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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil

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Die hierüber erlassenen Anzeigen und Circulare dürfen als zur Geschichte der Firma F. A. Brockhaus gehörig, zumal das Geschäft dadurch sogar eine neue Firma erhalten sollte, an dieser Stelle nicht fehlen, obwol zweifelhaft ist, ob sie in die Oeffentlichkeit gelangten, und es außerdem nur ein Scheinkauf war, der bereits zehn Tage darauf, am 16. October, von den Betheiligten wieder aufgehoben wurde.

Die zwei in Altenburg gedruckten Anzeigen, die uns in dem von Brockhaus an Bornträger gesandten Exemplare (in Circularform) vorliegen, lauten:

Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.

Als Eigenthümer der unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir, bekannten Verlags- und Sortiments-Buchhandlung zeige ich hiermit an, daß ich diese Handlung mit allen Vorräthen, Verlags-Rechten und sämmtlichen Activ-Schulden an die Witwe Hofräthin Spazier, geb. Mayer, verkauft habe; hiernächst aber die Liquidation der Passiven, insofern diese nicht durch Gegenrechnungen, so weit sich solche bis à dato in den Handlungsbüchern verzeichnet finden, ausgeglichen werden könnten, mir selbst vorbehalte.

Friedrich Arnold Brockhaus.
Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.

Indem ich Obiges bestätige, füge ich hinzu, daß in Verbindung mit mehrern Freunden eine neue Buchhandlung, unter der Firma:

Typographisch-litterarisches Institut
in Amsterdam und Leipzig,

errichtet ist, von welcher Firma hinführo der seitherige Verlag des Kunst- und Industrie-Comptoirs allein wird zu erhalten sein.

Es verbittet sich dies neue Geschäft jedoch einstweilen, bei den in Holland eintretenden Veränderungen in Rücksicht des deutschen Buchhandels, alle und jede Zusendung von Novitäten, bis es darüber etwas Näheres anzeigen wird, und begnügt es sich vorläufig mit dem Empfange der Continuationen, um deren prompte Zusendung gebeten wird. Was die Sortiments-Handlung des neuen Geschäfts gebrauchen möchte, wird es für feste Rechnung verlangen.

Das, was von heute an noch für das Kunst- und Industrie-Comptoir eingeht, wird von dem Typographisch-litterarischen Institute verrechnet werden.

Die Herren W. Rein und Comp. in Leipzig haben die Güte, die Commission für dieses neue Geschäft zu übernehmen, und ich ersuche dieserhalb, die mir als Käuferin des Kunst- und Industrie-Comptoirs competirenden Saldo-Reste und alles Weitere diesen unsern Commissionärs zuzustellen.

Johanne Caroline Wilhelmine, Witwe Hofräthin Spazier,
geb. Mayer.

Das in Amsterdam gleichzeitig in deutscher und holländischer Fassung gedruckte Circular lautet in ersterer:

Leipzig und Amsterdam, 5. October 1810.

Ich zeige Ihnen hiermit an, daß ich die Direction und meinen Theil an dem seit 1806 hier in Amsterdam wie in Leipzig, unter der Firma von Kunst- und Industrie-Comptoir, bestanden habenden Buchhandlungs-Etablissement abgegeben und an die Hofräthin Witwe Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer, unter heutigem Dato verkauft habe, wodurch diese alleinige Eigenthümerin beider Geschäfte mit allen Vorräthen, Verlagsrechten und ausstehenden Activ-Schulden geworden ist.

F. A. Brockhaus.

Indem ich Obiges bestätige und hinzufüge, daß ich für Amsterdam Herrn F. Schmidt zu meinem Commissionär ernannt, und ihn mit allen nöthigen notariellen Vollmachten versehen habe, an den Sie sich also von jetzt an, in Rücksicht alles dessen was Ihre Verhältnisse zum ehemaligen Kunst- und Industrie-Comptoir betrifft allein wenden, und dem, was von ihm darin geschieht, ganzen Glauben beimessen wollen, zeige ich zugleich an, daß ich künftig allein das Verlagsgeschäft und zwar unter der Firma Typographisch-litterarisches Institut in Leipzig fortführen, hingegen die in Amsterdam bestehende Sortiments-Buchhandlung aufheben werde, weil der deutsche Buchhandel durch die franz. Gesetze sehr beschränkt und gehemmt werden wird, und derselbe ohne gänzliche Freiheit nicht mit Vortheil bestehen kann.

