DAS ALIEN TANZT WALZER

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DAS ALIEN TANZT WALZER
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Ellen Norten (Hrsg.)

Das Alien tanzt Walzer

Schwungvolle SF und Fantastik

aus einem heiteren Universum

AndroSF 119


Ellen Norten (Hrsg.)

DAS ALIEN TANZT WALZER

Schwungvolle SF und Fantastik

aus einem heiteren Universum


AndroSF 119


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


© dieser Ausgabe: Oktober 2020

p.machinery Michael Haitel


Titelbild & Illustrationen: Lothar Bauer

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat: Ellen Norten, Michael Haitel

Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda


Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu


ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 213 3

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 880 7


Vorwort

Hereinspaziert und herzlich willkommen im intergalaktischen Tanzsaal zum Walzer. Die Aliens tanzen also wieder, konkret im Dreivierteltakt oder übertragen, indem sie schwungvoll ihre eher heiteren Geschäfte erledigen. Spaß und Originalität sind angesagt, wenn Stinkwanzen oder eine Riesenschnecke das Parkett betreten, wenn Außerirdische musizieren, heimlich Tanzunterricht geben oder sogar ihre Doktorarbeit über die Tanzgewohnheiten der Spezies Homo sapiens verfassen. Und bildlich gesprochen haben die Aliens allerlei Verständnisprobleme, konkret, mit Bräuchen oder mit der Missionsarbeit eines fleißigen Paters. Dann die frechen Aliens, die mit ihren Albernheiten den Weltfrieden gefährden, sich beim Pokern die Taschen füllen, sich als Gott verehren lassen oder den armen Menschen aus Versehen die Fettleibigkeit bescheren …

Und auf der Erde setzt sich der Reigen in fantastischer Weise fort. Da könnte Unsichtbarkeit zur ansteckenden Krankheit werden, steht schon der Tod vor der Tür, gefährden Unterhosen die Zukunft, wachsen uns Roboter über den Kopf, während ein Stern vom Himmel fällt. Und last, but not least erfahren wir endlich, wieso eigentlich der Donauwalzer komponiert wurde, denn auch da hatten natürlich Außerirdische ihre Finger mit im Spiel.

So tanzen die Aliens zum dritten Mal, nach Kasatschok und Polka nun in Wiener Tradition. Nicht nur die Außerirdischen sind anscheinend auf den Geschmack gekommen. Einige Autorinnen und Autoren tanzen zum wiederholten Male mit, andere sind dazugekommen und so werden Sie, liebe Leser, sowohl auf alte Bekannte als auch neue Gestalten treffen, mit denen wir anscheinend unsere Leidenschaft teilen. Tanzen Sie mit, lassen Sie sich entführen, lassen Sie zu, dass es im Weltall, aber auch auf der Erde nicht nur ernsthafte Probleme gibt und dass sich Mittel und Wege finden, diese auf witzige oder ganz ungewöhnliche Art und Weise zu lösen.

Ich wünsche Ihnen genauso viel Spaß, wie ich ihn hatte, als ich die Auswahl für diesen Band zusammenstellte und nun Bühne frei für den Dreivierteltakt.


Ellen Norten

Halle im Herbst 2020


Kai Focke: Gastropoda galactica

Professor Hoffbauer blinzelte, rieb sich die Augen und blickte erneut auf den Monitor: Das Bild hatte sich auch nach dem Kalibrieren nicht verändert. Kopfschüttelnd griff er zum Telefonhörer und ließ sich nochmals bestätigen, dass aktuell weder Soft- noch Hardwareprobleme bestünden. Die Teleskopanlagen, versicherte der diensthabende Ingenieur, funktionierten einwandfrei. Auf die vorsichtige Frage hin, weshalb der Professor erneut einen Defekt vermuten würde, brach der ansonsten für seine Höflichkeit bekannte Astronom das Gespräch brüsk ab. Sollte die Übertragung korrekt sein, war strengste Geheimhaltung geboten. Er wählte die Nummer seines Assistenten.

