Einmal Hartz IV Immer Hartz IV

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Einmal Hartz IV Immer Hartz IV
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Dank

Dieses Buch widme ich meiner Mutter. Vielen Dank für Deine Hilfe, Unterstützung, Beistand oder für die ganz alltäglichen, kleinen Gespräche.

Herbert W. aus Berlin danke ich für die Gestaltung des Buchumschlages. Einen weiteren Dank an Dieter Hildebrandt, für seine Mutmachenden Worte. Einen besonderen Dank an Klaus Stuttmann. Mit spitzer Feder gezeichnet, stellen seine Karikaturen eine große Bereicherung für dieses Buch dar.

Abschließend meiner Stellenvermittlerin in der ARGe, als „Stein des Anstoßes“ für dieses Buch, welches in den Jahren 2009 und 2010 geschrieben und bis in das Jahr 2012 ergänzt wurde.

Bei nachfolgenden Personen möchte ich mich separat bedanken. Ohne den Inhalt meines Buches zu kennen, war keiner der aufgeführten Politiker, Experten, Kabarettisten oder Gewerkschaftsfunktionären sowie „Hartz IV Befürwortern“ bereit, einen Gastbeitrag oder eine andere Form der Unterstützung beizutragen. Die aufgeführten Personen stellen dabei nur die berühmte Spitze des „angeschriebenen Eisberges“ dar. Viele von ihnen sind durch Äußerungen zur Hartz Gesetzgebung in den Medien bekannt. Mir ist kein Gemeinschaftsprojekt bekannt, in dem ein betroffener ALG II Empfänger eine direkte „prominente“ Unterstützung erhielt. Es wird übereinander, aber nicht miteinander kommuniziert. Persönlich bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Thematik Hartz IV von Politikern, wie auch vermeintlichen Experten nur zur eigenen Selbstdarstellung, Wiederwahl, Buchverkäufen und anderen Marketingmaßnahmen benutzt wird. Absagen habe ich von Peter Hartz, Thilo Sarrazin, Kai Diekmann oder Joseph Ackermann erhalten. Weder Katja Kipping, Johannes Ponader, Ulrich Schneider oder Oskar Lafontaine haben selbst diese kleine Geste erübrigen können.

Prof. Peter Hartz, Thilo Sarrazin (Buchautor und selbsternannter Hartz IV Experte), Josef Ackermann (Deutsche Bank), Oskar Lafontaine, Katja Kipping (Die Linke), Johannes Ponader (Piratenpartei), Peter Klöppel (RTL), Marietta Slomka (ZDF), Prof. Dr. Precht (Philosoph und Vortragsredner bei Bertelsmann buchbar), Georg Schramm (Kabarettist), Thomas Öchsner (Redakteur Süddeutsche, Danke das Sie meinen Buchtitel als Anregung für ihre Schlagzeile verwendet haben) Konstantin Wecker (Liedermacher), Dr. Heiner Geißler (CDU), Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche), Prof. Dr. Helga Spindler (Professorin für öffentliches Recht mit Schwerpunkt Sozialrecht Universität Duisburg–Essen), Jakob Augstein (Verleger), Thomas Gottschalk (Entertainer auch für „Hartz IV Stelzen“), Peter Escher (MDR Moderator), Ottmar Schreiner (SPD), Helmuth Marquardt (Focus Herausgeber), Prof. Dr. Stefan Sell (Professur für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz), Prof. Götz Werner (ehemaliger DM Inhaber und Grundeinkommensbefürworter), Prof. Dr. Christoph Butterwegge (Universität zu Köln und Medienbekannter Armutsforscher), Dr. Ulrich Schneider (Vorsitzender Deutscher Paritätischer Gesamtverband), Rainer Brüderle (FDP), Sigmar Gabriel (SPD), Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen), Bernd Ziesemer (Handelsblatt), Dr. Gregor Gysi (Die Linke), Brigitte Pothmer (Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion), Wilfried Schmickler (Kabarettist)

Prolog

Deutschland befindet sich im achten Jahr der „Hartz IV Reformen“. Einen informativen Rückblick auf die vergangenen Jahre, in Kombination mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen aus Sicht eines Betroffenen liefert das Buch „Geschichten eines Hartz IV Paria“. Meine Erfahrungen mit der für mich zuständigen Arbeitsgemeinschaft, kurz „ARGe“ oder der Bundesagentur für Arbeit, kurz „BA“ möchte ich so präsentieren.

