Kriegswirren

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Kriegswirren
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Das Buch

Gegen Ende des zweiten Weltkrieges erleben

amerikanische Soldaten in einem Bau der Nazis das

absolute Grauen, ein junger Kunststudent besucht

seine Familie auf einer englischen Halbinsel, doch ein

blutgieriges Wesen geht dort um, eine Gameshow in

der Zukunft hat nur eine Regel: Drücken Sie den roten

Knopf und eine Babysitterin erlebt die Horrornacht

ihres Lebens...

Diese und weitere makabre Kurzgeschichten vom

Newcomer des Horrors erwarten Sie in dieser

doppelbödigen Anthologie.

Der Autor

Max Stascheit wurde am

09.04.1991 in Vechta geboren.

Schon in jungen Jahren faszinierte

ihn das Unheimliche und

Makabre.

Comics, Kurzfilme und Hörspiele

sind nur einige Dinge die ihn begeistern und immer wieder

erneut antreiben.

Erste Erfahrungen mit Horrorliteratur machte er mit

Büchern von Stephen King.

Sein großes schriftstellerisches Vorbild ist nach eigenen

Aussagen Robert Bloch.

2

Max Stascheit

Kriegswirren

Kurzgeschichten

3

Titel der Originalausgabe

>Kriegswirren<

Copyright © 2015 -‐ Max Stascheit

Umschlagillustration -‐ Max Stascheit

ISBN 978-‐3-‐7375-‐4127-‐5

Deutsche Erstausgabe

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 2015

Max Stascheit

4

5

Kriegswirren

Seite 7

Der Theaterbesuch

Seite 86

Drücken Sie den roten Knopf!

Seite 90

Das Familientreffen

Seite 99

Schiffbrüchig

Seite 175

Schere, Stein, Papier

Seite 187

Wie du mir, so ich dir

Seite 189

Der Grinsende

Seite 194

Das Streitgespräch

Seite 198

Nachwort des Autors

Seite 202

6

Leseprobe

Seite 207

7

Kriegswirren

Aus einer zerbeulten Blechdose, noch halb gefüllt mit einer

übelriechenden Erbsenmischung, kroch eine schwarz-‐

verklebte Spinne auf den schlammigen Asphalt.

Leutnant Liam Barns zog noch ein letztes Mal an seiner

Lucky Strike Zigarette und drückte sie zielsicher auf dem

Kriechtier aus. Es zischte kurz und der bläuliche

Zigarettendampf quoll aus dem zerquetschten Leib der

Spinne in den Nachthimmel.

Der Soldat erhob sich langsam und stieß dabei den

klapprigen Holzschemel um, auf dem er gerade noch

gesessen hatte.

>>Wir müssen weiter.<< rief er entschlossen zu seinen

Kameraden, welche einige Meter vor ihm ebenfalls eine

Pause gemacht hatten.

Ein schneidender Wind umspielte die einengende Kleidung

der Männer. Barns schulterte seine M1903 Springfield und

ging langsam auf die anderen zu.

>>Das Ortsschild haben wir passiert. Bis wir in Binz sind,

wird es sicher noch eine halbe Stunde dauern. Wir werden

dort unser Nachtlager aufschlagen.<<

Das wettergegerbte Gesicht des Leutnants wurde hart. Die

Kälte kroch unaufhaltsam in die Knochen der Soldaten und

schwächte sie. Und da war noch der Hunger.

Seit Tagen hatten sie nichts gegessen, nur eine kleine

Ration war noch übrig und man hatte beschlossen, diese

bis Binz nicht zu verzehren.

Ein junger Mann drehte sich zu seinem Vorgesetzten um

und musterte den Nachthimmel.

>>Bisher sind wir gut vorangekommen. Wollen wir sicher

in dem Ort übernachten?<<

Der junge Mann, aus dessen Antlitz jegliche Unschuld der

Jugend gewichen war, blickte den Leutnant ernst an.

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>>Wir haben seit Tagen keine weiteren Angriffe mehr

abwehren müssen. Doch der Schein kann trügen. Diese

Krauts können durchaus taktisch vorgehen. Vor allem,

wenn sie wissen, dass nun nichts mehr zu verlieren ist.<<

Barns blickte entschlossen zu dem jungen Mann.

