Die Menschen verstehen: Grenzüberschreitende Kommunikation in Theorie und Praxis

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Die Menschen verstehen: Grenzüberschreitende Kommunikation in Theorie und Praxis
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Prof. Dr. Thomas Tinnefeld / Dr. Bärbel Kühn

Die Menschen verstehen - Grenzüberschreitende Kommunikation in Theorie und Praxis

Festschrift für Albert Raasch zum 90. Geburtstag

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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Umschlagabbildung: Große Gruppe von Menschen in Form einer Chat-Blase.

© tai11, shutterstock, Stock-ID: 285219005.

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8233-8454-0 (Print)

ISBN 978-3-8233-0244-5 (ePub)

Inhalt

  Vorwort Thomas Tinnefeld

  Vorwort Bärbel Kühn

  Tabula Gratulatoria

  Von der Angewandten Linguistik zur Sprachlehr-/-lernforschung. Subjektiver Rückblick auf Impulse zur fachdidaktischen Reflexion und Arbeit in den ersten Studienjahren 1 Einleitung 2 Erste Orientierungen in den Bereichen Fachdidaktik– Angewandte Linguistik – Linguistik 3 Fachdidaktische Vertiefung in der „Arbeitsgruppe für Angewandte Linguistik-Kiel“ (AALF-Kiel) 4 „Kontakte …Kontakte“ 5 Die Bedeutung fachdidaktischer Publikationen 6 Abschließende Bemerkungen Literatur

 Albert Raasch und die Gründung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik1 Albert Raasch: Initiator der GAL e.V.1.1 Vorbemerkung und ein caveat zur frühen Quellenlage1.2 Erste Akteure und Aktionen2 Das Fundament von Albert Raasch als Gründer: über zwei Jahrtausende2.1 GAL – AILA2.2 Theorie contra (?) Anwendung3 Albert Raasch: frühe Schwerpunkte und Wegweisungen für heuteLiteratur

 „Die Nachbarn verstehen“ … in der grenzüberschreitenden Berufsbildung. Sprachenpolitik, Praktiken und Projekte in der Großregion SaarLorLux1 Einführung und Vorüberlegungen2 Grenzüberschreitende Berufsbildung in der Großregion SaarLorLux I: Strukturen, Programme, Akteure3 Grenzüberschreitende Berufsbildung in der Großregion SaarLorLux II: Nachbarsprachenpolitik4 Und in der Praxis?5 Schlussbemerkungen und AusblickBibliographieWissenschaftliche Literatur(Sprach)Politische Dokumente und Programme

  Mehr Sprachen heißt mehr Chancen – ein Plädoyer für Nähesprachen 1 Bildungsnachteil Muttersprache? 2 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sprachentwicklung von mehrsprachigen Kindern 3 Sprachenlernen unter den Bedingungen der Mehrsprachigkeit 4 Mehrsprachigkeit als Grundlage für die Entwicklung der Bildungssprache Deutsch 5 Das Curriuclum Mehrsprachigkeit als Weg zu einer mehrsprachigen Schule Literatur

 Gemeinsame Lehramtsausbildung in der Großregion1 Einführung2 (Sprach-)Unterricht in Grenzregionen3 Grenzüberschreitende Primarschullehrerausbildung in der Großregion: Das Projekt BiPrimar – ein deutsch-französischer Studiengang4 Grenzüberschreitende Primarschullehrerausbildung in der Großregion: Ein Beispiel aus der Praxis4.1 Allgemeine Organisation und grundlegende Prinzipien der Lehrveranstaltung4.2 Die Zusammenarbeit unter den Studenten4.3 Unterschiedliche Sichtweisen5 Bilanz und PerspektivenLiteratur

  Sprachenlernen als Grenzerfahrung 1 Einführung 2 Asynchrone Entwicklung: Wirtschaft und Sprachenpolitik in der Großregion Saar-Lor-Lux 3 Sprach- und Bildungspolitik im deutsch-polnischen Grenzraum – eine Langzeitstudie 4 Der Begleitband zum Europäischen Referenzrahmen als didaktisch-methodischer Impuls 5 Fazit Literatur