Vorrangig sind diese Zeilen an Interessierte, Nichtbetroffene sowie an die Beitrags- und Steuerzahler gerichtet. Ebenfalls an alle Experten, Fachjournalisten und Politiker, welche noch nie eine ARGe betreten, einen Antrag zur Grundsicherung ausgefüllt oder ein so genanntes Beratungsgespräch bei einem Stellenvermittler der Bundesagentur für Arbeit geführt haben. Der Focus meiner Betrachtungen liegt auf der Bundesagentur für Arbeit und den ARGen. Es wird möglich sein, die Arbeitsweise einer so genannten Arbeitsvermittlerin der ARGe über einen längeren Zeitraum nachzuvollziehen und mich ein Stück durch meinen „Hartz IV Alltag“ zu begleiten. Mit einem Augenzwinkern versehen, erhalten Betroffene wie auch Nichtbetroffene wertvolle Tipps. Meine Berufsausbildungen möchte ich nicht preisgeben. Ich habe zwei erlernte Berufe und konnte bisher Erfahrungen vom Immobilienbereich bis hin zum Bankenbereich sammeln. Bilden Sie sich eine Meinung, ob Ihre Gelder sinnvoll und vernünftig im Zusammenhang mit den „Hartz Reformen“ eingesetzt werden. Sie werden viele nützliche Informationen rund um die „Hartz IV Reformen“, der Bundesagentur für Arbeit oder der Sozialgesetzgebung erhalten. Allen Arbeitnehmern soll ein Einblick gewährt werden, was sie im Fall eines Arbeitsplatzverlustes mit anschließender Arbeitslosigkeit erleben können. Viele Anregungen für Diskussionen wird man erst auf den zweiten Blick erkennen können.

Der Leser kann sich eine eigene Meinung bilden und bekommt nicht ausschließlich vorgefertigte Standpunkte präsentiert.

Meine Ausführungen sollen Anregungen geben und die Frage aufstellen, ob eine neue Definition und Form des Miteinanders in unserer Gesellschaft von Nöten ist, soll auch in Zukunft ein friedlicher Zustand des Miteinanders beibehalten werden.

Überprüfen Sie, ob Sie den "Storch Sarrazin", ein Casting mit den Jurymitgliedern Wolfgang Clement und Peter Hartz sowie den Zusammenhang von „Adam & Eva beim Speed-Dating“ mit der Bundesagentur für Arbeit als Provokation empfinden. Der „Storch Sarrazin“ stellt dabei keine Beleidigung dar!

Aber nicht nur provokante Unterhaltung bietet dieses Buch. Der Leser erhält Informationen über die reellen Zahlen der Arbeitslosigkeit mit einer Gegenüberstellung der vorhandenen freien Stellen auf dem ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt. Den Nachweis, ob oft verwendete Beispielrechnungen für Hartz IV auch tatsächlich repräsentativ sind. Verhängte Sanktionen oder der Bürokratiewahnsinn innerhalb der BA gebündelt mit vielen weiteren Informationen und Karikaturen von Klaus Stuttmann runden das Buch ab. Am Ende werden Sie sich selber die Frage nach der Existenzberechtigung der BA stellen.

Aufgrund tagespolitischer Gegebenheiten erfolgt in einigen Kapiteln ein namentlicher Wechsel von „ARGe“ zu „Jobcenter“.

Die Berliner Umschau schreibt im Vorfeld: „Wenk schreibt ganz unbemerkt. Keine dichterische Absicht, keine rhetorische Finesse, kein Gramm „Literaturfett“ (Alfred Polgar), ein bescheidener Spötter ist da am Werk.“ Der Saarkurier - Online merkte an: „Wenk wird zum Bodensatz der Gesellschaft gezählt, wird täglich von Behörden schikaniert und von prolligen Stammtischassis, die sich für demokratische Politiker halten, beleidigt. Diese Niederlagen verkauft er aber nicht als tränenzerfliessendes Selbstmitleid, sie verleihen seinem Witz eine erhellende Schärfe.“

Paria

Der Begriff „Paria“ wird im deutschen Sprachgebrauch im Sinne von Ausgestoßener, Außenseiter oder Entrechteter von der menschlichen Gesellschaft verwandt.1 Das Wort leitet sich vom tamilischen Namen einer südindischen Trommlerkaste ab. Ursprünglich wurde der Begriff „Paria“ in Tamil Nadu als Bezeichnung für die Angehörigen einer niederen Kaste benutzt, wurde aber mit der Zeit über ganz Indien ausgedehnt. „Paria“ steht auch für Kastenlose. Gesellschaftlich gemieden, verrichten sie die als unrein betrachteten Arbeiten. Arbeiten, bei denen man auch mit Blut in Berührung kommt. Zur Gruppe der „Paria“ können Straßenfeger, Hebammen, Wäscher oder Schlachter gehören. Bis zum heutigen Tag hält die Ausgrenzung und Diskriminierung in bestimmten Teilen Indiens an.

