Madame Nina weiß alles

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Auf der Uniform hatte ich aus gutem Grund bestanden. Oft waren es entzückende Mädchen, die da bei mir arbeiten wollten, aber nicht alle konnten sich schöne Kleider leisten. Deshalb schien mir die einheitliche Garderobe sinnvoll. Und die Idee bewährte sich, die Uniform machte die Mädchen gleich, egal aus welcher sozialen Schicht sie kamen.

In die heute gedrückte Atmosphäre der Bar sagte ich laut: »So geht das nicht. Hier herrscht eine Stimmung wie bei einer Beerdigung. Los, los!«

Manuela erwachte aus ihrer Starre, nahm ihre Handtasche und suchte darin etwas. Dann zog sie ein vorerst undefinierbares Stück Stoff heraus. Es war eine Herrenunterhose. Ein weißer Slip der Marke Calvin Klein. Mit belegter Stimme erzählte sie, dass Charlie Sheen ihn im Séparée vergessen hatte. Nun wollte sie seine Unterhose für alle Zeiten als Andenken aufbewahren. Sie hielt den Slip wie eine Fahne in die Luft. »Da steht Calvin Klein drauf«, rief sie. »Aber wenn Charlie ihn anhatte, war Calvin groß darin.«

Wir brachen in schallendes Gelächter aus. In unseren kollektiven Heiterkeitsausbruch hinein kam der erste Gast des Abends durch die Tür. Es war der Rechtsanwalt mit dem verschnupften Hund. Ob der guten Stimmung erfreut, stimmte er in unser Lachen mit ein, ohne den Grund unserer guten Laune zu kennen. Ich ging auf den Herrn zu und begrüßte ihn. »Wie geht es Pino?«, fragte ich ihn. »Ist er wieder gesund?« Er nickte erfreut. »Du hast dir sogar seinen Namen gemerkt«, sagte er.

Manuela, die Charlie Sheen so sehr ins Herz geschlossen hatte, schloss wenig später ihr Studium ab. Ich war dabei, als ihr das Diplom überreicht wurde. Ich freute mich und war ein bisschen stolz auf sie.

Nicht allen Mädchen, die bei mir arbeiteten, schafften danach den Sprung in ein glückliches Leben. Doch Manuela scheint das gelungen zu sein. Bei mir in der Bar verliebte sie sich in einen Bauunternehmer. Mittlerweile haben sie und der Herr zwei Kinder. Ob ihr Leben glücklich ist, kann nur sie selbst sagen. Aber ich glaube, dass sie es gut getroffen hat.

Wenn ich sie das nächste Mal sehe, werde ich sie aber auf alle Fälle fragen, was aus Charlie Sheens Calvin-Klein-Unterhose geworden ist.

Rohdiamanten

Diskretion war für mich immer das oberste Gebot, sie stand stets an erster Stelle meines Ehrenkodex. Niemals, wirklich niemals, würde ich den Namen eines Herrn nennen, der Gast in meinem Etablissement war. Eine Ausnahme mache ich aber, wenn Gäste selbst ganz offen in den Medien über ihre Vorliebe für die Bar gesprochen und sich dazu bekannt haben, dass sie meinen Nachtclub gern besuchen. Was die Namen der übrigen Herren betrifft, sind meine Lippen für ewige Zeit versiegelt. Keiner meiner Gäste soll jemals wegen der angenehmen Stunden, die er in Ninas Bar genossen hat, Schwierigkeiten bekommen. Keiner soll sich für diese schöne Zeit rechtfertigen müssen.

Von Anfang an wollte ich mit meinem Nachtclub einen Mikrokosmos der Entspanntheit und Behaglichkeit schaffen, der nichts mit der Alltagswelt vor der Eingangstüre zu tun hat. Hier sollten die Gäste in ein Märchenland abtauchen und Abenteuer erleben können. Die Herren mussten aber sicher sein, dass sie diese aufregenden Episoden ihres Lebens, die Befriedigung ihrer innersten Sehnsüchte, im Kreis von zutiefst loyalen Freunden genießen konnten. Meine Mädchen und ich wurden diesem unausgesprochenen Wunsch nach absolutem Vertrauen von Anfang an gerecht. Die Herren wussten, dass nichts, was in der Bar geschah, nach außen drang.