  Mehrsprachigkeit im Spiegel der Vorstellungen der Akteure 1 Einleitung 2 Zur Erforschung der Vorstellungen von mehrsprachigen Repertoires im Diskurs 3 Zum Status von Mischphänomenen (plurilanguaging) in der Interaktion 4 Zum Status von Mischphänomenen (plurilanguaging) in der Interaktion Literatur

  Zum Wert der Mehrsprachigkeit als Normalität in Zeiten der Vielfaltsvernichtung 1 Einführung – Mehrsprachigkeit als Normalität 2 Sprachliche Vielfalt 3 Ambiguitätstoleranz und Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft 4 Fazit Literatur

  Der mögliche Beitrag des Englischen zum Erwerb des Kernwortschatzes der romanischen Mehrsprachigkeit 1 Einleitende Bemerkungen 2 Die Datenbank des KRM 3 Der Beitrag englischer Transferbasen zum romanischen Kernwortschatz 4 Zur Methodik der Komputation von lexikalischen Transferbasen 5 Interlinguale Transparenz und Opazität im KRM 6 Englisch als Transfersprache im Wechselspiel mit den romanischen Sprachen 7 Ein kurzer Vergleich zwischen dem KRM- und dem Inventar der Routledge CORE-Vocabularies 8 Interligalexe und ihre assoziative Potenz 9 Reichweiten möglicher interligalexikalischer Bildungen 10 Apropos reduktive vs. expansive Interligalexe 11 Einschätzung des Lernaufwandes 12 Rückläufige Formen und suffigale Interligalexe 13 Interkomprehensionsdidaktische Relevanz Bibliographie

 Eine sprachwissenschaftliche akademische Laufbahn mehrsprachig und plurikulturell leben – dargestellt am Beispiel einer individuellen Sprachbiographie1 Einführung2 Der Erhebungskontext3 Ergebnisdiskussion3.1 Die Motivation für den Erwerb des Deutschen3.2 Beweggründe für die Aufnahme eines Germanistikstudiums3.3 Die Einstellung der Interviewpartnerin zu den von ihr beherrschten Sprachen3.4 Sprachgebrauchskontexte3.5 Spracherwerbskontexte3.6 Die Selbsteinschätzung der Interviewpartnerin in Bezug auf unterschiedliche sprachliche Kompetenzen3.7 Kulturell bedingte Unterschiede auf der Ebene der Lehr- und Lerntraditionen in Deutschland und Bulgarien3.8 Die kulturelle Selbstverortung der Interviewpartnerin3.9 Die Motivation für das Einschlagen einer wissenschaftlichen Laufbahn4 Zusammenfassung und AusblickLiteratur

 

 Sprachminima und Wissensminima1 Einführung2 Sprachminima2.1 Datengrundlage2.2 Selektion2.3 Darstellung der Sprachminima3 Forschungsgegenstand Wissensminima4 Wissensminima zum reformierten französischen droit des obligations (Schuldrecht)4.1 Modellierung der Wissensminima zum droit des obligations4.2 Aufgaben zur Unterstützung von Lernprozessen für die Rezeption fachtypischer Texte5 ZusammenfassungLiteratur

  Europäische Sozialpolitik: Herausforderungen, Probleme und Handlungsansätze 1 Einleitende Bemerkungen 2 Innere Kohäsion, Stabilität und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union 3 Entwicklung und Probleme europäischer Sozialpolitik: Große Ziele geringe Kompetenzen 4 Ansatzpunkte und Handlungsoptionen für eine Stärkung der Sozialpolitik in der Union Literatur

  Das Französische in der Debatte. Anglizismen und écriture inclusive: Chance oder Bedrohung der Sprache? 1 L’écriture inclusive 2 Le globish oder ein reines Französisch? 3 Das Französische als Grundlage des Englischen 4 Conclusio Kein Postscriptum Literatur

 Cooccurrences spécifiques dans la presse francophone africaine et hexagonale1 Cooccurrences de mots et associations verbales1.1 Un premier exemple : désir1.2 Problèmes de comparabilité2 Types de cooccurrences2.1 Linguistique vs extralinguistique2.2 Usage général vs usage particulier2.3 Perspectivisation forte vs perspectivisation faible2.4 Bilan provisoire2.5 Types de procès3 Corpus4 Études de cas4.1 Amour4.2 Tristesse4.3 Solitude4.4 Volonté5 RésultatsBibliographie

