Warum hast du das getan, Söhnchen?

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Warum hast du das getan, Söhnchen?
Font:Smaller АаLarger Aa

Ralf Steinfeldt

Warum hast du das getan, Söhnchen?

Krimi

Warum hast du das getan, Söhnchen?

Ralf Steinfeldt

Copyright: © 2019 Ralf Steinfeldt

ralf.steinfeldt@gmx.de

Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

Umschlaggestaltung: Erik Kinting

Titelbild: Acryl von Susanne Steinfeldt

Druck: epubli

www.epubli.de

Ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei korrekter vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.

»Was für eine Scheißkälte … und das schon Ende Oktober«, fluchte der Lange und sprang vor seinen beiden Kumpanen in die Metro.

Es roch heute wieder sehr muffig im Waggon, wie nach kaltem verbrannten Gummi. Aber es war warm hier. Der Berufsverkehr war durch und es gab Sitzplätze genug. Ein paar Rentner lasen die Zeitung. Ein zusammengerutschter Hutzel-Opa brabbelte etwas vor sich hin.

Die drei kurz geschorenen jungen Männer in den schwarzen Bomberjacken fläzten sich auf eine Längsbank und nahmen sie in Besitz.

»Ich krieg’ langsam Hunger«, nörgelte der Dicke und schniefte. »Am Newski runter zur Mojka ist doch ’ne Plinzbude«.

»Denkst auch nur immer ans Fressen, Mensch«, zischte El Flaco, der Dürre. »Ist erst elf. Unsere Geschäfte warten noch. Am Heumarkt«, fügte er noch hinzu, für den Fall, dass der Dicke es vergessen hatte. »Es scheint, der Armenier und der Chinese wollen nicht zahlen. Aber russische Katzen wegfangen und braten und teuer verkaufen. Und das alles ohne unseren Schutz. Müssen dort wohl etwas Nachhilfeunterricht geben.« Er grinste und griff in die Anoraktasche, spielte dort mit einem Gegenstand, den er hin- und herschnappen ließ.

Seine beiden Kumpels kannten das Messer. Sie arbeiteten lieber mit Schlagringen.

»Endlich fährt der Scheißzug. Wenn er steht, erstickt man ja. Entweder erfroren oder erstickt, du hast die Wahl«, maulte der Lange und seine Froschaugen glotzten den Hutzel-Opa an, als wäre der schuld an dem Gestank.

Der merkte das aber scheinbar nicht, starrte aus dem Fenster auf die vorübersausenden Werbeplakate und unterhielt sich links und rechts mit nicht vorhandenen Leuten.

Gorkowskaja, kündigte die sonore Frauenstimme die nächste Station an.

Hier stiegen eine Menge Leute ein und der Waggon füllte sich. Zu El Flaco und seinen Begleitern setzte sich aber niemand, lieber standen die Leute.

Kaum fuhr der Zug an, schlurfte eine Bettlerin durch den Waggon und murmelte etwas von Nächstenliebe. Mit beiden Händen schob sie eine Tschapka vor sich her. Halb auffordernd, halb verschämt hielt sie den Leuten dann und wann die Tschapka unter die Nase. Die meisten schauten angestrengt zur Seite, betrachteten intensiv ihre Schuhspitzen oder die vorüberhuschende Schwärze draußen. Die Bettlerin trug ein paar Abzeichen an ihrem abgerissenen Mantel.

»Guckt mal, was die Alte da hat«, schniefte der Dicke. »Das is’n Rotbannerorden. Den hab ich schon mal gesehen. Wo ’se den wohl geklaut hat?«

Die Bettlerin sah ihn böse an, für einen Moment.

Als sie an ihnen vorüberkam, grinste der Lange. »Soll ich dir meinen Orden spendieren?«, höhnte er und zeigte auf das schwarz-weiß-gelbe Abzeichen an seiner Jacke.

Der Dicke lachte schief dazu.

»Ich habe ’ne bessere Idee, Langer. Spende doch den hier.« Mit einem Ruck riss er der Bettlerin den Rotbannerorden vom Mantelkragen und warf ihn ihr in die Tschapka.

»Wie zerronnen, so gewonnen«, reimte der Lange der Alten in das verdatterte Gesicht.

»Großzügig, Langer«, kommentierte El Flaco und alle drei brachen in grölendes Gelächter aus.

Viele Leute bissen sich auf die Lippen, schauten aber weiter angestrengt weg.

Die Bettlerin ging ungerührt weiter. Sie wollte gerade die Tür zum nächsten Waggon öffnen, da erhob sich ein altes Mütterchen. Sie holte ihre Brieftasche aus dem Mantel, schaute der Bettlerin gerade ins Gesicht, nickte, warf einen Schein in die Tschapka, nahm den Orden heraus und steckte ihn der Bettlerin wieder an den Kragen. Dann setzte sie sich wieder. Das alles ging blitzschnell, ein paar Sekunden nur. Als die Bettlerin sich bedanken wollte, hatte das Mütterchen die Augen wieder geschlossen und schien zu schlafen, als wäre nichts gewesen.

