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Aus meinem Leben. Zweiter Teil

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Wir waren nicht enttäuscht, denn wir hatten uns keinen Illusionen hingegeben. Indes spann Schweitzer den alten Faden weiter. Vor allem setzte er auf der Generalversammlung in Erfurt, die für den 27. Dezember einberufen worden war, ein Wahlprogramm durch, dessen erster Punkt in Berlin an maßgebender Stelle notwendig freundlich aufgenommen werden mußte. Dieser Punkt lautete: „Gänzliche Beseitigung jeder Föderation, jedes Staatenbundes, unter welcher Form es auch sei. Vereinigung aller deutschen Stämme zu einer innerlich und organisch durchaus verschmolzenen Staatseinheit, durch welche allein das deutsche Volk einer glorreichen nationalen Zukunft fähig werden kann: durch Einheit zur Freiheit.“ Also auf dem Wege der Bismarckschen Politik zur Freiheit. Das war die gleiche Parole, welche die nationalliberale Partei aufgestellt hatte, und bedeutete weitere Annexionen, die nicht ohne einen neuen Krieg ausführbar waren. Der zweite Punkt des Programms handelte von der Forderung des allgemeinen, gleichen Wahlrechtes mit Diätenzahlung für Reichstag und Landtage. Sicherung der Volksrechte. Die Forderung nach allgemeiner Volksbewaffnung, die in dem von der Gräfin Hatzfeldt herrührenden Programmentwurf stand, strich Schweitzer, denn nach dem „Sozialdemokrat“ hatte Preußen bewiesen, „daß es allein durch seine staunenerregende organisatorische Kraft zur Führung der deutschen Wehrkraft berufen sei“, und dem durfte man doch jetzt nicht mit der allgemeinen Volksbewaffnung kommen. Der vierte Punkt verlangte Anbahnung der Lösung der Arbeiterfrage durch freie Assoziationen mit Staatshilfe nach den Prinzipien Ferdinand Lassalles. Also von Bismarcks Gnaden. Für Moritz Heß gab das Erfurter Programm endlich den Anstoß, um als letzter von den ersten Mitarbeitern dem „Sozialdemokrat“ die Mitarbeiterschaft aufzusagen.

Man vergleiche dieses Verhalten Schweitzers mit seinem Verhalten im Frühjahr 1865, als er, durch die Opposition in seinem Verein bedrängt, im „Sozialdemokrat“ vom 5. April 1865 erklärte:

„Die Deutsche Volkspartei also will das ganze Deutschland zum freien Volksstaat vereinen. Das ganze Deutschland sagen wir. Nicht ein Dorf, nicht ein Meierhof, nicht die kleinste Hütte im entferntesten Winkel darf uns fehlen. Der kleindeutsche Gedanke eines einigen Deutschland ohne die deutsch-österreichischen Provinzen ist ein Hochverrat an der Zukunft der Nation.“

So hatte der Schweitzer von 1865 dem Schweitzer von 1866 das Urteil gesprochen. Aber was er 1865 geschrieben und beteuert hatte, hatten seine Anhänger vergessen. Blieb nach einer anderen seiner früheren Ausführungen nur die Wahl zwischen deutschen Proletarierfäusten und Preußen für die Lösung der deutschen Frage, und waren damals die deutschen Proletarierfäuste zu schwach, die deutsche Frage im demokratischen Sinne zu lösen, so war dies für den Führer einer Arbeiterpartei kein Grund, sich zum Werkzeug der Lösung im cäsarischen Sinne herzugeben. Einmal die Ehrlichkeit Schweitzers für einen Augenblick vorausgesetzt, so wäre selbst dann seine Taktik ein Verrat an der Demokratie gewesen, weil er die Politik ihres gewalttätigsten und grimmigsten Feindes unterstützte.

Schweitzer und die Konservativen

Mit der Agitation für die Wahlen zum konstituierenden norddeutschen Reichstag, die auf den 12. Februar 1867 angesetzt waren, beginnt die zweite Periode der Tätigkeit Schweitzers. Die Haltung des „Sozialdemokrat“ ließ keinen Zweifel, daß Schweitzer es mit den Konservativen nicht verderben wollte. Er rechnete offenbar auf Schachergeschäfte mit diesen gegen die Liberalen, was auch im Wunsche Bismarcks liegen mußte. Schweitzer ging also wieder gegen die Fortschrittspartei aufs schärfste ins Feuer, eine Taktik, die ihm der alte Moritz Heß als Verrat anrechnete. Dieser meinte, es handle sich vor allen Dingen doch darum, die linke Seite des Parlamentes nach Kräften zu stärken, um eine leidliche Verfassung zustande zu bringen, was ein durchaus richtiger Standpunkt, aber nicht der Schweitzers war.