 Angewandte Linguistik und Übersetzungswissenschaft1 Einleitung2 Begriffliches und Einordnung3 Beschreibungskategorien im Fokus3.1 Handeln und Beobachten: Operationalisieren3.2 Mittlung vs Vermittlung von Text und Botschaft3.3 Vergleich und Transfer4 AusblickLiteratur

 Im Zweifel für den Skopos. Vom Umgang mit Unsicherheit im Übersetzungsprozess1 Einleitung2 Der Übersetzungsprozess3 Top-down gegen den Zweifel3.1 Zweifel bei der Interpretation des Auftrags3.2 Zweifel in Bezug auf die Pragmatik3.3 Zweifel auf der Ebene der Kultur3.4 Zweifel auf der Textebene3.5 Zweifel auf der Ebene der Phraseologie3.6 Zweifel auf der Wortebene4 SchlussbemerkungLiteratur

  Mediation im Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen 1 Zur Entstehung des GeR 2 Der GeR als sprachenpolitisches Dokument 3 Der GeR als sprachdidaktischer Neubeginn 4 Der Begleitband zum GeR von 2018 / 2020 5 Zum Konstrukt von Mediation im Begleitband 6 Mediation in Lehrwerken, Curricula und Tests 7 Mediation und Team-Management Literatur

 Lexikalische Polyfunktionalität als Problem bei Wörterbüchern im Kontext der Fremdsprachendidaktik1 Einleitung2 Höflichkeit als kulturelles und als linguistisches Phänomen3 Definitionen und Funktionen4 Korpus5 Lexikographische Untersuchung: Das Lemma bitte in den drei Wörterbüchern5.1 Das Lemma bitte im Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (Kempcke 2000)5.2 Das Lemma bitte in Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (Götz 2015)5.3 Das Lemma bitte im Duden Deutsches Universalwörterbuch (Dudenredaktion 2015)6 ZusammenfassungLiteratur

 Die TechnoPlus Englisch Suite – vom computerbasierten Sprachlernprogramm zu mobilen Angeboten1 Einführung1.1 Die Forschungskooperation e&mLanguageLearning1.2 Institutioneller Hintergrund2 TechnoPlus Englisch2.1 Die Zielgruppe2.2 Die didaktische Konzeption2.3 Die zugrundeliegende Bedarfs- und Bedürfnisanalyse2.4 Die Hauptkomponenten von TechnoPlus Englisch2.5 Die technologischen Aspekte von TechnoPlus Englisch3 TechnoPlus Englisch Online Extensions3.1 Die Nachfrage nach mobilen Angeboten3.2 Entwicklung der Online Extensions mit dem e&mLearning Publisher (emLP)3.3 Inhaltliche Ausrichtung der Online Extensions4 TechnoPlus VocabApp4.1 Der Bedarf für eine mobile Wortschatztrainer-App4.2 Die inhaltliche Konzeption der TechnoPlus VocabApp4.3 Die vier Lernmodi der TechnoPlus VocabApp4.4 Weiterentwicklung der TechnoPlus VocabApp5 Schlussbemerkung und AusblickLiteratur

  Grammatik und Prosodie. Zur Interdependenz von Syntax und Intonation und zum deutschen Wortakzent 1 Syntax und Intonation 2 Wortakzent Literatur

 Jean-Jacques Rousseau und das neue Naturgefühl1 Zu den ideengeschichtlichen Voraussetzungen einer neuen Naturkonzeption in Frankreich im 18. Jahrhundert2 Die Pionierrolle Jean-Jacques Rousseaus2.1 Le Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi des hommes (1755)2.2 Rêveries du promeneur solitaire (1778)3 Die Gestaltung literarischer Landschaft im französischen Roman ab 17603.1 Rousseau, Julie ou la Nouvelle Héloïse3.2 Senancour, Oberman3.3 Bernardin de Saint-Pierre und Chateaubriand4 Fazit und AusblickLiteratur

