Animalische Schattenseiten

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„Hast du das verstanden?“

Max erschreckte förmlich und zeigte mit dem Daumen zur Seite. Er wartete auf eine Erklärung, doch das Grün in den Augen des Rottweilers erlosch. Der Hund wandte sich ab und legte sich in den Korb. Der Schmerz, die Stimme und das Pochen der Worte flauten ab wie ein unwirklicher Sturm. Max war wieder allein in seinem Kopf. Bevor er weiter über das Phänomen nachdenken konnte, klingelte es an der Eingangstür. Die Kinder waren mit den Hunden zurückgekehrt. Gemeinsam mit den hilfsbereiten Kindern sperrte er die Hunde in die Boxen. Später kam noch die Tierärztin, um ein paar Impfungen vorzunehmen, danach machte Max seine abendliche Fütterungsrunde. Der Rottweiler schlief immer noch tief und fest.

Max fand in der Nacht kaum Schlaf. Er hatte nicht mit seiner Frau über den Vorfall gesprochen, das wollte er zunächst mit sich selber ausmachen, bevor sie ihn für verrückt erklärte. Die schlaflose Nacht führte zu keiner logischen Erklärung. Als er am Folgetag zum Tierheim fahren wollte, stand auf der anderen Straßenseite ein kräftiger Rottweiler. Er beobachtete aufmerksam, wie Max zu seinem Auto ging. Max stellte seine Tasche ab und ging zur Straße. Der Hund fletschte die Zähne, was Max dazu veranlasste, Abstand zu halten. Er blieb auf seinem Grundstück und betrachtete den Rottweiler aus der Ferne. Es handelte sich um einen Hund im besten Alter. Sein wuchtiger Körperbau strotzte nur so vor Kraft. Das Fell sah ungepflegt aus. Am Hals erkannte Max eine Wunde, die ziemlich frisch wirkte. Max meinte, verkrustetes Blut an dem Fell erkennen zu können. Er machte einen Schritt nach vorne, woraufhin der Hund ihn anknurrte. Dann bellte er zweimal und rannte anschließend davon. Max sah ihm nach, bis er hinter einer Abzweigung verschwand. Max glaubte nicht an Zufälle, das plötzliche Auftauchen des Rotweilers musste etwas mit dem alten Hund im Tierheim zu tun haben, zumal dieser im Außenbereich Besuch von einem größeren Vierbeiner erhalten hatte. Von neuen Gedanken geplagt, ging Max zum Auto und fuhr zur Arbeit.

Der normale Arbeitstag wurde erst ungewöhnlich, als Max dem alten Rottweiler sein Futter brachte. Tagsüber hatte der Hund die ganze Zeit im Außenzwinger gelegen. Jetzt stand er vorm Gitter seiner Box und blickte Max erwartungsvoll an. Max tat ihm den Gefallen und erwiderte seinen Blick. Nach einem kurzen Aufflackern in den Augen, färbten sich die Pupillen wieder grün und Max spürte die pochenden Schmerzen aufkeimen. Er sah gebannt in die Augen des Hundes und wartete auf die Stimme, die den Schmerz hoffentlich aus seinem Kopf verdrängen würde. Max musste nicht lange warten.

„Hörst du mich?“

„Ja, ich höre dich“, antwortete Max. „Wieso kann ich dich hören? Was hat das alles hier zu bedeuten?“

„Stopp! Du kannst nicht mit mir sprechen, ich verstehe nicht, was du sagst. Es gibt einige Laute in eurer Sprache, von denen ich weiß, was sie bedeuten, zum Beispiel sitz oder fass. Und ich kenne den Namen, mit dem man mich gerufen hat. Ich heiße übrigens Bruno. Doch ansonsten verstehe ich eure Worte nicht. Ich habe dir gestern erklärt, wie du mir antworten kannst. Also nochmal, hörst du mich?“

Max reckte seinen Daumen nach oben.