Um nun mein daselbst vorhandenes großes Lager noch möglichst verkleinern zu können, biete ich Ihnen hierdurch alles ohne Ausnahme, was Sie noch von den vorräthigen Artikeln, nach unsern bereits erhaltenen Katalogen, zu acquiriren wünschen, gegen comptante Zahlung mit 33 1⁄3 p. Ct. Rabatt an, doch erbitte ich mir Ihre Orders so bald als möglich, da sie späterhin nicht gut mehr möchten ausgeführt werden können.

Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer.

Mit vollem Rechte konnte Brockhaus am 21. October an Bornträger schreiben: der kühne Schritt sei gelungen und das Geschäft gerettet; jedermann habe eingesehen, daß der Verkauf fingirt sei; derselbe habe deshalb gesetzmäßig umgestoßen werden können, wenn man den Verdacht der Insolvenz gehegt hätte, das sei aber glücklicherweise nicht der Fall, wie auch kein Grund irgendwelcher Art zu einem solchen Verdacht vorliege.

Ueber die Einwirkung aller dieser Verhältnisse auf seine dadurch scheinbar so viel näher gerückte Heirath schreibt Brockhaus an Bornträger unterm 14. October:

Was unter diesen Umständen aus unserer Verbindung werden wird, weiß Gott! Es versteht sich von selbst, daß sie nicht eher statthaben darf, bis sie einigermaßen geordnet sind. Für mich fürchte ich in Rücksicht meiner Gesinnungen nichts, da mir Minna theurer wie mein Leben ist und ich höchst unglücklich sein würde, wenn ich sie verlöre. Von der andern Seite denke ich aber auch zu zart, als daß ich auch nur auf die leiseste Weise Ueberredung gebrauchen möchte, im Fall ich auch nur einigermaßen ahnden könnte, als seien ihre Gesinnungen und ihre Liebe verändert. Ich begreife vollkommen, wie diese Geschichten alle auf sie influenciren müssen, und wie es geschäftige Rathgeber geben wird, die ihr die Verhältnisse und mich mit Farben darstellen, die sie sicher ängstlich machen müssen. Haben sich solche Rathgeber ja auch bei mir eingefunden in Rücksicht auf sie. Man muß ihre und meine Verhältnisse so genau und in allen ihren hundertfältigen Beziehungen kennen, als Sie es thun, muß wissen, wie isolirt und verloren wir Beide standen und getrennt wieder stehen würden, man muß unsere achtzehnmonatliche genaue und innige Freundschaft kennen, man muß dies Alles genau wissen, um unser Verhältniß ganz würdigen zu können ...

Ich werde Minna nie freiwillig und aus Gründen, die in mir selbst liegen könnten, verlassen. Ich kann es nicht, und ich würde es für ein Verbrechen halten, wenn ich es wollen könnte. Aber ich werde sie verlassen, sobald sie es wünscht, und gehe ich darüber auch, wie ich voraussehe, ganz zu Grunde. Dies habe ich ihr auch mehrmalen in schweren Momenten gesagt! Sie hat bisher immer erklärt, daß sie ihr Leben dem meinigen unzertrennlich anschließen werde. Wenn das ihre Gesinnung bleibt, so glaube ich, daß Alles wohl und gut enden werde und enden könne. Voneinander getrennt, glaube ich aber, daß sie wie ich moralisch und bürgerlich werden zu Grunde gehen ...