»Clemens? Keine Zeit für Erklärungen: Sagen Sie ihre Vorlesung ab und kommen Sie stante pede zum Observatorium!«

Nachdem Hoffbauer aufgelegt hatte, holte er zwei Gläser sowie die Sherryflasche aus dem Aktenschrank hervor und schenkte großzügig ein. Während er wartete, blieb sein Blick immer wieder an dem Monitor hängen. Er wusste nicht, was er sich nach Clemens’ Ankunft mehr wünschen sollte: Dessen Bestätigung seiner Beobachtung oder von diesem direkt in die örtliche Psychiatrie begleitet zu werden.


»Das … das ist … unmöglich!«, stotterte Clemens. Irritiert schaute er zwischen dem Monitor und dem Gesicht des Professors hin und her. »Funkinterferenzen? Eine Signalüberlappung? Russische Hacker?«

Hoffbauer schüttelte den Kopf und reichte seinem Assistenten ein Glas Sherry. Der eigentlich als Abstinenzler bekannte junge Mann leerte es in einem Zug.

»Ihre Reaktion verifiziert, dass ich nicht verrückt geworden bin. Was Sie dort sehen, habe ich ›Gastropoda galactica‹ genannt.«

»Weltraumschnecke?«, übersetzte der eines rudimentären Lateins kundige Assistent fragend.

»Korrekt! Nach meinen Schätzungen besitzt sie etwa die Größe unseres Mondes.« Hoffbauer deutete auf einen der anderen Monitore. »Sie hat vor Kurzem den Saturn hinter sich gelassen. Das planetare Ringsystem ist seitdem massiv ausgedünnt.«

»Es sieht so aus, als wären die Ringe des Saturn wie ein Salatblatt angeknabbert worden?«

»Nun ja, eine diskussionswürdige Assoziation … Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie ein derart gigantischer Organismus bei minus zweihundertsiebzig Grad Celsius, zumal ohne Sauerstoff, da draußen überhaupt existieren kann. Wie auch immer: Bei der Nahrungssuche dürfte Gastropoda galactica kaum wählerisch sein.«

»Das ist doch absurd und widerspricht allen Regeln der Natur!«, ereiferte sich Clemens und starrte ungläubig auf die einer gigantischen Weinbergschnecke ähnelnde Kreatur. »So etwas wie Podi dürfte es höchstens in Science-Fiction-Geschichten geben.«

»Leider musste ich als Wissenschaftler mehr als einmal feststellen, dass die Wege der Natur unbegreiflich, ja im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch sein können. Unglücklicherweise führt der Weg von Podi, um Ihren Diminutiv zu gebrauchen, direkt auf uns zu. Jedes Lebewesen benötigt Wasser. Da ist unser Blauer Planet – bitte sehen Sie mir das Wortspiel nach – ein gefundenes Fressen. Bei einer Entfernung von etwa eins Komma fünfundsechzig Million Kilometern und unter Zugrundelegung ihrer derzeitigen intergalaktischen … ähm … Kriechgeschwindigkeit wird sie die Erde in etwa vierzehn Monaten erreichen.«

»Was sollen wir tun?« Mit hängenden Schultern blickte Clemens zum Professor auf. »Unser Planet darf nicht als Schneckenfraß enden.«

»Wir müssen die Regierung und unsere Fachkollegen informieren. Ansonsten gilt es, vorerst Stillschweigen zu wahren, um eine Panik in der Bevölkerung zu verhindern. Panik bedeutet Chaos und Chaos ist nie hilfreich. Noch ist Podi nur mit Hochleistungsteleskopen auszumachen. Das verschafft uns hoffentlich ausreichend Zeit zum Handeln.«


Professor Hoffbauer legte Hut und Mantel an der Garderobe ab, stellte die Laptoptasche zur Seite und ließ sich in seinen Bürosessel fallen. Die Ereignisse der letzten Tage waren ebenso anstrengend wie frustrierend gewesen. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Nachdem die Regierungen sämtlicher Staaten realisiert hatten, dass sich eine Problemschnecke – wie Podi auf höchster Ebene genannt wurde – der Erde näherte, gründeten sie den »Globalrat«, um alle Ressourcen zu deren Abwehr zu bündeln. Zwar begrüßte der Professor die Bereitschaft einer uneingeschränkten Zusammenarbeit, doch gehörten dem Gremium ausschließlich Politiker und Militärs an. Den wenigen anwesenden Astronomen stand lediglich eine beratende Funktion zu. Ihre wissenschaftliche Expertise nahm das Gremium wohlwollend zur Kenntnis – um diese hinter vorgehaltener Hand zu belächeln.

