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Ralf Lothar Knop

Juma

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Augustinus

Feuerbach

Ranke-Heinemann

Schopenhauer

Biko

Archetypen

Reich

Kierkegaard

Meister Eckhart

Lenin

Glaube, Liebe, Hoffnung, Erkenntnis

Zarathustra

Der Gottesstaat

Heiliger Frühschoppen Erster Tag

Heiliger Frühschoppen Zweiter Tag

Heiliger Frühschoppen Dritter Tag

Vorspiel

Die sieben Siegel

Die sieben Posaunen

Die sieben Schalen

Die Hure Babylon

Impressum neobooks

Augustinus

Ralf Lothar Knop

Juma

Fiktion

Alle Ereignisse und Personen in diesem Roman sind völlig frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder lebenden Personen sind rein zufällig und beabsichtigt.

Für meine Brüder Günter und Herbert

Karl ging bereits seit zwei Jahren zu Carl zur Psychotherapie, ohne dass irgendeine Besserung zu beobachten wäre. Woche für Woche spielte sich dieselbe Begrüßungszeremonie ab.

„Guten Tag Herr Marx, bitte kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.“

„Bitte unterlassen Sie den Unsinn, Herr Jung, mein Name ist Augustinus von Hippo Regius. Sie dürfen mich Augustinus nennen.“

„Selbstverständlich. Bitte entschuldigen Sie, Herr Augustinus, ich habe so ein fürchterlich schlechtes Namensgedächtnis. Ist es richtig, dass Sie am fünften Mai 1818 in Trier geboren wurden?“

„Na, mein lieber Jung, heute sind Sie aber wirklich mal wieder vollkommen verwirrt. Ich wurde am dreizehnten November 354 in Tagaste geboren.“

Carl war diese Zeremonie sehr wichtig, weil er auf diese Weise feststellen wollte, ob es irgendein Anzeichen von Verbesserung oder auch nur die kleinste Veränderung gab. Als nächstes versuchte er Karls Geist durch dessen eigene Theorien aus der Dämmerung wieder hervor zu holen. An diesem Tag wollte er sich mit ihm über seine Einstellung zur Ehe, über den Menschen im Allgemeinen und über die Dreifaltigkeit unterhalten.

„Herr Augustinus, können Sie mir sagen, was Sie damit meinten, als Sie schrieben, dass „mit Aufhebung der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Weibergemeinschaft, d. h. die offizielle und nichtoffizielle Prostitution, verschwindet“. Soll das etwa heißen, dass Sie Ehefrauen für Prostituierte halten?“

„Einen solchen Unsinn habe ich natürlich niemals geschrieben, mein lieber Jung, Sie müssen sich wirklich besser vorbereiten. Ich habe vielmehr sehr deutlich ausgeführt, dass die Begierlichkeit des Fleisches allen sinnlichen Freuungen und Genüssen zugrunde liegt und dass sie deren Knechten nur Verderben bringt, genauso wie die Begierlichkeit der Augen und die Hoffart. Schon als kleines Kind habe ich gesündigt, denn noch bevor ich sprechen und laufen konnte gierte ich plärrend nach den Brüsten und mit bitterbösem Blick schaute ich auf meinen Milchbruder hin, trotz reichem Fluss und Überfluss des Milchquells habe ich den andern Bedürftigen nicht als Genossen geduldet. Später habe ich dann unter den Stachelstößen der Begierden die Fuhre meines Elends gezogen und im Ziehen immer noch gehäuft.“

„In Ihrem „Manifest der Kommunistischen Partei“ sprechen Sie nicht von Genossen, sondern vom modernen Arbeiter und Sie führen dort aus, dass die Bourgeoisie nicht nur die Waffen geschmiedet habe, die ihr den Tod bringen, sondern sie habe auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“

„Mein lieber Jung, ich habe Ihnen doch schon zig mal erklärt, dass der Ursprung des Bösen allein im freien Willen des Menschen besteht und nur durch das Licht der Seele können wir an Weisheit (sapientia) und Glückseligkeit (beatitudo) teilhaben. Nur durch Erkenntnis und Liebe erlangen wir die Teilhabe an Weisheit und Glückseligkeit.“