Dass sich die Gäste unserer Verschwiegenheit gewiss waren, erwies sich als äußerst zuträglich fürs Geschäft. Denn die Gäste bedankten sich für unser Stillschweigen und die Intimität, die sie in meiner Bar genossen, oft mit unglaublicher Großzügigkeit. Sie orderten den besten Champagner, ließen die edelsten Tropfen in Strömen fließen. Mancher Gast badete im wahrsten Sinne des Wortes darin. Ich erinnere mich an einen Herrn, der den Jacuzzi eines Séparées mit Champagner füllen ließ.

Charlie Sheen, über dessen Besuch in meiner Bar ich eingangs erzählt habe, fällt nicht unter meine selbst auferlegte Verschwiegenheitspflicht. Er hat mit Journalisten darüber gesprochen, wie gern und wie oft er bei mir Gast ist. Und das hat er nicht nur einmal getan. Deshalb habe ich mich entschlossen, diesem Buch meine Erinnerungen an ihn voranzustellen. Immerhin ist er ein Hollywoodschauspieler, ein internationaler Star, und es ist doch schön, wenn ein so prominenter Herr die Geschichte meines Lebens, meine Memoiren, eröffnet. Die Erlebnisse mit Charlie Sheen zeigen ja auch, wohin mich mein Schicksal geführt hat. Ich wurde Europas letzte echte Puffmutter, das war meine Bestimmung. Ich werde Sie auf eine Reise in die Vergangenheit mitnehmen, Ihnen erzählen, wie es dazu kam, und was ich alles in meiner Bar erlebt habe.

Die Episode mit Charlie Sheen habe ich Ihnen zum Aufwärmen serviert. Damit Sie wissen, woran Sie hier sind. Damit Sie eine Vorstellung haben, was Sie erwartet, wenn ich Sie aufs schlüpfrige Parkett des Wiener Nachtlebens der vergangenen dreißig Jahre bitte.

Halt. Schlüpfrig ist eigentlich nicht das richtige Wort, um mein Etablissement und meine Mädchen zu beschreiben. Sage ich schlüpfrig, schwingt etwas Anstößiges, Unanständiges, Ordinäres und Billiges mit. Und weder die Mädchen, die bei mir gearbeitet haben, noch das Ambiente meiner Bar wurde diesen Begriffen gerecht. Ja, die Mädchen boten auch Liebe an, aber eine Art der Liebe, die vermutlich ehrlicher war, als dies oftmals im Alltag der Fall ist.

Ich werde Ihnen wilde und groteske, abenteuerliche und lustige, tragische und weise Geschichten über einige der mehreren Hundert Mädchen erzählen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten bei mir gutes Geld verdient haben. Dass es in meinem Etablissement nie schlüpfrig wurde, ist sicher auch meiner Auswahl dieser Damen zu verdanken.

Wenn sich ein Mädchen bei mir vorstellen kam, gab es ganz klar definierte Kriterien, die sie zu erfüllen hatte. Hübsch sollte sie sein und Ausstrahlung und Charisma haben. Fröhlichkeit musste sie mitbringen, ein positives Wesen. Und nach Möglichkeit sollte sie intelligent sein und mehrere Sprachen beherrschen. Völlig nebensächlich war dagegen ihre Herkunft; ob sie aus einer wohlsituierten Familie kam oder aus einer unteren sozialen Schicht, war mir egal. Eine untergeordnete Rolle spielte auch das Alter. Obwohl ich doch gern Anfängerinnen nahm, die noch nie in diesem Gewerbe gearbeitet hatten, denn sie ließen sich leichter nach meinen Wünschen und zu ihrem Vorteil formen.

Um herauszufinden, ob ein Mädchen meinen Vorgaben entsprach, vertiefte ich mich in ein Gespräch mit ihr, um es besser kennenzulernen. Ich erkannte rasch, ob eine Dame in meine Bar passte, denn ich betrachtete die Bewerberinnen aus meiner ganz eigenen Perspektive, ich nannte sie Stein-Perspektive. Diese Betrachtungsweise hatte drei Kategorien, in die ich die Mädchen, die sich vorstellten, einteilte. Es gab rohe Edelsteine, die sich in kurzer Zeit zu perfektem Glanz schleifen ließen. Es gab Halbedelsteine, die mit Geduld und Liebe ebenfalls zu recht ansehnlichen Schmucksteinen werden konnten. Es gab aber auch die Pflastersteine, bei denen jede Mühe vergeblich wäre, sie würden nie glänzen.

