Read the book: «Das informelle Lernen und seine Validierung und formale Zertifizierung»
Michael Beck
DAS INFORMELLE LERNEN
und seine
VALIDIERUNG UND FORMALE ZERTIFIZIERUNG
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2018
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Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Igor
Igor hatte damals immer wieder die Schule geschwänzt. Mit einer Entschuldigung der Eltern. Und was fing er mit diesen „Fehlzeiten“ an? Mit weit unter vierzehn Jahren half er seinem Vater bei dessen Jahrmarktgeschäft. Bei allem, wofür er gebraucht wurde. Und wenn sein Vater Pause machte oder etwas anderes zu tun hatte, war er eben alleine vor Ort und bediente die Besucher seines Standes eigenständig. Auch die Kasse verwahrte er und war deshalb ebenso für das richtige Wechselgeld verantwortlich. Heute ist der vigilante junge Mann von damals einundzwanzig Jahre alt und betreibt diesen Kleinbetrieb alleine. Nach seinem Hauptschulabschluss machte er einfach das weiter, was er schon längst konnte. Eine wahre Geschichte informellen Lernens.
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Teil 1: Essay – Überlegungen zu sozialwissenschaftlichen Grundlagen eines deutschen und europäischen Validierungsmodells
Teil 2: Pilotstudie
Teil 3: Formale Zertifizierung der Validierung
Zusammenfassung und Nachbetrachtung
Anmerkungen
Literaturhinweise und Quellenangaben
Kurzvita Michael Beck
Vorwort
Das ganze Leben, die Bewältigung des Alltags, die Freizeit, sind bislang der wichtigste Fokus einer Betrachtung, wenn es um das informelle Lernen geht und vor allem darum, was dabei „herauskommt“, wozu es befähigt, wozu es für einen Menschen führt. Große Teile dieses Lernens münden in die berufliche Tätigkeit ein, mit der jemand seine Existenz bestreitet, weil er etwas kann, wofür er bezahlt wird. Das Hauptaugenmerk liegt aber vollkommen davon abgetrennt z. B. auf der sportlichen Leistung, auf der Entspannung, auf dem musischen Bereich, auf dem Geschick, mit dem man ein Hobby ausübt, darauf, für mehr persönliches Glück und Zufriedenheit zu sorgen – ein Lernen fernab formaler, durchorganisierter Rahmenbedingungen.
So dachte man bisher. Aktuell betrachtet man diesen privaten Bereich auch im Rahmen einer Hinführung zu einem Wissen und Können, das man Kompetenz nennt, weil es beruflich verwertbar ist. Der Fokus richtet sich auf eine Art privates Lernen, das jemanden ohne formale Schule und Ausbildung befähigt, mit dem Erlernten seine Existenz zu bestreiten.
Wird dies für das Beschäftigungssystem sichtbar und messbar gemacht, kommt es einem formalen Abschluss gleich, falls es in dieser Ausprägung anerkannt und zertifiziert wird.
In dieser Pilotstudie geht es um die inhaltlichen und methodischen Bestandteile, wie man informelles Lernen empirisch erheben und einer möglichen, politisch gewollten Zertifizierung zuführen kann. Damit wird gleichzeitig ein Modell skizziert, wie man hierbei verfahren könnte – defensiv formuliert handelt es sich um einen Vorschlag.
Es geht um die folgenden Bestandteile:
Wer sind die informellen Lerner, was zeichnet sie aus?
Gibt es wirklich Personen, die eine beruflich verwertbare Kompetenz ausschließlich informell erlernen?
Es gibt sie, und daraus ergibt sich die Frage nach dem Wie. Wie kann man informell, substanziell, ergebnisorientiert lernen? Dazu wurde die (Sozial-)Psychologie befragt und es wurde Erstaunliches an persönlicher Subjektivität „freigeschaufelt“, warum verschiedene Mechanismen zu wundervollen Leistungen dieser Lernform führen können.
