Irolansaga

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Paul Reiko

Irolansaga

Brigdet im Reich der Magier

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1.Kapitel : Das Portal im Wald

2. Kapitel: Die Reise zur Mine der Zwerge

3 .Kapitel : Die Geschichte der Zwerge

4.Kapitel : Der Überfall

5.Kapitel : Im Land der Waldelben

6.Kapitel : Die Schlacht am Drachenwall

7.Kapitel : Rückkehr zur Erde

Impressum neobooks

1.Kapitel : Das Portal im Wald

Sie hatten ihr die Hände auf dem Rücken gebunden und die Augen verbunden. Brigdet wusste nicht was mit ihr geschehen würde. Das Einzige was sie wahrnahm, war dieses gleichmäßige Trommeln. Mit Schaudern erinnerte sie sich an den kurzen Moment bis man ihr die Augen verbunden hatte. Im Schlaf war sie überfallen wurden und das einzige was sie sah, waren eine Art Menschen gewesen, die aber anscheinend von Echsen abstammten. Mit großen Augen und eigenartigen Pupillen. Mehr konnte sie nicht sehen, denn dann war es dunkel geworden. Sie hatten sie weg geschleppt, aber nicht sehr weit. Und jetzt stand sie hier, wahrscheinlich mitten in einer Art Zeremonie, die nichts Gutes verhieß. Die Chancen dass ihre Freude sie zeitig genug finden würden standen nicht gut. Wahrscheinlich war das Ende ihrer Abenteuer gekommen und sie begann zu akzeptieren. Und dann schweiften ihre Gedanken an den Anfang. An den Anfang einer Zeit, die ihr Leben verändert hatte.

*Prolog : Berührung mit dem Unbekannten

Es hätte eigentlich eine ganz normale Geschichte werden können, so eine alltäglich Geschichte, wie sie tausenden heranwachsenden Mädchen widerfahren kann. Und doch war das, was Brigdet erlebte, ganz, ganz anders.

Brigdet wuchs auf einem kleinen Bauernhof in Irland heran. Die Eltern waren alles andere als wohlhabend, aber der Hof und die Tiere ernährten die Familie und warfen noch etwas Geld für die schönen Dinge des Lebens ab.

Doch all das hatte auch seinen Preis. So waren ihre Eltern fast den ganzen Tag beschäftigt. Von früh an forderte der Hof seine Bewohner. Da mussten Kühe gemolken, ausgemistet und gefüttert werden, Eier eingesammelt, das Frühstück für die ganze Familie bereitet werden und, und, und. Brigdet, als älteste der drei Geschwister hatte für das Frühstück zu sorgen, während ihre beiden jüngeren Brüder den Hund füttern und der Katze Milch hinstellen mussten.

So begann jeder Tag gleich, egal, ob es regnete oder schneite, ob ein Feiertag ins Haus stand oder jemand krank wurde. Dann mussten halt die Anderen dessen Aufgaben mit übernehmen. Für Brigdet war dieser Tagesablauf, bis zum Beginn der Schule und das Erledigen der Aufgaben danach, völlig normal. Jedes Stadtkind wäre aus dem Staunen nicht heraus gekommen, was man so alles erledigen konnte, bevor der eigentliche Schultag begann. Bei denen war ja mitunter das Packen der Schultasche schon fast ein unüberwindliches Problem.

Doch das Leben auf dem Land unterschied sich halt in vielen Dingen von dem in der Stadt. Es hatte Vorteile und Nachteile, es war abwechslungsreicher, aber auch mühsamer. Und in einem unterschied es sich am deutlichsten, wenn ein Stadtkind einmal etwas vergaß, kassierte es vielleicht eine Kopfnuss. Auf dem Land hatte alles, was vergessen wurde, meist auch eine Folge, die mitunter schmerzlich sein konnte. Wenn man zum Beispiel vergaß die Stalltür richtig zu schließen, konnten Tiere entlaufen und zu Schaden kommen usw. Kurz gesagt, war das Landleben mit etwas mehr Verantwortung für den Einzelnen verbunden. Und das mussten schon die Kinder lernen, ansonsten funktionierte eine Familie auf einem Bauernhof nicht richtig.