Zumeist entschied ich mich für Rohdiamanten, die noch geschliffen werden mussten. Im Formen dieser Mädchen habe ich mir in den Jahrzehnten, während ich die Bar betrieb, unendliche Geduld antrainiert. Ich nahm die jungen Damen also unter meine Fittiche und arbeitete mit ihnen zuerst an ihren Umgangsformen und an ihrem Aussehen.

Ich erklärte ihnen, wie sie sich den Gästen gegenüber zu benehmen hatten, dass ich von ihnen erwartete, dass sie höflich und freundlich sind und gut zuhören können müssen. Ich zeigte ihnen auch, wie man Champagner einschenkt und Drinks serviert.

Wichtig war natürlich ihre optische Erscheinung. Hatte ein Mädchen schlechte Zähne, schickte ich sie auf meine Kosten zum Zahnarzt. Die Arbeit in meiner Bar sollte ja nicht an ihrem Friedhof im Mund scheitern, wenn sonst alles passte. Für manche Mädchen vereinbarte ich einen Termin beim Friseur. Denn sie sahen zwar hübsch aus, aber erst eine neue Haarfarbe oder eine schicker Schnitt machten sie zum unverwechselbaren Typ. Außerdem erteilte ich den jungen Damen eine Lektion in Körperpflege. Sie mussten sich gründlich und regelmäßig baden, ihre Fingernägel und ihre Haare pflegen und frisch duften.

Wohlgerüche waren mir immer besonders wichtig. In meinem Etablissement legte ich nicht nur Wert auf absolute Sauberkeit, da durfte kein Staubkörnchen auf der Theke liegen, ich ließ sogar die Champagnerflaschen polieren, ehe sie gekühlt wurden, sondern es musste auch herrlich duften. Für das angenehme Aroma sorgten riesige Arrangements weißer Lilien, meine Lieblingsblumen, die ich regelmäßig liefern ließ, und der sinnliche Geruch der Duftkerzen, die jeden Abend entzündet wurden, bevor die ersten Gäste kamen. Natürlich erwartete ich auch von meinen Mädchen, dass sie ein exklusiver, frischer, sanft-blumiger Duft einhüllte. Bei den Parfums kam nur das Beste vom Besten in Frage. Ich ließ Flakons der großen Marken wie Hermès und Chanel bringen und die Mädchen konnten sich ihr Lieblingsparfum auswählen.

Düfte spielen für mich von frühester Kindheit an eine große Rolle. Ich erinnere mich noch immer an den frischen Geruch, der meine Mutter umgab. Als junges Mädchen las ich in einem Buch den Satz »Es hat nach billigem Parfum gerochen«. Ich sprach mit meinem Vater darüber und er erklärte mir den Unterschied zwischen minderwertigen und teuren Essenzen, aus denen Düfte hergestellt werden. »Wer sich kein edles Parfum leisten kann, sollte sich auf Wasser und Seife beschränken«, sagte er. »Wenn du einen Duft trägst, dann muss er fein und feminin sein.«

 

Mein persönliches Lieblingsparfum ist seit vier Jahrzehnten »Must de Cartier«, ein orientalischer, aber dennoch frischer Duft. Manchmal probiere ich etwas Neues aus, aber immer wieder komme ich auf »Must de Cartier« zurück, weil mich dieses Aroma begeistert. Dieser Duft, das bin einfach ich.

Eine Erklärung für meine Besessenheit von exklusiven Gerüchen liefert vielleicht die Astrologie. Ich bin ein doppelter Löwe, also im Sternzeichen Löwe geboren und auch mein Aszendent steht im Löwen. Und im Zeichen des Löwen Geborene lieben nicht nur alles Schöne und Teure, sondern auch exquisite Düfte. Ich bin tatsächlich wie eine große Katze. Ich schnuppere und rieche gern überall.

Den Wohlgeruch in meiner Bar perfektionierte ich im Lauf der Jahre so weit, dass dieses Bouquet aus weißen Lilien, Duftkerzen und den Parfums der Mädchen die Herren regelrecht anlockte. Wurde die Eingangstüre geöffnet, entfaltete sich der angenehme Geruch am ganzen Bauernmarkt. Manche Gäste erzählten mir, dass sie eigentlich nur vorbeigehen wollten, der typische Duft sie aber auf magische Weise in mein Etablissement gezogen habe. Ja, die Herren waren stets voll des Lobes über das Aroma, das sich in und vor der Bar entfaltete, obwohl es manchem vielleicht auch Probleme bereitet hat, wenn er nach einem Besuch bei mir eingehüllt in unseren Duft nach Hause kam.

