Soldat, Bruder, Zauberer

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From the series: Für Ruhm und Krone #5
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KAPITEL VIER

Auf seiner Reise nach Felldust wurde Lucious unentwegt von einem mörderischen Verlangen heimgesucht. Jetzt, da er seinem Ziel immer näher kam, wurde dieses Gefühl sogar noch stärker. Dort stand er nun in dreckigen Kleidern in der sengenden Sonne und floh vor einem Reich, dass ihm hätte zu Füßen liegen sollen.

„Pass auf, wo du hintrittst, Junge“, sagte einer der Matrosen. Er schubste Lucious zur Seite, so dass er ein Seil richtig vertäuen konnte. Lucious hatte keinen Versuch unternommen, sich den Namen des Mannes zu merken und bereute es kurz, denn dann hätte er sich beim Kapitän über seine Mannschaft beschweren können.

„Junge? Du weißt, wer ich bin und du wagst es, mich Junge zu nennen?“ fragte Lucious. „Ich sollte zu Kapitän Arvan gehen und dich auspeitschen lassen.“

„Wenn du das tust“, sagte der Matrose im gelangweilten Tonfall von jemandem, der sich in Sicherheit wog, „dann wirst du bald sehen, wohin dich das führt.“

Lucious ballte die Fäuste. Am schlimmsten war die Einsicht, dass seine Drohungen zwecklos waren. Kapitän Arvan stand auf dem Kommandodeck und umfasste das Steuerrad. Der massige Mann schwankte mit jeder Welle, die das Boot zum Schaukeln brachte. Er hatte Lucious klar gemacht, dass er sich nur soweit um ihn scherte, wie er einen finanziellen Nutzen aus ihm ziehen konnte.

Wieder stieg Wut in ihm auf und brachte die Bilder von Blut und Stein mit sich. Das Blut seines Vaters, das an der Steinstatue einer seiner Vorfahren klebte.

Derjenigen, mit der du mich getötet hast.

Lucious zuckte zusammen, auch wenn die Stimme, die ihn so klar wie ein Morgenhimmel anrief, ihn bereits seit dem ersten Schlag gegen seinen Vater verfolgte. Lucious glaubte nicht an Geister, doch die Erinnerung an die Stimme seines Vaters war noch so lebendig, dass sie ihm jedes Mal antwortete, wenn er versuchte nachzudenken. Ja, sie war nichts weiter als ein Streich seiner Psyche, aber das machte es nicht besser. Das hieß nur, dass seine eigenen Gedanken nicht das taten, was er wollte.

Nichts geschah so, wie er es wollte. Der Kapitän des Kahns, auf dem er angeheuert hatte, hatte ihn nur widerwillig mitgenommen, so als wäre es keine Ehre, Lucious auf seiner Reise mit an Bord zu haben. Seine Männer blickten auf Lucious von oben herab, so als wäre er ein Krimineller der vor seiner gerechten Strafe fliehen würde und nicht der rechtmäßige Herrscher des Reichs, dem auf grausame Weise sein Thron vorenthalten wurde.

Thanos’ Thron.

„Es ist nicht Thanos’ Thron“, zischte Lucious ins Leere. „Er gehört mir.“

„Hast du was gesagt?“ fragte der Matrose ohne sich auch nur umzudrehen.

Lucious entfernte sich von ihm und schlug genervt gegen das Holz des Masts, doch das führte nur dazu, dass er sich schmerzhaft die Knöchel aufschürfte. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er einem oder zwei Crewmitgliedern die Haut abziehen lassen.

Doch Lucious blieb auf Abstand zu ihnen und hielt sich an die Bereiche des Decks, die man ihm zugewiesen hatte, als wäre er ein Bürger, den man anwies, wo er zu stehen hatte. Als könnte er nicht rechtmäßig jedes Schiff des Reichs für sich beanspruchen, wenn er nur wollte.

Doch der Kapitän des Boots tat genau das. Er hatte Lucious die klare Anweisung gegeben, keinen Ärger zu machen und sich von der Mannschaft fernzuhalten solange sie arbeitete.

