Herrengedeck und Herzenswärme

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Herrengedeck und Herzenswärme
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Herrengedeck und Herzenswärme

Kleine Kneipen in und um Osnabrück

von Thomas Wübker

Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co.KG

Breiter Gang 10 – 16

49074 Osnabrück

Telefon 0049 (0)541 310-360

E-Mail: ebook@noz.de

Registergericht: AG Osnabrück HRA 3551

Dieser Titel ist auch auf shop.noz.de erhältlich

Sie finden uns im Internet unter: www.noz.de

1. Auflage 2016

© Neue Osnabrücker Zeitung

Redaktion: Burkhard Ewert (Ltg.), Arne Köhler, Carmen Vosgröne (Archiv/Produktion); Julia Knieps (Koordination)

Bildquellenverzeichnis: Marco Gausmann (2), Michael Gründel (3), Swaantje Hehmann (2), Uwe Lewandowski (15), Jörn Martens (17), Thomas Osterfeld (18), Elvira Parton (27), Hermann Pentermann (21), Oliver Pracht (1), Egmont Seiler (17), Gert Westdörp (6), Thomas Wübker (9)

Soweit beim einzelnen Beitrag nicht anders vermerkt, stammen alle Texte dieses Buches von unserem Autor Thomas Wübker

ISBN: 978-3-7418-0453-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Editorial

Von politischen Reden in Bier-Burgen und Lohntüten-Tagen in Arbeiterkneipen

1. Osnabrücker Kneipen – so vielfältig wie die Stadtteile

Parkhaus Rink: Verliebt, verlobt, verheiratet

Im „Haste Töne“ ist alles lila – an der Bramscher Straße wird Fußball geguckt und genagelt

Das Bachmayer’s ist eine typische Kneipe im Schinkel

Sieben-Tage-Woche hinterm Tresen im Union-Stübchen am Arndtplatz

Prachtexemplar einer Eckkneipe – Die Fürstenberg-Klause an der Sutthauser Straße

Wasserpfeife trifft Pils – Gaststätte Neumann und Keskin-Shisha-Bar unter einem Dach

Sportfreunde und gute Bekannte im Vesperstübchen beim OTB

Die Kneipe Zum Findling steht für die „Generation Herrengedeck“

Wo Deutschland Weltmeister wurde – Die Scholle in der Wüste

Deutsch-italienische Freundschaft in der Uhlhornklause

Die „schönste Theke Osnabrücks“ steht in der Neumarkt-Mühle

Tradition und Moderne: 110 Jahre altes Gasthaus Wente in Voxtrup

Die Kneipe „Waldesruh“ – ein Veilchen, das im Verborgenen wächst

In der Sutthauser Mühle ist die Zeit stehen geblieben

In der Carlsburg im Herzen vom Schinkel wird ein ehrliches Wort geschätzt

Liefert gute Gründe, den Zug zu verpassen: Die Kneipe „Abgefahren“

Stilvoll – Das „Comeback“ an der Lotter Straße

Ersatz-Wohnzimmer: Ahmed Ok geht „Neue Wege“

Bernds „Frühgaststätte“ hat nur an den Weihnachtstagen geschlossen

In „Klatte’s Speisekammer“ in Eversburg ist jeder willkommen

In der Isenbeck-Stube in Eversburg gibt es schon vormittags „Portionen“

Ins „Confusion“ gehen nicht nur Schwule – Szenetreff am Pottgraben

Viel größer als man denkt – Gasthaus Görtemöller in der Dodesheide

Zu Besuch „bei Pascal“ im Warsteiner-Treff in der Krahnstraße

Im „Adlerhorst“ am Sonnenhügel geht das Leben immer weiter

2. Osnabrücker gehen (r)aus – Kneipenflair im Freien

„Hier findet jeder einen Platz“ – das Büdchen

Entspannter Genuss mit Weitblick – das Panorama am Neumarkt

Gut essen und trinken im Weingarten vom Joducus

Eine grüne Oase im Hinterhof bietet das Stadtgalerie-Café

Ein dezentes Metallschild weist den Weg zur Heimlich Cocktail-Bar

Busch in Atter wandelt sich

Der Laubenpieper auf dem Schinkelberg ist der höchste Biergarten der Stadt

Nicht nur für Cineasten – Die Kneipe 8 1⁄2 am Hasetorkino

Beim Unikeller im Schloss gibt es Frisches vom Hahn zwo

Ein Pils in der Idylle an der Huxmühle

Wilde Triebe im Sutthauser Bahnhof mit besonderem Flair

Brasilianisches Lebensgefühl im Planeta Sol

3. Kneipen im Osnabrücker Land – Tradition trifft Moderne

Die Kneipe als Generationenhaus – Evis Gaststätte in Belm

Gute Zeiten – schlechte Zeiten: Lachen und Weinen im Apfelbaum in Georgsmarienhütte

