Free

Das letzte Märchen

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Das letzte Märchen
Font:Smaller АаLarger Aa

Ein Märchenroman


An die Verwunderten

Jawohl, ich bin ein Bürger dieser Stadt! Ich arbeite und schiebe Kegel, ich zahle Steuern und räsoniere auf den Magistrat, ich bin amtlich bestallter Armenpfleger und agitiere mit den Mietern gegen die Hausbesitzer, ich würde sogar im Konsumverein sein, wenn das mein Schwager, der ein Kaufmann ist, erlaubte.

Ihr seht, die wichtigsten Merkmale treffen bei mir zu: ich bin wirklich ein Bürger dieser Stadt. Kein Wichtiger, kein Reicher, keiner von den vielen Sehrklugen, im ganzen einer der armen Schlucker, die ihre Pflicht tun müssen, die am Tage immer etwas zu klagen und zu schimpfen haben, aber die doch am Abend zu lachen anfangen.

Es ist schön in unserer Stadt, o ja! Ich glaube, wir haben das beste Straßenpflaster von allen Städten Preußens, und wir fabrizieren ein Bier, das sogar exportiert wird, wir haben einen Professor hier, über den man schon einmal im ganzen Lande geschimpft hat, und besitzen eine alte Glocke, über die ein leibhaftiger Dichter aus der Literaturgeschichte ein langes Gedicht gemacht hat. Ich könnte noch vieles anführen, aber es ist ohnehin bekannt, daß ich ein Lokalpatriot bin. Ich habe einmal, als ich acht Wochen lang verreist war, jeden Abend von sechs bis sieben Uhr Heimweh gehabt nach unserer Stadt. –

Ihr, meine Freunde, wißt, daß ich viele Geschichten erzählt habe. Sie alle spielten in unserem Leben; sie hatten alle den festen Boden unserer Straße unter sich, Fleisch von unserem Fleisch, Seele von unserer Seele. Schicksal von unserem Schicksal wollte ich geben.

Und nun bin ich in diesem Buch ein anderer, bin fort von Euch, fort aus unserer Stadt, fort aus unserem Leben.

Geflohen ... geflohen!

Ich will Euch ein großes Geheimnis anvertrauen, meine Freunde, eines, das Ihr mir heilig halten sollt.

Meine Seele kann sich wandeln: sie kann zur Kinderseele werden, zur Kinderseele, die jung und keusch ist, unwissend und fröhlich. Ihr kennt die Kinderseele nicht, Ihr kennt nur die andere ... die alte. Die Kinderseele habe ich nur, wenn ich fort bin auf weiter Reise, in unendlich fernen Ländern, nach denen kein hölzerner Wegzeiger weist.

wißt Ihr, was ich manchmal im Frühling gern tun möchte? Einen Backofen im Sande bauen, oder ein kleines Grab graben auf der Wiese, oder einen Zweipfennig auf die Eisenbahnschienen legen und am Damme mit klopfendem Herzen lauern, wie ihn der Zug breitfährt. Merkt Ihr, daß ich das niemandem sagen kann? Sie würden lachen, und meine arme, kleine Seele würde sich totschämen und dann gar nicht mehr wiederkommen.

Sie kommt schon so selten, vor der Arbeit und der Schuld, vor der Liebe und dem Verrat, vor dem wirbelnden Leben und dem bleichen Tode, vor dem vielen Gelächter und vielen Geschrei im Lande ist sie scheu geworden.

Aber sie lebt noch. Manchmal, wenn ich im Sturmwind wandere, fürchte ich mich auch jetzt noch, umzublicken, weil ich glaube, daß ein prustender Riese hinter mir schreitet; manchmal sehe ich jetzt noch am Himmel weiße Berge mit leuchtenden Almen und einsamen Fußpfaden; manchmal, wenn ich auf dem grünen Rasen liege, weiß ich wieder, daß da unten die Welt ist, in der die reichen Zwerge wohnen.

Und es geschah zuweilen, wenn ich am Schreibtisch saß, daß mir ein Kinderlachen aus der eigenen Seele hineinschallte in den ernsten Text. Dann freute ich mich, aber ich fürchtete mich auch, fürchtete mich vor denen, die es mir nicht verzeihen würden, wenn ich so jung wäre. Und dann habe ich oft Jugend und unbesorgte Fröhlichkeit aus meiner Stube hinausgesperrt.

