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Severins Gang in die Finsternis

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III

An einem frostklaren Abende im vorigen Winter hatte sich Zdenka in Severin verliebt. Die Straße führte sie zusammen, in der sie beide planlos zwischen den hastenden Leuten gingen. Die kleinen Lokomotiven der Kastanienverkäufer standen mit roten Augen am Rande der Fahrbahn. Langsam und ganz vereinzelt fielen ein paar taumelnde Flocken in das Licht der Lampen. Zdenka sah ihnen zu und dachte an die hellen Flügel der Mücken, die im Sommer um die leuchtenden Kugeln gaukeln. Sie war noch ganz versunken, als Severin sie ansprach. Dann aber lachte sie heiter und als sie in sein hübsches, von der Kälte verschöntes Knabengesicht schaute, wurde ihr leicht und fröhlich zumute. So gingen sie miteinander durch die Stadt. Sie betrachteten zusammen den lustigen Kram in den Auslagen der Spielwarengeschäfte, wo eine kleine Eisenbahn auf wirklichen Schienen lief und bewunderten den ausgestopften Tiger, den ein Teppichhändler zur Reklame ins Fenster gestellt hatte. Sie blieben vor den vereisten Scheiben der Delikatessenhandlungen stehn, hinter denen die goldenen Sprotten in den weißen Holzkistchen glänzten. Dann kaufte Severin ein Abendessen für beide und sie ging mit ihm in seine Junggesellenstube.

Zdenka arbeitete bis sechs Uhr abends in einem Kontor. Ihre Eltern waren beide gestorben und sie wohnte allein in einem Zimmer auf dem Altstädter Ring. In der Zeit, in der sie ihre unfrohe Jugend selbst betreuen mußte, hatte sie sich schon einige Male an fremde Männer fortgegeben und sie bat es Severin unter Küssen weinend ab, daß er nicht der erste war, dem sie ihre Liebe schenkte. Er nahm ihre zitternde Zärtlichkeit großmütig entgegen und auch später, als er sah, wie aus der spielerischen Laune jenes Abends eine Leidenschaft in ihr emporwuchs, gab er sich keine Mühe. Sie war ihm ein Trost in der Leere seines gelangweilten Herzens, das durch die Gläubigkeit und den Glanz ihrer Liebe nicht verwirrt wurde. Er hörte ihr zu, wenn sie mit einer singenden Altstimme von ihrem Glücke sprach und freute sich über die ungeübten Worte, die sie wählte. Im Grunde aber ließ sie ihn kalt. Sie hatte nichts von der verzehrenden Flamme, von dem Blitzlichte an sich, das seine Seele brauchte. Sie war eine niedliche und schwärmerische Begebenheit, die ohne Wucht und ohne Fatum geschah und die ihn nicht interessierte.

Für Zdenka aber war Severin ein wundervolles Erlebnis geworden. Mit einer unabwendbaren Kraft hatte es sie ergriffen, als er sie damals von der Straße nach einer kurzen Stunde mit in seine Wohnung nahm. Und einmal sein eigen, liebte sie ihn mit einer scheuen und grenzenlosen Verzücktheit. Das slawische Blut, das bei den Männern ihres Volkes in Haß und Revolten losbrach, hatte in ihr einen Überschwang geboren, dem sich nun alle Schleusen öffneten. Sie fühlte erschreckt, daß sie dagegen nichts vermochte und spürte es zuinnerst mit Seligkeit und Grauen.