Eine Hilfe, um den sowohl informellen als auch im späteren Verlauf formalen Prozess einer Validierung und Zertifizierung zu beschreiben, bietet die Szenario-Plan-Methode. Sie beantwortet die Frage, in welche Szenarien diese Lernform bis hin zur europäischen Zertifizierung eingebettet ist.
Denn es geht nicht nur um die Frage nach dem Einzelindividuum, nach dessen Potenzialen und materiell verwertbarer Leistung, sondern auch um die Frage, in welches „Ganze“ die Thematik eingebettet ist. Die Psychologie fragt nach der „Gestalt“ (Lewin), die Soziologie nach dem „Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“ (Hahn), die Philosophie nach dem „Ganzen“ (Vershofen), die Systemtheoretiker untersuchen Syteme und ihre Subsysteme (Parsons, Luhmann). Die Einzelleistung eines Menschen erhält in meiner Abhandlung großen Respekt; gleichzeitig – es geht schließlich nicht um eine isolierte Selbstverwirklichung – stellt sich die Frage, wohin diese wohl ausgeformte Persönlichkeit führt oder wozu sie gehört und was das „Ganze“ ist, dessen Teil sie ist und von dem sie abhängt.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeitsmarktgeschehens kann diese Pilotstudie nur bedeuten, den Zusammenhang mit dem deutschen Beschäftigungssystem betrachten zu müssen. Dieses ist in seiner hohen Qualität weitgehend dem Ausbildungssystem geschuldet. Deshalb geht es in dem Berufsbeispiel der vorliegenden Studie um das duale System als Maßstab für die Validierung und formale Zertifizierung.
Mit diesem Bekenntnis erfährt das hier vorgestellte Validierungsmodell eine Gründlichkeit, die eine politisch geschenkte Validierung eher nicht zulässt, aber eine vollkommene Gleichstellung informell erbrachter Lernergebnisse gegenüber formalen IHK/HK-Abschlüssen. Zunächst werden vorhandene Kompetenzen festgestellt. Die Kompetenzkategorien benötigen eine inhaltliche Tiefe und Breite und müssen die entsprechenden Prüfungen repräsentieren. Darauf werden diese narrativ sichtbar gemachten Kompetenzen einer fachlichen Evidenzfeststellung unterzogen. Danach kann die komplette aufbereitete Dokumentation der zuständigen formalen Prüfungsstelle vorgelegt werden. Dort wird über die Gleichstellung entschieden. Falls nötig werden Ergänzungsmodule angeboten. Hiernach hält ein informeller Lerner ein gleichwertiges Zertifikat eines Berufsabschlusses in den Händen.
Die folgenden Seiten beschäftigen sich mit diesem Prozess anhand eines Beispiels, das sich auf andere Berufe übertragen lässt. Hierbei wird die Diskussion eines weiteren wichtigen Anliegens ermöglicht: Aufgrund der Einführung des Kompetenzbegriffs in die berufliche Bildung sind Adaptionen in Europa möglich.
Der einfacheren Lesbarkeit halber wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten explizit gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.
Michael Beck
Nürnberg, Dezember 2017
– Validierungsprojekt –
Personalentwicklung
Dr. Michael Beck
Diplom-Sozialwirt (Univ.)