Ich glaube, dass viele Frauen unterschätzen, wie sehr der Duft des Exquisiten die Männer anzieht, und wie sehr die Erinnerung an ein schönes Erlebnis mit einem bestimmten Geruch verknüpft ist. Ein Gast, ein Franzose, der damals ein hochrangiger Polizist in Paris war, sprach mich einmal darauf an. »Ich war schon oft in Wien und bin viel herumgekommen«, sagte er, »doch ich habe mich noch nie so wohlgefühlt wie in Ihrer Bar. Es riecht hier auch so gut. So eine Madame wie Sie könnte auch Paris gut gebrauchen.«

Ich verstand die Begeisterung des Franzosen gut. Meine Mädchen rochen so fein und in ihren Uniformen mit den durchsichtigen schwarzen Bodys und der schwarzen Unterwäsche sahen sie aus wie Püppchen. Die Herren konnten sie auspacken wie Pralinen.

Sagen Sie jetzt nichts über Gleichberechtigung und Emanzipation. Nachtleben ist Showbusiness, und die Herren mochten diese Show. Und die Mädchen verdienten bei mir recht gut. Sicher war ihre Arbeit nicht immer leicht, aber sie erhielten für jede Flasche Champagner, die ein Gast bestellte und die er mit derjenigen Dame genoss, zehn Prozent des Kaufpreises. Zusätzlich bekamen die Mädchen Trinkgeld, das ganz ordentlich ausfallen konnte. Besonders dann, wenn sie spezielle Wünsche der Herren erfüllten.

Das Honorar, das die Mädchen erhielten, wenn sie einen Gast in ein Séparée begleiteten, war allein ihre Sache. Das ging mich nichts an, da habe ich mich nicht eingemischt. Ich weiß, dass die Herren die jeweilige Dame für eine Stunde Vergnügen mit etwa hundertfünfzig bis zweihundert Euro entlohnten, es gab aber auch Gäste, denen das Amüsement fünftausend Euro wert war.

Ich bot den Mädchen ein sicheres, angenehmes Umfeld für ihre Arbeit, dafür erwartete ich von ihnen Disziplin und Professionalität. Dazu gehörten auch Pünktlichkeit und Zurückhaltung im Umgang mit den Gästen. Wenn ich etwa an der Theke saß und ein Gespräch verfolgte, in dem ein Mädchen einem Herrn von seinen privaten Problemen erzählte, schritt ich sofort ein. Meistens genügte ein Blick, um es auf seinen Fehler hinzuweisen. Die Damen sollten sich, wenn dies dem Gast ein Bedürfnis war, seine Sorgen anhören, aber nicht umgekehrt.

Ja, was schlüpfrig ist und was nicht, mag eine Frage der Perspektive sein. Meine Bar war es aber, so sehe ich das zumindest, nie. Sie war anders. Gestatten Sie mir einen Vergleich. Meine Bar war wie eine Pferdekutsche. Ich war der Kutscher, der die Zügel hielt. Meine Mädchen waren die Pferdchen und in der Kutsche saßen die Gäste. Die Pferde waren wild, leidenschaftlich und manchmal störrisch. Ich brauchte Strenge und Einfühlungsvermögen, um sie zu lenken, damit die Gäste die Kutschfahrt ihres Lebens genießen konnten. Das war »Ninas Bar«.

Manchmal waren nicht nur die Mädchen störrisch, sondern auch die Herren, die zu uns kamen. Ehe ich Ihnen über meinen Schicksalsweg erzähle, der mich von Kroatien über Amerika nach Wien führte, wo ich zur legendären Puffmutter wurde, möchte ich Ihnen eine Geschichte über einen ganz besonderen Gast anvertrauen, auf den dies zutrifft. Damit breche ich mein persönliches Schweigegelübde die Besucher meiner Bar betreffend nicht, denn der Herr, den ich auf ganz spezielle Art und Weise schätzte, ja, liebte, machte nie ein Geheimnis aus seinen Besuchen in meinem Etablissement.

Falco

Ich liebte alle Herren, die zu mir kamen. Allein schon deshalb, weil sie kamen. Meine Gäste genossen also einen großen Sympathievorschuss. Bei näherer Betrachtung gab es allerdings nicht mit allen sofort ein herzliches Verstehen, obwohl die Herren, mit denen ich gleich eine Verbundenheit fühlte, in der Überzahl waren. Bei den anderen dauerte es eine Weile, bis wir uns mochten.