„Sehr gut. Ich habe ja gestern bereits erwähnt, dass ich deine Hilfe benötige. Ich gehe mal davon aus, dass du mir hilfst, falls nicht, werde ich dafür sorgen, dass du es tust. Ich bin alt und müde, wahrscheinlich bleibt mir nicht mehr viel Zeit, deshalb solltest du meine Bitte möglichst schnell erledigen. Was ich will, ist schlicht und ergreifend Rache. Wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle, werden wir ganz nebenbei einige Hundeleben retten. Sie werden dann nicht mehr die Qualen erleiden müssen, wie ich sie erlitten habe. Ich habe die Zeit meines Lebens in einem Hundecamp verbracht. Ich wurde dort geboren, um dort zu sterben. Viele Hunde erblickten in dem Camp das Licht der Welt, viele sind unter Qualen gestorben, viele haben ihr Leben im Kampf gelassen. Ein Ehepaar und ein erbarmungsloser Hundetrainer züchten dort Kampfhunde und richten sie ab. Viele Tiere wurden verkauft, andere mussten an Hundekämpfen teilnehmen, die dort regelmäßig stattfanden und immer noch stattfinden. Zu diesen Veranstaltungen kommen dubiose Leute mit ihren Kampfhunden und setzen viel Geld auf das teuer erworbene Tier. Für die Hunde geht es in den Kämpfen um Leben und Tod. Unverletzt kommt da keiner raus. Viele meiner Narben habe ich mir im Kampf zugezogen, andere wurden mir zugefügt, wenn ich nicht gehorsam war. Manchmal wurde ich einfach aus einer Laune heraus gefoltert, nur um festzustellen, wieviel Schmerzen ich aushalte. Man hat mich mit Messern geritzt, mit Zangen hat man meine Ohren verstümmelt, man hat Zigaretten auf meinem Fell ausgedrückt. Mir wurden Medikamente eingeflößt, die mich krank werden ließen. Mir wurde ein Bein gebrochen, weil ich im Kampf versagt habe, aber nicht gestorben bin. Ich werde dafür sorgen, dass diese Menschen ihre Taten bereuen. Konntest du mir soweit folgen?“

Die Stimme in Max Kopf verstummte. Automatisch hob er seinen Daumen. Er hatte den Ausführungen des Hundes gut folgen können. Jedes Wort hatte er verstanden. Konnte ein Hund so klare und zusammenhängende Gedanken fassen? Max wusste es nicht, doch er hatte eindeutig die Stimme gehört, was schon unglaublich genug war. Der Rottweiler namens Bruno trank aus seinem Napf und kehrte anschließend zum Gitter zurück. Die Stimme setzte wieder ein.

„Gemeinsam mit meinem Sohn Brutus habe ich einen Plan für unsere Flucht geschmiedet, den wir vor wenigen Tagen erfolgreich umgesetzt haben. Die drei Betreiber des Camps schäumen sicherlich vor Wut. Brutus war ihr bester Kämpfer gewesen, der ihnen viel Geld eingebracht hatte. Bei seinem letzten Kampf wurde er am Hals verletzt, weil er sich absichtlich kaum zur Wehr gesetzt hatte. Als unser sadistischer Trainer in den Kampf eingreifen wollte, um ihn abzubrechen, hat Brutus ihn in die Hand gebissen. Blut spritzte, Chaos brach aus. Brutus nutzte die Gelegenheit und sprang aus der Kampfarena. Er lief mit gefletschten Zähnen auf die Frau zu, die mich an der Leine hielt, und stieß sie zu Boden. Ich riss mich los und rannte mit Brutus zu einer ungesicherten Luke, durch die wir nach draußen fliehen konnten. Wir haben für Brutus ein Versteck gesucht und anschließend habe ich mich solange in der Stadt aufgehalten, bis mich die Männer aufgegriffen haben. Ja, und jetzt bin ich hier bei dir, meinem Gedankenleser. Du bist meine Verbindung nach draußen, du bist derjenige, der meine Rache ausüben wird. Brutus wird dich dabei unterstützen. Du hast ihn sicherlich schon gesehen. Falls du nicht gehorchen solltest, wird mein Sohn drastische Maßnahmen ergreifen. Eigentlich sind wir eine liebevolle Rasse, doch man hat uns zu Kampfmaschinen ausgebildet. Die Menschen haben Hass in unsere Seelen gepflanzt. Bevor ich dir unseren Plan erkläre, muss ich wissen, ob du uns hilfst. Gib mir das entsprechende Zeichen.“

Eine bedrückende Stille breitete sich aus. Während er den Hund ansah, zweifelte Max an seiner Wahrnehmung. Er hatte lautlose Worte gehört, die er nicht glauben konnte. Er war so von dem Hund fasziniert, dass sein Verstand ihm einen Streich spielte. Er bildete sich Dinge ein, die es nicht gab. Fortan würde er den Rottweiler ignorieren, deshalb zeigte er mit dem Daumen nach unten. Das Grün in den Augen des Hundes verdunkelte sich. Bruno drehte sich stillschweigend um und legte sich in den Korb.

