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Read the book: «Die Liebesbriefe der Marquise», page 9

Braun Lily
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DAS KIND

Johann von Altenau an Delphine
Paris, am 30. September 1777.

Endlich! Sie hatten mich, teuerste Marquise, durch Ihr monatelanges Schweigen auf die Folter gespannt. Stellten Sie Ihre Freunde schon durch Ihre fluchtartige Abreise vor ein Rätsel, wie viel mehr durch Ihr völliges Verstummen. Die abenteuerlichsten Gerüchte trug man einander zu: daß Sie mit einem Liebhaber entflohen seien; daß Sie sich in ein Kloster zurückgezogen hätten. Schließlich verschwand Ihr Name aus der Chronique scandaleuse; die sturmbewegten Wellen unserer raschlebigen Zeit peitschten darüber hinweg; nur wer sich selbst noch nicht ganz verliert, dem blieben auch Sie unverloren.

Haben Sie Dank, wärmsten Dank, daß Sie in Ihrem Kummer meiner gedachten. Sie gaben mir damit den kostbarsten Beweis Ihrer Freundschaft. Nur daß Sie über ein Jahr stumm gelitten haben, mache ich Ihnen zum Vorwurf, nicht, weil ich Ihr Vertrauen teile, der Einzige zu sein, der zu helfen vermag, sondern weil die Aussprache an sich schon Erleichterung bedeutet. Es ist eine der wertvollsten Errungenschaften unsrer Epoche, daß wir unsere eigenen Gedanken denken, unsere eigene Sprache sprechen lernten.

Sie haben sich, wie Sie schreiben, ganz Ihrem Sohn gewidmet, nachdem Sie ihn durch »einen wahren Feldzug von Kämpfen und Intriguen,« sich erst erobern mußten; und mit einer Ehrlichkeit, die zu der Sentimentalität der meisten Frauen, die sich heute ihrer Mutterschaft erinnern, in erfreulichem Gegensatz steht, fügen Sie hinzu: »mich trieb nicht die Liebe, sondern nur das Gefühl einer heiligen Pflicht, deren Erfüllung meinem Leben Inhalt und Ziel geben sollte.«

Ich habe den Satz zehnmal gelesen, ehe ich mir vorzustellen vermochte, daß von den Rosenlippen der Marquise Delphine so schwere Worte fallen konnten, und erst als ich weiter las, sah ich Sie wieder lebendig vor mir: »aber die Aufgabe erhebt mich nicht, sie drückt mich nieder,« schreiben Sie. Ein Tempel der Mutterliebe sollte das Schlößchen sein, das sich im Park von Froberg am Ufer des Sees weiß und leuchtend erhebt. »A L'Enfant« ließen Sie in goldnen Lettern über die Türe meißeln, wo kurz vorher »Mont de ma joie« gestanden hatte. Die schönsten Blumen ließen Sie pflanzen, mit Tieren aller Art bevölkerten Sie den Park – »die Natur selbst sollte meines Sohnes Erzieherin sein.« Und dann kam das Kind; »es zerpflückte und zertrat die Blumen, es schlug nach dem sanften Reh und dem kleinen Kätzchen, es warf mit Steinen nach den Tauben,« und seine Häßlichkeit zwang Sie, alle Spiegel aus den Zimmern entfernen zu lassen, um sie nicht verzehnfacht um sich zu sehen.

Was soll ich tun? fragen Sie mich verzweifelt; alle Mittel, das Kind zu beeinflussen, sind erschöpft; seine Neigungen bleiben roh, wie die Umgebung, aus der es seine ersten Eindrücke empfing. Vielleicht waren Sie zu gut für diesen kleinen Wilden; vielleicht bedarf es nur eines Mittels, seine unbändige Tatkraft in richtige Wege zu leiten; vielleicht fehlt ihm der Ernst und die Strenge eines männlichen Erziehers.

Sie erwähnen Ihres Herrn Gemahls nicht, und ich darf wohl annehmen, daß er sich selten in Froberg aufhält, da ich ihm in Paris häufig begegne und man sogar von der Möglichkeit seines Eintritts in das Ministerium schon gesprochen hat. Er scheint sich also wenig um seinen Sohn zu kümmern.

Werden Sie mich recht verstehen, wenn ich Sie darum bitte, mir zu gestatten, zu Ihnen zu kommen? Nur als ein Gast zunächst und als ein Freund, dem nichts mehr am Herzen liegt, als Ihnen helfen zu können, der aber mit einem bloßen Rat nicht zu helfen vermag, solange er sich nicht durch eigenen Augenschein ein klares Bild von der Lage der Dinge hat machen können.

