Der letzte Flug des Chyratos

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Gemeinsame Sprache

„Esel, Pferd, Maultier …“ Ätsch, wieder falsch!“, trötet Niki zu mir. „Dromedar wäre es gewesen.“ Wir spielen gerade „Lahmes Huhn“, weil jede zweite Antwort von Niki „Lahmes Huhn“ ist. So vertreiben wir uns die Zeit. Manchmal kommt mir wirklich schon vor, dass ich ein lahmes Huhn bin, denn ich humple, ziehe ein Bein nach und fliegen kann ich auch noch nicht. „Jetzt bin ich an der Reihe und du musst raten“, spreche ich Niki an. „Lass mich überlegen, ja, das ist es, geht schon, du kannst schon raten.“ „Ja, aber vorher musst du mir schon einen Tipp geben, ein Zeichen oder eine Geste verraten.“ „Ja, mache ich!“ Vorsichtig lege ich mich in Flughaltung, ganz klein und stromlinienförmig kreise ich um Niki herum, mit einem scharfen Blick auf sie gerichtet. „Flugzeug, Rakete, fliegender Teppich“, rät Niki. „Nein, ganz falsch liegst du da“, gebe ich zur Antwort. „Ist es vielleicht ein Lebewesen?“ „Ja, es wird schon wärmer“, mache ich ihr Hoffnung. „Schmetterling, Biene, Hummel“, versucht Niki das Rätsel zu lösen. „Nein, wieder falsch, aber es wird schon wärmer.“ „Ist es eine bemannte fliegende Untertasse?“, kichert sie. „Fast erraten“, gebe ich schelmisch zurück. „Denk nach, was umkreist ein Huhn von oben?“ Niki denkt kurz nach, und stürzt sich dann wie wild auf mich. „Du elender Schuft, mich mit so etwas zu belasten, Hühnerhabicht“, sagt sie entschlossen. „Erraten, du hast es tatsächlich erraten und hast damit gewonnen!“, sage ich um wieder ihre Laune zu heben. „Das war nicht fair, ich mache ja auch keinen Jäger nach, welcher dich abschießt.“ „Schon gut, du wirst doch noch einen kleinen Spaß verstehen, schließlich verspottest du mich ja auch immer mit dem Lahmen Huhn!“, eine Anspielung auf mein Humpeln. „Vergiss es“, sagt Niki, „lass uns lieber beobachten, was Dominique so treibt.“ Durch den Spalt in der Türe spähen wir in die Küche, und sehen dem Treiben zu. Alles dampft und brodelt wieder, Dominique liest in ihrem Buch immer wieder nach und gibt so nach der Reihe Zutaten in den Kessel, oft macht es dann einen Zischer und Funken fliegen, man könnte auch sagen, es gibt kleine Explosionen. Wenn sie die Zutaten in den Kessel gibt, spricht sie dazu, es klingt fast wie beten, es sind bestimmt Zaubersprüche oder Flüche, wer weiß? „Verstehst du etwas?“, frage ich Niki. „Keine Silbe“, antwortet sie. Allein das Zusehen ist Unterhaltung genug und der beste Zeitvertreib, denn Dominiques Gesten sind einzigartig. Oft zieht sie ganz gespannt die Mundwinkel an, dann spuckt sie wieder in den Kessel, dann wiederrum reißt sie ihre Augen weit auf. Jetzt macht sie einen Tanz, eine Art Ritual, und beschwört die Geister. Laut ruft sie: „Fertig, er ist fertig, wir können in die Testphase gehen!“, rührt noch einmal um, und spricht uns direkt an: „Ihr könnt nun reinkommen!“ „Wie hat sie uns nur bemerkt?“, raunt Niki zu mir. „Übersinnliche Fähigkeiten“, antworte ich, „oder vielleicht ist es auch nur dein Geruch.“ Sofort bekomme ich einen Krallenschlag auf mein lahmes Bein. „Aua, was soll das?“ „Geschieht dir ganz recht, du frecher Adler!“