>>Ich denke, wir sollten es riskieren, Ethan. Seit wann

hatten wir kein richtiges Dach mehr über dem Kopf? Der

Krieg ist vorbei und unsere Mater auf hartem Grund

ebenfalls.<<

Logan Gleeson, ein Mann in den Vierzigern, nickte und

legte seine Hand auf die Schulter des jungen Ethan Roth.

>>Er hat recht Ethan. Wir werden in Binz unser Lager

aufschlagen. Vielleicht gibt es eine Pension, die wir nutzen

können.<<

Ethan Roth nickte.

>>Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Diese vermaledeite

Kälte ist nicht mehr auszuhalten.<<

Der Wind pfiff harsch von Richtung des Meeres. Die Ostsee

war bekannt für ihre Launen.

Die Männer gingen die verdreckte Straße entlang. In ihrem

Blickfeld tauchten die ersten Häuser auf, dicht gefolgt von

prunkvollen Villen neureicher Deutscher.

Sie würden bald nette Gesellschaft erhalten, dachte Barns

und zündete sich eine weitere Zigarette an. Bisher hatte er

hausgehalten mit seinem spärlichen Zigarettenvorrat, doch

in Anbetracht der Umstände konnte er getrost eine

Ausnahme machen.

Der Krieg war vorbei, die Deutschen geschlagen und nur

noch eine letzte Mission zu tun.

Das Feuer aus dem Zippo des Leutnants flackerte im Wind.

Schützend hielt er eine Hand vor die kleine Flamme und

zog an seiner Zigarette. Das Nikotin füllte seine Lunge und

brachte ein klein wenig Wärme mit sich.

Die Männer sahen flackernde Lichter hinter den

zugezogenen Gardinen der kleinen Häuser.

Die Menschen hatten Angst. Nicht nur vor den Erlebnissen

9

des Krieges. Sie hatten Angst vor dem, was kommen

würde. Hitler war tot, das Reich geschlagen und die

versprochene glorreiche Zukunft im tausendjährigen Reich

in Schutt und Asche, so wie auch die meisten deutschen

Städte.

Doch in Binz sah es anders aus. In ganz Mecklenburg-‐

Vorpommern hatte der Krieg nicht so sehr gewütet wie in

Dresden oder Berlin. Hier lebte man nicht in

Trümmerfeldern und zwischen Leichenbergen.

Doch die Stadt wirkte dennoch bedrohlich. Eine beinahe

unerklärliche Unruhe breitete sich in der Brust der

Soldaten aus.

Sie waren viel gewohnt, doch selbst an diesem Ort schien

der Krieg eine weitere Facette dazugewonnen zu haben.

>>Seht ihr das?<< fragte der vierte Mann der Truppe, ein

hochgewachsener Riese, der auf den Namen Kibutz hörte.

Die Männer verlangsamten ihre Schritte und blickten auf

die ausgestreckte Hand ihres Kameraden, welche in die

Richtung eines Hauses zeigte.

Im Wind schaukelte ein aus Holz gesägtes Schild, auf

dessen durch Regen und die Zeit verblasster Vorderseite

ein Name stand.

Pension zum eisernen Ritter

>>Was steht dort Leutnant?<< fragte Ethan Roth seinen

Vorgesetzten lautstark gegen den Wind ankämpfend.

Barns, dessen Deutsch durch diverse Schulungen für ihn

akzeptabel war, studierte das schaukelnde Schild.

Er übersetzte und beratschlagte sich, mit zwei der drei

Männer in Richtung der Herberge zu gehen. Der Rest sollte

die Nachhut bilden und auf eventuellen Feindbeschuss

achten.

Barns griff nach seiner Waffe und überprüfte das noch

halbvolle Magazin. Dann gab er seinen Kameraden Gleeson

und Kibutz Zeichen.

Gemeinsam huschten die Männer wie Gespenster durch die

verwehte Hauptstraße der Kurstadt.

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Eine mit roter Farbe angestrichene Holztür kam in ihr

Sichtfeld.

Barns drückte sich an die Wand und umschloss mit hartem

Griff den Türknauf der Herberge.

Noch einmal schaute er zu den Soldaten, welche sich

ebenfalls an die Wand eines benachbarten Hauses

drückten.