 Reden über Geschichte1 Text und Kontext2 Zentrale Texthandlung3 Graduelles TextverstehenLiteraturAnhangRedebeispiel (1): Jacques ChiracRedebeispiel (2): François Mitterrand

  Welche Projekte muss, soll, kann und darf man sich leisten? Wiederaufnahme einer Debatte mit Albert Raasch 1 Einführung 2 Wer bestimmt, was relevante Themen sind? 3 Wer bestimmt, welche Anträge finanziell unterstützt werden? 4 Wie objektiv können Gutachten sein? 5 Wie systematisch kann man Projekte vorbereiten bzw. was muss man vorher investieren? 6 Welches ist das richtige Geld? Und warum ich kein Projekt mit Albert beim Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz durchführen konnte 7 Abschluss und Ausblick Dank Literatur

 Albert RaaschBiographische Impressionen

 Schriftenverzeichnis Albert RaaschThemenbereich „Sprachenlernen / -lehren in Grenzregionen“ (Stand November 2019) Veröffentlichungen zu verschiedenen sprachenpolitischen, angewandt-linguistischen, literaturwissenschaftlichen und didaktischen ThemenInternet-Publikationen

  Herausgeber und Herausgeberin

  Beiträger und Beiträgerinnen


Professor Dr. Albert Raasch

Vorwort

von Thomas Tinnefeld

Dem verdienten Linguisten und Fremdsprachendidaktiker Professor Albert Raasch meinen ganz herzlichen Glückwunsch zu seinem 90. Geburtstag. Es erfüllt uns alle – und ich spreche hier bewusst auch im Namen von Bärbel Kühn und allen Beiträgern und Beiträgerinnen zu diesem Band – mit großer Freude und Dankbarkeit, eine Festschrift zu einem solch hohen Geburtstag herausgeben bzw. zu dieser beisteuern zu dürfen, was wissenschaftshistorisch unzweifelhaft eine große Rarität darstellt. Dass ein Wissenschaftler ein solches Alter erreicht, ist schon nicht selbstverständlich; noch viel weniger erwartbar ist, dass er auch in diesem Alter in seiner Disziplin aktiv ist. Albert Raasch ist somit nicht nur als Mensch und als Romanist herausragend, sondern darüber hinaus stellt das Faktum, dass er sein jahrzehntelang erworbenes und immer mehr verfeinertes Wissen auch weiterhin der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit zur Verfügung stellt und dieser damit die Chance gibt, daran auch lange nach seiner Emeritierung teilzuhaben, ein weiteres Verdienst Albert Raaschs dar.

 

Es würde sicherlich zu weit führen und lediglich ein höchst unvollkommenes Ergebnis zeitigen, wollte man versuchen, an dieser Stelle Albert Raaschs Leben nachzuzeichnen. Daher mögen hier lediglich einige sehr subjektiv ausgewählte Schlaglichter genügen, die den meisten Romanisten wahrscheinlich ohnehin bekannt sein dürften. Als Hochschulprofessor seit Ende der 1960er und ordentlicher Professor an der Universität des Saarlandes für Angewandte Linguistik und das damals sehr neue Fach Sprachlehrforschung Anfang der 1970er Jahre überblickt Albert Raasch mehr als 50 Jahre der Geschichte seiner Lehr- und Forschungsgebiete und darf somit ohne Übertreibung gleichsam als wandelnde Enzyklopädie dieser angesehen werden. Dabei war er sich zu keinem Zeitpunkt zu schade, auch die Praxis des Fremdsprachenunterrichts fördernde Werke zu veröffentlichen, deren Existenz vielen zu früheren Zeiten und ebenso heute tätigen Romanisten aus eigener Anschauung und / oder eigener Nutzung heraus bekannt sein dürfte. Ob es sich dabei um den französischen Mindestwortschatz oder die französische Mindestgrammatik handelt, den französischen Anfangsunterricht, das Wie der Erlernung von Fremdsprachen oder besonders leichte Zugänge zu diesem – immer ging und geht es Albert Raasch darum, Fremdsprachen als zugängliche Größen zu verstehen und zu beschreiben und sie in ihrer grenzüberschreitenden Funktionalität zu fördern. Persönlich aus dem „hohen Norden“ Deutschlands kommend und diesem nach wie vor geographisch und emotional verbunden, setzt er sich bis heute folgerichtig für das Saarland – hier sei nur der von ihm gegründete Sprachenrat Saar erwähnt – und die Großregion SaarLorLux ein, deren Charakter einer Grenzregion ihm besonders am Herzen lag und liegt. Seine Publikationen – ob in Buchform, in Herausgeberschaften oder auch in Aufsatzform – decken die Angewandte Linguistik und die Sprachlehrforschung in der jeweiligen Praxis, aber natürlich auch in der dieser zugrundeliegenden Theorie, in beeindruckender Manier ab. Seine Tätigkeit in Verbänden und Vereinigungen, die nicht zuletzt dazu verhalfen, angewandt-linguistische und fremdsprachendidaktische Erkenntnisse zum Nutzen einer breiteren Öffentlichkeit umzusetzen, zeugen von seinem politischen Bewusstsein und ebenso seiner Fähigkeit, die sprichwörtlichen „dicken Bretter“ zu bohren, die es zu einer derart erfolgreichen Umsetzung bedarf. In diesem Zusammenhang sei hier lediglich die Gesellschaft für Angewandte Linguistik erwähnt, zu deren Gründungsvätern Albert Raasch gehörte und die – was für eine Dimension – vor zwei Jahren ihr fünfzigjähriges Bestehen gefeiert hat. Das Faktum, dass Albert Raasch in seinem bisherigen Leben zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, die ihn zu einem hochdekorierten Wissenschaftler machen, ist somit hochgradig verdient und zeigt gleichzeitig, dass er in seiner Arbeit immer auf der Höhe der Zeit gewesen ist – woran sich bis heute nichts geändert hat.