„So, meine Lieben“, beginnt Dominique zu sprechen. „Heute wird sich zeigen, ob wir miteinander kommunizieren können, und zwar in einer gemeinsamen Sprache, damit wir nicht immer erraten müssen, was der andere will. Gibt es Freiwillige für den Versuch?“, fragt sie. Ich trete zurück und schubse Niki nach vorne. Diese dreht sofort um und will den Rückzug antreten, doch Dominique hat sie schon geschnappt und beginnt mit dem Versuch. „Hab keine Angst, mein kleines Vögelchen“, spricht sie und streichelt Niki dabei. Ich merke, wie bei Niki die Augen ganz groß werden. Dominique stellt Niki auf ihren Arbeitstisch und beginnt mit dem Ritual. Sie spricht laut und singend ihre Zaubersprüche, beräuchert Niki mit dem Räucherstab, rührt nebenbei im Kessel, nimmt einen Schöpfer heraus und sagt zu Niki: „So, nun mach deinen Schnabel brav auf!“ Niki presst fest zusammen, doch Dominique hat schon ihre Griffe, und sie drückt unterm Ohr auf einen Punkt, der Schnabel öffnet sich von selbst und Schwupp, der Trank fließt durch den Schnabel, durch den Schlund in den Magen. Niki rülpst kurz auf, schaut sich um und spricht: „Tu parle le francais! (Du sprichst Französisch!)“, und schaut uns dabei seltsam an. Niki zeigt auf mich und spricht weiter: „Toi beau et grand aigle! (Du schöner großer Adler!)“ Verwundert blicke ich zu Dominique und beginne zu lachen, auch sie lacht nun herzhaft. „Da habe ich mich wohl bei der Sprache vertan!“ „Ce u’ais pas drole (Es ist nicht witzig)“, gibt Niki zu verstehen. „Kein Grund zur Aufregung“, beruhigt Dominique, „das werden wir gleich haben.“ Dominique beginnt ein zweites Mal mit ihrem Ritual. Sie spricht einige Sprüche vor sich hin, hebt den alten Zauber auf, und beschwört nun wieder den Kessel und seinen Inhalt. Verstehen kann ich sie nicht, aber es klingt irgendwie nach „german“ oder so. Schließlich nimmt sie ein Buch und lässt zu meinem Erstaunen die Wörter und die Buchstaben tanzen. Ich schüttle meinen Kopf, „ob ich wohl richtig sehe?“ Doch, es ist real, Dominique lässt Buchstabe für Buchstabe in den Topf wandern und leiert dabei ihre Beschwörungen. Mit viel Phantasie kann man auch eine Melodie heraushören, oder ist es nur der siedende Kessel? Ich weiß es nicht. Zum Schluss gibt sie noch ein Pulver dazu, was zu einem kurzen Knall führt, und ich mich erschrocken zurückbeuge. Als sich der Dunst gelegt hat, sehe ich, wie Dominique mit dem Kopf nickt: „Passt, so habe ich mir das vorgestellt. Nun bist wieder du an der Reihe!“, und zeigt dabei auf Niki, welche ängstlich vor sich hin redet: „D’autres essais s’il vous plait. (Weitere Versuche bitte.)