Man konnte nie vorsichtig genug sein, dachte Barns und

erinnerte sich an eine Begegnung vor einigen Wochen.

Sie waren in einem Waldstück nahe der Brohmer Berge

unterwegs gewesen und auf eine Gruppe Jungen gestoßen.

 

Die verängstigten Kinder konnten nicht älter als zehn Jahre

alt gewesen sein, dennoch hielten sie Barns und seinen

Gefolgsleuten drei 98. Karabiner entgegen.

Barns hatte mit Kibutz versucht die Situation zu

entschärfen, doch ihre Anweisungen und

Schlichtungsversuche schlugen fehl. Keiner der Jungs

konnte Englisch und selbst Barns kläglicher Versuch die

Angreifer auf gebrochenem Deutsch zur Ruhe zu bringen

schlugen fehl.

Die sogenannten Werwölfe, Hitlers letzte verzweifelt

aufgestellte Schutztruppe, meist bestehend aus Kindern

und Jugendlichen, hatten kaum Waffenerfahrung.

Und so war die Situation eskaliert. Sie hatten geschossen,

jedoch nicht getroffen. Ein Querschläger traf einen der

Jungen am Hinterkopf.

Noch heute erinnerte sich Barns mit Grausen an das

Gesicht des Jungen, seinen angsterfüllten Blick, sein

Unglaube über das, was ihm widerfahren war.

Sie hatten die anderen Jungs überwältigt und unter

tosenden Schreien ihre Waffen genommen. Dann waren sie

weitergezogen.

Barns warf seinen nächsten Zigarettenstummel auf die

Hauptstraße und hielt den Türgriff fest, als hinge sein

Leben davon ab.

Man konnte nie vorsichtig genug sein.

11

Dann drückte er seine Hand nieder.

Schwaches Licht flackerte auf die Straße und ließ die

Schlammpfützen aussehen wie kleine Lachen von Blut.

Barns hatte seine Waffe im Anschlag und trat mit dem

linken Fuß auf die Schwelle der Tür. Er blickte hinein und

inspizierte die Umgebung.

Alles war still. Doch um diese Uhrzeit war dies kein

Wunder. Die Menschen in dieser Stadt schienen zu

schlafen.

Bei diesem Gedanken kam Barns der Magensaft hoch und

er musste hart schlucken um den säuerlichen Geschmack

zu verdrängen.

Während anderswo Millionen Menschen ihren Tod fanden,

schliefen diese Menschen, als sei nie etwas passiert.

Dann bemerkte der Leutnant eine Bewegung neben sich.

Gleeson und Kibutz waren nachgerückt, sie standen neben

Barns und schauten sich um.

>>Keiner Zuhause?<< flüsterte Gleeson beinahe lautlos.

Die drei Männer wandten sich zur Straße und suchten in

den Schatten der Häuser nach Roth, welcher die Nachhut

bilden sollte.

Dann traten sie in den Hausflur der Pension.

Das Mobiliar war alt, aber dennoch gut gepflegt. Ein

Kerzenleuchter hing in der Mitte des Zimmers und glühte

schwach in dem dämmrigen Raum.

An der Wand hingen allerlei Gemälde, die meisten zeigten

die Stadt und ihre Haupteinnahmequelle, den Schiff-‐ und

Jachtbau und die Fischerei.

Ein Bild Adolf Hitlers fiel Barns beinahe nicht auf, zu sehr

hatte er sich an die Selbstverständlichkeit gewöhnt, mit der

man in Deutschland sein Konterfei an die Wand hing.

Logan Gleeson schob Barns sacht zur Seite und griff nach

dem Bild Hitlers. Er nahm es mit einem Ruck von der Wand

und der daran befestigte Nagel sprang durch den Raum

und rollte in eine der Dielenritzen.

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Mit einem Klirren zerschellte der Rahmen auf der

Hauptstraße, auf welche Gleeson das Bild geworfen hatte.

>>Verdammte Dreckssau.<< murmelte er und betrat die

Pension erneut.

Dann hörten sie es. Schritte, knarzendes Holz und eine

weibliche Stimme. >>Hallo? Ist da jemand?<< vernahmen

die Soldaten.

Barns blickte zum Fuße einer Holztreppe, auf dem eine

junge Frau in weißem Nachtgewand erschienen war.

