Distinktion durch Sprache?

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2.1.2 Bildungsmobilität in der Schweiz von den universitären Anfängen bis heute

Gyr (1989) stellt fest, dass es vor 1370 bei den eidgenössischen Studenten klare Favoritenuniversitäten gab. Dazu gehörten Bologna, Paris, Orléans und Montpellier. Die Notwendigkeit mobilisierte, die Eidgenossenschaft bot damals noch keine Tertiärbildung. Die Richtung der Mobilität war trotz anderer Möglichkeiten (z.B. Universitäten in Prag und Wien) vorbestimmt. Gemäss Stelling-Michaud (1938: 152) waren die Studenten aus der Eidgenossenschaft „orientés exclusivement vers les pays de langue romane“. Dies veränderte sich auch nach der Gründung der Universität Basel 1460 nicht sogleich. Die in der Ferne weilenden Studierenden kehrten nicht sofort in die Heimat zurück. Geographische Nähe war eben nur ein Argument. „Fachrichtung, Lehrangebot, Lehrkörper, konfessionelle Ausrichtung sowie politische Abkommen“ (Gyr 1989: 37) spielten ebenso eine Rolle. Wie Stelling-Michaud (1938: 153) festhält, bewirkte die Gründung der Basler Universität, „d’augmenter encore le nombre des Suisses dans les universités étrangères, car la nouvelle et vaste clientèle écolière de Bâle, attirée par la proximité du lieu, allait en grande partie poursuivre et terminer ses études dans d’autres pays“. Gyr (1989) verweist ausserdem auf die ausserhäusliche Erziehung als ein durchgängig befolgtes Prinzip, wobei das Aneignen von Fähigkeiten wie auch der Reifeprozess von Bedeutung waren. So sollte der Studierende sich, dank dem Aufenthalt in der Fremde, nicht nur eine Ausbildung aneignen, sondern auch erwachsen werden.

Seit wann genau der Erwerb von Sprachen für die Eidgenossen von Bedeutung war, ist schwierig zu sagen. Sicher ist, dass bis in die Epoche des Humanismus Latein jene europäische Sprache war, welche die an Universitäten Lehrenden und Lernenden ortsunabhängig miteinander verband und von der sie umgebenden städtischen Gesellschaft trennte (vgl. Fisch 2015: 21). Aber auch die Vorrangstellung des Französischen geht weit zurück, wie Bischoff in seinen Schlussfolgerungen zum Fremdsprachenlernen im Mittelalter aufzeigt. „From the twelfth century on, and especially in the thirteenth century, French acquired such a position; it was highly appreciated and its study was eagerly recommended. […] Already in the twelfth century Danish nobles sent their sons to Paris so that they should become familiar with the French language and literature“ (Bischoff 1961: 210). Im 15. Jahrhundert wurden sowohl aus Bern als auch aus Basel Studierende an die Pariser Universität geschickt, auch wegen der Sprache. Anfangs des 16. Jahrhunderts weisen Korrespondenzen, wie etwa diejenige zwischen dem Glarner Heinrich Loriti in Paris und Zwingli in der Eidgenossenschaft explizit auf die Möglichkeit hin, in Paris neben dem Hochschulstudium auch die französische Sprache zu erwerben (Amman 1928). Ebenso zeigen Belege aus Nachbarländern, dass neben dem Erwerb fachlicher Kenntnisse jener einer Fremdsprache mehr und mehr an Bedeutung gewann. Beispielsweise hiess es, deutsche Studierende würden die Universität Orléans nicht nur der Ausbildung, sondern auch der Sprache wegen wählen. So hält Paul Hentzner, ein deutscher Student, in seinem Reisejournal fest: „man spricht dort ein so reines Französisch, dass ‚Orléanisch’ den gleichen Ruf hat wie in der Antike der ‚Attizismus’“ (Babeau 1970: 70). Gemäss Gyr (1989: 44) ist es unklar, wie viele eidgenössische Studenten auch wegen der Sprache nach Paris gesandt wurden, hingegen macht er deutlich, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte; vielmehr kündigten sich in solchen Äusserungen Elemente einer neuen Sinngebung des Aufenthalts in der Fremde an, die sich im 17. und 18. Jahrhundert verstärkten.