Es klopfte an der Tür und Clemens trat ein.

»Guten Tag, Professor!«, grüßte der Assistent und überreichte seinem Chef eine Mappe. »Neues von Podi«, fügte er hinzu.

»Danke, Clemens.« Der Professor überflog die Meldungen.

»Podi hat in der Zwischenzeit also die Jupitermonde Ganymed, Io und Kallisto verschlungen und kriecht nun weiter auf die Erde zu«, stellte er fest und gab die Mappe mit ernster Miene zurück. »Ich hatte gehofft, dass die Neuigkeiten erfreulicher wären als das Geschwätz des Globalrats. Die Herren Militär prüfen die Möglichkeit eines gewaltigen Nuklearschlags, ausgeführt mit dem gesamten verfügbaren Atomarsenal. Unsere Politiker hingegen setzen auf Verhandlungen. Aus der Problemschnecke soll eine Lösungsschnecke werden: Wir stillen deren gigantischen Appetit mit dem Müll der Menschheit, im Gegenzug verzichtet sie darauf, unseren Planeten zu verschlingen. Das wäre eine Win-win-Situation.«

 

»Wie wollen die Politiker mit Podi kommunizieren? Woher wissen sie, ob ihr der Müll überhaupt schmeckt?«, hakte Clemens nach.

»Dieselben Fragen habe auch ich gestellt«, seufzte der Professor. »Man hielt mir vor, ich wolle diese exzellente Lösung schlechtreden. Um meine doch eher wenig relevanten Detailfragen würde sich eine Kommission kümmern, die auf der Arbeitsebene Unterkommissionen bilden könnte, welche dann … So ein Nonsens! Wir dürfen froh und dankbar sein, dass die Bevölkerung noch nichts von der Gefahr mitbekommen hat.«

»Das klingt alles nicht wirklich ermutigend. Haben Sie denn keine Idee, Professor?«

»Noch nicht, aber seien Sie unbesorgt, Clemens. Der menschliche Geist ist unschlagbar im Lösen von Problemen. Vor allem dann, wenn man Kreativität auf ein wissenschaftliches Fundament stellt.«

Hoffbauer schwieg und zwirbelte dabei an seinem Spitzbart. »Manchmal hilft es«, fügte er leise und nur für sich selbst hinzu, »große Probleme im Kleinen zu betrachten. Zudem sollte man als Theoretiker nie vergessen, auch mit Praktikern zu sprechen …«

Dann sprang er plötzlich mit einem Fingerschnippen auf und ging lächelnd zur Garderobe.

»Clemens!«, forderte er seinen verdutzt dreinblickenden Assistenten auf, »fahren Sie mich zum ›Grünen Winkel‹.«


Den »Grünen Winkel« umschlossen auf der einen Seite das Gewerbegebiet »Muffenrohr«, auf der anderen Seite die Ausläufer des Stadtwalds. Auf einer Fläche, die etwa zehn Fußballfeldern entsprach, befand sich neben dem Freibad eine idyllische Laubenkolonie, welche nicht unwesentlich zur Namensgebung des Winkels beigetragen hatte. Im Schein der Abendsonne saßen dort auf einer Holzbank drei Männer und blickten auf schnurgerade angelegte Blumenrabatte sowie eine mehr als akkurat geschnittene Rosenhecke.