Jetzt ist mir die Furcht vergangen. An diesem Buche darf der Mann schreiben und das Kind.

Das letzte Märchen! Mein letzter Gang in die süße, heilige Herrlichkeit jener Wunderländer, nach denen sonst nur die reichsten Menschen dieser Erde reisen können – die Kinder, – eine Flucht zurück zur Harmlosigkeit, Zur Gesundheit, zu einer Freude, auf die keine Qual folgt.

In dieses Buch will ich alles retten, was in mir noch jung, nein, was in mir noch Kind ist.

Wollt Ihr mich begleiten? Ihr meint, Ihr seid alt. Ich bin auch alt. Auch in diesem letzten Märchen wird mir die Kinderseele aus meinen alten Augen schauen, die Menschen studierten, Bücher lasen, die viel lachten und viel weinten. Meine Augen kann ich nicht mehr ändern.

Kommet mit! Nicht alle! Nur die, die in ihres Lebens heimlichsten Stunden in der Brust das alte Kinderherz noch manchmal ein paar Schläge tun fühlen, die manchmal eine Sehnsucht haben, in die Heimat zu gehen und alte Spielplätze wieder aufzusuchen, die nicht zu stolz und auch nicht zu arm sind, eine unbesorgte Märchenfahrt zu wagen, die in reifen Tagen unsere ersten Wunderländer im gewandelten Lichte noch einmal wiedersehen wollen.

Viel losgerissene goldene Fäden verflattern nutzlos in der Menschenseele. Sie wollen wir sammeln. Im letzten Märchen liegt der ersten Märchen Erfüllung. Sie wollen wir suchen.

***

Ein Krähenritt durch die Luft hat viel Sonderbares an sich. Ich kann sagen, daß ich weich und warm saß und keinerlei Erschütterungen verspürte, auch recht schnell fortkam. Nur der Gedanke, ich könne jeden Augenblick! einige hundert Meter tief hinunterfallen, hatte viel Unangenehmes an sich. Auch entsteht durch die rasche Bewegung und den beständigen Flügelschlag der Krähe ein ziemlich heftiger Luftzug, so daß ich Personen, die leicht zu katarrhatischen Anfällen neigen, einen Krähenritt nicht empfehlen kann.

Mein Begleiter und ich sprachen wenig miteinander; auch die Krähen verhielten sich ziemlich schweigsam. Diese Tiere haben überhaupt, wie ich später erfuhr, nur einen sehr geringen Wortschatz. Was über die gewöhnlichen Phrasen, Essen, Trinken und Eierlegen betreffend, hinausgeht, sind fast nur Schimpfworte. Aber es gibt Menschen, bei denen es ähnlich ist.

Ein paar Sterne leuchteten, der Mond machte seine Reise durch die weißen Schneewolken. Er sah so weiß aus, als ob er fröre. Der Trubel der großen Stadt verklang hinter uns, die hellen Lichter erloschen, wir kamen übers freie Feld. Das lag in einem blauweißen, frostigen Licht. Auf den verschneiten, öden Wiesen bei den vermummten Weiden standen ein paar zitternde Rehe. Die Wälder stöhnten leise vor Frost, und auf den Bergen lastete eine eisige Kälte.

Da fing auch mich an zu frieren, denn ich war ohne Überzieher. Herr von Stimpekrex bedauerte sehr, nicht wenigstens eine Reisedecke mitgenommen zu haben.

Ich fühlte an meine Nase und stach mich daran wie an einer Nadel. So hart, spitz und klein war sie. Es mußte furchtbar sein, in eine so kleine Nase einen großen Schnupfen zu bekommen.

»Wenn wir wenigstens einen Schluck Kognak bei uns hätten!« seufzte ich.

Mein Begleiter sah mich vorwurfsvoll an, und der fatale Paragraph 17 fiel mir ein.

Und so ging es weiter durch die kalte Silvesternacht, immer unter den weißen Schneewolken hin, aus denen von Zeit zu Zeit vereinzelte Flocken wie tanzende, aufgewirbelte Papierfetzen über unseren Weg huschten.

Wenn man sehr friert, ist es gut, zu pfeifen, da macht man wenigstens den Gesichtsmuskeln Bewegung. Und die Musik macht auch etwas Courage.