Schweitzer hatte unter den verschiedenen Kandidaturen, die ihm von seinen Anhängern angeboten worden waren, sich für Barmen-Elberfeld entschieden, ein Wahlkreis, der ihm die meiste Aussicht auf Sieg bot. Die Leipziger Lassalleaner wollten in Leipzig Liebknecht aufstellen, den wir im neunzehnten sächsischen Wahlkreis aufgestellt hatten, wo wir hofften, ihn durchzubringen, was leider nicht gelang. Wir hatten in Leipzig, nachdem Professor Roßmäßler abgelehnt hatte, Professor Wuttke als Kandidat proklamiert. Schweitzer eiferte gegen Liebknechts Kandidatur. Dieselbe gehe von einer Seite aus, der das Werk Lassalles stets ein Dorn im Auge gewesen sei. Die Leute, die im Hintergrund von Liebknechts Kandidatur stünden, seien im Zusammenhang mit österreichischen reaktionären Kreisen. Liebknecht habe noch vor zwei Jahren Lassalle in öffentlichen Blättern geschmäht. Wer Liebknecht wähle, sage sich offen von Lassalle und seinem Werke los. So spekulierte er auf die blinde Voreingenommenheit seiner Anhänger für Lassalles Werk. Liebknecht zu wählen, war also ein Verbrechen an Lassalle. Wie Schweitzer überhaupt die Dinge ansah, zeigt ein Ausruf „An meine Freunde und Parteigenossen in Schlesien und im Rheinland“, in dem es pathetisch hieß: „Eine mildere Zeit, eine weisere Regierung ist gekommen!“ In Barmen-Elberfeld, woselbst Schweitzer Ende Januar wieder eine seiner geschickten Reden hielt, sprach er mit keinem Worte über seine Stellung in der Politik und gegebenenfalls im Parlament. Im „Sozialdemokrat“ wurden ungeschickterweise maßlose Hoffnungen über den Ausfall der Wahlen genährt. So wurde zum Beispiel in der Nr. 15 vom 3. Februar angekündigt, die gewählten Vertreter würden in Berlin einen gemeinsamen Haushalt führen. Man sprach von Diätenkommunismus usw. Schweitzer wurde sogar im „Sozialdemokrat“ als Sieger angesungen, noch ehe er gewählt war. Er hatte als Gegenkandidaten in Barmen-Elberfeld von konservativer Seite Bismarck, von liberaler Herrn v. Forckenbeck. Der Wahltag brachte eine schwere Enttäuschung. Bismarck erhielt 6523, Forckenbeck 6123, Schweitzer nur 4688 Stimmen. Er war nicht einmal in die engere Wahl gekommen. Auch im übrigen Deutschland war der Wahlausfall für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein eine Enttäuschung. In der engeren Wahl in Barmen-Elberfeld hatten also die Sozialdemokraten den Ausschlag zu geben. In einer großen Wählerversammlung am 26. Februar nimmt Schweitzer zunächst das Wort, erklärt aber, keine Parole für die engere Wahl auszugeben, bevor er nicht die Meinung der Versammlung gehört. Schließlich ergreift er wieder das Wort, wobei er äußerte:

„Das vielfache Rufen des Namens Bismarck aus der Versammlung hätte ihn erkennen lassen, nach welcher Seite sich die Stimmung im allgemeinen gelenkt habe. Er könne dem einzelnen keine Vorschriften machen, für wessen Wahl sich derselbe entscheiden solle, ein jeder solle dem Zuge seines Herzens folgen.

Damit wußte jeder, woran er war. Um aber das Komödienspiel zu vollenden, ließ er im Widerspruch mit seiner eigenen Rede eine Resolution annehmen, in der sich die Versammlung für Stimmenthaltung aussprach. In der Tat erhielt Bismarck bei der engeren Wahl fast die gesamten Schweitzerschen Stimmen. Er wurde mit 10196 gegen 6944, die Forckenbeck erhielt, gewählt.