„Sonst fliegst du über Bord und kannst nach Felldust schwimmen“, hatte der Mann gesagt.

Vielleicht hättest du ihn genauso wie mich töten sollen.

„Ich bin nicht verrückt“, sagte Lucious sich selbst. „Ich bin nicht verrückt.“

Er würde das nicht länger hinnehmen, so wie er es nicht länger hinnehmen würde, dass die Männer zu ihm hinabblickten, als wäre er von keinerlei Wichtigkeit. Er erinnerte sich noch immer an den Zustand kaltblütiger Raserei, in dem er sich befunden hatte, als er auf seinen Vater eingeschlagen hatte. Er fühlte noch immer das Gewicht der Statue in seiner Hand, wie er damit zuschlug, um das zu bewahren, was ihm gehörte.

„Du hast mich dazu gebracht“, murmelte Lucious. „Du hast mir keine Wahl gelassen.“

So wie jedes andere deiner Opfer dir keine Wahl gelassen hat, sagte seine innere Stimme. Wie viele Menschen haben durch dich ihr Leben verloren?

„Warum ist das wichtig?“ fragte Lucious. Er schritt zur Reling und schrie über die brausende See. „Es ist völlig egal!“

„Halt den Mund, Junge, wir versuchen hier zu arbeiten!“ rief der Kapitän vom Steuerrad ihm zu.

Nicht einmal mitten auf dem Ozean kannst du es richtig machen, sagte die Stimme in ihm.

„Halt die Klappe“, zischte Lucious. „Halt die Klappe!“

„Wie kannst du es wagen, so etwas zu mir zu sagen, Junge?“ fragte der Kapitän und trat zu ihm auf das Hauptdeck, um ihn zur Rede zu stellen. Der Mann war größer als Lucious und normalerweise hätte ihn jetzt Angst ergriffen. Doch die Erinnerungen waren so stark, dass für die Angst kein Raum mehr blieb. Erinnerungen an Gewalt. Erinnerungen an all das Blut. „Ich bin der Kapitän dieses Schiffs!“

„Und ich bin der König!“ schoss Lucious zurück. Er holte zu einem Schlag aus, der den anderen Mann an seinem Kiefer treffen und ihn zurücktaumeln lassen sollte. Er hatte noch nie an gerechte Kämpfe geglaubt.

Der Kapitän trat jedoch zurück und wich so mühelos dem Schlag aus. Lucious rutschte aus und in diesem Moment schlug der andere Mann zu.

Er schlug ihn! Als wäre er eine Hure, die sich erdreistet hatte, sich zu widersetzen und nicht ein kampfeswürdiger Krieger. Ein Prinz!

Der Schlag genügte, um ihn auf den Boden des Decks zu schicken und Lucious grummelte leise.

Halt dich besser zurück, Junge, flüsterte die Stimme seines Vaters.

„Halt die Klappe!“

Er griff nach seinem Messer, das er in der Tunika trug. Doch daraufhin versetzte Kapitän Arvan ihm einen Tritt.

Der erste Tritt erwischte Lucious so schwer im Magen, dass er sich von seinen Knien auf den Rücken abrollte. Der zweite Tritt traf nur seinen Kopf, doch er war heftig genug, dass Sterne vor seinen Augen zu tanzen begannen. Doch das brachte die Stimme seines Vaters immer noch nicht zum Schweigen.

Nenn dich nur einen Krieger. Ich weiß, dass du es besser weißt.

Das war leicht gesagt, wenn man nicht derjenige war, der gerade auf einem Schiffsdeck zu Tode gedroschen wurde.

„Du glaubst wohl, dass du mich erstechen kannst, Junge?“ fragte Kapitän Arvan. „Ich würde deine Knochen verkaufen, wenn ich überzeugt wäre, dass sie etwas einbringen würden. Doch so werden wir dich einfach ins Wasser werfen und sehen, ob vielleicht die Haie an dir Interesse zeigen!“ Er machte eine Pause und verdeutlichte das Gesagte mit einem weiteren Tritt. „Ihr zwei, greift ihn. Wir werden sehen, wie gut der Adel auf dem Wasser treibt.“

„Ich bin ein König!“ protestierte Lucious, als raue Hände nach ihm griffen. „Ein König!“

Und schon bald bist du kein König mehr, antwortete die Stimme seines Vaters.