Ihrer Antwort sehe ich klopfenden Herzens entgegen. Ein Ja würde den düsteren Nebel, der seit Monaten mein Leben verschleiert, wie mit einem ersten Sonnenstrahl durchbrechen.

Seit dem Tode der Lespinasse und der Geoffrin bin ich, wie viele mit mir, heimatlos geworden. Niemand und nichts hat für das Verlorene einen Ersatz schaffen können. Mit dem fehlenden geistigen Mittelpunkt, um den sich die ersten Männer Frankreichs versammelten, lockert sich auch mehr und mehr ihr geistiger Zusammenhang. Müssen wir es doch jetzt erleben, daß der aufs neue wütend entfachte Kampf zwischen den Anhängern Glucks und denen Piccinis auch die Reihen der Encyklopädisten in zwei feindliche Lager teilt.

Mehr denn je gehen die Männer in ihre Klubs und Kaffeehäuser; die Frauen dagegen haben in den überhandnehmenden Teevisiten ein Mittel des Zusammenseins gefunden. In der Vergröberung der Sitten meine ich jetzt schon den Fortfall des zugleich anregenden und mildernden weiblichen Einflusses im Leben der Männer zu spüren; treffen sich die beiden Geschlechter bei festlichen Gelegenheiten, so herrscht zwischen ihnen, die geistig nicht mehr miteinander leben, nur die Atmosphäre schwüler Sinnlichkeit.

Sie sehen, es wäre für mich eine Erlösung, die Mauern von Paris hinter mir zu haben; Sie müssen aber auch wissen, teuerste Marquise, daß ich das Glück, bei Ihnen zu sein, selbst seinen größten Genüssen vorziehen würde.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 3. Oktober 1777.

Meine Liebe, die Nachricht, daß der Kaiser von Österreich noch diesen Monat nach Straßburg kommt, veranlaßt mich, schleunigst dorthin abzureisen, ohne Froberg zu berühren. Er befindet sich auf dem Wege nach Paris und es ist von größter Wichtigkeit, den Monarchen vor der Begegnung mit seiner erlauchten Schwester, der Königin von Frankreich, zu sprechen und, wenn irgend möglich, zu beeinflussen. Er reist zwar, ein moderner Harun al Raschid, als einfacher Edelmann, sollte aber trotzdem vom elsässischen Adel kaiserlich empfangen werden. Ich muß daher in diesem Falle darauf bestehen, daß meine Gemahlin in unserem Hotel die Honneurs macht, wobei ich nicht unterlassen will, zu bemerken, daß ich es endlich müde bin, nach Monaten der Nachsicht, die Marquise Montjoie die Rolle einer Kinderfrau spielen zu sehen. Engagieren Sie so viel Personal, als Sie es für nötig finden, aber schützen Sie unser Haus vor den wahnwitzigen, alle gute Tradition umstürzenden Ideen der Pariser Philosophen; sie führen unser Vaterland dem Verderben entgegen; wenigstens die Familie will ich vor ihnen gerettet wissen.

Wie wenig besonders Herr Rousseau, auf den Sie sich zu berufen pflegen, das Vertrauen verdient, das Sie in seine Erziehungsprinzipien setzen, habe ich jetzt erst erfahren. Ganz abgesehen davon, daß er durch seine Undankbarkeit jeden seiner Gönner vor den Kopf stieß, hat er es –, nachdem er schon fast vergessen war –, für nötig befunden, seine Memoiren zu schreiben, die, was Mangel an Diskretion, an Takt und Schamgefühl betrifft, aller Beschreibung spotten sollen. Er liest sie gegenwärtig in Pariser Salons vor und hat erreicht, was offenbar seine einzige Absicht war: wieder von sich reden zu machen. Intimste Erlebnisse, die Menschen von guter Lebensart ebenso sorgfältig dem Anblick Fremder entziehen, wie ihre körperlichen Mängel und Gebrechen, schildert er mit derselben Behaglichkeit, mit der sich die Schweine in ihrem eigenen Schmutze wälzen, und bis in die Kreise des Hofes hinein gibt es Leute, die vor diesen Bekenntnissen der »Wahrheit und Natürlichkeit« bewundernd in die Kniee sinken; die Marquise Girardin ist sogar soweit gegangen, dem Verfasser ihr Schloß Ermenonville als Zufluchtsort anzubieten.