„In Ihrem Werk „Das Kapital“ haben Sie behauptet, dass alle Geheimnisse in der trinitarischen Formel „Kapital – Zins, Boden – Grundrente, Arbeit – Arbeitslohn einbegriffen seien und Sie haben dies die Dreieinigkeit genannt.“

„Das ist ja heute mal wieder kaum auszuhalten. Sie haben zwar Recht, dass ich mich auch über die Dreieinigkeit geäußert habe, aber in völlig anderer Weise: da hätten wir den Vater, den Urgrund der Weisheit, und aus ihm gezeugt und ihm gleich und gleichewig den Sohn und schließlich finden wir den Geist, der über den Wassern schwebte. Ich zitiere aus meinen Bekenntnissen: ‚da ist sie, die Dreifaltigkeit, mein Gott: Vater und Sohn und Heiliger Geist, Ein Schöpfer der Schöpfung allgesamt.‘“

„Ich möchte auf ein letztes Problem zu sprechen kommen. In Ihrem „Manifest“ behaupten Sie, dass der Mensch „allen selbständigen Charakter“ verloren habe und dass sich seine Kosten „fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf“, beschränken. Sind Sie immer noch der Meinung?“

„Na, mein lieber Jung, Sie machen es sich heute aber sehr einfach. Glauben Sie wirklich, dass ich auf so plumpe Fragen hereinfalle? Ich habe weder ‚Das Kapital‘ noch das ‚Manifest‘ geschrieben. Ja ich habe mich auch über den Menschen geäußert, ich darf mal wieder zitieren: ‚Ein abgrundtiefes Geheimnis ist sich der Mensch. Selbst noch seine Haare, die Du, Herr, gezählt hast, und deren keines verlorengeht bei Dir, sind leichter zu zählen, als was sich regt und wegt in seinem Herzen.‘ Ich glaube, das ist etwas völlig anderes als der Unsinn, den Sie da zitiert haben.“

„Mein lieber Herr Augustinus, das soll für heute genügen, wir sehen uns in einer Woche wieder. Friedrich Nietzsche ist ein Zeitgenosse von Karl Marx, ich möchte Sie bitten bis zur nächsten Woche dessen Schrift ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ zu lesen. Leben Sie wohl!“

„Ich weiß weder, was ich mit Karl Marx zu tun habe, noch mit Friedrich Nietzsche, aber wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich diese Schrift lesen. Leben Sie wohl, mein lieber Jung!“

Unmittelbar nach der Therapiestunde flog Karl alias Augustinus von Zürich nach London zurück, wo er in der Campden Hill Road in der Nähe von Holland Park eine Wohnung hatte. Da er die überfüllten Londoner U-Bahnen hasste, nahm er sich am Flughafen Heathrow ein Taxi zur Hyde Park Corner, von dort schlenderte er durch den Green Park zum Buckingham Palace, wo er jedoch von den vielen Touristen genervt wurde, die auf den Palace schauten, als würden sie von dort ihre Erlösung erwarten. Deshalb ging er weiter durch den St. James’s Park, wo er sich bei dem sonnigen Wetter für eine Weile auf eine Bank setzte und auf den St. James’s Park Lake schaute.

Anschließend ging er weiter zur Westminster Abbey, da er ein kurzes Gebet sprechen wollte, doch leider war der Eingang von der Polizei abgesperrt, weil mal wieder irgendein ausländischer Politiker unbedingt diese Abbey besichtigen musste, deshalb ging er weiter hinüber zu den Houses of Parliament, wo er eine Weile stehen blieb und sich vorstellte, welche wichtigen Entscheidungen in diesem Haus getroffen wurden, von hier ging er durch die Downing Street zurück zum St. James’s Park, am Buckingham Palace vorbei durch den Green Park, den Hyde Park, Kensington Gardens und durch die Holland Street schließlich zu seiner Wohnung in der Campden Hill Road, wo er sich vollkommen erschöpft erst einmal auf sein Bett fallen ließ und sofort einschlief.

