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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil

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Zweiter Abschnitt.
In Amsterdam

1.
Kaufmännische Thätigkeit

Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt betriebene Geschäft in englischen Manufacturen en gros allein und auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien ihm auch bald wieder lächeln zu wollen.

Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere widrige Verhältnisse erinnert.

Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb:

Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen — ich thue es nicht und ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide glücklicher sein werden als wie wir uns trennten.

Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des Schreibers Zeugniß:

Theuerster Bruder!

Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, die wir hier zusammen lebten und — was mir unschätzbar bleibt — auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster Bruder, am Sonntag Morgen, — der zerriß mir die Seele. Bin ich doch nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen würden, — als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte!

Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich unsere Wünsche alle begegneten.

Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist der Bruder da, nun ist er da. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim, Wesel — nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns — und von Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, — wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern darstellen konntest!

Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft ertragen zu können!

Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles.

Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. — G. B.« und wurde ihm wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) lauten:

 
Feindlich ist die Welt
Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur
Sich selbst; unsicher, los und wandelbar
Sind alle Bande, die das leichte Glück
Geflochten — Laune löst, was Laune knüpfte —
Nur die Natur ist redlich! Sie allein
Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest,
Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen
Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt
Den Freund — es gibt der Vortheil den Gefährten;
Wohl dem, dem die Geburt den Bruder gab!
Ihn kann das Glück nicht geben — anerschaffen
Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt
Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da.
 

Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm.

Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in die Republik unmöglich zu machen.

Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich.

Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild seiner Lage:

Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal thaten.

 

Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft ... Ich habe mich inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke, so Gott will, glücklich herauszukommen ... Es ist das Alles sehr schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf einer Nadelspitze — die habe ich erhalten — , aber mein Credit hat tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und raisonnirt. Das Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen ... Dies, lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch die Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten.

Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich, lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es als ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu auch nicht eines insoliden Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen habe, solche zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem ausgedehnten Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, und daß ein Manufacturgeschäft hier mit einem Fonds wie der meinige eigentlich nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was ich ganz that. Außer den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und die dazu mit dienen sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber auch noch gern alle die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar sind und die dazu mit beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle die Fonds disponibel haben, welche mir doch einmal gehören, durch unangenehme Dispute aber nun für mich ohne Nutzen sind ...

Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein Jahr mit einem besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu unterstützen. Dann fährt er fort:

Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen, meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken. Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren, mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort, daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte, daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen. Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein Wort ... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin ... Ich habe Dir Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung!

Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies nicht geniren, falls er nur etwas vorher davon unterrichtet sei. Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern Waarengeschäfts.

Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte.

2.
Errichtung einer Buchhandlung

Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt, hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt, den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt, deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf einem andern Felde lächeln werde?

Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie« unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer. Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren, 1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines Namens.10 Hierüber sagt er in einem Briefe:

Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben mußte, da sein Name gebraucht wurde.

Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich deutlich hervorgehen, lautet:

Amsterdam, den 15. October 1805.

Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben, welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in den Vereinigten Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell verschaffen zu können.

Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central- und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen.

Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen.

Rohloff & Co.

Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt. Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im ersten Satze heißt: »que les soussignés viennent d'établir en cette ville un Institut de Commerce, sous la raison: Bureau des Arts et des Belles-lettres«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach damaliger Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: Rohloff & Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt.

 

Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805:

Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung gesagt, wobei ich mich interessirt habe.11 Ich kann Dir jetzt etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung. Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.12 Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu unterstützen.

Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl. bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird, mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an 250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren, Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen, wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt.

Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als »Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder — und das ist das Wahrscheinlichere — unter dem »Hauptdirector« war derjenige gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus unter dem Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder (vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später zerschlug.

Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches« kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte, nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er das kaufmännische Geschäft immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam, obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen Verhältnisse kam sie öfter vor.

Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier folgen:

Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich, als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten, daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte und das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich zur Absicht, doch ein noyau für Manufacturgeschäfte beizubehalten, um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt ... Durch die Kenntniß und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich entschloß mich, den noyau, den ich noch von Manufacturen angehalten hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen Geschäfte zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der mich kennt, ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien ... Antheil hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse indessen im Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt wären.

Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber lästige Unternehmung« (den kaufmännischen noyau) zu verkaufen beabsichtige; indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur Ausführung gekommen.

Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte.

Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.13

In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet, heißt es:

1010 Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg, bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint, bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend.
1111 Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte.
1212 Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan« des neuen Etablissements auffinden lassen.
1313 Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856, aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855 hätte begangen werden können.