Im neudeutschen Sprachgebrauch abgewandelt, wird der „Paria“ in Deutschland auch als „Unterschicht“ oder „Hartz IV-Empfänger“ bezeichnet. Dieser Begriff wurde von Jahr zu Jahr durch wiederholte Nennung namenhafter Politiker Gesellschaftsfähig. Biergeschwängert, Tabakumwoben und Bildungsresistent. Dabei gut gelaunt in der Fortpflanzung und Weitergabe seiner „Unterschichtengene“ an die nächste Generation, ist die Kurzdefinition aus Sicht dieser Politiker.

1 lt. Wikipedia Lizenz CC-BY-SA

Hartz IV Reform

Bedeutet die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II auf einem Niveau unterhalb der bisherigen Sozialhilfe zum 1.Januar 2005. Beide Sozialleistungen sollen bei erwerbsfähigen Arbeitslosen direkt bei der Agentur für Arbeit verwaltet werden. Da in Deutschland bekanntlich kein Gesetz ohne Ausnahmeregel greift, erhalten 69 Kreise und Gemeinden die Möglichkeit, die Betreuung von Langzeitarbeitslosen eigenverantwortlich zu übernehmen. Das Arbeitslosengeld II (ALG II) nennt sich "Grundsicherung für Arbeitssuchende." Weit verbreitet ist hingegen die Bezeichnung „Hartz IV-Empfänger.“ Dennoch ist sie verkehrt. Wie soll ein Betroffener eine Reform empfangen? Wie gestaltet sich wohl ein „Hartz IV Empfängnis“ in der Praxis? Selbst habe ich bei mir auch noch keine Anzeichen einer Empfängnis feststellen können. Es soll aber auch Scheinschwangerschaften geben!

 

Möglich, dass ich doch ein wenig „Hartz schwanger“ bin.

Eben wird mir bewusst, dass beim Urvater und Erzeuger der Reformen Herrn Hartz sicher ein guter Unterhalt zu erzielen wäre! Am Monatsende kann man hingegen das Arbeitslosengeld „empfangen“ und Arbeitslosengeldempfänger wäre zutreffender.

Frau Adler oder die Zeitreise nach der Geschlechtsumwandlung

Ein bekannter Greifvogel fängt mit dem Buchstaben „G“ an. Aus Gründen des Anstandes möchte ich nicht den Namen meiner zuständigen Sachbearbeiterin bei der ARGe nennen und bezeichne sie stattdessen als Frau Adler. Geschätzte 1,50 Meter groß, korpulent, Mitte fünfzig und ein Angela Merkel Anzugtyp. Ein kleiner General ohne Paradeuniform und Armee dürfte einem sinnbildlichen Vergleich standhalten.

Frau Adler sollte eigentlich im Oktober 2007 in mein Leben treten. Seit Beginn meiner Arbeitslosigkeit ist Frau Adler der fünfter Ansprechpartner in der für mich zuständigen ARGe. Für bewussten 10. Oktober im Jahr 2007 erhielt ich eine freundliche Einladung der Bundesagentur für Arbeit (BA) unter dem Dach der ARGe. Einladung hört sich im ersten Moment wie die Bitte zum Erscheinen auf einem Geburtstag oder wenigstens zum Grillabend an. Tatsächlich bezeichnet der Gesetzgeber diese Einladung auch als Meldepflicht. Im weiteren Verlauf werden Sie noch feststellen, dass die BA um „Euphemismen“ nie verlegen ist. Jetzt erklingt die Einladung schon in einem anderen Ton. Kurz und bündig wurde ich gebeten, am 10.10.2007 um 14.30 Uhr in ein bestimmtes Zimmer zu kommen. Frau Adler möchte mit mir über mein Bewerberangebot und meine berufliche Situation sprechen. Gut, eigentlich muss ich mit Frau Adler nicht sprechen, da es einfach nichts zu besprechen gibt. Aber die nicht unterzeichnete Einladung erhält auch den dezenten Hinweis, dass eine Verletzung der Meldepflicht eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 10 Prozent zur Folge hätte. Da ich auf 34,50 Euro nicht verzichten kann, werde ich der freundlichen Einladung folgen. Aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit bin ich eigentlich ein Kunde und kein „ALG II Empfänger.“ Bisher hatte ich angenommen, dass eine Unterschrift unter einem Anschreiben als höfliche Umgangsform zwischen Geschäftspartnern und Kunden die Regel ist.