In erster Linie denkt man, dass die Chemie zwischen zwei Menschen stimmen muss, damit sie gut miteinander auskommen. Das mag schon stimmen, aber ich habe in den vielen Jahren in meiner Bar erkannt, dass der Beruf eines Herrn eine große Rolle dabei spielte, ob ich mich gut mit ihm verstand. So gab es nie Sympathieprobleme mit Gästen, die eine Führungsposition innehatten, wie Unternehmer oder Manager. Mit ihnen vertrug ich mich immer auf Anhieb. Weit schwieriger war der Umgang mit Künstlern. Oft fragte ich mich, woran das lag. Vielleicht daran, dass Führungskräfte klar und strukturiert denken, sie planen genau und verfolgen konkrete Ziele. Und so agieren sie auch im Privatleben. Das macht sie leicht einschätzbar, man kann ihre Reaktionen vorhersehen.

Künstler dagegen sind immer ein bisschen chaotisch, auch im Denken. Sie folgen ihrer Intuition, sie sind emotioneller und sprunghafter. Das macht sie kompliziert. Falco war einer der kompliziertesten.

Eines Abends kam er in die Bar. Nein, er kam nicht, sondern er erschien. Mit einer ganzen Entourage im Schlepptau. Mit hoch erhobenem Kopf, provokant- arrogantem Blick und kerzengeradem Rücken schob er sein Ego vor sich her. Er setzte sich hemmungslos in Szene, jede seiner übertriebenen Gesten schien zu rufen: »Schaut her, da bin ich! Der Größte! Der Beste!« Es war dieser inszenierte Auftritt, der ihn mir, wie soll ich sagen, ja, auf Anhieb unsympathisch machte.

Dabei hatte er natürlich guten Grund, stolz zu sein. Falco, der Wiener Popstar, der eigentlich Hans Hölzel hieß, hatte Hochsaison, er war am Zenit seines Erfolges. Es war noch nicht lange her, dass er es mit seinem Song »Rock Me Amadeus« als erster deutschsprachiger Musiker an die Spitze der amerikanischen und der englischen Charts geschafft hatte. Dieser Hit und andere seiner Lieder wie »Vienna Calling« liefen unentwegt im Radio, und meine Mädchen tanzten dazu, wenn einer der Songs bei mir in der Bar gespielt wurde.

Als nun Falco höchstpersönlich eines Nachts bei uns erschien, legten sie sich ordentlich ins Zeug, um ihm zu imponieren. Schnell wurde sein Hit »America« in die Musikanlage geschoben, und die Mädchen sangen aus Leibeskräften mit, um Falcos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das Typische an mir

I bin untypisch ganz und gar

Einmal hoch und einmal tief

Einmal gspritzt, dann wieder klar

Die Mädchen bemühten sich vergeblich. Falco würdigte sie keines Blickes.

Es war tief in der Nacht. Er wankte schon ein bisschen. Ob der genossene Alkohol oder etwas anderes der Grund dafür war, dass er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, weiß ich nicht. Sein Gleichgewichtssinn war jedenfalls nicht mehr der beste, doch von seiner arroganten Attitüde hatte er keinen Funken eingebüßt. Umgeben von seinem Gefolge lehnte Falco an der Theke und unterhielt sich mit nasaler Stimme mit seiner Entourage. Blasiert, hochnäsig, überheblich und selbstherrlich sind die Attribute, die mir heute einfallen, wenn ich an den Falco von damals zurückdenke.

Von meinen Mädchen, die sich immer wieder zu ihm drängten, nahm er keine Notiz. Erst Tanja schaffte es, mit Falco ins Gespräch zu kommen. Tanja war ein schlankes, blasses Mädchen. Sie sah so unschuldig aus, als hätte sie sich von der Betstunde kommend in die Bar verirrt. Doch das täuschte. Tanja war intelligent und schlagfertig. Manchmal übertrieb sie es auch und wurde richtig frech.

Es dauerte nicht lange, und sie setzte sich zu Falco an die Bar, begleitet von den neidvollen Blicken der anderen Mädchen. Ich kannte Tanja gut genug, um zu wissen, dass sie zu ihm passte. Denn auf seine herablassenden, snobistischen Sprüche würde sie mit stoischer Gelassenheit antworten.

Genau das tat sie auch. Sie hielt dagegen, aber nicht zu viel. Sie provozierte ihn, aber wohldosiert. Am Ende zogen sich die beiden in mein exklusivstes Séparée zurück, in den Roten Salon.