Es kamen schöne Tage für sie. Sie ging mit Severin in der Stadt umher, wie er es seit Jahren gewohnt war. Sie bekam jene Feinhörigkeit für die Geräusche und fernen Rufe in ihr, die ihm innewohnte und die er sie lehrte. An dem Geruche der Steine und des Pflasters erkannte sie die Straße, in der sie schritt, wenn sie die Augen schloß und sich von ihm führen ließ. Er erschloß ihr die monotone Schönheit in der Landschaft der Vorstädte, die Schauer des Wyschehrad mit den großen Steintoren, wo das Denkmal des heiligen Wenzeslaus stand. Sie lernte die Moldau lieben, wenn in der Dunkelheit die Lichter des Ufers auf dem Wasser schwankten, und den Duft des Teers auf den Kettenbrücken. Sie saß mit ihm in den Wirtshäusern der Kleinseite und war bezaubert von der breitspurigen Gemächlichkeit der alten Herren, die hier ihren Schoppen tranken. In dem dicken Zigarrenrauche verschwammen die Bogenwölbungen der niedrigen Decke, die Napoleonbilder an den Wänden in einem farblosen Grau. Sie besuchte mit ihm die Vikarka auf dem Hradschin, wo ein paar Armlängen von der Türe entfernt der Dom in die Höhe ragte, wunderliches Mauerzierat und Steinfiguren in den Nischen. Sie verstand allmählich die stille Sprache der Stadt, die Severin geläufiger war als dem Tschechenmädchen. Sie begriff es, daß zwischen ihren gedunkelten Mauern, ihren Türmen und Adelshäusern, ihrer fremdartigen Abgestorbenheit eine verhaltene Phantastik mit ihm groß geworden war, daß er immer mit dem Gefühle die Straße betrat, daß ihn heute ein Schicksal erwarte.

Als das Frühjahr und der Sommer sich meldeten, stand sie mit ihm vor den Weihern des Baumgartens und fütterte die Schwäne. Oder sie fuhr mit ihm auf der Fähre nach Troja. Durch die Tore der Schanzwälle und der Festungswerke gingen sie nach Pankraz hinaus und saßen mitsammen bei dem steinernen Gasthaustische im Garten, wo schon der einäugige Žižka in den böhmischen Kriegen gerastet hatte. Unweit erhob sich die Strafanstalt wie eine kleine Stadt im Felde und auf den Rasenplätzen arbeiteten die Gefangenen mit dem Spaten. Hinter den einstöckigen Häusern führte die Straße in das nahe Dorf und in den Wald. Die Melodie der Leierkasten mischte sich mit dem Getöne der Pappeln und der Telegraphenstangen. Ausflügler kamen und die Fiaker warfen den handhohen Staub nach der Windseite. Manchmal kehrten sie auch in der Straßenschänke »Zum grünen Fuchsen« ein. Vor Jahren, als Severin noch ein Kind war, gab es hier ein vorzügliches Bier und eine gute Küche; auch viele Deutsche machten damals einen Spaziergang zu der Fuhrmannskneipe. Jetzt wurde hier Sonntag für Sonntag getanzt und die rotweißen Fahnen flatterten über dem Haustore. Aber ein paar Schritte weiter lärmte ein Ringelspiel. Da setzte sich Zdenka zuweilen mit Severin in eine der goldenen Schaukeln und machte eine Reise. Ein Mann mit hohen Stiefeln schlug die Trommel und die Kinder jauchzten. Die Musik spielte die Barkarole aus »Hoffmanns Erzählungen«.

Das waren köstliche Stunden für Zdenka. Sie bemerkte es kaum, wenn Severin unwirsch und einsilbig wurde und tröstete sich mit dem nächsten Lächeln, das er ihr gab. Aber als dann der Herbst hereinbrach und ihr Severin immer mehr entfremdete, war sie zaghaft wie nie. Es kam vor, daß sie ihn tagelang nicht zu Gesichte bekam. Still und mit traurigen Schritten ging sie nach Hause und setzte sich in ihr Stübchen. Auf dem großen Platze unter ihrem Fenster war es lebendig, nur die Dienstmänner faulenzten an den Ecken. Zdenka wartete, bis es ganz finster wurde. Erst spät am Abende machte sie Licht.

Mit einer unbegreiflichen und zwecklosen Grausamkeit hatte ihr Severin von Susanna erzählt. Mit kalten Augen forschte er in ihren Zügen nach dem Flämmchen der Eifersucht, während er mit breiter Deutlichkeit sein Abenteuer schilderte. Es mißfiel ihm, daß ihre Liebe so standhaft und unverletzt dabei blieb und daß kein Vorwurf ihre Lippen regte. Jenes Mädchen im Theater fiel ihm ein, das die Bewegungen Zdenkas hatte und das Stück, in dem sie spielte. Wie stand sie damals schlank und zerbrechlich auf den Brettern und das Schicksal schüttelte sie! Aber nichts von alledem geschah. Nur ein Schmerz flog wie ein Gleitschatten über Zdenkas Gesicht und er wußte nicht einmal, ob er sich täuschte.