Aber Kundendienst wird bei der Bundesagentur anderes definiert und praktiziert, als es im normalen Geschäftsalltag zumeist üblich ist. Falls Sie gerade Ärger mit einem größeren Telekommunikationsunternehmen haben, ist diese Art von Kundendienst ebenfalls nicht gemeint. Aber zurück zum ersten Termin mit Frau Adler.

Ein direktes, erstes Aufeinandertreffen fand wider Erwarten nicht statt. Frau Adler war nicht anwesend! Eine Mitteilung über eine Terminabsage erreichte mich auf postalischem Weg einen Tag später. Für solche Fälle habe ich eine Telefonnummer sowie eine Mailadresse bei der Bundesagentur hinterlegt. Angerufen hat mich dennoch niemand. Wer mich anruft, muss keine versteckte Kosten befürchten! Die Bundesagentur hat im Zuge ihres Kundendienstes eine 0180-Hoteline eingerichtet, unter der man für 3,9 Cent je angefangener Minute immer ein offenes und immer öfters ein besetztes Ohr vorfindet. Nur im umgekehrten Fall scheint dies nicht zu funktionieren. Vielleicht hätte ich die Kosten für den Anruf übernehmen sollen? Meine Kosten für die Fahrt zur ARGe waren Frau Adler hingegen egal. Am bewussten 10.Oktober ergab sich dann noch ein freundliches und kompetentes Gespräch mit einer Kollegin von Frau Adler.

Auch an Silvester konnte ich mich von der ARGe nicht lösen. Wie vereinbart fragte ich per Mail an, ob Frau Adler einen neuen Gesprächstermin wünschte. Aber Frau Adler wollte immer noch nicht mit mir kommunizieren. Ganze zwei Wochen später erhielt ich dann doch noch eine Einladung auf dem Postweg für ein erstes Aufeinandertreffen. In der Zwischenzeit malt man sich natürlich die schwärzesten Dinge an die Wand. Was, wenn meine Anfragemail gar nicht gelesen wurde? Denn eine Bestätigung über die Weiterleitung der Anfragemail an Frau Adler erhält man vom Kundendienst der Bundesagentur nicht.

Wie schon erwähnt, wird Kundendienst bei der Bundesagentur anders definiert.

Das erste persönliche Treffen beim zweiten Versuch mit Frau Adler fand diesmal statt. Nach Paragraf 13 Absatz 4 SGB X darf man sich zu jeder Sozialbehörde von einer Person des Vertrauens begleiten lassen. Nun habe ich aus Sicht von Frau Adler einen schweren Fehler begangen. Ich habe eines meiner gesetzlichen Rechte wahrgenommen! Vielleicht hätte ich meinen Nachbarn bitten sollen, oder einen Bekannten? Ich hingegen zog es vor, die Arbeitslosigkeit in der Familie zu belassen und meine Mutter zu bitten, mich als Zeugin zu begleiten. Seit dem darf ich mich von Seiten der ARGe in Vertretung von Frau Adler als Muttersöhnchen bezeichnen lassen. Diese Bezeichnung ist keinesfalls positiv einzustufen, da auch die Nachfrage erfolgte, ob denn die Mutti mit zu einem Bewerbungsgespräch kommt. Ehrlich habe ich dieses mit „Nein“ beantwortet. Heute nimmt man ein Handy und eine Krawatte mit zu einem Vorstellungsgespräch. Aber doch nicht seine Mutter!

Obwohl ich gleich zu Beginn des Gespräches eindeutig klar stellte, dass die Anwesenheit meiner Mutter nur dem Zweck der Zeugin diente, hatte ich ab diesem Tag keine Chance auf ein konstruktives Gespräch. Ich führte mutig das direkte Gespräch, schaute meiner Fallmanagerin in die Augen. Kein Wort kam bei diesem Gespräch über die Lippen meiner Mutter. Ich blieb das Muttersöhnchen. Diverse Hinweise über meinen eigenen Hausstand oder die Führung eines eigenen Kontos und die alleinige Verwaltung der Finanzen erbrachten gegenüber der „geschulten“ Fachkraft keinen Erfolg. Ich blieb in Frau Adlers Augen ein Muttersöhnchen. Vielleicht hätte ich auch Klischeehaft im unrasierten Zustand, in einem verschwitzten T-Shirt nach Alkohol riechend zum Gespräch erscheinen sollen?