»Habt ihr das gesehen?«, raunte der Lange. »Was für eine Frechheit. Nimmt die Alte doch meine Spende aus der Mütze?«

»Ja, das war ziemlich dreist«, entrüstete sich auch der Dicke und zog den Rotz nach oben.

El Flaco stieß dem Dicken den Ellbogen in die Seite.

Der zuckte erschrocken zusammen. »Was«?

»Dicker, wie oft soll ich’s noch sagen: Es is’ eklig, dein Gerotze.«

Der Dicke maulte etwas von gesünder als schnauben, er hätte das in einer Zeitschrift beim Arzt gelesen.

El Flaco winkte unwirsch ab. Der Lange schaute immer noch entrüstet zu der schlafenden Alten hinüber. Gerade verließ die Bettlerin den Waggon.

Der Lange machte Anstalten, sich zu erheben. »Ich hol mir erst mal meinen Orden wieder«.

Doch El Flaco zog ihn mit einem Ruck zurück auf den Sitz. »Das wirst du bleiben lassen«, zischte er.

»Und warum?«, fragten der Lange und der Dicke wie aus einem Mund.

El Flaco beugte sich zu seinen beiden Kumpanen vor: »Während du gerotzt hast und der Lange sich über seinen eigenen Witz freute, hab ich einen Blick in die Brieftasche getan«, zischte er.

»Welche Brieftasche?«, fragten die beiden zugleich.

»Welche Brieftasche?«, äffte El Flaco nach. »Gehts noch lauter? Haltet den Sabbel und hört zu. Und nicht rüberglotzen!« Er machte eine kurze Pause und fuhr leise fort: »Das alte Mütterchen da … ich hab doch gesagt, nicht rüberglotzen … da is’ was abzuzweigen. Schnauze halten und aufgepasst, wo sie aussteigt.«

Der Lange schielte aus den Augenwinkeln auf die Alte, die offenbar fest schlief. »Irgendwoher kenn ich die, das is’ sicher. Ich weiß bloß nich …«

»Lasst das dämliche Gestarre, guckt woanders hin«, fauchte El Flaco.

Der Lange zog einen Flunsch.

Newski-Prospekt, ermahnte die Frauenstimme sanft.

»Da, die Alte steigt aus. Und wir auch«, befahl El Flaco. Er war bereits auf halbem Wege zur Tür, als seine Kumpane sich erhoben.

Schnell war die Alte draußen, doch auf dem Bahnsteig angekommen, ließ sie sich Zeit. Sie stellte ihren Krückstock an einen Pfeiler und knöpfte sich in aller Ruhe den Mantel zu, summte eine Melodie vor sich hin. Dann klopfte sie auf eine Manteltasche, als wollte sie sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Sie drehte sich nach dem Zug um, der noch dastand.

Endlich ging sie los, wenn auch ausgesprochen langsam. Mit dem Stock tippte sie ab und zu auf das Pflaster, ohne sich wirklich damit abzustützen, eher wie eine Dirigentin, einen merkwürdigen Rhythmus vorgebend.

Der Dicke verdrehte die Augen. »Diese durchgeknallte Alte, so kommen wir erst heute Abend an der Plinzbude vorbei.«

»Nur Geduld jetzt, ein Mütterchen ist kein Schnellzug«, zischte El Flaco, steckte die Hände in die Hosentasche und förderte einen Kaugummi zutage.

»Haste noch einen?«, fragte der Dicke hoffnungsvoll.

El Flaco stöhnte und reichte dem Dicken einen Kaugummi.

»Ich glaub, die Alte hat sich nach uns umgedreht«, raunte der Lange und starrte auf den Rücken des Mütterchens.

»Quatsch, die hat zu tun, dass sie nicht über ihre eigenen Füße stolpert.« Der Dicke fand das lustig. Glücklich schmatzte er auf dem Kaugummi herum.

»Was macht sie denn jetzt? Sie geht die Treppe runter in den Laden. Was will sie da unten? Is’ da nicht der Puppenladen mit Matroschkas und so?«, wunderte sich der Lange. Er wollte schon hinterherstiefeln, als El Flaco in zurückzog.

»Bist du bescheuert? Was wollen wir zu dritt in dem Laden? Wir warten hier oben. Schließlich wird sie da drin nicht festwachsen. Kauft vielleicht ’ne Puppe für die Enkeltochter oder so was. Langer, rück mal ’ne Zigarette raus. Scheiß Kälte.«

»Sag ich ja«. Der Lange nickte, hielt El Flaco die Schachtel hin und rieb sich die Hände.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Alte wieder oben auf Straßenhöhe erschien. Erneut blieb sie stehen und drehte sich um.

»Ich sag es euch, die hat was gemerkt«, behauptete der Lange und starrte auf den vorbeirauschenden Verkehr auf der anderen Seite des Prospekts.

El Flaco verdrehte die Augen.

»Langer, du hörst die Flöhe husten. Es wird noch ’n schlimmes Ende nehmen mit dir«, krächzte der Dicke und hustete. Er spuckte aus Versehen den Kaugummi aus. »Mist.«

You have finished the free preview. Would you like to read more?