In der Schweger Gaststätte Brüggemann in haben Frauen das Sagen

In der Nemdener Gaststätte „Zum Kurrel“ geht es familiär zu

Das Original von Ohrbeck – Morgens ist Rentner-Treff in der Gaststätte „Zum Wilkenbach“

Bei Beckmann in Wallenhorst bestimmen Kinder, wo es langgeht

In der Laerer Gaststätte Böckmann gibt es Kredit für Neulinge

Idylle und Flair der Siebziger: Gaststätte Striedelmeyer-Gretzmann in Hagen-Sudenfeld

Schnitzel und schöne Augen – Im Gasthof Schirmbeck-Hunsche treffen sich Generationen

Die Eheleute Zahlten fühlen sich wohl in ihrer Gaststätte „Zur Eiche“ in Belm

Herrenrunde im Wissinger Eck – In Meike und Christian Vöckers Dorfkneipe herrscht Toleranz

Die Borgloher Gaststätte Ostendarp ist seit Jahrzehnten in Familienhand

Very British – Der englische Pub „Red Lion“ in Bad Iburg

„Nachrichtenbörse“ für die Siedlung: Die Heideschänke am Harderberg

Im Wallenhorster Gasthof zur Post geht die Post ab

„Mia san mia“ in Hasbergen – Fußball ist Thema Nummer eins in der Gaststätte Zur Holzheide

Mit dem Pferd zur Kneipe – 175 Jahre Linner Dorfschänke

Im Oeseder Gasthaus Uthmann gastierten viele Prominente

Motorenklänge und Männergesang – Teuto-Rast 68 in Hilter gab es schon vor der B 68

Nässe in und außerhalb der Kneipe – Lachen im Gasthaus „Zur Nassen Heide“ in Wallenhorst

Vorwort

Kennen Sie den? Es ist schon lange nach Mitternacht, als der Ehemann mit deutlicher Schlagseite nach Hause kommt. Er war natürlich mal wieder viel zu lange in seiner Stammkneipe. Er bemüht sich, leise zu sein, damit die Gattin nicht aufwacht. Vergeblich. Sie steht wutentbrannt in der Tür. „Wo kommst du jetzt erst her, und was machst du für einen Lärm?!“ – „Mir sind die Schuhe umgefallen.“ – „Aber das macht doch nicht so einen Krach!“ – „Ich stand noch drin.“

Zugegeben – es gibt bessere Witze. Aber er ist typisch für das Genre des Kneipenwitzes, in dem fast immer ein fröhlicher Hallodri vorkommt, der sich mit seinen Kumpels im Stammlokal betrinkt, während die brave Ehefrau zu Hause auf ihn wartet und, mit fortschreitender Zeit zunehmend zornig, das Nudelholz aus der Schublade kramt.

Wir schmunzeln, bemerken aber auch, dass das Geschlechter- und Familienbild, das der Witz transportiert, deutlich aus dem vorigen Jahrhundert stammt. Und wer hat schon noch eine Stammkneipe, in der er sich regelmäßig mit seinen Freunden zum Stammtisch oder Frühschoppen trifft? Ja gibt es sie eigentlich überhaupt noch, die „kleine Kneipe in unserer Straße“, die der große Peter Alexander in den Siebzigern besungen hat? Jene Kneipe, „in der das Leben noch lebenswert ist“ – und die zugleich wie aus der Zeit gefallen wirkt?

Die Antwort: Ja, es gibt sie noch – mit Betonung auf dem „noch“. Als diese Zeilen verfasst werden, ist im traditionsreichen „Union-Stübchen“ am Arndtplatz gerade das letzte Bier gezapft worden. Damit wurde ein weiteres Kapitel Osnabrücker Gastronomiegeschichte zugeschlagen. Früher gab es in jedem Stadtteil gleich mehrere Lokale, in denen sich die Menschen aus dem Viertel nach Feierabend auf ein Pils und einen Korn trafen. Heute sind es nur noch wenige. Tendenz: fallend.

