Der Völkische Kreislauf

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Der Völkische Kreislauf
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Philip Steiner



Der Völkische Kreislauf





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Der Völkische Kreislauf







Impressum neobooks








Der Völkische Kreislauf




 Die Symphonie der Schöpfung




 Gebadet in ägäisblauem Schein erblickt das Produkt das Licht der Welt. Skeptisch wird es vom Fachmann beäugt, derweil es durch die natürliche Abstoßungsreaktion ausgeschwemmt, aus dem artifiziellen Fleische empor gleitet, und auf dem farblosen Stück Zellstoff zur Betrachtung dargeboten wird. Jede Pore des kleinen Wesens wird vom Partus-Adjutor, durch sein Vergrößerungsokular, akribisch auf eventuelle Mängel überprüft. Nichts entgeht den glasklaren Augen, welche frei von emotionalen Barrieren jeden Aspekt der Physis beurteilen. Bereits jetzt ahnt er die Prognose des Systems. Sachlich, jedoch bestimmt, verdrängt er das postnatale Quietschen des Produkts aus seinem Bewusstsein und beginnt minutiös die gesammelten Daten auf den Computer zu übertragen. Das implantierte Multifunktionsinterface – Legion – ermöglicht ihm die rasche Integration der Werte in das System durch bloße Visualisierung des Übertragungsprozesses. Ein reißender Fluss aus Zahlen, Variablen und Perzeptionen strömt, einem mächtigen Gewässer gleich, bar jeglichen Gefühls, in die vertrackten Weiten des Volksnetzes; objektiv, effizient, makellos. Der mächtigste Gipfel, welchen Kommunikation zwischen sterblicher Materie und artifizieller Intelligenz zu erklimmen vermag.



Während der Partus-Adjutor voller Konzentration den Strom der Information dirigiert, verschmelzen die schwächlichen Schreie und die Geräusche der Instrumente zu einem abstrakten, symphonischen Klangspiel. Seine Trommelfelle vibrieren voll erwartungsvoller Euphorie, entfacht durch die dröhnenden Querschläger des Frequenz-Gefechts, welche von den unnachgiebigen Stahlwänden der Kammer mit puristisch anmutender Kritik zurückgewiesen werden. Während sich voll kalter Wissbegier der mechanische Wille des Kollektivs das Datenmahl einverleibt, steigern sich die bipolaren Klänge zum dissonanten Klimax. Mit unermesslicher Geschwindigkeit fließen die Aufzeichnungen in den virtuellen Schlund.



»Subjekt männlich. Die Extremitäten; zu kurz. Suboptimales Geburtsgewicht. Jedoch überdurchschnittliche Motorik vorhanden. Greifreflex besonders kräftig. Die signifikant kurze Reaktionszeit beim Suchreflex könnte sich als wegweisend herausstellen. Ebenfalls erwähnenswert, Anpassung der Augen an die beleuchtete Umgebung verlief zügig und unspektakulär. Im Regelfall nehmen neue Produkte die neutrale Strahlung des Lichts als emotional negativ war und es kommt zu einer affektiven Gegenreaktion. Dieses Produkt hingegen wirkt, abgesehen von dem für die Entfaltung der Lungenflügel essenziellen Gekreische, leicht apathisch und emotional stabil — könnte sich ebenfalls als konstitutiv erweisen. Darüber hinaus gibt es keine äußerlichen Anzeichen für einen eventuellen genetischen Defekt. Qualitätsprüfung der Peripherie erfolgreich abgeschlossen. Einleitung des internen Scan-Programms.«



