Hör nie auf zu träumen

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Das Angebot, nach Amerika zu reisen, erreichte mich zu einer Zeit, als ich mich gerade trotz meiner aktuellen Trennung in London einlebte. Ich verabschiedete mich von meinem kleinen Traumhaus, dem ersten, das ich von meinem eigenen Geld gekauft hatte. Es war ein altes englisches Cottage mit einem Garten nach hinten, den ich mit großem Vergnügen wieder in Schuss brachte. Am schwersten fiel es mir aber, meine lieben Hunde in die Obhut einer Familie auf dem Land zu geben. Dann musste ich mich von meiner Mum verabschieden und um die halbe Welt reisen – dorthin, wo ich keinen einzigen Menschen kannte.

Ein paar vergossene Tränen und innige Umarmungen später saß ich dann auch schon im Flugzeug.

Im Fernsehen zu singen galt als die beste Methode, der Öffentlichkeit einen Song näherzubringen. Einen meiner ersten Auftritte hatte ich in einer sehr populären Show, die von einer echten Legende moderiert wurde. Es war schon sehr aufregend, „If“ in der Dean Martin Show zu singen. In derselben Folge sang ich noch ein Medley aus „Just a Little Lovin’“ und „True Love“ gemeinsam mit dem alten „Rat Pack“-Haudegen. Das war also mein erster Auftritt in Amerika!

Dean wirkte auf mich äußerst liebenswert und sogar ein wenig schüchtern. Ich war ja so jung und ängstlich, doch er lockerte mich rasch auf. Er behandelte mich wie seinesgleichen und kannte sogar ein paar meiner Songs. Plötzlich verflog meine Angst, und wir fingen an, zusammen zu singen. Seine freundliche Art half mir, den Moment zu überstehen. Ich lächelte, als er an einem Getränk nippte, welches das Publikum vermutlich für Whisky hielt. Es war aber dunkler Eistee, und er war stocknüchtern.

Gefühlte Augenblicke später – in Wirklichkeit vergingen ein paar Wochen – fand ich mich in einem anderen Studio wieder und sang für Andy Williams in seiner Show. Auch er war außerordentlich entgegenkommend – ebenso wie Bob Hope, auch eines meiner amerikanischen Idole. Später in meinem Leben, als Chloe zur Welt gekommen war, schickte Bob ihr ein Geschenk.

Ich konnte es kaum fassen, mit all diesen Legenden singen zu dürfen. Sie waren liebenswerte Männer, die ich stets bewundert hatte.

Obwohl meine amerikanische Reise in New York begann, gehörte mein Herz schon bald Kalifornien. Es unterschied sich radikal von Manhattan, wo mich das schroffe Verhalten der Leute in den Geschäften schockiert hatte. „Was wollen Sie?“, hieß es da. Als das zum ersten Mal jemand zu mir sagte, brach ich glatt in Tränen aus. Ich musste mich wohl erst akklimatisieren.

Irgendwann ließ ich mich dann in Los Angeles nieder. Es erinnerte mich an Australien: schönes Wetter, endloser Sand, Surfen und Strände. Ich werde niemals meine erste Fahrt entlang des Pacific Coast Highway vergessen. Meine Haare wehten im Wind und schienen ein kleines Tänzchen zu vollführen. In meinem kleinen grünen VW Käfer, meinem ersten Auto in Amerika, drehte ich am Radio herum. Um Himmels willen! Ich lief ja im amerikanischen Radio! Die Begeisterung durchfuhr mich.

Anfangs wohnte ich im Hilton in Universal City. Wie sich herausstellte, lebte einer der größten Filmstars ebenfalls dort. Eines Tages begab ich mich in das Café in der Lobby und wurde über das Intercom-System ausgerufen.

Wer wusste denn bitte, dass ich hier war?

Er war es – er sah sich nach dem australischen Mädchen um, das er durch die Lobby hatte schlendern sehen! Der Filmstar – großgewachsen, dunkel und ach so attraktiv – bewegte sich auf meinen Tisch zu und stellte sich vor.

„Hi, ich bin …“

So viel wusste ich.

