Distinktion durch Sprache?

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Die Analyse trennt also Feldnotizen, institutionelle Daten und interaktionelle Daten nicht voneinander. Vielmehr werden diese als Einheit verstanden, die im ethnographischen Feld zustande gekommen ist und es erlaubt, die Komplexität der (Macht-)Beziehungen im Feld zu verstehen.





2.2.4 Theoretische Konzepte



Im folgenden Teil gehe ich auf die theoretischen Konzepte ein, die mit meinem Forschungsinteresse und den damit verbundenen Leitfragen zusammenhängen. Die Erläuterung dieser Konzepte erlaubt es, den analytischen Kapiteln einen Rahmen zu geben und zu deren Nachvollziehbarkeit beizutragen. Drei Konzepte sind für mich zentral. Bei diesen handelt es sich um Mobilität, politische Ökonomie und Ideologie. Auch wenn den drei Konzepten ein je eigenes Unterkapitel gewidmet ist, bedeutet dies nicht, dass sie voneinander losgelöst betrachtet werden können. Vielmehr sind sie miteinander verbunden, beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. So wird in den drei Unterkapiteln auch Bezug auf die jeweils anderen Konzepte genommen. Ebenfalls fliesst die Sprache bei den Ausführungen aller Konzepte mit ein. Bevor aber nun einzeln auf die Konzepte eingegangen wird, soll aufgezeigt werden, weshalb genau diese zentral sind.



Der akademischen Mobilität kam im vorausgehenden Teil schon einige Aufmerksamkeit zu. Der Mobilitätsbegriff allgemein wurde aber nur gestreift. Auch was Mobilität konzeptuell bedeutet, wurde wenig erläutert. Dies wird im folgenden Abschnitt herausgearbeitet. Weiter soll beleuchtet werden, weshalb bei mobilen Studierenden davon ausgegangen wird, Mobilität könne als gewinnbringend und erstrebenswert ausgelegt werden und sei mit Möglichkeiten des Kapitalerwerbs verbunden (Albrecht 1972: 23). Äusserungen wie: Ein Studium ausserhalb der „eigenen Sprachregion“ sei ein Plus, man erlange so zusätzliche Sprachkenntnisse und erweitere seinen Horizont, müssen mit gewissen Interessen und Selbstkonzepten in Verbindung gebracht werden, die mit der Mobilität verfolgt werden. Weiter sind es politisch-ökonomische Bedingungen, die Mobilität ermöglichen und ihr einen gewissen Stellenwert zuweisen. Ist letzterer entsprechend hoch, führt dies zu die Mobilität promovierenden Praktiken. So lohnt es sich für Universitäten in der Deutschschweiz etwa, eine Delegation ins entfernte Tessin zu schicken, um dort um zukünftige Studierende zu werben. Derartige Praktiken werden nicht als neutral oder gegeben erachtet, sie geschehen eben unter bestimmten politisch-ökonomischen Bedingungen, in einem gewissen temporalen und räumlichen Kontext. Ideologien resultieren aus diesen politisch-ökonomischen Bedingungen und münden in spezifische soziale und diskursive Praktiken. So wird etwa einer bestimmten akademischen Mobilität und einer damit erwerbbaren Sprache sowie den SprecherInnen, welche diese Sprache dank der Mobilitätssituation beherrschen, ein spezifischer, ideologisch geprägter Status zugeschrieben.





2.2.4.1 Mobilität



Wie in der historischen Skizze erläutert worden ist, hat Bildungsmobilität eine lange Geschichte und Vorgeschichte. Menschen haben nämlich früh auch andere Formen der Mobilität gewagt, mit dem Ziel, ihre alltäglichen Lebensbedingungen zu verbessern. Mobilität an und für sich ist also nicht neu. Als relativ „neu“ betrachtet werden können die Erfindung und Einrichtung nationaler, aber auch regionaler Grenzen und die Vorstellung („imagining“) von Nationalstaaten (im 19. Jahrhundert) und politisch autonomen Regionen (Anderson 1983: 5–7). Durch damit verbundene ideologische Prozesse kommt der Mobilität eine Bedeutung zu, die zum Thema der Wissenschaft wird. Mobilität über „Grenzen“ hinweg ist interdisziplinär auf grosses Interesse gestossen. Man denke etwa an transnationale Forschungsvorhaben (Waldinger & Fitzgerald 2004) oder an Forschung, die sich mit dem vermeintlichen „Verblassen“ von Grenzen im Zuge der Europäisierung und Globalisierung befasst (vgl. Yeung 1998).



