ἰησοῦς‹. Immerhin wird die Apposition zuerst dargeboten und das bedeutet, dass sie relativ |115|irgendwie den Nachdruck habe, m.a.W. es verrät uns eben, dass keine Antithese die Formulierung leite. Läge ein spezifischer Nachdruck auf Ἰησοῦς, so wäre anzunehmen, dass man den Täufling sich demonstrativ antijüdisch, bez. gegen einen messianischen Irrtum wolle äussern lassen. Es spricht für eine ruhigere Stimmung, daß man ihm vielmehr nur ein direktes, klares Bekenntnis zum ›Messias Jesus‹, also ein Bekenntnis, welches thatsächlich sich mit der Synagoge in Widerspruch setzte, den Widerspruch aber nicht als solchen pointierte, in den Mund legt.«[8] Kattenbusch bemerkt sodann, dass die für R signifikante Stellung von »Christus Jesus« in den verschiedenen Handschriften selten vorkomme.

Der Hinweis auf die subtilen Erörterungen dieses Theologen deutet bereits an, dass der zweite Artikel des Apostolikums eine Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen den christlichen Gemeinden und der jüdischen Religion impliziert, die sich im Laufe der Überlieferungsgeschichte gewandelt hat. Allein in den beiden Möglichkeiten, die Ausdrücke »Jesus« und »Christus« einander zuzuordnen, spiegeln sich unterschiedliche Stellungen zu Israel bzw. zum Judentum wider. Für das hier infrage stehende Problem bedeutet das aber wiederum, dass von einer Israel-Vergessenheit des Apostolikums nicht im strengen Sinne des Worts die Rede sein kann. Vielmehr gehört die Auseinandersetzung mit dem Judentum und Israel zu den Entstehungsvoraussetzungen des Symbols. In welchem Sinne dieses Verhältnis bestimmt werden kann, lässt sich aber erst dann beantworten, wenn der Text des Apostolikums selbst historisch-kritisch analysiert und auf die angegebene Problemstellung hin befragt wird. Dieser Gesichtspunkt führt auch zu dem zweiten, systematisch-theologischen Beitrag von Martin Leiner.

Das Referat Martin Leiners kreist um Kriterienfragen christologischer Reflexionen. Das gilt zunächst für die christologischen Bestimmungen des zweiten Artikels. In diesem Zusammenhang hält er fest, dass die Auswahlkriterien für diese Bestimmungen darin bestanden hätten, die universale Bedeutung Jesu Christi mit absolut konkreten, individuellen Aussagen zu verschmelzen. Die hier verwendete Begrifflichkeit ist ausdrücklich an Tillichs Einleitung der Systematischen Theologie orientiert. Von hier aus nimmt Leiner auch auf die Position seines Jenenser Kollegen Karl-Wilhelm Niebuhr Bezug und damit zu |116|der Frage nach der Israel-Vergessenheit des Apostolikums Stellung. Leiner stellt fest, dass eine Erweiterung prinzipiell möglich sei, doch stehe die »Einbeziehung Israels […] quer zum Text [sc. des zweiten Artikels, G.N.], indem sie weder auf Individuelles noch auf Universales, sondern auf etwas Partikulares, etwas, was ein Volk und dieses allein, betrifft, abhebt«. Abgesehen davon, dass – wie oben bereits angedeutet wurde – der zweite Artikel eine Auseinandersetzung mit dem Judentum impliziert, ist an dieser Stelle anzumerken, dass sich die Begriffe des Individuellen bzw. Konkreten und des Partikularen keineswegs ausschließen müssen. Dafür steht nicht zuletzt Tillichs Position selbst, was es kurz zu erläutern gilt.