Im Grund gab er mir mit vielen Worten zu verstehen, dass er Affären mit den meisten jungen Sängerinnen in der Stadt unterhalte und ich auf seiner Liste die Nächste sei. Meine Reaktion? Ich erschrak zu Tode! Ich hatte nicht vor, die nächste Irgendetwas zu sein! Ich weiß gar nicht mehr, was genau ich zu ihm sagte, um ihn loszuwerden. Aber ich lachte (mit ihm) und erwähnte, ich sei sehr auf meine Arbeit fokussiert. Das stimmte auch und schien eine vielversprechende Ausflucht zu sein. Innerlich brodelte ich: Nein, du wirst nicht diese Art Mädchen sein! Dann hatte ich noch einen Geistesblitz. Es gab eigentlich nur eine Sache, die ich zu sagen brauchte. „Ich habe einen Freund“, stammelte ich. Das stimmte zwar nicht, erfüllte jedoch in diesem Augenblick seinen Zweck.

Er galt als legendärer Hollywood-Bad-Boy mit einer langen Liste von Eroberungen. Nur kurze Zeit nach unserer Begegnung im Café begann er eine Liebelei mit meiner Freundin, der Schauspielerin Susan George. Damals wohnte ich mit ihr und meiner Schwester Rona im Beverly Wilshire Hotel. Eines Abends, als Susan gerade nicht da war, rief er mich an und bat erneut um ein Rendezvous. Dieses Mal fiel es mir leichter, ihm streng zu erwidern: „Das kannst du nicht machen! Du gehst schließlich mit meiner Freundin!“

Aber natürlich konnte er und ließ sich nicht abbringen, mich zu fragen. So lief mein erster Kontakt mit einem großen Filmstar ab.

Sein Name?

Den werde ich niemals verraten.

*

Für meine Entscheidung, mich in Amerika niederzulassen, war zum Teil auch die australische Gesangslegende Helen Reddy verantwortlich. Eines Abends in Florida besuchte ich ein Konzert meiner Landsfrau. Ich kannte Helens Schwester Toni Lamond ganz gut. Sie geleitete mich hinter die Bühne, damit ich Helen und Jeff –

einen wilden, witzigen und ganz irren Typen – kennenlernte. Nach einer spektakulären Show spazierte ich also in ihre Garderobe. Helen war herzlich und charmant. Sie kannte sich im Musikgeschäft aus und half mir dabei, als Sängerin in den USA Fuß zu fassen.

„Hör mal zu, Schätzchen“, sagte sie, „wenn du es in Amerika schaffen willst, dann musst du hier leben. Du musst verfügbar sein, um das, worum du gebeten wirst, auch tun zu können. Du musst hier leben, also zieh hierher.“

Helen impfte mir das ein. Dieser Besuch würde nicht nur ein Abstecher bleiben. Ich zog tatsächlich um. Und es sollte sich als richtig erweisen.

Nachdem mein erster großer Hit „If Not For You“ 1971 auf Platz 25 in die Charts eingestiegen war, landete ich 1974 mit „If You Love Me, Let Me Know“ einen noch größeren Hit. Der Song war von John Rostill geschrieben und von Bruce Welch und John Farrar produziert worden. Amerika rollte mir den roten Teppich aus. Ich war willkommen, und ich plante den großen Umzug.

Immer noch unsicher, wo ich sesshaft werden wollte, wohnte ich im Sunset Marquis Hotel in West Hollywood, das viele Leute aus dem Musikgeschäft als Hauptquartier nutzten. Mein neues Zuhause war nicht viel mehr als ein kleiner beengter Raum mit Kochnische. Ich erinnere mich noch, wie ich an meinem ersten Abend im Sunset Marquis im Bett lag und Pistolenschüsse von der Straße hörte. Ach du meine Güte! Kann ich jetzt wieder nach Hause? All die schrecklichen Dinge, die ich über Amerika gehört hatte, schienen wahr zu sein: Es war tatsächlich der Wilde Westen! Ich lag da und fragte mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Am Morgen meiner Ankunft im Hotel traf ich auf Glenn Frey von den Eagles. Auch er betrachtete das Hotel als sein Zuhause in Los Angeles. Er hatte eine wunderbare lange Rocker-Mähne und trug seinen Gitarrenkoffer, als wäre er das Kostbarste auf der Welt. Vermutlich war er das ja auch. Glenn stellte sich mir vor, und wir unterhielten uns ein paar Minuten lang über das Leben auf

Tour.