Frau Landwehr wohnte nur zwei Straßen vom Tierheim entfernt. Jeden späten Abend, wenn sie ihren Yorkshire Terrier ausführte, sah sie nach den Tieren im Heim. Sie fühlte sich dem Heim eng verbunden, da ihr verstorbener Mann dem Tierschutzverbund angehört hatte, der die Einrichtung immer noch förderte. Meistens hielt sie sich nicht länger als eine Viertelstunde in dem Heim auf, es sei denn, etwas Außergewöhnliches war vorgefallen, was aber nur selten zutraf. Falls es ein Problem gab, dass sie nicht lösen konnte, rief sie Tanja oder Max an. Ansonsten kontrollierte sie nur die einzelnen Unterbringungen und füllte manchmal etwas Trinkwasser nach. Sie erreichte den Parkplatz des Gebäudes, der noch völlig im Dunklen lag. Erst als sie sich dem Eingang näherte, schaltete ein Bewegungsmelder die Beleuchtung an. Ihr kleiner Terrier blieb plötzlich stehen und fing an zu knurren. Frau Landwehr zerrte an der Leine, doch der Hund verharrte mitten auf dem Parkplatz. Rechts aus den Büschen vernahm die ältere Frau ein Rascheln, was den Terrier dazu veranlasste, wütend zu kläffen. Plötzlich kam ein bulliger Rottweiler aus den Büschen gesprungen und baute sich bedrohlich vor Frau Landwehr auf. Er entblößte durch hochgezogene Lefzen seine Zähne. Der Yorkshire Terrier war nicht mehr zu bremsen, er riss sich los und stürmte auf den Rottweiler zu. Doch bevor der kleine Hund dem Rottweiler etwas anhaben konnte, wehrte dieser mit einem gezielten Biss in den Nacken den Angriff ab. Der Terrier jaulte auf, als die Schmerzen seinen zierlichen Leib durchfuhren. Der Rottweiler schleuderte den kleinen Hund in die Büsche und wandte sich dann Frau Landwehr zu. Die Frau versuchte sich ins Gebäude zu retten, doch bevor sie den Schlüssel einstecken konnte packte der Rottweiler nach ihrer Wade. Seine Zähne gruben sich in das Fleisch der alten Frau, die schreiend zu Boden fiel. Sie trat mit dem anderen Bein nach dem Hund, der daraufhin seinen Biss löste und zurückwich. Frau Landwehr sah, wie ihr Blut aus der Wunde quoll. Der Anblick trieb sie in die Ohnmacht.

Max fiel der dunkle Fleck vor der Eingangstür sofort auf. Tanja berichtete ihm von dem bedauerlichen Vorfall. Frau Landwehr läge im Krankenhaus. Sie hätte zwar viel Blut verloren, wäre aber außer Lebensgefahr. Ein Passant hätte sie bewusstlos auf dem Parkplatz vorgefunden. Am Morgen seien zwei Polizisten gekommen, die von einem Rottweiler berichteten, der Frau Landwehr angegriffen hätte. Die Frau würde ihren kleinen Hund vermissen. Tanja und einer der Polizisten hätten den Yorkshire Terrier in den Büschen neben dem Parkplatz tot aufgefunden.

 

Max war schockiert. Er dachte an seine ganz spezielle Unterhaltung mit Bruno. Ob er nun wollte oder nicht, er musste den alten Rottweiler zur Rede stellen. Nachdem Tanja gegangen war, suchte er Brunos Unterkunft auf. Der Rottweiler schlief.

„Bruno!“, brüllte Max in die Box.

Der alte Hund schlug die Augen auf. Er erhob sich aus dem Korb und streckte seine maroden Muskeln. Schwerfällig wankte er auf das Gitter zu. Max sah ihn auffordernd in die Augen. Als Bruno bereit war, flackerten die grünen Blitze auf.

„Hast du das mit Frau Landwehr veranlasst?“, fragte Max, ohne auf die Stimme in seinem Kopf zu warten.

„Hast du es immer noch nicht kapiert? Ich verstehe deine Worte nicht! Aber ich kann mir vorstellen, was du von mir willst. Wir mussten dir eine Lektion erteilen, damit du uns ernst nimmst. Brutus sollte der Frau, die hier nachts immer auftaucht, Schmerzen zufügen, aber nicht umbringen. Lebt sie noch? Du erinnerst dich an die Zeichen?“

Max zeigte Bruno den erhobenen Daumen. Dass der kleine Hund aber tot sei, konnte er Bruno nicht mitteilen, da der zwar seine Gedanken transportieren konnte, selber aber nur die Daumensprache beherrschte.