»Ihr Besuch ist ebenso überraschend wie erfreulich«, leitete Alois Bockmann, zweiter Vorsitzender des Kleingärtnervereins Bohnenkraut e. V., das Gespräch ein. »Am Telefon sagten Sie, dass mein Rat gefragt sei. Wie kann ein pensionierter Berufsschullehrer und Pflanzenfreund ausgerechnet zwei Astronomen helfen?«

»Es geht um ein internationales Forschungsprojekt im Rahmen der Kultivierung des Planeten Mars«, begründete der Professor ihr Erscheinen mit einer Notlüge. »Neben dem Anbau von Agrarprodukten soll dort gleichzeitig der Grundstein für ein Ökosystem gelegt werden. Daher möchten wir uns bei einem Fachmann in Sachen Gartenbau über die Möglichkeiten einer effizienten und effektiven Schneckenabwehr kundig machen.«

»Das ist doch widersinnig!«, entfuhr es Bockmann. »Warum sollten diese kleinen schleimigen Biester überhaupt auf dem Mars angesiedelt werden?«

»Ihre Frage ist selbstverständlich berechtigt«, beschwichtigte Hoffbauer. »Nun, das Projekt wird … mit EU-Mitteln gefördert. Dabei müssen … forschungsseitig verschiedene ökologische Auflagen erfüllt werden …«

»Ich verstehe«, nickte Bockmann grimmig. »Da haben wieder selbst ernannte Umwelt-Dingenskirchen-Aktivisten von irgendeiner HNO – oder wie diese Chaotenorganisationen heißen – ihre Finger mit drin. Das sind dieselben Spinner, die weiland das schöne E 605 verboten haben.«

Der Professor räusperte sich. »Welche legalen Mittel haben sich denn aus Ihrer Sicht im Rahmen der Schneckenabwehr bewährt?«

»Die meisten Vereinsmitglieder verwenden handelsübliches Schneckenkorn. Wenn Sie mich fragen, ist das jedoch etwas für Ziergemüse züchtende Weichlinge. Echte Gärtner bestreuen die Viecher mit Salz und«, ergänzte er mit einem sadistischen Grinsen, »verwandeln damit das Pack in Blasen schlagende Klümpchen. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, auch den Boden zu verunreinigen. Es empfiehlt sich daher, die Schnecken erst in einen Eimer zu werfen und dann kräftig einzusalzen.«

»Das klingt schon ein wenig barbarisch«, merkte Clemens vorsichtig an.

»Was die Landplage meinen Chrysanthemen angetan hat, das ist Barbarei! Ich persönlich trete diesen Schmarotzern am liebsten mit dem blanken Stahl in der Hand entgegen.« Zur Verwunderung der beiden Wissenschaftler zog Bockmann aus der Innentasche seines Jacketts eine blitzende Schere hervor. Er überreichte sie dem Professor wie ein Rapier: mit beiden Händen und dem Ende zuerst. Während der Professor das auf Hochglanz polierte Scheidewerkzeug kritisch beäugte und schließlich seinem Assistenten aushändigte, führte Bockmann mit vor Entzücken entrücktem Blick seinen Vortrag zu Ende. »Das, meine Herren, ist die wahre Waffe im Kampf gegen das Kriechgetier: Hier blickt der einsam seine Scholle verteidigende Schrebergärtner dem Feind beim Todesstreich direkt auf die Fühler. Ein ›Schnipp‹ hier, ein ›Schnapp‹ da und schon hauchen die geteilten Monster ihr Leben aus.« Er untermalte das Gesagte durch eine mit Zeige- und Mittelfinger unmissverständlich ausgeführte Geste. »Ich empfehle daher, Ihre Weltraumpioniere mit Scheren auszustatten. Übrigens habe ich in der Laube gerade eine vorzügliche Schneckensuppe auf dem Campingkocher. Darf ich den Herren einen Teller anbieten?«

Der Professor und sein Assistent schauten sich kurz an, woraufhin Letzterer dem selbst ernannten Ritter des Gartens unspektakulär dessen Schere in die Hand drückte. Mit einem gemurmelten »Vielen Dank«, »Haben schon gegessen« und »Einen guten Tag« verließen die Wissenschaftler fluchtartig das ihnen nun nicht mehr ganz so friedvoll erscheinende Kleingartenidyll.