Am nächsten Tag erhielt ich ein Dutzend Rosen und eine Karte, auf der stand: Willkommen in Amerika. Glenn Frey. Es war rührend, dass jemand, der so berühmt war und in einer von mir heiß geliebten Band spielte, sich die Mühe machte, mir das Gefühl zu vermitteln, ich sei an diesem für mich neuen und mitunter beängstigenden Ort tatsächlich willkommen. Seine herzliche Geste sollte ich niemals vergessen. Allerdings konnte ich mich nie wirklich bei ihm bedanken, denn ich habe ihn nie mehr wiedergesehen.

Würde mich noch öfter das Heimweh überkommen? Selbstverständlich. Manchmal fühlte es sich an, als ob mich die Wände erdrückten. Ich dachte mir dann: Was tue ich bloß hier? Doch diese Augenblicke vergingen rasch, während meine Karriere den nächsten Schritt machte. Bald schon folgte mir Lee nach Amerika, und wir versöhnten uns. Mein Freund und ich waren nun wieder vereint. Fortan fungierte er wieder als mein Manager.

Mein Leben auf Achse ging nun so richtig los, als ich meine erste große US-Tour unternahm. Starten sollte sie im Herzen Amerikas, in Minneapolis, Minnesota. Es gab da nur ein Problem: Ich hatte keine Band. Zum Glück kam John Farrar und spielte Leadgitarre. Außerdem war er mein musikalischer Leiter. Ein paar weitere Begleitmusiker engagierte meine Agentur für mich.

 

In dieser ersten Band stimmte die Chemie nicht, und sie konnte meine Musik nicht richtig spielen. Am Ende unserer ersten achtstündigen Probe hatten sie es noch immer nicht drauf.

Es war, gelinde gesagt, eine Katastrophe epochalen Ausmaßes.

„Livvy, das funktioniert so nicht“, warnte mich John.

„Wir müssen ein paar gute Musiker auftreiben“, antwortete ich mit besorgter Stimme. Ich durfte die Sache nicht in den Sand setzen. Schließlich bekäme ein amerikanisches Publikum zum ersten Mal mein ganzes Set zu hören – und nicht bloß ein paar Nummern in verschiedenen Fernsehsendungen.

John klemmte sich hinter den Telefonhörer. Wir fanden eine Band, The Oneness, und schon wenige Stunden später war der Raum gefüllt mit neuen Leuten, die Gitarre, Schlagzeug und Keyboard spielen sollten. Wir probten die ganze Nacht, bis wir bei Sonnenaufgang den Bus bestiegen (in dem wir weiterprobten), um Kurs auf Minnesota zu nehmen.

Unsere Garderobe war die Umkleide einer Sportmannschaft. John kam vor unserem Auftritt zu mir und setzte sich auf eine dieser niederen Sitzbänke. Ich erwartete, er werde nun eine dieser herzerwärmenden, motivierenden Ansprachen halten. „Wir können es schaffen“ und dergleichen. Doch das tat er nicht.

„Liv, ich habe eine Mordsangst“, gestand er. „Ich bin noch nie in Amerika aufgetreten.“ Das sagte einer der brillantesten Musiker auf dem Planeten, der begabteste, den ich je kennen würde.

„Ich glaube, dass wir das schon hinbekommen werden“, sagte ich mit zittriger Stimme.

„Wir bekommen das hin?“, fragte er. Mit mindestens zwölf Fragezeichen.

„Ja“, sagte ich, obwohl ich mir da gar nicht so sicher war.

Dieses Mal musste ich ihm Mut machen!

„Normalerweise ist Olivia diejenige, die vor der Show nervös wird. An diesem Abend musste aber sie mich beruhigen“, erinnert sich John Farrar. John will, dass immer alles perfekt ist. Diese Eigenschaft haben wir gemeinsam.