Teil 1: Essay – Überlegungen zu sozialwissenschaftlichen Grundlagen eines deutschen und europäischen Validierungsmodells
Die neue Bedeutung des informellen Lernens
Sozialisationsforschung und Lernbiografie
Das Stufenmodell des informellen Lernens nach der Szenario-Plan-Methode
Bedingungen und (Selbst-)Methoden informellen Lernens
Validierung und Zertifizierung von informell erworbenen Lernergebnissen
Positives Resümee – große Notwendigkeit und große Erwartungen
Persönliche Lernergebnisse und die Risiken in der Moderne
Schematische Darstellung – Stufenmodell des informellen Lernens nach der Szenario-Plan-Methode
„Der Mensch ist nur da gut Mensch, wo er spielt.“ Friedrich Schiller
„Am besten lernt man gelegentlich.“ Johann Wolfgang von Goethe
Die neue Bedeutung des informellen Lernens
Es ist nicht zuletzt der Aktivität der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments zu verdanken, dass das informelle Lernen in den Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses gerückt ist. Die positiv interpretierte Intention ist es wohl, Potenziale Betroffener sichtbar zu machen, die mehr oder weniger vom formalen Bildungs- und Ausbildungssystem abgekoppelt sind – mit den entsprechenden Konsequenzen, am Arbeitsmarkt wenig Erfolg zu haben. Was man informell erlernt hat, d. h. in einem eher privaten, sozialen Zusammenhang irgendwie und von irgendjemandem, und zunächst völlig unabhängig davon, was man in diesem Rahmen gelernt hat, soll beruflich verwertbar sein. Und wenn es formal überprüfbar gemacht wurde, soll es dabei helfen, mit diesen Kompetenzen (also ohne formale Qualifikation) in das entsprechende Arbeitsmarktsegment einzumünden und seinen Lebensunterhalt zu verdienen (Anm. 1).
Sozialisationsforschung und Lernbiografie
Bereits die Sozialisationsforschung der 1960er, 1970er und 1980er Jahre hat dieses Thema in vielfältiger Weise aufgegriffen und erforscht. Im Mittelpunkt standen die Familie als Sozialisationsfaktor, Peergroups, Subkulturen, Jugendorganisationen, die Freizeit usw. Auf allen Feldern erforschte man, welche Persönlichkeit daraus erwächst, wie sich Sozialisationsbedingungen auf Motivation und andere Persönlichkeitsmerkmale auswirken, welche Bedeutung Erziehungsstile haben usw. Schließlich ging es in dieser Terminologie um „Sozialisation“, „Enkulturation“ und „Personalisation“ (Wurzbacher) – konkret: wie und mit welchem Resultat wächst ein Mensch in der Gesellschaft unter seinen spezifischen Bedingungen auf.
Daraus folgerte man auch, warum jemand welchen Beruf ergreift, warum jemand beruflichen Erfolg hat und auch, welchen Anteil dieses Heranwachsen ohne den Faktor Schule, formale Ausbildung usw. in einer Berufsbiografie hat. Die Ergebnisse wurden in den Begriffen Basisqualifikation, Extrafunktionale Qualifikation, Sozialqualifikation, Berufsqualifikation oder Gesamtqualifikation jeweils erläutert, empirisch-methodisch belegt und in ihrer Bedeutung für das Beschäftigungssystem zusammengefasst. Die damalige soziologische und psychologische Sozialisationsforschung legte also bereits Wert darauf, ihre Ergebnisse berufs- und arbeitsmarktbezogen zu fokussieren. Neben der Evaluierung formaler Ausbildungen erwartete man durch die Beleuchtung aller anderen sozialen Zusammenhänge wichtige, auch bildungspolitische Erkenntnisse – vor allem aus der schichtenspezifischen Forschung.
Es gab überdies handfeste Ergebnisse, die allesamt zu der Überzeugung kamen, dass aus den privaten Milieus für den Beruf wichtige Erfolgsfaktoren resultieren. Man kann davon ausgehen, dass weit über 50 Prozent beruflichen Erfolges nicht von formalen Abschlüssen induziert ist, sondern durch privates Lernen.
Ebenso evident ist, dass die soziale Kompetenz einen ausschlaggebenden Anteil am beruflichen Erfolg hat – eine Komponente, die kaum die Lehrinhalte formaler Ausbildungen betrifft, sondern mehr das soziale Milieu und die Herkunftsfamilie, wo man dies eben „informell“ erlernt hat.