Falco kam immer öfter in die Bar. Ich hatte das intensive Gefühl, dass ihn mehr herzog, als die Lust aufs Nachtleben, auf schöne Mädchen und auf die Möglichkeit, sich hemmungslos zu inszenieren. Da war etwas, das über diese Dinge hinausging, etwas, das ihn an meiner Bar faszinierte. Doch was genau ihn hier so in den Bann zog, konnte ich nicht erklären.

Ich beobachtete ihn, wie ich alle Gäste beobachtete, um sicherstellen zu können, dass er sich wohlfühlte. Gleichzeitig hoffte ich, dadurch irgendeinen Anhaltspunkt zu bekommen, was ihn an meiner Bar so begeisterte.

Falco bestellte immer Jack-Daniel’s-Whiskey für sich, und für die Mädchen Champagner. An seiner herablassenden Art änderte sich nichts. Einige Nächte widmete er sich demselben Mädchen, um es dann ganz plötzlich links liegen zu lassen und nicht mehr zu beachten und sich ausschließlich mit einem anderen zu beschäftigen. Doch selbst dieses unverschämte, flegelhafte Verhalten verhinderte nicht, dass ein Mädchen nach dem anderen sein Herz an ihn verlor.

Wie kann man sich nur in einen Mann mit solchen Manieren verlieben, dachte ich. Ich verstand das zwar nicht, aber ich akzeptierte es. Der Gast war zufrieden, und die Mädchen waren selber schuld, wenn sie nicht professionell die Grenze zogen. Trotzdem konnte ich mir eines Abends ein Kopfschütteln nicht verkneifen, als er sich den Mädchen gegenüber wieder besonders rüpelhaft benahm.

Falco bemerkte meinen Unwillen. Er bat mich zu seinem Tisch. Ich wusste, warum. Trotzdem gab ich die Unwissende. Ich lächelte ihn an. »Was ist denn, Hans?«, fragte ich. »Ist bei dir alles in Ordnung?«

Er nahm einen kräftigen Schluck Jack Daniel’s, direkt aus der Flasche. Es war, wie zumeist, bereits die zweite an diesem Abend.

»Warum schüttelst du den Kopf?«, fragte er. »Was mache ich falsch?«

»Du solltest die Mädchen nicht so von oben herab behandeln«, hielt ich ihm entgegen. »Du lebst doch auch in gewisser Weise von ihnen. Sie kaufen alle deine Platten.«

Er nahm noch einen Schluck Whiskey. Es schien, als würde er sich meine Worte zu Herzen nehmen. »Du hast recht«, sagte er dann auch. »Könntest du bitte die Musik etwas leiser machen? Ich möchte dazu etwas sagen.«

Obwohl es mir seltsam vorkam, dass sich Falco, der in meiner Bar sonst eher unter seinen Freunden blieb, an alle Gäste wenden wollte, erfüllte ich ihm seinen Wunsch und machte die Musik leiser. Die Bar war voll, jeder Tisch besetzt. Alle Augen richteten sich auf ihn, als er sich erhob. Er stellte die Whiskeyflasche ab und ging zu unserer kleinen Bühne.

Die Bühne in meiner Bar war ein kleines Podest in einer Nische. Dort wurde oft und gern getanzt. Die Mädchen drehten sich allein zur Musik oder sie tanzten mit den Herren. Besonders am Donnerstagabend, dem traditionellen »Herrenabend«, an dem immer Boogie-Musik auf dem Programm stand, wurde die Bühne stark frequentiert.

Eines Abends war auf der Bühne der Teufel los. Eines meiner Mädchen tanzte mit einem Gast zu den Liedern des Musicals »Das Phantom der Oper«. Die beiden machten das wirklich gut. An einem der Tische saß ein Herr allein bei einem Glas Champagner und beobachtete die Darbietung. Ich ging auf ihn zu. »Sie sitzen so allein hier, mein Herr«, sagte ich. »Darf ich Ihnen eine Dame schicken, die Ihnen Gesellschaft leistet?«

»Nein, danke«, antwortete der nette Gast. »Ich warte, bis das Programm zu Ende ist.«

Er dachte tatsächlich, dass wir hier in der Bar auf der Bühne eine professionelle Show bieten.

In meiner Bar ging es ja auch um Unterhaltung. Es war nicht so, dass die Gäste sofort mit einem Mädchen im Séparée verschwanden. Es gab Herren, die sich davor stundenlang in der Bar amüsierten, die tanzten und sangen. Manchmal dachte ich, dass diese Männer ein recht unglückliches Leben haben mussten, wenn sie nur hier bei mir richtig Spaß haben konnten.

