Streiten kann man lernen

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Gesprächsregeln

Verkehrsregeln, Spielregeln, Regeln überhaupt sind notwendig, sie werden gebraucht, damit Unfälle vermieden und gutes Zusammenleben in einer Gesellschaft möglich wird. Gesprächsregeln stellen ein Gerüst dar, das, einmal gemeinsam erarbeitet und zusammengestellt, immer begehbar bleibt.

Sehen Sie die folgenden Gedanken als Angebot, aus dem heraus Sie sich für Ihre gemeinsame Gesprächskultur Anregungen holen. Doch zuvor gestatten Sie mir die Frage: „Welche Sprache sprechen Sie?“ Sie lachen und sagen: „Ist doch logisch, die, in der wir immer sprechen!“

Meine Frage zielt dahin, dass es in allen Sprachen dieser Welt höfliche und unhöfliche Arten gibt, etwas auszudrücken. Schon unsere Kinder lieben es, „Bitte“ und „Danke“ in allen möglichen Sprachen sagen zu können.

Es gibt tatsächlich Worte, die schon für sich genommen eine Beleidigung darstellen. Auch die Lautstärke ist ein Ausdruck, der schon für sich bedrohlich wirkt. Sich wegdrehen, Augenrollen und andere deutliche Signale eines Desinteresses beenden leicht jeden Versuch des anderen, etwas sagen zu wollen.

Sprechen Sie miteinander nicht in einer schlechteren Sprache, als Sie es mit jedem Fremden oder Kollegen tun würden. Auch wenn Sie sich schon lange gut kennen.

Zu welchem Zeitpunkt ist es sinnvoll, ein Gespräch zu suchen?

Es ist nie zu spät, doch früher ist besser.

Unklarheiten, offene Fragen oder Unangenehmes anzusprechen, ist nicht einfach und braucht Mut. Häufig neigen wir dazu, Belastendes zu lange mit uns herumzutragen. Die Folge: Man wird leicht nervös, unleidlich oder dünnhäutig. Im Gespräch überwiegt dann schnell eine Gereiztheit oder ein harscher Ton. Dieser Ton hat dann wenig mit dem Problem oder dem Partner zu tun, sondern eher damit, dass Sie zu lange gewartet haben, etwas anzusprechen. Eigene Unsicherheit hat sich während dieser Zeit verstärkt, und vielleicht haben Sie sich schon zu lange mit dem einzigen Menschen unterhalten, mit dem Sie immer reden können: mit sich selbst! Das fördert keine Klärung, sondern verfestigt leicht Auffassungen und Fantasien, die nicht stimmen müssen. Wer kann dann noch ein guter Zuhörer sein und dem Partner Raum lassen? Kann es dann noch eine gute Chance für eine ruhige Gesprächsatmosphäre geben?

Umgekehrt führt es leicht zu Ungeduld und Überforderung des Partners, wenn mit allem zu schnell und unüberlegt vorgeprescht wird. Sicher gibt es Momente, die geeigneter sind als andere. Ausreichend Zeit ist eine wesentliche Voraussetzung für ein befriedigendes Gespräch. Mehr noch, gemeinsame Zeit ist vielleicht sogar das wichtigste Zeichen dafür, dass Sie füreinander von großer Bedeutung sind. Denn wofür ich mir Zeit nehme, das ist mir wichtig.

Zum Reden ist es nie zu spät, doch früher ist immer besser.

 Gibt es bei uns regelmäßig Zeiten, in denen wir miteinander ins Gespräch kommen?

 Welche Kultur, miteinander zu sprechen, möchten wir entwickeln?

Wie wird aus vielen Sätzen ein Gespräch?

Mit welcher Grundeinstellung, Grundhaltung gehen Sie in das Gespräch?

Vergleichen wir das Paargespräch einmal mit dem Bild einer Brücke. Eine belastbare Brücke besteht aus zwei Pfeilern, die fest mit dem Boden verankert sind. Durch den Brückenbogen werden sie verbunden. Sie tragen das Gewicht zu gleichen Teilen und gleichen entstehende Spannungen aus. Durch das gesamte Konstrukt wird es möglich, von einer Seite zur anderen zu laufen, das heißt, Beziehung zu schaffen.

Übertragen wir dieses Bild auf die Gesprächssituation, dann ersetzen wir die Pfeiler durch die beiden Gesprächspartner. Jeder muss für sich stehen können, eigenständige Persönlichkeit sein. Er darf eine eigene Meinung haben und diese auch vertreten.

Der Brückenbogen, das sind die Gesprächsinhalte, das, worüber gesprochen wird. Nur wenn auch die Worte und Gesten für beide Gesprächspartner von Bedeutung sind, entsteht eine Verbindung, ein Gespräch. Die Verbindung darf nicht abreißen, sie wird von beiden Seiten in Gang gehalten. Dabei gilt: Je besser gebaut wird, umso fester wird die Verbindung, die Beziehung.

