Irland

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Patricia Grotz

Irland

Mein Tagebuch

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Inhaltsverzeichnis

Titel

00. Vorwort

01. Planung

02. Peters Art sich zu verfahren

03. Hostellerie Saint–Pierre ***

04. Von Paris nach Le Havre

05. Die Überfahrt

06. Nächste Station: Irland

07. Killarney

08. Ring of Kerry

09. Dingle

10. Muckross House

11. Von Killarney nach Carrick–on–Shannon

12. Mit dem Hausboot auf dem Shannon Richtung Süden

13. Mit dem Hausboot auf dem Shannon Richtung Norden

14. Von Carrick–on–Shannon nach Clifden

15. Connemara

16. Von Clifden nach Cork

17. Mont–Saint–Michel

18. Erstes Resümee über Irland in einer deutschen Würstchenbude

19. Irland – wir kommen wieder

20. Kilmore Quay

21. Nächstes Resümee

22. Sligo

23. Back in Galway

24. Dank

Impressum neobooks

00. Vorwort

Es hat nicht etwa einundzwanzig Jahre gedauert, meine handgeschriebenen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1993 in den Computer zu tippen; das Leben hielt mich davon ab. Aber auch nach dieser langen Zeit sind die Erinnerungen noch so lebendig, dass ich sie mit anderen teilen möchte.

Hier also nun meine Erlebnisse, beziehungsweise die meines Mannes Peter und mir.

01. Planung

Jenen Sommer wollten Peter und ich unseren Urlaub dazu nutzen, ein neues Land kennenzulernen.

Wir stellten uns einen Ort vor, an dem die durchschnittliche Temperatur zwanzig Grad Celsius nicht übersteigen würde. Mit diesem Anliegen waren wir natürlich ziemlich allein, die meisten anderen drängte es in den heißen Süden. In die engere Auswahl würden ebenfalls Länder mit möglichst wenigen Atomkraftwerken kommen und solche, die keine Kriege angezettelt hatten, auch in den letzten Jahrhunderten nicht.

An dieser Stelle drängte sich uns nun die Frage auf, ob man all solch ernste Angelegenheiten in den Ferien nicht einfach ruhen lassen sollte. Wir stellten aber mit Bedauern fest, dass uns diese Art von Gedankenlosigkeit fehlte.

Viel Hoffnung hatten wir nicht, einen Platz auf dieser Welt zu finden, der all diese Forderungen erfüllen würde. Und doch! Unsere Recherchen ergaben einen eindeutigen Sieger: IRLAND! Das Land, in dessen Nähe das europäische Wetter entsteht. Diese grüne Insel mit der schwachen Bevölkerungsdichte von 4,589 Millionen auf 84.421 Quadratkilometern.

Irland erfüllte all unsere Wünsche: Bis heute gibt es dort kein einziges Atomkraftwerk und die Iren haben keine Kriege angefangenen. (Abgesehen von diversen Befreiungskriegen gegen Besetzungsversuche.) Und zum Wetter: In Klimatabellen fanden wir eine sommerliche Durchschnittstemperatur von unter zwanzig Grad Celsius. Herrlich! Gut, zugegeben, das Schwimmen in der Irischen See würde sehr erfrischend werden bei einer Wassertemperatur zwischen acht und fünfzehn Grad Celsius.

Peter freute sich weniger auf das Schwimmen als auf die Erkundung der irischen Küche. Seine kulinarischen Ansprüche waren immer schon ziemlich stark ausgeprägt gewesen, sein Leben war quasi eine permanente Essensreise. Irland, nicht gerade bekannt für seine Sterneküche, würde also auch in dieser Hinsicht interessant werden.

Ich selbst bin ein eher abenteuerlustiger Typ. Ich freute mich auf eine neue Landschaft, neue Menschen und – das Wetter. Ich war gespannt auf Stürme, besonders auf die in Kombination mit Regen und stellte mir vor, wie mir die Gischt ins Gesicht peitschen würde, während ich mich über die Klippe einer Steilküste beugte. Ich konnte ja nicht ahnen, wie leicht es war, das zu erleben.


Foto 01: Mullaghmore Head, aufkommender Sturm an der Nordwestküste. Unbearbeitete Originalaufnahme aus dem Jahr 1996

Um einen ersten Eindruck von verschiedenen Orten der Insel zu gewinnen, planten wir eine Woche in dem bekannten Touristenort Killarney, zwei Wochen im Hausboot auf dem Fluss Shannon mit der Durchkreuzung der beiden großen Seen Lough Ree und Lough Derg und anschließend noch eine Woche in Clifden, der inoffiziellen Hauptstadt Connemaras, wohl eine der schönsten Regionen im Westen Irlands.