In Zusammenhang mit dieser (Neu)Aushandlung von Grenzen und der (Un)Möglichkeit, diese zu überqueren oder zu ignorieren, betonen Forschende aus verschiedenen Disziplinen, wie präsent und wichtig Mobilität in unserer Gesellschaft sei. Gemäss Appadurai (2001: 5) leben wir heute in einer „world fundamentally characterized by objects in motion“ oder, anders gesagt, in „a world of flows“. Boltanski und Chiapello (1999) weisen darauf hin, dass die Fähigkeit, sich zu bewegen und räumlich flexibel zu sein, in marktwirtschaftlichen Gesellschaften essentiell geworden sei. John Urry, ein Soziologe, der das Thema „Mobilität“ während Jahrzehnten erforschte, schlägt in seinem Versuch, eine Soziologie der Mobilität zu entwickeln, gar vor, „society“ durch „mobility“ zu ersetzen, da das Sich-Bewegen „constitutive of the structures of social life“ sei (2000: 49). Auch wenn Einigkeit herrscht, dass das Phänomen der Mobilität Aufmerksamkeit verdiene, sind die Auffassungen, was nun mit Mobilität gemeint sei, und die dafür verwendeten Begrifflichkeiten uneinheitlich. Im Folgenden soll auf diejenigen Aspekte der Mobilität eingegangen werden, die für diese Arbeit und das damit einhergehende Verständnis von Mobilität hilfreich sind.



Urry (2000, 2008) bietet einen sehr breiten Mobilitätsbegriff an. Er zählt nicht nur körperliche Bewegungen im Raum zur Mobilität – z.B. reist ein Student mit der Bahn aus dem Tessin in die Deutschschweiz –, sondern schreibt ihr auch Aktivitäten zu, die keine räumliche Verschiebung von Körpern beinhalten.1 Mobilität liegt z.B. schon dann vor, wenn ein Student aus dem Tessin in der Deutschschweiz auf einem Sofa sitzt und über seine Bahnreise nachdenkt.



Im Alltagsgebrauch weist man „Mobilität“ meistens eine „Bewegungskomponente“ zu, d.h. dass mit ihr Aktivitäten verbunden werden, die dazu beitragen, die Distanz zwischen räumlich separierten Orten zu überbrücken. Die Kernbedeutung liegt also in der „transgression of spatial distance“ (Frello 2008: 28). In gegenwärtigen Diskussionen über Bewegung geht es v.a. darum, ob wir uns mit „tatsächlichen Bewegungen von Körpern oder Dingen“ oder mit „Bewegung von Informationen oder Ideen“ befassen (vgl. Kaplan 2006: 395).



Auch Tim Cresswell nimmt an dieser Diskussion teil. Er greift die Idee der „tatsächlichen Bewegung von Körpern oder Dingen“ auf und bezeichnet sie als „general fact of displacement“ oder „movement“. Ihr, der tatsächlichen Bewegung, stellt er die „Mobility“ gegenüber, die für ihn den „social character of movement“ beinhaltet (Cresswell 2001: 13–14). Er führt diese Unterscheidung weiter aus:



Mobility, like social space and place, is produced. Mobility is to movement what place is to location. It is produced and given meaning within relations of power: There is, then, no mobility outside of power. Mobility, unlike movement, is contextualised. It is a word for produced movement. (ebd. 20).



Gemäss Tim Cresswell könnte man also sagen, dass eine Bewegung im Raum – z.B. der Umzug aus dem Tessin in die Deutschschweiz – bloss ein physikalischer Vorgang sei. Erst bei der Mobilität – etwa beim mit der Bewegung assoziierten Übergang vom Maturanden zum Studierenden – schwinge eine soziale Komponente mit, im erwähnten Beispiel die Statusveränderung. Letztere finde nicht einfach statt, sie werde einem von aussen zugeschrieben.