Der Hof der Eltern lag etwas abseits vom Dorf, direkt neben einem sehr großen Waldgebiet. Die Großeltern von Brigdet mochten aber gerade dieses etwas einsam gelegene Gehöft. Sie waren vor langer Zeit von Schottland aus, auf die Grüne Insel ausgewandert. Besser gesagt Brigdets Großvater, der damals seiner großen Liebe gefolgt war.

Ein Teil der Verwandten ihrer Großmutter stammten von hier. Und Großmutter war es auch, die von einer kinderlosen Tante diesen Hof geerbt hatte. Da blieb Großvater keine große Wahl und er wurde Ire. Nun ja Ire wurde man nicht einfach, aber er sprach gälisch und das perfekt und damit hatte er schon ein Bein in der Tür. Die Skoten brachten damals diese Sprache mit von der grünen Insel, als sie in Teilen Schottlands siedelten. Und Großvater hatte sie gelernt. Deshalb konnte er sich gut verständigen und wurde nicht komplett als Ausländer angesehen.

Dass Brigdets Wurzeln woanders lagen, als die ihrer Mitschüler, konnte sie jeden Tag im Spiegel selbst sehen. Sie war zart gebaut und besaß schwarzes welliges Haar, dass ihr bis zur Rückenmitte herabhing. Bei den einheimischen Kindern dominierte die blond bis rötliche Haartracht. Auch die so typischen Sommersprossen, die einige ihrer Klassenkameraden zur Schau trugen, wie Indianer ihre Kriegsbemalung, fehlten bei Brigdet völlig. Doch obwohl sie äußerlich eher zart wirkte, konnte sie doch sehr kräftig zupacken und austeilen, wenn es denn sein musste. Das Leben auf einem Bauernhof brachte auch Gutes mit sich.

Irgendwie fiel sie aber in anderen Dingen aus dem Rahmen. Und da war es nicht sonderlich überraschend, dass sich auch ihr Freundeskreis, als recht überschaubar darstellte. Sie wurde nicht gehänselt oder verspottet, im Gegenteil, manchmal glaubte sie sogar, die anderen Kinder hätten Angst vor ihr. Wie dem auch sei, aus diesen und noch anderen Gründen verspürte sie nur selten gesteigerte Lust, in ihrer freien Zeit ins Dorf zu gehen, um mit anderen Kindern zu spielen.

Eigentlich verstand sie sich nur mit einem Jungen in der Klasse wirklich gut. Und der war ausgerechnet noch Engländer. Als er in ihre Klasse kam, folgte mit unausweichlicher Konsequenz die Einordnung des Neuen an die unterste Stufe der Hackordnung. Die Jungen in ihrer Klasse wollten das dem Neuankömmling mit einer Art Mannbarkeitsritual verdeutlichen, kurz sie wollten ihn verkloppen. Doch Brigdet fand die Situation, dass sich gleich sieben Jungen mit einem einzigen befassen, nicht ausgewogen. Und da ihr ein Gen fehlte, nämlich dass, was für die Angst zuständig war, ging sie einfach dazwischen, schlug dem Anführer der Jungs kurzerhand die Nase blutig und nahm den verdutzten Neuschüler bei Seite.

Seit dieser Zeit war alles gesagt und die anderen machten sicherheitshalber einen Bogen um sie. Und um ganz ehrlich zu sein, die Spiele und das Unfug machen lagen ihr auch nicht sonderlich. Sie verspürte einfach nicht den Drang, mit anderen Kindern herum zu tollen.

Sie zog es in den nahen Wald, der gleich hinter der Schafstallung begann. Ihre Mutter sah das nicht sonderlich gern. Sie hielt Brigdet beständig lange Vorträge, wie gefährlich es war. Aber Kinder neigen bekanntlich dazu, gut gemeinte Ratschläge einfach in den Wind zu schlagen. Vor allem, wenn diese Ratschläge von ihren Eltern kamen. Ihr Vater war in dieser Hinsicht anders, er empfand es als die natürlichste Sache der Welt, wenn ein Kind den in der Nähe befindlichen Wald erforscht.