Die vorliegende Festschrift ist aufgrund einer recht spontanen Initiative von Bärbel Kühn entstanden. In einem Moment der unmittelbaren Begeisterung habe ich diesen Vorschlag der Zusammenarbeit für den verehrten Jubilar sehr gern angenommen, und wir sondierten die Lage, um auf diese Weise zu erfahren, ob sich ein solches Vorhaben realisieren lassen würde. Als dessen Realisierbarkeit sich immer mehr herauskristallisierte, machten wir uns an die Arbeit und fanden zahlreiche Kollegen aus früheren und ebenso neu(er)en Zeiten, die ihre Zusammenarbeit unmittelbar zusagten, wofür wir ihnen an dieser Stelle herzlich danken.

Obwohl Bärbel Kühn und ich diesen Band miteinander zusammengetragen haben, haben wir uns dazu entschlossen, hier je ein getrenntes Vorwort beizusteuern, da uns unterschiedliche Kontexte mit dem Jubilar verbinden und wir diese so konsistenter beschreiben können.

Albert Raasch ist mir zwar seit Jahrzehnten – bereits als Student – auf der Basis seiner Schriften bekannt, tiefer persönlich kennengelernt haben wir uns jedoch erst im Jahre 2011 auf der – wenn dies hier hinzugefügt werden darf – von mir organisierten und geleiteten 1. Saarbrücker Fremdsprachentagung. Albert Raasch erwies nicht nur dieser Tagung die Ehre, sondern ebenso allen vier, bisher auf jene folgenden Tagungen der gleichen Reihe wie auch drei Symposien zum Französischen, die ebenfalls in Saarbrücken stattfanden. Zudem begegneten wir beide uns immer wieder auf verschiedenen anderen, teilweise sprachpolitischen Veranstaltungen und zum Teil von ihm selbst (mit)organisierten oder geleiteten Veranstaltungen, die in den vergangenen zehn Jahren im Saarland stattfanden, und entwickelten während der zahlreichen Gespräche, die wir zu diesen Anlässen führten, eine sehr herzliche persönliche Beziehung zueinander. Dabei beeindruckte Albert Raasch mich ein um das andere Mal mit seiner persönlichen Ruhe, seiner tiefen Menschlichkeit und Freundlichkeit und nicht zuletzt mit einer Bescheidenheit, die nur den wirklich Großen zu eigen ist, sowie mit seiner Beharrlichkeit in der Verfolgung der wissenschaftlichen und (sprach)politischen Ziele, die ihm am Herzen lagen und liegen. Kurzum: Albert Raasch ist mir in den vergangenen zehn Jahren sehr ans Herz gewachsen, wenn dies hier so persönlich ausgedrückt werden darf, und ich freue mich, einen kleinen Beitrag dazu leisten zu dürfen, ihm im Kontext des vorliegenden Bandes eine kleine Freude bereiten zu können.