Es kam jetzt immer seltener vor, daß sie einander Sonntags trafen. Dann gingen sie meistens durch die Anlagen der Stadt, wo schon die kalten Herbstblumen brannten. Die eisernen Stühle im Stadtpark standen unbenützt in dem nassen Sande und die Sodawasserbuden waren leer. Hie und da fuhren sie auch mit der Drahtseilbahn auf die Hasenburg hinauf. Zdenka blieb vor den Bildern des Kreuzweges stehn, wo jährlich in der Nacht auf den Karfreitag die Leute beteten. Dort war auch die Kapelle des heiligen Laurenzius. Von oben sah man die Stadt im Spätnachmittagsdunste und ein träger Wind fegte die dürren Blätter langsam in die steinernen Regenrinnen der Wege. Zdenka trat mit dem Fuße auf die weißen Beeren, die von den Sträuchern auf die Erde rollten. Als Kind hatte sie sich immer über den kurzen Knall gefreut, mit dem sie zersprangen. Ein Soldat kam ihnen entgegen, der sich zu seinem Mädchen beugte und sie küßte. Zdenka ging neben Severin mit einer Seele voll Tränen.

IV

Im Atelier des Doktor Konrad waren schon die Gäste versammelt, als Lazarus Kain und Severin eintraten. Ein Gewirr von Stimmen schlug ihnen aus dem Zigarettendampfe entgegen, das ungewohnte Durcheinander deutscher und tschechischer Gespräche und das gezierte Lachen der Frauen. In einer Ecke waren einige auffallend gekleidete Modellmädchen um einen Tisch beschäftigt und unterhielten sich mit einem italienischen Würfelspiele. Nachlässig an den Türpfosten gelehnt stand die wunderbar schlanke Figur einer Dame im schwarzen Samtkleide neben der blonden Ruschena und sah zu. Severin erkannte sie sofort. Scharf und lebendig wie ein eben geschauter Vorgang stieg ihm ein Bild in der Erinnerung auf, an das er nun schon lange nicht mehr gedacht hatte. Als Schulbub in dem Jahre vor der Matura war er in den Ferien einmal vormittags über die Ferdinandsstraße gegangen, während gerade die elegante Welt ihre Promenade machte. Da war sie ihm aufgefallen mit der großen, blutroten Straußfeder auf dem Hute, in ihrer seltenen, kostbaren Schlankheit, mit dem lieblichen und gefährlichen Lächeln, das er nur einmal später auf einem Gemälde der büßenden Magdalena wiedergesehn hatte. Ein schöner junger Mann trat grüßend auf sie zu und küßte ihre behandschuhten Finger. Dieser Augenblick war ihm im Sinne haften geblieben und wurde jetzt wieder deutlich in ihm: die festtägig bewegte Straße, das glatte Geräusch der Gummiräder, mit dem die Kutschen über das Pflaster fuhren und mitten im Gewühle der Menschen und der Toiletten jene Bewegung voll unnennbarer Gnade, mit der die Fremde dem jungen Dandy die Hand zum Kusse reichte. Später war er ihr noch manchmal begegnet, flüchtig und unaufmerksam und dann lange nicht mehr. Sie war eine Sängerin des Nationaltheaters, die damals gerade auf der Höhe der Volksgunst stand. Jetzt erzählte ihm Kain, der seinen unverwandten Blick bemerkte, ihre Geschichte. Durch eine Krankheit, die sie von einem ihrer Liebhaber übernommen, verlor sie die Stimme. Sie versuchte noch ein paarmal ihr Glück bei den Bühnen der Provinz, bis es dann nicht mehr ging. Jetzt war sie wieder in Prag und Kain hatte sie schon verschiedene Male in Doktor Konrads Atelier getroffen.