Schweitzer suchte in einer Erklärung diese Abstimmung damit zu rechtfertigen, daß er ausführte:

Man habe der liberalen Bourgeoisie eine Lehre geben wollen für die gemeine Kampfweise, die sie im Wahlkampf geübt habe. „Vielleicht auch, Arbeiter,“ fuhr er fort, „war eure Abstimmung eine Huldigung nicht zwar für den Kandidaten der konservativen Partei, wohl aber für den Minister, der aus eigenem Antrieb ein Volksrecht euch zurückgegeben, welch es die liberale Opposition für euch zu fordern so hartnäckig vergessen hatte.

Der gute, volksfreundliche Bismarck!

Wenige Tage nach jener Elberfelder Bismarckwahl stand ich in engerer Wahl im 17. sächsischen Wahlkreis (Glauchau, Meerane usw.) gegen einen nationalliberalen Kandidaten. Hier erklärte der Führer der Lassalleaner – den Bericht veröffentlichte der „Sozialdemokrat“ —, ein reiner Lassalleaner dürfe Bebel nicht wählen, der nach dem Standpunkte, den sie, die Lassalleaner, einnähmen, ein Verräter an der Sache sei.

Bismarck der Wohltäter der Arbeiter, Liebknecht und Bebel ihre Verräter. Das war das Resultat der Schweitzerschen Erziehungsmethode. Wie schon früher gemeldet, wurde ich trotzdem gewählt, die wenigen hundert Stimmen der Lassalleaner gaben nicht den Ausschlag.

In Barmen-Elberfeld mußte kurz darauf eine Neuwahl stattfinden, da Bismarck, der doppelt gewählt worden war, das Mandat für Barmen-Elberfeld niederlegte. Bei der darauf folgenden Neuwahl erhielt Schweitzer 4919, der liberale Professor Gneist 4291, der konservative von der Heidt 2594, Oberbürgermeister Bredt 1497 Stimmen. Es mußte also wieder engere Wahl stattfinden, und zwar diesmal zwischen Schweitzer und Gneist. Der „Sozialdemokrat“ buhlte jetzt offen um die Stimmen der konservative – Arbeiter. Noch charakterloser und würdeloser trieb Schweitzer die Buhlerei in einer Versammlung am 17. März, in der er die Konservativen aufforderte, von zwei Uebeln das kleinere oder entferntere zu wählen, und das sei er. Auf dem sozialen Boden könnte sich die Arbeiterpartei mit den Konservativen über manches die Hände reichen. Er bezieht sich dafür auf Reden des Geheimen Oberregierungsrats Wagener, auf Bischof Kettelers Buch, auf Aeußerungen Bismarcks.

„Die Konservativen möchten mitwirken, damit die Arbeiter durch ihn im Parlament zum Wort kämen. Als die Konservativen die Arbeiter riefen – einerlei aus welchem Grunde —, kamen diese mit ihrer ganzen Armee. Jetzt rufen die Arbeiter, und die Konservativen würden eine moralische Verpflichtung nicht lösen, wenn nicht auch sie nun dem Rufe folgten. Sie müßten kommen, wenn sie nicht die gerechtere Entrüstung über sich heraufbeschwören wollten.“

 

Dann stößt er Drohungen gegen die Fortschrittspartei aus.

Aber für diese Charakterlosigkeit und Würdelosigkeit sondergleichen blieb dennoch der Lohn aus. Schweitzer unterlag abermals, und zwar mit 7923 gegen 8019 Stimmen, die auf Gneist fielen.

Schweitzer im norddeutschen Reichstag

Nachdem der konstituierende norddeutsche Reichstag die Verfassung des Norddeutschen Bundes beraten hatte und diese verkündet worden war, wurden die Wahlen für die erste Legislaturperiode auf Ende August 1867 angesetzt. Schweitzer kandidierte wieder in Barmen-Elberfeld, diesmal mit Erfolg. Schweitzer erhielt im ersten Wahlgang 6110, Dr. Löwe-Calbe (Fortschritt) 3588, Professor v. Sybel-Düsseldorf 3478 Stimmen, es war also engere Wahl zwischen Schweitzer und Löwe-Calbe nötig, in der Schweitzer mit 8915 Stimmen gegen 6690 Stimmen, die auf Löwe-Calbe fielen, siegte. Diesmal hatte wieder der größte Teil der Konservativen für Schweitzer gestimmt. Wie er in seiner Danksagung glaubte hervorheben zu müssen, waren es die konservativen Arbeiter, die in richtiger Erkenntnis der Sachlage dem Arbeiterkandidaten ihre Stimme gegeben hätten. Inwieweit das richtig war, zeigt die später bekannt gewordene Tatsache, daß der Führer der Konservativen, Herr v. Kusserow, Schweitzer für seine Wahl 400 Taler eingehändigt hatte. Auf der Berliner Generalversammlung stellte man, als diese Tatsache bekannt wurde, das grausame Verlangen, Schweitzer solle das Geld zurückgeben. Wie konnte man nur so naiv sein.