Lucious hatte das Gefühl, schwerelos zu sein, als die Männer ihn so hoch in die Luft hoben, dass er das endlose Wasser um ihn sehen konnte. Dort hinein würden sie ihn werfen, um ihn zu ertränken. Doch so endlos war das Meer gar nicht, oder? Konnte er nicht –

„Land in Sicht!“ rief ihr Späher.

Die Spannung hielt noch einen Moment lang an und Lucious war sich sicher, dass er trotzdem im Wasser landen würde.

Dann donnerte Kapitän Arvans Stimme über das Schiff.

„Lasst diesen königlichen Lump wieder runter! Wir haben jetzt alle unsere Aufgaben, und wir werden uns später um ihn kümmern.“

Die Matrosen stellten keine weiteren Fragen. Sie ließen Lucious vielmehr auf das Deck fallen und machten sich mit dem Rest der Mannschaft daran, die Taue einzuholen.

Du solltest dankbar sein, flüsterte die Stimme seines Vaters.

Lucious war jedoch alles andere als dankbar. Im Geiste setzte er das Schiff und seine Mannschaft auf die Liste derjenigen, die für ihre Taten bezahlen würden, wenn er erst seinen Thron zurück hatte. Er würde sehen, wie sie in Flammen aufgingen.

Er würde sehen, wie sie alle in Flammen aufgingen.

KAPITEL FÜNF

Thanos saß in seinem Käfig und erwartete seinen Tod. Wie er sich auch drehte und wendete, die Sonne über dem Hof schien ihn langsam zu rösten, während die Wachen den Galgen errichteten, an dem er seinen Tod finden würde. Thanos hatte sich noch nie so hilflos gefühlt.

Oder so durstig. Sie schenkten ihm keine Beachtung, gaben ihm weder Essen noch Trinken und beschäftigten sich nur dann mit ihm, wenn sie ihre Schwerter an den Stangen seines Käfigs entlangrasseln ließen, um ihn zu verspotten.

Bedienstete eilten Besorgungen machend über den Hof, und ließen vermuten, dass im Schloss etwas vor sich ging, von dem Thanos nichts wusste. Vielleicht war dies nach dem Tod eines Königs auch schlicht der Lauf der Dinge. Vielleicht war diese Geschäftigkeit auch nur Königin Athenas Art über Delos so zu herrschen, wie sie es wollte.

Thanos konnte sich vorstellen, dass die Königin es so wollte. Während andere sich in ihrer Trauer zurückgezogen hätten und kaum in der Lage gewesen wären, zu funktionieren, konnte Thanos sich vorstellen, dass sie den Tod ihres Mannes als eine Gelegenheit verstand, die genutzt werden musste.

 

Thanos umklammerte die Gitterstäbe seines Käfigs. Es war recht wahrscheinlich, dass er hier der einzige war, der wirklich um seinen Vater trauerte. Die Bediensteten und Menschen von Delos hatten jeden Grund ihren König zu hassen. Athena war so sehr in ihre Pläne vertieft, um sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Und was Lucious anbelangte...

„Ich werde dich finden“, versprach Thanos. „Es wird Gerechtigkeit geben. Für alles.“

„Oh, es wird Gerechtigkeit geben“, sagte einer der Wachen. „Sobald wir dich für das, was du getan hast, ausweiden.“

Er schlug gegen die Stangen und erwischte Thanos’ Finger so, dass er vor Schmerzen fauchte. Thanos wollte nach ihm greifen, doch der Wächter lachte nur, tänzelte rückwärts und gesellte sich wieder zu den anderen, die damit beschäftigt waren, die Bühne zu errichten, auf der Thanos letztendlich getötet würde.

Es war eine Bühne. Das Ganze diente vor allem dem Zweck der Unterhaltung. In einem einzigen Akt der Gewalt würde Athena die Kontrolle über das Reich übernehmen, indem sie die größte Gefahr für ihre Macht auslöschte und gleichzeitig zeigte, dass sie trotz der Thronbesteigung ihres Sohns weiterhin über die Schalthebel der Macht waltete.