 

Es war nicht Sitte in diesem Kreise, daß die Gäste einander vorgestellt wurden. Jeder kam und ging nach Belieben. Als aber dann der Hausherr die Neueingetretenen begrüßte, bat Severin trotzdem, ihn zu der schwarzen Dame zu führen. Er stand vor ihr und verbeugte sich, als Doktor Konrad seinen Namen nannte. Er forschte in ihrem Antlitz nach der Anmut jenes Moments. Dann nahm er die Hand, die sie ihm reichte, in die seine und küßte sie. Sie sah ihm erstaunt in die Augen und lächelte. Aber es war nicht mehr das Lächeln, das er an ihr kannte. Ihr Mund war weiß und ohne Schminke und verzog sich ein wenig in einer gezwungenen Gleichgültigkeit.

Wo ist denn Ihr Hut mit der roten Straußenfeder? – fragte Severin.

O – meinte sie verwundert. Sie hob den Kopf und drehte ihn in der Runde, als ob sie sich auf einen Traum besänne. Dann sagte sie langsam und ihre Worte hatten einen spröden, von einer leisen Heiserkeit verschleierten Klang:

Der Hut mit der roten Feder – der ist schon lange perdu –

* * *

Severin hielt sich den ganzen Abend über an Karlas Seite. Die Stimmung war allmählich immer lauter geworden und die blonde Ruschena, geputzt und frisiert wie eine Puppe, holte ihre Mandoline. Die Modellmädchen hatten das Würfelspiel aufgegeben, sie saßen schwatzend beim Tische, aßen belegte Brötchen und schlürften den Sekt, den der Diener servierte. Lazarus Kain hatte sich zu ihnen gesellt und erzählte Anekdoten. Einige der Herren waren mit ihren Mädchen gekommen. Die saßen nun kauend in den bequemen Atelierstühlen und zeigten unter den kurzen Röcken ihre Beine. Ein unglaublich magerer Mensch im modischen Gehrock und mit noblen Allüren saß neben Doktor Konrad und weissagte den Gästen, die zu ihm kamen, der Reihe nach die Zukunft aus den Linien ihrer Hand. Auch Severin ging zu ihm hin und bat ihn darum. Der magere Mensch blickte ihn hinter den runden Brillengläsern forschend an und hielt seine Hand länger als die der andern vor sein Gesicht.

Sie haben ein Schicksal erlebt – sagte er dann, als er wieder aufsah – ein großes Schicksal, was war das? –

Ich habe nichts erlebt – sagte Severin und zog seinen Arm zurück.

Dann kommt es noch – Sie haben eine Hand, vor der man sich fürchten könnte.

Severin ging auf seinen Platz zurück und setzte sich wieder neben Karla. Es ärgerte ihn, daß er dem Buchhändler gefolgt und mit heraufgegangen war. Der saß nun vergnügt unter den lachenden Dirnen und amüsierte sich. Seine eckigen Schultern hüpften und sein kahler Judenschädel zitterte. Severin lauschte in den Lärm mit einem Gefühle des Ekels und der Traurigkeit. Der Tabakqualm stieg in breiten Bändern in die Luft und legte sich um das Licht der Lampe, die an kunstvoll gearbeiteten Ketten von der Decke hing. Ab und zu ging Doktor Konrad von einer Gruppe zur andern und spielte mit der übertriebenen Höflichkeit des Slawen den Wirt. Er war ein großer vollbärtiger Mann und mochte ungefähr dreißig Jahre alt sein. Unter dem Smoking trug er eine helle Phantasieweste mit blauen Knöpfen. Sein kluges Gesicht war von einer etwas tartarenhaften Schönheit. Severin sah ihm zu und suchte zu ergründen, warum dieser Mann, dessen Doktortitel in seiner Umgebung einen fremdartigen Klang annahm, die Tage in kostspieligen und inhaltlosen Schlemmerein verbrachte. Ihm fehlte der erotische Anreiz von Situationen, wo ein paar Modelle mit frecher Grazie die Röcke übers Knie schoben, die hübsche Ruschena sentimentale Strophen und unanständige Lieder klimperte, wo der Sekt die Weiber betrunken machte und der alte Lazarus sein Repertoir von Kalauern aufbrauchte. Ihn dürstete mehr wie je nach dem wirklichen Leben, das Blumen und Grauen bescherte und das mit Sturmbacken den Alltag zerblies. Bisher waren es nur Surrogate gewesen, die ihm genügen mußten. Sein Verhältnis mit Zdenka, das jeder großen Form entbehrte, das Spiel mit Susanna und nun hier der wüste Kehraus in Konrads Atelier, wo er übellaunig neben der schlanken Karla saß. Er sah sie von der Seite an und studierte die Spuren, die ein wechselvolles Dasein in ihr feines Gesicht gegraben hatte. Er wußte, daß auch sie in kurzer Zeit ihm gehören werde, denn es ging von ihm eine Kraft aus, die die Weiber zu ihm zwang, die sie lockte, seinen verschlossenen und schweigsamen Mund zu küssen. Auch hier merkte er es, wie sie alle mit matten Augen nach ihm lächelten, wie auch die blonde Ruschena ihn mit heißen Blicken ansah. Und neben ihm lag die schmale Hand Karlas, die damals der schöne Kavalier geküßt hatte, auf der Polsterlehne des Stuhles. Sie kannte das Theater und das Leben. Er wollte sie fragen, ob es denn nicht möglich sei, sich ein künstliches Leben zu schaffen, das dem wirklichen zum Verwechseln ähnlich war und das man meistern konnte. Ob es nicht anging, Tragödien in die Tage zu bauen, Operetten mit tiefen und nachklingenden Pointen? Was war denn die Bühne? Auch da war es ja doch nur ein Spiel und dennoch weinten und jubelten die Leute, Verbrechen geschahn und die Angst schlug mit den Flügeln gegen papierene Wände. Aus den Launen und Eigenwilligkeiten des Herzens ein Schicksal machen, für sich und für andere, so wie man Landschaften und Städte im Theater aus Holz und Pappe macht – war das so schwer?