Sie war kaum älter als Anfang Dreißig, hatte beinahe

ebenso weiße Haut wie ihr Gewand und einen furchtsamen

Blick.

Barns blickte sie entschlossen, aber gutmütig an.

>>Guten Abend.<< sagte er gepresst, seine Aussprache war

bisher immer noch das größte Problem gewesen.

Die Frau hatte eine Kerze in der Hand, welche sie wie eine

Waffe umklammerte.

In ihrem Gesicht lasen die Männer Angst, aber auch

Neugier.

>>Keine Angst, wir tun Ihnen nichts Fräulein.<< begann

Barns. >>Wir sind auf der Suche nach einem Zimmer für

diese Nacht.<<

Er wartete die Reaktion der Frau ab und sah, wie diese sich

ein wenig entspannte. Sie schien erleichtert zu sein, als sie

erkannte, dass diese Männer ihr nichts Unrechtes tun

wollten.

Die Frau trat auf die Dielen des Flurs und umrundete ein

Holzmöbel, auf dem ein in Leder gefasstes Buch lag.

Barns lächelte. Er bewunderte die Korrektheit der Frau,

auch wenn in dem Buch sicher keinerlei Gäste vermerkt

waren, sie wollte die Ankömmlinge pflichtbewusst

eintragen. Wahrscheinlich war hier niemand seit Jahren

gewesen. Doch der Trott steckte ebenso in der Frau, wie

die Vorsicht.

>>Ich habe Zimmer für Sie.<< sagte sie knapp. >>Wie viele

benötigen Sie?<<

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Barns gab Kibutz ein Zeichen auch Roth in die Pension zu

holen. Der stämmige Mann verließ das Haus und pfiff über

die Straße.

Ein Außenstehender hätte den Pfiff für einen Vogel

gehalten, sie hatten sich bereits seit Beginn des Krieges so

verständigt, um keine unliebsamen Gäste anzulocken.

Nach einigen Sekunden kam Kibutz und Roth in die

Pension und schauten fragend in Barns Richtung.

>>Sie hat für jeden von uns ein Zimmer.<< lächelte Barns.

>>Sie will dafür nicht einmal Geld. Schlaues Mädchen, es

wäre sowieso nichts wert.<<

Die Männer nickten und folgten der Frau aufmerksam mit

ihren Blicken.

Nachdem die Frau einige Schlüssel in der Hand hielt und

auf die Treppe zuschritt, hielt Logan sie am Arm fest.

>>Frag sie, ob sie allein ist.<< ermahnte Gleeson Barns.

Dieser stellte Gleesons Frage an die Frau, welche den Kopf

schüttelte. Eine Träne floss kaum sichtbar an ihrer rechten

Wange hinab.

Dann gingen die fünf die Treppe hinauf.

Die Zimmer waren nicht sehr groß, aber durchaus

gemütlich, wenn Barns und seine Kameraden darauf wert

gelegt hätten. Sie brauchten eine Unterkunft und eine

warme Decke über ihren durchfrorenen Körpern.

Leutnant Liam Barns entledigte sich seiner Kleidung und

legte sie über einen alten Sessel, der an einigen Stellen

bereits gerissen war und aus dessen Innerem eine

weißliche Stofffüllung hervorquoll.

Barns setzte sich auf sein Bett und griff nach seinem

Rucksack. Die Schnallen lösend, blickte sich der Mann in

dem Zimmer um. Das alte Mobiliar mit den schweren

Deckenbalken verströmte rustikalen Scharm.

Ein Bild zu seiner Rechten forderte seine Aufmerksamkeit

und er erhob sich aus seinem Bett.

Die Malerei zeigte die Ostsee und dessen Strand. Im

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Hintergrund sah man einen riesigen Gebäudekomplex.

Barns wendete sich von dem Bild ab und griff in seinen

Rucksack. Sein Kopf juckte und seine Glieder brannten wie

Feuer. Er sehnte sich nach einer erfrischenden Dusche und

einer warmen Mahlzeit, doch alles, was sich in seinem

Proviant befand, war ein Flachmann mit einem üblen

deutschen Schnaps, den sie von einer alten Frau auf einem

Bauernhof bekommen hatten.

