Organisationskultur der katholischen Kirche

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Die Kirche, die Franziskus mit seinen Worten, Gesten und Taten verkündet, ist eine Kirche der unermüdlichen „Dynamik des ‚Aufbruchs‘“ (EG 29). Gott ist der, der den Gläubigen bewegen will, der ihn sendet, und der sich dann mit ihm auch auf den Weg macht. Gott ist nicht der, der die Initiative ergreift, den Menschen dann aber allein auf den Weg schickt. Der missionarische „Aufbruch“, zu dem Gott alle Gläubigen ruft, ist nicht eine individuelle Expeditionins Ungewisse, sondern „stellt sich wesentlich als missionarische Communio dar“.163

Die Dynamik des durch Zeit und Raum wandernden Volkes Gottes beschreibt Franziskus mit fünf Verben, also Worten, die menschliche Aktivität ausdrücken: Initiative ergreifen und auf den anderen zugehen, sich einbringen und den Fremden mit einbeziehen, die Menschheit in allen Lebenssituationen begleiten, Frucht bringen, auch wenn Unkraut aufkeimt, und jeden kleinen Erfolg gemeinsam feiern (EG 24). Wenn Staaten, Gesellschaften oder Organisationen ihren Lebensraum behaupten wollen und ihren Weg in die Zukunft einfrieren, dann hemmen sie menschliche und soziale Reifung.164 Analog gilt das auch für eine Kirche, die ihr im Raum der Tradition Erworbenes nicht überdenken möchte und den Blick in die Zukunft gar nicht wagt. In der menschlichen Gesellschaft gebiert das Einfrieren von Raum und Zeit Krieg,165 in der Kirche wächst in einem solchen Szenario der Bewegungslosigkeit Unfriede zwischen Schwestern und Brüdern der gleichen Familien.

Papst Franziskus verwendet für seine Kirche kräftige Worte, die sowohl von den Medien als auch von den Menschen inner- und außerhalb der kirchlichen Communio eher verstanden werden als manche Fachsprache der Theologen oder die teilweise unverständliche Sprache liturgischer Bücher. Er spricht vom „Geruch der Schafe“ (EG 24), den die Evangelisierenden an sich haben sollen. Dieser Geruch der Hirten macht die Schafe zu Auf-sie-Hörenden, zu Ihnen Folgenden, zu Sie-riechen-Wollenden.

Die Klage vieler Glaubenden über die schwindende Zahl der Kirchenbesucher muss den Schluss zulassen, dass die Menschen für die Kirche da sein müssten, und nicht die Kirche für die Menschen.166 Dem bisweilen auch von Bischöfen vorgebrachten Argument, dass die Anzahl der Priester für die wenigen Glaubenden so und so genug sei, fehlt ebenso die evangelisierende Dynamik, die von der Kirche gefordert wird (EG 27):

Ich [Papst Franziskus] träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.

Am Beginn der vorösterlichen Bußzeit 2015 zog sich Papst Franziskus mit 70 Kurienmitarbeitern zu Exerzitien nach Ariccia in die Nähe Roms zurück. Am vierten Tag der geistlichen Übungen meldete sich Pater Diego Fares, ein argentinischer Jesuit, im Radio Vatikan über seinen geistlichen Lehrer und Mitbruder im Petrusamt zu Wort. In dem Interview nannte er Franziskus einen „Meister der Spiritualität“. Pater Fares erläuterte, dass die Exerzitien die wahre DNA der Jesuiten seien und er viel davon halte, dass sich der Papst gemeinsam mit seiner vatikanischen Kurie aus Rom wegbegebe, auch wenn jeder für sich selbst die geistlichen Übungen mache. Papst Franziskus tue das, so Pater Fares, „was wir in der Gesellschaft Jesu [dem Jesuitenorden] ‚geistliche Leitunga‘ nennen: ein Leitungsstil, der nicht nur darauf achtet, was man machen muss, sondern auch darauf, wie man es macht.“167 Das Wie-man-es-macht ist ein anderer, weniger wissenschaftlicher, aber umso praktischerer Ausdruck für den Begriff „Organisationskultur“. Der argentinische Jesuit, der von Pater Bergoglio gelernt hat, „wie man andere in Exerzitien begleitet“,168 fasst in einfachen und pastoral verständlichen Worten zusammen, wie Organisationskultur in der Kirche definiert und diese, wenn notwendig, verändert werden kann: und zwar wie das Volk Gottes auf dem gemeinsamen evangelisierenden Weg zu seinem letzten und einzigen Ziel unterwegs ist oder sein möchte, ohne dabei freilich die strukturellen Aspekte der globalen Kirche und der Ortskirchen aus dem Auge zu verlieren.