Mehrmals schon hatten sich die Eltern deswegen gestritten und Brigdet kam sich dann doch etwas schuldig vor. Welches Kind ist schon gern der Anlass für den Streit der Eltern, aber wieder war es ihr Vater, der ihre Schuldgefühle ganz schnell wie Seifenblasen zerplatzen lies. Er erzählte ihr oft Geschichten, auch über den alten Wald und dass die Einheimischen aus vielerlei Gründen lieber einen Bogen um ihn machten. Manche sagten, es gehe da nicht mit rechten Dingen zu. Doch ihr Vater lachte nur über derartige Geschichten. Von ihm wusste Brigdet auch, dass der Wald vor vielen Jahrhunderten einmal ein Druidenhain gewesen war. Und dass es lange gedauert hatte, bis die fanatischen Christen den alten Volksglauben besiegt hätten. Brigdets Vater war in dieser Beziehung merkwürdig verbittert, dass stellte sie immer dann fest, wenn er ihr, von ihren Vorfahren erzählte. Demnach wären ihre Vorfahren allesamt Barden gewesen, so wie er es heute noch sei. Er kannte hunderte von Geschichten und Gesängen aus der alten Zeit. Nur, dass er heute nicht mehr durch das Land zog, um sie den Menschen vorzutragen, sondern sich lieber um seine Familie kümmerte. Leider würde sein Wissen mit seinem Tod verloren gehen, wenn keiner seiner Söhne bereit war, ein Barde zu werden.

Gerade wenn ihr der Vater solche oder ähnliche Geschichten erzählte, zog es Brigdet am nächsten Tag noch intensiver in den Wald. Es war, als ob sie in eine andere Welt eintauchen würde. Hier fand sie alles was sie interessierte und vor allem, was sie liebte.

Meist ging sie nur einige hundert Meter in den Wald hinein, genau bis zu einem Teich auf einer Lichtung. Dort war ihr Lieblingsplatz und da waren auch die Helden ihrer kleinen großen Welt. Sie konnte sich nicht satt sehen an den gekonnten Flugmanövern der großen Libellen, an den Wettrennen der Wasserläufer oder dem Tanz der kleineren Libellen auf der Wasseroberfläche. In ihrer Phantasie veränderten sie oft ihr Aussehen und sie sah die schwirrenden Elfen, von denen die alten Geschichten oft erzählten. Und sie verstand überhaupt nicht, warum all die Fabelwesen aus alter Zeit von den heute lebenden Menschen, als Phantasie abgetan wurden. Man brauchte doch nur genau hin zu sehen und sie beobachten und sie tauchten wieder auf.

 

Sie lauschte der knarrenden Sprache der Bäume, obwohl sie nicht verstand, wovon sie sprachen. Aber dass das Knarren ihre Sprache war, stand für Brigdet fest. Und dass die Bäume sich mit ihr unterhielten war ebenfalls für das Mädchen klar, nur eben, dass sie sie nicht verstand. Und das war ja schließlich nicht Schuld der Bäume. Mitunter legte sie sich regelrecht auf die Lauer, um die besonders scheuen Tiere zu beobachten. Vor allem die verwunschenen Drachen aus alter Zeit, die jetzt zu kleinen Molchen verflucht waren. Und da sie sich noch immer nicht mit ihrer jetzigen Winzigkeit abgefunden hatten, brauchte man viel Geduld, um sie in Aktion sehen zu können. Und dann wenn sie jagen gingen, blitzte manchmal noch ein wenig von ihrer früheren Tapferkeit auf. Oder wenn sie ihre Kämme aufrichteten und gegeneinander kämpften, stellte sich Brigdet vor, wie sie früher als Giganten aufeinander losgegangen waren. Wie sie sich verbissen und ihre gewaltigen Körper miteinander rangen, um den Widersacher in den nächsten Abgrund zu werfen.

Es gab nicht eine Minute in der ihr am Teich oder im Wald langweilig wurde. Instinktiv spürte sie die Sinfonie des Waldes, noch bevor sie für das, was sie fühlte, die richtigen Worte fand.

In der Schule lieh sie sich jedes Buch über die Tiere des Waldes aus, das in der kleinen Bibliothek greifbar war. Nun konnte sie den kleinen Geschöpfen, die sie so oft beobachtet hatte, einen Namen geben. Und was die Gelehrten ihren Freunden für grässliche Namen gegeben hatten. Manche konnte man gar nicht aussprechen. Brigdet fand viele der Bezeichnungen regelrecht unpassend, sie hatte ihnen als kleines Kind oft ganz andere, viel schönere Namen gegeben. Und sie fühlte tief in ihrem Inneren, dass ihre Namen die richtigen waren.