Aber Schweitzer glaubte noch ein übriges tun zu müssen und den Konservativen Zusicherungen für sein Wohlverhalten im Reichstag geben zu sollen, und so äußerte er in seiner Erklärung vom 11. September weiter:

„Mein sozialer Standpunkt wird von niemand in Zweifel gezogen; ich brauche daher in dieser Beziehung nichts zu sagen. In politischer Beziehung bemerke ich, daß ich gemäß den Grundsätzen der Partei, der ich angehöre und die mich zu ihrem Führer erkoren, in Fragen der Freiheit und des Volkswohls unwandelbar mit der äußersten Linken (der Fortschrittspartei) stimmen werde. Sollten ernstliche Gefahren vom Ausland her das deutsche Vaterland bedrohen, so werde ich den König von Preußen, in dem jetzt die nationale Machtstellung Deutschlands gipfelt, und seine Regierung mit aller Kraft, die einem einzelnen zu Gebote stehen kann, in dem Parlament wie außerhalb desselben zu unterstützen bestrebt sein.“

Schweitzers Wahl hatte begreiflicherweise unter seinen Anhängern große Begeisterung hervorgerufen, und er nutzte diese nun aus, indem er in einem mit vier Schimmeln bespannten Wagen einen Triumphzug durch die beiden Städte Barmen-Elberfeld unternahm. Solche Triumphzüge, die, wollte sie heute ein Arbeiterführer arrangieren, ihn zum toten Manne machten, liebte er. Solche Triumphzüge, wobei stets die Schimmel eine Rolle spielten, kamen wiederholt auch später vor, so zum Beispiel in Hamburg-Altona, nochmals in Barmen-Elberfeld und in Kassel. Damit aber auch das nötige Volk auf der Straße war, unterbrach zum Beispiel Schweitzer seine Reise von Berlin nach Kassel in Minden und fuhr von dort mit einem Zug, der erst abends nach 7 Uhr in Kassel eintraf. Hier benutzte er die mit Schimmeln bespannte Equipage auch während der mehrtägigen Dauer der Generalversammlung des Arbeiterverbandes, verlangte aber, daß seine Anhänger die hohen Kosten dafür tragen sollten. Dessen weigerten sie sich. Die Kosten des Triumphzugs vom Bahnhof nach der Stadt wollten sie bezahlen, das andere müsse Schweitzer tragen. Dabei blieb es.

Mit Schweitzers Eintritt in den norddeutschen Reichstag, dem außer mir nunmehr auch Liebknecht angehörte, kam es zeitweilig zwischen uns und Schweitzer zu Auseinandersetzungen. Eine solche von besonderem Interesse spielte sich in der Sitzung vom 17. Oktober 1867 ab, in der der Gesetzentwurf betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst auf der Tagesordnung stand. Liebknecht sprach zunächst, und zwar in außerordentlich scharfer Form unter häufigen heftigen Unterbrechungen der Mehrheit und des Präsidenten. Namentlich griff er die Politik Bismarcks schonungslos an und schloß seine Rede mit den Worten: „Die Weltgeschichte wird hinwegschreiten über diesen norddeutschen Reichstag, der nichts ist als das Feigenblatt des Absolutismus.“ Nachher kam ich zum Wort. Ich begründete in aller Ruhe unseren Standpunkt als Vertreter des Milizsystems. Mittlerweile hatte sich auch Schweitzer gemeldet, um seinen entgegengesetzten Standpunkt zu markieren. Bei Einbringung eines Schlußantrags verlas der Präsident, wie es damals Vorschrift war, die Namen der eingeschriebenen Redner für und wider den Gesetzentwurf, darunter Schweitzer als Gegner. Dieser erklärte darauf zur Geschäftsordnung, er habe sich nicht wider, sondern für den Gesetzentwurf einschreiben lassen.

