Verfassungsprozessrecht

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VI. Entscheidungen

82Das BVerfG trifft seine Entscheidungen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in geheimer Beratung. Dabei wird nicht nur über das abschließende Ergebnis, sondern zuvor über alle aufgeworfenen Rechtsfragen regelmäßig nacheinander abgestimmt, vgl. § 27 Abs. 2 GOBVerfG. Für die Reihenfolge der Abstimmung der einzelnen Richter gilt über § 17 BVerfGG die Regelung des § 197 GVG, wonach grds. die (dienst-)jüngeren Richter vor den (dienst-)älteren abstimmen, zuletzt der Vorsitzende. Zur Beschlussfähigkeit s. bereits → Rn. 34. Zu den Mehrheitserfordernissen s. § 15 Abs. 4 BVerfGG und → Rn. 36.

83Die Entscheidungen des BVerfG aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen nach § 25 Abs. 2 BVerfGG als Urteil, andernfalls als Beschluss. Die unterschiedliche Bezeichnung der Entscheidungen hat in diesen Fällen keine weitergehende |24|Bedeutung. Entscheidungen nach § 25 Abs. 2 BVerfGG sind nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG schriftlich abzufassen, zu begründen und von den mitwirkenden Richtern zu unterzeichnen; Urteile sind zudem nach § 30 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG öffentlich zu verkünden. Entscheidungen über einzelne prozessuale Fragen im Rahmen eines Verfahrens ergehen stets als Beschluss. Auch die Kammern (→ Rn. 38) entscheiden immer durch Beschluss (§ 81a Satz 1, § 93d Abs. 3 Satz 1 BVerfGG), also (in Umkehrung des § 25 Abs. 2 BVerfGG wohl) auch immer ohne mündliche Verhandlung (dafür aber nur für bestimmte Entscheidungen ausdrücklich § 93d Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), also auch im Rahmen von § 93d Abs. 2 i.V.m. § 32 BVerfGG.

84In der Praxis äußerst selten sind die in § 25 Abs. 3 BVerfGG für zulässig erklärten Sonderformen von Entscheidungen. Dabei betreffen Teilentscheidungen Endentscheidungen über Teile des Verfahrensgegenstandes, während Zwischenentscheidungen sich auf einzelne prozessuale Fragen beziehen. Praktisch wichtiger sind die einstimmigen Verwerfungsbeschlüsse nach § 24 BVerfGG (sog. „a-limine-Abweisung“).

85Bundesverfassungsgerichtliche Entscheidungen ergehen nach § 25 Abs. 4 BVerfGG mit der Verkündungsformel: „Im Namen des Volkes“. Auch im Übrigen entspricht ihre Gliederung ohne ausdrückliche diesbezügliche Regelung dem Aufbau der Entscheidungen anderer Gerichte. Nach der zitierten Verkündungsformel folgt das so genannte Rubrum, in dem die Beteiligten des Verfahrens, der Verfahrensgegenstand, die mitwirkenden Richter und der Zeitpunkt der Entscheidung mitgeteilt werden.

86Von zentraler Bedeutung jedenfalls für das konkrete Verfahren ist der so genannte Tenor oder Entscheidungsausspruch, der über den gestellten Antrag befindet. Dabei wird der erfolglose Antrag in je nach Verfahrensart unterschiedlichen Formulierungen bei Unzulässigkeit verworfen (oder es wird die Unzulässigkeit festgestellt), bei Unbegründetheit abgewiesen, zurückgewiesen oder auch abgelehnt; hat der Antrag Erfolg, wird er nach den insoweit für die einzelnen Verfahrensarten bestehenden Bestimmungen positiv beschieden.

87Auch die Begründung der Entscheidungen folgt in ihrem Aufbau grundsätzlich dem aus anderen Prozessarten bekannten Vorbild. Sie beginnt mit dem Tatbestand, in dem die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung, die Anträge und das dazugehörige Vorbringen der Beteiligten sowie der Ablauf des Verfahrens dargestellt werden. Dem folgen die für das Ergebnis der Entscheidung maßgeblichen rechtlichen Überlegungen.