Dabei hatte ich die Ehre und das Vergnügen, mich der Aufsätze der folgenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen annehmen zu dürfen, welche im Anschluss kurz beschrieben werden sollen – und dies in der Hoffnung, damit nicht die Spannung der Lektüre der Volltexte vorwegzunehmen, sondern diese im Idealfalle vielleicht sogar noch ein wenig weiter aufzubauen.

Im wahrsten Wortsinn spannend ist ein persönlicher Blick in die Geschichte, den uns Wolfgang Kühlwein vermittelt und der sich auf die Gesellschaft für Angewandte Linguistik und somit auch auf einen wichtigen Abschnitt des gemeinsamen Lebensweges des Autors und des Jubilars bezieht. Im Beitrag wird deutlich, wie visionär Albert Raasch und seine Mitstreiter vor 50 Jahren waren und wie weitsichtig sie agierten, ohne dabei den weitläufigen historischen Kontext Ihres Tuns aus dem Blick zu verlieren. Es liegt hier ein wichtiges Zeitzeugnis vor, das solchen Lesern, die damals mit von der Partie waren oder auch im näheren oder weiteren Umfeld der Akteure wirkten, viele wertvolle Erinnerungen (und oft vielleicht auch inzwischen Vergessenes) wachruft, sich aber auch für jüngere Leser als hochgradig inspirierend erweist und ihnen nicht zuletzt auch einen gewissen Respekt vor den Leistungen ihrer (Vor)Vorgänger einflößt.

Einen Einblick in die Sprachenpolitik der Großregion SaarLorLux gibt Claudia Polzin-Haumann mit Blick auf die berufliche Bildung in dieser Grenzregion, die Albert Raasch, wie erwähnt, traditionell sehr am Herzen liegt. Der hier gegebene Einblick in vorhandene Strukturen, aufgelegte Programme und nicht zuletzt die jeweils gültige Nachbarsprachenpolitik vermitteln einen anregenden Eindruck von konkreten Herausforderungen dieser von hoher grenzüberschreitender Mobilität und (nicht selten) der Beherrschung der Sprache der jeweils „Anderen“ geprägten Region, und das von der Autorin gezogene Fazit hinsichtlich des bisher Erreichten stimmt hoffnungsfroh – auch und besonders in dem Bewusstsein, dass dieser Prozess naturgemäß ein nie enden wollender ist und ein immer neuen Herausforderungen ausgesetzter sein wird.

Ganz im Sinne des Jubilars sieht Eva-Martha Eckkrammer die Mehrsprachigkeit als den Normalfall an – und dies umso mehr in einer Zeit wie der gegenwärtigen, in der eher (sprach)kulturelle Konvergenz als Divergenz herrscht. Aufbauend auf Wilhelm von Humboldt und seiner Philosophie einer jeweils eigenen Weltsicht, die sich über eine jeweils andere Sprache erschließt, hält sie – nicht zuletzt in historischer Perspektive und unter besonderer Berücksichtigung des Französischen – ein leidenschaftliches wissenschaftliches Plädoyer zugunsten der sprachlichen Vielfalt, wobei sie besonders der Vorherrschaft des Englischen als Wissenschaftssprache kritisch gegenübersteht und ein Mehr an Selbstvertrauen vonseiten der übrigen Wissenschaftssprachen – z.B. des Französisch oder auch des Deutschen – einfordert, wohl wissend, dass sich hier auf den unterschiedlichsten Ebenen hochkomplexe Konstellationen ergeben, die keinerlei einfacher Lösungen harren.