„Dann musst du ja kein schlechtes Gewissen haben. Ich hoffe, unsere Maßnahme hat bei dir trotzdem Wirkung hinterlassen. Jetzt nochmal zu den Regeln. Solltest du meine Forderungen nicht erfüllen, wird sich Brutus deinen Sohn vornehmen, erst den jüngeren, und falls das nicht hilft, den älteren. Wahrscheinlich wird er bei deinen Söhnen nicht so viel Gnade walten lassen wie bei der alten Frau. Wenn du auf die Idee kommen solltest, mir etwas anzutun oder mich umzubringen, wird Brutus deine Frau zerfleischen. Falls Brutus etwas zustößt, werde ich deine Familie eigenhändig auslöschen. Auch wenn ich alt bin, glaube mir, ich werde einen Weg finden, um sie ins Jenseits zu befördern. Sind die Regeln bei dir angekommen?“

Max war von den kaltblütigen Gedanken entsetzt, die Bruno ihn übermittelte. Innerlich verwirrt hob er den Daumen.

„Nun zum Ablauf unseres Rachefeldzuges. Da das Ehepaar geldgierig ist und sich gerne am Leid der Tiere erfreut, werden die Hundekämpfe weiterhin stattfinden. Eine arme Seele wird Brutus Platz übernehmen. Am Samstag wird die Arena wieder seine Pforten öffnen und viele Hundebesitzer werden wie die Geier ihre abgerichteten Lieblinge anfeuern. Das Ehepaar wohnt abseits der Stadt auf einem Resthof. Das alte Anwesen liegt in einem Wald und ist nicht von der Straße einzusehen. Die Hunde sind in einem ehemaligen Schweinestall untergebracht, der direkt an das Wohnhaus angrenzt. Es wäre gut, wenn du sie freilassen könntest. Die Kämpfe finden in einer großen Scheune statt, die dicht neben dem Wald steht. Die Autos der Menschen parken vor der Scheune. Wenn die vierbeinigen Gladiatoren die Arena betreten, werden alle Menschen drinnen sein. Du wirst sie Brüllen hören. Die Scheune besteht überwiegend aus Holz, was es uns leichter macht. Du sollst den Tempel in Brand setzten, während sich die Geier am Blut meiner Artgenossen ergötzen. Verteile Benzin rund um das Gebäude, gieße es über ihre Luxuskarossen und entfache ein Feuer, aus dem es kein Entkommen gibt. Am besten wäre es, wenn du das Tor von außen verriegelst. Ich will, dass die Sadisten zu Asche zerfallen. Sie sollen ihre Sünden im Fegefeuer büßen. Am kommenden Samstag musst du zuschlagen. Ich glaube, es sind noch zwei Tage. Ist das richtig?“

Max zeigte mit dem Daumen nach unten.

„Drei Tage?“

Max drehte den Daumen nach oben.

„Umso besser, so hast du genügend Zeit, um alles vorzubereiten. Brutus kommt jede Nacht zu mir an den Außenzwinger, wo wir uns beraten. Er wird dich unterstützen und mir alles berichten. Morgen werdet ihr zu dem Hof gehen, dann kannst du dir alles genau ansehen. Sei vorsichtig und lass dich nicht erwischen. Denke immer an deine Kinder. Brutus wartet am Abend vor deinem Haus auf dich. Ich kann dir den Weg nicht beschreiben, von daher muss dich mein Sohn zur Stätte der Abrechnung führen. Ihr werdet ein paar Stunden unterwegs sein, am besten du nimmst eine Taschenlampe mit. Am nächsten Tag besorgst du Benzin und was du sonst noch benötigst. Samstagabend kommt Brutus wieder zu dir. Du packst das Benzin in dein Auto und fährst mit Brutus zu den Geiern. Du trägst das volle Risiko, also hinterlasse keine Spuren. Wenn du im Gefängnis sitzt, werden deine Kinder sicherlich sehr traurig sein. Das Schicksal deiner Familie liegt allein in deinen Händen. Leider kannst du jetzt nicht mit mir kommunizieren, ich werde dich nicht verstehen und deine Gedanken kann ich auch nicht lesen. Es gibt also keine Kompromisse. Du entscheidest mit deinem Daumen, wer sterben muss. Deine Familie oder die sadistischen Geier. Meine abschließende Frage lautet: Hilfst du uns und legst das Fegefeuer?“