Er griff nach dem silbernen Flachmann, auf dessen

Vorderseite seine Initialen eingraviert waren. Ein

Geschenk seiner Frau, kurz vor Beginn seiner Mission in

Deutschland.

Er drehte den Verschluss auf und setzte das Destillat an

seine Lippen, dann kippte er den Inhalt fast gänzlich in

seinen Mund.

Der Schnaps brannte. Wahrscheinlich hatte die Alte das

Zeug aus Unkraut gebrannt, dachte er grinsend, doch es

erfüllte seinen Zweck. Es ließ ihn ein wenig abschalten und

vergessen. Es verdrängte die Bilder des toten Jungen, den

Anblick in seinem Gesicht und die grausamen

Erinnerungen an den Krieg.

Barns leerte den Flachmann und legte ihn behutsam, wie

einen kostbaren Diamanten, wieder zurück in den

Rucksack. Er sehnte sich nach seiner Frau, nach seiner

Tochter. Er wollte sie sehen, wollte den Duft ihrer Haare

riechen und endlich nach Hause kommen.

Doch er hatte noch eine Aufgabe zu erledigen, eine letzte

Aufgabe, bevor es endlich in die Heimat gehen konnte.

Liam erhob sich und ging auf die Tür seines Zimmers zu. Er

umfasste die schwere Klinke und drückte sie behutsam

hinab.

Er schaute auf den mit rotem Teppich ausgelegten Gang.

Alles war still, nur eine kleine Lampe spendete flackernd

ein wenig Licht auf dem spärlich ausgeleuchteten Flur.

Barns schlich, bei den alten Dielen nicht ganz geräuschlos,

zu der Treppe und ging hinab.

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Als er in dem Hausflur angekommen war, wandte er sich

nach links. Beim Vorübergehen sah er an die Wand, an

dessen hellerer Stelle vorher das Bild Hitlers gehangen

hatte. Dann steuerte er auf eine weitere Tür zu, die seiner

Meinung nach in die Küche führen musste.

Liam Barns drückte die Tür einen Spalt breit auf und sah

hinein. Er hatte Recht, dies war die Küche.

Eine Kerze stand in der Mitte eines kleinen Holztisches, an

dessen Rand einige Streichhölzer lagen.

Barns griff zu und entzündete eines der Hölzchen, dann

hielt er es an die Kerze.

Der Raum wurde ein wenig heller und Barns schaute sich

um. Er entdeckte einen Korb mit Brotlaiben, einige Ringe

Wurst und einen Krug mit frischer Butter.

Er konnte nicht anders, er musste etwas essen. Den

Männern hatte er seine eigene Notration überlassen,

wohlwissend, dass sie diese nötiger hatten als er.

Und dennoch, er hatte einen riesigen Hunger.

Wie ein reumütiger Dieb sah er sich verstohlen um,

versuchte jede Bewegung schon zu erahnen. Als er sicher

war, dass niemand kam, griff er zu und stellte das Brot, die

Wurst und den Krug Butter in die Tischmitte. Er wandte

sich erneut um, auf der Suche nach einem Messer, da sah er

sie.

Die Frau stand im Türrahmen und hielt ein Messer in

Händen. Instinktiv griff Barns nach seiner Waffe, welche

aber auf seinem Bett lag.

Wie konnte er nur so töricht sein, dachte der Leutnant und

schaute angespannt zu der Frau.

Diese aber kam nicht mit erhobener Waffe auf ihn zu. Sie

griff nach einem Stuhl, zog ihn an den Tisch heran, dann

nahm sie darauf Platz und griff nach dem Brotlaib.

Rasch durchschnitt sie den Teig und beschmierte die

Innenseite einer dicken Scheibe mit Butter.

Anschließend griff sie nach einer köstlich riechenden

Wurstkette und durchtrennte den Faden, der sie

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zusammenhielt.

Die Frau schnitt einige Scheiben Wurst ab und legte sie

feinsäuberlich auf die mit Butter beschmierte Seite des

Brotes.

Dann lächelte sie Barns an und hielt ihm die Brotscheibe

entgegen.

>>Essen Sie.<< sagte sie.

Das Brot war herrlich gewesen, fand Liam und leckte sich

sogar die Finger von den Butterresten sauber.

Er bedankte sich bei der Frau und begann sie in ein

Gespräch zu ziehen.