Doch am meisten freute sie sich, als sie in der Bibliothek auch ein Buch über heidnische Bräuche und Druiden, von denen ihr Vater gesprochen hatte, fand. Es faszinierte und erschreckte sie zugleich, was sie da las. Von Römern und christlichen Missionaren, die mit Gewalt gegen den Glauben der rechtmäßigen Bewohner dieses Landes vorgegangen waren. Von Druiden und den heiligen Frauen von Avalon, die ihren Widersachern nicht mehr entgegen zu setzen hatten, als Flüche. Und die dann erschlagen oder geschändet wurden. Als sie das gelesen hatte verstand sie auch, warum ihr Vater auf alle, die ein Kreuz trugen, nicht besonders gut zu sprechen war.

Vater hatte ihr einmal gesagt, das Christentum wäre die herrschsüchtigste und intoleranteste aller Religionen und jeder frei denkende Mensch sollte sie meiden wie den Aussatz. Brigdet verwirrte vieles was ihr Vater sagte und sie verstand es als Kind schon gar nicht, wieso sich gerade in ihrer Heimat die Kreuzträger untereinander bekämpften. Ihre kindliche Phantasie malte sich lieber aus, wie das Leben der Frauen von Avalon war. Sie hatte gelesen, dass sie alle vom kleinen Volk stammten. Damit schienen die früheren Völker keltischer Herkunft in ihrer alten Heimat gemeint zu sein.

Ihr Vater hatte behauptet, sie stamme ebenfalls von dem kleinen Volk ab. Ihre Vorfahren gehörten zu den piktischen Stämmen in England. Und da die heiligen Frauen überwiegend ebenfalls aus ihnen hervorgegangen waren, fühlte sie sich mit ihnen verbunden. Vor allem als ihr Vater behauptete, sie würde ohne große Vorbereitung, als kleine Fee durchgehen.

Jedes Mal, wenn Brigdet mit ihrem Vater in die Stadt fuhr, plünderte sie regelrecht die dortige Bibliothek. Ihr Vater sah das mit gemischten Gefühlen, doch er konnte nichts dagegen machen, hatte er ja erst durch seine Geschichten den Ball ins Rollen gebracht.

Mit jedem Buch erfuhr Brigdet mehr über das kleine Volk und deren heilige Schwestern. Sie wusste schon recht bald, dass die eigentliche Macht der Frauen von Avalon darin bestand, dass sie die Zusammenhänge in der Natur besser verstanden, als andere. Sie kannten nicht nur die Heilkräuter und wussten um deren Anwendung, nein sie sahen auch aus Erscheinungen in der Natur bestimmte Entwicklungen voraus. Letzteres brachte ihnen den Ruf von Seherinnen ein. Das und die Fähigkeit, sich selbst in eine Art Trance zu versetzen und die Visionen, die sie dabei empfanden an die anderen Dorfbewohner weiter zu geben, verschaffte ihnen eine besondere herausragende Stellung innerhalb der Gemeinschaft. Vielleicht lag es sogar daran, dass die Kinder Brigdet irgendwie anders behandelten. Sollte sie ihren Vorfahren wirklich so ähnlich sehen?

Das Mädchen sollte schon bald alles erfahren, aber sie hätte bestimmt niemals geahnt, dass es auf eine so abenteuerliche Weise geschehen würde. Vielleicht war es Vorsehung oder einfach nur Zufall, dass gerade sie Dinge erleben sollte, die andere als Spinnerei oder Aberglaube abtun würden. Und doch kam es dem Mädchen von Kindheit an so vor, als lebe sie in der falschen Zeit, am falschen Ort. Und sie sollte Recht behalten.

*

„Was hast du denn heute vor, meine kleine Fee?“ wollte der Vater wissen. Brigdet hatte ihre Aufgaben für heute erledigt, deshalb war nun nach dem Frühstück Zeit. Es war keine Schule, also gab es für sie nur den Wald.

„Ich gehe Angeln am Teich, hinten im Wald.“ antwortete sie und legte alle Kraft in ihre Stimme, um den zu erwartenden Widerstand der Mutter gleich im Keim zu ersticken. Ihre Mutter wusste, dass der Vater Brigdet erlaubt hatte bis zum Teich zu gehen und wenn dann noch ein zusätzliches Mittagessen abfiel, konnte selbst sie nicht viel dagegen ausrichten. Doch die Sorgen blieben. Sie war, weiß Gott, kein leichtgläubiger Mensch, aber sie hatte schon so viele eigenartige Geschichten über den alten Wald gehört, dass die Furcht um ihr Kind die Vernunft besiegte.