Max zweifelte nicht mehr an der Stimme in seinem Kopf. Bruno wartete mit einem eiskalten Blick auf seine Entscheidung. Einen Daumen, der zur Seite zeigte, würde der hasserfüllte Rottweiler nicht akzeptieren. Max durfte das Leben seiner Familie nicht in Gefahr bringen. Er konnte das Risiko nicht abwägen, konnte seinem Gegenüber keine Fragen stellen. Ein Hund verlangte von ihm den Tod anderer Menschen, die er nie zuvor gesehen hatte. Würde er solch eine Tat jemals mit seinem Gewissen vereinbaren können? Wenn seiner Familie etwas zustoßen würde, würde sein Gewissen ihn um den Verstand bringen, dessen war er sich sicher. Demzufolge gab es nur eine Entscheidung. Max hob zitternd seinen Daumen. Bruno neigte seinen Kopf, als wolle er Demut oder Dankbarkeit ausdrücken wollen. Das Grün erlosch. Zufrieden legte sich der alte Hund in den Korb.

Am Folgetag nahm Bruno keinen Kontakt zu Max auf. Scheinbar war seiner Ansicht nach alles gesagt. Max hatte in der Nacht kaum geschlafen, zu viele Gedanken taumelten unentschlossen durch seinen Kopf. Auf was hatte er sich da eingelassen, einlassen müssen. Er wurde von einem alten Hund erpresst und wusste keinen Ausweg. Selbst wenn er beide Hunde töten sollte, traute er Bruno zu, längst andere Artgenossen beauftragt zu haben, die später seiner Familie Leid zufügten. Er würde nie wieder ruhig schlafen können, wenn er sich nicht an die Regeln hielt. Max quälte sich durch den Tag und sehnte sich den Abend förmlich herbei. Seine Mission musste beginnen, bevor er komplett an seinem Verstand zweifelte.