Für jegliches Weiterkommen greift man lernbiografisch auf das einmal Erlernte zurück. Das so informell Erlernte begleitet einen ein Leben lang, und es ist vermutlich auch entscheidend, in späteren Lebensabschnitten auf die Erfahrung dessen, wie man etwas erlernt hat, zurückgreifen zu können. Denn der Bedarf, immer wieder dazuzulernen, bleibt ein Leben lang bestehen und wird immer einen entscheidenden Anteil bei einer persönlichen Weichenstellung – auch im Beruf – haben.
Insbesondere bei beruflichen Krisen, z. B. umfassende Schwierigkeiten beim Einmünden in den Arbeitsmarkt oder Umstellungs- und Anpassungsschwierigkeiten, spielt das Zurückgreifen auf die eigene Sozialisation, hier: informell erworbene Lernergebnisse, eine große Rolle – im Sinne einer sehr hilfreichen, persönlichen, sozialen Kompetenz, aber auch im Sinne einer Verwertbarkeit von Kompetenzen (Wissen zu besitzen und handeln zu können mit Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem funktionalen Arbeitszusammenhang). Wenn man heute von „Lernergebnissen“ spricht, sind exakt definierte Einheiten gemeint, die sich in zielorientiertem Handeln äußern.
In den frühen Zeiten der (deutschen) Arbeitsmarktförderung der 1980er Jahre spielte all dies eine wenig beachtete Rolle. Wichtig war die formale Qualifikation mit einem öffentlich-rechtlichen Zertifikat. Eine völlig überhöhte Bedeutung hatte die fachliche Kernqualifikation. Wie selbst in zahlreichen Beratungen und Vermittlungsaktivitäten erfahren, durfte man als Schule oder Bildungsträger nicht auf eine informelle Lernbiografie rekurrieren. Hätte man das geltend gemacht, wären die Beratung und Vermittlung als erfolglos gewertet worden. Oder man hätte sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, nicht objektiv, sondern voreingenommen gegenüber einem Schüler oder Probanden zu sein.
An einem exemplarischen Beispiel will ich erläutern, wie es mir dennoch in vielen Fällen gelang, einem von langer Arbeitslosigkeit Betroffenen trotz formaler Ausbildungen und fundierter beruflicher Fortbildung nicht den öffentlich finanzierten Berufsweg zu empfehlen, sondern den von ihm selbst eingeschlagenen Weg mit den von ihm selbst informell erworbenen Lernergebnissen. Der Metallberuf meines Probanden führte damals in die (Langzeit-)Arbeitslosigkeit, die darauf solide aufbauende Fortbildung versprach keinen Erfolg. Der zu Beratende und Schulungsteilnehmer war privat Bienenzüchter und Hersteller von Honig für den Privatbedarf und das nächste Umfeld.
Reicht die erworbene und praktizierte Kompetenz aus, den Kleinstbetrieb so zu erweitern, dass er existenziell trägt? Wie lässt sich aus dem privaten Hobby betriebswirtschaftlich überhaupt ein Kleinbetrieb organisieren? Welche Perspektive würde der Markt dazu bieten? Diese und einige weitere Fragen konnten in den verbliebenen Wochen beantwortet werden – positiv. So machte jemand aus informellen Lernergebnissen einen neuen Beruf – natürlich mit den entsprechenden behördlichen und sonstigen Genehmigungen, Anmeldungen usw. Die Teilnahme am Fortbildungsseminar mit der Option, auch eine Berufs- und Arbeitsmarktberatung zu erhalten, führte dazu, dass der Betroffene selbst sein Potenzial entdeckte und mit dem neu erworbenen Selbstbewusstsein formte. Nicht geleistet wurde eine Validierung seiner Kompetenzen (außer einer Verkostung des Honigs mit hervorragendem Geschmackserlebnis). Deshalb konnte man von offizieller Seite diesen Lernergebnissen nicht richtig glauben und sie als Berufsqualifikation nicht respektieren. Was demzufolge auch nicht geleistet werden konnte, ist die komplette Begleitung hin zu einer formalen Zertifizierung. Dies ist aktuell im Sinne der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments sowie in Bemühungen in (europäischen) Bildungsprojekten und weiteren Projektförderungen der öffentlichen Hand vorgesehen. Dass hier enorme Arbeitsmarktpotenziale stecken, zeigt exemplarisch das oben geschilderte Beispiel. Das Einbeziehen informell erworbener Lernergebnisse betrifft einen wahrscheinlich sehr großen grauen Markt, der so manchem aus beruflichen Sackgassen heraushelfen kann. Ebenfalls positive Effekte sind zu erwarten, denkt man an Diversifikation in einzelnen Arbeitsmarktsegmenten, enormes Wachstum neuer Segmente wie Dienstleistungen mit entsprechend steigender Nachfrage, neue Technologien, Nachholbedarf in der Digitalisierung der Arbeitswelt usw. (Anm. 2). Und aus der Sicht validierter Bewerber: Mit einer Zertifizierung werden ihr Arbeitskräfteangebot und ihre Bewerbung am Arbeitsmarkt sichtbar, messbar und damit Erfolg versprechend auch in einem formalen Sinn bezogen auf Arbeitsrecht, Tarife, Versicherungen, Berufsgenossenschaften, Berufsverbände usw.
