Wie aus dem Ei gepellt ...

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Das farblose Land

Es war einmal vor langer Zeit in einem Königreich gar nicht so weit weg von hier. Dort lebte, welch ein Wunder, ein König mit seiner bezaubernden Tochter und regierte über ein wachsendes Städtchen.

Soweit schien alles normal in diesem Land. Doch bereits beim Überschreiten der Grenze zu dem Königreich fiel jedem Wanderer die Farblosigkeit dieses Gebietes auf. Die Bäume wankten grau im Wind und der Fluss traf auf das tiefschwarze Meer, welches jedem Vorbeikommenden beim bloßen Anblick eine Gänsehaut bescherte. Gleich an der Küste lag das vorher benannte Städtchen, gekleidet in trübe Farben. Es gab keinen Reisenden, dem es hier gefiel, und so wurden die Reisenden weniger und weniger, bis es letztendlich keine mehr gab.

Der Grund für diese Farblosigkeit lag viele, viele Jahre zurück. Damals gab es eine Frau, die mit magischen Fähigkeiten in das Königreich einreiste und Königin werden wollte. Sie verzauberte den König und er heiratete sie. Als die Frau ein Kind bekam, war die Anstrengung so groß, dass ihre Zauberkraft plötzlich nachließ. Der König erwachte aus dem Zauberbann, den sie über ihn gelegt hatte, und erkannte, wie böse seine Frau war. Er schickte sie weg und sie zog in einen Turm weit draußen auf dem Meer. Dort erholte sich die Frau wieder und wurde zu einer bösen Hexe. Sie wollte das Königreich für sich erobern und sich am König rächen. Das Volk war damals sehr fröhlich und feierte viel. Sie saßen oft beisammen und der König spendierte ein köstliches Mahl und sie sangen, tanzten und lachten viel.

Die böse Hexe beschloss also, dem Volk diese Freude zu nehmen. Sie nahmen ihnen aber nicht die Gesundheit, das Geld oder ihr Eigentum. Stattdessen gab sie ihnen mehr als den Bewohnern des Königreichs gut tat. Sie zauberte ihnen einen großen technischen Fortschritt und über Nacht hatten die Bewohner Strom, Licht und Wärme. Das war zu dieser Zeit nicht üblich und diese neuen Dinge gefielen dem Volk.

Die Hexe zauberte immer weiter und die Menschen hatten täglich etwas Neues zu entdecken. Jeder war die ganze Zeit beschäftigt und ein paar Jahre lang glaubten sie, dass es keine glücklicheren Menschen auf dieser Erde geben könne. Denn die Bewohner des Königreichs hatten ja mehr als die Nachbarländer. Sie konnten alles, hatten alles und durften alles. Es gab keine Grenzen, da der König gar nicht die Zeit hatte, irgendwelche Gesetze aufzustellen, denn kaum hatte er ein Gesetz verfasst, erschien schon wieder eine neue Faszination, die das neu erstellte Gesetz ungültig machte.

Eines Tages jedoch hörte die Hexe auf, den Menschen etwas Neues zu schenken. Mittlerweile hatte jeder Bewohner mehrere Computer, Fernseher, Autos und sogar Raumschiffe. Jetzt trat das auf, was die böse Hexe immer gewollt hatte: Den Menschen wurde langweilig. Sie waren es gewohnt, dass sie alles bekamen und sich um nichts mehr richtig kümmern mussten. An Gegenständen hatten sie alles, was man sich nur träumen kann und deswegen hatte keiner mehr Zeit für irgendwelche Feste. Sie verloren somit ihre Fröhlichkeit und das Leben plätscherte vor sich hin.

Nach und nach verlor das Königreich seine Farbe und auch das Königshaus war diesem Unglück verfallen. Dementsprechend gab es so niemanden in diesem Land mehr, der dem Unglück entgegensteuern konnte. Nur die Hexe in ihrem Turm weit draußen auf dem Meer hatte ihre Farbe behalten und sie lachte über das arme Königreich, das sich so einfach hatte verführen lassen.

Eines Tages kam aber ein junger Prinz in das farblose Land. Er hatte von den ganzen Wundern gehört, die in diesem Königreich entwickelt wurden, und wollte um die Hand der Tochter dieses erfolgreichen Königs anhalten. Er erschrak aber, als er die Farblosigkeit des Landes sah, und ihm schauderte, als er in die Stadt kam.

Er erhielt kein Lächeln, keinen Gruß und er suchte vergebens nach Auskunft. Schnell erkannte er, dass in diesem Land keiner mehr das wahre Leben zu schätzen wusste. Zwar kannte er diese neuen Dinge nicht, aber er wusste, dass sie dem Menschen nicht gut taten. So wollte er den König aufsuchen und ihm seine Hilfe gegen dieses Unglück anbieten. Doch er wurde nicht empfangen, da der König keine Zeit für Besuche hatte. Glücklicherweise wusste der Prinz von der alten Frau des Königs und dass sie draußen auf dem Meer in einem Turm wohnte.