Also pfiff ich. Es war eine freie Phantasie von Wagnerschem Kolorit. Allmählich aber ging die Phantasie in die Weise eines Liedes über: »Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun, drum Brüderchen –«

»Wissen Sie was,« unterbrach mich Herr von Stimpekrex, »wir werden mal Station machen, um uns ein wenig zu wärmen. Es ist hier in der Nähe ein Eichhörnchennest, eine recht nette Herberge. Der Wirt schläft freilich um diese Zeit; aber wir werden ihn herausklopfen.«

Das merkwürdige Tintenfaß

Das Merkwürdige an meinem neuen Tintenfaß war, daß es die Form eines Fasses hatte. Sonst sehen Tintenfässer immer aus wie Salznäpfe, Eierschalen, Eulen, Flaschen, Schweine oder Totenköpfe. Mein Tintenfaß aber sah aus wie ein Faß, hatte eine richtige Auswölbung, zwei Reifen und einen allerliebsten Spund.

Ich hatte dieses originelle Tintenfaß sehr lieb und zeigte es mit einem gewissen Stolze jedem Besucher. Es kam allerdings auch vor, daß es mir Kummer bereitete, ja, es wurde mir zur beständigen Versuchung, und es gab Zeiten, wo ich fest überzeugt war, daß es viel vernünftiger sei, seine Feder in eine Eule zu tunken als in ein Faß.

Eulen haben nie etwas verlockendes, weder im Tierreich, noch im Menschenreich, noch als Tintenbehälter, aber Fässer erwecken das verderbliche Gefühl eines großen Durstes und verführen zur Unmäßigkeit und Verschwendung. Ich saß kaum an meinem Manuskript, so mahnte mich das kleine Fäßlein an ein anderes viel größeres Faß, das drüben im »Blauen Adler« stand, und nach meinem Gefühl einen schöneren Saft enthielt als Tinte. Da ich nun dem großen Faß viel öfter Gesellschaft leistete als dem kleinen, so ereignete es sich, daß ich um jene Zeit weder reich noch berühmt wurde.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß ich Schulden hatte. Viel! Über fünfhundert Taler! Und ich wußte nicht, wovon ich sie bezahlen sollte. Nein, ich wußte es nicht!

So saß ich an einem Silvesterabend mit bedrücktem Herzen einsam in meiner Schriftstellerstube und betrachtete eine Anzahl Rechnungen, die als vorzeitige Neujahrsboten bei mir eingelaufen waren.

Der Silvesterabend ist ein sehr ernster Abend, an dem man nicht pokulieren, sondern lieber über die Vergänglichkeit der Zeit und anderer irdischer Dinge nachdenken sollte. Es gibt freilich Leute, die anderer Meinung sind. Das eine aber steht fest für alle: ein Silvesterabend mit Rechnungen hat etwas Schwermütiges. Ich fühlte mich aufs tiefste bedrückt, als ich meinen Namen so oft mit fetten, kalligraphischen Buchstaben vor mir sah und in seiner Nähe die Zahlen herumwimmelten wie freche, aufdringliche Ameisen. Es war ein häßlicher Anblick. Also packte ich die Blätter mit den Ameisen behutsam zusammen, schob sie beiseite, holte tief Atem und beschloß, ein Trauerspiel zu schreiben, nachdem sich zwölf andere Möglichkeiten, meine Finanzen zu verbessern, nach kurzer Prüfung als unmöglich erwiesen hatten. Ich hätte das Trauerspiel auch geschrieben und wäre jetzt wahrscheinlich schon ein sehr berühmter Dramatiker, wenn mir das Tintenfaß abermals einen Streich gespielt hätte.

 

Es verwandelte sich nämlich, während ich eifrig über die Exposition meines neuen Stückes nachdachte, vor meinen sehenden Augen in einen Mann.

Ich erschrak aufs heftigste. Ich bitte, was soll auch ein Mensch, vor dessen Nase sich am Silvesterabend ein Tintenfaß in einen Mann verwandelt, in der Eile anderes machen, als heftig erschrecken?

Übrigens ein sehr kleiner Mann! Die Wände des Tintenfasses hatten sich in einen kleinen, zierlichen Gehrock, der rote Spund in eine Uhrberlocke verwandelt. Unten zeigten sich zwei graziöse Beinchen, oben saß ein kleiner Kopf mit einem roten, frischen Gesichtchen.

Ich erholte mich ein wenig und sagte zu dem Fremdling:

»Gestatten Sie, ich bin über Sie sehr erstaunt!«

Er lachte.