>>Mein Name ist Leutnant Liam Barns von der 143.

Truppe. Ich bin mit meinem Team nach Rügen gekommen,

um hier die letzten Gefangen der Nazis zu befreien und

ihre Stadt als Zufluchtsort für Verletzte und

 

Kriegsflüchtlinge auszukundschaften. Sagt man das so?<<

Er kam ins stottern.

Die Frau schaute ihn mit einer Mischung aus Bewunderung

und Skepsis an.

>>Das war gut.<< sagte sie kurz. >>Ihr Deutsch ist wirklich

gut, Leutnant.<<

Sie lächelte, nur für einen Sekundenbruchteil, wie Barns

schien.

>>Mein Name ist Hanna Pechstein. Meinem Mann gehörte

diese Pension vor dem Krieg, jetzt habe ich sie

übernommen.<< Ein Anflug von Trauer schlich sich auf das

makellose Gesicht der Frau.

Sie blickte Barns eindringlich an. Etwas lag ihr auf der

Zunge, doch Barns konnte nicht sagen, was.

>>Meine Männer und ich kommen aus Amerika.<<

ergänzte Liam. Hanna, ich merke, dass Sie etwas sagen

wollten. Haben Sie einige Informationen für uns über Binz?

Wie viele Menschen leben hier, gibt es einen bestimmten

Menschen, mit dem wir sprechen sollten, bevor wir unsere

Mission fortsetzen?<<

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Die Frau schüttelte langsam den Kopf, eine Träne floss aus

ihrem linken Auge.

>>Nein, hier lebt niemand mehr, niemand der Ihnen helfen

könnte. Nach dem Krieg sind die letzten Männer, wenn

man sie so nennen kann, abgehauen. Sie haben das Weite

gesucht. So etwas haben Sie sicher schon öfter erlebt. Man

hat uns allein gelassen, die Alten, die Kranken, Frauen und

Kinder. Nachdem der Bau nicht vollendet wurde, hat man

die Arbeiter abgezogen und den leerstehenden Bau

umfunktioniert. Man hat dort Menschen gequält und

eingesperrt.<<

Barns dachte an das Bild in seinem Zimmer.

>>Sie meinen das Seebad Prora, right?<< erkundigte sich

Barns.

Deshalb hatte man sie hergeschickt. Man wollte, dass die

Männer das von den Nazis nie zu Ende errichtete Seebad

inspizierten und gegebenenfalls dort Kriegsflüchtlinge

unterbringen konnten.

Man hatte zwischen den Jahren 1936 und 1939 damit

begonnen, einen Kurort, einen gemeinsamen Ferienort für

bis zu 20.000 Deutsche zu ermöglichen, um so das

Kollektiv zu verstärken. Während des Nationalsozialismus

betrieb Deutschland eine umfangreiche ideologische und

propagandistische Politik, welche sich besonders im

Seebad Prora wiederspiegelte. Das Projekt Kraft durch

Freude sollte eigene Wagen und günstigen Urlaub

ermöglichen und den Lebensstandart der Bevölkerung

heben. Es sollten Kreuzfahrten, Anreisen in einem

unterirdisch angelegten Bahnsystem, jeweils zwei Wochen

im Jahr Urlaub und weitere ideologisch motivierte Projekte

geben, doch die Nazis schafften es nie, den Bau zu

vollenden, der Krieg verhinderte dies und vor allem das

fehlende Geld.

Nun ragte der Bau wie ein Mahnmal des Größenwahns am

Strand Rügens in den Himmel.

Und dort hatte man die Männer hin gesandt. Es hielten sich

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hartnäckig die Gerüchte, dort befänden sich noch

verbliebene Nazioffiziere, welche der Justiz entkommen

wollten.

Barns und seine Männer waren dazu ausersehen, diesen

Männern Gerechtigkeit in Form von Prozessen Teil werden

zu lassen.

>>Wollen Sie noch eins?<< vernahm Barns die Stimme

Hanna Pechsteins, welche ihn aus seinen Gedanken riss.

Er schaute die Frau fragend an.

>>Noch ein Brot?<< wiederholte sie ihre Frage.

Liam schüttelte den Kopf.