In der Praxis bedeutet dies: Jeder Gesprächspartner hat zeitgleich drei Dinge im Blick: die beiden Pfeiler, d. h. sich selbst und den anderen, und als Drittes den Inhalt des Gespräches, also das, was gesagt wird.

Sich selbst im Blick haben

Vor Kurzem wurde ich gefragt: „Darf ich denn von mir sprechen, ist das nicht zu egoistisch?“

Viele haben in der Kindheit Sätze gehört wie: „Denk nicht immer an dich, nimm dich nicht so wichtig, nimm dir nicht zu viel ...“

Sich selbst in den Blick nehmen soll nicht heißen, immer „Ich“ zu rufen und sich in den Vordergrund zu stellen. Es meint vielmehr, dass Sie sich nicht verstellen müssen, um dem anderen zu gefallen. Sie brauchen keine Maske zu tragen, keine Rolle zu spielen, sondern dürfen der sein, der Sie im Laufe Ihres Lebens geworden sind, aufrichtig und ehrlich. Dabei dürfen Sie davon ausgehen, dass jeder Mensch seine Stärken und Schwächen hat, dass jeder sich weiterentwickeln möchte und gespannt auf neue Erfahrungen ist.

Den Partner in den Mittelpunkt stellen

Wir alle entwickeln uns dann am besten, wenn uns vertraut und etwas zugetraut wird. Wem richtig zugehört wird, dem fällt es leichter, etwas auszusprechen.

Hören Sie Ihrem Partner konzentriert zu. Ermutigen Sie ihn, seine Gedanken, Gefühle und Sichtweisen so zu äußern, wie sie von ihm empfunden werden. Zeigen Sie ihm, dass er von Ihnen geschätzt und angenommen ist. Der andere sollte sich nicht verstellen müssen, um Ihnen zu gefallen. Das bedeutet nicht, dass man immer der gleichen Meinung sein muss. Doch im gegenseitigen Hören und Nachvollziehen, wie der andere etwas meint, erklärt, empfindet, können unterschiedliche Meinungen vertrauensvoll und angstfrei besprochen werden.

Wenn Sie wirklich zuhören, dann geschieht dabei ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass Sie ganz bei dem sind, was gesagt wird, und gleichzeitig Ihren eigenen Reaktionen lauschen.

Krishnamurti

Sich auf das Gesagte konzentrieren

Zuhören ist mehr als hören, was der andere sagt. Zuhören ist konzentriertes Hinhören und ein aktives Bemühen darum, zu verstehen, was der Sprecher ausdrücken möchte.

Was er „zwischen den Zeilen“ sagt. Erfassen, was der andere mir sagen will, wie er empfindet, wie er zu seiner Meinung kommt. Inhalte und Themen, die genannt werden, mitzubekommen sowie wichtige Einzelheiten zu erkennen.

Die Herausforderung für uns als Paar besteht also darin, sowohl ein aufmerksamer Zuhörer zu sein und zugleich wahrzunehmen, was man selbst denkt und empfindet.

Gemeinsame Übung

 Erlebe ich uns als gleichwertige Gesprächspartner? Was sind meine/des anderen Stärken und Schwächen im gemeinsamen Gespräch?

 Auf welche drei Dinge möchten wir beide bei unseren Gesprächen in den nächsten zwei Wochen verstärkt achten?

2.

Die Kunst des Zuhörens und Sprechens

 Gespräch – Das heißt: die Kunst des Zuhörens und Sprechens beherrschen

 Die Kunst des Zuhörens

 Die Kunst des Sprechens

 Gemeinsame Übung

In diesem Kapitel geht es um Folgendes:

 Zuhören ist die Basis des Gesprächs.

 Wie kann ich mich gut verständlich machen?

Gespräch – Das heißt: die Kunst des Zuhörens und Sprechens beherrschen

Worauf können Sie achten, um einen gute Brückenbogen zu bauen?

Unterscheiden wir nun die Rollen in Zuhören und Sprechen.

Der Mensch hat zwei Ohren, aber nur einen Mund: um mehr zu hören als zu sprechen.

Die Kunst des Zuhörens

Zuhören – oder: Auf welchem Ohr höre ich?

Wie schon erwähnt, ist Zuhören ein aktiver Prozess. Was passiert im Kopf des Hörers? Die folgenden Schritte laufen automatisch und mit hoher Geschwindigkeit in uns allen ab:

1 Als Erstes hört man etwas, Worte, Geräusche …

2 Gleichzeitig sieht, riecht und fühlt man etwas.

3 Das Wahrgenommene wird automatisch auf dem eigenen Erfahrungshintergrund interpretiert.

4 Es wird verglichen mit den eigenen Wertvorstellungen.

5 Man bewertet es unbewusst und bewusst.

6 Man reagiert, d. h. handelt, spricht, schweigt …

Bezeichnend ist der folgende Spruch:

Gesagtes ist noch nicht Gemeintes.