Als er mitten in der Nacht wieder aufwachte, musste er sich zunächst einmal orientieren, indem er die Ereignisse des vergangenen Tages noch einmal im Geiste durchlief. Dieser Carl Gustav Jung war schon ein sehr merkwürdiger Vogel, aber sein Freund Friedrich hatte ihn in den höchsten Tönen gelobt, er sollte angeblich eine anerkannte Kapazität sein, die einen völlig neuen Zugang zur menschlichen Seele gefunden habe. Trotzdem wusste Karl, alias Augustinus, nicht, ob er die Therapie fortsetzen sollte, da er sich eigentlich vollkommen gesund fühlte, es waren ja die anderen Menschen, die ihm diese Therapie empfohlen hatten.

Er konnte es zwar nicht leugnen, dass er immer noch nicht die Beziehung zu seiner Mama verarbeitet hatte, doch das war schließlich keine Krankheit. Einerseits liebte er seine Mama Monnica und er war ihr außerordentlich dankbar, weil sie sich ihr ganzes Leben lang um ihn gekümmert hatte. War sie es doch, die ihn aus der Irrlehre des Manichäismus befreit hatte und sie hatte auch in den Jahren seines lasterhaften Lebens zu ihm gehalten, obwohl es ihr so manches Mal die Tränen in die Augen getrieben hatte, wenn sie sah, dass sein einstiges Leben von Diebstählen, Lügen und vor allem der Raserei der Lust geprägt war.

Sie hatte es wirklich nicht verdient, dass er sie so kläglich hinterging, als er ohne sie nach Rom abreisen wollte. Da sie ihn einfach nicht loslassen wollte, hat er sie getäuscht und belogen und fuhr heimlich in der Nacht fort und am nächsten Morgen stand sie fassungslos vor Schmerz mit Klagen und Seufzen an der Küste, denn sie hing ja nach Art der Mütter an ihrem Beisammensein mit ihm und trotz seiner Falschheit und Grausamkeit betete sie wieder für ihren Sohn. Liebesstark im Glauben ist sie Gott sei Dank dann später jedoch, als er schon in Mailand war, mit seinem Bruder nachgekommen und sie waren wieder vereint.

Im Gegensatz zu Karl alias Augustinus, der in seinen frühen Jahren dem Alkohol sehr zugetan war und dem das Loblied der Nüchternheit genauso zum Ekel war, wie der wassergemischte Trunk dem Säufer, hatte bei seiner Mama die Trunksucht keinerlei Macht über ihren Geist.

Andererseits hatte seine Mama dafür gesorgt, dass die Beziehung zu seiner über alles geliebten Aemilia beendet wurde, wodurch auch seinem Sohn Adeodatus die Mutter genommen wurde und das konnte er ihr auf keinen Fall verzeihen. Die Wunde, die die Trennung von der Geliebten geschlagen hatte, wollte nicht heilen und schmerzte noch lange, weshalb er sich auch sogleich nach der Trennung als ein Sklave der Lust einer anderen Frau hingab, um die Sucht seiner kranken Seele nicht nur zu befriedigen, sondern sie in üppigen Orgien bis zur Ekstase zu steigern, wodurch sich der wühlende Schmerz über den Verlust der Geliebten von einer Entzündung in Fäulnis verwandelte.

Fressen, Saufen und Huren, das war sein Leben, er konnte sich gar nicht erinnern, mit wie vielen Frauen er es getrieben hatte, selbst als er schon mit seiner Geliebten Aemilia zusammen war, hatte er immer wieder Beziehungen zu anderen Frauen gehabt. Aber selbst mit Aemilia war er ja nicht verheiratet, da sie für ihn nicht standesgemäß war; er lebte also mit ihr in einer unzüchtigen Beziehung. Karl, alias Augustinus, war froh, dass seine Mutter seine Bekehrung noch erleben durfte, andererseits war er sehr traurig, dass sie viel zu früh gestorben war.

Aber es war keine Frage, ohne seine Mama wäre sein Leben vollkommen anders verlaufen, obwohl der eigentliche Wendepunkt in seinem Leben einen anderen Grund hatte, den er wohl niemals vergessen wird, diese Kinderstimme, die ihm immer und immer wieder sagte: Tolle, lege! Und was las er dann in der Heiligen Schrift:

Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.