„Nimm den kleinen Dolch mit, den Dir dein Vater geschenkt hat, du wirst ihn für die Fische brauchen.“ sagte sie nur, aber alle wussten, dass sie nur wollte, dass Brigdet sich notfalls wenigstens würde verteidigen können.

„Und meinen Wanderstab“ sagte der Vater schmunzelnd „ der ist gut zum Verjagen von Kobolden und anderem Viehzeug.“ Brigdet lachte und ihre Eltern stimmten herzlich mit ein. Nur ihre beiden jüngeren Brüder schauten verängstigt über die Tischkante. Für sie war nicht zu verstehen, wieso ihre große Schwester ausgerechnet in diesen Wald ging, wo es dort Kobolde und noch schlimmere Gesellen gab. Warum sich also solchen Monstern aussetzen, wo man doch auf den Wiesen und am Bach so wunderbar spielen konnte. Doch sie wunderten sich nicht lange, schließlich kannten sie ja ihre Schwester und wussten ganz genau, dass sie manchmal nicht richtig tickte.

Brigdet allerdings störte die Meinung ihrer Brüder recht wenig. Selbst wenn sie sich viel Mühe geben würde, könnte sie diesen beiden Hosenscheißern wohl kaum klar machen, wieso es sie in den Wald zog. Sie packte sorgsam ihr Angelzeug zusammen, legte einen Gürtel um, an dem der Dolch ihres Vaters hing, nahm dessen Wanderstab und marschierte los. Sie war sogar irgendwie stolz Vaters Stab nehmen zu dürfen. Er war wundervoll geschnitzt. Zwei Schlangen rankten sich am oberen Teil des Stabes empor und bildeten mit ihren Köpfen eine regelrechte Krone. Vater hatte ihn als junger Mann geschnitzt, als er noch als Barde unterwegs war.

Ihr Marsch führte sie direkt in Richtung Schafstall, dann bog sie am Tor ab und lief den Trampelpfad in Richtung Wald. Wenn sie irgendwer beobachtet hätte, wäre sie ihm wie jemand vorgekommen, der gerade auf dem Kriegspfad ist, aber nicht wie eine Anglerin.

Sie hatte zwar das Angelzeug mitgenommen, aber sie hatte überhaupt nicht vor zu angeln. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, einen Fisch zu töten. Vater hatte behauptet, im Teich lebe ein uralter Wels, der mindestens zwei Meter lang sein sollte. Doch Brigdet war sich sicher, dass das der eigentliche Herr des Teiches war. Jeder wusste doch, dass Wassermänner ein Gefolge hatten. Und wenn das Mädchen durch einen dummen Zufall gerade einen Fisch aus seinem Gefolge erwischen würde, wäre der alte Wassermann bestimmt böse auf sie. Und mit diesem Gedanken konnte sie sich gar nicht anfreunden. Wenn es nach ihr gehen würde, sollten die Geschöpfe des Waldes, alle ihre Freunde sein.

Brigdet hatte heute größere Sachen vor. Sie wollte tiefer in den Wald gehen. Zu den großen alten Eichen. Von weitem hatte sie ihre hoch aufragenden Kronen am anderen Ufer des kleinen Sees gesehen und es zog sie unaufhaltsam dort hin. Diese Bäume waren den Druiden heilig, dass wusste sie. Und die Bäume, die das Mädchen sah, waren gewiss hunderte von Jahre alt. Und wenn sie ihre Sprache verstehen würde, könnten sie ihr bestimmt Geschichten erzählen, bei denen Brigdet die Augen übergehen würden. Sie war sich sicher, dass einige dieser Riesen schon da waren, als hier noch bärtige Druiden durch die Wälder gezogen sind. Vielleicht hatten sie sogar die Krieger vorbeiziehen sehen, die ihren schottischen Brüdern im Kampf gegen die Engländer beigestanden hatten. Doch was immer auch hier einst geschehen sein mag, für Brigdet waren diese Bäume einfach faszinierend.

Also versteckte sie das Angelzeug am Ufer und nahm nur Vaters Stab mit. Solche Stäbe, so hatte er gesagt, hätten früher nur Druiden benutzen dürfen. Sie waren ein Zeichen ihrer Würde, ihres Wissen und außerdem gut geeignet, jemandem einen drüber zu ziehen.