Auch sonst mehren sich die Zeichen der gesellschaftlichen Auflösung. Hatte man bisher nur ganz im stillen gewagt, die Handlungsweise des Marquis Lafayette und seiner Freunde, – zu denen ja leider auch der Prinz Montbéliard gehört –, zu entschuldigen, während die einflußreichen Kreise der Gesellschaft in der Verurteilung der französischen Offiziere und Aristokraten einig waren, die ihren Degen in den Dienst von Insurgenten, und damit gegen das Königtum zu stellen wagten, so beginnt man jetzt, sich in aller Öffentlichkeit für sie und damit für die Sache, der sie dienen, zu begeistern. In einigen Journalen wird bereits dem offenen Kriege gegen England das Wort geredet und wir können uns im Augenblick glücklich schätzen, daß wenigstens Herr Necker, in Rücksicht auf die Finanzen, hirnverbrannten Plänen wie diesen abgeneigt ist. England bekämpfen, hieße die amerikanische Republik unterstützen und die Berechtigung der republikanischen Ideen auch bei uns anerkennen. Ich hatte kürzlich eine ernste Aussprache mit Herrn von Vergennes, aber so sehr mir der Minister prinzipiell recht gab, so sehr scheint er praktisch durch seine unvorsichtige geheime Unterstützung von Herrn von Beaumarchais' amerikanischen Unternehmungen bereits engagiert zu sein.

Wir haben also zunächst nur an Herrn Necker einen Rückhalt. Dieser bourgeoise Genfer Bankier, dem man die Ordnung der Finanzen Frankreichs anvertraute, aspiriert jedoch leider den Ministerposten und damit eine Hofstellung, und der König, in unbegreiflicher Nachgiebigkeit gegenüber der nivellierenden Zeitströmung, zieht ihn bereits ganz in sein Vertrauen.

So sehr man sich diesen Herrn als ein notwendiges Übel gefallen lassen muß, so gehört er doch ebensowenig in unsere Intimität, wie ein Haushofmeister, dem man seinen Weinkeller anvertraut.

Hofften wir bisher, auf die Königin rechnen zu können, – ich glaube sogar, daß Ihr Einfluß, meine Liebe, nicht zu unterschätzen gewesen ist, und der Fall Turgots, der klüger und darum weit gefährlicher war als Necker, auf das vorübergehende politische Interesse der Königin zurückgeführt werden kann, – so ist jetzt, wo die Gräfin Polignac und die Prinzessin Lamballe nichts als ihre teils sentimentalen, teils luxuriösen Neigungen unterstützen, und die vergebliche Hoffnung auf einen Thronerben den König ihr entfremdet, keine Rede mehr davon. Sie spielt Komödie, sie tanzt, sie erteilt Schneiderinnen, Künstlern und Poeten Audienzen, – das ist die harmlosere Seite ihres Lebens –, sie erlaubt nicht nur dem Prinzen Artois, sondern auch den Kavalieren des Hofs, ihr zu huldigen, als wäre sie keine Königin.

Alle dem gegenüber werden Sie begreifen, daß der Besuch des Kaisers von Österreich von größter Bedeutung ist.

Ich erwarte, daß Sie bereits Ende dieses Monats alle Anstalten zu unserem Straßburger Aufenthalt getroffen haben werden.

Kardinal Prinz Rohan an Delphine
Straßburg, am 18. Oktober 1777.

Es bedurfte also eines gekrönten Hauptes, um unsere schöne Marquise aus der selbstgewählten Verbannung zurückzurufen! Ich war entzückt, als ich auf meiner gestrigen Ausfahrt über den Platz St. Pierre le Jeune, die Pforten Ihres Hotels offen fand, und ich beeile mich, mit diesen Blumen und Konfitüren an die mir hoffentlich nicht immer verschlossene Pforte Ihres Herzens anzupochen. Sie haben für Ihre reizenden Sünden genug gebüßt; ich spreche Sie los und ledig, Frau Marquise!

S. M. der Kaiser wird mir die Ehre erweisen, morgen nach der Parade das Frühstück bei mir einzunehmen. Der Herr Marquis hat seine Teilnahme zugesagt; darf ich auch auf die Ihre rechnen? Ein Fest ohne Sie wäre keins, auch wenn alle Monarchen der Welt zusammen kämen.