Vielleicht glaubte sie wirklich, dass es so funktionieren würde. Wenn dann wünschte Thanos ihr viel Glück dabei. Athena war bösartig und herrschsüchtig, doch ihr Sohn war ein uneingeschränkter Verrückter. Er hatte bereits seinen Vater auf dem Gewissen, und wenn seine Mutter glaubte, ihn kontrollieren zu können, dann würde sie alle Hilfe brauchen, die sie kriegen konnte.

So wie jeder einzelne in Delos, beim kleinsten Bauern angefangen bis hin zu Stephania, in einer Falle sitzen würde, von der willkürlichen Gnade eines gnadenlosen Adligen abhängig.

Der Gedanke an seine Frau, ließ Thanos stöhnen. Er war hergekommen, um sie zu retten und jetzt saß er hier. Wenn er gar nicht erst gekommen wäre, dann wären die Dinge vielleicht besser ausgegangen. Vielleicht hätten die Wachen erkannt, dass Lucious der eigentliche Mörder des Königs war. Vielleicht hätten sie eingegriffen und nicht versucht, alles unter den Teppich zu kehren.

„Vielleicht hätten sie es auch der Rebellion angehängt“, sagte Thanos, „und Lucious wieder fein rausgehalten.“

Das konnte er sich gut vorstellen. Wie schlimm es auch würde, Lucious würde immer einen Weg finden, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Letztlich hätte er nie gehört, wie sein Vater anerkannte, wer er war, wenn er nicht an dessen Lebensende bei ihm gewesen wäre. Er hätte nicht erfahren, dass es in Felldust Belege dafür gab.

Er hätte sich von seinem Vater nicht verabschieden und ihn in seinen letzten Momenten in den Armen halten können. Sein Bedauern drehte sich nun darum, dass er Stephania vor seiner Hinrichtung weder noch einmal würde sehen können, noch sicherstellen konnte, dass es ihr gut ging. Ungeachtet dessen was sie getan hatte, hätte er sie im Hafen nicht zurücklassen dürfen. Es war selbstsüchtig gewesen, nur an die eigene Wut und den eigenen Ekel zu denken. Dieses Verhalten hatte ihm seine Frau und sein Kind gekostet.

Es war ein Verhalten, das Thanos wahrscheinlich sein eigenes Leben kosten würde, wenn man davon ausging, dass er nur hier war, weil Stephania gefangen gehalten wurde. Wenn er sie mitgenommen hätte, sie in Sicherheit nach Haylon gebracht hätte, dann wäre nichts von all dem geschehen.

Thanos wusste, dass es eine Sache gab, die er tun musste, bevor sie ihn hinrichteten. Er konnte dem nicht entkommen, durfte nicht darauf hoffen, das zu vermeiden, was ihn erwartete, aber er konnte immer noch die Dinge klarstellen.

Er wartete bis der nächste über den Hof eilende Bedienstete an seinem Käfig vorbeikam. Der erste dem er ein Zeichen machte, lief weiter.

„Bitte“, rief er dem zweiten zu, der sich umblickte bevor er den Kopf schüttelte und weitereilte.

Die dritte war eine junge Frau, die stehen blieb.

„Wir dürfen nicht mit Euch sprechen“, sagte sie. „Wir dürfen Euch auch kein Essen oder Trinken bringen. Die Königin will, dass Ihr für den Mord am König leidet.“

„Ich habe ihn nicht getötet“, sagte Thanos. Er streckte die Hand aus, als sie sich wegdrehen wollte. „Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst und ich werde dich auch nicht um Wasser bitten. Kannst du mir Kohle und Papier bringen? Das wird die Königin doch sicherlich nicht verboten haben.“

„Werdet ihr der Rebellion eine Nachricht schreiben?“ fragte die Bedienstete.

Thanos schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen. Du kannst lesen, was ich schreibe, wenn du willst.“

„Ich... ich werde es versuchen.“ Sie sah so aus, als hätte sie noch mehr sagen wollen, doch Thanos sah, wie einer der Wächter zu ihnen hinüberblickte, sodass die Dienerin schnell weitereilte.