Gemeintes noch nicht Gehörtes.

Gehörtes noch nicht Verstandenes.

Verstandenes noch nicht Akzeptiertes.

Aktives Zuhören heißt zugleich hören und in sich hineinfühlen.

Sie sehen, es geht wechselseitig Schritt für Schritt darum, einander im Verstehen näherzukommen.

Kann man Zuhören üben? Ja, und das sogar mit viel gemeinsamem Spaß. Dr. Friedemann Schulz von Thun, ein bekannter Kommunikationspsychologe, hat ein sehr anschauliches Modell entworfen. Das Modell der vier Ohren.

Bild: 4-Ohren-Modell


Alles, was wir hören, können wir auf 4 Ohren hören. Wie ist das zu verstehen?

 

Ein Beispiel: Georg stellt fest: „Es ist gar kein Kuchen mehr da!“

Was meint er damit? Was kann der Zuhörer alles verstehen?

1 Als Information: „Der Kuchen ist alle.“

2 Als Aufforderung: „Kannst du im Keller aus der Kühltruhe etwas Kuchen holen?“

3 Als Selbstaussage: „Oh, schade, ich hatte so eine Lust darauf.“

4 Als Beziehungsaussage: „Du wolltest doch Kuchen besorgen.“

Diese vier Varianten des Gesagten bedeuten: Je nach Situation oder Stimmung des Zuhörers sucht er sich das „Passende“ heraus, kann also auf 4 Ohren hören. Doch ist das bei Weitem nicht immer das, was der Sprechende gemeint hatte!

Welche der Aussagen wäre also nun die richtige?

Der Grundsatz lautet: Die Wahrheit liegt beim Empfänger, dem Zuhörer! So kann sich der Zuhörer etwas aussuchen und immer behaupten, das habe der Sprecher gesagt.

Hier liegen viele Möglichkeiten für Missverständnisse und kleine Ursachen für große Konflikte. Da jeder von uns ein Lieblingsohr hat, auf dem er besonders „gut und gerne“ hört, kommt es in Partnerschaften oft zu immer gleich ablaufenden Szenen.

Um diese Varianten des Missverstehens einzuschränken, kann der Zuhörer entweder nachfragen, was denn gemeint sei. Doch besser ist: Der Sprecher äußert sich gleich so eindeutig wie möglich.

Zu unserem Beispiel: Wenn Sie gerade gemeinsam einen Einkaufszettel erstellen, ist der Satz: „Es ist gar kein Kuchen mehr da!“ als einfache Information angebracht und gemeint. Noch eindeutiger wäre zu ergänzen: „Ich schreibe ihn mit auf die Liste.“

Doch neutrale Aussagen wie diese machen im Alltag nur einen kleinen Teil der Kommunikation aus!

Wollte der Sprecher eine Aufforderung äußern, so kann er es auch freundlicher tun: „Könntest du mir bitte noch etwas Kuchen aus dem Keller holen?“ Diese Form motiviert den Hörer sicher eher, der Bitte nachzukommen.

Wenn es um eine Selbstaussage geht, ist eine Ich-Aussage die zutreffendste Variante: „Mensch, habe ich einen Hunger, ich freue mich auf ein leckeres Stück Kuchen.“ Die Enttäuschung darüber, dass kein Kuchen da ist, wäre dann nachvollziehbar. Der Hörer muss es dann nicht gleich als Vorwurf gegen sich selbst verstehen. Er könnte tröstend in den Keller gehen und etwas aus der Tiefkühltruhe holen und die Freude wäre groß.

Beziehungsaussagen werden leicht als Verletzung gehört. Es ist hier besonders wichtig, eindeutig zu sein, da es in der Situation meist auf die Vorgeschichte ankommt. Wichtige Fragen sind:

 Was war zuvor gemeinsam vereinbart?

 Was sind die unausgesprochenen, verschiedenen Vorstellungen bei dem jeweils anderen Partner?

 Beispiel: War abgesprochen, dass der Hörer Kuchen backt oder besorgt, so deutet die Aussage „Du wolltest doch Kuchen besorgen!“ auf Unzufriedenheit beim Sprecher hin. Diese Unzufriedenheit wäre dann nachvollziehbar.

 Beispiel: Hat es eine solche Absprache vorher nicht gegeben, dann ist die Äußerung: „Du wolltest doch Kuchen besorgen!“ eine Unterstellung, gegen die sich der Hörer erst einmal wehrt.

Die Redezeit des anderen ist keine Vorbereitungszeit fürs eigene Sprechen.

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