Seiner Frau erzählte Max, er würde sich mit Freunden treffen um eine Runde Skat zu spielen, was durchaus länger dauern könnte. Er spähte solange aus dem Fenster, bis der Rottweiler auf der anderen Straßenseite auftauchte. Max zog seine Jacke an, in der er heimlich eine Taschenlampe verstaut hatte, und verabschiedete sich von seiner Frau. Er überquerte die Straße und stellte sich vor Brutus, der ihn misstrauisch ansah. Max erwiderte den Blick, wartete auf ein grünes Leuchten in den Augen des Hundes, obwohl er sicher war, dass Brutus keine Gedanken übertragen konnte. Diese Gabe besaß nur sein Erzeuger. Statt Informationen zu senden, knurrte der bullige Rottweiler Max an und setzte sich anschließend in Bewegung. Er ging nach rechts die Straße hoch und Max folgte ihm wie ein Untergebener, was er in gewisser Weise auch war. Brutus beschleunigte seine Schritte und Max hatte Mühe, das Tempo mitzugehen. Als sie die Siedlung verlassen hatten und nach links an der Hauptstraße entlanggingen, zog Max seine Jacke aus, weil er bereits ins Schwitzen gekommen war. Brutus marschierte vorweg, ohne sich ein einziges Mal umzublicken. Nach einigen Kilometern bogen sie auf eine Landstraße ab. Die kurvenreiche Straße wurde von dicken Bäumen flankiert, von denen manche vernarbte Rinden aufwiesen. Vermutlich hatten diese Bäume Bekanntschaft mit verunfallten Autos gemacht. Max kannte die Strecke, auf der er schon mal beinahe ein Reh überfahren hätte, wobei er beim Ausweichmanöver um Haaresbreite vor einen dieser Bäume gekracht wäre. Er, das Reh, sein Auto und der Baum hatten die Schrecksekunde schadlos überstanden. Jetzt wurde er von einem Hund über den Radweg geführt, der sich parallel zur Straße zwischen den Bäumen schlängelte, ohne zu wissen, wo dieser Marsch enden würde. Die Dämmerung setzte bereits ein, als Max und sein vierbeiniger Begleiter das Ende der Straße erreicht hatten. Die beiden gingen nach rechts und kamen an eine Bushaltestelle vorbei, hinter der sie die Straße überquerten. Nach einer langgezogenen S-Kurve bogen sie in einen schmalen asphaltierten Waldweg ein. Das verbliebene Tageslicht wurde von den Blättern des Mischwaldes gefiltert, sodass auf dem Weg absolute Dunkelheit herrschte. Max schaltete seine Taschenlampe an. Der Lichtkegel auf dem Asphalt veranlasste Brutus dazu, zum ersten Mal während ihres abendlichen Marsches stehenzubleiben. Er vergewisserte sich, von wem das Licht stammte, das so plötzlich den Weg erhellte. Ohne einen Laut von sich zu geben, setzte er seinen Gang fort. Die schmale Straße zog sich wie eine gerade Schnur durch den Wald. Max kannte diesen Streckenabschnitt nicht. Standen an der Landstraße noch vereinzelte Häuser, wohnte in dieser Gegend nicht eine Menschenseele. Dafür bot der Wald Unterschlupf für einheimische Tiere. Es zwitscherte, zirpte und raschelte im dunklen Dickicht des Unterholzes. Max mochte die nächtliche Geräuschkulisse, sie lenkte vom eigentlichen Sinn der Wanderung ab. Der Weg schien nicht enden zu wollen. Begleitet von den Klängen des Waldes, setzte Max einen Fuß vor den anderen. Nach endlosen Metern stoppte Brutus und stellte sich vor Max. Seine Augen leuchteten im Licht der Lampe. Er stieß Max mit dem Kopf an und knurrte leise. Als sein Blick zur Lampe wanderte, begriff Max, was der Hund von ihm wollte. Max schaltete die Taschenlampe aus, woraufhin Brutus weiterging. Jetzt marschierte er gemächlich vorweg, damit Max in der Dunkelheit seiner Silhouette folgen konnte. Nur kurze Zeit später, schimmerte vor ihnen ein diffuses Licht durch die Bäume. Je näher sie kamen, umso mehr erhellte es den Wald. Aus der Ferne erkannte Max bereits ein Gebäude. Er hoffte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Rechts zweigte ein mit Schotter ausgestreuter Weg ab. Spurrillen hatten sich in den steinigen Untergrund gefräst. Brutus ging langsam über den Schotterweg auf einen mächtigen Eichenbaum zu, wo er auf Max wartete. Max stellte sich hinter den Baum, von wo aus er den Hof gut einsehen konnte. Die Außenbeleuchtung erhellte eine große gepflasterte Fläche, die sich vor den Gebäuden befand. Auf der rechten Seite parkten zwei Autos. Links stand das Wohnhaus, durch dessen Fenster Licht schimmerte. Direkt an dem Haus grenzte ein altes Stallgebäude, in dem sich nach Brunos Aussage die Hunde befinden mussten. Neben dem Stall gab es eine Zufahrt, durch die man hinter den Hof gelangen konnte. Rechts davon stand die große Scheune, in der die Hundekämpfe stattfanden. Wie Bruno beschrieben hatte, bestand die Fassade aus Holz. Ein doppelflügeliges Holztor führte in die Scheune hinein. Max erkannte vier Metallbügel, durch die eine Stange geschoben war, damit das Tor nicht aufging. Vielleicht sollte er sich solch eine Stange besorgen, überlegte er. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Tür des Stallgebäudes öffnete. Ein großgewachsener Mann mit Halbglatze betrat den Hof. Er hatte eine Bulldogge angeleint und ging mit dem Tier über die Pflasterung. Max rückte strammer an die Eiche, damit der Mann ihn nicht entdeckte. Brutus fletschte die Zähne und fing an böse zu knurren. Max zischte den Rottweiler kurz an, der daraufhin verstummte. Seiner Reaktion nach, musste es sich bei dem Mann um den Hundetrainer handeln, unter dessen Methoden Brutus und all die anderen Hunde so gelitten hatten. Ein Verband an der rechten Hand des Hünen bestätigte Max Vermutung. Die Verletzung hatte ihn Brutus bei der Flucht zugefügt. Der Mann brüllte der Dogge einige Kommandos zu. Als der Kerl wieder in Max Blickfeld kam, schlug er mit einem Rohrstock auf den Hund ein. Die Bulldogge jaulte auf und wurde von dem wütenden Trainer mit der Leine zurück in den Stall gezerrt. Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu. Brutus spannte seine Muskeln. Er zitterte am ganzen Leib. Man konnte ihm seine Wut ansehen. Max wies mit ausgestrecktem Arm zum Weg und zischte den aufgebrachten Rottweiler wieder an. Brutus verstand und lief zurück zum Schotterweg. Sie machten sich auf den Rückweg. Auf halber Strecke verschärfte Brutus das Tempo und rannte einfach davon. Max legte den restlichen Weg alleine zurück. Begleitet wurde er lediglich von umherschwirrenden Gedanken.