Aber auch die Schweiz, wo es, abgesehen von Basel, noch keine universitären Angebote gab, genoss eine über die regionalen Grenzen hinausgehende Anziehungskraft. Diese war vor allem klerikaler Natur. So zogen im 16. Jahrhundert katholische Geistliche u.a. aus dem Heiligen Römischen Reich, aus Staaten1, die heute zu Italien gehören, nach Luzern, damals Teil des Landes der Eidgenossen, wo sie als Reaktion auf fortschreitende Reformationsbewegungen das Jesuitenkolleg gründeten (Studhalter 1973). Bis Mitte des 17. Jahrhunderts nahm die Zahl der Studierenden ständig zu. In der Blütezeit besuchten bis zu 600 Studenten das Kollegium oder das später gegründete Lyzeum mit den Abteilungen Theologie und Philosophie (Luzern zählte damals rund 4000 Einwohner.). Dank diesem Bildungsangebot genoss Luzern ein hohes Ansehen über die Stadtgrenzen hinaus. Mit der 1605 von Bischof Johann VI. Fluggi erlassenen Anordnung, Kinder dürften „nicht zu Andersgläubigen in die Lehre, als Dienstboten oder in die Schule“ (Mayer 1914: 380), nahm die Mobilität weiter zu. In Graubünden gab es nämlich damals nur das Kloster in Disentis und die evangelische Nikolaischule in Chur (Maissen 1957). Deswegen kamen im Jesuitenkolleg Luzern im Zeitraum 1588–1778 rund 215 Bündner Studenten in den Genuss ihrer katholischen Schulbildung (Maissen 1957: 106). Mobilität war somit erstrebenswert und sozusagen unumgänglich. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass ihr auch in einem der „ludi autumnales“ (Herbstspiele), die sehr bedeutungsvoll waren, öffentlich aufgeführt wurden und den Übergang von einem Schuljahr zum andern markierten (Ehret 1921), ein Platz eingeräumt wurde. 1715 handelt das von der „studierende[n] Jugend dess Gymnasii der Gesellschafft Jesu zu Lucern“ verfasste Stück davon, wie Gerold aus Liebe zu Christus die Regierung trotz Widerstand des ihm gut gesinnten Adels und der ihn schätzenden Untertanen an seinen ältesten Sohn übergab, um in das „ober Teutschland“ zu reisen (Jugend dess Gymnasii der Gesellschafft Jesu zu Lucern 1715: s.p.). Aus Sicht der Jesuiten im Kollegium in Luzern – viele davon waren zwecks ihrer theologischen Studien selber mobil geworden – war bildende Mobilität positiv konnotiert und hing direkt mit Glaubensfragen und theologischer Ausbildung zusammen.

Ende des 17. und anfangs des 18. Jahrhunderts wurden junge Männer von Adel aus der heutigen Schweiz wie aus umliegenden Ländern auch zur weltlichen Bildung in die Ferne geschickt, und sie begaben sich auf die „Grand Tour“ 2 (Cohen 1992; Boutier 2006). Ihre Reise, die zwischen drei und fünf Jahren dauerte, führte sie ins Königreich Frankreich, in Regionen des heutigen Italien, ins damalige Heilige Römische Reich und in die Republik der Vereinigten Niederlande. Die Dauer ihrer Tour ermöglichte es ihnen, längere Zeit am selben Ort zu verweilen und diesen kennenzulernen. Aufenthalte in Kulturstädten wie Florenz oder Rom, Universitätsstädten wie Jena oder Rotterdam, Fürsten- und Residenzstädten wie Potsdam oder Wien, ein Besuch auf der Insel Capri oder auf Ischia, die Besichtigung antiker Ausgrabungsstätten auf Sizilien und Erholung in Aachen oder Spa gehörten für gewöhnlich dazu. Von Tutoren begleitet, die der notwendigen Sprachen mächtig waren, übten sich diese jungen Männer zwischen 14 und 20 Jahren in Fertigkeiten wie Fechten, Reiten, Tanzen und bildeten sich beim Besichtigen von Bauten und Betrachten von Gemälden kulturell weiter (Brauer 1959). Ferner wurden ihnen standesgemässe Umgangsformen beigebracht, und sie konnten sich die französische Sprache aneignen (Green 2014). Nach einer solch ausgedehnten Bildungsreise „the young man returned […] polished and accomplished, a complete gentleman“ (Cohen 1992: 242). Mit der „Grand Tour“ verband man aber mehr als das Erlangen spezifischer Fähigkeiten. Michèle Cohen (1992: 242–243) fasst zusammen, welche Vorteile ihr von Autoren der damaligen Epochen zugeschrieben wurden: Howell betonte 1640 die Bereicherung des Geistes, die Verbesserung des Urteilsvermögens, die Verfeinerung der Manieren und überhaupt die Möglichkeit, einen jungen Mann bis zur Perfektion zu formen. Gailhard war 1678 der Überzeugung, dass der junge Mann, indem er reise, die Charaktere von Männern und deren Sitten kennenlerne, was zur Folge habe, dass dieser zum geeigneten Begleiter für jedermann werde. Laut Locke ermöglichte das Reisen den Erwerb anderer Sprachen. Ausserdem unterstrich er, dass man im Allgemeinen weiser werde, wenn man sich mit verschiedenen Sitten, Manieren, Lebensweisen und Menschen auseinandersetze (vgl. Bauman & Briggs 2003). Die von verschiedenen Autoren genannten Vorteile – sie waren allesamt selbst Gereiste und Privilegierte – unterschieden sich kaum voneinander. Fechten, Reiten und Tanzen zählten zu den Kernkompetenzen eines jungen Gentleman. Sitten, Benimm und Geschmack – z.B. „to refine taste and learn to be a Connoisseur“ (Breval 1726) – waren ebenso relevant. Solche Finessen gehörten zu den “marques de distinction“ (Bourdieu 1979), deren Aneignung einem Edelmann nicht verwehrt werden durfte, die ihn auszeichneten und die er sich dank der Mobilität zu eigen machen konnte (Cohen 1992). Darüber hinaus trug die „Grand Tour“ zur Etablierung eines geistigen wie auch kulturellen Netzwerks unter den Privilegierten in Europa bei (Plaschka & Mack 1987).