In den vergangenen Monaten wechselten meine Ansprechpartner in der ARGe schneller, als der Chef der Bundesagentur für Arbeit sinkende Arbeitslosenzahlen verkünden konnte. Aber wie heißt es so schön in „Murphys Gesetz“: „Alles, was schief gehen kann, wird auch schief gehen.“

Frau Adler blieb mir erhalten und ihre geballte Fachkompetenz prasselte ab diesem Tag auf mich herab. Ich erhielt ein erstes Stellenangebot. Dieses wurde beidseitig, aufgrund vorangegangener Nichterfahrungen im Sozialbereich als ungeeignet für mich eingestuft. Ich sollte älteren Menschen in einem „Ein-Euro-Job“ hilfreich unter die Arme greifen. Ob und wie mich diese Tätigkeit wieder für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht hätte, blieb das Geheimnis von Frau Adler. Aus meinen Tätigkeiten der Vergangenheit im kaufmännischen Bereich, haben sich keine Berührungspunkte für die Seniorenbetreuung ergeben. Der Ansatz zur Hilfe für ältere Menschen ist generell als positiv einzustufen. Selber helfe ich einer älteren Dame in meinem Haus beim Einkauf. Sie legt mir eine Einkaufsliste in meinen Briefkasten und ich liefere ihr die benötigten Artikel frei Haus. Aber die „Ein-Euro-Jobmaßnahme“ eines größeren Trägers, dessen rotes christliches Symbol als Markenzeichen sicher jedem bekannt ist, soll eigentlich meine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt fördern. Damals wurde öfters in den Medien der Beruf des Pflegehelfers für Arbeitslose genannt. Ich hatte angenommen, dass die Arbeitsagentur vorher im Zug ihres Kundenservices mit ihren Kunden ein solches Vorgehen abstimmt. Arbeitslose, welche länger als 15 Stunden in der Woche in einem „Ein-Euro-Job“ tätig sind, zählen nämlich statistisch nicht mehr als arbeitslos! Ich muss eingestehen, dass meine empathischen Fähigkeiten gegenüber alten Menschen oder auch Kindern nicht besonders ausgeprägt sind. „Nobody is perfect!“ Ich informierte Frau Adler über diese Tatsache und wir beide kamen zu dem Ergebnis, dass dieses Angebot nicht geeignet für mich sei. Vielleicht hatten wir auch nur einen schlechten Start und ich habe mich in Frau Adler getäuscht? Weit gefehlt!

Eine Woche später erhielt ich dieses Stellenangebot erneut auf dem Postweg. Diesmal mit einer beigefügten Rechtsfolgenbelehrung.

Diese bringt wiederum zum Ausdruck, dass mein Arbeitslosengeld gekürzt werden kann, sollte ich mich weigern, dieses Stellenangebot aufzunehmen. Jetzt können meine „Regelleistungen“ bereits um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Immerhin eine sichtbare Steigerung im Vergleich zum Nichterscheinen auf eine freundliche Einladung. Erfolgt keine Einstellung, sollte ich zusätzlich zu dieser Pflichtbewerbung bis zu einem bestimmten Tag darlegen, warum ich nicht eingestellt wurde. Diese Reaktion war laut Vorgabe von Frau Adler nur in Schriftform oder über arbeitsagentur.de möglich. Leider hat mir Frau Adler bei dem ganzen Kundenservice vergessen zu erklären, wie letzteres in der Praxis umgesetzt wird. Auf meine Bewerbung per Mail erfolgte zwischenzeitlich eine Absage. Aus diesem Grund musste ich wegen einer Nichteinstellung zur Arbeitsagentur fahren, um dort im Hausbriefkasten die vorgefertigte Rechtsfolgenbelehrung zum Stellenangebot ausgefüllt zu hinterlassen. Für alle Nichtbetroffene der kurze Hinweis, dass die Arbeitsagentur einem zugesandten Stellenangebot neben einer Rechtsfolgenbelehrung ein vorgedrucktes Blatt mitsendet. Auf dieser Seite kann der Arbeitslose Angaben zu dem Stellenangebot machen. Diese Angaben sehen wie folgt aus:

Ich habe mich am …… vorgestellt.

Ich bin ab……als……bei dem umseitig genannten Träger tätig.