In der Zeit „zwischen den Jahren“ 2011 und 2012 erschienen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ die ersten Folgen der Serie „Die kleine Kneipe…“. Seither hat sich unser Mitarbeiter Thomas Wübker immer wieder zum Jahreswechsel aufgemacht und ist in die Welt der letzten Osnabrücker Eckkneipen eingetaucht. Er hat sich die Geschichten der Lokale und ihrer Stammgäste erzählen lassen. Dabei gab es viel zu lachen, aber manchmal auch eine kleine Träne wegzuwischen. Denn die guten alten Zeiten sind unwiederbringlich vorbei, das bekam der Reporter bei seinen Besuchen oft zu hören. Immer wieder stieß er aber auch auf großen Optimismus, auf Wirte, die viel Wert auf die Tradition ihrer Gaststätte legen und mit neuen Konzepten deren Zukunft gestalten möchten.

Thomas Wübkers lesenswerte Beiträge bilden den Grundstock für dieses Buch. Ergänzt werden sie durch die Porträts einiger Osnabrücker Biergärten, zum Teil verfasst von Wolfgang Elbers und Marco Gausmann, sowie durch einen Blick zurück in Urgroßvaters Zeiten, als es sich nicht geziemte, innerhalb der Stadtmauern zu zechen – weshalb man sich eben außerhalb traf.

Die Texte erscheinen in diesem Buch inhaltlich nahezu unverändert und in der Reihenfolge ihres ursprünglichen Abdrucks in der Zeitung beziehungsweise ihrer Online-Veröffentlichung auf noz.de. Diese chronologische Veröffentlichungsform ist bewusst gewählt worden, auch wenn sie mit sich bringt, dass nicht jede der porträtierten Persönlichkeiten auch heute noch am Zapfhahn steht oder regelmäßig an der Theke davor Platz nimmt. Auch einige der vorgestellten Kneipen gibt es inzwischen nicht mehr – so wie das legendäre „Union-Stübchen“ im Stadtteil Wüste. Sollte es deshalb etwa keinen Platz mehr in diesem Buch finden…?

 

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei unseren Streifzügen durch die letzten Eckkneipen in Osnabrück und Umgebung. Für uns noch mal das Gleiche – prost!

Ihr Ralf Geisenhanslüke

Chefredakteur, Neue Osnabrücker Zeitung


Editorial

Es ist eine große Ehre, wenn man gebeten wird, ein Editorial zu schreiben. Allerdings sollte man sich nicht zu früh freuen, vor allem dann nicht, wenn einem diese Ehre erstmals am Abend seiner Journalisten-Laufbahn zuteil wird.

Denn das heißt: Man ist bisher nicht als Spezialist für Editorials aufgefallen. Also muss es das Thema des Buches sein, für das man plötzlich als Editorialist auserkoren wird. Denn der soll ja die Leser einführen in die Materie – und das kann er ja nur, wenn er sich darin auskennt.

Nun kann sich ein jeder ausrechnen, was es heißt, wenn man der Auserwählte wird für das Editorial eines Buches zum Thema „Kneipen in Osnabrück“. Wer ein bisschen wachsam ist, lehnt ein solches Angebot ab, bevor es seine rufschädigende Wirkung entfalten kann.

Mir ist es leider erst eingefallen, besser nicht über das Thema zu schreiben, als ich bereits angefangen hatte, darüber nachzudenken, was ich in diesem Editorial am besten schreiben könnte. Jetzt ist die dialektische Falle zugeschnappt: Ich schreibe, also bin ich. Ein Kneipen-Onkel.

Bin ich aber gar nicht. Und Sie, der das Buch zum Geburtstag bekommen hat, ja auch nicht – Sie lesen es ja nur aus akademischem Interesse an der Kneipenkultur. Und Sie? Ach ja, Sie haben das Buch gekauft, weil sie Osnabrugensien sammeln. Klar, verstehe…

Und Sie, Sie kennen den Autor, Sie haben sich ganz was anderes darunter vorgestellt, und Sie wollen es einem Kollegen schenken, der gern in die Kneipe geht. Ja, ja…

Sie kennen die Fragebögen, die Prominente ausfüllen? Sie kennen die Umfragen von Freizeit-Forschungs-Instituten? Nirgendwo steht da: Mein Hobby – in die Kneipe gehen. Kein Spitzenplatz für die Freizeitbeschäftigung: Mit anderen Menschen rumsitzen und Bierchen trinken. Nichts. Unterhalb der soziologischen Wahrnehmungsschwelle. Nicht vorhanden.