Für den »Barbier von Sevilla«, – durch dessen Aufführung wir dem gekrönten Puritaner wohl beweisen wollen, wie wenig wir uns durch die Satire des Stücks getroffen fühlen! –, stelle ich Ihnen meine kleine Loge zur Verfügung. Herr von Beaumarchais, dessen Anwesenheit in Straßburg mich schließen läßt, daß eine politische Intrigue in der Luft liegt, wird Sie dort ungestört begrüßen können, nachdem Ihr Herr Gemahl, wie er mir soeben mitteilte, ihn zu empfangen nicht geneigt ist. Sie sehen, schönste Frau, wie ich mich bemühe, Ihre unausgesprochenen Wünsche zu erfüllen. Darf ich dafür hoffen, endlich zu dem Kuß zugelassen zu werden, den Sie mir seit Chantilly schuldig sind?!

Herr von Beaumarchais an Delphine
Straßburg, am 25. Oktober 1777.

Verehrteste Frau Marquise, Sie haben es mir nicht glauben wollen, daß die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Ihnen mir Straßburg anziehender machte als die auf eine mögliche Begegnung mit dem Sohne Maria Theresias? Wir, denen die Politik noch eine Kunst ist, bedürfen der Frauen mehr, als die gekrönten Handelsreisenden, die sie als ein Geschäft betreiben.

Nun haben Sie mich zwar mit größter Liebenswürdigkeit begrüßt, – vor dem ganzen Theater, in Ihrer großen Loge, ohne diskrete Vorhänge –, aber ich bin ein zu guter Kenner aller Nüancen des Frauenlächelns, um nicht empfunden zu haben, daß es weniger meinen Handkuß, als das Stirnrunzeln des Herrn Marquis, das sarkastische Lippenkräuseln des Herrn Kardinals hervorzurufen bestimmt war. Ich weiß darum nicht, ob ich die reizende Marquise Montjoie noch als meine Aliierte betrachten darf.

Frauen sind wie Kinder: sie spielen jedes ihrer Spiele mit vollkommener Hingabe aber ohne die geringste Ausdauer. Wenn es keine Könige gäbe, würde ihr Wankelmut durch nichts übertroffen werden.

In diesem Fall wäre ich fast geneigt, ihn zu entschuldigen. Nicht, weil Sie augenblicklich Mutter spielen und damit mehr tun als Rousseau, der wie alle Priester sich auf bloßes Predigen seiner Lehre beschränkt hat, sondern weil ich selbst häufig genug das Bündnis mit mir brechen möchte.

Sie wissen: seit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ist unseren Philosophen ein Stein von der Seele gefallen, denn sie sehen ihre Ideen verwirklicht, ohne selbst dabei sein zu müssen. Man brüstet sich vor Stolz, daß der Abbé Mably von der jungen Regierung beauftragt wurde, seine Prinzipien der Gesetzgebung zu einem Verfassungsentwurf auszuarbeiten und man schwärmt begeistert für die kommunistische Demokratie in – Amerika. Ich, der Erste, der Frankreich für Amerika engagierte, müßte mitschwärmen, aber seitdem Herr Franklin die Freiheit und die Gleichheit repräsentiert, bin ich geneigt, die Despotie zu vertreten.

Das Feuer der Begeisterung scheint auch bei den französischen Kämpfern jenseits des Meeres, nach denen Sie, verehrteste Frau Marquise, sich mit solchem Interesse erkundigen, um so niedriger zu brennen, je mehr sie einsehen, daß die Göttin der Freiheit für die biederen Farmer und kleinen Krämer doch nur ein Marktweib ist, das ihre Waren möglichst teuer an den Mann bringen soll. Die Nachrichten über die kriegerischen Erfolge lauten momentan nicht erhebend.

Ich wollte durch eine Politik, die eines Alexander würdig war, die Welt reformieren, aber ich sehe ein, unsere Reformen schädigen uns heute noch mehr als unsere Laster. Darum vertausche ich zu meiner Erholung das Schwert, das sich in dem Riesenviehstall Frankreichs als Ersatz für eine Mistgabel als unzureichend erweist, wieder einmal mit der Feder, die wenigstens spitz genug ist, um einzelne Stücke allgemeinen Unrats aufzuspießen.

Die guten Straßburger hätten es freilich lieber gesehen, wenn der andalusische Barbier aus Sevilla sich über spanische Sitten lustig machen würde, als französische Zustände zu kritisieren; ich habe ihnen zu ihrer Beruhigung versichert, daß ich mein Stück gewiß spanisch geschrieben haben würde, wenn Voltaire seine Lettres anglaises englisch und Montesquieu seine Lettres persanes persisch geschrieben hätten. Daß Sie mir übrigens zum Beifall des Kaisers gratulierten, beweist, wie lange – eine Ewigkeit von anderthalb Jahren! – und wie weit Sie von Paris entfernt sind. Nichts kompromittiert heute mehr als der Applaus der Fürsten, und ich würde gestern an meinem Talent irre geworden sein, wenn ich nicht zwischen dem Herrscher Österreichs in der grünen Uniform und Herrn Benjamin Franklin in dem erdbraunen Quäkerrock eine Ähnlichkeit entdeckt hätte: Beide freuen sich über meine Komödie nur darum so sehr, weil sich ihre eigene Tugendhaftigkeit so strahlend von dem dunklen Hintergrunde abhebt.