Auf die Frage des mexikanischen Fernsehjournalisten nach der Kurienreform der Kirche spricht Franziskus Klartext: „Jeder Wechsel beginnt mit dem Herzen: mit der Bekehrung des Herzens … und auch mit einer Bekehrung der Lebensweise. […] Es geht um Umkehr, beim Papst angefangen, er ist natürlich der erste, der umkehren muss, nicht?“169 Mit dieser Auffassung widerspricht er allen denen, die meinen, dass die Kurienreform lediglich die „verschiedenen Strukturen auf ihre Effizienz zu überprüfen“170 hat. Er spricht vielmehr einen kulturellen Wandel an, der als Grundvoraussetzung einer Reform der kurialen Strukturen angesehen werden muss.

Zusammenfassend muss aufgrund einer gegenseitigen Durchdringung (Perichorese) zwischen Welt- und Ortskirche der vorliegenden Studie das Recht, ja sogar die Verpflichtung eingeräumt werden, nach dem „Gegenstand“ der Kirche sowohl als Subjekt als auch als Objekt auf ihre existentiell- und praktisch-theologische Ganzheit hin zu fragen. Das empirisch konzipierte 6. Kapitel fokussiert allerdings nicht die universale, sondern zwei ausgewählte diözesane Ortskirchen Österreichs.

2.2 Was ist Kultur?

In den zahlreichen Definitionen des weiten Begriffs „Kultur“171 scheint beim ersten Hinsehen bisweilen wenig Übereinstimmendes zu finden sein. Was diese wissenschaftlichen und populär-wissenschaftlichen Versuche alle nicht leugnen können und somit gemeinsam haben, ist die lateinische Wortwurzel colere, was nicht weniger bedeutet als „bauen, bebauen, bearbeiten, für etwas Sorge tragen, bewohnen, ansässig sein, verpflegen, schmücken, verehren, heilig halten“.172

Es ist nicht Aufgabe der vorliegenden Studie, den Kulturbegriff als solchen, d.h. philosophisch, anthropologisch, ethnologisch, soziologisch, biologisch oder in einem engeren Sinn zu analysieren. Der Fokus liegt auf dem Begriff „Organisationskultur“, der den Blick auf die „Kultur“ zwar mit einschließt, diese jedoch im Kontext menschlicher Organisationen betrachtet. Zudem werden Kulturdebatten ständig von neuen Typologien und unterschiedlichen Kulturbegriffen getragen, wie sie beispielsweise der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz aufzeigt: einen normativen Kulturbegriff (von Cicero bis Alfred Weber), einen totalitätstheoretischen (von Johann Gottfried Herder bis zur aktuellen Ethnologie), einen differenztheoretischen (von Friedrich Schiller bis Talcott Parsons) und einen bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff (von Ernst Cassirer über den amerikanischen Pragmatismus bis heute).173 Die vielfältigen Typologien und Definitionen von „Kultur“174 werden in den meisten Gesellschaften jedoch durch ähnliche, zumindest vergleichbare Wesensinhalte definiert: Es geht um kollektiv programmierte Denk- und Verhaltensmuster, um von einer sozialen Gruppe (mehr oder minder) akzeptierte Werte und Normen des täglichen Lebens, die aus der Vergangenheit tradiert sind und für die Lösung zukünftiger Probleme und die Bewältigung kommender Herausforderungen bewusst oder unbewusst herangezogen werden.