Karl alias Augustinus wunderte sich doch sehr über all diese Gedanken, weshalb er den übrigen Teil der Nacht wach auf seinem Bett liegen blieb. Er stellte fest, dass all diese Bilder in seinem Gedächtnis noch sehr lebendig waren und sie in ihm immer noch ein außerordentliches Wohlgefallen verursachten, besonders im Schlaf konnten diese Bilder ihm Gefühle vermitteln, derer er im wachen Zustand nicht fähig war. Dann fragte er sich: „Bin ich dann nicht ich? Wahrhaftig solch ein Unterschied ist zwischen mir und mir, dass die gesehene Wirklichkeit mir vollkommen gefühllos erscheint.“

Am nächsten Morgen machte er sich gleich nach dem Frühstück an die Lektüre von ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ von Friedrich Nietzsche und er stellte natürlich sehr schnell fest, dass Carl ihn mit dieser Schrift offensichtlich nur provozieren wollte. Da behauptet zum Beispiel dieser Nietzsche, dass ‚der starke Glaube nur seine Stärke, nicht die Wahrheit des Geglaubten beweist‘. Einen solchen Unsinn konnte doch nur jemand schreiben, der die Gaben des Heiligen Geistes nicht empfangen hatte.

Es wurde jedoch noch grotesker, wenn Nietzsche aussagt, dass der Glaube daran, dass ein Gott das Schicksal der Welt bestimme, längst nicht mehr existiere und dass deshalb ‚die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Welt umspannende Ziele stellen‘ müsse. Mehr noch, er behauptet sogar, dass möglicherweise im Interesse der Bedürfnisse der Menschheit ‚unter Umständen sogar böse Aufgaben zu stellen‘ seien. Was war das nur für ein verderbter Mensch, der solche Lügen und Irrtümer in die Welt setzte. Man musste sich wirklich fragen, ob solche Frechheiten wirklich verbreitet werden durften. Er selbst hatte ja persönlich ein Erweckungserlebnis gehabt und nur durch die Kraft seines Glaubens konnte er sein liederliches, sündhaftes Leben beenden und zu einem gottgefälligen Leben übergehen.

Schließlich kommt jedoch noch der absolute Höhepunkt in den Ausführungen von Nietzsche, wenn er dazu auffordert, alle Vorstellungen über ‚die christliche Seelennot, das Seufzen über die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil‘ zu vernichten, weil es sich hier um Vorstellungen handle, die auf Irrtümern der Vernunft beruhen. Wie konnte er nur jemals behaupten, dass der ‚Glaube an Wert und Würdigkeit des Lebens‘ ausschließlich auf unreinem Denken beruhe und dass ‚das Mitgefühl für das allgemeine Leben und Leiden der Menschheit sehr schwach im Individuum entwickelt‘ sei. Auch hier konnte Karl, alias Augustinus, aus voller Überzeugung sagen, dass es genau umgekehrt sei, nämlich dass das Denken dieses Herrn Nietzsche sehr schwach entwickelt sei.

Selbstverständlich ist es auch vollkommen falsch, dass der junge Mensch sich gerne der Metaphysik zuwende, weil er durch sie die Möglichkeit habe, in den Dingen, die er an sich selbst missbilligt, „das innerste Welträtsel oder Weltelend“ zu erkennen. Es war einfach falsch, dass der Mensch auch durch historische Erkenntnisse das Interesse am Leben und seinen Problemen gewinnen könne. Nein, der Mensch war von Grund auf verderbt und nur durch die Gnade Gottes, so wie es auch bei ihm selbst geschehen war, konnte er sich zu einem guten Menschen wandeln. Nur wenn der Mensch seinen eigenen Willen aufgab, konnte er Gottes Willen erfüllen.

Nachdem Karl alias Augustinus den ganzen Aufsatz gelesen hatte, war ihm klar, dass es sich bei Nietzsche um einen Menschen voller Verachtung für die Menschen und die Welt und vor allem auch für Gott handle; er war ein Anwalt des Teufels und ein Feind Gottes, den man zum Schweigen bringen musste, seine Schriften sollten einfach verboten werden.

Karl alias Augustinus war nun bereit mit Carl über diese Schrift zu diskutieren und er würde ihm in aller Deutlichkeit sagen, dass er ihn in Zukunft bitte mit solchen gotteslästerlichen Schriften verschonen solle.