“ Ohne zu zögern verabreicht Dominique Niki den nächsten Schluck und wartet gespannt auf das Ergebnis. Alles ist ruhig und Niki schweigt. Dominique durchbricht das Schweigen und fragt: „Geht es dir gut?“ „Schön, dass du fragst, Alte!“, gibt Niki spontan zur Antwort. „Werd nicht frech!“, entgegnet Dominique, „sonst gibt es Hühnersuppe.“ Sie jauchzt vor Freude, und weiß, was geschehen ist. „Ich kann dich verstehen!“, sie nimmt Niki in den Arm und sagt: „Nenn mich nie wieder Alte, verstanden!?“ „Verzeihung“, sagt Niki, „darf ich Dominique sagen?“, folgt die Frage zurück. „Gerne, aber mit etwas französischem Ausdruck bitte!“, antwortet Dominique und lacht dabei. „So, nun zu dir, mein Kaiseradler, jetzt werden wir dir auch das Sprechen beibringen.“ Ohne zu fragen nimmt sie mich, stellt mich auf den Tisch, spricht die Worte, reißt mir den Schnabel auf, gibt eine zweite Ladung nach, wartet nicht auf die Wirkung, streckt mir ihre Hand entgegen und sagt: „Hallo, ich bin Dominique, und wer bist du?“ Zögerlich antworte ich: „Ich heiße Fred, Fred Kaiseradler.“ „Fred ist zwar schön, passt aber nicht zu einem Kaiseradler, ich werde dich Frederik nennen, um deine Würde zu betonen!“, antwortet Dominique schnell. Sie umarmt mich herzlich mit den Worten: „Willkommen in meiner Welt! Frederik, nun musst du mir aber deine Lebensgeschichte erzählen, besonders interessiert mich, wie du hergekommen bist.“ Diese Sprache fühlt sich zwar noch fremd an, aber ich beginne zu erzählen. Ich erzähle vom Leben mit Femina, vom Horst und meinem Kaiserreich, von der Zerstörung, vom Aufbruch, von der Suche, von der Rettung, bis zum Absturz auf die Hütte. Dominique folgt gespannt meinen Erzählungen. Schließlich kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Tränen fließen über meine Wangen und ich sage: „Sie fehlt mir so sehr, ich vermisse sie!“ „Das kann ich gut verstehen“, drückt mich Dominique wieder an sich. „Es tut weh, wenn man jemanden verliert, doch du bist der Auserwählte.“ „Was bin ich?“, frage ich nach. „Na, der Auserwählte, es passt alles zusammen, die Vorhersage, die Zerstörung, und letztendlich deine Rettung. Ist dir bewusst, dass du überlebt hast?“ „Was habe ich überlebt?“ „Na, die unsichtbare dunkle Energie, das ist kein Zufall!“ „Dafür habe ich aber einen hohen Preis bezahlen müssen“, senke ich mein Haupt. „Für mich ist das ein Opfer zu viel, ich will nicht der Auserwählte oder sonst wer sein, ich will Femina zurück und sonst nichts!“, entgegne ich Dominique etwas forsch. „Wer weiß, vielleicht kommt sie ja zurück“, will sie mich beruhigen, „und vorher wirst du noch eine Menge erleben, das spüre ich ganz deutlich, außerdem bist du nicht allein, du hast ja uns!“, und sie zeigt dabei auf sich und Niki. „Das sind ja schöne Aussichten!“, gebe ich zu verstehen. „Entoures-vous de fous et vous et tu gaguera (Umgib dich mit Verrückten, und du wirst siegen)“, lässt Niki auf einmal einen Spruch los, und alle beginnen herzhaft zu lachen.