Schweitzer ergriff alsdann bei der Spezialdebatte das Wort und führte aus: Nach dem Standpunkt, den Herr Liebknecht einnehme, müßte auch die allgemeine Wehrpflicht verworfen werden. Dabei hatten wir beide eine Resolution einzubringen versucht, für die wir aber nicht die nötigen Unterschriften erhielten, in der die Einführung des Milizsystems, also die Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflicht nach dem Muster Scharnhorsts und Gneisenaus gefordert wurde. Liebknecht wünsche, daß der Norddeutsche Bund überhaupt nicht existiere. Er und seine Freunde wollten den Norddeutschen Bund freiheitlich gestalten, darin ständen sie mit der Fortschrittspartei auf einem Boden. Er berief sich also wieder auf dieselbe Partei, die er seit 1863 als Trägerin des Rückschritts bekämpft und fortgesetzt angegriffen hatte. Er, Schweitzer, wolle nicht mit Herrn Liebknecht und seinen Freunden, den depossedierten Fürsten und dem Ausland, dahin trachten, Preußen und den Norddeutschen Bund zu ruinieren und zu zerstören:

„Wir haben erkannt, daß der preußische Machtkern unser deutsches Vaterland, das so lange mißachtet war, dem Ausland gegenüber endlich zur Geltung und zu Ehren gebracht hat und dies auch künftig tun wird, und es liegt uns fern, mit jenen selbst diejenigen Eigenschaften an Preußen leugnen und bemäkeln zu wollen, die im vorigen Jahre eine feindliche Welt bewundernd anerkennen mußte.“

Sie stünden innerhalb, wir außerhalb des neu sich bildenden Vaterlandes, wollten außerhalb desselben stehen.

Liebknecht antwortete in einer persönlichen Bemerkung:

„Der Abgeordnete v. Schweitzer hat mir einen großen Gefallen getan, denn er hat mir die Gelegenheit gegeben, die ich bis jetzt vergebens gesucht habe, zu erklären, daß ich allerdings mit dem Doppelgänger des Herrn Wagener nichts zu tun habe.“

Schweitzer schwieg und Wagener schwieg. Vor der Abstimmung über den entscheidenden § 1 verließ Schweitzer den Saal. Er wagte nicht dafür zu stimmen und wollte nicht dagegen stimmen.

Diese Vorgänge im Reichstag beschäftigten kurz darauf zwei Versammlungen der Berliner Mitgliedschaft des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Schweitzer beantragte hier folgende Resolution:

„Die Versammlung erkennt an, daß die von Preußen geschaffene Macht die Möglichkeit der Herstellung der deutschen Einheit in sich trägt; zweitens ist sie mit der Fortschrittspartei damit einverstanden (weiter nach links wagte Schweitzer nicht mehr zu gehen. A.B.), daß mit äußerstem Nachdruck und ohne daß man sich um Drohungen der preußischen Regierung kümmere, auf eine freiheitliche Gestaltung Preußens und des Norddeutschen Bundes gedrungen werden muß, da nur hierdurch eine ersprießliche endgültige Lösung der deutschen Sache möglich ist; drittens erklärt sie es für verfehlt, in Gemeinschaft mit der Auffassung des mißgünstigen Auslandes das Vorgehen Preußens im vorigen Jahre zu beurteilen und demgemäß eine Zertrümmerung Preußens und des Norddeutschen Bundes zu erstreben und zu erhoffen.“

Rückhaltloser konnte man für die Bismarcksche Schöpfung nicht eintreten. Dieser Resolution gegenüber beantragten nun Theodor Metzner und Reimann, zwei Opponenten von Schweitzer:

„Die Versammlung beschließt, daß Herr v. Schweitzer sowohl im Reichstag als durch seine Verdächtigung der radikalen Partei in der heutigen Versammlung das wenige Vertrauen, das derselbe bisher bei den Berliner Arbeitern genossen, vollständig verloren hat.“

Eine dritte Resolution brachte der fortschrittliche Maschinenbauer Andreack ein, die forderte:

„Die Versammlung möge beschließen, daß sie in der deutschen Frage sich nur mit dem Standpunkt der Deutschen Fortschrittspartei einverstanden erklären kann.“

Und was geschah jetzt? Als Schweitzer merkte, daß die scharfe Opposition, die er fand, seine Resolution zu Fall bringen könnte, zog er, feig wie er immer war, wenn ihm eine Niederlage drohte, dieselbe zurück und erklärte sich für die fortschrittliche Resolution, die dasselbe besage wie die seine. Hofstetten, der den Vorsitz hatte, tat Schweitzer den Gefallen, über die Andreacksche Resolution zuerst abzustimmen und sie für angenommen zu erklären, was seitens der Opposition einen Sturm der Entrüstung hervorrief.