Birgitta Frello (2008: 3), ebenfalls eine Soziologin, die sich ausgiebig mit der Mobilität befasst hat, geht noch einen Schritt weiter. Sie hält die Unterscheidung von „movement“ und „mobility“ für unzulänglich; ihr zufolge werden sowohl „mobility“ als auch „movement“ diskursiv erzeugt. Demnach geht es nicht darum, zu entscheiden, welchen Praktiken Bedeutung im Sinne von „mobility“ zugesprochen wird, d.h., ob die Mobilität von Menschen als bildend, als (un)freiwillig, als (il)legitim erachtet wird. Vielmehr fragt Frello danach, ob Praktiken überhaupt für mobil befunden werden. Frello tritt auf eine foucaultsche Weise an den Gegenstand heran. Sie sieht in der Verwendung der Bezeichnungen „mobile“ oder „movement“ einen performativen Akt, der auch eine Komponente der Macht beinhaltet. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Sprechen wir von Bildungsmobilität oder akademischer Mobilität über Sprachgrenzen hinweg – so nehmen wir diese wahr, bezeichnen sie. Kaum jemand wird behaupten, dass sich TessinerInnen mit ihrer Entscheidung, ein Studium in der Deutschschweiz anzugehen, nicht in einer Mobilitätssituation befinden. Wie steht es aber mit einer in der Reinigungsbranche tätigen Person, die sich der Arbeit wegen täglich von Haus zu Haus bewegt? Wird ihr nicht vermutlich eher Immobilität als Mobilität zugeschrieben? Allein schon weil für diese Bewegung eine Bezeichnung fehlt – wenn sie überhaupt wie hier wahrgenommen wird –, fällt auf, dass ihr bisher kaum Aufmerksamkeit zugekommen ist.2



Man könnte die unterschiedlichen Distanzen ins Feld führen, die in den zwei Beispielen mittels Mobilität zurückgelegt werden, und – argumentierend – vorbringen, die eine oder die andere Mobilität sei „echter“. Aber das bringt einen nicht weiter (vgl. Bauman 1998). Ergiebiger ist es, zu fragen, wem welche Mobilität zustehe (vgl. Wolff 1993; Adey 2006) und wer – mal in Bewegung – seine Bewegung steuern könne. Das heisst, dass es sich nicht nur zu fragen lohnt, wer in Bewegung ist, sondern auch, wann, wie und unter welchen Bedingungen er dies tut (Brah 1996; Pels 1999; Cresswell 2001, 2002).



Der Mobilität haftet eine Machtkomponente an. Mobilität bedeutet Verschiedenes für verschiedene Menschen unter unterschiedlichen sozialen Umständen. Diese Bedeutungen sind diskursiv konstituiert (Frello 2008) und sind als solche ein Produkt von Machtverhältnissen. Gleichzeitig reproduzieren die Bedeutungen die Machtverhältnisse (Foucault 1972).



Es geht also nicht darum, „einfach“ zwischen empirischen Phänomenen zu unterscheiden, nämlich zwischen solchen, die sich bewegen, und jenen, die sich nicht bewegen. Mobilität, Immobilität und die Praxis der Bewegung sind soziale Konstrukte und werden diskursiv konstituiert. Was zur Mobilität zählt (oder nicht), ist auf „Reiteration“ im Sinne von Butler (1997) zurückzuführen – d.h. auf Wiederholungen und Abänderungen vorgängig gesetzter Konventionen. Sprechen wir von Bildungsmobilität, mag es nicht verwundern, dass die meisten unter uns Ähnliches damit assoziieren. Vermutlich denken wir an junge, gut gebildete Menschen, die dank dieser Bewegung in den Genuss spezifischer Bildung kommen und gleichzeitig ihren kulturellen Horizont erweitern. Mit dieser Mobilität wird u.a. ein Gewinn an Erfahrung und Weltoffenheit verknüpft (Cresswell 2006; Croucher 2012), wogegen Migrationsströmen aus bestimmten Gebieten aberkannt wird, dass sie dazu dienen, gewisse Gesellschaftsordnungen aufrechtzuerhalten, oder deren Mobilität als solche gar nicht erkannt wird. Studentische Mobilität ist konventionalisiert; infolge von „Reiteration“ „wissen“ wir, wovon wir sprechen.

 



Mobilität, Bewegung, Immobilität etc. und das, was wir darunter verstehen, basieren also auf vorherrschenden Diskursen. Es geht folglich nicht nur darum, zu ergründen, wer sich wie, wohin bewegen kann. Es geht auch darum, zu erkennen, „who gets to tell the story?“ (Clifford 1997: 33), und somit darum, welcher Diskurs sich durchsetzt.



Zusammengefasst: In der Mobilitätsforschung hat sich die Blickrichtung verschoben. Von der Ausrichtung auf eine „unbestrittene“ Distanz, die es mittels einer Bewegung zu überwinden gilt, auf den normativen Rahmen, welcher der (Im-)Mobilität zugeschrieben wird (Manderscheid et al. 2014). Forschende, die diesen normativen Rahmen einbeziehen, sind nun vorsichtiger, was vormals „gegebene“ Unterscheidungen anbelangt3, und berücksichtigen Elemente der Macht, die der (Im-)Mobilität anhaften.