Mechanische Greifarme umschlingen sanft das Neugeborene und schieben es in eine zylindrische Röhre. Fast fürsorglich wird es von schlangenhaften Gurten aus Kunststoffmembran fixiert und durch Mikro-Vibrationen stimuliert. Innerhalb weniger Sekunden entspannt sich die fragile Gestalt, gemächlich pumpt das Herz den Saft des Lebens durch die labyrinthischen Kapillaren des biomechanischen Systems. Ruhe kehrt ein in die sterile Kapelle völkischer Existenz. Die ungetrübten Linsen des Partus-Adjutors überwachen voll väterlicher Strenge den Prozess der internen Qualitätsüberprüfung. Mit sachlicher Zärtlichkeit versetzt der Apparat den kleinen Erdenbürger in Narkose. Feinfaserige Roboterarme injizieren Kontrastmittel in seinen Leib, während er aufgrund der sanften Rhythmik und dem Anästhetikum bereits dem Reich der Träume verfallen ist. Unschuldige, humane Träume, die jedoch den entmenschlichten Gesetzmäßigkeiten der Realität untergeordnet sind. Aschgrau ist das Kunstwerk, welches der Pinsel seiner Fantasie streicht; aschgrau schmeckt die unfruchtbare Erde, die sie ihr Zuhause nennt; aschgrau die Silhouette seiner Schöpferin, welche ihre glatten, musterlosen Finger zärtlich über den zerbrechlichen Körper streifen lässt. Unterdessen breitet sich fernab der gestalterischen Mächte seiner Vorstellung das Kontrastmittel im Gewebe des Neugeborenen aus.



Die gewohnte Entspannung macht sich im Körper des Partus-Adjutors breit, als der hypnotische Rhythmus der Pumpen den Beginn der Untersuchung verkündet. Stetig bauschen sich die Geräusche des maschinellen Inspektors auf; eifrig wird jeder Winkel der neu geschaffenen Welt erforscht. Die tiefsten Hirnwindungen werden Neuron für Neuron durchkämmt, jedes Basenpaar der DNA wird auf fehlerhafte Zellteilung untersucht und jeder Nukleus auf unerwünschte Mutationen geprüft. Nichts entgeht dem multidimensionalen Auge des Systems, welches das volle Potential der Apparatur auszuschöpfen vermag. Jahrzehnte mangelhafter menschlicher Steuerung sind Vergangenheit. Die Untersuchung schreitet fort zum finalen Akt. Die abstrakt symphonische Geräuschkulisse, welche bizarre Ähnlichkeit mit dem prä-mechasozialen Genre des Dubstep aufweist, schwillt im Crescendo an und versetzt den Adjutor in Ekstase. Programmierte, synthetische Ekstase.



Myriaden von Zahlen wandern, einer entschlossenen Ameisenkolonie gleich, über das innere Auge des Partus-Adjutors. Wissen, das vollends zu begreifen, seinem bescheidenen menschlichen Geist nicht möglich ist. Seine Aufgabe ist eine andere. Er ist lediglich ein Wächter; ein bewusst platziertes Artefakt; eine mangelhafte, jedoch durchdachte Eröffnung einer Partie Schach. Adjutoren sind einer der letzten Auswüchse des Misstrauens gegenüber den künstlichen Intelligenzen, welches, so wird es an den Schulen der Neo-Proletarischen-Union gelehrt, der Beziehung zwischen Mensch und Maschine seit Anbeginn der Zeit zu eigen war.



Aufmerksam betrachtet der Partus-Adjutor die letzten Zeilen der multidimensionalen Matrix und beginnt den Prozess des internen Scan-Programms abzuschließen. Erneut kehrt Ruhe in die 10m² Untersuchungseinheit ein. Die letzten Töne des Mechanismus verflüchtigen sich. Allein der Nachklang des artifiziellen Klangspiels verbleibt noch einige Atemzüge lang im Raum; die Coda des dissonanten Stücks das Phase 2 begleitet. Einen letzten Moment noch überprüft der perfektionistische Geist den erfolgreichen Abschluss des Programms, dann wendet er sich dem Start von Phase 3 zu; der Analyse und Optimierung des neugeborenen Genossen.



Mit jener effizienten Vorsicht, welche nur Maschinen zu eigen ist, wird das nach wie vor sedierte Produkt auf einem kleinen, anthrazitfarbenen Operationstisch positioniert. Das System beginnt dem Adjutor die Ergebnisse der Analyse zu erläutern.



 »Optimaler Gesundheitszustand. Erbgut qualitativ hochwertig. Gehirn Funktionen ausreichend, teils zu stark ausgepr

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