Noch gereicht mir sehr zur Beruhigung, daß ich auch bei aller meiner innigen Liebe, ja Anbetung für sie mich dennoch lange, wie Sie es selbst wissen, sehr lange gesträubt habe, ehe ich zu einer Verbindung mich entschlossen habe, und daß die Initiativen dazu nicht von mir, sondern von ihr selbst ausgegangen sind. Auch hat sie das Verhältniß meiner Handlung im ganzen gekannt wie es ist.

Nach einigen Wochen, die er in der eifrigsten Thätigkeit für Ordnung seiner Angelegenheiten und in angenehmem Verkehr mit seinen neuen Bekannten in Altenburg verbrachte, äußert er gegen Bornträger unterm 10. November:

Ich habe Ihnen letzthin viel über meine und Minna's Verhältnisse geschrieben. Sie haben sich wieder enger als je geknüpft, und sobald die bürgerlichen Schwierigkeiten besiegt sind, werden wir heirathen. Seit acht Tagen leidet sie erstaunlich an Krämpfen, ist seit heute etwas wohler, aber noch unendlich krank und schwach.

Uebrigens sind wir sehr geneigt, wenn Alles erträglich geht, uns hier zu fixiren. Altenburg ist ein Ort von circa 10-12000 Einwohnern, wo sich die Langeweile der ganz kleinen Städte nicht findet und wirklich ein sehr angenehmer Ton herrscht. Es gibt höchst interessante Cirkel, und Minna, die in mehrern Jahren in Leipzig beinahe keinen Menschen mehr sah, ist wie in einer neuen Welt, wo sie durch ihre Talente und ihren Geist sehr geschätzt ist. Das Reichenbach'sche Haus, mit Reichenbach's zwei höchst interessanten verheiratheten Schwestern, einer Madame Hoffmann und Madame Pierer, und das von Ludwig, der einen Engel an Weib und reich an Talenten zur Frau hat, bilden den Centralpunkt der bessern gesellschaftlichen Cirkel, worin Minna auch aufgenommen ist und ich es bin, wie ich es wollen werde. Man kann mit 1000 Thlr. hier ein ganz anständiges Haus machen und wird nicht blos, wie in Amsterdam und in Leipzig, nach dem, was man mit Geld wiegt, gewogen. Ueberhaupt ist das Land von allen Kriegsverheerungen beinahe ganz verschont geblieben und ist unter der sanften Gothaischen Regierung wol noch eins der glücklichsten Ländchen, die es in dem jetzigen Sturme aller Verwirrung geben mag.

 

So aufs neue Hoffnung schöpfend und mitten unter Stürmen dem ihm vorschwebenden bescheidenen Ziele ganz nahe, wurde Brockhaus abermals und in der entsetzlichsten Weise vom Schicksale getroffen, das wie ein Blitz aus der schwülen Luft, die ihn umgab, herniederfuhr: seine Braut — wurde wahnsinnig! Und wenn sie auch wieder genesen sollte, sie war auf immer für ihn verloren!

Mit ergreifenden Worten schildert er selbst diese Vorgänge in einem Briefe an Bornträger vom 21. November:

Wo soll ich Worte hernehmen, um Ihnen den namenlosen Jammer auszudrücken, worin ich gestürzt bin! O Gott! welch ein fürchterliches Schicksal verfolgt mich, und wie wird sich Alles noch enden! Mein letzter Brief an Sie war vom 9./11. November. Seit der Schreibung desselben habe ich von Ihnen auch weiter keine Nachrichten erhalten, sodaß also wohl morgen mehrere Briefe zusammen von Ihnen eintreffen werden. Aber wo würde ich auch den Muth und die Zeit hergenommen haben, Ihnen etwas sagen zu können? Wo nehme ich ihn jetzt her, am Abend der fürchterlichsten Katastrophe meines Lebens?