Diese Ausführungen sind für die vorliegende Arbeit insofern relevant, als sie bewusst machen, dass wir uns, wenn wir von Bildungsmobilität sprechen, bereits einem vorherrschenden Diskurs verschrieben haben. Im Folgenden werden zwar der Einfachheit halber weiterhin Begriffe wie Bildungsmobilität, studentische Mobilität, akademische Mobilität u.ä. verwendet. Dies erfolgt aber erstens im Bewusstsein, dass diese Konzepte diskursiv konstruiert sind, und zweitens im Bestreben, zu ergründen, in wessen und welchem Interesse diese Konstruktion geschieht. Die Frage nach der Bewegung/Mobilität/Immobilität und ihrer Bedeutung für die verschiedenen Akteure schwingt in den analytischen Kapiteln mit. Auch wird in der Analyse berücksichtigt, dass die Deutungshoheit erheblich darauf wirkt, wie, wer oder was für mobil/immobil erklärt wird4.



Denken wir an Studierende aus dem Tessin, die ihrer tertiären Bildung wegen in die Deutschschweiz „wandern“, lässt sich deren Mobilität in einem diskursiv konventionalisierten Sinne als eine privilegierte beschreiben (Croucher 2006). Das heisst nicht, dass sich nur privilegierte Menschen bewegen. Man denke an jene, die wir als Flüchtlinge bezeichnen. Jedoch haben Privilegierte wie z.B. Studierende in gewissem Masse die Wahl, sich (nicht) zu bewegen. Sie sind freier als andere in ihren Entscheidungen. Ihre Wahlfreiheit ist grösser (Bourdieu 1979). Pennycook (2012: 25) bemerkt dazu: „to choose in certain ways is a reflection of material well-being“, oder anders gesagt: Wer wählen kann, verfügt über gewisse Ressourcen. Massey (1991: 27) hält fest: „mobility and control over mobility both reflects and reinforces power“. Dies führt uns zur vorgängig erläuterten Machtkomponente zurück.



Studierende könnte man einer gesellschaftlichen Elite zuordnen und ihnen implizit die Freiheit der Wahl für oder gegen Mobilität zuschreiben. Dennoch wäre es unvorsichtig, wenn man studentische (Im-)Mobilität ausschliesslich auf eine „freie Wahl“ zurückführte. Selbst Eliten sind in ihrer (Im-)Mobilität gewissen Zwängen unterworfen. Ihre Entscheidungsfreiheit ist begrenzt; d.h.: „forces, mechanisms and institutional arrangements“ schränken ihre Wahl ein (Warde & Martens 1998: 129). Gerade unter Privilegierten, die ihren Lebensstil in gewissem Masse wählen können, gehört gemäss Urry (2002: 256) „being on the move“ sozusagen zum „way of life“. Trotz technologischen Fortschritten, die sublime Formen von Mobilität – wie etwa die virtuelle oder imaginäre – erleichtern, nimmt die physische Mobilität zu. Individuen entscheiden sich für die Mobilität, um sich in der zunehmenden Komplexität des modernen Lebens zurechtzufinden (McIntyre 2006; Cohen et al. 2013). Wie wir unseren Lebensstil wählen und die damit verbundenen Konsumentscheidungen – z.B. die Mobilität betreffend – fällen, hängt mit Selbst-Konzepten zusammen (Featherstone 1987). Praktiken, die mit diesem Konsum verbunden sind, hat Giddens (1991: 81) als „decisions not only about how to act but who to be“ definiert. Laut Giddens impliziert dieses „project of the self“, dass unsere Wahl des Lebensstils unser Selbstbild beeinflusst. Konsumentscheidungen, darunter auch unsere Entscheidung für die (Im-)Mobilität), und unser Lebensstil sind zentral geworden, wenn es um die Konstitution eines Selbstverständnisses geht. Dies bedeutet, dass die Wahl eines Lebensstils sich zunehmend mit Formen der Mobilität mischt und für die ausreichend Privilegierten, denen es vergönnt ist, sich mit solchen Entscheidungen zu befassen, wegweisend ist.