Mit pochendem Herzen schreckte Hoffbauer senkrecht hoch. Laken und Bettdecke waren zerwühlt und vom Schweiß durchtränkt. »Was für ein Albtraum!«, stöhnte er und erinnerte sich:

Podi hatte die Erde erreicht und wurde sofort von der vereinigten Globalarmee mit riesigen Salzstreuerraketen unter Beschuss genommen. Erbarmungslos ergossen sich deren tödlich weiße Ladungen über die Weltraumschnecke. Podis Schmerzensschreie wurden lediglich vom hämischen Gelächter der Generäle (die allesamt Herrn Bockmanns Gesichtszüge trugen) übertönt. Dann kam er, von Clemens frenetisch bejubelt, auf einer überdimensionalen Gartenschere reitend aus der Deckung des Mondschattens hervor. Ehe er jedoch zum finalen Schnitt ansetzen konnte, fiel sein Blick auf Podis tieftraurige Fühleraugen. Dicke Tränen liefen an ihnen herab … und er war aufgewacht. Dieser Samstagmorgen schien – für Astronomen doppelt unerfreulich – unter keinem guten Stern zu stehen.

Auf dem Rückweg vom Bäcker, links die Brötchentüte und rechts den Recup-Becher in Händen, kam Hoffbauer am Bungalow von Herrn Gähringer vorbei. Sein alter Bekannter war emsig damit beschäftigt, die Rhododendren im Vorgarten zu gießen.

»Guten Morgen«, grüßte Hoffbauer und nippte am Becher. »In diesem Sommer scheint zeitiges Gießen angebracht.«

Gähringer hielt inne und kam zum Zaun. »Guten Morgen, Professor. Die Hitze ist das Eine. Etwas Anderes, worüber Sie sich als Astronom ohne Garten nicht zu sorgen brauchen, bereitet mir erheblich mehr Kopfschmerzen: Ich habe ein Schneckenproblem.«

Hoffbauer verschluckte sich an seinem Kaffee. »Verdammte Schnecken!«, japste er.

»Genau! Als Tierfreund scheue ich mich jedoch, diesen Kreaturen ein Leid anzutun. Schließlich wollen die auch nur leben und schätzen meinen Salat sehr, was man ja auch als Kompliment verstehen kann. Daher habe ich mich zum Einsatz von Bierfallen entschlossen.«

»Bierfallen?«, fragte der Professor. Seine Neugier war geweckt. »Erklären Sie mir das bitte.«

»Nun ja, ich stelle im Garten mit Bier gefüllte Untertassen auf. Die Schnecken werden daraufhin vom Malzgeruch angelockt. Sie lassen den Salat links liegen und genehmigen sich lieber, was man ihnen nicht verdenken soll, einige kräftige Schlucke vom kühlen Nass. Daraufhin kann ich die kleinen Trinker absammeln und im hohen Bogen über den Zaun auf die gegenüberliegende Kuhwiese befördern. So ein Rauswurf ist doch humaner als sie umzubringen, oder?«

Der Professor schwieg. Während er am Spitzbart zwirbelte, klebte sein Blick an einer der Untertassen. Plötzlich schnippte er mit dem Finger, drückte dem verdutzten Hobbygärtner lächelnd seine Brötchentüte in die Hand und lief winkend einem vorbeifahrenden Taxi hinterher.


Elf Monate nach dem Dialog am Gartenzaun würde das Satellitenprojekt »Sonnenspiegel« heute zum Abschluss kommen und dabei über nichts Geringeres als den Fortbestand der menschlichen Zivilisation entscheiden. Aus diesem Grund tagte der Globalrat im großen Konferenzraum des »Lagezentrums Energieerzeugung« in geheimer Sitzung. Der Konferenzraum war in Form einer Muschel errichtet worden und verfügte über stufenförmig angelegte Sitzreihen. Er glich damit einem Kinosaal, nicht zuletzt, da in gespannter Stille mehrere Hundert Augenpaare erwartungsvoll auf die noch schwarze Leinwand an dessen Stirnseite starrten.

Endlich begann die Direktübertragung vom Erdorbit. Eine gigantische Metallkonstruktion von der Größe Australiens schob sich langsam ins Bild. Sie sah einem Suppenteller äußerst ähnlich und funkelte im Sonnenlicht wie blank poliertes Tafelsilber.