Und es gibt noch mehr davon

Ich höre auf einmal Schritte näherkommen. Diese Schritte kenne ich nicht, das sagt mir mein Adlerinstinkt. Es sind große Schritte, viel größere als jene von Dominique. Niki scheidet sowieso aus, dieses „Gehüpfe“ ist etwas ganz anderes. Geräuschlos erhebe ich mich von meinem Schlaflager, auch das habe ich als Adler gelernt, nicht gehört und gesehen zu werden ist eine Überlebensnotwendigkeit in meiner Welt. Ich spähe durch eine Ritze und sehe einen Schatten. Es ist ein großer, schauerlicher Schatten und er wird größer und kommt näher. Außerdem hat dieser Schatten einen Hut auf mit großer Krempe und auf diesem steht etwas Komisches hervor. Ich möchte sagen, es ist ein Haarbüschel, vielleicht von seinem vorigen Opfer oder so. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Er wird es doch nicht auf uns, oder auf Dominique abgesehen haben. Ich muss und ich werde sie beschützen. Meine einzige Waffe, welche ich noch besitze, ist mein spitzer großer Schnabel, der, wenn es sein muss, auch Knochen durchbrechen kann. Ich verstecke mich hinter der Türe und beobachte, wie der „Schwiebel“ (Türriegel) zurückgeschoben wird. Mein Angriffsplan, welchen ich gerade in meinem Kopf aushecke sieht wie folgt aus: Ich lasse das Opfer hereinkommen, und überfalle es von hinten, der Überraschungsmoment ist dann auf meiner Seite. Die Tür geht leicht knarrend auf, und die Gestalt schiebt sich herein, schließt die Türe aber sofort wieder. Schleichend bewegt sich die Kreatur weiter und in diesem Augenblick schlage ich zu. Ich stürze mich auf sie und beginne wie wild mit meinem Schnabel auf sie einzuhacken. Es ertönt ein lautes Wehgeschrei und ein Zusammenzucken. Die Kreatur schreit auf einmal: „Aufhören, bist du verrückt geworden? Ich bin es, der Toni!“ Da erscheint auch Dominique, packt mich bei den Flügeln und ruft: „Frederik, sofort aufhören!“ Ich lasse vom Eindringling ab und weiche zurück. „Wie kannst du nur Toni angreifen?“, spricht mich Dominique vorwurfsvoll an. „Ja, woher soll ich denn wissen, dass du diesen Typen kennst?!“ „Was, der Vogel kann sprechen?“, schaltet sich nun auch Toni ein. „Da schaust du, was? Das habe ich ihm beigebracht.“ Als sich das Ganze beruhigt hat, werden wir beide uns vorgestellt: „Das ist Toni, ein Freund, und dies ist mein Adler Frederik.“ Nickend begrüßen wir uns. Auch Niki ist von dem Krach munter geworden und begutachtet Toni kritisch. „Du hättest mich ruhig vorher warnen können“, spreche ich Dominique an, um meinen Angriff zu rechtfertigen. „Du bist gut“, gibt sie mir zurück, „ich weiß ja selber nie, wann Toni bei mir auftaucht.“ Als Toni seinen Umhang abgelegt und auch den Hut abgenommen hat, wirkt er ganz vertraut und nicht mehr so böse und verbrecherisch. Beim gemeinsamen Frühstück berichtet Toni vom Leben da draußen in der anderen Welt. Vorsichtshalber hat er sein Handy weit vorne am Tal beim Wasserfall versteckt, um nicht geortet und gehört zu werden. „Was ist ein Handy?“, frage ich nach. „Ein Verständigungsgerät für Menschen“, antwortet Toni. „Es kann aber viel mehr, und dient jetzt mehr der Überwachung als dem Informationsaustauch. Man muss vorsichtig sein“, berichtet er weiter. „Die Menschen werden total überwacht, und haben sehr wenige Freiheiten. Sie dienen einem System, das sie selbst erschaffen haben. Zuerst als Erleichterung und Hilfe bei den Arbeiten gedacht, doch jetzt ist die Gewaltherrschaft da. Ohne Handy und Internet läuft gar nichts mehr, und die letzten Aussteiger sind isoliert und werden als Verschwörungsterroristen verfolgt.