Darum wird mir auch die Ehre einer Audienz zuteil. Joseph II. ist ein »aufgeklärter« Monarch, der Dichter und Denker zu schätzen weiß. Ich verstehe: wie bisher in der Garküche der Welt alle Gerichte nur deshalb hergestellt wurden, um den Gaumen hoher Herrn zu kitzeln, so sind heute Gedanken und Gedichte für sie nichts weiter als Reizmittel für ihren erschlafften geistigen Magen.

Erzählen Sie dem Herrn Marquis von der Ehre dieses Empfangs, dann wird er nicht daran zweifeln, daß ich nur ein öffentlicher Spaßmacher bin, und die Stirn nicht mehr in Falten ziehen, wenn die Lippen eines Aventurier die schöne Hand seiner Gattin berühren. Bedürfen Sie jedoch eines Funkens, um das Pulverfaß eheherrlichen Zorns zum Explodieren zu bringen – wie ich fast vermute! – so sehen Sie mich mit Freuden auch zu dieser Rolle bereit. Sie dürften ja von vornherein der Gefahr sich bewußt sein, daß in Ihrer Nähe jeder Funken zur Flamme wird.

Herr von Beaumarchais an Delphine
Straßburg, den 30. Oktober 1777.

Teuerste Marquise – Welch eine Nacht liegt hinter mir! Angesichts der Nachrichten aus Paris sah ich alle Träume meiner Jugend vor mir auferstehen: Helden in Silberrüstung schlugen mit feurigem Schwert die bösen Geister meines skeptischen Alters in die Flucht!

Saratoga gefallen – die Engländer vernichtet – Amerika befreit! Das ist der Anfang einer neuen Epoche der Weltgeschichte! Wäre ich in Paris, ich würde sogar Benjamin Franklin in meine Arme schließen!

Wir müssen die Stunden, die wir durchlebten, festhalten, damit sie unser Leben noch erleuchten, wenn jede Erinnerung sich uns verdunkelte!

Wissen Sie noch, wie ich Ihnen nach der Tafel in der üppigen Bibliothek des Prinzen Rohan, wo es mehr schwellende Sophas und tiefe Polsterstühle als Bücher gibt, die Provinzkomödie schilderte, die Straßburg aus der Tiefe meines Tintenfasses grinsend hatte auftauchen lassen. Ich zeichnete Ihnen gerade die Porträts ihrer Helden: des Kardinals Rohan als des Hauptes aller Gläubigen, wie er in der roten seidenen Soutane, von Spitzen überrieselt, die an Wert seine Diözese aufwiegen, an der weißen Hand einen Brillanten, den die ganze Krone Frankreichs nicht ersetzen könnte, morgens an dem mit Rubinen und Smaragden besetzten Missale die Messe zelebriert und sein »Apage Satanas« gegen alle Aufklärer schleudert; des Prinzen Rohan sodann als den maître de plaisir der besten Gesellschaft, wie er im goldgestickten Surtout mit gemalter Weste, an der jeder Knopf eine kostbare Perle ist, abends vor der beladenen Tafel kleinen Tänzerinnen mitleidig Durst und Hunger stillt und sein Evoë allen Puritanern entgegenjubelt.

Ich höre noch Ihr helles Lachen, – das ich schon ganz verstummt glaubte –, als ich Ihnen auseinandersetzte, daß die beiden Helden notwendig von einem Schauspieler gespielt werden müßten! Und ich sehe noch das Zucken um Ihre Mundwinkel, – war es unterdrückte Freude oder niedergezwungene Empörung?! –, als ich Ihnen verriet, daß meine Bekanntschaft mit diesem Kardinal und Prinzen mir das Rätsel, warum die Theologen sich neuerdings so sehr bemühen, die Göttlichkeit Christi weg zu disputieren, gelöst hat: welch ein Triumph wäre es für die Kirchenfürsten, die Autorität dessen, der die Armut predigte, so erschüttert zu sehen!