So machte er sich auf, um die böse Hexe zu stellen. Doch er hatte das Problem, dass er farbig war und so auf dem Meer sehr schnell auffiel. Er musste die Hexe also ans Land locken. Im Land des Prinzen war zu dieser Zeit gerade Ostern gewesen und so hatte er mehrere Ostereier in seinem Gepäck dabei, die als Geschenk an den König gedacht waren. Jetzt erwiesen sie sich als sehr nützlich. Er versteckte die bunten Eier überall in der Stadt und im Schloss.

Ein Bewohner fand das erste Ei, als er sich in seinem Auto aus Versehen draufsetzte. Er war verwundert über die Farbintensität und den Ort des Eis und er musste zum ersten Mal seit Jahren wieder lachen. Er lachte so viel, dass die anderen Bewohner herbeikamen und ebenfalls über das Ei staunten. Plötzlich ertönte ein weiteres Gelächter aus einem anderen Ort des Städtchens. Wieder hatte jemand ein Ei gefunden und so breitete sich die Eiersuche in jeden Winkel des Landes aus.

Die Hexe verstand die Welt nicht mehr, als sie das Lachen vom Land hörte. Sie verließ zum ersten Mal ihren Turm und kam zurück in die Stadt. Dort wartete schon der Prinz auf sie und stellte sich mit seinem Schwert in ihren Weg. Doch die Hexe schob ihn mit einem einfachen magischen Spruch beiseite.

Da kamen die Bewohner des Städtchens zusammen und stellten sich hinter den Prinzen. Jeder trug ein Lächeln auf den Lippen und ein Ei in der Hand. Gemeinsam lachten sie der Hexe entgegen und diese Wucht an Fröhlichkeit traf die böse Hexe mitten ins Herz, sodass ihre Boshaftigkeit verschwand, und weil es sonst nichts in ihrem Körper gab, starb sie und wurde vom Meer weit fortgetragen.

Währenddessen hatten sich auch der König und die Prinzessin der Eiersuche angeschlossen und als die Bewohner alle Eier gefunden hatten, legten sie sie auf einen Haufen und staunten über die unterschiedlichen Farben. Und als sie alle gemeinsam die Farbpracht bestaunten, sich hinsetzten und die Prinzessin ein Lied anstimmte, da kehrten die Farben wieder ins Königreich zurück. Die Bewohner des einst farblosen Lands lagen sich in den Armen, tanzten, lachten und der König spendierte allen ein köstliches Mahl. Am selben Abend sprach der König sein erstes Gesetz nach vielen Jahren aus. Demnach sollte das Osterfest das wichtigste Fest des ganzen Jahres sein, an dem sich die Menschen wieder bewusst werden sollten, dass es das größte Glück ist, fröhlich und nicht allein zu sein. Dieses Fest wurde stets mit prächtigen Farben und gemeinsam gefeiert. Schon bald nach diesem ersten Osterfest wurde eine große Hochzeit gefeiert zwischen dem Prinzen und der Prinzessin, die kein weißes, sondern ein Kleid in allen Farben trug.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Miriam Schneiderbauer wohnt in der Nähe von München, ist 18 Jahre alt und macht in der Freizeit gerne Sport. Sie liebt das Malen und Schreiben. Außerdem stellt sie mit viel Freude auch eigenen Schmuck her.

*

Der Osterhasenschreck

Früh am Ostersonntag hüpfte ein kleiner brauner Hase, beladen mit einem Korb voller bunter Eier, durch die Gärten. Die Sonne kroch gerade erst gemächlich aus ihrem Bett. Amsel, Meise und Rotkehlchen schmetterten ihr Lied, aber von den Menschen war noch nichts zu hören oder zu sehen.

Felix, der kleine Osterhase mit dem weißen Brustlatz, hatte Spaß daran, zu so früher Stunde unterwegs zu sein und den Kindern im Dorf die Ostereier zu verstecken. Gut gelaunt hoppelte er von einem Garten zum nächsten durch das taunasse Gras. Er kam schon seit Langem hierher und kannte sich gut aus. Später würde er sich verstecken und die Eiersuche beobachten.

Felix stellte sich vor, wie Julia und Max Freudensprünge machten, wenn sie etwas gefunden hatten. Die beiden Geschwister mochte er besonders, weil sie sich noch richtig freuen konnten. Sie malten jedes Jahr ein Bild für ihn, das auf dem Fenstersims ihres Zimmers auf ihn wartete. Er war gespannt, was sie diesmal aufs Papier gebracht hatten.