“ Niki gackert dazwischen: „Was hat es mit dem Internet auf sich?“ „Das Internet verbindet die ganze Welt miteinander, durch Kabel, Funk und Schwingungen, deshalb wird auch jetzt das 8-W-Netz ausgebaut, um noch schneller Daten übertragen zu können. Gesteuert wird dieses 8-W-Netz von den Satelliten aus, welche nach und nach in die Umlaufbahn der Erde gebracht werden. Von öffentlicher Stelle heißt es, dass die Schwingungen und Frequenzen ungefährlich sind, doch ich weiß, es sterben Tiere und Pflanzen in großer Zahl. Offiziell sprechen die Behörden von einer Seuche, welche bald wieder vorbei ist. Ja, wenn es keine Lebewesen mehr gibt auf diesem Planeten“, ergänzt Toni seine Ausführungen. „Und den Menschen schaden diese Frequenzen nicht?“, frage ich Toni erstaunt. „Wir sterben nicht davon, werden aber aggressiv, weil sich diese Schwingungen mit unserem Nervensystem nicht vertragen, doch dafür ist vorgesorgt“, spricht Toni weiter. „Alle Menschen werden geimpft oder bekommen Pharmazeutika und werden zu willenlosen Kreaturen, welche man steuern kann. Das Paradoxe dabei ist noch, dass sich die Pharmaindustrie mit den eigenen Mitarbeitern dumm und dämlich verdient. Ein System der Superlative!“, schimpft Toni wütend. „Wer oder was steuert dieses System?“, frage ich nach. „Keiner weiß es genau, aber es sind die Unlichtwesen, dunkle, böse, machtgierige Schatten, welche sich über die ganze Erde verbreitet haben.“ „Stimmt das?“, frage ich nun auch Dominique. Bejahend nickt sie, „und es wird noch schlimmer werden“, fügt sie hinzu. „Kann diese Wesen niemand aufhalten, und warum lassen sich die Menschen so etwas überhaupt gefallen?“, bemerke ich weiter. „Durch die Medienflut werden alle manipuliert, die halbe Menschheit ist schon mit implantierten Sendern versehen worden, welche durch die Impfungen verabreicht worden sind, und sie werden dadurch kontrolliert. Verschwörer werden verfolgt und auch ermordet, oder verschwinden still, oder werden einfach Opfer vom Virus, ausgelöst durch die neue Pandemie.“ „Und was ist mit dir, Dominique, warum bist du noch nicht infiziert?“, frage ich interessiert. Toni fällt ihr ins Wort und sagt: „Dominique steht auch auf der schwarzen Liste. Ihre Flucht hierher an diesen unberührten Ort hat sie bisher verschont, aber sie suchen nach ihr, und sie muss aufpassen. Deshalb schleiche ich mich hier so an, um sie zu schützen. Ich weiß aber nicht, wie lange dies noch gut geht, denn auch ich werde bespitzelt, und habe mich nur durch meine vorgespielte Dummheit retten können.“ „Im zivilen Leben ist Toni ein Narr, den keiner ernst nimmt“, lächelt und redet Dominique dazwischen. „Ihr macht mir wirklich Angst, gibt es wirklich nichts und niemanden, der das alles aufhalten kann?“ „Ich fürchte nicht“, antwortet Dominique mit gesenktem Kopf. Es herrscht auf einmal Stille im Raum und Angst macht sich breit.

 

Niki durchbricht singend und halb gackernd diese Stille: „Fred ist der Retter, Fred ist der Retter!“ „Halt den Schnabel“, fahre ich sie zornig an, „damit spaßt man nicht, wir sind verloren, kapierst du das nicht, du dummes Huhn?“ Doch Niki lässt sich nicht abbringen: „Fred wird uns retten, Fred wird uns retten!“, trillert sie weiter und hüpft freudig umher. „Du blöder kleiner Vogel, hör endlich auf damit!“, steuere ich auf Niki zu, und ich will ihr schon eine Kopfnuss geben, als Dominique dazwischen geht und schreit: „Halt, sofort Halt!