Im Augenblick dieser blasphemischen Äußerung hörten wir Türen schlagen, Stühle rücken, lautes Stimmengewirr, – wir traten neugierig in den großen Saal –, es war ein unvergeßlicher Anblick für den Physiognomiker: alle Gemütsbewegungen malten sich auf den Gesichtern, Zorn und Freude, Enttäuschung und Befriedigung, Haß und Liebe.

»Saratoga ist gefallen!«

Die jungen Offiziere ließen die Sporen klirren, das Gefolge des Kaisers von Österreich verbarg hinter blassen festgeschlossenen Lippen seine Wut und affichierte durch sein Schweigen seine monarchische Gesinnung, während französische Aristokraten, ihren Jubel schwer unterdrückend, mich umringten, um mir verständnisvoll die Hand zu schütteln.

Den Grafen von Falkenstein, – wie der Kaiser von Österreich sich zu nennen beliebt, um seines Menschseins ein wenig froh zu werden –, sahen wir in ernstem Gespräch mit dem Kardinal Rohan und dem Marquis Montjoie.

»Sie konspirieren gegen die Freiheit«, sagte ich. Da fühlte ich Ihre Hand auf meinem Arm, sah in ein glühendes Antlitz, in tränenfeuchte Augen und hörte eine süße Stimme flüstern: »Ich bin noch Ihre Aliierte!«

War diese Nacht Fortuna selbst, die ihres Füllhorns ganzen Reichtum über mich auszuschütten im Begriffe stand?! Ich zog Ihre Hand an meinen Mund, der sekundenlang auf der weißen duftenden Haut zu ruhen wagte –, ich sah auf, – noch zitternd wie vom plötzlichen Fieber, da traf mich Ihr Blick –

O, Frau Marquise, ich hatte wahrhaftig vergessen, daß ich Figaro bin – nichts als Figaro!

Wenigstens will ich mich jetzt dieser Rolle würdig erweisen.

Die Ereignisse fordern meine schleunige Anwesenheit in Paris. Dieser Brief, zwischen Nacht und Morgen geschrieben, ist mein schriftlicher Abschied.

Leider muß ich erwarten, daß diese Eile Ihren Beifall findet: Figaro sollte ja Erkundigungen einziehen nach dem »Jugendfreunde«, dem Prinzen Montbéliard. Er wird es tun, und sollte er zu diesem Zwecke den Ozean durchkreuzen müssen! Nur daß er lächelte, als Sie mit dem ernstesten Gesichtchen von dem »Freunde« sprachen, dürfen Sie seiner Menschenkenntnis nicht verargen. Glauben Sie wirklich an eine Freundschaft zwischen Mann und Weib?! Sie ist entweder ein Deckmantel für die Asche ausgebrannter Flammen, oder für die Glut entstehender! Trotz alledem: Figaro hält Wort!

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 5. November 1777.

Meine Liebe! Sie werden inzwischen eingesehen haben, wie sehr ich recht hatte, als ich die Nachricht von unseres Sohnes Erkrankung nicht so tragisch nahm wie Sie und Ihre Abreise von Straßburg zu verhindern suchte. Der Anfall wäre auch ohne Ihre Anwesenheit vorübergegangen. Herr Dr. Tronchin wird Sie gewiß inzwischen über den Zustand des Kindes beruhigt haben.

Erwarten Sie übrigens nicht, daß ich über die eigentliche Ursache Ihrer Abreise und Ihrer Weigerung mich zu begleiten, im Zweifel wäre. An Ihre überschwengliche Mutterliebe werden Sie mich kaum glauben lassen, nachdem Sie sich bis vor anderthalb Jahren um das Kind gar nicht gekümmert haben, und ich seitdem oft genug beobachten mußte, wie Ihr allzu sprechender Blick eher mit einem Ausdruck des Erschreckens als der Zärtlichkeit auf dem Kleinen ruhte. Sie suchen vielmehr jeden Vorwand, um sich von mir fern zu halten. Ihre Auseinandersetzungen über die Gegensätze der Ansichten zwischen uns, die jede Annäherung verhinderten, ist auch nur ein solcher.

Die Ehe ist kein Ministerium, sonst müßten ihre Teile ebenso häufig wechseln, wie ein solches; sie ist aber auch kein Liebesverhältnis, sonst würde sie vollends von kürzester Dauer sein. Sie ist vielmehr ein Bündnis zum Zweck der Förderung gemeinsamer Familieninteressen. Von diesem Standpunkt ausgehend, habe ich ein Recht, Ihre Teilnahme an meinen Bestrebungen, die das Ansehen, den Reichtum, die Macht meiner Familie zum Ziele haben, zu fördern. Daß dazu in erster Linie die Sicherung unserer Erbfolge gehört, ist selbstverständlich. Unser Sohn ist, – ich bin, wie Sie sehen, ebensowenig blind wie Sie –, kein erfreulicher Sproß unseres Hauses. Es ist nicht unmöglich, daß er nicht alt wird. Ich, als der letzte meines Stammes, habe die Verpflichtung, für die Erhaltung meines Geschlechts zu sorgen. Nur deshalb wählte ich ein junges, blühendes Mädchen zu meiner Frau, ohne mich darum zu kümmern, daß sie nichts weniger als eine gute Partie gewesen ist.