Schweitzers Diktatur

Schweitzer hatte das dringendste Interesse, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ganz in die Hand zu bekommen, also dessen Präsident zu werden. Dieses Sehnen verwirklichte sich, als Perl-Hamburg, der Präsidentschaft müde, erklärte, dieselbe niederlegen zu wollen. Es wurde eine außerordentliche Generalversammlung auf den 19. und 20. Mai 1867 nach Braunschweig einberufen, die von 18 Delegierten, die 2500 Stimmen hinter sich hatten, besucht war. Schweitzer vertrat Apolda mit 22 und Limbach in Sachsen mit 30 Stimmen. Der Verein war sehr heruntergekommen. Die beständigen Zerwürfnisse, das Mißtrauen gegen Schweitzer wegen seiner Politik, der ungünstige Ausfall der Wahlen zum norddeutschen Reichstag, trotz aller großsprecherischen Worte Schweitzers, die Krise waren die Hauptursachen dieser Erscheinung. Die Eröffnungsrede Perls war der Ausdruck der vorhandenen Mutlosigkeit. Die Hoffnung, die man noch in Leipzig gehegt, Ordnung in den Verein zu bringen, hätte sich nicht erfüllt; die finanziellen Verhältnisse des Vereins seien sehr ungünstig, nur wenige Orte zahlten Beiträge usw. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen bat Perl, von seiner Wiederwahl als Präsident abzustehen; er könne die Opfer nicht mehr tragen, die ihm diese Stellung auferlege. Schweitzer kritisierte Perls Geschäftsführung, doch wolle er, wie er sagte, ihm nicht persönlich zu nahe treten. Er erklärte, die Generalversammlung sei entscheidend für den Verein, nach Tölcke sollte er sogar die Präsidentschaft gefordert und gedroht haben, falls er nicht gewählt werde, ließe er mit der nächsten Nummer den „Sozialdemokrat“ eingehen. Er versprach Garantien zu geben, daß die Verwaltungsgeschäfte korrekt erledigt würden, da er wisse, daß man ihm mißtraue. Die Versammlung war unschlüssig, was sie tun sollte; so ließ man auf Vorschlag Brackes eine Pause eintreten, um sich zu verständigen. Nach dieser schlug Tölcke Schweitzer als Präsidenten vor. Es wurde darauf mehrseitig wieder geltend gemacht, daß gegen Schweitzer Mißtrauen vorhanden sei; auch sei es ein Unding, daß der Präsident des Vereins und der Redakteur des Vereinsorgans ein und dieselbe Person sei. Tölcke suchte die Bedenken zu beschwichtigen. Schweitzer erklärte, er wisse, daß man Mißtrauen gegen ihn habe; er werde das Amt nur annehmen, wenn man ihm Vertrauen entgegenbringe. Er beantragte eine zweite Pause zur Verständigung. Nach dieser erklärten mehrere Delegierte, ihr Mißtrauen gegen Schweitzer fallen zu lassen. Er wurde alsdann, nachdem er auf einen Vorhalt Tölckes noch mitgeteilt, er werde sich selber wählen, mit 2385 gegen 97 Stimmen und 41 Enthaltungen Präsident des Vereins. Er hatte, um sich Vertrauen zu erwerben, auf dieser Generalversammlung ein radikales Programm vorgelegt und annehmen lassen. Jetzt gab er auch die sogenannten Garantien für sein ferneres Wohlverhalten, indem er durch Handschlag sämtlichen Delegierten gegenüber sich feierlich verpflichtete, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, den Verein vorwärtszubringen. Umgekehrt verpflichteten sich die Delegierten ebenfalls durch Handschlag Schweitzer gegenüber, treu zur Organisation und zum Präsidenten zu stehen. Also eine Art Ballhausschwur, wie ihn die französische Nationalversammlung 1789 leistete, nur mit dem Unterschied, daß der Regisseur der Schwurszene in Braunschweig, Schweitzer, wußte, daß es sich um eine Posse handelte. —

 

Auf der Generalversammlung des Vereins in Berlin – 23. bis 25. September 1867 – wiederholte Schweitzer: daß in politischen Fragen der Verein mit der Fortschrittspartei gehen könne. Das verhinderte allerdings nicht, daß, als um dieselbe Zeit in Düsseldorf eine Nachwahl für den Reichstag stattzufinden hatte, bei der in der engeren Wahl der fortschrittliche Kandidat, Redakteur der „Rheinischen Zeitung“, Bürgers, und ein konservativ-nationalliberaler Kandidat sich gegenüberstanden, Schweitzer im „Sozialdemokrat“ die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aufforderte, für den letzteren zu stimmen, worauf Bürgers durchfiel. Neben dem, daß er damit Bismarck einen Gefallen erwies, kühlte er seine Rache wegen der Anklage der „Rheinischen Zeitung“, er habe aus hochkonservativen Kreisen Geld für den „Sozialdemokrat“ genommen.