Schon in meinem letzten Briefe muß ich Ihnen gesagt haben, daß Minna krank sei. Sie ist es geblieben — sie ist es noch — sie ist — entsetzen Sie sich nicht — sie ist — wahnsinnig! Ich vermag es nicht, Ihnen den ganzen Hergang der fürchterlichen Krankheit zu erzählen. Etwa gegen den 1. d. M. fing es mit einem Gliederreißen an. Aus dem Gliederreißen wurde ein rheumatisches Fieber; dieses artete in ein nervöses aus, es kamen hysterische Zufälle — lebhaftes Phantasiren — Irrereden hinzu, und dies Alles hat mit dem Zustande geendet, den ich Ihnen oben genannt habe, nicht aber nochmal nennen kann. Ob eine Heilung möglich ist, steht dahin, das jetzt Factische ist da, und mir ist jenes unwahrscheinlich — aus psychologischen Gründen. Wir haben täglich die rührendsten und herzerschütterndsten Auftritte, aber auch die entsetzlichsten, wie die wildeste Phantasie sie sich nur schaffen kann. Einer der entsetzlichsten hatte in der Nacht vom Sonntag auf Montag statt, wo außer sonstigen Wächtern Madame Ludwig — ein Engel von Weib — mit mir, der seit 16 Tagen jetzt nicht aus den Kleidern gekommen, die oberste Wache hatte, und wo sie einen heftigen Anfall von Wuth bekam, daß ich in Gefahr war erdrosselt zu werden — daß sie wüthend um sich und Emma in den Hals biß — und nachdem ich eine Viertelstunde lang den schrecklichsten Kampf mit ihr gekämpft hatte, in dem Gott mich wunderbar stärkte, und nachdem endlich Hülfe kam, sechs Männer es kaum vermochten, sie zu bändigen, um sie binden zu können. Diese Anfälle haben sich wiederholt, wenn auch mit minderer Stärke, sodaß wir wieder gewagt haben, zu ihr zu gehen. Heute hat aber wieder ein Zufall stattgehabt, der es mir verbietet und unmöglich macht, wieder zu ihr zu gehen, wenigstens einstweilen nicht. Ein Charakter ihres Wahnsinns war seither die außerordentlichste Liebe und Anhänglichkeit zu mir, sodaß ich durch Zureden Alles vermochte, und meine nothwendigen, wenn auch nur augenblicklichen Entfernungen immer die rührendsten Erscheinungen hervorbrachten. Heute aber, gerade zu Mittag, wo ich mit Emma, einem Wächter und unserm Hauswirthe bei ihr war, bekam sie einen Anfall, der zunächst auf mich gerichtet war, und wo sie auf mich einstürzte, mich anzufallen wagte, und mit geballten Händen auf mich einschlug, daß Ströme Blut mir aus der Nase stürzten. Nur mit Mühe gelang es uns, sie zu binden! Ich sehe sie seitdem nicht wieder und werde es einstweilen nicht thun.

Auch von der Möglichkeit ihrer Genesung abgesehen, könnte Minna doch nie — mein Weib mehr werden. In einer Stunde, die sie glaubte ihre Todesstunde werden zu sollen, hat sie mir über alle ihre seitherigen Verhältnisse die vollständigsten Aufschlüsse gegeben und mir die schriftlichen Belege darüber zu Händen gestellt! Diese Aufschlüsse machen es mir unmöglich — ihr je meine Hand zu geben! O Gott, aus welchem Himmel bin ich gestürzt! Wie bin ich argloser, gutmüthiger Mensch getäuscht, betrogen, hintergangen worden! Diese Aufschlüsse kann ich Ihnen vielleicht — und nur Ihnen — einst mittheilen, wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte! O Gott — Gott — was habe ich in diesen vierzehn Tagen erfahren, geduldet, erlitten! Welch einen Jammer, welch ein Zerreißen in meinem Innern! Diese fürchterlichen Entdeckungen in Minna's Geschichte haben aber auf mein äußeres Benehmen gegen sie in ihrem Unglück ebenso wenig Einfluß gehabt, als sie mich auch sonst nicht bestimmen werden, wenn sie leben bleibt, meine Hand von ihr abzuziehen. Aber für mich ist sie für immer verloren! Denken Sie sich zu diesen meinen Empfindungen nun auch die über ihren jetzigen Seelenzustand oder ihre Krankheit! Ich bin der unglücklichste aller Menschen!