Feuerbach

Kaum hatte Karl alias Augustinus wieder in Carls Arbeitszimmer Platz genommen, wurde Carl wegen einer wichtigen Angelegenheit aus dem Zimmer gebeten. Während Karl alias Augustinus sich im Zimmer umschaute, entdeckte er eine Mappe mit der Aufschrift „Karl Marx“ auf dem Schreibtisch und natürlich konnte er seine Neugier nicht zügeln, er ging um den Schreibtisch herum und schlug die Mappe auf.

Diagnose:

Dissoziative Identitätsstörung verbunden mit wesentlichen Anteilen einer Schizophrenie (endogene Psychose, Realitätsverlust, Wahnvorstellungen)

Bei Herrn Marx zeigte sich in der Vergangenheit eine rücksichtslose Männlichkeit und damit verbunden der Ehrgeiz, nach höchsten Zielen zu streben. Dies äußerte sich in einer Gewalttätigkeit gegenüber Dummheit, Verbohrtheit, Ungerechtigkeit und Faulheit. Er zeigte eine Opferwilligkeit für das als richtig Erkannte, die an Heroismus grenzt. Weiterhin konnte ich bei ihm beobachten Ausdauer, Unbeugsamkeit und Zähigkeit des Willens, Neugier, die auch die Welträtsel nicht schrecken und schließlich einen revolutionären Geist, der seinen Mitmenschen ein neues Haus baut oder der Welt ein anderes Gesicht aufsetzt.

Aufgrund eines traumatischen Erlebnisses, das in der Therapie bislang noch nicht identifiziert werden konnte, versuchte Herr Marx sich zu erlösen, indem er zeitweilig eine andere Identität annimmt, diese andere Identität ist der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo, der sich dadurch auszeichnete, dass er sich von einem Saulus in einen Paulus verwandelte, sodass Herr Marx nun die Möglichkeit hat, sich selbst in einem positiven Licht zu betrachten.

Augustinus hatte einen Mutterkomplex, durch den er unbewussterweise die Mutter in jedem Weibe suchte. Er hatte sehr viele sexuelle Beziehungen zu vielen verschiedenen Frauen und schließlich eine fünfzehn Jahre dauernde uneheliche Beziehung zu einer Frau, mit der er auch einen Sohn zeugte. Durch ihre Beharrlichkeit und ihr intrigantes Vorgehen erwirkte die Mutter die Trennung von dieser Frau, sorgte dafür, dass ihr Sohn sich taufen ließ und schließlich ein anerkannter Bischof wurde.

Es ist noch nicht eindeutig, ob Herr Marx sich lediglich in der Frömmigkeit des Augustinus als Gegenpol zu seinem eigenen Leben spiegelt oder ob auch Herr Marx an einem Mutterkomplex leidet.

Therapie:

In diesem Moment öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, sodass Karl alias Augustinus nicht weiterlesen konnte, er machte die Mappe schnell wieder zu und ging auf seinen Platz zurück. Carl tat so, als hätte er nicht bemerkt, dass Karl alias Augustinus in seinen Unterlagen geblättert hatte, schließlich konnte es nicht schaden, wenn er seine Diagnose kannte.

„Ich bitte diese Verzögerung zu entschuldigen. Es war mal wieder eine dieser impertinenten Personen am Telefon, die sich einfach nicht von meiner Sekretärin abwimmeln ließ. Eine gewisse Ellis Wogel bestand darauf, mich persönlich sprechen zu müssen, da es außerordentlich dringend sei. Sie könne ihre Homosexualität einfach nicht länger ertragen und außerdem dulde ihre Partei, die AfS, keine lesbische Frau an ihrer Spitze, deshalb müsse sie unbedingt sofort bei mir eine Therapie machen.

Ich habe ihr klargemacht, dass Homosexualität keine Krankheit sei und dass ich der Überzeugung bin, dass Nazis absolut untherapierbar seien, woraufhin sie einfach den Hörer auflegte. Ich hoffe, dass sie nicht mehr anruft, aber ich muss jetzt natürlich damit rechnen, dass sie mich wegen sexueller Diskriminierung anzeigt. Es ist doch erstaunlich, dass diese Nazis, deren einzige Politik darin besteht, andere Menschen zu diskriminieren, so empfindlich sind, wenn es sie selbst betrifft.