Aber Karla schüttelte nur leise den Kopf.

Wozu? Wozu? – Es kommt ja doch alles von selbst –

Nein! Nein! – schrie Severin – das ist nicht wahr!

In diesem Schrei war eine Anklage ohnegleichen, eine überhitzte Sehnsucht, wie sie mancher hier kannte, und die sich wie ein Echo an den verqualmten Wänden des Ateliers zerstieß. Es wurde still und die Gespräche verstummten. Alle sahen nach Severin hin, Ruschena legte die Mandoline beiseite und hing mit den Augen an seinem leidenschaftlichen Gesicht. Karla strich mit nervösen Fingern den schwarzen Samt ihres Kleides zurecht und beugte sich zu ihm. Die glühende Schönheit früherer Tage wachte mühsam in ihrer rauhen und zerrissenen Stimme auf und es klang darin wie der Ton in einem gesprungenen Glas. Sie sprach zu ihm von dem Glanz ihres Lebens, als sie noch den Hut mit der roten Straußenfeder trug. Von dem Jüngling, den Severin damals auf der Straße gesehen und der sie geliebt hatte. Sie sprach von den Untiefen und Niederungen des Glücks. Sie flüsterte und stockte, und mit einem Male war wieder das liebliche Magdalenenlächeln auf ihren Lippen, auf das er den ganzen Abend vergebens gewartet.

Da kam eine fieberische Lustigkeit über Severin. Er nahm sein Glas, stieß mit Karla an und trank. Immer wieder goß er den kalten Schaumwein durch die Kehle, bis ihm das Atelier zu einem Durcheinander von Gestalten und Gesichtern verschwamm, bis Ruschena mit der falschen Lockenfrisur auf dem Teppich in der Mitte mit fliegenden Röcken einen Cancan zu tanzen begann.