Unser bürgerliches Verhältniß ist regulirt durch ihr Testament, das sie ein paar Stunden nach jenen Entdeckungen machte, und durch einen Rückkauf.

Sonst ist durch diese Vorfälle Alles in Stocken gerathen, und kein Circular weder ausgegeben, noch sonst das Geringste gethan worden. Sie können sich die ganze Verwirrung denken ...

Adieu, guter Schmidt! Gott stärke Sie und mich!

Ihr unglücklicher Brockhaus.

Vor allem hielt es Brockhaus für seine Pflicht, dem Vater Minna's, Geh. Tribunalrath Mayer in Berlin, gleich Nachricht über das traurige Schicksal der Tochter zu geben. Indeß konnte er es nicht über das Herz bringen, ihm auch sofort die Auflösung der Verlobung mit ihr anzuzeigen, zumal noch nicht entschieden war, ob nicht der Tod die versöhnendste und für alle Theile wünschenswertheste Lösung der traurigen Katastrophe herbeiführen werde.

Er schrieb an ihn unterm 28. November:

Hochwohlgebohrner Herr Geheimerrath!

Es ist für mich diesmal die traurigste aller Veranlassungen, die mich zu einer Unterhaltung mit Ew. führt. Anstatt, wie ich hoffte und wie es mein innigster Wunsch war, Ihnen in diesem Briefe Nachricht von dem Abschluß meiner ehelichen Verbindung mit Ihrer Frau Tochter geben zu können, wozu Sie die Güte gehabt haben, Ihre väterliche Einwilligung zu ertheilen, muß er leider Nachrichten enthalten, die Ihrem väterlichen Herzen sehr wehe thun werden.

Aus dem letzten Briefe Minna's wissen Sie zum Theil die Schwierigkeiten, die unserer Verbindung in bürgerlicher Hinsicht noch entgegenstanden, kennen jedoch auch die Unwandelbarkeit meiner und ihrer Gesinnungen, und daß wir mit Sehnsucht dem Tage entgegen verlangten, der uns für dieses Leben aufs innigste verbinden sollte, und daß wir uns gegenwärtig nur mit den Mitteln beschäftigten, jene Schwierigkeiten zu beseitigen und für unser künftiges Leben die dauerhaftesten Grundlagen zu beiderseitigem Glücke zu legen.

Ihre Frau Tochter hat Ihnen zugleich, wie sie mir gesagt hat, die Veranlassung unsers hiesigen Aufenthalts mitgetheilt, Sie auch von den Geschäftsverhältnissen unterrichtet, die bereits zwischen uns zum allgemeinen und beiderseitigen Besten getroffen waren; sie hat mir die nähere Angabe und Entwickelung von diesem Allen überlassen, und würde ich mich — da es mir zum Vergnügen gereichen muß — darüber auch schon gegen Ew. umständlich erklärt haben, wenn nicht die kurz nachher eingetretene Krankheit meiner theuern Freundin alle meine Aufmerksamkeit erfordert und mir jede andere Beschäftigung als die mit der geliebten Kranken unmöglich gemacht hätte. Dieser ihr Zustand ist auch jetzt noch so bedenklich, daß ich mich billig und allein hierüber mit Ew. unterhalten darf.

Dieser Krankheitszustand dauert jetzt schon in die vierte Woche, und würden sowol ich als die übrigen edeln Freunde der Tochter dem liebenden Vater längst Nachricht hiervon gegeben haben, wenn nicht der Zustand selbst von einer so delicaten Natur gewesen wäre, daß wir uns Alle nur sehr ungern darüber erklären können und wir, die wir täglich Besserung oder Linderung erwarteten, diese auch nicht unmöglich war, wünschen mußten, mit der Nachricht von der Krankheit auch die von Aussichten zur Besserung geben zu können. Wirklich scheint jetzt einige Besserung einzutreten, und ich beeile mich daher in Verbindung mit einem andern Freunde, dem Herrn Kammerverwalter Ludwig, der die Güte hat über Minna hier die Curatel zu übernehmen — welches nach hiesigen Landesgesetzen bei dem bürgerlichen Transact, der zwischen ihr und mir am 6. October abgeschlossen wurde und von welchem ich Ew., wie schon erwähnt, gelegentlich nähere Kenntniß geben werde, nöthig war — Ihnen alle die Nachrichten zu ertheilen, welche den Krankheitszustand Ihrer Frau Tochter betreffen.