 

Nun stellte sich Falco auf die Bühne und ich nahm an, dass er nach meinen mahnenden Worten etwas Verbindliches sagen würde, vielleicht etwas Selbstkritisches, etwas in der Art, dass es ihm hier gefiel, dass er allen dankbar für das gute Service und die freundliche Behandlung war, und dass er sich bessern wolle. Doch Falco war ein Mann der Überraschungen.

Da stand er nun, alle schauten zu ihm und jeder wartete auf seine Rede. Doch es kam anders. Langsam knöpfte Falco den Hosenschlitz seiner Jeans auf. Dann holte er sein bestes Stück hervor, das, wie mir die Mädchen schon berichtet hatten, von ansehnlicher Größe war. Ja, und dann pinkelte Falco auf die Bühne.

Alle waren fassungslos. Ich auch. Doch im Gegensatz zu den anderen musste ich etwas tun. Schließlich war ich die Chefin. »Hans«, sagte ich, während er noch pinkelte, »was machst du da?«

Er schnauzte mich an. »Halt den Mund«, rief er. »Du kannst dir deine Huren in den Arsch schieben. Ich brauche euch alle nicht.«

Das war zu viel. Ich erteilte ihm Lokalverbot, was auch sonst. Eine so strikte Maßnahme war ungewöhnlich, denn ich hatte ein großes Herz und sah über Verfehlungen der Gäste eher hinweg, zumal dann, wenn sich ein Herr entschuldigte. Falco dachte aber nicht daran, um Verzeihung zu bitten. Und so blieb ich hart, auch wenn es sich bei ihm um einen international erfolgreichen Popstar handelte.

Mir war schon damals klar, dass Falco große Probleme hatte. Ich bin empathisch, ich fühle mich leicht in Menschen ein, deshalb ahnte ich, dass sich hinter seiner arroganten Maske eine verletzte Seele verbarg. Heilung suchte er nicht im Hellen und Positiven, ihn zogen das Dunkle, die Abgründe und die Exzesse an. Dazu gehörte Alkohol, der seine Schwierigkeiten noch verstärkte.

Bereits zwei Nächte später konnte sich Falco nicht mehr an seinen skandalösen Auftritt und dessen Konsequenz erinnern. Er klopfte wieder am Portal meiner Bar. Die schwere Eingangstüre, außen in dunklem Schönbrunner-Grün lackiert und innen rot tapeziert, war stets verschlossen. Erst nach einem Blick durchs Guckloch entschieden die Mädchen oder ich, ob ein Herr eingelassen wurde. Als Falco draußen stand, schickte ich ihn weg. Er gebärdete sich wie ein abgewiesener Liebhaber, raunzte und bettelte, war beleidigt und verletzt. Das war Falco in einer völlig neuen Rolle. Und zum ersten Mal war er mir sympathisch. Ich fühlte mit ihm, und ich war sicher, dass ich mit meiner schon lange gehegten Vermutung recht hatte. Er war nicht wie die anderen Gäste, die in meine Bar kamen, um Spaß zu haben, sich wohlzufühlen und sich mit den Mädchen zu vergnügen. Falco zog noch etwas anderes hierher.

Aber ich konnte ihn nicht hereinlassen. Er hatte Lokalverbot. Aus gutem Grund, er hatte auf meine Bühne gepinkelt. Es musste Grenzen geben, vor allem im Nachtleben, und die Einhaltung dieser Grenzen musste kontrolliert werden. In meiner Bar sorgte ich dafür. Hätte ich Falco seine Entgleisung durchgehen lassen, wären vielleicht andere Gäste auf die Idee gekommen, sich auch so schlecht zu benehmen. Wer weiß, welche Gespenster ich da geweckt hätte.

Ein halbes Jahr später, als Falcos empörender Bühnenauftritt einigermaßen in Vergessenheit geraten war, stand er wieder in meinem Etablissement. Ein neues Mädchen, das nichts von dem Vorfall wusste, hatte ihn eingelassen. Er war also wieder da, und das war in Ordnung. Ich hob das Lokalverbot für ihn auf, und von nun an zeigte er bessere Manieren.

Zwar schien er auf den ersten Blick immer noch sehr arrogant, doch es schwang jetzt auch ein Hauch von Demut in seinem Verhalten mit, Dankbarkeit dafür, dass er hier sein konnte, dass wir ihn in unsere Show aufnahmen, dass wir ihn liebevoll umsorgten. Vielleicht spielte auch mit, dass Falco dabei war, sich in eines meiner Mädchen zu verlieben. Sie hieß Evelyn und hatte kurze, platinblonde Haare.