Am folgenden Tag kaufte Max in unterschiedlichen Baumärkten Kanister und tankte sie an mehreren Tankstellen voll. Außerdem besorgte er sich eine stabile Eisenstange und eine Fackel. Die Sachen verstaute er im Kofferraum seines Autos und deckte sie mit einer Plane zu. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Bruno nahm keinen Kontakt mehr zu ihm auf, was Max eher als beruhigend empfand, weil der alte Rottweiler ihn anscheinend vertraute. Ein Vertrauen, das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Falls er versagen sollte, würde Bruno wahrscheinlich keine Rücksicht auf seine Familie nehmen. Er, Brutus oder ein anderer von Bruno beauftragter Hund könnte seinen Liebsten schreckliche Dinge antun. Max durfte sich keine Fehler leisten.

 

Max war die Ruhe in Person, als am Samstag die untergehende Sonne die Stunde der Vergeltung einläutete. Er hatte gut geschlafen und den Tag über im Garten gearbeitet. Alle Zweifel waren verflogen wie dunkle Wolken im Sommerwind. Er würde sich in Brunos Namen für das Leid der Tiere rächen und alles würde gut werden. Seiner Frau erzählte er, dass es im Tierheim ein Notfall gäbe und er nicht genau wüsste, wann er wieder zurück sein würde. Er setzte sich ins Auto, fuhr aus dem Carport und wartete an der Straße auf Brutus. Als der Rottweiler über den Bürgersteig angelaufen kam, öffnete Max die hintere Tür und ließ den Hund auf die Rückbank springen. Brutus hechelte und schien nervös zu sein. Max kümmerte sich nicht weiter um ihn und fuhr los. Ohne Probleme fand er den unscheinbaren Waldweg wieder. Als er sich dem Hof näherte, stellte er die Scheinwerfer seines Wagens aus und rollte mit geringer Geschwindigkeit durch den dunklen Wald. Die Lichter des Hofes tauchten vor ihm auf, was ihn dazu veranlasste, noch langsamer zu fahren. Brutus stellte sich auf die Rückbank und sah ungeduldig aus dem Seitenfenster. Die Zunge ragte weit aus seinem Maul, Sabber tropfte auf den Stoff des Rücksitzes. Max fuhr auf den Schotterweg und rollte leise auf die Eiche zu, hinter der sie sich bei der ersten Besichtigung versteckt hatten. Nach der Eiche kam eine unbewachsene Fläche, auf der er das Auto abstellte. Bis zum Hof waren es noch etwa fünfzig Meter, die er zu Fuß zurücklegen wollte. Max stieg aus und öffnete die hintere Tür. Brutus sprang sofort aus dem Auto und wollte direkt zum Hof rennen. Max zischte ihn energisch an, woraufhin der Hund neben dem Auto stehenblieb und Max mit erwartungsvollen Augen anstarrte. Max legte einen Finger vor seine Lippen und hoffte, dass der Hund die Geste verstand. Auf der gepflasterten Fläche vor den Gebäuden parkten mindestens zehn Fahrzeuge. Aus der Scheune drang eine wilde Geräuschkulisse. Grölende Männer gepaart mit lautem Hundegebell. Das Tor der Scheune war geschlossen, doch nicht mit einer Stange verriegelt. Max hoffte, dass die Männer so euphorisch mit sich selbst und den Hunden beschäftigt waren, dass niemand die Kampfarena verlassen würde. Er öffnete den Kofferraum und holte die Eisenstange, die Fackel und einen Benzinkanister heraus. Er näherte sich über den steinigen Weg dem Hof, jederzeit bereit, sich hinter einem Baum zu verstecken. Brutus folgte ihm wie ein vierbeiniger Schatten. Der Geräuschpegel aus der Scheune übertönte alles. Auch aus dem Stallgebäude drang Hundegebell nach draußen. Er brauchte keine Angst zu haben, dass ihn jemand hörte. Allen Anschein nach, hatten die Personen in der Scheune großen Spaß. Max stellte die Sachen hinter einem der parkenden Fahrzeuge ab. Mit der Eisenstange ging er zum Tor und schob sie vorsichtig durch die halbrunden Bügel. So ließ sich der Ausgang von innen nicht mehr öffnen. Max lief noch zweimal zu seinem Auto, um die restlichen Kanister zu holen. Brutus wich nicht von seiner Seite. Als er alles auf dem Hof deponiert hatte, rannte Max zuerst einmal um die gesamte Scheune, um sicher zu gehen, dass es keine weitere Tür gab. Nur auf der Rückseite