Dieser äußerte sich zuerst zu Anfange dieses Monats durch ein heftiges Gliederreißen, dem sie einestheils wol nicht zweckmäßig begegnete, als es auch eben nicht sehr achtete, und es war bei der diesjährigen allgemeinen Disposition zu rheumatischen Krankheiten daher nicht zu verwundern, daß bald ein heftiges rheumatisches Fieber eintrat. Unerachtet der sorgfältigsten ärztlichen Hülfe und Freundespflege verschlimmerte sich der Zustand steigend und nahm die mannichfaltigsten Formen an. Die außerordentliche Nervenreizbarkeit, ein sehr afficirtes und bewegtes Gemüth und die unendlich lebhafte Phantasie der Kranken war wol mit die Ursache, daß der rheumatische Zustand noch mit den heftigsten Krämpfen begleitet wurde — daß sehr bestimmte und bedenkliche Nervenzufälle eintraten, die bald ein Irrereden und endlich eine gänzliche Geistesverwirrung herbeiführten.

So unendlich schmerzhaft es mir ist, Ew. diese Nachrichten geben zu müssen, so erfordert es doch meine Pflicht, darin nichts Wesentliches zu verschweigen, und ich darf es Ihnen selbst nicht verhehlen, daß die Aerzte sich bisjetzt darüber noch nicht entschieden haben, ob bei etwaiger Genesung des Körpers die Vernunft wieder ganz zurückkehren werde oder wenigstens nicht Recidive zu erwarten seien. In diesem Augenblicke hat die Kranke nur noch mäßiges Fieber, die Krämpfe sind dagegen noch sehr lebhaft und erregen immer außerordentliche innere Beängstigung. Schlaf ist selten und war noch nie beruhigend, sondern nur immer ein Vorläufer großer Bewegung. Die Geistesverwirrung hat seit zwei Tagen wieder wilde und excentrische Ausbrüche und ist mehr fortwährendes Irrereden, obgleich es auch Momente gibt, wo sie den ganzen Gebrauch ihrer Vernunft zu haben scheint.

Von unserm allgemeinen Jammer und dem meinigen insbesondere will ich den liebenden Vater hier nicht unterhalten, ihm aber die Beruhigung geben, daß die unglückliche Kranke der allerherzlichsten Pflege genießt, daß sie einen vortrefflichen Arzt hat, und daß von mir und ihren edeln Freunden hier auch nichts versäumt wird, was ihr Zustand verlangen und die zärtlichste Sorgfalt erfordern möchte.

Ich werde es mir von jetzt an zur Pflicht machen, Ihnen von jeder Veränderung im Guten und im Schlimmen Nachricht zu geben, und hoffe ich, daß die jetzigen leisen Spuren eines verbesserten Zustandes sich weiter entwickeln werden, ich also nur Nachrichten im Guten werde zu melden haben ...

Emma ist immer um die Mutter und gewährt ihr vielen Trost; das Schicksal der Kinder beschäftigt die arme Kranke oft selbst in erregten Momenten.

Lassen Sie uns zur Vorsehung hoffen, daß Besserung zurückkehren und Alles gut enden werde; vielleicht war diese Katastrophe nöthig zur Gründung eines neuen und bessern Lebens! Erst im Laufe dieser Krankheit hat die unglückliche Minna mir ihr ganzes Vertrauen im vollsten Sinne des Wortes gegeben! Warum mußte sie es nicht früher schon dem edeln Vater gegeben haben!