Ich denke, Sie verstehen mich jetzt, meine Liebe, und werden, sobald ich zurückkehre, Ihr Benehmen darnach einrichten.

Mein Aufenthalt hier ist leider nicht so befriedigend, als ich gehofft hatte. Zwar haben unsere Ratschläge den Kaiser von Österreich nicht unbeeinflußt gelassen; seine große Einfachheit wirkt auf den Hof sichtlich beschämend; auch das Volk begeisterte sich vorübergehend für seinen schlichten Soldatenrock.

Eine Fischhändlerin, – vermutlich die Geliebte irgend eines Philosophen –, hatte sogar die Keckheit, ihm einen Blumenstrauß mit den Worten zu überreichen: »Wie glücklich muß das Volk sein, das Ihre Tressen zu bezahlen hat.«

Aber im allgemeinen finde ich meine Ansicht bestätigt, daß ein Monarch, wenn er die Loyalität erhalten will, sich der Menge ebenso fern halten soll, wie Gott den Gläubigen, den sie auch aufhören würden anzubeten, wenn er ihresgleichen wäre. Der Kaiser von Österreich ging ohne Gefolge spazieren, besuchte die Philosophen, ließ sich von Herr von Vaucanson seine neue Spinnmaschine, von Buffon die geologischen Perioden erklären, sah in den verschiedensten physikalischen Kabinetten den elektrischen Experimenten zu, und schien diesen Dingen eine größere Bedeutung beizulegen als den Fragen der Politik. Nach drei Tagen war er für Paris kein Kaiser mehr.

Ob er gegenüber seinen erlauchten Verwandten seinen Einfluß im Sinne des Friedens geltend gemacht hat, läßt sich heute noch nicht feststellen. Der allgemeinen Stimmung sich zu widersetzen, dazu bedürfte der König eines energischen Ratgebers. Alle Anstrengungen, die von mir und meinen Freunden ausgehen, werden in ihren Folgen von vornherein in Frage gestellt, wenn wir nicht einmal unser eigenes Haus von Leuten wie Herrn von Beaumarchais frei halten können.

Johann von Altenau an Delphine
Paris, 5. November 1777.

Meine teuerste Marquise! Schon fürchtete ich aus Ihrem Schweigen schließen zu müssen, daß ich Sie in irgendeiner Weise verletzt haben könnte. Und nun begegnet mir das große, unaussprechliche Glück, dessen Fehlen wohl die Einsamkeit der Einsamen so fürchterlich macht: einem Menschen notwendig zu sein!

Sobald ich hier die nötigsten Geschäfte erledigt habe, werde ich auf dem raschesten Wege in Froberg eintreffen. Meine Freude würde mein Mitleid überflügeln, wären Sie nicht sein Gegenstand. Arme Delphine! kaum glaubten Sie sich dem Bann, der auf Ihnen lag, durch den Straßburger Aufenthalt ein wenig entrissen zu haben, als er Sie durch die schreckenerregenden Krämpfe des Kindes wieder in seine Gewalt bekam; und nicht genug, daß die Angst Sie peinigt, Sie überlassen sich auch in grausamer Selbstquälerei den Vorwürfen eines allzu zarten Gewissens.

Ist es Ihre Schuld, daß Sie, wie Herr Dr. Tronchin Ihnen sagte, zu früh Mutter wurden? Ist es nicht Schuld der Gesellschaft, die es zur Sitte werden ließ, daß die Töchter vornehmer Familien so früh als möglich – verkauft werden? Ist es Ihre Schuld, daß Sie nicht warten durften, bis Ihr Herz und Ihre Sinne den Vater Ihres Kindes wählten? Oder ist es nicht abermals die unsühnbare Schuld einer bis ins innerste Mark hinein verdorbenen Gesellschaft, daß sie die Ehe zu einem Geschäft erniedrigte und damit die Liebe zu einem Laster werden ließ? Ist es wirklich Ihre Schuld, daß der zarte Knabe einer derben Bäuerin zur Pflege anvertraut wurde? Kein Gärtner ist in seinem Fach so ungebildet, daß er eine blasse Treibhausrose in einen Küchengarten der Vogesen verpflanzen würde, aber die Gesellschaft rühmt sich, ihre Glieder dann am besten erzogen zu haben, wenn sie sich am weitesten von den Gesetzen der Natur entfernen.