Verschiedene Faktoren begünstigten die Mobilität: dass dort, wo der Bildungsreisende herkam, ihm entsprechende Bildungsinstitutionen fehlten, dass ihm der Aufenthalt in der Fremde die Möglichkeit bot, eine weitere Sprache zu lernen und dass er in den Genuss einer erwünschten Erziehung kam, die ihm einen gewissen sozialen Aufstieg versprach. Trotz dieser Vorzüge blieben die Werte der Fremdkultur als Erziehungs- und Bildungsmittel nicht unangefochten. In der damaligen Eidgenossenschaft gipfelte diese kritische Haltung in einer Empfehlung, die 1769 von der „Helvetischen Gesellschaft“ abgegeben wurde. Sie regte dazu an, nach Möglichkeit Bildungsreisen und Erziehungsauf­enthalte künftig innerhalb der Landesgrenzen und nicht mehr in Frankreich zu absolvieren (Gyr 2013)3.

Unter anderem führte diese neue Bewertung der „gar Frankreich’schen Kultur“ dazu, dass innerhalb der Eidgenossenschaft eine neue Mobilitätsbewegung entstand, die mit Bildung, Erziehung und Sprache verknüpft war. Diese muss vor dem Hintergrund des breiter werdenden lokalen Bildungsangebots wie auch, im 19. Jahrhundert, vor dem der territorialen Bestrebungen betrachtet werden. So war etwa die Welschlandgängerei (Gyr 1989) verbreitet, die über eine kleine studentische Elite hinausging und sämtliche Schichten erfasste, wobei die Möglichkeit, neben der Ausbildung die französische Sprache zu erlernen, eine erhebliche Rolle spielte. So wurden sogar junge Frauen aus der Deutschschweiz – Frauen waren bis ins späte 19. Jahrhundert mehrheitlich immobil – in die Westschweiz geschickt. Dabei handelte es sich anfangs um Töchter aus bürgerlichen Kreisen, gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber auch um Mädchen aus dem bäuerlichen Milieu. Letztere dienten vorwiegend als Volontärinnen im Haushalt oder im Dienstbotenwesen.

 

Die zunehmende Entwicklung der Nationalstaaten, welche es notwendig machte, dem Staat zudienende Spitzenbeamten an eigenen Universitäten auszubilden, grenzte die Möglichkeiten zur studentischen Mobilität über Landesgrenzen hinweg zusätzlich ein (Rüegg 2010). Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden Massnahmen ergriffen, um an die „alten Formen“ der Mobilität anzuschliessen (Heinemann & Krametz 2008). Seit den 80-er Jahren entwickelte die Schweizer Hochschulpolitik Förderprogramme, die der globalen wie auch nationalen Mobilität entgegenkamen. Im Zentrum der hochschulpolitischen Bestrebungen standen dabei die europäische Integration und der landesinterne Austausch. Förderprogramme wie CH-Unimobil oder Erasmus zielten darauf ab, Studierenden ein- oder zweisemestrige Gastaufenthalte an anderen tertiären Institutionen inner- oder ausserhalb der Landesgrenzen zu ermöglichen; danach sollten sie ihr Studium an der Heimuniversität fortsetzen. Zu den übergeordneten Zielen der frühen Mobilitätsförderung gehörten erstens der vermehrte Austausch zwischen Hochschulen, Studierenden und Dozierenden, um Forschung und Lehre zu verbessern, Hochschulsysteme zu stärken und einzelne Institutionen konkurrenzfähiger zu machen (Dubach & Schmidlin 2005: 11). Zweitens stand der Zusammenhalt (supra-)regionaler oder -nationaler Räume im Zentrum.