Als sie endlich den kleinen See umrundet hatte und nun direkt vor ihrem Ziel, den ersten Eichen stand, kostete es sie sogar ein wenig Überwindung ihre zerfurchte Rinde zu berühren. Doch schon, als sie die Kräfte der Bäume spürte, kehrte ihre Selbstsicherheit wieder. Ihr Vater hatte einmal scherzhaft gesagt, dass sie ihm nicht geheuer sei. Einmal weil sie scheinbar keinerlei Furcht vor irgendetwas hatte und weil sie viel zu klug für ihr Alter wäre. Ihm käme es manchmal so vor, als wüsste das Mädchen Dinge, die sie eigentlich noch gar nicht wissen dürfte.

Brigdet hatte damals nur gelächelt, aber als sie sich nun so völlig allein, weit ab von anderen Menschen befand, stellte sie fest, dass sie sich wirklich kein bisschen fürchtete. So beschloss sie kurzerhand weiter in den Eichenwald vorzudringen. Schon nach kurzer Zeit merkte sie, wie der Wald sich veränderte. Die mächtigen Kronen der Bäume ließen nun immer weniger Sonnenlicht hindurch. Das Licht um sie herum wurde diffuser. Auch das Unterholz nahm ab.

Hier hielten sich nur noch einige Farne, die mit dieser Lichtzuteilung auskamen, Mose, Flechten und vereinzelte niedrige Büsche. Und es wurde leicht hügelig. Sie hatte immer gedacht, die Gegend um ihren Hof wäre genauso wie das Land, dass sie Tag auf dem Weg zur Schule durchquerte, also fast flach wie ein Kuchenbrett. Aber hier gab es kleine Hügel. Und sie hatte richtig Mühe den einen oder anderen zu besteigen. Immer wenn sie wieder einen Hügel erklommen hatte, orientierte sie sich, um den Weg zurück nicht aus den Augen zu verlieren. Sie wollte auch vermeiden, dass sie nach einer gewissen Strecke feststellen musste, dass sie im Kreis gelaufen war.

An manchen Stellen hatten die Regengüsse im Verlauf der Jahrhunderte sogar einzelne Wurzeln freigelegt. Manche von ihnen so stark, dass es ihr schwergefallen wäre sie zu umfassen. An den Baumpilzen und deren gewaltiger Größe konnte sie unschwer erkennen, dass sie in eine Gegend kam, die noch älter und noch unberührter war. Hier hatten niemals menschliche Äxte gewütet, hier war seit Generationen alles sich selbst überlassen. Aus Filmen im Fernsehen wusste sie, dass wirklich unberührte Natur immer seltener wurde, zumal hier in Europa. Also war es ein Glücksfall für sie, gerade hier groß zu werden, welchem Stadtkind ist es vergönnt, noch richtigen Wald kennen zu lernen.

Und dann plötzlich sah sie es. Das Herz des Waldes, den Punkt den sie, ohne es zu ahnen, gesucht und nun gefunden hatte. Erst fiel ihr nur der mächtige aufrecht stehende Stein auf. Er musste gut vier Meter hoch sein und man konnte schon von weitem erkennen, dass er nicht natürlichen Ursprungs war. Menschen hatten ihn vor langer Zeit behauen und hier aufgerichtet. Er stand aufrecht und hünenhaft, umgeben von Natur, die versuchte, ihn sich einzuverleiben.

 

Doch er schien gebieterisch zu sagen, bis hier hin und nicht weiter. Und irgendwie war es, als ob die Wurzeln der Bäume, die Ranken der Grünpflanzen, selbst Moose und Flechten, diese Warnung verstanden und sich nur auf den umliegenden Steinen breit machten. Direkt vor diesem Hünen aus Fels war ein wesentlich kleinerer, schon sehr stark von Grünzeug überwachsener Stein zu erkennen. Ohne dass Brigdet jemals an solch einer Stelle war, wusste sie instinktiv, dass der Kleinere der Altarstein war. Rechts und links von diesen beiden Gebilden konnte man mit viel Phantasie eine Reihe kleinere Steine erkennen, die eine regelrechte Gasse bildeten.