Evelyn hatte eine schwierige Kindheit und Jugend. Sie lebte mit ihrer Mutter eine Zeit lang im Ausland und hatte dort viel Leid erlebt, bittere Armut und Vernachlässigung. Daran war sie fast zerbrochen, sie hatte jeden Respekt vor sich selbst verloren. Als sich Evelyn bei mir bewarb, zeigte sie keine Spur von Selbstsicherheit. Ich hatte schon immer ein gutes Händchen für derart vom Leben gebeutelte Mädchen. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst keine Kinder habe, vielleicht konnte ich bei ihnen meine Muttergefühle ausleben. Auf jeden Fall bin ich stolz, dass ich es zumeist schaffte, diesen Mädchen zu helfen, ihren Selbstwert zu stärken, damit sie wieder zu sich selbst finden konnten. Bei Evelyn war das auch so.

Sie war einer von den rohen Edelsteinen, das war mir klar, als ich sie zum ersten Mal sah. Groß, schlank und sportlich, mit wunderschönen langen schwarzen Haaren. Perfekt, müsste man eigentlich denken. Aber es gab viele schöne Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Ich musste Evelyn zu einem anderen Typ machen, dann wäre sie ein Brillant.

Damals war die Dänin Brigitte Nielsen mit ihrer platinblonden Kurzhaarfrisur der Traum vieler Männer. Nielsen, groß, durchtrainiert und immer ein wenig von der Aura der Unnahbarkeit umgeben, war Model für Giorgio Armani, Gianni Versace und Gianfranco Ferré, und der italienische Produzent Dino De Laurentis hatte sie für den Film »Red Sonja« mit Arnold Schwarzenegger unter Vertrag genommen.

Frauen, die aussahen wie Brigitte Nielsen, waren damals im Nachtleben selten. Und ich dachte mir, dass Evelyn genau dieser Typ sein könnte, dass ihr die Frisur von Brigitte Nielsen stehen würde. »Du hast so ein hübsches Gesicht und so einen schönen Körper«, sagte ich zu ihr. »Ich habe eine Idee. Lass deine Haare schneiden und platinblond färben.«

Danach sah Evelyn fantastisch aus. Sie strahlte eine große Kühle aus, während ihre Augen von Toleranz, von Geduld, Verständnis und Nachsicht sprachen. Tugenden, die sie in den Jahren ihrer Kindheit und Jugend beim stetigen Blick in die Abgründe des Lebens erworben hatte. Evelyn umgab etwas Rätselhaftes, und die Männer liebten sie.

Sie war es auch, die mir erklärte, was Falco wirklich bei mir in der Bar suchte. Er wollte sich in der Fantasiewelt, die wir alle unter meiner Regie Nacht für Nacht schufen, nicht bloß bedienen, um sich zu belohnen und sich etwas zu gönnen, er wollte ein Bestandteil von ihr sein. Kein Außenstehender, nicht bloß ein Gast, sondern ein Mitglied der Familie, er wollte die Seiten wechseln. Falco suchte nach Geborgenheit und hielt dieses inszenierte Märchen des Barbetriebes für das reale Leben, er konnte offenbar nicht zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden.

Zuerst verlor Evelyn ihr Herz an ihn. Sie kokettierte mit ihm. Wenn ich die beiden zusammen sah, ahnte ich immer, dass Liebe zwischen diesen beiden nicht ausgeschlossen war. Denn in gewisser Weise konnten sie auf Augenhöhe miteinander umgehen. Im realen Leben trennten Falco und Evelyn zwar Lichtjahre, er war ein Weltstar, sie eine Prostituierte, aber im Inneren waren sie beide verletzte Kinder, sensibel genug, um ein Leben lang darunter zu leiden, und mutig genug, um ein Leben lang gegen ihren Schmerz zu kämpfen. Falcos Verwundung kam vielleicht daher, weil sein Vater die Familie verlassen hatte. Die Ursache von Evelyns Verletzung waren vermutlich die Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend machte. Aber ich weiß es nicht, und es steht mir auch nicht zu, darüber Vermutungen anzustellen. Denn obwohl manche in mir eine Psychotherapeutin sahen, hatte ich gar keine diesbezüglichen Qualitäten. Ich war eher gut darin, zu zeigen, wie man trotz seelischer Verletzungen lebt und das möglichst gut.