Ein anderer für Schweitzer wenig ehrenvoller und seinen Charakter beleuchtender Vorgang war die Auseinandersetzung mit seinem bisherigen Freunde Hofstetten. Hofstetten hatte seine Mittel für die Gründung des „Sozialdemokrat“ hergegeben. Diese Mittel waren Mitte 1867 verbraucht und Hofstetten ein armer Mann. Anfang 1868 versuchte Schweitzer Hofstetten nach Wien zu schieben, woselbst er ein sozialdemokratisches Blatt gründen sollte. Hofstetten kam aber in Wien übel an und eilte nach Berlin zurück. Jetzt verschloß Schweitzer ihm den Wiedereintritt in die Redaktion des Blattes, er bestritt auch, daß Hofstetten noch irgendwelche Ansprüche habe, und setzte ihn vor die Tür, wobei er sich auf einen Vertrag stützte, den er dem gutmütigen und nicht gerade scharfsinnigen Hofstetten abgedrungen hatte. Als Hofstetten im Frühjahr 1869 auf der Generalversammlung des Vereins in Barmen-Elberfeld eine lange Anklagerede gegen Schweitzers Verhalten ihm gegenüber hielt, entrüsteten die mitgeteilten Tatsachen den Delegierten Heinrich Vogel – der gegenwärtig noch in Charlottenburg lebt – so, daß er erklärte, Schweitzer habe Hofstetten gegenüber wie ein ordinärer Bourgeois gehandelt, eine Charakterisierung, die bei Schweitzers Anhängern einen Sturm der Entrüstung hervorrief und nachher Vogels Ausschluß aus dem Verein zur Folge hatte. Hofstetten klagte auch Schweitzer an, daß er das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen habe; woher er es erhielt, wisse er nicht. Als er Schweitzer wegen seiner verschwenderischen Lebensweise Vorhalt gemacht, habe dieser geantwortet: Darüber sei er ihm keine Rechenschaft schuldig, er habe seine Schulden nicht zu bezahlen. Darin hatte Schweitzer sicher recht, aber die Tatsache an sich ist sehr beachtlich. Ende 1867 hatte das Blatt erst 1200 Abonnenten, deckte also bei weitem noch immer nicht seine Kosten; es war also die Frage sehr wohl gerechtfertigt: Woher kommt das Geld für das Blatt und die verschwenderische Lebensweise Schweitzers? Das ewige Schuldenmachen hatte doch seine Grenze. Auch wollten die Gläubiger ab und zu Geld sehen. Eine Erbschaft, die er nach dem Tode seines Vaters Ende 1868 machte, war so geringfügig, daß sie einen Tropfen auf einen heißen Stein bedeutete. Dabei hielt Schweitzer sich während des Reichstags eine Equipage mit galonierten Dienern.