Das musste der alte Prozessionsweg gewesen sein. Obwohl die Natur schon einiges zurückerobert hatte, konnte man noch gut die einstige Wirkung erahnen, die diese Formation auf die einfachen Menschen, die hier ihren Göttern gehuldigt hatten, gehabt haben musste. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie ein bärtiger Druide auf die Steinsetzung zu schritt, zu den Göttern flehte, und dann eine Opferzeremonie vollführte.

Brigdet sah sich genau um und entdeckte noch Erstaunlicheres. Vier gewaltige Eichen lagen umgestürzt und vollkommen überwachsen fast sternenförmig am Boden. Anscheinend waren das die Reste der ehemaligen Eichen, die zu der Altargruppe gehörten. Die Bäume, die jetzt hier aufragten waren deutlich jünger. Hier hatte also ein regelrechter Generationswechsel stattgefunden.

Das Mädchen vermutete, dass die vier alten Bäume damals bewusst angepflanzt worden waren. Und in ihrem Zentrum hatte man das Heiligtum errichtet. Ein künstlich angelegter Hain mitten im Wald.

Allerdings konnte sie beim besten Willen nicht sagen, ob der ganze Wald nicht erst im Verlauf der Jahrhunderte von hier aus gewachsen war. Vielleicht waren die vier Eichen so etwas wie die Vorfahren des ganzen Waldes. Gut möglich, dass alles um sie herum, hier seinen Anfang genommen hatte und die Druiden damals nur den Samen für diesen ganzen Wald gepflanzt hatten. Vorsichtig näherte sie sich den Steinen, genau auf dem gedachten Weg zwischen den Randsteinen. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie wollte den Altarstein nur einmal berühren, sie wollte fühlen, was die Druiden früher gefühlt hatten.

Der Weg war mühsam, die Natur war nicht faul gewesen. Sie hatte sich alles zurückgeholt was an Fläche möglich war. Einige Male wäre Brigdet fast aus dem Gleichgewicht geraten. Es machte fast den Eindruck, als wollten die Pflanzen sie hindern weiter zu gehen. Doch Brigdet wäre nicht sie selbst, wenn sie sich durch Unwägbarkeiten von einem einmal gefassten Vorhaben abbringen ließe. Je näher sie den Steinen kam, desto mehr kam es ihr vor, als verändere sich etwas. Sie konnte es nicht beschreiben, es war fast so als wären die Steine magnetisch. Denn obwohl sie instinktiv so etwas wie eine Gefahr ahnte, ging sie weiter. Näher und näher kamen die Steine und Brigdet streckte ihre Hand nach vorn, um den Altarstein zu berühren. Es war merkwürdig ihr kam es fast so vor, als hielte die Natur den Atem an. Kein Geräusch drang an ihr Ohr, weder Vogelgezwitscher noch das Zirpen einer Grille. Von den Steinen schien ein Flimmern auszugehen, so wie heiße Luft über einer Straße. Doch es war keine Wärme, die ihr entgegenschlug, es war etwas anderes und Brigdet konnte es nicht in Worte fassen.

Gerade als sie den Stein berührte, verschwamm plötzlich die Umgebung um sie herum. Alles schien auf einmal in Bewegung zu sein und etwas zog sie nach vorn. Sie versuchte dagegen an zu kämpfen, aber sie war wie gelähmt. Und dann war es ihr, als stürze sie in einen Abgrund. Es wurde schwarz um sie und sie verlor das Bewusstsein.

*

Doch die Dunkelheit war nicht echt, sie hatte nur die Augen fest verschlossen. Vorsichtig öffnete sie sie wieder. Es war zwar dunkel und die Umgebung hatte sich völlig verändert, aber es war eine eigenartige Dunkelheit. Alle ihre Sinne nahmen unbekannte Reize auf und sie wusste, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Die Luft war feucht und schwer, gesättigt von einem süßlichen Geruch. Es war kühler als vorher, deutlich kühler sogar. Und langsam gewöhnten sich auch ihre Augen an die neue Umgebung. Es war zwar Nacht, aber sie konnte dennoch etwas sehen. Die Pflanzen und Bäume um sie herum schienen irgendwie matt zu leuchten. Das war auf keinen Fall mehr der Wald den sie kannte.