V

Zwischen Nikolaus, der an dem Atelierabend Doktor Konrads die Gäste mit seinen Handlesekünsten unterhalten hatte, und Severin war es seither zu einer Art Freundschaft gekommen. Es war etwas Unklares und Unergründetes in der Person des jungen Studenten, das Severin anzog und seine Gesellschaft suchen ließ. Niemand wußte etwas Genaues über Nikolaus zu berichten, der vor ein paar Jahren nach Prag gekommen war und an der Universität die philosophischen Fächer studierte. Auf den Sportplätzen auf dem Belvedere sah man ihn beim Fußballspiel und beim Tennis, und man begegnete ihm in den Bootshäusern der Ruderklubs an der Moldau. Abends saß er in den Kaffeehäusern der Stadt, spielte stundenlang Schach mit allerhand Leuten und trank zwischendurch aus einem dünnen Strohhalme ungezählte Gläser Schwedenpunsch. Man wußte, daß er reich war, eine große und wertvolle Bibliothek besaß, mit Künstlern Umgang pflegte und okkultistische Liebhabereien betrieb. In seiner mit Eleganz und gutem Geschmack ausgestatteten Wohnung gab es eine Menge merkwürdiger und ungewohnter Dinge, Buddhabronzen mit unterschlagenen Beinen, mediumistische Zeichnungen in metallenen Wandrahmen, Skarabäen und magische Spiegel, ein Porträt der Blavatsky und einen wirklichen Beichtstuhl. Man erzählte, daß in seinem Zimmer einmal ein Mensch auf geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen sei. Niemand war Zeuge dieses Vorfalles gewesen und die gerichtliche Untersuchung ergab, daß der Revolver, ein schönes und kostbares Stück, das Nikolaus seinem Besucher zeigte, unversehens sich plötzlich entladen und ihn getötet hatte. Das Verfahren gegen Nikolaus wurde eingestellt, aber ein hartnäckiges Gerücht brachte noch lange Zeit eine Dame der Gesellschaft mit dem Unglück in Verbindung und man munkelte von Totschlag und einem amerikanischen Duell, ohne daß Nikolaus in Hinkunft sich bewogen fand, diesen verdächtigen Geschichten entgegenzutreten.

Auf Severin machte die Erzählung von dem rätselhaften Tode des jungen Menschen einen ungeheuren Eindruck. Mit einer unverhohlenen Scheu betrachtete er das hagere Gesicht seines neuen Bekannten, wenn er die Abende nun mitunter in dessen Wohnung verbrachte und von den schweren Schnäpsen kostete, die Nikolaus in den matt gefärbten Gläsern kredenzte. Immer wieder gingen seine Blicke nach dem zierlichen Damenschreibtisch hinüber, wo scharf geschliffene Dolche zwischen Büchern und Papieren lagen, wo er hinter den gelben Messingschlössern die Schußwaffe vermutete, die damals den Tod in dieses Zimmer gebannt hatte. Den Tod. Es war etwas in dem dumpfen Klange der Silbe, das ihm aufreizender, beziehungsreicher zu sein schien, wie alle die schläfrigen Äußerungen eines behüteten Lebens. Ein kleiner und perverser Neid kroch an die Oberfläche seiner Seele und blieb in trüben Blasen zögernd stehen. Neid gegen Nikolaus, der mit gleichmütigen Händen mit dem Opalring an seinem Finger spielte, über Bücher und Zeitschriften plauderte, während der Teppich unter seinen Füßen vielleicht noch das trockene Blut des Mannes bewahrte, der auf ihm gestorben war. Er fühlte die Überlegenheit eines Charakters, der sich korrekt und blasiert vor der Welt verriegelte, der trotz seiner Jugend nichts mehr von der unsicheren Gestaltslosigkeit hatte, der dem seinen innewohnte.

Auch Karla kam manchmal mit ihm in das Zimmer zu Nikolaus. Seit ihrer Begegnung mit Severin folgte sie ihm auf Schritt und Tritt und wußte es so einzurichten, daß sie fast täglich mit ihm zusammentraf. Für ihre empfindsame, von Frösten und Gluten geprüfte Seele war er ein neues, noch ungenossenes Fieber, dem sie verfallen war und dem sie erlag. Sie warb um ihn mit einer beharrlichen Verliebtheit, mit dem echten und ungekünstelten Schmachten ihres schwermütigen Wesens, mit den erfahrenen Künsten einer rücksichtslosen Koketterie. Auch Severin konnte sich der Wirkung ihrer Persönlichkeit nicht entziehen, aber es ging ihm mit ihr wie mit allen Erlebnissen, die bisher an ihn herangetreten waren. Es gab Augenblicke, wo sich sein Herz an der Schwelle dessen glaubte, was er nur dunkel tastend verstand und was für ihn ohne Namen war. Dann zitterten die Hände beider ineinander, dann hatte alles, was um ihn geschah, einen goldenen und besonderen Glanz, dann saß er still und unbeweglich und fühlte die Dinge der Welt um sich in einer betörenden Schönheit. Dann kamen wieder Stunden, in denen ihn die Gnade ganz verließ. Da spürte er mit Groll und Trauer, daß ihn eine Laune täuschte. Er sah die Lichter in Karlas Augen, ihren hohen und schlanken Leib, ihre lässigen Glieder. Er sah die kupplerischen Schatten der Dämmerstunde, die fahl und verlegen zur Erde hingen, auf der mit einem Male kein Wunder mehr war. Und er küßte Karla auf ihren Mund und nahm sie, so wie er Susanna genommen hatte und Ruschena nehmen würde, wenn sie ihn darum bat.