Johannes Messner (1891–1984), Theologe, Rechtswissenschaftler und Politiker, antwortet in seinem 1954 erschienenen Werk „Kulturethik“ auf die Frage, was Kultur ist: „… offenbar das, worin der Mensch die Vollentfaltung des wahrhaft Menschlichen findet“.175 Ruft man sich große Denker ins Gedächtnis, die sich mit der Kultur und den Kulturen beschäftigt haben, wie Plato, Aristoteles, Thomas von Aquin, Immanuel Kant, Georg W. F. Hegel, Arnold J. Toynbee, Friedrich Nietzsche, Thomas S. Eliot, Clyde Kluckhohn, Adolf Portmann, Christopher H. Dawson und andere, so ist klar zu erkennen, dass dieses vielschichtige und vielgestaltige Thema „Kultur“ Philosophen, Anthropologen, Theologen, Ethnologen und Soziologen seit Jahrhunderten gleichermaßen beschäftigt und in Bann gezogen hat.

Die explizite und somit systematisch-wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik „Kultur“ hat erst in den letzten hundert Jahren Bedeutung erlangt. Das Brockhaus Konversations-Lexikon in seiner 14. Auflage aus dem Jahr 1894 widmete dem Begriff „Kultur“ lediglich siebzehn Spaltenzeilen und bezeichnet mit dem Wort „teils die Thätigkeit, die auf einen Gegenstand gewendet wird, um ihn zu veredeln oder zu gewissen Zwecken geschickt zu machen, teils den Erfolg dieser Thätigkeit“.176 Wird dort zwar schon von der Kultur des Geistes, der Wissenschaften und Künste und nicht nur von „der Kultur eines Ackers“ gesprochen,177 fehlt auch noch in der 14. Auflage (1929) des großen Konversationslexikons für den englischen Sprachkreis, der Encyclopaedia Britannica, das Stichwort Culture gänzlich.178 Googelt man heute jedoch im worldwide web, so liefert der deutsche Begriff „Kultur“ in 0,46 Sekunden 219,000.000 (in Worten: zweihundertneunzehn Millionen) Ergebnisse179 und das englische „culture‘ in 0,40 Sekunden 1.470,000.000 (in Worten: eine Milliarde vierhundertsiebzig Millionen) Hits.180

Messner fasst die Wesensbestimmung des Begriffs „Kultur“ mit den Worten zusammen: „Unsere Erörterung des Kulturbegriffs ließ drei Wesenszüge der Kultur erkennen: Kultur ist Lebensform, Ordnung und Aufgabe …“181. Und damit baut er eine Brücke zu dem, was heute wissenschaftlich, aber auch allgemein unter Unternehmenskultur verstanden wird.

 

Es ist nicht verwunderlich, dass sich auch die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums mit dem beschäftigt, was unter Kultur zu verstehen ist, wobei die Konzilsväter am Schluss ihrer Gedanken eine „diakonale Nachhaltigkeit“ alles Wachsens, Schaffens und Denkens für die ganze Menschheit artikulieren (GS 53):

Unter Kultur im allgemeinen versteht man alles, wodurch der Mensch seine vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet; wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen im Lauf der Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht zum Segen vieler, ja der ganzen Menschheit.

2.2.1 Organisationskultur

Organisationskultur, ein Begriff, für den wirtschaftliche Unternehmen den Namen „Unternehmenskultur“ präferieren, ist keine Schöpfung der letzten Jahrzehnte, auch wenn sich die Wissenschaft im Rahmen der Organisationstheorie erst seit etwa hundert Jahren systematisch mit diesem Wissenszweig auseinandersetzt. Eine aktuelle Stichprobe zeigt für den Begriff organizational culture (in englischer Sprache) 22,2 Millionen elektronische Einträge, corporate culture sogar 145 Millionen Hits.182 Soweit die Menschheitsgeschichte dokumentiert ist, wurden die alltäglichen geistigen und physischen Aktivitäten in sozialen Gebilden, sei es in ganzen Staatsgebilden, in öffentlichen Verwaltungen, Kirchen, Klöstern, Verbänden, karitativen Einrichtungen, Universitäten, Unternehmen, etc. im jeweiligen Umfeld stets von Weltanschauungen, Traditionen, Werten, Richtlinien, Überzeugungen, Glaubenssätzen und Haltungen geformt, die ihrerseits von der „übergeordneten“ Gesamtkultur getragen wurden. Für eine Organisation oder Institution, in der von Menschen in sozialer Interaktion etwas unternommen, gepflegt, erneuert, bebaut, erwirtschaftet oder verehrt wird, gilt der Kulturbegriff analog zu dem in der ganzen Gesellschaft, in der diese Organisation verwurzelt und somit eingebettet ist.183