“ Sie nimmt Niki hoch auf ihre Arme und gibt ihr einen Kuss. „Du hast vollkommen Recht, du kleines schlaues Ding, Frederik ist der Auserwählte und wir sein Werkzeug!“, ruft Dominique voller Freude. „Das ist nicht euer Ernst!“, entgegne ich ihnen. „Schaut mich an, ich bin ein Krüppel, kann nicht einmal mehr fliegen, geschweige denn aufrecht gehen, und ich soll die Welt retten? Ihr habt sie doch nicht alle!“, entgegne ich ihnen weiter. „Das kriegen wir schon hin, und noch mehr dazu“, antwortet Dominique. „Ich muss sofort in meine Küche und alles vorbereiten, denn jede Minute ist kostbar, wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Dominique setzt Niki ab und verlässt den Raum. Mir bleibt der Schnabel offen und ich schüttle nur den Kopf. „Du musst ihr vertrauen“, schaltet sich Toni wieder ein, „einfach vertrauen. Sie ist halt so, und hat dadurch überlebt, eine Wahnsinns-Frau, und dafür liebe ich sie. Ich bin dankbar, euch kennengelernt zu haben, es gibt mir wieder Hoffnung und Zuversicht“, schließt Toni. Dann nimmt er seinen Rucksack, leert die mitgebrachten Sachen aus und will wieder gehen. „So schnell kommst du mir nicht davon!“, stelle ich mich ihm in den Weg. Toni schaut mich ängstlich an. „Keine Angst, ich tue dir schon nichts, aber du musst mir noch mehr von dieser Welt da draußen erzählen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe.“ „Schon gut, ich bleibe noch ein Weilchen“, gibt Toni zur Antwort, holt sich noch ein Tässchen Tee und setzt sich wieder zu mir. Niki gesellt sich auch dazu und Toni beginnt zu erzählen, vom Leben der Menschen da draußen – und es gibt noch mehr davon!

Die neuen Kräfte

Wie sich herausstellt, ist Toni der einzige Draht zur Außenwelt. Isoliert und unentdeckt ist unser Dasein, und das ist gut so. Toni ist Jäger, oder soll ich besser sagen er war Jäger? Ein Jäger durch und durch. Sein Outfit gleicht einem grünen Tarnanzug, bedeckt nur von einem großen Hut mit Krempe, wo natürlich der Schmuck bzw. die Trophäe nicht fehlen darf. Es ist ein Gamsbart, der von Weiß bis fast ins Schwarze geht und leicht und locker auseinander fällt. Sonst ist Toni grün bis zur Unterhose. Er war leidenschaftlicher Jäger, mit allem, was dazugehört. Er hat auch Tiere erlegt und geschossen. Doch damit ist es jetzt vorbei, denn es gibt keine Tiere mehr zum Jagen. Alle Wildtiere haben den Druck der „Unlichtenergie“ nicht ausgehalten und sind verendet. So ist Toni nur mehr Beobachter auf einer toten Erde. Sein Gewehr hat er durch eine Armbrust ausgetauscht, um so seine Zielgenauigkeit zu trainieren, ohne dabei gehört zu werden. In meiner Verzweiflung frage ich, ob es keine Nahrung, oder noch genauer, ob es überhaupt noch Fleisch zum Verzehr gibt, denn mein Magen ist nun mal auf Fleisch spezialisiert. Toni berichtet, dass es sehr wohl genug Fleisch auf der Welt gibt. Es wird in agrarischen Großmastställen produziert und steht unter industrieller Überwachung. Selbstständige Bauern gibt es nicht mehr. Diese sind nun Arbeiter in diesen Fleischfabriken. Die Tiere sind zu Zweckobjekten degradiert, und werden im Schnellverfahren mit Kraftfutter und Wachstumsverstärkern gemästet. Der gesundheitlichen Absicherung dient die Antibiotikaverabreichung, welche sie mit jeder Ration zu sich nehmen. Das daraus entstehende Stück Fleisch ist ein wertloses, wässriges Produkt, das dazu dient, nur die ausgeweiteten Mägen und Därme der Menschen zu füllen, und sie gleichzeitig mit Antibiotika zu versorgen. „Schrecklich“, werfe ich ein, das kann ich mir gar nicht vorstellen. „Ein Stück Fleisch soll kein Genuss mehr sein?