88Eine Besonderheit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen besteht darin, dass jeder Richter die Möglichkeit hat, seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung (also: zu ihrem Ergebnis) oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederzulegen, das der Entscheidung anzuschließen ist, § 30 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Auch können die Senate in ihren Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen (§ 30 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Von beiden Möglichkeiten wird nicht nur vereinzelt Gebrauch gemacht.

|25|VII. Kosten

89Das Verfahren des BVerfG ist in allen Verfahrensarten (gerichts)kostenfrei, § 34 Abs. 1 BVerfGG. Doch kann nach Absatz 2 in den Verfahren der Verfassungs- und Wahlprüfungsbeschwerden sowie allgemein bei Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen eine Missbrauchsgebühr von bis zu 2600 Euro auferlegt werden, und zwar den Beschwerdeführern bzw. Antragstellern, aber auch ihren Verfahrensbevollmächtigten. Ein Missbrauch wird angenommen, wenn die Beschwerde oder der Antrag von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (BVerfG [K], Beschl. v. 27.10.2015, – 2 BvR 1809/14 –, juris, Rn. 4).

90§ 34 a BVerfGG sieht zudem in Abs. 1 bei unbegründeten Grundrechtsverwirkungs- und Anklageverfahren gegen den Bundespräsidenten und Richter, aber nicht im Parteiverbotsverfahren zwingend die Erstattung der notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung vor. Ebenfalls zwingend vorgeschrieben ist in Absatz 2, dass bei begründeten Verfassungsbeschwerden dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten sind; die Möglichkeit, die Auslagen nur teilweise zu erstatten, dürfte auf Fälle partiellen Erfolgs der Verfassungsbeschwerde zu beschränken sein. In allen hiervon nicht erfassten Fällen gibt Abs. 3 dem BVerfG die Möglichkeit, Erstattung der Auslagen anzuordnen.

Fragen zu C. Allgemeine Verfahrensregeln:

1 Worin besteht der Unterschied in der Wirkung von Ausschluss und Ablehnung eines Richters des BVerfG?

2 Wer hat in den verfassungsgerichtlichen Verfahren die Stellung eines Beteiligten?

3 Sind Ton- und Fernsehaufnahmen während der mündlichen Verhandlung zulässig?

4 Stehen die Einleitung und die Beendigung des Verfahrens zur Disposition der Parteien?

5 Gilt hinsichtlich der Beweisaufnahme der Beibringungs- oder der Untersuchungsgrundsatz?

6 In welcher Vorschrift ist allgemein geregelt, wie das BVerfG seine Entscheidungen trifft? Welche Möglichkeit hat ein überstimmter Richter?

Die Lösungen finden Sie auf S. 194.

Literaturhinweise: Zähle, Kai, Die Ausschließung und Ablehnung eines Richters nach §§ 18, 18 BVerfGG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 137 (2012), 173; Aust, Helmut Philipp/Meinel, Florian, Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG, JuS 2014, 25.

|26|D. Sachentscheidungsvoraussetzungen im Überblick
I. Bedeutung der Sachentscheidungsvoraussetzungen

91Als Sachentscheidungsvoraussetzungen werden die Bedingungen bezeichnet, die nach dem Verfahrensrecht vorliegen müssen, damit eine Entscheidung in der durch den Antrag anhängig gemachten Sache getroffen werden kann. Nur wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind, ist das angerufene Gericht zu einer Entscheidung in der Sache befugt, nur dann ist es der „gesetzliche Richter“ i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

92Die Sachentscheidungsvoraussetzungen haben unter den verfassungsprozessualen Fragestellungen herausragende Bedeutung für die in Übungen und im Examen anzufertigenden Arbeiten. Denn die einschlägigen Aufgabenstellungen beziehen sich vielfach (aber nicht immer!) auf die Erfolgsaussichten eingelegter oder einzulegender Rechtsbehelfe, die auf ihre „Zulässigkeit“ und meist auf ihre „Begründetheit“ hin zu untersuchen sind. Die insoweit anzustellende Zulässigkeitsprüfung bezieht sich auf das Vorliegen der angesprochenen Sachentscheidungsvoraussetzungen. Von diesen kennt das Verfassungsprozessrecht – wie das Prozessrecht anderer Gerichtsbarkeiten auch – eine ganze Reihe.