Ich werde nicht im Rahmen der vorgeschlagenen Tätigkeit tätig, weil…….

Ich habe mich nicht vorgestellt, weil…….

Ich bin an weiteren Stellenangeboten interessiert / nicht interessiert.

Diese Informationen lassen sich auch per Hotline, persönlich oder mittels eigenem Schreiben an die Bundesagentur weiterleiten. Diese Möglichkeiten wurden von Frau Adler nicht erwähnt und als gut erzogener Arbeitsloser hält man sich an die Vorgaben seiner Kundenorientierten ARGe.

Ich fuhr zur Arbeitsagentur, um Frau Adler auf schriftlichem Weg zu informieren, dass keine Einstellung erfolgte.

Natürlich empfinde ich den Bewerbungszwang für eine nicht geeignete Stelle nicht als Schikane. Sicher hat Frau Adler nur vergessen, dieses kleine Detail in ihren Unterlagen zu hinterlegen. Man kann sich schließlich nicht alle Wehwehchen seiner Kundschaft merken. Hilfreich wäre es allerdings, wenn sich Frau Adler die Preise im Nahverkehr merken würde. Denn bereits das zweite Mal habe ich jetzt völlig unnötig 3,60 Euro ausgeben müssen. Soviel kostet es nämlich, wenn ich per Bus den Weg zur ARGe bestreite. Für die allgemeine Fitness wäre ein Fußmarsch sicher nicht verkehrt! Aber eine Stunde Hinweg und eine Stunde Rückweg sind mir doch zuviel. An diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr, wie anspruchsvoll und gleichzeitig auch noch faul der Arbeitslose denkt und handelt. Ein zweites Stellenangebot von Frau Adler war grundsätzlich geeignet. Wäre nicht die unbedeutende Kleinigkeit, dass ich dafür das falsche Geschlecht besaß! Eine Assistentin mit guten Englischkenntnissen wurde von einem potentiellen Arbeitgeber gesucht. Musste ich jetzt noch schnell eine Geschlechtsumwandlung vornehmen? Meine Hinweise auf das falsche Geschlecht und die fehlenden Englischkenntnisse wurden ignoriert. Ich solle es dennoch versuchen! Sie dürfen mehr als dreimal raten, wie erfolgreich meine Bewerbung auf dieses Angebot verlief. Hoffentlich hat sich diese Firma nicht meinen Namen eingeprägt! Wenn ich noch nicht einmal in der Lage bin, ein Stellenangebot richtig zu deuten, was geschieht dann erst bei einer Arbeitsaufnahme? Dafür war auch dieses Angebot mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen. Wie viele Bäume werden wohl nur für solche Angebote Deutschlandweit gefällt? Ein letztes Stellenangebot hielt Frau Adler dann noch für mich parat. Eine Teilzeitstelle, die auf der Stellenbörse der Bundesagentur bereits von 2.000 Interessierten aufgerufen wurde.

Ich kann nur vermuten, dass dieser Arbeitgeber genügend Zuschriften erhalten hatte. Denn auf meine schriftliche Bewerbung erfolgte keine Reaktion. Abschließend wurde mir eine Eingliederungsvereinbarung vorgelegt. Ein wenig erinnert mich dieses Wort immer an einen Strafgefangenen nach seiner Entlassung. Der Ex-Sträfling soll sich nach Verbüßung einer Haftstrafe in die Gesellschaft unter bestimmten Auflagen einfügen. Resozialisierung nennt sich dies. Bei einem Arbeitslosen verhält es sich ähnlich. Da er nicht bereit ist, sich an der arbeitenden und Werteschaffenden Gesellschaft zu beteiligen, wird er mit Auflagen belegt. Diese gestalteten sich bei mir in Kurzform wie folgt. Ich muss in den folgenden 6 Monaten mindestens 12 Bewerbungen in Form von Absagen, Anschreiben oder Eingangsbestätigungen der Bewerbung nachweisen. Spätestens am dritten Tag nach Erhalt eines Stellenangebotes von der Agentur für Arbeit muss eine Bewerbung erfolgen. Halte ich mich innerhalb eines Zeit- und Ortsnahen Bereiches auf, muss sichergestellt sein, dass ich persönlich an jedem Werktag an meinem Wohnsitz durch Briefpost zu erreichen bin. Bei Ortsabwesenheit ist vorab die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners einzuholen. Daher kommt sicher auch die gedankliche Verbindung zu einem ehemaligen Sträfling, der sich nur mit einer Fußfessel innerhalb eines bestimmten Radius frei bewegen darf. Die ARGe unterbreitet mir, soweit vorhanden, geeignete Stellenangebote.