“ „Nein“, antwortet Toni, „es schmeckt nach nichts, und ich weiß das genau.“ Niki, welche auch zuhört, interessiert Fleisch weniger. Scherzhaft präsentiert sie sich als Bio-Huhn, welches ausschließlich der vegetarischen Bio-Ernährung zugetan ist. „Siehst du“, spricht sie zu mir herüber, „ich habe es dir immer gesagt, wie gesund die Rohkost im vegetarischen Bereich ist, und davon wird es immer genug geben“, gackert sie stolz herüber. „Das ist ein großer Irrtum“, wirft Toni sofort ein. „Die Menschen in ihrem Schöpfungs- und Ausweitungsbedürfnis betonieren und asphaltieren alles zu. Fast jedes ebene Stück Land wird für Wohnungen, Autobahnen, Fabrikanlagen oder Sporthallen genutzt und verbaut. Unproduktive Flächen werden nicht mehr bewirtschaftet, da alle Bauern abgewandert sind, da sie nicht mehr überleben konnten, außerdem ist die Klimaerwärmung so weit fortgeschritten, dass große Abschnitte der Erde unfruchtbar geworden sind.“ „Das ist ja schrecklich“, sagt Niki, „kein Wunder, dass viele Tiere ausgestorben sind, so auch meine Spezies. Sind wir die Letzten unserer Art?“, fragt Niki besorgt nach. „Nicht ganz“, berichtet Toni. „In großen Farmen werden Hühner gehalten, im gleichen Stil wie bei den Rindern, Schweinen und Schafen. Gemüse, Obst und sonstiges Grünzeug wird in riesigen Glashäusern erzeugt, hier gibt es keine Erde, keinen Boden, sondern nur Nährlösungen, alles ist temperiert und wird automatisch befeuchtet. Effizient und gewinnbringend ist alles ausgerichtet und das auch in der Nahrungsmittelerzeugung.“ „Furchtbar ist das ich bin ganz schockiert“, bemerke ich dazu. Die Menschen haben den Planeten in ihrer Macht, und richten ihn nach ihrem Gebrauch, und niemand wird sie aufhalten. In dieser Verzweiflung hüpft Niki auf einmal auf den Tisch, breitet die Flügel aus, segelt wieder hinunter und ruft dabei: „Ich kann fliegen, ich kann fliegen!“ „Das ist doch nicht Fliegen, was du da machst“, lache ich ein wenig gezwungen. „Natürlich ist das Fliegen, und ich kann es“, entgegnet Niki. „Dir ist auch schon die Unlichtenergie in den Kopf gestiegen.“ „Ha, ha, ha“, singt Niki zurück, „so wie ich fliegen kann, kannst du die Welt retten, und sag nicht, du kannst es nicht, fliege einfach und probiere es aus, hurra, ich fliege“, kreischt Niki weiter, als sie sich wieder vom Tisch stürzt. „Sie hat Recht“, schaltet sich Toni ein, „du musst es probieren, Frederik, du bist unsere einzige Chance.“ „Ich also, so einfach rettet man die Welt. Nein, nein, das funktioniert nicht, wenn dies so einfach wäre, hätten es schon viele versucht, und sie sind alle gescheitert, wie man sieht.“ „Du kannst es dir aussuchen, Frederik“, spricht Toni weiter, „du kannst hier warten, bis sie euch finden, oder vielleicht seid ihr vorher schon verhungert, oder du gehst in die Geschichte ein, und wirst ein Held und rettest die Welt, oder du stirbst als Held beim Versuch die Welt zu retten, andere Möglichkeiten sehe ich nicht.“ „Ich lass mich nicht unter Druck setzen, schon gar nicht von einem Jäger, der ein Narr ist, und einem Huhn, welches glaubt, dass es fliegen kann.“ „Wie du willst“, entgegnen mir die beiden, „willkommen im Club der Todgeweihten.“ Toni nimmt daraufhin einen Schluck Grappa (Schnaps) und gibt auch Niki davon, „komm trinken wir, wenn es sein muss, will ich wenigstens lustig sterben.“