Gustav Mayer, dessen Buch über Schweitzer ich oben erwähnte, hielt es für zweckdienlich, sich bei Paul Lindau, der nach Schweitzers Rücktritt häufigen Verkehr mit ihm hatte, zu befragen, ob er Extravaganzen Schweitzers wahrgenommen habe. Lindau habe das verneint. Mir ist Paul Lindaus Urteil nicht maßgebend. Die lebemännischen Gewohnheiten des alten, heute noch lebenden Herrn waren immer große und da legt er wohl einen anderen Maßstab an „Extravaganzen“ als andere Menschenkinder. Auch war Schweitzer, als er zu Lindau in Beziehungen trat, bereits krank und hatte geheiratet, zwei Umstände, die Extravaganzen erschwerten. Die Informationen, die wir seinerzeit in Berlin über Schweitzers Lebensweise einzogen, lauteten anders. Danach war er ein Lebemann ersten Ranges, der namentlich auch häufig bei Kroll und in den Berliner Nachtlokalen mit der Demimonde verkehrte, womit er wahrscheinlich die „Treue“ gegen seine langjährige Braut betätigte, die man ihm als Tugend nachrühmte. Auch veranstaltete er zeitweilig Champagnergelage mit seinen intimsten Anhängern. Schweitzer gehörte zu den Naturen, die stets mindestens doppelt so viel Geld verbrauchen als sie einnehmen, deren Parole ist: Die Bedürfnisse haben sich nicht nach den Einnahmen, sondern die Einnahmen haben sich nach den Bedürfnissen zu richten, was bedingt, daß sie dann skrupellos das Geld nehmen, wo sie es finden. Hatte Schweitzer 1862 2600 Gulden aus der Schützenfestkasse entnommen, so unterschlug er später, als er Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war und als solcher über die Kassengelder verfügte, von schlecht gelohnten Arbeitern gesammelte Groschen, um seine Gelüste zu befriedigen. Es handelte sich hier nicht um große Summen, aber das lag nicht an Schweitzer, sondern an dem mageren Inhalt der Kasse. Diese Mißwirtschaft ist ihm auf verschiedenen Generalversammlungen des Vereins vorgeworfen und nachgewiesen worden, und Bracke, der jahrelang Kassierer des Vereins war und auf Schweitzers Anweisung die Gelder auszahlen mußte, hat ihn öffentlich dieser Schandtat bezichtigt, ohne daß Schweitzer ein Wort der Verteidigung wagte. Wer aber dergleichen fähig ist, von dem soll man nicht behaupten, daß er unfähig gewesen sei, sich politisch zu verkaufen, was doch das einzige halbwegs lukrative Geschäft für ihn sein konnte. Den Nachweis, wieviel gezahlt wurde, kann niemand erbringen, denn dergleichen Geschäfte werden nicht auf offenem Markte abgeschlossen. Es kann sich hier nur um den Nachweis durch Indizien und zahlreiche Tatsachen handeln, die sich anders nicht erklären lassen. Hervorheben möchte ich hier, daß Bismarck nach 1866 die Zinsen aus dem 48 Millionen Mark betragenden Privatvermögen des Königs von Hannover zur Verfügung standen, die er skrupellos für ihm gutdünkende politische Zwecke benutzte. Diesen Fonds, der unter dem Namen „Reptilienfonds“ berüchtigt geworden ist, konnte Bismarck verwenden, ohne jemand darüber Rechenschaft abzulegen. Da ist's nun charakteristisch, daß, während die ganze Oppositionspresse gegen diesen Korruptionsfonds ankämpfte, der „Sozialdemokrat“ den Fonds niemals erwähnte.

Charakteristisch für den Mann ist ferner, daß, als wir Anfang 1868 das „Demokratische Wochenblatt“ herausgaben, er systematisch den Namen desselben totschwieg und, wenn er nicht umhin konnte, gegen dasselbe zu polemisieren, er immer nur von dem Blatte des Herrn Liebknecht sprach. Er wollte mit dieser Taktik verhindern, daß einer seiner Anhänger durch Nennung des Namens des Blattes auf den Gedanken kommen könnte, das „Demokratische Wochenblatt“ zu abonnieren, wodurch der Leser vieles erfahren konnte, was ihm, Schweitzer, unangenehm war. Das war eine kleinliche und lächerliche Kampfesweise, aber er übte sie.

* * * * *

Eine merkwürdige Wandlung stellte sich bei Schweitzer wieder im Frühjahr 1868 ein. Gleich dem „Demokratischen Wochenblatt“ druckte jetzt der „Sozialdemokrat“, wenn er vom norddeutschen Reichstag sprach, diese Worte in Gänsefüßchen ab. Auch hielt er im Reichstag – Mitte Juni 1868 – eine Rede, in der er in einer Polemik gegen v. Kirchmann eine ganz andere Auffassung als bisher vom Wert des allgemeinen Wahlrechts entwickelte. Bisher hatte er damit eine Art Kultus getrieben und die Wahl Bismarcks durch seine Anhänger in Barmen-Elberfeld bekanntlich damit zu rechtfertigen gesucht, daß sie dem Geber des allgemeinen Stimmrechts ihre Dankbarkeit beweisen wollten, als sie ihn wählten. Jetzt erklärte er:

„Ich muß im Interesse derjenigen, die mich gewählt haben, und im Interesse der demokratischen Sache konstatieren, daß dieses Haus nur scheinbar und nicht in Wirklichkeit aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist.“