 

Nimmt mein Bewerberprofil auf arbeitsagentur.de auf und übernimmt bis zu 100 Euro nach vorheriger Antragstellung für die Kosten von schriftlichen Bewerbungen. Im vergangenen Jahr konnte ich noch 260 Euro abrechnen. Aber im Lauf der Hartz Reformen scheint es meiner ARGe finanziell immer schlechter zu gehen. Einen rechtlichen Anspruch auf Erstattung von Bewerbungskosten habe ich nicht. Rechtlich wird nur das „Fordern“ der ARGen durch die Sozialgerichte unterstützt.

Außer der herzlichen Art von Frau Adler bleibt für mich somit immer weniger vom „fördern“ aus dem Slogan „Fördern und Fordern“ übrig. Im Anschluss folgt eine ganze Seite ausgefüllt mit elf Pflichten, welche der vom Kundendienst der Bundesagentur Heimgesuchte zu erfüllen hat.


Mit diesen Details möchte ich an dieser Stelle und im 21.Jahrhundert keinen halbwegs rational denkenden Menschen beglücken. Die dritte Seite bringt abschließend zum Ausdruck, dass ich mich verpflichte, vereinbarte Aktivitäten einzuhalten und beim nächsten Termin über die Ergebnisse berichte. Da ich bei Veränderungen die ARGe unverzüglich zu informieren habe, könnte ein Außenstehender daraus ableiten, dass es bei einem nächsten Termin gar nichts zu berichten gibt. Wenn solche Gedanken in mir aufkeimen, entwickelt sich in gleicher Weise auch ein Verständnis für die Mitarbeiter der ARGen. Was würden sie wohl den ganzen Tag tun, wenn diese Zwangsbürokratie wegfällt?

Aus diesem Grund sollten auch Arbeitssuchende den Kundendienst der ARGen unter dem Aspekt der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Fallmanager vor Ort mit positiven Augen betrachten. Auch hatte ich bisher angenommen, dass Grundrechte und somit das Grundgesetz über Sachrechten steht. Der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung kann somit eigentlich von mir nicht erzwungen werden, da ich in Deutschland laut Grundgesetz Artikel 2 die Freiheit besitze, einen Vertrag zu unterschreiben oder es zu unterlassen. Stufe ich einen Vertrag als Sittenwidrig ein, darf ich nicht zur Unterschrift gezwungen werden. Aber im Zusammenhang mit Hartz IV darf ich als Betroffener wohl nicht das hohe Lied des Grundgesetzes mitsingen. Auch Zwangsarbeit ist nach dem Grundgesetz Artikel 12 sowie dem von Deutschland ratifizierten ILO Verfahren Artikel 2 in Deutschland verboten. Wenn ich also einen „Ein-Euro-Job“ nicht annehmen möchte, dürfte ich auch dafür nicht bestraft werden. Aber im Zusammenhang mit Hartz IV darf ich als Betroffener wohl auch nicht leise Töne des Grundgesetzes mitsummen. Denn die ARGen legen die Tätigkeiten eines „Ein-Euro-Jobbers“ generell als öffentliches Interesse aus. Da ich meine Rechte gefährdet sehe, unterschreibe ich eine solche Eingliederungsvereinbarung nie direkt. Ich habe dafür einen Vordruck, welchen ich zu jedem Termin mitnehme.

Der Inhalt lautet folgendermaßen: „Ich behalte mir alle Rechte einschließlich Schadenersatz gegenüber allen staatlichen Stellen- und Maßnahmeträgern vor (Artikel 34 GG und § 839 BGB), sollte diese Eingliederungsvereinbarung rechtswidrig oder verfassungswidrig sein oder dem Grundgesetz (z.B. Artikel 2, Artikel 11 und Artikel 12) sowie dem Artikel 2 des ILO Übereinkommens widersprechen.

Mit meinem Vordruck habe ich Frau Adler sicher weiter erfreut und gezeigt, dass ich an ihrem Kundendienst aktiv mitwirken möchte. Positive Feedbacks auf die eigene Arbeit sind sicher auch bei den Mitarbeitern in den ARGen immer gern gesehen!

Sie fragte mich dann auch gleich, ob ich es mit den Ohren hätte, da ich eine Nachfrage stellte. Nachdem ich Frau Adler versicherte, dass auch ihre Vorgänger nur auf diese Art meine Zustimmung unter die Eingliederungsvereinbarung erhalten haben, willigt sie schließlich ein.