So wie also eine Analogie zwischen Unternehmenskultur und Gesamtkultur hergestellt werden kann, ist auch beispielsweise eine Analogie der Organisationskultur einer Ortskirche und der regionalen oder nationalen Gesamtkultur, in der diese Ortskirche wirkt, anzunehmen. Die in und nach der III. Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode über „die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ im Oktober 2014 aufflackernde Diskussion – vor allem über die Themen wiederverheirateter Geschiedener und gleichgeschlechtlicher Beziehungen – haben die kulturellen Unterschiede zwischen „einer“ europäischen und „einer“ afrikanischen bzw. asiatischen Kultur klar zur Sprache gebracht. Die Äußerungen und Schlussabstimmungen vor allem afrikanischer und asiatischer Bischöfe ließen jedoch klar anklingen, dass sie sich nicht von „einer“ europäischen Kultur bevormunden lassen wollten; wobei zu bemerken ist, dass nur bedingt von einer „einen“ europäischen, afrikanischen oder asiatischen Kultur gesprochen werden kann – auch in der Kirche.

Papst Franziskus ist sich – vielfach intensiver als seine Vorgänger – der bunten kulturellen Vielgestaltigkeit der universalen Kirche bewusst und spricht in Evangelii gaudium vom Volk Gottes als „Volk der vielen Gesichter“ (EG 115). Und in Anlehnung an Augustinus präzisiert er: „Die Gnade setzt die Kultur voraus, und die Gabe Gottes nimmt Gestalt an in der Kultur dessen, der sie empfängt“ (EG 115). Damit festigt er die Prämisse, dass sich die innere Kultur der Kirche, also ihre Organisationskultur, nach dem Willen Gottes nicht von der sie umschließenden Kultur separieren lässt. Zu einer solchen wesensbestimmenden Voraussetzung für einen innerkirchlichen Dialog ist die lernende Kirche allerdings noch unterwegs.

Der 1928 in der Schweiz geborene Edgar E. Schein, Doyen der Unternehmenskultur, der viele Jahre am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, Organisationspsychologie und -entwicklung und Management unterrichtet hat, geht in seiner Forschung von einem „wirkmächtigen Erklärungs- und Anschauungsmodell“184 aus, um den Begriff der „Unternehmenskultur“ als die „gemeinsamen, unausgesprochenen Annahmen“ zu definieren, „auf die sich das alltägliche Verhalten [einer bestimmten Organisation] stützt“.185

In einem praxisorientierten Seminarangebot des deutschen Management Circle wird darauf hingewiesen, dass sich Organisationspsychologie „mit der Schnittstelle Mensch und Organisation“ befasst und „eine Steuerungsfunktion in Sachen Unternehmenskultur und Betriebsklima“ einnimmt.186 Auch wenn darin vor allem die Führungskräfte im Human Resources Management als Zielgruppe angesprochen werden, kann die Verantwortung für organisationspsychologische Belange nicht alleine, vor allem nicht vornehmlich auf Mitarbeiter im Personalbereich eines Unternehmens limitiert werden. Denn Organisationspsychologie schließt alle auf die Person bezogenen Schnittstellen einer Organisation mit ein: beginnend mit der Personalauswahl über die Mitarbeiterführung und -motivation bis hin zu Veränderungsprozessen, für deren tägliche Umsetzung mehr der direkte Vorgesetzte als der Humanressourcen-Manager Verantwortung trägt. Denn: Der Personalchef ist nicht Chef des Personals. In Unternehmen, in denen die funktionalen Führungskräfte der Personalverantwortung entzogen sind und ausschließlich der Personalmanager für die Unternehmenskultur und das positive Betriebsklima verantwortlich zeichnet, mag zwar die theoretisch-wissenschaftliche Basis vorhanden, für den einzelnen Mitarbeiter jedoch die praktische Umsetzung und damit die auf die Person bezogene Glaubwürdigkeit in Frage gestellt sein.