Ich frage mich immer: Was sind das dann für Menschen, die überall in Kneipen sitzen und ihr Leben verschwenden? Vielleicht ist es dasselbe Phänomen wie früher mit Denver oder Dallas und heute mit dem Dschungel-Camp: Keiner guckt es, aber die Einschaltquoten liegen jenseits von fünf Millionen.

Schämen wir uns des ganz normalen, zweckfreien Kneipenbesuchs?

Und wenn schon. Kann man ja ein Pils drauf trinken, und schon sieht die Welt ganz anders aus. Und, guck mal da, er nun wieder – es ist immer einer/eine da, der/die mehr getrunken hat und öfter in der Kneipe ist als man selbst: „Immer wenn ich mal hier bin, steht der da an der Theke – jedes Mal. Unglaublich, oder?“

Vielleicht trägt dieses Buch ja dazu bei, den Besuch von Kneipen vom Stigma des liederlichen, sinnfreien Müßiggangs zu befreien. Muss es aber nicht. Denn genau darum geht es ja, wenn man in die Kneipe geht.

Ich habe an mir selbst beobachtet (gute Editorialisten beobachten sich immer selbst), dass ich in fremden Städten oder Ländern besonders gern in Kneipen gehe. Ich weiß, was mich erwartet, aber ich weiß nicht, was mich genau erwartet.

Es wird manches vertraut sein, aber anderes völlig neu. Man tritt nicht ins völlig Ungewisse, aber es ist trotzdem spannend. Empathische Kneipengänger spüren auf Anhieb, wenn sie ein neues Lokal betreten, ob es ein langer, schöner Abend wird. Das kann man nicht lernen, und wenn, dann von meinem Freund Alfons Batke.

Mit ihm betrat ich einst ein Lokal in Dunedin/Neuseeland, um nach dem Weg zu einer nahe liegenden Sehenswürdigkeit zu fragen, die wir nie zu sehen bekamen. Vielleicht, weil wir ihrer nicht würdig waren, denn wir verbrachten einen unvergesslichen Abend (gut, ein bisschen Nacht war auch dabei) mit ein paar Einheimischen und einem Wirt namens Keith J. Mangos.

Am nächsten Morgen sagte Alfons: „Als wir in den Laden kamen, wusste ich nach fünf Minuten, dass wir uns für den Abend nichts mehr vornehmen mussten.“ Er stand noch lange in Kontakt mit jenem Mr. Mangos.

Ich kann mich an die Namen „meiner“ Wirte erinnern wie an die meiner Lehrer. Vielleicht ist das ein Zeichen. Hans Meister unterwies uns junge Wilde vom Jeggener Weg in der Carlsburg in der Kunst des Knobelns, eine der Zivilisationstechniken, die man wie Skat oder Billard nur in der Kneipe lernen kann.


Die Kunst des Knobelns gehört zu den Zivilisationstechniken, die man wie Skat oder Billard nur in der Kneipe lernen kann. (Thomas Osterfeld)

Er war ein Rheinländer von stämmigem Format, er rauchte Roth-Händle („Wenn schon, denn schon“), und wenn er seine Position von hinter dem Tresen änderte in seitlich vom Tresen, wussten alle: Jetzt ist er Wirt und Gast in einer Doppelrolle.

Es sind die Wirte, die den Kneipen eine Seele geben. Will keiner hören, ist aber so. „Bestell lieber noch ´ne Rutsche und lass das Gequatsche“, hätte Willy Welling in der Gaststätte seines Namens gesagt, wenn man so dahergeredet hätte.

Aber es stimmt. Die Lokale, an die ich mich erinnere, hatten einen Wirt, an den ich mich erinnere. Hans im alten Schinkelaner, der alte Herr Boßmeyer in der Rosenburg oder der Rock ´n´ Roller in der Laterne an der Schützenstraße, wo die Musikbox nur mit Elvis und Co. befüllt war.