>>Nein Danke Hanna, ich denke, ich werde zu Bett

gehen.<<

Er bedanke sich herzlich und begann dann wieder aus der

Küche zu gehen.

Er spürte die Hand der Frau auf seiner Schulter. Der Griff

war fest und hielt ihn zurück.

>>Lassen Sie ihre Mission sein, Herr Barns. Kehren Sie

nach Hause zurück.<<

Sie zitterte und schaute Liam eindringlich an.

Barns runzelte die Stirn.

>>Wieso? Was wissen Sie über das Seebad?<< fragte er

zögernd und blickte der Frau in ihre, sich erneut mit

Tränen füllenden Augen.

Doch Hanna Pechstein wandte den Blick ab und begann,

das Brot und das restlichen Essen abzuräumen.

Barns wartete noch einige Sekunden, dann verließ er die

Küche und ging zurück in sein Zimmer.

Ein Sonnenstrahl weckte den Leutnant am nächsten

Morgen. Rasch erhob sich der Mann aus seinem Bett und

streckte die Glieder. Es war kühl in dem kleinen Zimmer

und er trat an das schräge Dachfenster heran, blickte

hinaus und stellte fest, dass der Wind und der in der Nacht

eingesetzte Regen verschwunden waren. Die Sonne

strahlte am Himmel und vertrieb allmählich den letzten

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Bodennebel.

Barns griff nach seiner dreckigen Kleidung und trat auf den

Flur. Ethan Roth kam ebenfalls aus seinem Zimmer und

grüßte den Vorgesetzten höflich.

>>Gut geschlafen?<< erkundigte er sich bei Barns und rieb

sich den Schlaf aus den Augen.

Liam nickte und schaute sich fragend um.

>>Gibt es hier ein Badezimmer?<< fragte dieser Roth.

Der junge Mann nickte und grinste.

>>Gibt es. Und darin in Gleeson schon seit einer

Ewigkeit.<<

Die beiden Männer gingen die Treppe hinab und rochen

schon von weitem den betörenden Geruch frischen Kaffees.

Die Küchentür stand offen und sie schauten auf einen Tisch

voller Brot, Porzellantassen mit dampfendem schwarzen

Inhalt und eine adrett gekleidete Hanna Pechstein, hinter

dem Möbel stehend.

>>Guten Morgen.<< verlautete sie knapp. >>Bedienen Sie

sich, ich selbst habe bereits etwas gegessen. Stärken Sie

sich vor ihrer Mission.<<

Roth schaute Barns an, er ahnte, dass dieser bereits in der

letzten Nacht mit der Frau gesprochen hatte.

Die beiden Männer nahmen Platz und tauschten Blicke.

>>Was hat sie dir letzte Nacht erzählen können?<< fragte

Ethan neugierig.

Liam berichtete seine Erlebnisse und schaute Roth

unsicher an.

>>Was kann sie damit gemeint haben, als sie meinte, dass

wir abziehen sollen?<<

Barns schüttelte nachdenklich den Kopf, er nippte

vorsichtig an seinem heißen Kaffee und griff nach einer

Scheibe Brot.

>>Keine Ahnung, wir werden es herausfinden.<<

Nachdem die Männer sich gestärkt hatten, begannen sie

ihre Waffen zu kontrollieren und ihren Proviant mit Brot,

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Wurst und einigen Konserven aufzustocken. Frisch

geduscht, die Kleidung ausgeklopft und ein wenig erholt,

verließen sie die Herberge und bedankten sich bei Hanna

Pechstein.

Die Frau sah ihnen noch eine Weile lang nach, dann schloss

sie die Tür ihres Hauses und ging in die Küche.

Es hatte an die Hintertür geklopft.

Hatten die Soldaten etwas vergessen? fragte sich die Frau

und schob den Riegel des Schlosses zur Seite.

Sie blickte aus der Tür und erkannte zwei Kinder, welche

gespannt in ihr Gesicht blickten.

>>Hattest du Besuch, Hanna?<< fragte die Stimme eines

kleinen Mädchens. Ein Junge stand neben ihr, ein blonder

Knabe von gerade mal neun Jahren.

Das Mädchen drängte sich an Hanna Pechstein vorbei und

lief in die Küche. Sie griff wie selbstverständlich nach

einem Stück Brot und biss hastig einen Bissen ab.