Franz-Joseph Meißner befasst sich mit der romanischen Mehrsprachigkeit – und in diesem Bereich mit dem Beitrag des Englischen zum Erwerb eines romanischen Kernwortschatzes. In gewissem Sinne liegt hier eine komplementäre Sichtweise zu der kultur- bzw. bildungspolitisch kritischen Position der Konkurrenz zwischen dem Englischen einerseits und den romanischen Sprachen andererseits vor, indem das Englische als potentielle Chance betrachtet wird, bei Fremdsprachenlernern zu einer Erweiterung ihrer Interkomprehension im Bereich der romanischen Sprachen beizusteuern. Wie aufwendig diese Arbeit ist, wird deutlich, wenn man sich die Ausführungen des Autors zu der Datenbank Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit (KRM) vor Augen führt. Dabei ergeben sich erhebliche Transferschnittstellen zwischen dem Englischen einerseits und den Sprachen der Romania andererseits – ein Eindruck, den wir alle, die wir uns lehrend und lernend in diesem Bereich bewegen, mit Sicherheit bereits gehabt haben, der hier jedoch auf eindrucksvolle Weise wissenschaftlich bestätigt wird. Die hier vorgenommenen Beschreibungen und Analysen unterstreichen die seit Jahren erhobene Forderung der curricularen Integration der Interkomprehension in den Fremdsprachenunterricht. Im Sinne einer das Englische einbindenden Didaktik der romanischen Mehrsprachigkeit würden sich dabei ungeahnte Synergie-Effekt ergeben.

Mit dem Themenfeld individuelle Mehrsprachigkeit beschäftigt sich Nadine Rentel, die auf der Basis eines Leitfadeninterviews die sprachliche Biographie einer multikulturell und multilingual sozialisierten Sprachwissenschaftlerin nachzeichnet und analysiert. Erhoben und anschaulich ausgewertet werden dabei deren individuelle Sprachlernmotivation, ihre Einstellung zu den jeweiligen Fremdsprachen und ihr jeweiliger Spracherwerbs- und Sprachverwendungskontext. Besonders mit Blick auf den zuletzt genannten Gesichtspunkt stellt die Autorin in Frage kommende Einflussfaktoren in den Raum, die zwar von Individuum zu Individuum variieren können, sich bei der Mehrheit ähnlich sozialisierter Sprecher jedoch sicherlich in der einen oder anderen Form ebenfalls manifestieren.

Auf der Basis von Überlegungen des Jubilars aus den vergangenen Jahrzehnten diskutiert Karl-Heinz Eggensperger mögliche Wissens- und Sprachminima, die zu der Entwicklung und Sicherstellung eines curricular verankerten, funktionalen Ausdrucksvermögens führen. Dabei geht es um die Frage, wie nicht nur ein begrenzter Gesamtwortschatz vermittelt werden kann, sondern auch ein begrenzter Wissensausschnitt, und mit diesem die zu dessen Versprachlichung notwendigen Ausdrucksmittel. Exemplarisch wird als ein solcher Wissensausschnitt der droit des obligations (Schuldrecht) herangezogen. Dabei veranschaulicht der Autor in höchst praktischer Manier, wie ein solches Sachfeld ausgegrenzt werden kann und auf welche Weise Lernprozesse für die Rezeption entsprechender Fachtexte unterstützt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass das eigentliche Anliegen des Autors gelingt, mit seinem Beitrag eine Diskussion über Sprachökonomie und Wissensökonomie im Fremdsprachenunterricht anzustoßen, was besonders, aber nicht ausschließlich, mit Blick auf einen effizienten Fachsprachenunterricht sicherlich hochgradig nützlich wäre.

Eine auf Französisch verfasste, linguistische Analyse zu spezifischen, in der frankophonen afrikanischen und französischen Presse belegten lexikalischen Ko-Okkurrenzen steuert Peter Blumenthal bei. Dabei konzentriert er sich auf affektive Basislexme wie désir, tristessse, solitude oder volonté und wendet eine probabilistisch ausgerichtete statistische Analyse auf diese an, die aufgrund von deren jeweiligem Kotext Rückschlüsse auf die inhaltliche Verwendung dieser Lexeme erlaubt. Dabei ergibt sich nach Einschätzung des Autors die – in weiterer Forschung zu verifizierende – prinzipielle Möglichkeit, auf der Ebene der lexikalischen Kombinatorik und der Konzeptualisierung von Wörtern konkrete Konvergenzen und Divergenzen in der Entwicklung der Frankophonie aufzuspüren, wobei manche Unterschiede in der Verwendung des Französischen in Frankreich und Afrika durchaus aufschlussreich sind.