Wie benommen blieb das Mädchen einfach sitzen. Was sollte sie auch sonst tun. Ziellos in der Nacht herumirren wollte sie nicht. Und dann sah sie in einiger Entfernung ein Licht auf sie zukommen. Sie tastete nach ihrem Dolch, er war noch da und das beruhigte sie ein wenig. Auch Vaters Wanderstab lag neben ihr. Sie nahm ihn in die Hand und stand auf. Dabei fiel ihr kurz Vaters Witz mit den Kobolden wieder ein. Das Licht hüpfte regelmäßig auf und ab. Es wirkte von fern wie ein Irrlicht, dass Brigdet nachts schon öfter gesehen hatte. Doch als es schon recht nahe war, sah das Mädchen, dass es ein Mensch mit einem langen Stab war, an dessen oberen Ende etwas leuchtete. Der Fremde kam näher, blieb ein paar Meter vor ihr stehen und sah sie ungläubig an. Und auf einmal wurde das Licht immer heller, so als wollte der Fremde genau sehen, was da vor ihm stand.

Brigdet hatte Zeit ihn sich genauer an zu sehen. Er trug langes weißes Haar und einen ebenso langen Bart. Sein Umhang, dessen Farbe das Mädchen in diesem Licht nicht genau feststellen konnte, wurde mit einem breiten Gürtel am Körper gehalten, an dem wiederum ein reichverziertes Schwert mit einem goldenen Drachenknauf hing. Sein Stab war mit Schnitzereien versehen, die sich wie eine Schlange am Stab nach oben rankten.

Sie ähnelten den Schnitzereien an Brigdets Stab. Am oberen Ende war eine runde, glasige Kugel aufgesetzt, die von dem Stab, wie mit einer Hand gehalten wurde. Diese Kugel sendete das Licht aus. An den Füßen trug der Fremde ein Paar einfache Sandalen die kreuzweise bis über die Waden verschnürt waren.

Er wirkte alles in allem etwas ungewohnt auf das Mädchen, aber zumindest machte es den Eindruck, als hätte er keine bösen Absichten. Im Gegenteil er schien eher wissenschaftliches Interesse an ihr zu haben und sein Blick verriet dem Mädchen, dass er der Meinung war, sie gehöre definitiv nicht hier her.

Brigdet überlegte einen Moment, ob sie etwas zur Begrüßung sagen sollte, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Sie spielte lieber die Schweigsame und versuchte all ihren Mut in ihren Blick und ihre Haltung zu legen. Der Fremde sollte sie nicht für ein verstörtes kleines Mädchen halten. Was immer das auch bringen mag.

„Wer bist Du und wie kommst Du hier her?“ fragte er das Mädchen. Und sie war überrascht, dass sie ihn verstand. Er sprach eine Art Gälisch, nicht ganz das Gälisch, dass Brigdet von ihrem Vater gelernt hatte, sondern einen verwandten Dialekt. Aber sie verstand ihn.

Damit war der Bann gebrochen und sie registrierte innerlich, dass der Fremde ihr nichts antun wollte. Also stellte sie sich vor und beteuerte, dass sie nicht wisse, wie sie hergekommen sei. Und genau betrachtet entsprach das auch der Wahrheit, außer dass sie diesem Fremden ihren Ausflug zum Heiligtum geflissentlich verschwieg. Der Fremde überlegte kurz und gab ihr ein Zeichen ihm zu folgen. Das Mädchen wäre unter normalen Umständen nie freiwillig mit einem Fremden mitgegangen, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sie wusste nicht wo sie war und was sie jetzt tun sollte. Außerdem sah er zwar kriegerisch aus, aber er machte nicht den Eindruck, als wäre er ein Verbrecher. Wenn er etwas vorgehabt hätte, dann wäre es bestimmt schon geschehen. Also trottete sie hinter dem Unbekannten her.

Den ganzen Weg über war der Fremde gesprächig wie ein Fels. Brigdet versuchte es ein paar Mal mit freundlich gemeinten Fragen nach dem Wo und Wie ihres Hierseins, aber der Mann schwieg. Sie waren eine ganze Weile unterwegs, da sah sie wie sich ein Turm aus dem Dunkel schälte. Er war für ihre Begriffe riesig, höher als der Leuchtturm, den sie einmal mit den Eltern besucht hatte. Als sie am Fuß des Turmes angelangt waren, brach der Fremde sein Schweigen und forderte Brigdet auf, hinein zu gehen. Die Tür war mit eigenartigen Symbolen verziert und sie hatte Mühe, überhaupt den Knauf zu drehen, um das Tor zu öffnen. Der Fremde ging hinter ihr her.