Ich war selbst auch ein Nervenbündel und fragte mich, ob die Wörter in meinem Kopf in der Lage sein würden, in Form von Songtexten meinen Mund zu verlassen. Damals konnten wir Musiker noch nicht auf Teleprompter schauen, die uns an die Texte erinnerten. Ich hatte eine solche Angst, eine Textzeile zu vergessen oder zu versemmeln, dass ich die Songs den ganzen Tag im Kopf durchging. Im Bus. Im Badezimmer. In den stillen Momenten, in denen ich meine Angst einzudämmen versuchte. Würde das ausreichen?

Irgendetwas geschieht in dem Augenblick, in dem die Vorbereitung auf die Bühne vorüber ist und ich den ersten Schritt auf die Bühne tue. Das ist heute immer noch so wie damals, als ich meine ersten Abende in Australien, England und Amerika bestritt.

Die Gesichter lächeln mir zu.

Die Hände werden ausgestreckt.

Die ersten Töne erfüllen die Luft.

Ich singe.

Ich bin zu Hause.

Es reichte allemal aus. Die Jungs aus der neu zusammengestellten Band, Dale und Bob Strength, waren sehr nett, entgegenkommend und begabt. Zum Glück! Wir tourten mit einem Greyhound-Bus, dessen WC nicht funktionierte. Wenn man sich zu fest in die Sitze fallen ließ, staubte es bis unters Dach hoch. Meiner Band war das aber egal. Dank ihrer Hippie-Einstellung machte es einfach Spaß, mit ihnen unterwegs zu sein. Ich erinnere mich immer gerne und voller Dankbarkeit an sie zurück, weil sie mir so kurzfristig aushalfen.

Nach dieser ersten Tour genossen Lee und ich unseren Neuanfang. Wir zogen nach Malibu in ein kleines, feines Strandhaus. Es entsprach alles ganz dem kalifornischen Traum. Sehr gerne erinnere ich mich etwa an jenen Tag, als Lee mit einer riesigen, vier Jahre alten Dänischen Dogge ankam. Irgendjemand hatte das arme Baby ganz verlassen in einer Wohnung vorgefunden! Sein Besitzer war bei einem Unfall ums Leben gekommen. Niemand wusste von dem Hund, der auch fast verhungert wäre. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich gab ihm den Namen Zargon. Später nannte ich sogar meine Musikfirma Zargon Productions! Er war der erste Hund, den ich in Amerika rettete. Als Kind in Australien hatte ich unentwegt irgendwelche Tiere gerettet. Nun besaß ich ein Zuhause, wo ich das wieder tun konnte.

Es dauerte nicht lange, bis sich unser Haus mit noch mehr Liebe füllte. Rona und ihr Sohn Emerson, damals drei Jahre alt, zogen von London nach L.A. Wenn ich nicht gerade auf Tour war, tuckerte ich mit meinem kleinen VW-Käfer durch die Straßen. (Meine langjährige Freundin Coral, die ebenfalls aus Australien stammt, besitzt den Käfer mittlerweile – und hat ihn zwischenzeitlich rosa lackieren lassen!) Ich bin durchaus ein häuslicher Typ, und es fühlte sich ungemein gut an, sich eine feste Bleibe in Amerika einzurichten – voller Menschen und Tiere, die ich liebte.

Was das Thema Kulturschock betraf, nun, so gab es nur ein Problem mit meinem neuen Leben am Strand. Ich bin immer schon gerne ins Kino gegangen, und in diesem Sommer lief ein zukünftiger Klassiker mit dem Titel Der Weiße Hai an. Dieser Film hatte profunde Auswirkungen auf jemanden, der direkt am Ozean lebte. Ich schwor, nie wieder zum Schwimmen ins Meer zu gehen. Sogar die Dänische Dogge durfte nicht ins Wasser!

Es war ein wunderbarer Lebensabschnitt. Ich liebte die Ruhe außerhalb von Los Angeles, fernab all des Verkehrs und des bunten Treibens. Ich habe nie gerne in einer Großstadt gelebt. Weil ich im Herzen ein Mädchen vom Lande war, genoss ich es, am Strand mit meinem riesigen Hund spazieren zu gehen, mich mit anderen Hundebesitzern zu unterhalten und ihre Schützlinge zu streicheln. Zargon, der mittlerweile aufgeblüht war, begegnete allen Zweibeinern sehr freundlich. Vierbeinigen Zeitgenossen war er hingegen weniger wohlgesinnt.