Ich überlasse es Ihnen, ob Sie bei der jetzigen vollkommenen Kenntniß des Zustandes von Minna glauben, etwas Besonderes für sie thun zu können, oder darauf einwirken zu wollen; auf jeden Fall können Sie als Vater versichert sein, daß sie von guten und theilnehmenden Menschen umgeben ist, die sie innig lieben und die Alles aufbieten, ihr Unglück zu mindern und einen bessern Zustand herbeizuführen.

Ich bitte Sie, Ihrer Frau Gemahlin mich gehorsamst zu empfehlen und den wackern Julius wie die beiden Andern herzlich zu grüßen, und übrigens von meiner vollkommenen und innigen Ergebenheit und Verehrung überzeugt zu sein.

Die Antwort des Vaters an Brockhaus liegt nicht vor, dagegen ein Brief desselben an den Kammerverwalter Ludwig, dem die Antwort an Brockhaus beigeschlossen war. In diesem Briefe vom 8. December dankt Mayer für die ihm auch von Ludwig gegebenen Nachrichten; sie hätten ihn tief erschüttert und nur der Gedanke an die Theilnahme, die seine Tochter von ihm (Ludwig) und den Seinigen sowie von Herrn Brockhaus erfahren, habe ihn und seine Frau einigermaßen beruhigen können. Der Anlaß zu der Geistesverwirrung seiner Tochter, wenigstens der nächste und unmittelbarste, könne indeß kein anderer sein als die Verlegenheiten, in denen sie sich befinde und die sie durch den Antheil, den sie an den Angelegenheiten des Herrn Brockhaus genommen, noch mehr auf sich gehäuft habe. Er wolle nicht bestreiten, daß auch übermäßige Anstrengung in ihren literarischen Productionen den Zustand befördert haben könne, zumal bei den körperlichen Fatiguen, die ihr der Abzug von Leipzig und das Hin- und Herreisen zugezogen haben müsse. Jedenfalls müsse jetzt alle Sorge nur dahin eingeschränkt sein, die Kranke wieder zur Vernunft zurückzubringen. Er lege einige Zeilen an seine Tochter bei, worin er sie auffordere, zu ihrer völligen Herstellung nach Berlin zu kommen, und bitte, ihr dieselben in lichten Augenblicken mitzutheilen.

 

Brockhaus fühlte sich durch diesen Brief, den ihm Ludwig glaubte mittheilen zu müssen, begreiflicherweise sehr verletzt. Er schrieb darüber an diesen:

Freitag Morgen.

Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten könne entstanden sein, so setzt er mich auf einen Standpunkt zu unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich — ich muß es nur heraussagen — wirklich empört.

Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter Willis41, wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben, die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt.

Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit — dem rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen — können beigetragen haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen ahndet, nicht mitzutheilen.

Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch geistige Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen betragen würde.

Durch diese unverdiente Kränkung ließ sich Brockhaus indeß in seiner Sorge für die arme Kranke nicht stören. Er schreibt an Bornträger am 9. December:

Minna's Zustand bleibt bessernd, aber er ist immer noch herzerschütternd. Ihre Nervenreizbarkeit ist wahrhaft sublimirt, wie ihr Geist nie in solcher Blüte und Ueppigkeit gewesen. Ihre fixen Ideen haben noch immer denselben Zirkel: Liebe, Eifersucht, Besorgniß mich zu verlieren, Glauben, daß ich schon anderwärts verheirathet sei, daß ich ein Zauberer wäre, auch andere: daß wir mit überirdischen Wesen in Verbindung ständen u. dgl. Sie spricht eine Stunde wie ein Gott, und in einer Minute, wenn sie auf irgendeine Idee kommt, die sie an einer ihrer schwachen Seiten berührt, ist ihre Besonnenheit auf einmal hin. Wir hoffen Alle indessen das Beste.

Inzwischen war Minna's Schwester, Karoline Richter, die Gattin Jean Paul's, aus Baireuth zu ihrer Pflege eingetroffen, die bisher von der Tochter der Kranken, Emma, von Frau Ludwig und deren noch unverheiratheten Schwester, Jeannette von Zschock, besorgt worden war.