Aber jetzt wollen wir endlich von ihnen reden, mein lieber Herr Augustinus. Haben Sie den Text von Nietzsche gelesen?“

„Wer ist Augustinus? Mein Name ist Marx, Karl Marx. Ich habe die Welt in Angst und Schrecken versetzt vor allem durch meine Werke ‚Manifest der Kommunistischen Partei‘ und ‚Das Kapital‘. Die Menschen sind so erschrocken, dass sie sogar sagten ‚Ein Gespenst geht um in Europa‘. Dabei habe ich nur unser politisches und ökonomisches System ganz sachlich analysiert und bin dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die große Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft von einer Minderheit ausgebeutet wird und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Mehrheit sich von diesem Joch befreit. Die Expropriierten müssen sich von der Expropriation durch die Expropriateure befreien, damit sie endlich ein freies und menschenwürdiges Leben führen können.

Diese Minderheit, die sich auf Kosten der Mehrheit bereichert, wird von einer solchen Angst um ihren Reichtum getrieben, dass sie sogar die Kirche in ihren Dienst gestellt hat, um die Menschen von ihrem Elend abzulenken und sie auf ein Jenseits zu vertrösten, in dem sie dann glücklich werden.

Ich nehme an, dass ich ja deshalb den Aufsatz von Friedrich Nietzsche lesen sollte, denn er sagt vollkommen richtig‚ dass ‚die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Welt umspannende Ziele stellen‘ müssen, wobei sie möglicherweise im Interesse der Bedürfnisse der Menschheit unter Umständen sogar böse Aufgaben erfüllen müssen.

Mein Freund Ludwig Feuerbach hat zu diesem Zweck zum Beispiel die Religion als das entlarvt, was sie in Wirklichkeit ist, wenn er darauf hinweist, dass das angebliche Bewusstsein Gottes nichts weiter ist als das Selbstbewusstsein des Menschen und dass die Erkenntnis Gottes nichts weiter ist als die Selbsterkenntnis des Menschen. Übrigens war Feuerbach bei weitem nicht der Erste, der diese Erkenntnis hatte, sondern schon der Vorsokratiker Xenophanes hat bereits fünfhundert Jahre vor Christus darauf hingewiesen, dass die religiösen Götterbilder durchaus nichts anderes seien als Projektionen menschlicher Erfahrungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Schon Xenophanes hat sehr deutlich gesagt, dass die Menschen Gott nach ihrem eigenen Bild formen, während sie das Gegenteil behaupten.

Das Christentum selbst hat ja Gott zum Menschen erniedrigt und dadurch den Menschen zu Gott gemacht. In der Religion offenbart sich die Liebesfähigkeit des Menschen, seine Liebe ist fatalerweise jedoch auf ein vermeintlich anderes Wesen gerichtet, er liebt also sich selbst als ein anderes Wesen. Der Mensch hat Gott nach seinem Ebenbild geschaffen, wenn ein Mensch also Gott erkennt, dann erkennt er sich selbst in seiner Vollkommenheit. Ein Gott ohne Liebe, Weisheit und Gerechtigkeit ist kein Gott und diese Eigenschaften sind nicht göttlich, weil Gott sie hat, sondern Gott hat sie, weil sie göttlich sind, ohne diese Eigenschaften wäre Gott ein mangelhaftes Wesen, daraus folgt, dass der Mensch ohne diese Eigenschaften nicht vollkommen ist.

Die Religion macht nun den fatalen Fehler, dass sie behauptet, Gott könne nur allmächtig sein, wenn der Mensch ohnmächtig ist, der Mensch muss also alle positiven Eigenschaften an sich verneinen, um sie Gott zuschreiben zu können. Gott ist alles und der Mensch ist nichts, obwohl sich doch Gottes Handeln nicht vom Handeln des Menschen unterscheidet. So wie ich gezeigt habe, dass der Mensch durch die moderne Produktionsweise von sich selbst entfremdet wird, so hat Feuerbach gezeigt, dass die Religion die Entfremdung des Menschen von sich selbst ist, da er sich Gott als ein fremdes Wesen gegenübersetzt, sodass er sich von sich selbst entzweit. Es ist endlich an der Zeit, dass wir die an den Himmel verschleuderten Güter wieder auf die Erde zurückholen.