Und natürlich Helmut Rupp, der erste Wirt der Altstadt, der die jungen Leute mochte und sie gern um sich hatte. Im Deutschen Haus, einer Altväter-Kneipe mit stark schrumpfendem Kundenkreis, die er mit der Übernahme in eine der ersten brummenden Junge-Leute-Lokale Osnabrücks verwandelte. Gegenüber, in der Peitsche, flog man noch raus, wenn die Haare zu lang waren.

Bei Helmut war man willkommen, deshalb kamen so viele und standen oft mit den Gläsern in der Hand vor dem überfüllten Lokal. Helmut und seine Helfer reichten die Frischgezapften durch das Fenster nach draußen. Outdoor-Gastronomie Anfang der Siebzigerjahre.

Wenn Helmut gut gelaunt war (und das war er oft), kam er an den Tisch und stellte einen gut gefüllten Stiefel auf den Tisch und sagte nur: „Prost!“ Er war ein verrückter Hund, und wir haben ihn geliebt. Ich sehe ihn noch heute vor mir, hinter dem Tresen, verschwitzt, im weißen Hemd, schnell das Bier zapfend und sich zwischendurch die lange Strähne schwarzen Haares aus der Stirn wischend.

Um die Wirte (und Wirtinnen) kreisen auch viele der Geschichten von Thomas Wübker, die in diesem Buch gesammelt sind. Es sind Geschichten von den kleinen Kneipen in unseren Straßen, von den öffentlichen Wohnzimmern in jedem Viertel, von den Oasen in der Einsamkeit der Großstädte…

„Erzähl nich‘ so ‘n Tinneff – gib lieber mal ein‘ aus.“ Recht haste. Mach mal noch einen klar, Chef. Ich bin sicher, Sie werden die in diesem Buch beschriebenen Kneipen erkennen, auch wenn Sie sie noch nie betreten haben.

Und auch die Menschen, die in den liebevollen Kneipenporträts von Thomas Wübker auftauchen, werden Ihnen vertraut sein – irgendwie.

Mir ist es jedenfalls so gegangen, denn ich habe die Serie, deren Stücke die Grundlage für die aktualisierten Kapitel in diesem Buch war, mit großer Freude gelesen. Weil ich das einmal an der falschen Stelle gesagt und den Vorschlag gemacht habe, dass man daraus doch ein hübsches Buch machen könnte, bin ich in der Editorial-Falle gelandet.

Na ja, jetzt ist es ja bald geschafft. Obwohl: Ein paar kulturpessimistische Töne gehören eigentlich immer in ein Editorial. Etwas Nachdenkliches, das auch dem leichtesten Thema intellektuelle Schwere verleiht.

Natürlich könnte ich jetzt das Klagelied anstimmen, dass die Kneipenkultur stirbt, dass die seelenlosen Franchise-Ketten das Ende der gemütlichen, urigen, einzigartigen Kneipe längst eingeläutet haben, und vor allem, dass die Menschen lieber zu Hause bleiben.

Und wenn schon: Es gibt sie noch, die guten Kneipen. Ich postuliere hiermit: Es wird sie immer geben, solange es Menschen gibt. Ich darf das, weil ich die Macht des Editorials wie ein gut gezapftes Pils in den Händen halte.

Jetzt wird es aber Zeit, dass was in die Gläser kommt. Das Editorial haben Sie überstanden, jetzt beginnt die Osnabrücker Kneipentour. Viel Spaß – und lassen Sie sich ruhig mal auf den einen oder anderen Ortstermin ein. Es lohnt sich.

PS: Thomas, da fällt mir ein: Mir sind bei diesem Editorial so viele Lokale aus alten Zeiten eingefallen – was hältst Du von einem neuen Buch: „Wenn der Zapfhahn hochgedreht wird: Die verschwundenen Kneipen Osnabrücks.“

Lass uns mal darüber sprechen – Du bestimmst das Lokal, ich übernehme den Deckel. Einverstanden?

Harald Pistorius, im April 2016

Anmerkung: Hiermit versichere ich, dass das vorliegende Editorial nicht unter dem Einfluss von Alkohol entstanden ist, auch wenn es sich stellenweise so liest.