Er sprach mit Nikolaus über sein Herz. Er erzählte ihm alles, was er bei sich bedachte, wenn er des Morgens im Bureau die Zahlen auf das graue Papier schrieb und das nackte Licht der elektrischen Birne auf der feuchten Tinte flimmerte. Er sprach von dem Buche, das er als Knabe gelesen, von der Angst, die ihn manchmal erfaßte, wenn er vor der verschlossenen Türe seiner Wohnung stand und sich minutenlang nicht getraute sie zu öffnen, gerade als ob sich etwas Schweres für ihn damit entscheiden sollte. Er weihte ihn in seine Liebesabenteuer ein, so weit er sich an alles entsinnen konnte, was ihm in durchschwärmten Nächten, in den Bars und Tingel-Tangels der Vorstädte in dieser Hinsicht widerfahren war. Immer hatte er geglaubt, im Innersten berührt zu sein, das große und absichtslose Geschehen in sich zu spüren, das die andern alle überwältigte, das die Frauen in die Moldau trieb und den Männern die Pistole an die Stirne drückte. Einmal war er dabei gewesen, als die Flößer am Flußufer von Podskal die Leiche eines Weibes aus dem Wasser zogen. Es war eine junge Person aus dem Volke, ein Dienstmädchen oder eine Handwerkersfrau, und die nassen Kleider, die an dem starren Körper klebten, legten sich straff um die kräftigen Schenkel und die runden Brüste. Severin kam dazu, als die Leute sich um die Tote versammelten und der Polizeimann seine Notizen machte. Er sah ihr im Sterben verkrampftes Gesicht und den bläulichen Mund und fragte sich, wie wohl das Dasein dieses Menschen beschaffen gewesen sein mußte, welche Gewalttätigkeiten und Nöte es zu diesem Ende brachten. Er las täglich in der Zeitung von einem Selbstmord. Bald hatten sich zwei in einem Hotelzimmer erschossen, bald nahm ein Mädchen Gift und starb unter Qualen. Halbe Knaben noch, Schuljungen und Fünfzehnjährige töteten sich, weil sie das Leben nicht mehr ertragen konnten. Severin begriff das nicht. Er sah mit Trotz und Einsamkeit die lange Reihe der Unglücklichen, die an einem Haß oder einer Liebe zugrunde gingen, er las in den Gerichtsverhandlungen der Tagesblätter von den Mühseligen, die erschüttert zwischen den Schicksalen schwankten. Die Zahl der Opfer und der Sieger in diesem Kampfe wuchs vor seinen Augen und er wußte, daß auf der Straße neben ihm Menschen mit brennenden Seelen gingen, Hasardspieler, die ihr Glück auf eine Karte setzten, Bankrotteure, die es nicht mehr konnten.

 

Nikolaus hörte ihm nachdenklich zu und schob mit einer kleinen Elfenbeinschaufel die Haut hinter seine polierten Nägel. Und als Severin von Zdenka und Susanna sprach, von den Frauen, die er kannte, wie er in den Armen der Kellnerinnen, im Bette der Jüdin, unter den Liebkosungen Karlas vergebens auf den Rausch seines Blutes gelauert, meinte er:

Weibergeschichten sind nichts für Sie. Ich glaube, daß Sie etwas Größeres erwartet. –

Severin erschrak. Er gedachte der sonderbaren Prophezeiung, die Nikolaus bei ihrer ersten Begegnung im Atelier des Doktor Konrad aus den Linien seiner Hand gelesen hatte. Er fühlte seine Pulse schlagen und empfand mit Sträuben und Schauer die Nähe eines unförmigen Geschicks, dem er mit allen Sinnen zustrebte und das er nicht kannte.