»Das glaube ich, aber ich bin schon lange hier, schon so lange, als Sie das Tintenfaß haben, also fünf Wochen!«

»Freut mich,« sagte ich höflich, »Wenn Sie sich nur inzwischen nicht gelangweilt haben. Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich erst ein bißchen setzen,« entgegnete er. »Ich habe fünf Wochen lang gestanden und bin jetzt etwas müde. Bitte keine Umstände, ich sehe da einen sehr bequemen Hocker.«

Und er setzte sich auf einen Bierkorken, der auf der Schreibtischplatte lag, räusperte sich und begann, nachdem er mir eine kleine Verneigung gemacht hatte, folgende Rede:

»Zunächst beehre ich mich, Ihnen meinen Namen zu sagen: von Stimpekrex, diplomatischer Agent im Dienst Sr. Majestät des Königs Herididasufoturu des Fünfundsiebzigsten, Reserveleutnant im Leibgarderegiment Sr. Maj., Mitglied der Kommission für Veredlung der Reichsmaulwurfzucht, Doktor verschiedener Rechte, Inhaber der großen Medaille vom Verbotenen Berge und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gesellschaft für Diamantpflasterung, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht.«

Ich sah den vielseitigen Mann ehrfürchtig an.

»Es freut mich ... Herr ... Herr Doktor ... oder Herr Legationsrat oder ...«

»Herr Leutnant, bitte, das ist mir der angenehmste von allen meinen Titeln.«

»Es freut mich außerordentlich, hochverehrter Herr Leutnant, in dieser armseligen Schriftstellerbude der Ehre eines so seltenen Besuches ...«

»O, keine Komplimente! Kommen wir lieber gleich zur Sache! Herididasufoturanien, das Land, das mein glorreicher Herr, Herididasufoturu der Fünfundsiebzigste regiert, ist der Größe nach das zweite unter den Zwergkönigreichen Europas und des Mittelmeeres, der Kulturstufe nach aber bei weitem das erste. Wir haben ausgezeichneten Post — und Eisenbahndienst, telegraphieren ohne Draht, waschen mit Chlor, fahren elektrisch und schießen mit Steilfeuergeschützen. Neuerdings hat sich die Regierung sogar entschlossen, eine Zeitung einzuführen.«

»Wie? Was? Bei solcher Kulturhöhe noch keine Zeitung?«

»Nein! Sie sind übrigens sehr im Irrtum, wenn Sie meinen, daß Zeitungen mit Kultur etwas zu schaffen haben. Doch gleichviel, der Reichsrat hat die Einführung einer Zeitung beschlossen, und ich bin von unserem Kanzler beauftragt, Ihnen die Stelle eines Chefredakteurs der neu zu gründenden Zeitung zu offerieren.«

Ich war sehr überrascht, und ich hege die Vermutung, daß die meisten meiner lieben Mitmenschen ebenfalls sehr überrascht sein würden, wenn ihnen unvermutet eine Chefredakteurstelle in Herididasufoturanien angeboten würde.

»Verzeihung, Herr Leutnant,« stammelte ich, »aber da müßte ich doch vorher genau die Bedingungen kennen.«

»Selbstverständlich! Wir schließen einen genauen Kontrakt ab, der übrigens nur für ein Jahr gilt. Ein herididasufoturanisches Staatsgesetz verbietet streng, irgend einen Ausländer – und das sind Sie, mein Herr – länger als ein Jahr innerhalb der Grenzen unseres Landes zu dulden. Auch den Angestellten von Siemens und Halske, den Schüler Marconis usw. usw. behielten wir nur ein Jahr. Die Herren sind nur Instrukteure; sind wir eingerichtet, dann übernehmen wir die entsprechenden Betriebe selbst. Überlegen Sie sich die Sache; alle Ihre Wünsche sollen nach Möglichkeit erfüllt werden, denn ich halte Sie, nachdem ich Sie fünf Wochen lang beobachtet habe, als für unsere Zwecke sehr geeignet.«

Ich verfiel in tiefes Nachdenken. Der Zauber der Erscheinung packte mich, das ferne Wunderland tauchte vor meiner Seele auf, die Sehnsucht kam, nach jenem rätselhaften Gestade zu wandern, und so sagte ich mit bebender Stimme:

»Ja, ich will die Stelle annehmen! Mir ist bange, ich verhehle es Ihnen nicht, aber ich komme mit dem besten Willen zu Ihnen, und ich habe die Hoffnung, es wird mir bei Ihnen gutgehen.«

Er sah mich freundlich an:

»Ich habe mich in Ihnen nicht getäuscht! Nur Leute mit jungem Herzen können wir brauchen, und junges Herz hat Mut und faßt schnell Vertrauen. Das Vertrauen wird Sie nicht täuschen! Um mich Ihnen gleich in einer Kleinigkeit freundlich zu erweisen, erbiete ich mich, Ihre Schulden zu bezahlen.«

Ich kam in Verlegenheit.