In der „Deklaration von Bologna“, in welcher die europäischen Bildungsminister 1999 ihren Willen zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums bekundeten, spielte die Mobilität abermals eine herausragende Rolle. Kurz darauf wurde in der Schweiz für die Jahre 2004 bis 2007 vom Bundesrat der Wunsch geäussert, die binnenschweizerische Mobilität über die Sprachraumgrenzen hinweg massgeblich zu unterstützen (Dubach & Schmidlin 2005). Dieser verstärkt politische Blick auf studentische Mobilität muss im Zusammenhang mit einem dritten Ziel betrachtet werden, welches die zwei oben genannten nach und nach ablöste. Ab 2000 standen vermehrt die Tauglichkeit im ökonomischen Wettbewerb und die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums im Zentrum (vgl. Dixon 2006).

Indem man erklärte, sich für die Mobilität im Hochschulwesen einzusetzen, bemühte man sich auch, Mobilitätshindernisse aller Art aus dem Weg zu räumen. Dementsprechend gross war die Bestürzung, als nur einige Jahre später, im Februar 2014, die Masseneinwanderungsinitiative von der Mehrheit des Schweizer Volks angenommen wurde und u.a. den Zugang zum internationalen Austauschprogramm Erasmus+ für Studierende in der Schweiz in Frage stellte. Dieses Abstimmungsresultat erhitzte die Köpfe und setzte eine grundlegende Diskussion über die studentische Mobilität in Gang, eine Diskussion, in der in verdichteter Form ersichtlich wurde, welche Vorteile welcher studentischen Mobilität heutzutage zugeschrieben werden. VertreterInnen verschiedener tertiärer Bildungs- und Forschungsinstitutionen hielten in einem Appell4 fest, weshalb die studentische Mobilität erhalten bleiben sollte und welche fatalen Folgen deren Aufhebung für die Studierenden und das Land insgesamt mit sich bringen würde. So wiesen die VerfasserInnen darauf hin, dass „der Austausch von Studierenden und Forschenden, von Wissen und Know-how […] seit jeher eine Selbstverständlichkeit für Hochschulangehörige und eine unabdingbare Voraussetzung für die hohe Qualität von Lehre und Forschung“ sei (ebd.). Weiter wurde die generelle „Bedeutung des Austauschs für den Wissensplatz Schweiz wie auch für die Volkswirtschaft“ hervorgehoben. Auch andere Organisationen – darunter der Verband der Schweizer Studierendenschaften – äusserten in einem offenen Brief5 „an die Schweizer Regierung und die EU in Folge des Bekanntwerdens der ersten Konsequenzen nach Annahme der Initiative gegen Masseneinwanderung in der Schweiz [sic]“ gemeinsam ihre Bedenken und baten die EmpfängerInnen nachdrücklich darum, alles zu tun, damit nicht die Jugendlichen die Folgen dieses Volksentscheids „ausbaden müssten“. Auch sie unterstrichen darin die Bedeutung der studentischen Mobilität. Es wurde festgehalten, dass sie den für einige Zeit im Ausland Studierenden ermögliche, „andere Kulturen zu entdecken und Verständnis für andere Sichtweisen zu wecken“. Weiter stärke die „Mobilität […] Selbstbewusstsein, Eigenständigkeit, Verantwortungsgefühl, Offenheit, Kreativität und vernetztes Denken.“ Während sich in Erfahrungsberichten von Studierenden, die einen Teil ihres Studiums anderswo absolvierten, ähnliche Argumente fanden (Luca beispielsweise schrieb über seinen Aufenthalt in Bologna, wo er im Semester vor der Sistierung des Programms studierte: „Der Austausch mit vielen Studenten aus aller Welt, sowie der lokalen Bevölkerung gibt einem ganz viele neue Perspektiven für das Leben [sic]. Für mich war es die beste Lebensschule!“6), betonten Befürworter der Initiative gegen Masseneinwanderung die Möglichkeit zur Mobilität innerhalb des Landes über Sprachgrenzen hinweg und die Stärkung des Zusammenhalts verschiedensprachiger Landesteile. Ob pro oder contra, im Zusammenhang mit der Abstimmung wurde von den in der Tertiärbildung Lehrenden, Studierenden und politischen Akteuren studentische Mobilität als gewinnbringend beschrieben.