Von politischen Reden in Bier-Burgen und Lohntüten-Tagen in Arbeiterkneipen

Osnabrück. Carsten Niemeyer ist eine ergiebige Quelle Osnabrücker Kneipengeschichte. Bei dem Thema sprudelt es aus ihm heraus wie frisches Bier aus einem Zapfhahn. Die Rosenburg, die Carlsburg, die Musenburg: Der 39-jährige Fremdenführer von „ZeitSeeing“ zählt die Namen von Kneipen auf, die im 19. Jahrhundert den Osnabrücker Kneipengürtel bildeten.


Zum Wohle: Fremdenführer Carsten Niemeyer ist eine sprudelnde Quelle, wenn es um die Kneipen-Geschichte Osnabrücks geht. (Elvira Parton)

Kneipen und Gaststätten waren von jeher Treffpunkte für Menschen unterschiedlicher Herkunft. Schon zu Urgroßvaters Zeiten wollten die Osnabrücker dort nicht nur ihren Durst löschen. Sie suchten vor allem Amüsement und Geselligkeit. Dies hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht geändert. Am Beispiel der Blankenburg erklärt Carsten Niemeyer, warum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerhalb der Stadtmauern plötzlich eine Burg nach der anderen erblühte: „Die Blankenburg war früher der Hof Blankenmeier in Hellern. Die Umbenennung in Blankenburg klang einfach besser.“

Der Fabrikant Goesling hatte das Gelände gekauft und dort ein Vergnügungslokal errichtet, so Niemeyer. Goesling konnte die Blankenburg mit eigenen Erzeugnissen beliefern: Er fabrizierte Branntwein. Der Unternehmer und sein direkter Konkurrent Roth waren übrigens die ersten Fabrikanten in Osnabrück, die Dampfmaschinen in ihren Betrieben einsetzten, wie Rolf Spilker in seinem Kapitel „Von der Industrialisierung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs“ in der Osnabrücker Chronik von 2006 schreibt. Spilker folgert daraus, dass die Schnapsproduktion in Osnabrück Mitte des 19. Jahrhunderts äußerst lukrativ gewesen sein muss.

Die Bauern in der unmittelbaren Umgebung hatten durch die Einrichtung von Tanzlokalen oder Gaststätten eine Möglichkeit entdeckt, Geld zu verdienen. Also wurden die Huxmühle in Voxtrup oder Knollmeyers Mühle und der Schmied im Hone in Haste zweckentfremdet. Mit dem Haller Willem wurde der Radius ab 1855 sogar erweitert. „Es galt als unschicklich, in der Stadt zu trinken“, erzählt Carsten Niemeyer.

Doch es gab noch einen anderen Grund, warum die Osnabrücker das Weite suchten: „In der Stadt wurde nur Kräuterbier verkauft.“ Das gute Bier nach Mindener Brauart durfte nur außerhalb der Stadtgrenzen ausgeschenkt werden. Da die Osnabrücker Braumeister nicht an Hopfen kamen, verwendeten sie Kräuter. So wollten sie den Hopfen imitieren, sagt Niemeyer. Es ging wohl auch um Steuereinnahmen. Der Magistrat der Stadt baute die Kräuter an.

 

Auf dem Land war zudem nicht nur die Luft frisch, auch die Gedanken waren dort frei. „In den Kneipen traf sich die politische Elite der Stadt“, sagt Niemeyer. Vor den Toren Osnabrücks trauten sich die Leute, das „wahre Wort“ zu sprechen. Innerhalb der Stadtmauern fürchteten die Osnabrücker die Spione des Königs, die angeblich in den Kneipen unterwegs waren, um dem Volk aufs Maul zu schauen.

Das Zechen in der Stadt wurde den Osnabrückern auch aus anderen Gründen vergällt. Mit dem Aufkommen der Industrie erlangten zwar viele Arbeiter einen bescheidenen Wohlstand, ihre Lebensbedingungen waren jedoch alles andere als sonnig. Viele Arbeiter versuchten, sich die armseligen Verhältnisse schönzutrinken. Insbesondere Branntwein soll in der arbeitenden Klasse großen Absatz gefunden haben.