Schnellen Schrittes betrat Professor Hoffbauer die Bühne, ging zum Rednerpult und grüßte die Anwesenden mit einer angedeuteten Verbeugung.

»Meine Damen und Herren, in ungefähr zwanzig Minuten wird Gastropoda galactica – genannt Podi – den Orbit erreichen.« Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Reihen, schwoll an und brandete schließlich gegen die Bühne.

Der Professor räusperte sich vernehmlich. Im Saal kehrte wieder Ruhe ein.

»Das offiziell als ›Sonnenspiegel‹ bezeichnete Satellitenprojekt, welches in einer beispiellosen Kraftanstrengung aller Staaten aus der Taufe gehoben wurde, wird uns nicht nur vor Podi schützen. Nein, von Beginn an verdeckte die Konstruktion durch ihre schiere Größe den Blick auf die Weltraumschnecke, sodass sie privaten Astronomen – und damit auch der Öffentlichkeit – bis heute verborgen blieb.«

Das Bekanntwerden der herankriechenden Gefahr, sinnierte Hoffbauer, hätte zu einer globalen Massenpanik mit unabsehbaren Folgen geführt. Zumindest darin waren sich alle Verantwortlichen von Anfang an einig. Die Einigkeit stellte letztlich das Gelingen des Geheimprojekts sicher. Der gemeinsame Wille, die Menschheit vor der außerirdischen Bedrohung zu retten, führte zum Ende der Kriege auf Erden sowie zur Aussöhnung aller Nationen. Nebenbei beförderte der damit einhergehende Pazifismus die von Hoffbauer entwickelte, nicht letale Schneckenabwehr. Vertreter des Militärs waren deshalb zur heutigen Sitzung nicht geladen (sie wurden auch von niemandem vermisst).

»Meine Damen und Herren«, setzte der Professor erneut an. Er strahlte Zuversicht aus, während er das auf der Leinwand dargebotene Geschehen kommentierte. »Podi hat nicht nur den Annäherungsvektor geändert, sondern auch ihre Geschwindigkeit deutlich gesteigert. Sie scheint den Lockstoff zu wittern und hält nun direkt auf den Sonnenspiegel zu.« Wie die Schnecke im luftleeren Raum riechen, geschweige denn kriechen konnte, war nach wie vor ein Mysterium.

Ebenso wie die übrigen Zuschauer folgte Hoffbauer dem dargebotenen Schauspiel. Inzwischen hatte Podi den Sonnenspiegel erreicht und dessen Energieschild durchbrochen. Ohne den Schild wäre der in die Wölbung des Spiegels eingelagerte, mehrere Millionen Hektoliter umfassende Lockstoff längst in den Weltraum abgedriftet (es hatte Monate gedauert, diesen mithilfe eines flexiblen, von schwäbischen Tüftlern erdachten Rohrsystems direkt in den Orbit zu pumpen). Podi begann, zunächst bedächtig, doch schon nach wenigen Schlucken mit wachsender Begeisterung, den Lockstoff zu schlürfen: ein im Laufe des vergangenen Jahres weltweit in Sonderschichten gebrautes Starkbier nach bayerischer Rezeptur.

Als die Schnecke mit einem aufgrund des Vakuums unhörbaren, aber deutlich zu erkennenden Rülpsen das flüssige Mahl beendet hatte, trat die zweite Phase des Satellitenprojekts – im wahrsten Sinne des Wortes – schlagartig in Kraft: Ein riesiger, wie ein Teppichklopfer geformter Schläger löste sich vom Rand des Sonnenspiegels und verpasste der sichtlich angetrunkenen Schnecke einen Hieb, der sie in Richtung Milchstraße katapultierte. Vom Alkohol betäubt schwebte Podi davon, wobei einige Beobachter einen glücklich verklärten Gesichtsausdruck wahrzunehmen glaubten. Der Rauschzustand der Schnecke hielt an, bis sie schließlich den Sichtbereich der Teleskope verlassen hatte.