Ich möchte Ihre Seele heilen, Frau Marquise, damit Sie die Dolchklingen des Gewissens nicht mehr selbstmörderisch gegen sich selber zückt, sondern gegen die großen Verbrecher wider die Natur: Staat und Gesellschaft. Die Zeit kann nicht mehr fern sein, wo sich alle seine unschuldigen Opfer wider ihn erheben. Wie Sturmzeichen wirkte schon der Fall von Saratoga auf die Pariser: arme Handwerker und kleine Staatsbeamte, die bis vor kurzem zu denken sich nicht erlaubten, sah ich mit erhitzten Köpfen und aufgeregten Gebärden im Garten des Palais-Royal zusammenströmen, als die Botschaft vom Siege der Freiheitskämpfer sich verbreitete; einer von ihnen, ein stubenblasser Schneider, sprang auf einen Stuhl und rief mit einer Stimme, die seine schmale Brust zu sprengen schien: »Nun, Europa, folge nach!« Eine Stunde später war sein Aufruf zum Refrain eines Liedes geworden, das heute schon die Kinder in den Höfen singen.

Sie schrieben von dem einsamen Winter in Froberg, als ob Sie sich darum bei mir entschuldigen müßten. Unsere hoffnungsvollen Träume sollen ihn bevölkern!

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, den 16. April 1778.

Verehrte Frau Marquise. Seit meinem Abschied von Straßburg ist fast ein halbes Jahr verflossen.

Mit den Farben der schönsten Frau geschmückt, vertraute ich mich, ein zweiter Bayard, den Meereswogen an und lenkte mein Schiff durch wilde Stürme und drohende Klippen dem fernen Ziele zu, das sie mir bestimmt hatte. An unwirtlicher Küste warf mich ein rasender Orkan ans Land. Mein Schwert hieb mir Bahn durch dunkle Urwälder, streckte gräßliche Ungeheuer vor mir nieder, verteidigte mein Leben gegen Horden feindlicher Rothäute und führte mich schließlich, sieggekrönt, in die Stadt der weißen Marmorpaläste und goldenen Bildsäulen. Vor dem Tempel der Freiheit, der wie die Sonne leuchtet, von Rosenbäumen, die hoch und stark sind wie unsere Eichen, dicht umgeben, fand ich die Helden Frankreichs auf purpurnem Pfühle von ihren Taten ruhen; die holdesten Töchter des Landes wuschen den Staub von ihren Füßen und boten ihnen lächelnd die Blüte ihrer Jugend dar.

Sie schütteln den Kopf, Frau Marquise, Sie glauben mir nicht? Sie behaupten, Beaumarchais habe Frankreich nicht verlassen? Wissen Sie vielleicht ebenso genau, wo Figaro inzwischen gewesen ist?! Mit Eiden, so heilig, wie das Keuschheitsgelübde der Priester und der Treueschwur der Gatten, bezeuge ich Ihnen, daß er vor dem Tempel der Freiheit seine Andacht verrichtete und den Prinzen Montbéliard, den tapferen Kämpen, begrüßte.

Sie glauben mir noch nicht, Frau Marquise?! Wehe, wenn sogar bei Ihnen die verderbte Zeit den Glauben an die unverbrüchliche Heiligkeit des Eides zerstörte!!

Kurz und gut: der Prinz ist gesund, hat sich geschlagen wie ein Franzose, wird angebetet wie Apoll, und ist keusch wie Joseph.

Nicht wahr, nun blättern Sie geärgert die nächsten Seiten meines Briefes um: »Habe ich ihm erlaubt, mir mehr zu schreiben?!« sagen Sie. Und doch müssen Sie mir zuhören, denn durch mich kommt in diesem Augenblick nicht nur Paris, sondern die Welt zu Ihnen, nachdem Jean-Jacques Sie dem Einen entzog, der Anderen entfremdete.

Voltaire ist in Paris! Das Pariser Parlament verbrannte seine Bücher, die französische Regierung trieb ihn aus seinem Vaterlande, aber seine Ideen stiegen, die Welt erleuchtend, aus dem Scheiterhaufen bloßen Papiers, und jedes Jahr seiner Verbannung bahnte ihm mit Feuer und Schwert den Weg nach Frankreich.