befanden sich ein paar kleine Luken, durch die Bruno und Brutus geflohen waren. Ein ausgewachsener Mann würde wohl kaum durch die teilweise verbretterten Öffnungen passen, eine Erkenntnis, die Max einigermaßen beruhigte. Auf der Stirnseite der Scheune lagerte unter einem Überstand trockenes Stroh, was Max dazu veranlasste, an dieser Stelle mit dem ersten Feuer zu beginnen. Er holte einen Kanister und die Fackel, die er zuerst mit seinem Feuerzeug anzündete und in den Boden stach. Er verteilte das Benzin der Länge nach im unteren Bereich des Strohs. Der Geruch der Dämpfe reizte seine Nase. Mit dem Rest aus dem Kanister zog er eine kurze Rinne über den Boden. Ein letztes Mal tauchten Zweifel bei ihm auf. War es wirklich richtig, was er hier tat? Innerlich bejahte er diese Frage, weil er keinen anderen Ausweg wusste. Er griff nach der brennenden Fackel und holte nochmal tief Luft. Der ätzende Gestank brannte in seinen Lungen. Er neigte die Fackel nach unten und zündete das Benzin am Ende des Rinnsals an. Das Benzin fing sofort Feuer, welches sich gierig in das trockene Stroh fraß. Binnen Sekunden standen die gepressten Strohballen in Flammen. Das Fegefeuer war entfacht. Max hielt sich nicht lange auf und brachte die Fackel hinter die Scheune, wo er sie zunächst in den Boden rammte. Er rannte nach vorne und holte zwei weitere Kanister. Eilig verteilte er die leicht brennbare Flüssigkeit an der Holzfassade. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Brutus ihn interessiert beobachtete. Mit der lodernden Fackel setzte er das Holz der Scheune in Brand. Die Flammen schmiegten sich an die uralten Bretter und züngelten langsam nach oben. Aus der Scheune vernahm Max immer noch gutgelaunte Stimmen. Einige schrien, andere lachten, noch hatte niemand die nahende Katastrophe bemerkt. Dies wollte sich Max zu Nutze machen und rannte schnell nach vorne. Das restliche Benzin verteilte er an der Gebäudefront und zwischen den Autos. Die beinahe leeren Plastikkanister stellte er vor das verriegelte Scheunentor. Er begab sich hinter das letzte Auto und warf die Fackel in eine Lache Benzin. Die auflodernde Flamme schlängelte sich um die Autos wie eine feuerspeiende Schlange. An den ersten Reifen stieg dunkler Rauch auf. In Windeseile erreichte das Feuer die Holzfassade und verteilte sich zu beiden Seiten. Die mit Dämpfen angereicherten Kanister vor dem Tor pufften explosionsartig zu einem Feuerball auf, der die Flammen in die Höhe trieb. Erste Ausläufer flackerten am Dachstuhl auf. Die Geräuschkulisse in der Kampfarena veränderte sich. Niemand lachte mehr, die Freudenschreie wichen derben Flüchen. Max erkannte aufkommende Panik, die von wild bellenden Hunden untermauert wurde. Jemand rüttelte an dem Holztor, doch die massive Eisenstange versperrte den Weg aus dem Fegefeuer. Die Schreie wurden lauter, die Panik größer. Max hörte, wie etwas krachend gegen das Tor geschlagen wurde. Irgendwann würden die Bügel mit der Stange von dem verbrannten Holz abfallen. Bis dahin musste er verschwunden sein. Max rannte zur Mitte des Platzes, der in einem gespenstisch flackernden Licht gehüllt war. Grauer Rauch trieb über die Baumwipfel. Einige Fahrzeuge brannten bereits lichterloh. Max blickte auf die verheerenden Ausmaße seiner Tat, doch Reue verspürte er nicht. All das hatten die Tierquäler einem alten Hund zu verdanken. Bruno konnte stolz auf ihn sein. Doch jetzt wollte Max den Ort der Vergeltung schnellstmöglich verlassen. Er bewegte sich schon Richtung Auto, als Brutus ihn auffordernd anbellte. Der Rottweiler stieß an sein Bein und rannte dann zum Stallgebäude. Wieder bellte er solange, bis Max auf ihn zukam. Max ahnte, was der Hund wollte. Er öffnete die Stalltür und verängstigte Laute schlugen ihm entgegen. Während Max und Brutus in das Gebäude gingen, durchfuhr ein Vorschlaghammer das verbrannte Holz des Scheunentores.

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