Ebenfalls mit Konvergenzen und Divergenzen, jedoch mit einem ganz anderen Bezugsfeld, untersucht Heidrun Gerzymisch, in enger fachlicher Anlehnung an Albert Raasch, die vielfältigen Beziehungen zwischen der Angewandten Linguistik und der Übersetzungswissenschaft in begrifflicher Hinsicht und mit Blick auf ihre jeweiligen Beschreibungskategorien – insbesondere das Operationalisieren, die Mittlung vs. Vermittlung von Text und Botschaft sowie Vergleich und Transfer – wobei sie nicht zuletzt aufschlussreiche Berührungspunkte zwischen beiden herausarbeitet. Mit Blick auf die Mehrsprachigkeit ergibt sich für die Autorin in diesem Kontext die Frage der – zumindest theoretischen – Möglichkeit einer Verknüpfung von universaler Kommunikation mit gemittelter Kommunikation, in der dann auch die Angewandte Linguistik und die Translationswissenschaft sowie die Kommunikations- und die Kulturwissenschaft verortbar wären.

Mit der Unsicherheit im Übersetzungsprozess und ihrem Umgang, durch die das Übersetzen – als fortgesetzter Entscheidungsprozess – naturgemäß geprägt ist, beschäftigt sich Christiane Nord. Die Autorin beschreibt und analysiert hierarchisch von oben nach unten – also vom Allgemeineren zum immer Konkreteren –, auf welche Weise diese verschiedenen Arten der Unsicherheit, die sich dem Übersetzer in seiner Verantwortung gegenüber dem Autor und dem Leser, aber auch gegenüber dem Auftraggeber, stellen, verringert – wenn auch nicht gänzlich vermieden – werden können. Typologisch ergibt sich dieser Weg aus der grundlegenden Wahl des Übersetzungstyps (dokumentarisch oder instrumentell) und sprachlich aus der schrittweisen Lösung von Problemen, ausgehend von der Pragmatik, über Kultur und Sprache bis hin zu einzelnen Wörtern und Morphemen. Die jeweils konkret gegebenen Beispiele lassen diesen Beitrag zu einer instruktiven Lektüre für jeden an der praktischen Seite der Übersetzung Interessierten werden.

Christine Sick beschreibt in ihrem Beitrag die neueste Entwicklung Ihres Sprachlernprogramms TechnoPlus Englisch von dessen computerbasierter hin zu seiner mobilen Version. Dabei ergeben sich interessante Einblicke hinsichtlich der bei einer solchen Entwicklung zum Tragen kommenden Faktoren, wie z.B. der didaktischen Konzeption, der Zielgruppe oder auch einer entsprechenden Bedarfsanalyse. Durch die Beschreibung der einzelnen Komponenten des Programms und der auf diesem basierenden Wortschatz-Trainer-App erhalten die Leser einen Eindruck von dessen Wirkungsweise, von seinem didaktischen Potential, von seiner technischen Dimension und nicht zuletzt von seinem Nutzen für die Zielgruppe: die Studierenden der Ingenieurwissenschaften der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.

Mit Bezug auf die literaturwissenschaftliche Seite Albert Raaschs beschäftigt sich Uwe Dethloff mit Jean-Jacques Rousseau und der Veränderung des Verständnisses der Natur in der literarischen Landschaftsdarstellung. Vor dem Hintergrund der neuen Naturkonzeption im 18. Jahrhundert in Frankreich entwickelt der Autor Jean-Jacques Rousseaus Pionierrolle aus dem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes und den Rêveries du promeneur solitaire und analysiert die literarische Landschaftsgestaltung im französischen Roman ab etwa der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anhand von Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse und Senancours Oberman sowie Bernardin de Saint-Pierres Roman Paul et Virginie und Chateaubriands Novelle René. Hochinteressant ist zudem die Spiegelung der hier vorgenommenen Analysen des Autors mit seiner Einschätzung des Naturverständnisses im 21. Jahrhundert, durch die dieser eigentlich historische Beitrag eine gleichsam unerwartete Aktualität erhält.