Das Warten war schwer. Wie sollte er auch den Wachen dabei zusehen, wie sie den Galgen errichteten, auf dem sie ihn an den Abgrund des Todes stoßen wollten, bevor sie ihn auf dem großen Rad brechen wollten? Es war eine schwache Genugtuung, dass, auch wenn es Königin Athena gelänge, ihren Sohn unter Kontrolle zu bringen, das Reich alles andere als ein perfekt funktionierender Apparat wäre.

Er stellte sich noch immer alle die Grausamkeiten vor, die Lucious und seine Mutter in der Lage wären, ihrem Reich zuzufügen, als die Dienerin zurückkam. Etwas klemmte unter ihrem Arm. Es war nur ein wenig Pergament und ein winziges Stück Kohle und doch schob sie es ihm so verstohlen zu als sei es der Schlüssel zu seiner Freiheit.

Thanos empfing es ebenso vorsichtig. Er bezweifelte nicht, dass die Wachen es ihm wieder abnehmen würden, selbst wenn nur zu dem Zweck, ihn weiter zu demütigen. Selbst wenn es unter ihnen einige gab, die von der Grausamkeit des Reichs nicht völlig verdorben worden waren, so glaubten sie doch alle, dass er der schlimmste unter allen Verrätern war und nichts besseres verdiente.

Er beugte sich über den Fetzen und flüsterte die niederzuschreibenden Worte, die möglichst exakt das fassen sollten, was er auszudrücken versuchte. Er schrieb in winzigen Buchstaben wissend, dass er viel auf dem Herzen hatte, das er in dieser Form zurücklassen wollte:

Für meine geliebte Frau Stephania. Wenn du dies liest, wird man mich bereits hingerichtet haben. Vielleicht wirst du das Gefühl haben, dass ich dies, nachdem ich dich zurückgelassen habe, verdient habe. Vielleicht wirst du auch etwas von dem Schmerz spüren, den ich verspüre, wenn ich daran denke, dass man dich zu so vielen Dingen gezwungen hat, die du nicht wolltest.

Thanos suchte nach den richtigen Worten für das, was er fühlte. Es war nicht leicht, alles niederzuschreiben oder Ordnung in den Strudel aus Gefühlen in ihm zu bringen:

Ich… habe dich geliebt und ich kam nach Delos, um dich zu retten. Verzeih mir, dass mir das nicht gelungen ist, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass wir wieder zueinander gefunden hätten. Ich... weiß, wie glücklich du warst, als du erfahren hast, schwanger zu sein, und auch ich war voller Vorfreude. Dass wir unseren Sohn oder unsere Tochter nie kennenlernen werden, ist auch jetzt noch das, was mich mit größtem Bedauern erfüllt.

Dieser Gedanke schmerzte ihn mehr als jeder Schlag, den die Wachen ihm hätten zufügen können. Er hätte schon früher zu Stephanias Rettung zurückkommen sollen. Er hätte sie niemals zurücklassen sollen.

„Es tut mir leid“, flüsterte er, wissend, dass er nicht genügend Platz zur Verfügung hatte, um all das, was er sagen wollte, niederzuschreiben. Er konnte seinen Gefühlen keinen Ausdruck verleihen, denn er wusste, dass er sie einer Fremden anvertrauen musste. Er musste hoffen, dass dies genügen würde.

Er hätte so viel mehr schreiben können, aber das war der Kern dessen. Seinen Kummer über die Dinge, die schiefgegangen waren. Die Tatsache, dass Liebe im Spiel gewesen war. Er hoffte, dass es genügen würde.

Thanos wartete, bis die Bedienstete wieder bei ihm vorbeikam. Er hielt sie mit ausgestrecktem Arm an.

„Kannst du das Lady Stephania bringen?“ fragte er.