»Sie sind sehr gütig, Herr Leutnant, es ... es ist ja in der Tat peinlich für mich, ins Ausland zu reisen, ohne... ohne meine Verbindlichkeiten zu regeln, aber... aber es sind viel... und dann, es ist mir peinlich ...«

»Ach, keine Idee! Ich gebe Ihnen einfach einen Vorschuß! Wollen Sie?«

Ich nickte verschämt mit dem Kopfe, und ein maßloses Vertrauen zu dem kleinen Herrn erfüllte meine Seele, denn es ist doch klar, daß ein Wesen, das so ganz von selbst Vorschuß anbietet, nur ein sehr edles Wesen sein kann.

»Bitte, hier sind zehntausend Mark,« sagte Herr von Stimpekrex, »mehr habe ich leider nicht deutsches Geld bei mir. Zu kurz werden Sie übrigens nicht kommen, denn wir zahlen Ihnen zehn oder, wenn Ihnen das angenehmer ist, zwanzig Millionen Mark Honorar für das Jahr, bei gänzlich freier Station, Beleuchtung und Beheizung.«

Ich war ganz erschrocken, denn so etwas war mir in meinem Schriftstellerleben noch nicht vorgekommen. Meine Bestürzung war so groß, daß ich, als Herr von Stimpekrex mich wiederholt fragte, ob ich denn zehn oder zwanzig Millionen Gehalt haben wollte, mich in der Aufregung für zwanzig entschied.

Hierauf schlossen wir einen Kontrakt ab, wozu wir ein auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches und des neuen Urhebergesetzes vom Rechtsausschuß des Schriftstellervereins ausgearbeitetes Formular benutzten. Der kleine Leutnant war mit allen meinen Vorschlägen einverstanden, nur bestand er darauf, daß als Paragraph l7 eingefügt werde:

»Der Herr Chefredakteur darf absolut nichts Alkoholisches genießen.«

Dieser Paragraph war mir peinlich, aber als mir Herr von Stimpekrex erklärte, in Herididasufoturanien seien alle Leute Abstinenzler, da ein Gesetz bei den schwersten Strafen den Genuß alkoholischer Getränke verbiete, beschloß ich, im Hinblick auf meine Rechnungen und die zwanzig Millionen dem Lande Herididasufoturu des Fünfundsiebzigsten das Opfer zu bringen.

Hierauf wurde der Kontrakt in zwei Exemplaren von mir und Herrn von Stimpekrex in seiner Eigenschaft als herididasufoturanischer Bevollmächtigter unterzeichnet.

Nun war ich ohne Sträuben bereit, sofort mit Herrn von Stimpekrex abzureisen. Ich habe einen Kontrakt, dachte ich, und dieser Gedanke nahm mir alle Bedenken. Nun ordnete ich vorher meine Angelegenheiten. Ich schrieb in aller Eile einen Brief an meine Stammtischfreunde im »Blauen Adler«, worin ich ihnen kurz meine plötzliche Abreise ins Ausland anzeigte, und teilte auf einem Zettel meiner Wirtin mit, daß in meiner Schublade drei Tausendmarkscheine lägen. Sie soll meine Rechnungen bezahlen, tausend Mark in den »Blauen Adler« schicken und den Rest für ihre zärtliche Fürsorge behalten. Auch bei der Polizei solle sie mich abmelden. »Verzogen nach Herididasufoturanien!«

Als ich fertig war, sagte Herr von Stimpekrex: »Und nun gestatten Sie freundlichst, daß ich Ihre Gestalt etwas reduziere. In dieser Länge können Sie in Heridasufoturanien nicht auftreten, so lang sind bei uns nur die Fabrikschlote. Übrigens keine Angst! Nach Ablauf Ihres Jahres stellen wir Sie in Ihrer ganzen Größe wieder her.«

Er gab mir einen kleinen, freundlichen Schlag auf den Kopf, den ich zu diesem Zweck auf die Schreibtischplatte legen mußte, und augenblicklich saß ich als winzig kleine Puppe in meinem Armsessel.