Nachdem die Gefahr mithilfe der orbitalen Bierfalle gebannt war, wurden sämtliche an der Konstruktion beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure – allen voran Professor Hoffbauer und dessen Assistent – von den Mitgliedern des Globalrats ausgiebig gefeiert. Beim Abschluss einer im Geheimen durchgeführten Ehrenreise von einem Kontinent zum anderen waren die beiden Wissenschaftler mit Orden und Auszeichnungen behängt wie eine Kuhherde beim Almabtrieb. Zudem durfte sich Hoffbauer über Forschungszuschüsse von zahlreichen Brauereien freuen, denn das zur Schneckenabwehr verwendete Starkbier erzielte – unter dem Markennamen »Podiator« – kontinuierlich steigende Absatzzahlen.

 

Ein Jahr später

Nach der Rückkehr von einem längeren Forschungsaufenthalt in Mittelamerika beging Professor Hoffbauer sein übliches Samstagmorgenritual, welches mit einem Einkauf in der Bäckerei Semmelmeier begann. Auf dem Nachhauseweg schlenderte er, ausgestattet mit Brötchentüte und Recup-Becher, fröhlich pfeifend am Garten von Herrn Gähringer vorbei.

»Guten Morgen!«, rief Hoffbauer über den Zaun. »Nochmals vielen Dank für Ihren Tipp mit der Bierfalle.«

Der Angesprochene grüßte ebenfalls und trat näher.

»Gern geschehen! Ich habe allerdings noch immer nicht verstanden, wie Ihnen dies als Astronom helfen konnte. Sie sind doch noch nicht einmal Hobbygärtner.«

»Naja, es hat mir einen kreativen Anstoß gegeben. Wie so eine Art Brainstorming. Sie verstehen?«

Gähringer nickte zögernd, verstand offensichtlich jedoch gar nichts. Er seufzte lediglich.

»Immerhin war es für Sie hilfreich. Ich werde die Bierfallen zukünftig nicht mehr aufstellen. Meine Freigiebigkeit scheint sich herumgesprochen zu haben: Die Anzahl der kleinen Trinker ist von Tag zu Tag größer geworden, ebenso wie die damit verbundenen Kollateralschäden. Offenbar haben meine Bierfallen sämtliche Schnecken der Nachbarschaft angelockt.«

Zufrieden ging Hoffbauer die Zwischenergebnisse der aktuellen Forschungsprojekte durch. Unter den Papieren befand sich auch ein Bericht über den Umbau der orbitalen Bierfalle. Deren zwischenzeitlich mit Reflexionsplatten besetzte Rückseite leistete nun tatsächlich als Sonnenspiegel gute Dienste.

Der Professor tippte noch ein paar Arbeitsaufträge für sein Team in den Rechner und begab sich anschließend zur Garderobe. Es war Zeit, Feierabend zu machen und sich auf das Wochenende zu freuen. Er hatte die Bürotür fast erreicht, als ein Piepton seine Aufmerksamkeit erregte. Neugierig ging er zurück. Der an das frisch installierte Spezialteleskop angeschlossene Monitor meldete eine Abweichung weit außerhalb der üblichen Parameter. Nachdem Hoffbauer die Messeinstellungen angepasst hatte, vergrößerte er den betreffenden Ausschnitt und betrachtete die hierfür verantwortliche Anomalie. Ihm stockte der Atem.

Mit zitternden Händen griff er zum Telefon und wählte die Nummer seines Assistenten.

»Gas… Gastropoda galactica«, stotterte er in den Hörer.

»Was meinen Sie?«, fragte Clemens besorgt. »Ist Podi zurückgekehrt?«

»Ja – doch … doch nicht allein: Es sind mindestens zehn Exemplare, die allesamt zielstrebig auf die Erde zugleiten.«

»Glauben Sie, dass die Schnecken sich rächen wollen, weil wir damals ihren Artgenossen unsanft aus dem Sonnensystem befördert haben?«

»Nein«, widersprach der Professor. »Ich habe soeben die Vergrößerung maximiert und kann ihre Gesichtszüge sowie deren heraushängende Zungen erkennen. Sie scheinen keineswegs verärgert oder aggressiv zu sein – vielmehr durstig.« Der Professor schluckte. »Ich werde beim Präsidenten der globalen Brauereivereinigung anrufen. Wir werden Bier brauchen … sehr viel Bier