Organisationswissenschaftlich (und nicht psychologisch, anthropologisch oder wirtschaftswissenschaftlich) beschreibt Schein drei Ebenen der Organisationskultur:187

(1) die Artefakte, also das von Menschenhand Geschaffene, wie beispielsweise das Logo oder die Produktmarke einer Institution, deren sichtbare Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse, die meistens schwer zu artikulieren oder zu entschlüsseln sind;

(2) die öffentlich propagierten Werte und Rechtfertigungen, wie etwa Strategien, Ziele oder Unternehmensphilosophien; und

(3) grundlegende, unausgesprochene Annahmen des Unternehmens, der Institution oder Organisation, wie etwa unbewusste, für selbstverständlich gehaltene Überzeugungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle, letztlich die Quelle der Werte des Handelns.

Um den Zweck einer Gruppe oder einer Organisation sichtbar zu machen und die definierten Ziele zu erreichen, kann Organisationskultur demnach als die komplexe Gesamtheit gemeinsam getragener Grundüberzeugungen, Werte und Einstellungen bezeichnet werden. Diese kommen beispielsweise in den Wertvorstellungen der Führungskräfte oder in der Art und Weise des Umgangs miteinander – sowohl nach innen als auch nach außen hin – zum Ausdruck.

Eine positive Unternehmenskultur ist bemüht und versteht es, Ziele, Mitarbeiterengagement und Kundenorientierung in Einklang zu bringen, wobei nachgewiesen ist, dass Zufriedenheit der Mitarbeiter einen direkten Konnex mit Kundenzufriedenheit aufweist. Sie ist der eigentliche Motor der gemeinsamen, unausgesprochenen Annahmen, auf die sich das alltägliche Verhalten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Organisation stützt.188

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen, denen die Erfahrung in profit- und sozial orientierten Unternehmen zugrunde liegt, ergibt sich die Definition einer kirchlichen Organisationskultur: Sie kann als die Gesamtheit der nach innen und außen hin sicht- und greifbaren, jedoch oft unreflektierten und unbewussten, tradierten und gemeinsam gelebten Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen aller Mitglieder des Volkes Gottes definiert werden, die auf gemeinsamen Werten, Glaubensüberzeugungen und vereinbarten Zielen und Visionen beruht.

So wie jeder Gottesdienst nicht nur die versammelte Gemeinde berührt, sondern konstitutionell eine missionarische Bedeutung in sich trägt, begegnen sich auch in den Ortskirchen und somit in der Weltkirche das Auf-sich-Bezogene und das Auf-nach-außen-hin-Bezogene; ohne scharfe Abgrenzungen und stets sich in Bewegung befindlich. Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche Deutschlands, spricht im Kontext der immer wieder aufflammenden Kruzifix-Debatte in öffentlichen Gebäuden und Schulen davon, dass es in dieser Situation keiner Grenzschützer bedarf, wohl aber „sensible[r] Übergangsbegleiter in beide Richtungen“.189 Das Kreuz, sozusagen als das christliche Logo (fast aller Kirchen), wird nicht nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft, sondern auch von außen her wahrgenommen. Wenn im Titel dieser Studie von Organisationskultur „der Kirche“ und nicht „in der Kirche“ die Rede ist, wird die duale Orientierung der kirchlichen Kultur nach innen und nach außen hin unterstrichen. So wie „ein Glaube, der keine Bedeutung für die Öffentlichkeit hat, […] nicht dem Evangelium [entspricht]“,190 so können Verhaltens- und Handlungsweisen innerhalb der kirchlichen Mauern nicht einen geschützten Raum vortäuschen, der von der Außenwelt verborgen und nicht einzusehen wäre.

Als Christen sind wir davon überzeugt, dass der Geist Gottes dem Menschen, der seinen Ruf hört und diesem auch antwortet, die Fähigkeiten nicht vorenthält, den Sendungsauftrag für das Volk Gottes auch umsetzen zu können; gewiss jedoch nur im Ausmaß des menschlich Möglichen. Papst Benedikt XVI. spricht davon, dass seine menschlichen Kräfte nicht mehr genügen, „um das Schifflein Petri zu steuern“, denn dazu „ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig; eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen anerkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“.191 Mit diesem Schritt der Einsicht, dass das Petrusamt nicht nur eine göttliche Dimension beinhaltet, sondern ganz wesentlich auch von der menschlicher Unvollkommenheit abhängt, hat Benedikt wohl Neuland in der neueren Kirchengeschichte betreten und damit wahrscheinlich auch die Struktur dieses Dienstamtes für alle Zukunft verändert.