Einmal – und zum Glück das einzige Mal – zerrte er einen armen Hund in den Ozean hinein, und ich musste ins Wasser springen und dazwischengehen.

Der Weiße Hai hin oder her, ich hätte alles unternommen, um einen Hund zu beschützen.

Eines Abends nach einem Konzert in Jackson, Mississippi, kam ein Fan hinter die Bühne und machte mir das allerschönste Geschenk: einen hinreißenden Irish-Setter-Welpen. Eine Liebkosung später schmolz ich schon dahin.

„Das ist eines der besten Geschenke meines ganzen Lebens“, versicherte ich dem überglücklichen Mann. Ich hatte nur eine Bitte. „Ich bin ja gerade auf Tour. Könnten Sie sich daher vielleicht noch ungefähr einen Monat um ihn kümmern?“

Sechs Wochen später stand ich nervös am Flughafen von Los Angeles und wartete. Ganz plötzlich traf eine Kiste ein, in der sich dieser bezaubernde rostbraune Welpe befand. Wie gut er sich doch benahm! In meiner Liebesgeschichte zu Irish Settern begann ein neues Kapitel. Ich nannte ihn Jackson nach seiner Heimatstadt.

Jackson liebte es, mit mir auf Tour zu gehen. Er leistete mir vor jedem meiner Auftritte hinter der Bühne Gesellschaft. Während er es sich hinter meinen Beinen gemütlich machte, gingen wir gemeinsam meine Setlist durch. Er lieferte sogar die Inspiration zu „Slow Down, Jackson“. Ein talentiertes Liedermacher-Paar, Michael Brourman und Karen Gottlieb, wusste von meinem haarigen Baby und schrieb den Song. Ich liebte die Nummer und war so gerührt, dass ich sie schließlich aufnahm.

Ab 1973 kletterten meine Songs – darunter auch eine Coverversion von John Denvers „Take Me Home, Country Roads“ – in den Charts nach oben. Artie Mogull, Vizepräsident der A&R-Abteilung der Plattenfirma MCA, verschickte die Single an Country-Radiosender allerorten. Sie wurde oft gespielt, wohlwollend aufgenommen und regelmäßig von Hörern gewünscht. Artie schlug daraufhin eine eher am Country orientierte Pop-Platte als meine nächste Veröffentlichung vor. Daraus ging schließlich „Let Me Be There“ hervor, die sich als großer Hit entpuppte, zunächst die Country-Charts knackte und in weiterer Folge auch in die Pop-Charts einstieg.

Ich hatte bis dahin relativ kleine Gigs absolviert. Nun wechselte ich von Hallen mit fünfhundert Sitzplätzen in welche, in denen mehr als tausend Menschen Platz fanden. Als meine Fanbasis immer größer wurde, trat ich an einem gigantischen Ort auf, dem Astrodome in Houston, wo außerdem gerade die jährliche Rodeo-Veranstaltung lief. Die Arena war so unüberschaubar, dass ich in einem Wagen zur Bühne im Zentrum des Stadions gebracht wurde. Ich konnte die Rodeo-Pferde riechen, was meine Liebe aus der Kindheit zu allem, was mit den Vierbeinern zu tun hatte, neu entfachte. An diesem Abend gab es nur eine Enttäuschung. Mein Freund und Manager Lee begleitete mich nicht zur Show, und ich war ziemlich sauer auf ihn, denn dies war eine der größten Konzert-Locations meiner gesamten Karriere.

Ich machte mich bereit, ihn nach der Show ein wenig meinen Groll spüren zu lassen. Nun, nicht nur ein wenig …

„Und wie hat dir mein Auftritt gefallen?“, fragte ich ihn.

„Ich habe ihn leider nicht gesehen“, antwortete er.

Ich nahm gerade Anlauf für einen Streit, als er mich am Arm nahm und mich einlud, ihm zu folgen.

„Wohin gehen wir?“

„Du wirst schon sehen, was ich gemacht habe“, sagte er.

Ich hatte keine Ahnung, warum er mich zu einer Scheune führte, wo sie die Pferde für das Rodeo untergebracht hatten.