02. Peters Art sich zu verfahren

Am Donnerstag, den fünften August, weckte Peter mich um fünf Uhr morgens, fertig angezogen und bester Laune. Das Frühstück hatte er auch schon zubereitet. Im Gegensatz zu meinem lieben Peter war ich kein Frühaufsteher, sondern ein Morgenmuffel. Wortkarg packte ich das Frühstück ein, klemmte mein orthopädisches Kopfkissen unter den Arm, wankte zum Auto und suchte eine einigermaßen bequeme Stellung halb liegend auf dem Rücksitz. Acht Stunden Autofahrt lagen vor uns bis Paris, unserem heutigen Ziel.

Peter wies mich auf die mangelnde Sicherheit meiner Position hin, ließ sich aber dadurch den Spaß nicht verderben, zu gerne fuhr er lange Strecken mit dem Auto.

Den halben Tag bedienten wir Urlaubsklischees: Brütende Hitze, Staus auf den Autobahnen, Mittagspause an einem überfüllten Rastplatz (in diesem Fall bei Verdun, dem Schlachtfeld des ersten Weltkriegs) und am Wegesrand vorbeifliegende prächtige Schlösser, restaurierte Burgen, alte Landhäuser und architektonische Kunstwerke.

Am späten Nachmittag wurde es dann etwas individueller. Peter weckte mich kurz vor Paris. „Kannst Du mir helfen? Ich habe mich früher mal so schrecklich verfahren in Paris.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte ich doch tatsächlich vergessen, dass sich Peter immer und überall schrecklich verfährt. Ich orientierte mich auf den diversen mitgeführten Straßenkarten. Das erste serienreife Navigationsgerät für Kraftfahrzeuge wurde ja erst 1994 in einen BMW eingebaut. Hätten wir also dieses eine Jahr noch abgewartet, wäre uns viel erspart geblieben, oder vielleicht auch nicht. Ein fest installiertes Mobiltelefon hatten wir allerdings bereits in unserem Auto, natürlich hatte der Hörer noch ein Kabel. Es war kiloschwer und hatte eine, für heutige Verhältnisse, aberwitzige Summe gekostet. Wir hatten sogar zwei Nummern eingespeichert: Die des Notrufs der Feuerwehr und die des ADAC Pannendienstes, den gab es ja damals schon. Nachdem die Gebühren eines Telefongesprächs aber noch unverhältnismäßig hoch waren, hatten wir von der Programmierung weiterer Nummern abgesehen.

Die Landkarten aus Papier sagten mir also, dass wir auf dem richtigen Weg waren. „Kein Problem. Immer geradeaus. Die Umgehung durch die Peripherie. Erst raus bei einem Wegweiser nach Rouen.“ Da war er gewesen, der Wegweiser nach Rouen. Vorbei. Das Schild war grün. Peter hatte ein blaues erwartet. Nach einer kleinen Diskussion drehten wir bei der übernächsten Gelegenheit um. Etwas verwirrend waren die vielen Schilder schon, einmal weiß, dann grün und da endlich für Peter ein blaues! Es war die gleiche Abfahrt, die wir vorher versäumt hatten. Vielleicht richteten sich in Frankreich die Farben der Schilder nach der Fahrtrichtung?

Wir passierten Versailles, jetzt waren wir immerhin auf der richtigen Straße. Nach weiteren hundert Kilometern nahmen wir die Abfahrt nach Louviers und landeten schon wieder bei einer péage (Maut). Es war bestimmt schon die fünfzehnte Zahlstelle und ich hatte längst den Überblick über die französischen Sous verloren. Zur Erinnerung für alle, die nach dem 31. Dezember 1998 geboren wurden: Damals gab es natürlich längst noch keinen Euro, sondern in Frankreich den Franc, den Sou und die Centimes.

 

Peter sprach ganz gut französisch und fragte den Kassier an der péage nach unserem Hotel. „Hostellerie Saint–Pierre, un Relais du silence in Saint–Pierre–Du–Vauvray?“ Peter fügte noch hinzu, dass es direkt an der Seine sein musste, drei Kilometer hinter Louviers. Der Kassier kannte das Hotel und erklärte uns den Weg dorthin. Wir fanden es sogar, ohne uns weiter zu verfahren, wir hatten uns deutlich verbessert. Und ich war stolz auf meinen Peter.