Neben jener Mobilität, zu der Studierende, die an einen Gastaufenthalt denken, ermutigt werden, sind in der Schweiz weitere Formen von Mobilität zu finden. Zu ihnen zählt u.a. die Mobilität von Studierenden, die sich regulär an einer Schweizer Universität immatrikulieren und des Studiums wegen ihre Heimatregion verlassen. Dies ist nicht selten der Fall. Die 12 tertiären Institutionen sind vorwiegend in urbanen Gegenden des Landes zu finden; sie werden auch von StudienbeginnerInnen aus ländlichen Regionen zwecks akademischer Bildung aufgesucht. Darunter finden sich auch jene mobilen Studierenden, die mit dem Studienbeginn nicht nur ihre Heimat-, sondern auch ihre Sprachregion verlassen. Diesen Studierenden und ihrer Mobilität gilt das Hauptinteresse dieser Arbeit.

Ähnlich wie bei Gastaufenthalten von kurzer Dauer werden der Langzeitmobilität gewisse Vorteile zugeschrieben, und sie wird von verschiedenen Akteuren in der Schweizer Hochschullandschaft propagiert. Zum Teil überschneiden sich die Argumente, die für ein Studium in einer anderen Sprachregion des Landes sprechen, mit denjenigen, welche universitäre Einrichtungen an Studierende richten, die sich für einen Gastaufenthalt von kür­zerer Dauer interessieren. Andere Argumente hingegen kommen nur bei der Propaganda vor, die auf Studierende zielt, die sich für Langzeitmobilität über intranationale Sprachgrenzen hinweg interessieren. So umwirbt beispielsweise die noch junge Universität Luzern, die in der deutschsprachigen Zentralschweiz situiert ist, seit einigen Jahren Studierende aus der italienischsprachigen Schweiz. Sie hebt hervor, weshalb ein Studium in Luzern für diese Studierenden besonders geeignet und demzufolge die Mobilität in Richtung Luzern lohnenswert sei. Laut dem Manager der juristischen Fakultät wird den italienischsprachigen Studierenden etwa der Start erleichtert, indem die sprachliche Hürde gesenkt wird (Plädoyer, Mai 2010: 25). So wird etwa im ersten Semester eine Einführungsveranstaltung in italienischer Sprache abgehalten. Giovanni, einer von zahlreichen Tessinern, die in Luzern Jus studieren, bestätigt dies. „Nella nostra Facoltà gli studenti ticinesi sono facilitati nel superamento della barriera linguistica del tedesco grazie a ottimi corsi di introduzione“ (in unserer Fakultät werden die Tessiner Studierenden beim Überwinden der Sprachbarriere dank ausgezeichneten Einführungskursen unterstützt) (Broschüre der juristischen Fakultät Luzern 2011). Mobilitätsanreize für Studierende wie Giovanni, d.h. für regulär immatrikulierte Studierende aus Sprachregionen, die ausserhalb der Sprachregion liegen, zu welcher der Universitätsstandort gehört, haben sich in den letzten Jahren in der schweizerischen Hochschullandschaft etabliert. Zunehmend dient in diesem Kontext das Thema Sprache dazu, um Mobilität zu werben oder in der Mobilitätssituation Hilfe anzubieten, eine Unterstützung, die es Studierenden erleichtern soll, mit der Mobilität einhergehende Schwierigkeiten zu bewältigen (vgl. Kapitel 4).

Die im Vorausgehenden gemachten Ausführungen historischer und aktueller Art sind insofern uneinheitlich, als sich die Kontexte unterscheiden, in denen Mobilität zum Thema wird und dementsprechend die Gründe für die Reise nach bzw. für den Aufenthalt in einem fremden Studienort sowie die der Mobilität attestierten Vorteile variieren. Dennoch wird aus dieser Darstellung ersichtlich, dass Mobilität und Bildung privilegierter junger Leute – Kleriker, Edelleute und Studierende an Universitäten – seit dem Hochmittelalter zusammenhängen.

Wie bereits angedeutet, setzt sich diese Arbeit mit der gegenwärtigen Mobilität auseinander. Allerdings wird sie dort, wo die Vergangenheit bis ins aktuelle Geschehen nachwirkt, in den anschliessenden Kapiteln auf jene zurückverweisen. Ferner: Wie der Rückblick in die Geschichte der Bildungsmobilität erkennen lässt, sind die Diskurse und Praktiken von heute nicht durchwegs neu.