Das Stufenmodell des informellen Lernens nach der Szenario-Plan-Methode
Die Szenario-Plan-Methode geht davon aus, dass informelles Lernen in zufälligen oder eher privat herbeigeführten Szenarien erfolgt. Diese positive Lernkonstellation – bestehend aus dem Ort, den Personen, den objektiven Gegebenheiten und einem eher unorganisierten Zeitgeschehen – führt zu bewusst intendierten oder zufälligen Lernergebnissen. Hier gemeint ist ein Zuwachs an Kompetenzen. Informell meint hier: Es gibt keinen Lehrplan, keine professionell eingesetzte pädagogische Person, keine professionelle Didaktik und keine dieser schauderhaften Begriffe wie „schulrechtliche Bestimmungen festgelegter Lernziele“ usw.
Diese „Privatheit“ ungeregelten Lernens in einer ersten Phase betrifft sowohl Basiskompetenzen (kulturelle Techniken), birgt aber auch Potenziale in sich, die in späteren Phasen zu professionellem Handeln führen können oder sich auf professionelles Handeln auswirken. Ihre Abwesenheit erklärt andererseits auch, warum jemand – z. B. im Dienstleistungsbereich – nur ein unvollkommenes professionelles Handeln aufweist, weil es an sozialen Kompetenzen fehlt. Wieso diese Szenarien erfolgreich sein können, wird später anhand der (Selbst-)Methoden des Lernens erläutert, die man leicht aus der pädagogischen Psychologie und anderen Forschungsgebieten wie der Hirnforschung ableiten kann. Beispiele aus Sport und Kultur veranschaulichen diese Wurzeln gut: Profifußballer, die als Kind Straßenkicker waren; Musiker, die im Alter von vier Jahren mit den Instrumenten ihrer Eltern nach Lust und Laune experimentierten. Aber auch Erwachsene, die mit dem Aufkommen der Freizeitgestaltung in den schneebedeckten Bergen begannen, selbsttätig Ski zu fahren – selbstverständlich ohne Anleitung und ohne Skischule –, um dann als erste Generation dieser Aktivität die Grundlage für Skikurse, Skischulen und den Profiskisport zu bilden, und damit, wie man heute weiß, ein Teil des Ursprungs eines Milliardenfreizeitmarktes sind.
In dieser ersten Phase lässt sich ein erstes Potenzial erkennen, wie sich verdeckte Talente zu Kompetenzen weiterentwickeln können. Interessant hierbei sind die helfenden bzw. anregenden Bezugspersonen, die in der vorliegenden Darstellung im Rahmen der Szenario-Plan-Methode „Mentor“ genannt werden. Sie verfügen über Empathie, haben einen Vorsprung in den Kompetenzen und nehmen ihren „Schüler“ in direkter, zuverlässiger Weise an die Hand und geben Tipps, wenn gewünscht – mehr nicht (Anm. 3).