03. Hostellerie Saint–Pierre ***

Foto 02: Hostellerie Saint–Pierre *** (Die *** sind nicht etwa Fußnoten, wie ein junger Leser vermutete, sondern die trois étoiles des Hotels, also die drei Qualitätssterne)

Wir hatten ein gemütliches Zimmer im zweiten Stock mit Blick auf die Seine. Sogar vom Bett (das höchstens hundertzwanzig Zentimeter breit war!) konnte man die vorbeifahrenden Containerschiffe beobachten. Sie machten einen höllischen Lärm, noch viel lauter als D–Züge.


Foto 03: Seine mit Containerschiff, Ausblick aus unserem Zimmer

Die Hostellerie war ein traditionelles Haus mit hervorragender Küche. Peter war entzückt, studierte lange die Speisekarte und übersetzte mir die französischen Gerichte. Ich legte mich erschöpft in das kleine Bett und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass ich es mit Peter teilen musste. Wenigstens hatte ich mein orthopädisches Kopfkissen bei mir, nur die Ohropax waren noch im Auto. (Peter schnarchte meist ziemlich laut.) Die Sonne ging langsam über der Seine unter, auch das konnte ich vom Bett aus sehen. Ich schickte Peter allein zum Essen, ich fühlte mich gar nicht gut. Ich übergab mich und begann, abwechselnd zu frieren und zu schwitzen, fühlte mich schwach und nahm als Prophylaxe Perenterol (zur Beruhigung des Darms) und Elotrans (Mineralien bei starkem Flüssigkeitsverlust). Aber es blieb nichts davon in mir drin.

Als Peter zurückkam, er hatte phantastisch gegessen, entschieden wir uns, einen Arzt zu rufen. Kein Problem, sagte der freundliche Portier. Nach etwa fünfzehn Minuten kamen drei Feuerwehrleute in roten Overalls und der Oberkellner als Dolmetscher, der noch seine Arbeitskleidung trug, einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine Fliege. Allerdings sprach er nur Französisch, obwohl er angeblich der einzige war, der etwas Englisch verstand. Einer der Feuerwehrleute hatte einen Pickel (im Gesicht) und eine monströse Sauerstoffflasche (auf dem Rücken). Ein anderer stand herum, sah sich um und diskutierte mit den anderen. Ein dritter zog Handschuhe an, fühlte meinen Puls und maß meinen Blutdruck. – Alles in Ordnung. Ich versuchte, dem Oberkellner meine Symptome zu erklären. Peter grinste, ich nahm an, er amüsierte sich über mein schlechtes Englisch, die Feuerwehrleute und die Situation insgesamt.

Ich brauchte also keinen Sauerstoff. Die Feuerwehr rückte ab und der Oberkellner versprach, einen Arzt zu rufen.

Peter marschierte in dem kleinen Zimmer auf und ab, in dem Hunderte kleiner Fliegen und Mücken an der Decke entlangschwirrten. Es war inzwischen dunkel. Der Vollmond schien ins Zimmer herein und die Seine reflektierte sein Licht.

Nach weiteren zwanzig Minuten, es war inzwischen zweiundzwanzig Uhr dreißig, kam ein junger schmaler Arzt mit Locken und Nickelbrille. Erneut wurden Blutdruck und Puls kontrolliert, anschließend eingehend meine Zunge untersucht, der Bauch abgetastet und die Lunge abgehört. Das alles ergab folgende Diagnose: Akute, krampfartige Magenschleimhautentzündung. Der Herr Doktor stellte ein Rezept aus, erklärte Peter, er könnte die Medikamente heute Nacht noch abholen und verabschiedete sich. Peter schloss die Tür, fing an zu lachen und fragte mich, wie ich auf das Wort spy für spucken käme. „Meintest du vielleicht speiben? Aber das ist eher bayerisch.“ Jetzt bog er sich vor Lachen, winkte mir, dem speibenden Spion, zu und machte sich auf den Weg. (Leider kein Foto vorhanden.)