Seitdem der Mensch denken kann, ist er auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, also nach einer letzten Ursache, die durch nichts Anderes verursacht wird oder wie schon Aristoteles es vor über zweitausend Jahren formuliert hat, da alles, was bewegt wird und bewegt, immer ein Mittleres ist, sucht der Mensch nach etwas, das bewegt, ohne selbst bewegt zu werden. Den Grund für diese letzte Behauptung ist Aristoteles allerdings schuldig geblieben.

Ohne einen Urgrund für die Existenz der Welt und des Menschen fühlt der Mensch sich einem sinnlosen Zufall preisgegeben und dieser Zustand ist für ihn so unerträglich, dass er bereit ist, sich einem Wesen anzuvertrauen, das er als diese erste Ursache betrachtet und dem er gegebenenfalls auch die Schuld für seine Misere geben kann. Er ist nicht bereit, den Sinn und Zweck der Welt in seinem eigenen Wesen zu suchen, denn dann wäre er ja auch selbst verantwortlich für alles, was ihm widerfährt.

Feuerbach hat sehr deutlich aufgezeigt, dass die Vorstellungen, die der Mensch von Gott hat, seinen eigenen Verstand spiegeln, sodass also die Vorstellung von einem unendlichen Gott nichts Anderes ist als der Beweis für einen unendlichen Verstand. Solange die Menschen an Gott als ein körperliches Wesen glaubten, war auch ihr Verstand an den Körper gebunden; erst durch die Vorstellung eines immateriellen Gottes hat der Mensch die Freiheit seines Verstandes erkannt und ihn, den Verstand, damit zum höchsten Wesen erklärt, nur wer denkt, ist frei, unabhängig und selbstständig und somit keinem anderen Wesen unterworfen. So wie Aristoteles auf der Suche nach der Wesenheit war, die bewegt, ohne selbst bewegt zu werden, so gilt es nun zu erkennen, dass der Verstand das einzige ist, was selbst genießt, ohne genossen zu werden.

Der Monotheismus stellt insofern einen Fortschritt der Menschheit dar, weil durch ihn erkannt wurde, dass es für den Verstand unmöglich ist, sich mehrere höchste Wesen vorzustellen, weil dies ja bedeuten würde, dass der Verstand sich selbst widerspricht, sein eigenes Wesen verleugnet und damit sich selbst vervielfältigt. Wir messen alles mit dem Verstand, sodass also der Verstand das Maß aller Maße ist, hier lassen sich Existenz und Wesen nicht unterscheiden. Erst durch den Verstand entsteht das Bewusstsein und durch das Bewusstsein erklärt sich die Existenz der Welt und des Menschen, denn ohne Bewusstsein würde die Welt nicht existieren, es würde also das Nichts existieren, was ein vollkommener Unsinn wäre. Der Unsinn des Nichts ist der Grund für den Sinn der Welt, denn Nichtsein ist sinnlos. Der Durst, das Bedürfnis, die Notwendigkeit und der Mangel sind die Ursachen und der Sinn des Lebens.

Wie könnte ein Mensch in Gott Frieden finden, wenn Gott ein ganz anderes Wesen wäre als der Mensch. Heißt es nicht sogar in der Heiligen Schrift der Christen: ‚Wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh mit ihm zwei‘. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass man ein anderes Wesen nur verstehen kann, wenn man sich in seine Lage versetzt. Der Mensch kann sich also nur in Gottes Lage und Gott nur in die Lage des Menschen versetzen, wenn beide eines Wesens sind oder wie Feuerbach es formuliert: ‚Und soll und will daher der Mensch in Gott sich befriedigen, so muss er sich in Gott finden‘. Alle Religionen, insbesondere die christliche, sind also nichts Anderes als die Verehrung eines anthropotheistischen Wesens, also die Liebe des Menschen zu sich selbst in seiner Vollkommenheit, die absolute Bejahung des Lebens.