„Ich habe ihn für dich gekauft“, sagte er und öffnete die Tür zu einer der Boxen. Da stand ein bildschönes Quarterhorse, ein Palomino-Hengst mit dem Namen Judge, der mich aus weisen dunkelbraunen Augen ansah. Mir verschlug es die Sprache. Das war das beste Geschenk, das man mir nur machen konnte. Ich verzieh Lee noch in derselben Sekunde.

Wir transportierten Judge zu uns nach Hause in Malibu. Er war ein unglaubliches Pferd. Ehe ich mich versah, wurde er mein Hobby, meine Leidenschaft – und mein Liebling. Wenn ich nicht gerade arbeitete oder unterwegs war, hielt ich mich stets bei meinem Pferd auf oder war bei meinen Hunden zu finden.

Judge trug mich regelmäßig bei Sonnenuntergang den Strand von Malibu hinunter. Eine sanfte Brise trieb den Sand vor sich her, und der Duft des Meeres erfüllte die Abendluft. Wie schön, dass mein Junge ein so gefühlvolles Pferd war, das oft seinen Kopf zu mir wandte, um mich mit der Nase anzustupsen.

Damit man mich nicht falsch versteht: Selbstverständlich konnte ich es kaum erwarten, schon bald wieder auf der Bühne zu stehen. Doch diese frühabendlichen Ausritte bedeuteten für mich das reinste Glücksgefühl.

Eines Tages im Jahr 1974 gingen John Farrar und ich einen Stapel Songs durch, die ihm als Optionen für mein nächstes Album zugeschickt worden waren. „Wir durchforsteten kistenweise Tonbänder und Audiokassetten, die ich erhalten hatte. Erinnert euch, das waren die Tage, bevor es CDs gab“, erzählt er heute. „Wir hatten ein Abspielgerät und hörten sie uns praktisch alle an.“ Er legte schließlich eine Platte auf, und der Text traf mich mitten ins Herz. Der Song stammte vom talentierten Jeff Barry und einer zukünftigen australischen Legende, dem Komponisten Peter Allen, dessen Leben später Stoff für das Hit-Musical The Boy from Oz bieten sollte.

Mir blieb das Herz stehen, als ich den Text hörte.

I love you …

I honestly love you.

Das war so einfach und zugleich so tiefgründig wie der Ozean. Diese Worte ließen mich innehalten, um nachzudenken, weil sie mich berührten. Ich konnte mich auf jeden Fall damit identifizieren, und ich war mir sicher, dass auch sonst jeder sie auf seine persönliche Liebesgeschichte oder seinen tragischen Verlust ummünzen könnte. Die Ergänzung des Wortes „honestly“ – aufrichtig – machte die Sache einfach noch ergreifender.

Keine Lügen.

Kein Abstreiten.

I honestly love you.

„Ich muss diesen Song aufnehmen“, sagte ich zu John, der heftig nickend zustimmte. Er buchte uns einen Termin in einem kleinen Londoner Studio. Es handelte sich dabei um einen Ort, wo nicht nur für mich, sondern auch andere Künstler magische Dinge geschahen.

Wenig später – es war ein kalter Tag im Januar – stieg ich eine wackelige Holztreppe hinauf und betrat einen Raum, in dem sich nur eine kleine Aufnahmekabine und das Studio direkt darunter befanden. Ich musste stillstehen, damit sie unter mir, während ich sang, nicht von den Geräuschen meiner Füße abgelenkt wurden. Hier ging es ganz ungeschminkt zur Sache. Nur die Aufnahmeausrüstung und ein toller Song.

 

Ich nahm nur drei Takes von „I Honestly Love You“ auf. Am Klavier begleitete mich ein befreundeter virtuoser Pianist, Alan Hawkshaw, der diese unvergessliche Einleitung spielte, mit der die meisten Pianisten heute noch Schwierigkeiten haben. Es war einer dieser strahlenden Augenblicke. Am Schluss entschieden wir uns für den allerersten Take.

Ich sang mit sehr viel Herzblut. Ich bin zwar keine Power-Sängerin, aber dafür eine, die Titel gut interpretieren und sich einfühlen kann. Ein Teil des Songs klingt fast wie ein Flüstern, was passend erschien, da es hier um die zartesten Emotionen überhaupt ging.