In einer zweiten Phase verdichten sich die Szenarien zu einem eher fokussierenden, geschlossenen System. Das Potenzial wurde erkannt. Es wird nun sichtbarer gemacht und trainiert. Es besteht u. U. ein Plan, ein Ziel mit einer klar umrissenen Kompetenz, die es zu erreichen gilt. Ein großer Teil davon geschieht noch eigenständig und selbsttätig, aber auch ein „Coach“ kann hier zur Stelle sein, um ein semiprofessionelles Leistungsniveau zu erreichen.
Das Leistungsniveau und weiteres Potenzial nimmt hier bereits deutliche Konturen an und kann somit sichtbar gemacht werden. Geht es um ein Kompetenzfeld, das auf eine professionelle, berufliche Richtung abzielt, kann man hier bereits einen „Validierungsprozess“ einleiten, d. h., Leistungen werden dokumentiert, gemessen und bewertet. Die Inhalte und Methodiken der Validierung müssen mit möglichst (europäisch) anerkannten Evidenzkriterien der empirischen Sozial- und Arbeitswissenschaften unterlegt sein. Dann kann es auch eine erfolgreiche nächste Phase geben.
In einer dritten Phase, der höchsten Stufe dieser Betrachtung, erreicht das informelle Lernen mit seinen Lernergebnissen in einem organisierten Szenario ein professionelles Niveau. Eine formal abgeschlossene Prüfung liegt noch nicht vor. Aber Kompetenzen können abgerufen und planbar eingesetzt werden. Die erbrachte Leistung enthält professionelle, qualitative Standards und ist für eine bezahlte, existenzielle Tätigkeit geeignet. In diesem Stadium geht es um die formal mögliche Zertifizierung der vorausgegangenen Validierung. Ein womöglich europäisch anerkanntes Zeugnis beweist die mögliche professionelle Leistungserbringung einer Branche oder eines Arbeitsmarktsegments. Begleiter dieser Phase ist ein „Advisor“, der zur formellen Zertifizierung hinführt und sich mit der professionellen Berufsausübung und den entsprechenden Verfahren der Berufsanerkennung auskennt. Günstig ist ein entsprechender spezieller Lernort, der informelles Lernen unterstützt und das Angebot von Lehr-/Lernmethoden non-formal fördert, um den Erfolg der externen Prüfung (Abschluss des Validierungsprozesses mit einem formalen Zertifikat) zu ermöglichen.
Bedingungen und (Selbst-)Methoden des informellen Lernens
Zu betrachten ist hier die Zeit des Jugend- und Erwachsenenalters, in der man sich in den oben genannten Phasen eins bis drei hin zu einer anerkannten, professionellen Berufsausübung auf der Basis informellen Lernens entwickeln kann. Hierzu kann man allerdings bislang nur auf wenig theoretisches und empirisches Material zurückgreifen, befassen sich doch die meisten Studien mit den non-formalen und formalen Praktiken der Erwachsenenbildung, des schulischen Lernens und seiner Didaktik, mit der Evaluierung und der Personalentwicklung (Training) oder der Psychotherapie.
Folgt man den Erkenntnissen der Hirnforschung, ist Lernen bis ca. zum 22. Lebensjahr leichter. Die Synapsen im menschlichen Gehirn können sich in dieser Zeit leichter verändern als später. Veränderung bedeutet Speichern und Verarbeiten, nichts anderes ist Lernen. Dies wird erreicht durch Sehen, Hören, Fühlen, Sprechen, Denken, Wollen und Handeln (Spitzer). Hier wird bereits deutlich, dass Lernen und insbesondere informelles Lernen sehr viel mit Haptik und eigenen Erfahrungen zu tun haben. Vor diesem Hintergrund soll hier auf einige Persönlichkeitsmerkmale und Lernvorgänge eingegangen werden, die sehr plausibel einen hohen Anteil an dem großen Erfolg informellen Lernens aufzeigen (Anm. 4).
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