Hinweis: Die Zulässigkeit eines Verfahrens muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Entscheidung gegeben sein, s. zur Verfassungsbeschwerde BVerfGE 106, 210 (214). So darf etwa das zunächst gegebene Rechtsschutzbedürfnis nach Anhängigkeit des Verfahrens nicht wegfallen. Inwieweit es umgekehrt ausreicht, wenn zunächst fehlende Voraussetzungen bis zur Entscheidung oder doch bis zum Ablauf einer dafür gesetzten Frist herbeigeführt werden oder sonst eintreten (wie grundsätzlich im Verwaltungsprozessrecht), ist nicht abschließend geklärt. Für die Rechtswegerschöpfung ist der Wortlaut des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG wohl eindeutig, nach dem eine Verfassungsbeschwerde erst „nach Erschöpfung des Rechtswegs“ erhoben werden kann, sofern ein solcher gegeben ist. Begründen lässt sich dies damit, dass das BVerfG nur mit Beschwerden befasst werden soll, deren tatsächliche und rechtliche Grundlagen bereits fachgerichtlich überprüft worden sind, vgl. BVerfGE 94, 166 (214); BVerfGK 11, 13 (20). Nach EGMR, NVwZ 2009, 1547, soll es für die auch dort vorgeschriebene Voraussetzung ausreichen, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erst nach Einreichung der Beschwerde, aber vor Entscheidung des Gerichtshofes über die Zulässigkeit erschöpft wird. Vgl. zur Unzulässigkeit einer vor der Beschlussfassung des Bundesrates erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen ein dann noch vor der Entscheidung des BVerfG zustande gekommenes Gesetz BVerfG (K), NJW 2009, 3778; offen lassend für eine vor Verkündung eines Gesetzes erhobene Verfassungsbeschwerde BVerfG (K), NVwZ 2010, 1289.

93|27|In der nach Feststellung der Zulässigkeit (bei unzulässigen Anträgen hilfsgutachtlich) vorzunehmenden Begründetheitsprüfung geht es dann darum, ob die Voraussetzungen für das mit einem Antrag erhobene Begehren vorliegen oder nicht, ob der Antragsteller also (im Ergebnis) „Recht hat“. In einigen Verfahrensarten des BVerfGG geben die Anträge nur den Anstoß zur Klärung einer Rechtsfrage, ohne dabei auf ein bestimmtes Ergebnis abzuzielen.

Beispiel: Im Rahmen eines zulässigen Normenverifikationsverfahrens (→ Rn. 259ff.) bezieht sich nach Art. 100 Abs. 2 GG, § 83 Abs. 1 BVerfGG die Sachprüfung auf die im Ausgangsrechtsstreit zweifelhafte Frage, ob eine bestimmte Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt.

 

94In solchen Fällen geht es beim Inhalt der Sachentscheidung streng genommen nicht um die „Begründetheit“ eines Antrags, sondern um das Vorliegen einer bestimmten Rechtslage. Dementsprechend sollte dann bei Fallbearbeitungen auch formuliert werden; als Abschnittsüberschrift kommt etwa „Sachprüfung“ in Betracht.

95Im Rahmen des BVerfGG lassen sich allgemeine und besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen unterscheiden. Die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen sind in den Vorschriften über die einzelnen Verfahrensarten, in denen das BVerfG zu entscheiden hat, enthalten, finden sich also in den §§ 36ff. BVerfGG. Daneben gibt es eine Reihe allgemeiner, d.h. für alle Verfahren des BVerfG einschlägiger Anforderungen, von denen in allen Verfahrensarten gleichermaßen die Möglichkeit einer Sachentscheidung abhängt (dazu sogleich → Rn. 96ff.). Für die Zulässigkeit eines bestimmten, an das BVerfG gerichteten Antrags müssen sowohl die allgemeinen als auch die für die jeweilige Verfahrensart einschlägigen besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sein.

Hinweis: Bei Fallbearbeitungen sind im Rahmen der „Zulässigkeit“ eines Antrags alle einschlägigen Sachentscheidungsvoraussetzungen nebeneinander zu berücksichtigen; zu behandeln sind sie allerdings nur, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Die (oft leidvollen) Erfahrungen bei der Bewertung verfassungsrechtlicher Fallbearbeitungen in Übungen wie im Examen geben Anlass zu dem nachdrücklichen Hinweis, dass es keinesfalls erforderlich oder auch nur akzeptabel ist, bei jeder einschlägigen Fallbearbeitung die Gesamtheit der theoretisch in Frage kommenden Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Verfahrensart zu behandeln. Anzusprechen sind vielmehr stets nur die Sachentscheidungsvoraussetzungen, für deren Prüfung der konkrete Sachverhalt dadurch Anlass gibt, dass er Angaben enthält, die unter die entsprechenden rechtlichen Kriterien subsumiert werden können. Sachentscheidungsvoraussetzungen, für deren Vorliegen der zu bearbeitende Sachverhalt nichts hergibt, sollen aus Sicht des Aufgabenstellers offenbar keine Rolle spielen und sind deswegen auch nicht zu behandeln. Dennoch gemachte Ausführungen tragen, auch wenn sie höchst kenntnisreich sein sollten, zur Lösung der gestellten Aufgabe nichts bei und sind deshalb als verfehlt zu bewerten. Umgekehrt dürfen gutachtliche Bearbeitungen von Übungs- oder Examensfällen die Zulässigkeit nicht einfach offen lassen, und zwar auch dann nicht, wenn sich das BVerfG selbst als zu einem solchen Vorgehen berechtigt sehen würde, wie namentlich unter den Voraussetzungen des § 24 BVerfGG (etwa BVerfGE 124, 267 [274f.] m.w.N.).

|28|II. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen

96Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen spielen im Verfassungsprozessrecht neben den für die einzelnen Verfahrensarten geregelten Anforderungen nur eine untergeordnete Rolle. Dies gilt insbesondere für die Lösung von Übungs- oder Examensfällen.