Abschließend kann gesagt werden, dass der Begriff „Kultur“ eher großzügig undefiniert und bisweilen beliebig schlampig verwendet wird. Nicht nur in der zivilen Gesellschaft, sondern auch in der Kirche, die allerdings in ihrem Denken, Sprechen und Tun die Gewissheit des gemeinsamen Ziels immer vor Augen hat (oder haben sollte), was auf profaner Seite nicht immer der Fall ist oder sein muss. In der Communio der Kirche geht es trotz der vielen Unterschiede und Meinungen um die Mitte, die nur Gott sein kann, den Weg, der Christus ist, und deren einenden Geist. In der Diskussion um den „Aufruf zum Ungehorsam“ der österreichischen Pfarrer-Initiative spricht sich der damalige Grazer Bischof Egon Kapellari im Hirtenbrief zu seinem 50-jährigen Priesterjubiläum für eine „,Kultur der Treue’ und ein Aushalten von Gegensätzen innerhalb der Kirche aus“.192 Eine solche Haltung von Führungskräften, Mitarbeitern oder Kunden würde ein säkulares Unternehmen über kurz oder lang an den Rand eines Konkurses führen. Für die Kirche konstituiert dieses Wort des emeritierten Bischofs der Diözese Graz-Seckau ein Wesensmerkmal, das in ihrem Haupt, Jesus Christus begründet ist (Kol 1,18); allerdings nur bis zu der von ihm gesetzten Grenze, jenseits der welcher Weg, der er selbst ist, verlassen werden könnte.

2.2.2 Kirche als Subjekt und Studienobjekt

Wenn immer ein getaufter Christ über Kirche spricht, tut er das als Mitglied des Volkes Gottes, also als Subjekt, das in seinem Glauben die Kirche als Objekt wahrnimmt – freilich unter verschiedenen Gesichtspunkten. Vor dem Zweiten Vatikanum hat sich Kirche wesentlich exklusiv definiert, d.h. wer immer nicht ihrem Lehramt und ihren Geboten folgte, positionierte sich selbst außerhalb ihrer kanonisch gezogenen Grenzen. Ein halbes Jahrhundert nach dem Konzil beginnt trotz konsequenter Querschüsse seitens traditionsgebundener Gruppen das Bild einer inklusiven Kirche Raum zu gewinnen. Kirche ist nicht nur in Kathedralen zuhause, sondern reicht bis dorthin, wo sie sich auch verletzen und beschmutzen könnte (vgl. EG 49). Jeder Getaufte, in noch so naher oder ferner Position zur Kirche, gestaltet ihre Kultur mit, drückt also der kirchliche Kultur gleichzeitig seinen Stempel auf und kann sie auch „von außen“ her betrachten und analysieren.

 

Ein- und abgegrenztes Objekt der Untersuchung ist nicht in spezieller Betrachtungsweise die Kultur des Vatikans, nicht die Kultur der Kurie, nicht die Kultur einer bestimmten Bischofskonferenz oder einer Ordensgemeinschaft, nicht die Kultur einer Diözese oder eines Ordinariats, nicht die Kultur eines Pastoralraums, einer Pfarre oder einer kleinen christlichen Gemeinschaft … Es geht vielmehr um die Kultur des Volkes Gottes auf seinem Pilgerweg durch Zeiten und Räume dieser Welt, in der es ins Reich Gottes unterwegs ist. Mit anderen Worten: Alle Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen dieser Subkulturen sind offene Objekte der Studie. In einem Unternehmen mag der Kunde fein säuberlich zwischen der Kultur des Außendienstes oder der Produktion und der Kultur der administrativen Zentrale unterscheiden, im kirchlichen Bereich wird eine solche Distinktion viel schwieriger glaubhaft zu vertreten sein. Wenn kritische Medien über diesen Bischof oder jene Diözese oder im Besonderen über den Pfarrer berichten, meinen sie die Kirche mit, wenn auch nicht immer gleich die globale, so zumindest die lokale Kirche.