Jetzt hatte ich endlich ein neues Ziel! Sechs Monate lang konnte ich immer wieder einen Blick in meine Eingliederungsvereinbarung werfen und schauen, was ich oder die ARGe tun werden. Ohne diese Vereinbarung würde ich vermutlich völlig ziellos und desorientiert herumlaufen und meiner Umgebung zur Last fallen. Kurz erkundigte ich mich noch nach Weiterbildungsmöglichkeiten. „Googeln Sie doch einfach mal nach einer Weiterbildung, sie sind ja nun auch schon 40“, war die Reaktion. Bin ich jetzt keine Beratung mehr wert, weil ich 40 bin? Oder will sie nur testen, ob ich mit 40 Jahren überhaupt weiß, was „Google“ bedeutet? Dafür waren auf dem Schreibtisch Flyer zu sehen, wo sich Suppenküchen und ähnliche Angebote in der Stadt befinden. Ergibt auch Sinn im Zimmer einer Arbeitsberatung! Die angebotenen Jobs bringen scheinbar so wenig ein, dass im selben Atemzug die Suppenküche empfohlen werden muss. Zum Abschluss erhielt ich gleich eine neue Einladung zu einem Termin in 8 Wochen.

Moment, die Eingliederungsvereinbarung gilt doch 6 lange Monate! Dass ich Frau Adler so sympathisch bin, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bemerkt. Aber wenn sie mich bereits in 8 Wochen wieder sehen möchte, muss wohl eine gewisse Anziehungskraft oder wenigstens positive Ausstrahlung von mir ausgehen!

Pünktlich wie vereinbart erschien ich dann auch zum zweiten Aufeinandertreffen mit Frau Adler in der ARGe. Gut, eigentlich muss ich mit Frau Adler nicht sprechen, da es einfach nichts zu besprechen gibt. Aber vielleicht erinnern Sie sich noch an die Androhung zur Absenkung des Arbeitslosengeldes um 10 Prozent, sollte ich einem Gespräch mit Frau Adler aus dem Weg gehen?

Eine derartige Drohung motiviert natürlich, auch wenn ich als kommunikativer Mensch immer noch nicht so recht weiß, was es denn mit Frau Adler zu besprechen gibt. Eine kleine Überraschung hatte ich dann doch noch parat! Ich hatte mir meine Bewerbungsunterlagen überprüfen lassen.

Von einer diplomierten Betriebswirtin, die als Personaltrainerin tätig war. Zugegeben, es war eine kostenlose Werbeaktion. Aber eine Betriebswirtin bleibt auch bei einer Werbeaktion immer noch eine Betriebswirtin! Bis auf Kleinigkeiten wurden meine Unterlagen als fehlerfrei eingestuft. Wie nahezu perfekt das Personal der ARGen geschult ist, lässt sich an folgendem Beispiel gut erkennen. Obwohl Frau Adler meine Unterlagen niemals zuvor gesehen hatte, bemängelte sie diese plötzlich. Nun will ich die hellseherischen Fähigkeiten von Frau Adler nicht in Abrede stellen! Entweder man ist ein Medium oder eben nicht. Anlass zur Kritik gab eines meiner vorgelegten Bewerbungsanschreiben. Dieses hatte ich im Vorfeld für eine Bewerbung versandt und nun zum Nachweis meiner Aktivitäten in Kopie mitgebracht. Eine bestimmte, fehlende DIN-Norm wurde nach ausgiebiger Prüfung bemängelt. Meine nicht mitgebrachte Bewerbungsmappe wurde gleich mit einbezogen und als nicht verwendbar eingestuft. Alle vier Vorgänger von Frau Adler bemängelten an meinen Anschreiben für eine Bewerbung oder der Bewerbungsmappe stets nur Kleinigkeiten. Diese Kleinigkeiten ergaben sich aus persönlichen Ansichten. Keiner dieser vier Ansprechpartner hatte bis zu diesem Tag eine Änderung verlangt. Jetzt habe ich den fünften Ansprechpartner und plötzlich muss alles anders sein! Der Kundendienst der ARGe wurde vielleicht einem Update unterzogen und ich war eines der ersten Probanten? Dennoch wagte ich mutig den zaghaften Einwand, dass meine Unterlagen erst kürzlich von einer Betriebswirtin überprüft wurden. Ein entsprechendes Schreiben hatte ich Frau Adler als Nachweis bereits gezeigt.