>>Hatte ich. Doch was geht euch das an, ihr

Lausebengel?<< lachte Hanna in Richtung der Kinder.

Der kleine Junge, Fritz Meyer, folgte dem Mädchen und

nahm ebenfalls an dem Küchentisch Platz.

>>Ilsa sagt, dass die Männer Amerikaner waren.<< platzte

der Junge hervor, seine Aufregung war deutlich hörbar.

Hanna umrundete den Tisch und schaute die Kinder an.

>>Ilsa hat Recht Fritz, es waren Amerikaner. Sie sind hier,

um die bösen Männer mitzunehmen.<<

Der Junge blickte Hanna Pechstein wütend an.

>>Die Männer sind nicht böse, sie tun das Richtige. Diese

Amerikaner sind die Bösen, das sagte zumindest mein

Großvater.<<

Hanna schlug wütend auf den Tisch.

>>Dein Großvater hat unrecht. Was diese Männer getan

haben ist nicht richtig. Niemand soll so etwas jetzt noch

sagen. .<< Hannas Stimme verebbte.

Ilse Lang, das Mädchen, mit dem Fritz zu Hanna gekommen

war, lachte auf.

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>>Hanna denkt, nur weil der Krieg vorbei ist, wird jetzt

alles anders. Hör nicht auf sie Fritz, unsere Rasse ist viel

stärker als diese Amerikaner. Wir werden trotzdem

gewinnen!<<

Hanna Pechstein schüttelte traurig den Kopf. Diesen

Kindern konnte man nicht so einfach die Propaganda aus

dem Kopf waschen. Ihr Großvater war zu verbohrt und von

alten Ansichten geblendet.

Fritz Vater war bei der SS gewesen und wahrscheinlich tot

oder gefangengenommen worden. Über Ilsa wusste sie nur,

dass ihre Mutter schwer krank war. Praktisch waren diese

Kinder zu bedauern, sie schlugen sich allein durch und

stromerten umher.

>>Wo wollen sie denn hin, Hanna?<< fragte Ilsa plötzlich.

Die Frau schüttelte gespielt den Kopf.

>>Das weiß ich nicht, Kinder.<<

Sie wollte nicht, dass Ilsa und Fritz den Soldaten folgten,

nicht zum Seebad und schon gar nicht hinein.

Doch die Kinder waren bereits aufgesprungen und rannten

aus der Küche in den Hof.

>>Das finden wir schon heraus, Fritz.<< lachte Ilsa und

packte den Arm des Jungen, dann waren sie verschwunden.

Hanna trat an die Tür und schloss sie.

Dann überlagerte eine dunkle Stimmung ihr Gemüt und sie

blickte wehmütig hinter den Kindern her.

Im Innersten wusste sie, dass sie keinen der Menschen

wiedersehen würde.

Barns und seine kleine Truppe bewegten sich in Richtung

Wasser, über niedriges Gewächs und eine Hügelkuppe.

Der Boden war durch den Regen aufgeweicht und ihre

Stiefel versackten des Öfteren im Schlamm.

Es war ein mühevolles Vorankommen, das zusätzlich durch

die unwirkliche Landschaft erschwert wurde.

Liam Barns roch bereits seit einigen hundert Metern den

Geruch des Meerwassers. Es musste direkt hinter der

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Hügelkuppe liegen. Sie hörten bereits die Wellen und

spürten den scharfen Wind, der mit ihnen kam.

Nach einigen weiteren Minuten sahen wie es, das Seebad.

Ein riesiger Koloss aus Stein, Stahl und Metall.

Es musste sich Kilometer über den Strand erstrecken, zu

beiden Seiten schauend sah man kein Ende des Gebäudes.

Roth stieß einen scharfen Pfiff aus, er schien sichtlich

beeindruckt, ob des gigantischen Bauwerkes.

>>Das nenne ich mal ein Hotel.<< lachte er.

Barns berichtigte ihn.

>>Eigentlich war dieser Bau nicht als reines Hotel gedacht.

Der Urlaub der Deutschen sollte in der Gemeinschaft

stattfinden. Man wollte so die Massen kontrollieren. Doch

sie sind nie fertig geworden, somit sind große

Gebäudekomplexe unvollendet und nichts mehr, als