1. Eröffnung des „Rechtswegs“

97Das BVerfG ist wie jedes andere Gericht nur dann zur Entscheidung befugt, wenn gerade ihm die Entscheidung der Rechtssache gesetzlich übertragen ist. Die Feststellung der Entscheidungskompetenz eines ganz bestimmten Gerichts hängt im Rahmen der komplizierten prozessrechtlichen Regelungen in erster Linie davon ab, in welcher der in Art. 95 Abs. 1 GG vorgesehenen Gerichtsbarkeiten die Rechtssache zu entscheiden ist. Die Zuordnung zu einer dieser fünf Gerichtsbarkeiten wird gemeinhin als Eröffnung des Rechtswegs bezeichnet und dementsprechend als Sachentscheidungsvoraussetzung geprüft. Dies gilt insbesondere dann, wenn die prozessrechtlichen Vorschriften, wie etwa § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, einen Rechtsweg (dort: den Verwaltungsrechtsweg) in einer Generalklausel eröffnen.

98Auf die Verfassungsgerichtsbarkeit (des Bundes und der Länder) passt schon dieser Begriff eines Rechtswegs von mehreren nur bedingt; auch im Grundgesetz wird er für die Verfassungsgerichtsbarkeit jedenfalls nicht einheitlich so verwendet. Zwar genügt die Möglichkeit, ein Verfassungsgericht anzurufen, im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der allgemeinen (!) Rechtsweggarantie, dagegen sind in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG bei der Erschöpfung des Rechtsweges (→ Rn. 570ff.) nur die Nicht-Verfassungsgerichte gemeint. Wiederum abweichend meint der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 letzter Hs. GG als vorrangig angesprochene andere Rechtsweg für die 3. Var. der Bestimmung gerade die Landesverfassungsgerichtsbarkeit (→ Rn. 393).

99Entscheidend gegen eine „Sachentscheidungsvoraussetzung“ der Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG spricht indes eine andere, praktische Erwägung. Die Frage nach einem „Rechtsweg“ zum BVerfG führt für die Zulässigkeit eines bei diesem Gericht angebrachten Antrags keinen Schritt weiter, weil die Entscheidungsbefugnis des BVerfG nicht durch eine generalklauselartige Regelung, etwa für alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, eröffnet wird, unter deren Voraussetzungen ein zu prüfender Antrag subsumiert werden könnte. Vielmehr ist das BVerfG für eine abschließend festgelegte Reihe einzelner Verfahrensarten (vgl. die Aufzählung in § 13 BVerfGG und dazu → Rn. 4, 108ff.) zur Entscheidung berufen, deren jeweilige Voraussetzungen allein maßgeblich sind. Für eine allgemeine, losgelöst von den besonderen Vorschriften für die einzelnen Verfahrensarten durchzuführende Prüfung der Eröffnung eines „Rechtswegs zum BVerfG“ besteht danach keine Grundlage. Vielmehr ist die Zulässigkeit eines Antrags von vornherein für eine bestimmte, ausdrücklich bezeichnete oder der Sache nach in Betracht kommende Verfahrensart, gegebenenfalls für mehrere, zu prüfen.

|29|2. Anstoß zu dem Verfahren

100Wie bereits dargelegt (→ Rn. 71, 77), wird das BVerfG nicht von Amts wegen tätig, sondern nur, wenn es von außen den Anstoß zur Durchführung eines Verfahrens erhält. Dieser Anstoß von außen stellt insoweit eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung dar. Eine von den einzelnen Verfahrensarten gelöste Prüfung dieses Erfordernisses ist aber nicht möglich, weil die Bedingungen des jeweils erforderlichen Anstoßes von Verfahrensart zu Verfahrensart verschieden sind und sich deshalb einer von diesen Besonderheiten unabhängigen Prüfung entziehen.