Erst nach über einer Stunde kehrte Peter zurück und schilderte mir seine Erlebnisse. Der Oberkellner hatte inzwischen Dienstschluss gehabt und war schon nicht mehr ganz nüchtern gewesen. Er hatte erst mit der Polizei telefoniert, um in Erfahrung zu bringen, welche Apotheke Notdienst hatte und weckte anschließend den Apotheker zu Hause, um ihm mitzuteilen, dass er zu seiner Apotheke fahren solle. Danach bot er Peter an, ihn zu der fünfundzwanzig Kilometer entfernten Apotheke zu chauffieren. Das war wirklich nett, aber Peter war ein ängstlicher Beifahrer. Seiner Aussage zufolge war der angetrunkene Oberkellner mit über hundert Kilometer pro Stunde über eine enge löchrige Landstraße gebrettert, permanent quasselnd und ohne auf die Straße zu achten. Ich war froh, dass er unverletzt zurückgekehrt war.

Peter fiel erschöpft ins Bett und überreichte mir meine Medikamente, Antispucktabletten, Antidiarrhoika und "Gipspulver" (Beutel mit dem Inhalt eines weißen Pulvers zum Auflösen in Wasser) für den Magen.

Meine Ohropax waren immer noch im Auto. Aber Peter wollte nun nicht mehr. Er war zwölf Stunden Auto gefahren und mehrere Stunden um meine Gesundheit bemüht gewesen, der Arme. Jetzt fielen die Fliegen von der Decke. Peter sprang aus dem Bett und bekämpfte sie mit Spray. Es stank entsetzlich.

04. Von Paris nach Le Havre

Freitag, sechster August. Ich fühlte mich noch etwas schlapp, aber der Brechreiz war weg. Ich konnte frühstücken. Peter buchte für den fünften September dasselbe Zimmer. (Nochmal das kleine Bett. Aber vielleicht würde ich ja dann wenigstens in der Lage sein, mir selbst meine Ohropax aus dem Auto zu holen.)

Wir fuhren ab nach Le Havre, nein, in die andere Richtung, aber wir merkten es schon nach vier Kilometern.

Wir durchquerten die malerische Normandie bei prächtigem Wetter, sahen außergewöhnliche Architektur am Rande der Autobahn, oder auch geschmacksabhängige Gebilde. Schilder wiesen auf Schlachtfelder des ersten Weltkrieges hin, jetzt weideten Kühe darauf. Nachdenklich betrachtete ich die weiten Felder und versuchte mir vorzustellen, wie die Menschen damals darauf gegeneinander kämpften. Bedrückend. Viel Zeit blieb mir nicht, traurigen Gedanken nachzuhängen, die nächste Abwechslung folgte in Form der außerordentlich imposanten Brücke von Tancarville, einer Hängekonstruktion, ähnlich der Golden Gate Bridge. Ich bat Peter, so langsam wie möglich darüberzufahren, damit ich es genießen konnte. Die Seine war breiter geworden, verzweigte sich an dieser Stelle und würde nicht mehr weit von hier ins Meer münden.

05. Die Überfahrt

Schließlich erreichten wir Le Havre. Die Beschilderung "CAR FERRIES" beruhigte uns. Der Hafen erstreckte sich über ein weit ausgedehntes Areal. Über eine halbe Stunde erforderte es, allein das Gelände bis zum Stützpunkt von Irish Ferries zu durchqueren. Es war dreizehn Uhr. Wir waren zu früh, aber nicht die Ersten. Die Mittagshitze brachte uns zum Schwitzen. Die Fähre würde laut Plan um fünfzehn Uhr ankommen. Nach kurzer Überlegung entschlossen wir uns, for lunch ein Restaurant zu suchen. Normalerweise fanden wir weder Orte noch Restaurants, aber diesmal hatten wir Glück, nach fünfhundert Metern sah ich ein Schild. Peter fuhr natürlich vorbei. Machte nichts, wir drehten um und aßen gut. Kurz vor fünfzehn Uhr waren wir zurück. Die Warteschlange war größer geworden. Die Tore gingen auf und die Autoschlange schob sich langsam in die "WAITING AREA". Dort standen wir nun, Autos, Busse, Wohnwagen, in fünf Reihen, hinter uns kein Ende mehr zu sehen. Die Fähre traf pünktlich ein und wir beobachteten die herausfahrenden Autos auf der anderen Seite des Zaunes. Es war nun fast unerträglich heiß, trotzdem war unsere Stimmung gut, wir lachten und fotografierten uns gegenseitig. It was exciting.