Auch Tessiner MaturandInnen können zu den Privilegierten gezählt werden, die in ihrem „project of the self“ „on the move“ sind. Wie bereits erwähnt, entscheiden sich rund 80 % der Tessiner MaturandInnen für ein Studium ausserhalb des Kantons und „wandern“ in die Deutsch- oder Westschweiz. Verschiedene „Push- und Pull-Faktoren“ bestärken sie darin (Lee 1966).



Die Push-Faktoren hängen mit den Bedingungen im Tessin zusammen. Die Immobilität – bzw. die Entscheidung, ein Studium im Tessin in Angriff zu nehmen – scheint für ein „project of the self“ nicht förderlich, das „on the move“ zu sein hat. Zudem bietet die im Tessin situierte Universität (USI) – wie einige andere kleinere Universitäten auch – ein beschränktes Studienangebot an, und die Studiengebühren der USI sind wegen ihrer halbprivaten Organisationsform5 vergleichsweise hoch6. Besucht wird die USI vorwiegend von Studie­renden aus dem Ausland (ca. 65 %); die Mehrheit davon stammt aus Italien. Mit dieser Studierendenpopulation gehen Statements einher, wie z.B.: Die reichen „Italiener“ hätten die USI okkupiert, weshalb sie für die TessinerInnen keine valable Option sei. Ein wirksamer Push-Faktor ist ferner, dass MaturandInnen erst seit 1996 die Wahl haben, ihrer tertiären Bildung wegen im Kanton zu bleiben, und vorher gezwungen waren, mobil zu werden. Die lokale Tradition spricht für die Mobilität.



Pull-Faktoren hängen nicht nur damit zusammen, dass die studentische Mobilität unter Tessiner Studierenden zum „guten Ton“ bzw. zum Lebensstil gehört, den es unter Privilegierten zu wählen gilt. Mobilität kann unter gewissen Umständen eben auch zum Erwerb von symbolischem, ökonomischem und kulturellem Kapital oder aber räumlichem Kapital führen (Bourdieu 1983; Rérat & Lees 2011)7. Im Falle von Studierenden gehört dazu z.B. ein Diplom, das Zugang zum späteren Berufsleben verschaffen kann und dem dann ein gewisser ökonomischer Wert zugeschrieben wird. Nicht jeder Form des „On-the-move-Seins“ wird aber gleichermassen Wert oder Aussicht auf Kapital beigeordnet. Für die TessinerInnen scheint etwa das nahe gelegene Italien keine ernsthafte Mobilitätsoption zu sein, auch wenn ein dortiges Studium ebenfalls Mobilität implizieren würde. Der Wert der dort ausgestellten Diplome wird von Studierenden angezweifelt (vgl. Kapitel 5).



Das „On-the-move-Sein“ der TessinerInnen muss zudem auf dem Hintergrund der europäischen und nationalen Sprachpolitik (vgl. Rindler-Schjerve & Vetter 2012) und der politisch-ökonomischen (vgl. 2.2.4.2) Bedingungen betrachtet werden. Der Erwerb von Sprachkompetenzen durch Mobilität während des Studiums wird im marktwirtschaftlich geprägten Zeitalter als äusserst wichtig erachtet (z.B. Murphy-Lejeune 2002; Yarymowich 2004). Studierende, welche mobil werden, bekommen die Chance, mehrsprachig zu werden, wozu freilich anzumerken ist, dass die Mehrsprachigkeit ihnen Mobilität erst gestattet (Lüdi et al. 1994; Takahashi 2013). So versuchen TessinerInnen während ihres Studiums Deutsch- oder Französischkenntnisse zu erwerben. Grundlage für ihre Mobilität bilden die während des Gymnasiums erworbenen Deutsch- oder Französischkompetenzen. Aber ähnlich wie die Mobilität sind auch Sprachen nicht gegen hierarchische Zuordnungen gefeit (vgl. Broeder & Extra 1998). Es werden demnach nur eine gewisse Mobilität und mit ihr verbundene Sprachkompetenzen als willkommene zusätzliche Qualifikation bzw. zusätzliches Kapital erachtet (vgl. Coffey 2011; Lan 2011). Im Kontext der Tessiner MaturandInnen sind dies die Mobilität in die Deutsch- bzw. Westschweiz und damit verbundene Deutsch- bzw. Französischkenntnisse.



Die vorliegende Arbeit will v.a. bewusst machen, dass Mobilität diskursiv konstruiert wird, dass ihr eine Machtkomponente anhaftet und mit ihr Kapitalerwerbsprozesse verknüpft sind, die auf politisch-ökonomischen Bedingungen basieren. Sie geht Spra