Auf die erste flüchtige Nachricht über das Befinden der Kranken antwortete Jean Paul seiner Frau am 8. December:

Die Krämpfe Deiner Schwester, so fürchterlich sie für den Zuschauer sind, habe ich bei ... und Andern oft erlebt, sie sind ohne Bedeutung, ja sogar ohne Empfindung, außer für das Auge.

Am 20. December schreibt Karoline Richter ihrem Manne:

Der Gesundheitszustand meiner Schwester hat sich seit ich hier bin noch nicht sehr gebessert. Ob sie je zu völliger Klarheit des Geistes kommen kann, ist ein Problem. Sie ist in einem Zustande des Traums und je melancholischer, je mehr sie unter Menschen ist. Man redet ihr zu, auszugehen, sich zu zerstreuen, besucht sie fleißig, und in der That interessirt sie allgemein; aber es gleitet meist Alles ohne Eindruck an ihr vorüber. Sollte sie wieder allein stehen, ohne mich, so wäre sie sehr zu beklagen. Denn so sehr Herr Brockhaus sie liebt, so äußerst aufopfernd und gefällig er ihre Stütze ist, so kann er ihr in häuslichen Dingen nicht helfen. Sie ist wie ein Lamm, wie ein Kind, und läßt Alles über sich ergehen. So kann die Verbindung natürlich nicht vollzogen werden, solange sie nicht genesen ist, und bis dahin muß sie unter Aufsicht theilnehmender Menschen sein. Wenn sie jetzt zum Vater geht, ist es das Natürlichste und Beste. Brockhaus wünscht das zwar nicht; er fürchtet sie alsdann zu verlieren; allein ich glaube nicht, daß ihr Aufenthalt in Berlin ein Hinderniß sein würde.42

Die Uebersiedelung Minna's in das älterliche Haus nach Berlin erschien endlich allen Betheiligten doch als das Gerathenste, und Brockhaus entschloß sich zu dem in seiner Gemüthsstimmung doppelt schweren Opfer, sie dahin zu begleiten. In einem langen an verschiedenen Tagen geschriebenen Briefe an Bornträger kommen neben geschäftlichen Notizen mehrere darauf bezügliche Stellen vor.

Am 29. December schreibt er:

Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben. Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen — alle Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte. Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten ist sie, sobald viele Menschen um sie sind.

Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen nach Berlin reisen, ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen.

Am 3. Januar 1811 fügt er hinzu:

Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist diese jetzt auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3 à 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren, wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und — von der Alles heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt! Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will ...

Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben, Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott!

Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt! Im vorigen Jahre an demselben Tage trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach Dortmund an! Und dies Jahr mit Minna in diesem Zustande von Altenburg nach Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es anders werden müßte? Wer weiß es!

Am 4. Januar 1811 reiste Brockhaus mit der Kranken und ihrer Tochter Emma (außer dieser hatte Minna Spazier noch drei Kinder aus ihrer ersten Ehe, zwei Söhne und eine Tochter, die sich in Berlin bei den Großältern befanden) von Altenburg ab und traf mit ihnen am 8. Januar abends in Berlin ein.

4141 Thomas Willis, berühmter englischer Arzt, geb. 1621, gest. 1675.
4242 Wir verdanken diese Briefe von Jean Paul und dessen Frau sowie einige andere Mittheilungen der Güte des bekannten Kunstschriftstellers Ernst Förster in München, des Schwiegersohns Jean Paul's. Er durchforschte auf unsere Bitte zu diesem Zweck nochmals Jean Paul's schriftlichen Nachlaß, um dessen Herausgabe er sich bekanntlich besonders verdient gemacht hat; wir nennen namentlich das interessante Werk: »Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul Friedrich Richter« (4 Bände, München 1863), das er zu Jean Paul's hundertjährigem Geburtstage (21. März 1863) veröffentlichte.