Die Dienerin schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, das kann ich nicht.“

„Ich weiß, dass ich viel verlange“, sagte Thanos. Er wusste, dass sie ein großes Risiko würde eingehen müssen. „Wenn nur irgendjemand es zu ihr in den Kerker schmuggeln könnte – “

„Das meine ich nicht“, sagte die Bedienstete. „Lady Stephania ist nicht mehr hier. Sie hat das Schloss verlassen.“

„Das Schloss verlassen?“ wiederholte Thanos. „Wann?“

Die Bedienstete breitete unwissend die Hände aus. „Ich weiß es nicht. Ich habe nur gehört, wie eine ihrer Zofen darüber gesprochen hat. Sie ist in die Stadt gekommen und nicht wieder zurückgekommen.“

War sie entkommen? Hatte sie es geschafft, ohne Hilfe zu entkommen? Ihre Zofe hatte gesagt, dass dies unmöglich sei. Hatte Stephania dennoch einen Weg gefunden? Er konnte zumindest hoffen, dass es so war, oder?

Thanos dachte noch immer darüber nach, als er bemerkte, dass es um die Galgen ruhig geworden war. Ein Blick darauf verriet ihm auch warum. Er war bereit. Wachen standen wartend neben ihm und betrachteten bewundernd ihr Werk. Die Umrisse einer Schlinge zeichneten sich dunkel gegen den Himmel ab. Ein Rad und eine Feuerschale standen gleich daneben. Über allem thronte ein gewaltiges mit Ketten versehenes Rad, neben dem ein großer Hammer auf dem Boden lag.

Er konnte sehen, wie immer mehr Menschen sich versammelten. Wächter hatten sich in einem Kreis im Hof verteilt und sahen aus, als wären sie auf der Hut, dass niemand das Bevorstehende vereiteln würde. Vielleicht wollten sie aber auch nur Thanos’ Tod aus nächster Nähe miterleben.

Über ihm konnte Thanos sehen, wie einige Bedienstete und Adlige aus den Fenstern blickten, Mitleid schien in einigen Blicken zu liegen, während andere völlig leer waren oder von blankem Hass erfüllt. Einige hatten sogar auf dem Dach Platz genommen. Von dort blickten sie hinab, weil sie keinen besseren Platz gefunden hatten. Sie taten so als wäre es das Großereignis des Jahres und nicht eine Hinrichtung. Das ließ Zorn in Thanos aufkeimen.

„Verräter!“

„Mörder!“

Die Rufe prasselten auf ihn nieder. Nach den Beschimpfungen flog fauliges Obst aus den Fenstern. Das war der bitterste Teil. Thanos hatte geglaubt, dass diese Menschen ihn respektierten und wussten, dass er zu dem, was ihm hier vorgeworfen wurde, nicht in der Lage wäre. Doch sie verspotteten ihn, als sei er der schlimmste Verbrecher. Nicht alle von ihnen stimmten mit ein, doch genügend taten es und Thanos musste sich unweigerlich fragen, ob sie ihn wirklich so sehr hassten oder ob sie dem neuen König und seiner Mutter nur zeigen wollten, auf welcher Seite sie standen.

Er wehrte sich, als sie zu ihm kamen und ihn aus seinem Käfig zerrten. Er schlug und trat, hieb aus und versuchte, sich frei zu winden. Doch was er auch unternahm, es war nicht genug. Die Wachen griffen seine Arme, drehten sie nach hinten und banden sie fest zusammen. Thanos hörte auf, sich zu wehren, aber nur weil er sich ein wenig Würde in diesem Moment bewahren wollte.

Sie führten ihn Schritt für Schritt zu dem Galgen, den sie gebaut hatten. Thanos setzte sich ohne Aufforderung auf den Schemel, den sie unter die Schlinge gestellt hatten. Wenn er Glück hatte, dann würde der Fall ihm das Genick brechen und ihm den Rest des grausamen Plans ersparen.

Als sie ihm die Schlinge umlegten, musste er an Ceres denken. An das, was anders hätte laufen können. Er hatte die Dinge verändern wollen. Er hatte es besser machen wollen und mit ihr zusammen sein wollen. Er wünschte...

Doch ihm blieb keine Zeit für Wünsche, denn Thanos spürte bereits, wie die Wachen dem Schemel unter ihm einen Tritt verpassten und die Schlinge sich um seinen Hals zuzog.

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