3. Ordnungsgemäßer verfahrenseinleitender Antrag

101Eine für alle Verfahrensarten einheitlich geltende, zum Teil allerdings spezifisch ausgestaltete Sachentscheidungsvoraussetzung ist die in § 23 Abs. 1 BVerfGG geregelte Ordnungsmäßigkeit des das Verfahren einleitenden Antrags. Diese Bestimmung greift für alle Verfahrensarten ein, auch wenn das Grundgesetz oder das BVerfGG die verfahrenseinleitende Prozessrechtshandlung nicht als „Antrag“ bezeichnen, sondern einen anderen Begriff verwenden, wie etwa Beschwerde, Anklage, Vorlage, Verfassungsbeschwerde oder Einholung einer Entscheidung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, b, Art. 100 Abs. 1, 2 und 3 GG, §§ 48, 49, 80 Abs. 1, 85, 86 Abs. 2, 90, 91 BVerfGG, Art. 41, 61 GG. Dies bestätigen §§ 80 Abs. 3, 81a BVerfGG, die den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss, durch den bei der konkreten Normenkontrolle (→ Rn. 194ff.) die Entscheidung des BVerfG eingeholt wird, ausdrücklich als „Antrag“ bezeichnen.

102Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG müssen verfahrenseinleitende Anträge schriftlich eingereicht werden. Diesem Erfordernis wird jedenfalls dann genügt, wenn die Schriftform nach § 126 BGB durch eigenhändige Unterschrift des Antragstellers gewahrt ist. Das BVerfG (BVerfGE 15, 288 [291]) hat die eigenhändige Unterschrift für nicht unbedingt erforderlich erklärt; vielmehr soll es für die Schriftform ausreichen, wenn der Inhalt der abgegebenen Erklärung und der Antragsteller aus der schriftlich verkörperten Erklärung mit ausreichender Gewissheit entnommen werden können. Dementsprechend werden auch Telegramme und Telefaxe als ausreichend angesehen. Bei einem mittels Computer abgeschickten Fax genügt auch eine „eingescannte“ Unterschrift (vgl. BVerfG [K], NJW 2002, 3534 [3535]; s. ferner hierzu den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, BVerwGE 111, 377 [381f.]).

103Darüber hinaus verlangt § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, dass die Anträge zu begründen sind und dass die erforderlichen Beweismittel angegeben werden (s. in Verbindung mit § 92 BVerfGG etwa BVerfGE 118, 168 [181]; 123, 186 [222]). Soweit für die Einleitung eines Verfahrens Fristen vorgeschrieben sind, müssen diese Bedingungen innerhalb der vorgeschriebenen Frist erfüllt werden.

|30|4. Keine Rechtshängigkeit derselben Sache

104Die negative Sachentscheidungsvoraussetzung, dass die mit dem Antrag zur Entscheidung gestellte Sache noch nicht beim BVerfG rechtshängig sein darf, wird praktisch kaum eine Rolle spielen. Denkbar wäre es am ehesten noch, dass ein (querulatorischer) Verfassungsbeschwerdeführer sein Anliegen (innerhalb der dafür vorgesehenen Frist) gleich mehrfach an das BVerfG heranträgt. Verfassungsbeschwerden verschiedener Personen gegen denselben Staatsakt, insbesondere dasselbe Gesetz, werfen die Frage der Rechtshängigkeit nicht auf, weil der Streitgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens durch die individuelle Grundrechtsverletzung des jeweiligen Beschwerdeführers mitbestimmt wird, so dass nicht „dieselbe Sache“ vorliegt. Die Frage, ob gegen dieselbe Norm gerichtete Normenkontrollverfahren noch möglich sind, wenn bereits ein derartiges Verfahren rechtshängig ist, ist im Hinblick auf Richtervorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG wohl zu bejahen (→ Rn. 244f.). Entsprechendes dürfte für andere Verfahren gelten, deren Gegenstand keine subjektiven Rechte betrifft (vgl. aber → Rn. 267).

5. Keine entgegenstehende Rechtskraft

105Ähnliches wie für die Rechtshängigkeit gilt auch für die negative Sachentscheidungsvoraussetzung der fehlenden rechtskräftigen Entscheidung derselben Sache, die selten Bedeutung erlangt. Gelegentlich können sich allerdings interessante Rechtsfragen in diesem Zusammenhang in Bezug auf Normenkontrollverfahren ergeben (→ Rn. 247ff.).

106Abgesehen von ihrer Wirkung als Sachentscheidungshindernis hat die materielle Rechtskraft eine weitere Dimension, ihre Bindungswirkung im Falle präjudizieller Bedeutung für spätere Entscheidungen. Dieser Aspekt wird später im Zusammenhang der Entscheidungswirkungen näher behandelt (→ Rn. 653ff.). Er ist nicht (unmittelbar) für die Zulässigkeit eines Antrags, sondern für den Inhalt der zu treffenden Sachentscheidung relevant.