In diesem Moment kommt Dominique gut gelaunt und mit einem Strahlen im Gesicht herein. „Er ist fertig, und so etwas von perfekt.“ „Was ist fertig?“, frage ich mürrisch und vielleicht auch schon vorahnend, was es sein könnte. „Na, der Zaubertrank, welcher die Welt verändern wird. Ene mene muh, und stark bist du, reihe ringle Rattenschwanz, ja, dieser Saft, er kann’s, mulle tulle, Drachenzahn, gehorch nur mir, was er kann, und trommle pommle, Affenhirn, schnell dazu noch einen Zwirn, und eine Brise Mondeslicht, ja, er hält, was er verspricht, zitan titan, Eisenblech, dazugeben den golden Kelch, alles wird damit zerbrochen, unerschrocken durch die Wand, so und nicht anders wird’s geschehen, ihr Menschen draußen werd’ es sehen.“ „Sie ist verrückt geworden, die Dämpfe sind ihr in den Kopf geschossen. Haltet sie auf, eine durchgeknallte Hexe, welche glaubt, mit gescheiten Zaubersprüchen die Welt zu retten. Haltet sie auf und bindet sie nieder“, rufe ich laut. „Nur, weil du nicht glauben kannst, sagst du so etwas und bist gemein. Ja, du bist gemein“, pfaucht mich Niki an. „Schon vergessen? Sie hat dir das Leben gerettet und sie kann was, die Alte, upps, Dominique, meine ich natürlich. Dir gehört mit dem Hammer auf den Schädel gehaut, wenn einer verrückt ist, dann bist du es, du verkommener Kaiseradler, du verwöhnter Beutegreifer du, warum willst du nicht verstehen?“ „Das lasse ich mir nicht sagen“, und will schon auf Niki losgehen, aber Toni hält mich zurück. „Wollt ihr euch gegenseitig vernichten?!“, ruft er laut, „keine Sorge, das machen schon andere für euch, darauf könnt ihr wetten. Sag du einmal was, Dominique“, spricht er weiter. Doch bevor sie zu sprechen beginnt, breitet Dominique ihre Hände aus, streicht ein paar Mal hin und her, streckt die Hände zum Himmel, wischt die mitgebrachte Energie zur Seite, füllt damit den Raum, geht dann auf mich zu, blickt mir in die Augen, berührt sanft meinen Kopf und sagt: „Es ist schwer zu verstehen, und ich verstehe auch, dass du noch nicht glauben kannst!“ Wie ein Blitz trifft es mich, und in mir sehe ich auf einmal ein Leuchten, ein noch nie dagewesenes Leuchten, meine Strahlkraft ist enorm, ich spüre, wie sich dieses Licht in meinem Körper verteilt und darüber hinaus. Jede Zelle in meinem Körper füllt sich damit und ich schwebe und bade in diesem Licht und es ist großartig, vielleicht sogar berauschend. „Dies muss die Ewigkeit sein, so fühlt es sich nämlich an“, schweifen meine Gedanken dahin, voller Frieden und Harmonie, und doch stark und unaufhaltsam weitet sich dieses Licht aus. In meiner geistigen Phantasie sehe ich, wie die Welt wieder zu leuchten beginnt, es ist wie ein Sonnenaufgang, der Licht in die Dunkelheit bringt, und inmitten drinnen bin ich, ein strahlend leuchtender Adler, der seine Schwingen ausbreitet und alles ansteckt und zum Leuchten bringt. Unbeschreiblich schön und hell ist alles, das Leben ist zurückgekehrt!

 

„Kann man ihn auch ausschalten?“, beendet Niki wie immer die Stille und Fülle. Nach einer Weile sage ich: „Kann man nicht, du vorlautes Huhn, ich werde dir gleich den Schnabel verbrennen, oder sollte ich dich gleich einschmelzen? Vielleicht noch besser“, antworte ich. Niki und mein Lachen ertönt so laut wie das helle Strahlen, und dieses Strahlen ist ansteckend, denn alle sind erleichtert und brechen in ein schallendes Gelächter aus. Nach einiger Zeit beruhigen wir uns alle wieder und diesmal beginne ich zu sprechen: „Dominique, warum kannst du das, und warum machst du das?“