Ich war klein, lächerlich klein! Ich saß zwar noch auf meinem Armstuhl, aber unten baumelten keine Beine mehr herab, und oben ragte kein Körper mehr heraus, – es war sehr unheimlich.

Auch mein Anzug, meine Schuhe, selbst meine stimme waren ganz klein geworden.

Da war mir plötzlich sehr ängstlich zu Mute, und ich bereute bereits den Handel, der meine Leibeslänge also kläglich verkürzt hatte. Herr von Stimpekrex aber schlug entzückt die Hände zusammen und sagte:

»Sie sind ein schöner Mann, ein herrlicher Mann! Ich fürchte, unsere Damen werden ganz rasend in Sie verliebt sein.«

Diese Rede tröstete mich in meinem Gemüte, denn es ist wahr, daß alle kleinen Leute sehr eitel sind.

Der Leutnant sprang nun von der Schreibtischplatte auf das dicke Eisbärfell, das auf der Diele lag, hinab, und forderte mich auf, auch »hinabzukommen«. Ich kroch auf allen Vieren an den Rand des Stuhlsitzes und lugte hinunter. Es war ein Abgrund! Ein Schwindel faßte mich, und ich würde eher als Mensch von den Kölner Domtürmen als jetzt als Herididasufoturanier von diesem Stuhle gesprungen sein.

»Mein Herr,« sagte ich, »ich werde in alle Ewigkeit nicht da hinunterspringen, denn es würde mein Tod sein.«

»Nein, mein Herr,« entgegnete er lächelnd, »es wird Ihnen nicht das mindeste passieren.«

»Aber, mein Herr,« sagte ich wieder, »Sie müssen einsehen, daß es eine Tollkühnheit wäre. Besorgen Sie einen Luftballon, eine lange Leiter oder wenigstens einen Fallschirm, so will ich es wagen.«

Da hörte ich meine Wirtin draußen rumoren. Ein schrecklicher Gedanke fiel mich an. Wenn sie hereinkäme! Wenn es ihr einfiele, an den Schreibtisch zu treten und sich in meinen Stuhl zu setzen! Sie wog 213 Pfund! O, dann gute Nacht, du schöne Welt, ihr zwanzig Millionen und fernen Wunderländer, dann wurde ich winziges Männlein mit all meinen Hoffnungen und Talenten unter einem Flanellrock grausam zerquetscht, verschüttet, begraben.

»Kommen Sie herab, mein Herr!« rief der kleine Leutnant wieder. »Springen Sie dreist herab!«

Mir schwindelte noch immer, aber dann, als ich den Tritt der Wirtin wieder hörte und an den Flanell des Todes dachte, schloß ich die Augen und tat den tollkühnen Sprung.

O, es ging gut! Ich schlug mich gar nicht und lachte, als ich auf dem Eisbärfell saß.

Abermals hörten wir die Wirtin, und da zögerten wir keinen Augenblick mehr. Mit fabelhafter Geschicklichkeit kletterte Herr von Stimpekrex am Fenster hinauf, wirbelte es auf und zog mich mit hinaus aufs Fenstersims.

Kalt pfiff der Wind die Mauer entlang, und eine große Schneeflocke kam und deckte mir die kleine Hand zu.

Der »Blaue Adler« drüben war hell erleuchtet, und mein bester Freund trat gerade durch die Tür ins Haus. Er pfiff das wonnige Goethelied: »Nun sind wir versammelt zu löblichem Tun, drum Brüderchen ergo bibamus.« Ich wurde traurig und bekam Durst, als ich dieses Lied hörte. Aber Herr von Stimpekrex überließ mich nicht meinen sentimentalen Gefühlen. Auch er fing an zu pfeifen, leise und wunderbar, und ich ahnte wohl, daß es ein Zauberpfiff war.

Nach wenigen Minuten kamen zwei Krähen geflogen, die setzten sich neben uns aufs Fenstersims.

»Aufsitzen!« befahl der kleine Leutnant und zeigte auf die eine Krähe. Ich wandte ein, daß ich ein sehr schlechter Reiter sei und in gar keiner Unfallversicherung wäre; aber das ließ er nicht gelten.

»Riesengebirge! Station Boberquelle!« befahl er den Arähen, und zwei Minuten später sausten wir durch die Luft.