Es kommt also darauf an, dass der Mensch sich von der Qual seines Sündenbewusstseins und seines Nichtigkeitsgefühls, die ihm die Herrschenden und die Kirche seit zweitausend Jahren einreden, befreit. Erlösung kann er nur finden, wenn er sich der Liebe des Herzens bewusst wird und sie als das Höchste ansieht, ohne das nichts existieren kann, sodass also auch Gott nur als herzliches, liebendes, menschliches Wesen existieren kann.

Im Gegensatz zu dieser Liebe steht das Gesetz, dem kein Mensch wirklich genügen kann, da es immer von der Vollkommenheit ausgeht. Schon Seneca erkannte, ‚mit dem Gesetz begannen die Vatermörder‘ und Luther sagte: ‚Das Gesetz bringet uns um‘. Es ist nur die Liebe, die den Menschen frei machen kann. Im Gesetz stellt der Mensch Gott sich als ein anderes fremdes Wesen gegenüber, wodurch er sein eigenes Leiden verursacht, erst wenn er sich mit Gott versöhnt, indem er sich ihm gegenüberstellt als sein eigenes Wesen, kann der Mensch Frieden finden.

Daher ist die Inkarnation auch nichts Anderes als die Erscheinung eines menschlich fühlenden Wesens, auch hier kann Ludwig Feuerbach es noch viel genauer beschreiben: ‚Allein der menschgewordene Gott ist nur die Erscheinung des gottgewordenen Menschen; denn der Herablassung Gottes zum Menschen geht notwendig die Erhebung des Menschen zu Gott vorher. Der Mensch war schon in Gott, war schon Gott selbst, ehe Gott Mensch wurde, d.h. sich als Mensch zeigte‘.

Wir haben es der Anthropologie zu verdanken, dass die Illusion von Gott als einem übernatürlichen Wesen zerstört und die Liebe als der eigentliche Ursprung und Mittelpunkt der Welt erkannt wurde. Wenn man Gott als ein übernatürliches Wesen ansieht, das auch ohne die Liebe existieren kann, dann entsteht der religiöse Fanatismus, dann werden Ketzer und Hexen verbrannt und es werden Kriege geführt gegen sogenannte Ungläubige, dann segnen die Popen Waffen, mit denen Menschen getötet werden und der Papst verbietet den Gläubigen, den Kriegsdienst zu verweigern, mit anderen Worten, er zwingt sie, andere Menschen zu töten, weil er Angst hat um seine Macht und weil er keine Liebe kennt, jedenfalls nicht die menschliche Liebe.

Es gibt jedoch gar keine andere als die menschliche Liebe, auch Gott kann den Menschen nur um des Menschen Willen lieben, um ihn glücklich zu machen, er liebt also genauso wie die Menschen es tun. Nichts anderes lehrt die Heilige Schrift der Christen, wenn sie sagt, dass die Liebe des Menschen vollkommen und ungeteilt sein soll. Aber die Kirche behauptet, dass es unterschiedliche Arten von Liebe gebe, so als hätte die Liebe einen Plural.

Wenn ein Mensch einen anderen Menschen liebt, dann hat er das außerordentliche Verlangen, diesen Menschen zu sehen, denn in ihm erscheint die Liebe von Angesicht zu Angesicht, sodass die Menschwerdung Gottes auch nichts anderes ist, als die Erscheinung der Liebe, der Liebe Gottes zu den Menschen und damit des Menschen zu sich selbst, durch diese Erscheinung wird die Liebe in sich selbst zur Gewissheit, um es erneut mit Feuerbach zu sagen: ‚In Gott kommt daher mein eigenes Wesen mir zur Anschauung; ich habe für Gott Wert; die göttliche Bedeutung meines Wesens wird mir offenbar‘. ‚Gott ist der Spiegel des Menschen‘.

Wir können den Sinn des Lebens also nicht in irgendwelchen metaphysischen Wesen, sondern ausschließlich in uns selbst finden; weil wir existieren, haben wir Gefallen an uns selbst, haben wir das Recht, uns zu lieben; wer den Menschen verurteilt, weil er sich selbst liebt, der macht ihm den Vorwurf, dass er existiert. Der eigentliche Sinn des Lebens ist also der Lebenstrieb, die Vereinigung von Natur und Geist im Menschen.

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