Wenn also in dieser Studie über die Kultur der Kirche gesprochen, diese auch „diagnostiziert“ und über ihren Wandel nachgedacht wird, ihre sicht- und greifbaren, tradierten und gemeinsam gelebten Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen auf den Prüfstand gestellt werden, ist die Übersetzung der globalen Kirche in den konkreten Gemeindealltag und gleichzeitig die Übertragung der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ (GS 1) in die von Jesus Christus gewollte katholische, das heißt alle Fülle umfassende Weltkirche und in ihre pfarrlich strukturierten Ortskirchen unabdingbar.

Auch wenn sich die kirchliche Hierarchie bisweilen echte Schwierigkeiten zugestehen muss, die gesprochenen und gelebten Worte Jesu ohne Verfälschung des kirchlichen Lehramtes verständlich in die Gegenwart zu übersetzen, scheinen die „Laien“ – aus welchen Gründen auch immer – oft einen leichteren und unbeschwerteren, wenn auch manchmal weniger reflektierten Zugang zum Lexikon des überzeugenden christlichen Lebens zu haben. Trotz der Untrennbarkeit des hierarchischen kirchlichen Lehramts und der „Basis“ der Kirche muss deren sensus fidei, der „Glaube als Antwort auf das Wort Gottes“193 im Licht des „allgemeinen Prophetentums“ des getauften Christen noch immer als Stiefkind nebenher laufen.

Bisweilen wird der einfache Gläubige von dem einen oder anderen Theologen als „unreif“ bezeichnet, unreif in Bezug auf sein Glaubenswissen und -leben. Diese Unreife aber gründet vielfach in der Unreife jener klerikalen „Gottesdiener“ selbst, die meinen, dass der Dienst Gottes alleine ihre Aufgabe sei. So verwundert immer wieder die krampfhafte Stille, wenn der Priester oder Diakon die Teilnehmer an der Eucharistie- oder Wort-Gottes-Feier einladen, beim Gebet des Volkes ihre eigenen Fürbitten vorzutragen. Da verkrampfen sich sogar die Lippen von Generaldirektoren und Akademikern, lediglich die ungeübten Zungen des einfachen Kirchenvolkes zeigen Mut, ihre Gedanken zu formulieren. Dahinter steckt ebenso die „Unreife“, alle andere, nicht aber sich selbst zur Kirche zu zählen.

Wenn die Meinungsumfrage bezüglich der kirchlichen Kultur alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kirche ebenso anspricht wie den nicht direkt in der Kirche aktiven Mitarbeiter, ist das ein klares Signal für eine Kultur des gemeinsamen Denkens und Handelns in der Kirche, nicht eines individualistischen Wegs, mag ein solcher noch so sehr theologisch begründet und kirchlich approbiert zu sein. „Es macht keinen Sinn über Theologie zu sprechen, wenn wir dem Nächsten nicht helfen“, stellt Papst Franziskus die soziale Agenda in den Mittelpunkt dessen, was wir Kirche nennen.194 Diese Erinnerung und zugleich Ermahnung des Papstes an die missionarische Aufgabe aller Pilger des wandernden Volkes Gottes mag auch auf die konkrete pastorale Zielsetzung des praktisch-theologischen Aspekts der Gestaltung der Organisationskultur der Kirche verweisen. Pastoral meint nicht, mit den Menschen über die Kirche, auch nicht über Gott zu sprechen, sondern ihnen den Weg zu öffnen, mit Gott zu sprechen.

Aus christlicher Sicht bedeutet „orientieren, wahrnehmen, deuten und handeln“ im Kontext der kirchlichen Kultur gleichzeitig aktive Beschäftigung und passive individuelle und soziale Betroffenheit. Ohne den Wert von Studien minimieren zu wollen muss jedoch festgehalten werden, dass die Mehrzahl wissenschaftlicher Traktate über Organisationskultur von Lehrenden der Organisationswissenschaften und -theorien und Unternehmensberatern verfasst wurden und werden, die von einer Diagnose der Organisationskultur ausgehen, ohne jemals selbst Teil der untersuchten Organisation gewesen zu sein.