An diesem Tag sagte John Farrar etwas zu mir, das ich nie vergessen werde. Er habe sich früher Musik auf seinem Detektorenempfänger angehört, und es habe sich ganz innig angefühlt. „Stell dir vor, du singst für diesen einen jungen Menschen, der – so wie ich als kleiner Junge – an seinem Detektorenempfänger der Musik lauscht.“

Das machte das Singen für mich zu einem sehr intimen Akt.

Im Verlauf der Jahre machte es mich sehr stolz, von Fans zu hören, wie sehr sie den Song liebten und welche Rolle er in ihrem Leben spiele. Ich hörte von Liebesgeschichten zwischen Mann und Frau, Eltern und ihren Kindern sowie Menschen und ihren Tieren. Der Song verfügte über einen Reiz, der zeitlos und grenzenlos war, indem er die Vorstellungskraft anregte oder einen zurück durch die Zeit entführte, zu jener einen unerfüllten Liebe. Jahre später sollte ich den Song einer großen Liebe von mir vorsingen, meiner Mutter, als sie im Sterben lag.

Es war einer dieser Songs, bei dem man einfach Bescheid wusste. Wenn man dieses Phänomen nur irgendwie konservieren könnte, dann würde jeder Song auf diese Weise abheben und zum Klassiker werden.

Natürlich war nicht jeder der Ansicht, dass wir es hier mit einem Hit zu tun hatten. Die Plattenfirma wollte eigentlich einen anderen Song als meine nächste Single veröffentlichen. Doch zusammen mit meinem Freund Artie Mogull bestanden wir darauf, dass „I Honestly Love You“ die richtige Nummer sei.

Wie recht wir doch hatten!

Wir veröffentlichten die Single Anfang 1974 zunächst in Australien. Von dort aus entwickelte sie sich rasch zum weltweiten Hit. Der Song wurde mein erster Nummer-eins-Hit in den USA, wo er im April jenes Jahres herauskam.

Ich war sehr stolz darauf, dass die Single mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde. Außerdem überraschte es mich, als sie bis auf Platz 6 der Country-Charts vordrang, obwohl es sich ja nicht wirklich um eine Country-Nummer handelte. Jahre später nahm ich eine neue Version davon auf. David Foster produzierte sie für mein Album Back with a Heart, und im Hintergrund sang Babyface.

Die Grammy Awards wurden am 1. März 1975 im New Yorker Uris Theatre zum 17. Mal vergeben. Gastgeber war Andy Williams. Den Preis für die Platte des Jahres übergaben John Lennon und Paul Simon. John betrat die Bühne und sagte: „Hi, ich bin John. Ich habe früher Musik mit meinem Partner Paul gemacht!“ Und Paul sagte: „Hi, ich bin Paul und habe früher Musik mit meinem Partner Art gemacht!“

Nominiert waren Elton John mit „Don’t Let the Sun Go Down on Me“, Roberta Flack mit „Feel Like Making Love“, Joni Mitchell mit „Help Me“, Maria Muldaur mit „Midnight Oasis“ und ich mit „I Honestly Love You“.

Das waren neben mir alles Musiker, die ich absolut liebte und vergötterte. Ich konnte es ja kaum fassen, in einer Reihe mit diesen Künstlern genannt zu werden! Was für ein Privileg …

Und der Gewinner hieß … „I Honestly Love You“!

Art Garfunkel nahm den Preis für mich entgegen, denn ich war gerade auf Tour. Außerdem gewann ich noch den Grammy für die „Best Female Pop Vocal Performance“, was mich besonders freute. Wenn ich diese Grammys heute bei mir im Büro stehen sehe, kann ich es immer noch nicht glauben. Hätte ich nur dort sein können, um sie selbst entgegenzunehmen.

Schlagartig hörte das Telefon dann gar nicht mehr auf zu klingeln. Jede Zeitschrift und jede Fernsehshow, so schien es, wollten mich plötzlich interviewen.

Meine Reaktion?

„Was … wollen die etwa mit mir sprechen? Dem Mädchen aus Down Under?

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