(Bei der akribischen Planung im Vorfeld war uns bei uns selbst einmal mehr dieser deutsche Perfektionismus aufgefallen. Daher wollten wir in diesem Urlaub lernen, loszulassen, zu genießen, einfach nicht so deutsch zu sein. Niemand wird überrascht sein, wenn ich schon an dieser Stelle anmerke, dass wir kläglich scheiterten. Aber in diesem aufregenden Moment in der "WAITING AREA" dachten wir doch tatsächlich, wir hätten uns schon verbessert, würden genießen können, was geschah, die Dinge nehmen, wie sie kamen, uns über das Positive freuen und das Negative ignorieren. Der Zustand hielt nicht lange an.)

Es dauerte nochmals anderthalb Stunden, bis das letzte Fahrzeug jenseits des Zaunes die Fähre verlassen hatte, dann ging es auf unserer Seite los. Erst durften die Wohnwagen, mit und ohne Anhänger, einfahren, dann die großen und kleinen Busse und zum Schluss die PKWs im Wechsel der Spuren. In Schrittgeschwindigkeit holperte unser Auto unter donnernden Geräuschen über die Laderampe nach oben. Es war, als würde uns dieses gewaltige Ding verschlucken. Plötzlich war es dunkel und ein Mann in einem blaugrauen ölverschmierten Overall stand vor unserem Auto, ruderte hektisch mit den Armen und zeigte nach rechts an die Wand! Genau vor einer Tür sollten wir parken? Die Frage nach seinen Kompetenzen stellte sich mir schon, nur war es gerade nicht die Zeit, das zu diskutieren. Der Vordermann legte den Rückwärtsgang ein. Peter auch. Alle hupten. Wieder einen Zentimeter vorwärts, noch näher an die Wand! Puh. Aussteigen war kaum möglich. Gedränge. Mit Taschen beladen drängelten alle Menschen an Peters neuem Auto vorbei zur Tür! – Da war es schon wieder, dieses Gefühl in mir, dieser Zwang, sich über unwichtige Kleinigkeiten zu echauffieren. Wie kann man sich nur Sorgen um ein Auto machen! Nein, wir hatten noch gar nichts dazugelernt.

Das Auslaufen der Fähre war sehr beeindruckend, wenn auch nicht gerade hübsch anzusehen mit den qualmenden Schloten der Fabrikschornsteine des Industriehafens als Kulisse. Die beste Sicht hatte man vom oberen Deck. Dort war es zwar höllisch windig, aber total aufregend. Die Geräusche der Motoren schwollen an zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Der Wind zerrte an meiner Kleidung und schien sich zu einem Sog zu entwickeln, der mich von Bord zu reißen drohte. Ich klammerte mich an der Reling fest und fing unvermittelt an zu lachen. In diesem Moment fühlte ich es das erste Mal: Die Bedrohung der Naturgewalten. Mein ganzer Körper bebte! Das Gefühl zu leben war nie stärker gewesen!

Kaum erreichte die Fähre die offene See, strömten alle Passagiere in den Speisesaal. Die berüchtigte Schlacht am Buffet begann – kalt oder heiß – für Peter ein Albtraum. Er brauchte nichts zu sagen, man sah es deutlich in seinem Gesicht: Leicht glasige Augen, kleine Pupillen, die schmalen Lippen pressten sich unter dem melierten Bart zusammen. Das Zweitschlimmste für Peter war übrigens hartes trockenes Fleisch, zu lange gegart oder schlechte Qualität. The roast beef on buffet was very very well done. Zu deutsch: Eine Schuhsohle wäre im Vergleich dazu eine Delikatesse gewesen. Er schüttelte den Kopf, sprach leise: „Es ist so unglaublich lieblos.“, und blieb nicht.

Wir trafen uns etwas später auf Deck, um den Sonnenuntergang zu erleben. Ich hatte schon drei Antispucktabletten und eine gegen Seekrankheit genommen, bewegte meine Muskulatur, indem ich alle vier Decks mehrmals hinauf und hinunter lief und suchte die beste Sicht auf den rot glühenden Abendhimmel. Das machte mir Spaß. Peter, immer noch schlecht gelaunt wegen des Essens, schimpfte träge, weil ich mich nicht für eine Stelle entscheiden konnte. Vermutlich hätte er etwas Aufmunterung gebrauchen können. Aber ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt und mit der Natur, dem vielen Wasser um uns herum, der Weite des Horizontes und der scheinbaren Nähe der untergehenden Sonne.

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