Eine Unternehmenskulturanalyse ist zunächst alles andere als einfach, denn sie beinhaltet eine zweifache Herausforderung, die auch in dieser Forschungsarbeit nicht unterschätzt werden darf: Erstens lebt jede Unternehmenskultur im Kontext oft zahlreicher Subkulturen, die nicht immer mit der übergeordneten Kultur in Einklang zu bringen sind. Als Beispiel für ein solches Auseinanderklaffen von Kulturen wären die unterschiedlichen Charaktere eines Ordens und der Diözese, in der er wirkt.195 Und zweitens manifestiert sich keine Kultur eines sozialen Gefüges als klar ersichtliches, exakt umrissenes und vielleicht sogar quantifizierbares Bild, sondern ist gefordert, aus vielen Einzelelementen ein qualitatives Spiegelbild und somit eine (für einen Dritten) verständliche Aussage zu erarbeiten, die allerdings „sicher ein intuitives Moment nicht ausschließen läßt“.196 In anderen, die vorliegende Studie betrachtenden Worten: Die Beschäftigung eines engagierten Kirchenmitglieds mit der Organisationskultur der Kirche bringt gewiss Vor-, aber auch Nachteile mit sich: einerseits ein gewisses Insiderwissen, andrerseits aber das Faktum, dass ein wertneutraler „Objektivismus“ selbst bei professionellen Beobachtern fast nicht möglich erscheint. Ein unabhängiger, also ein strikt neutraler Standpunkt im Diagnoseprozess einer Organisation ist extrem schwierig zu erreichen, denn jeder noch so wissenschaftlich orientierte Fachmann wird mit seinen persönlichen Wertvorstellungen, Denkschemata und Verhaltensweisen an die Aufgabe herangehen. Bewusst und noch mehr unbewusst unterlegte Hypothesen können die Objektivität einer Kulturanalyse belasten. Die Gefahr besteht sowohl in einer Identifikation mit der untersuchten Kultur als auch in einer gezielten Distanzierung.

Die im Kapitel 6 „Kulturanalyse zweier österreichischer Diözesen“ dargestellten Ergebnisse einer exemplarischen Befragung von Mitarbeitern und Gläubigen stützt sich auf die langjährige Erfahrung mit solchen Prozessen in der säkularen Wirtschaft und in karitativen Institutionen, von denen einige der Kirche angehören oder dieser sehr nahe stehen. In solchen Befragungen ging es nie um eine Wertung im Sinne einer organisatorischen Kultur-Exzellenz, sondern stets um die Orientierung aller Stakeholder, das Unternehmen auf seinem Weg zum strategischen Ziel effizient und effektiv zu begleiten. Eine solche qualitative Intention liegt auch der empirischen Erfassung der Unternehmenskultur zweier österreichischer Diözesen zugrunde.

2.2.3 Kirche – eine Gesellschaft mit hierarchischen Organen

Aber, so stellt sich die Frage, kann und darf die eine Kirche Jesu Christi wirklich als Organisation bezeichnet werden – auch wenn die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Zweiten Vatikanischen Konzil die irdische Kirche als sichtbare, also soziale Versammlung (LG 8) definiert hatte? Bei seiner morgendlichen Predigt in der Kapelle des Hauses Santa Marta griff Papst Franziskus einmal die Turbulenzen um die Vatikan-Bank IOR auf und meint, dass die Kirche „ihre wesentliche Substanz verliert“,197 wenn sie sich in ihrem Verhalten und ihren Aktivitäten als Organisation definiert. Ob der Papst mit diesen Worten der Kirche menschliche und soziale Werte absprechen möchte, die in jeder Organisation, in der Menschen zusammenarbeiten, zum Tragen kommen, oder ob er mit der Bezeichnung Organisation vielleicht doch eher mafia-verwandte Strukturen meinte, muss offen bleiben. Beides ist denkbar, aber aus dem theologischen Verständnis des Konzils, und hier vor allem der Kirchenkonstitution, bietet sich doch eher eine hermeneutische Eingrenzung dahingehend an, dass der Kirche, die „geheimnisvoller Leib Christi“ ist, als einer „mit hierarchischen Organen ausgestatteten Gesellschaft“ (LG 8) kaum das Wesensmerkmal einer Organisation abgesprochen werden kann.