Das fand bei der herrschenden Klasse wenig Anklang. Der Verein gegen Völlerei und der Mäßigkeitsverein wetterten gegen den Genuss von Alkohol. Johann Carl Bertram Stüve, der berühmte Jurist, Historiker, Politiker und Bürgermeister Osnabrücks, sah in der Arbeiterschaft die Wurzel allen Übels. In den von ihm betreuten „Osnabrücker Blätter gegen Branntewein und Berauschung“ stand zu lesen: „Zwei Dinge sind es, daran das Volk zu Grunde geht: Branntwein und Unzucht!“ Die Herren brandmarkten auch die Industriellen, die den Schnaps als Teil des Lohns auszahlten. Die Sozialdemokraten sahen im Alkoholmissbrauch ebenfalls ein Übel, wie der Schriftsteller M. R. Stern 1899 schrieb: „Ein nüchternes, klassenbewußtes Proletariat: Das ist es, was die Gegner fürchten.“

Rolf Spilker, der heute das Museum Industriekultur leitet, schreibt in der Osnabrücker Chronik, dass die Gegner des Schnapses erfolgreich waren. Im Osnabrücker Stahlwerk sei der Konsum von Branntwein einer Verabreichung von Bier gewichen. Spilker führt weiter aus, dass die am Westerberg ansässige Osnabrücker Aktienbrauerei jahrzehntelang das Städtische Krankenhaus mit Bier versorgte: Es wurde als „Stärkungsmittel“ betrachtet.

Carsten Niemeyer sagt, im 19. Jahrhundert habe es 17 Brauereien in Osnabrück gegeben. 1860 haben sich dann zwölf Brauer zusammengetan und die Osnabrücker Aktienbrauerei (OAB) gegründet. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts sei sie Monopolistin in Osnabrück gewesen.

Die Brauereien fanden im 19. Jahrhundert zahlreiche Abnehmer. Im Zuge der Industrialisierung sei es zu einem rasanten Wachstum der Kneipen in Osnabrück gekommen, so Niemeyer. Insbesondere in Schinkel in der Nähe von Klöckner oder OKW seien sie wie Pilze aus dem Boden geschossen. „Solche Arbeiterkneipen haben sich sehr lange gehalten“, sagt Niemeyer. Mit der Einführung des Girokontos habe jedoch das Kneipensterben begonnen, sagt er. „Dann konnten die Männer nicht mehr mit ihren Lohntüten zur Theke gehen.“

Einer, der diese „goldenen Zeiten“ noch miterlebt hat, ist Detlef Jürgens. „Zu Lohntüten-Zeiten war die Kneipe nachmittags immer voll.“ Sein Vater Paul betrieb von 1968 bis 1974 an der Buerschen Straße die „Bürgerklause“. „Stahlwerk, VfL – da war immer was los“, erinnert sich der 49-jährige Großhandelskaufmann. Einen Zug durch die Gemeinde habe damals kaum jemand überstehen können. „Zu viele Kneipen“, sagt er und lacht laut auf. Links und rechts seien in unmittelbarer Nähe der „Bürgerklause“ zwei weitere Kneipen gewesen, sagt er.

Seine Eltern seien von morgens bis abends in der Kneipe beschäftigt gewesen, erzählt Jürgens. Auch er hat vom Durst der Stahlwerker profitiert. Sie kamen zu dem Zaun auf der anderen Seite der Buerschen Straße. „Die Malocher haben gepfiffen, dann haben wir zwei oder drei Kisten Bier rübergeschleppt und ihnen die Flaschen durch den Zaun gereicht“, erzählt Jürgens und ergänzt: „Da musste man aufpassen, dass es nicht zu laut geklackert hat.“

Die Stahlwerker fürchteten wohl nicht, wegen des Biertrinkens während der Arbeitszeit gerüffelt zu werden, sondern die Geschäftstüchtigkeit der Vorarbeiter. Carsten Niemeyer erzählt, die Vorarbeiter hatten früher das Recht , im Betrieb Bier zu verkaufen und damit ihren Lohn aufzubessern. Das 1968 von dem ehemaligen Bürgermeister und Bau-Unternehmer Carl Möller und der Wicküler Brauerei errichtete Gebäude, das früher die „Bürgerklause“ beherbergte, nutzt heute ein bosnischer Verein.

Detlef Jürgens ist froh, dass er die elterliche Tradition nicht fortgeführt hat. Nach dem Tod seines Vaters 1974 führte seine Mutter den Betrieb ein Jahr lang weiter. Dann war Schluss.