Aufgeregt sprang er mit einem großen Satz über den Gartenzaun, wie es nur Osterhasen können. Kurz vor dem Kinderzimmerfenster hielt er inne. Irgendetwas war heute anders. Schnuppernd hielt er seine Nase in die Luft, als im nächsten Moment mit lautem Wauwauwauwauwau ein kleiner schwarz-brauner Hund auf ihn zugeschossen kam. Felix machte blitzschnell kehrt und floh zurück hinter den Gartenzaun. Der Welpe verfolgte ihn kläffend.

Erst als er in Sicherheit war, hielt der Osterhase an und atmete tief durch. So ein Schreck! Da hatten Julia und Max doch tatsächlich einen Hund bekommen und er hatte es nicht gewusst. Na, das war ja gerade noch einmal gut gegangen.

„Hallo Hundi!“, sprach der Hase freundlich.

„Wauwauwau, ich bin kein Hundi, sondern Apollo vom hohen Ross! Das sind mein Haus, meine Familie und mein Garten! Hier kommt kein Hase rein. Klar, Langohr?“

Oh je, das waren ja Aussichten. Ein kleiner Wichtigtuer hatte hier Einzug gehalten. Wie sollte er denn nun die Eier verstecken?

„Apollo, hör mal. Ich bin kein gewöhnlicher Hase, ich bin der Osterhase Felix und möchte deinen kleinen Freunden Julia und Max ein paar Ostereier verstecken“, versuchte er es erneut.

„Osterhase? Da kann ja jeder kommen. Kannst du das beweisen?“, knurrte der kleine Hund und stellte die kurzen Nackenhaare auf, um größer zu wirken. Tatsächlich war er mit seinen siebzehn Wochen nur wenig größer als der Hase.

 

„Na schau doch hier, auf meinem Rücken der Korb mit den Ostereiern! Ist das nicht Beweis genug?“ Felix drehte sich so, dass Apollo ihn gut sehen konnte.

„Rrrrrrrr“, war die kurze Antwort.

Felix seufzte: „Bist du immer noch nicht zufrieden? Du hast wohl Julia und Max nicht gern?“

„Rrrrr. Was wagst du! Natürlich habe ich die Kinder gern, sie sind meine Freunde. Aber du nicht. Du bist ein Hase und ich bin ein Deutscher Pinscher. Meine Herren wollen keine Nagetiere wie dich hier auf dem Grundstück! Deshalb bin ich hier. Klar?“

Felix murmelte leise vor sich hin: „Deutscher Pinscher! Ein Willi Wichtig bist du. Wie kann ich dich nur austricksen?“

Laut sagte er: „Wenn du die beiden wirklich liebst, lässt du mich auch meine Arbeit hier verrichten. Was denkst du, wie traurig sie sein werden, wenn sie in den Garten kommen und kein einziges Ei finden? Soll Ostern für sie ausfallen, weil du so übereifrig bist?“

„Papperlapapp! Mach, dass du weiterkommst, Langohr. Und trau dich nicht noch einmal hinter diesen Zaun, sonst zieh ich dir das Fell über die Ohren!“, kläffte Apollo.

Felix wandte sich traurig ab. Es hatte keinen Sinn mit diesem dummen, jungen Hund zu streiten. Er musste zusehen, dass er die anderen Eier versteckte, bevor die Menschen wach wurden. Später würde er sich Gedanken machen, wie er Julia und Max doch beschenken könnte.

Als um neun Uhr die Sonne hell am Himmel stand und den Tau getrocknet hatte, standen die sechsjährige Julia und ihr zwei Jahre älterer Bruder Max hinter der Terrassentür und durchsuchten mit sehnsüchtigen Blicken den Garten.

„Komisch, sonst konnten wir von hier aus schon immer mindestens drei oder vier Verstecke sehen“, flüsterte Max.

Julia stimmte zu. „Ja. Hoffentlich sind Mama und Papa bald mit dem Frühstück fertig, damit wir raus können. Ich bin so gespannt, was wir bekommen haben.“

Als es endlich so weit war, liefen die Kinder von Apollo begleitet hinaus. Jeder von ihnen hatte ein kleines Körbchen in der Hand, um gefundene Leckereien hinein zu sammeln.

„Julia, hast du schon was gefunden?“

„Nein, du?“ Ratlos blickten die Kinder um sich. Apollo kam mit einem Stock auf sie zu gelaufen und bellte auffordernd, aber die beiden reagierten nicht. Sie sahen sich an und Julia fragte: „Meinst du, der Osterhase ist nicht gekommen, weil Apollo draußen war?“

„Quatsch, es gibt gar keinen Osterhasen! Julian sagt das auch. Mama und Papa verstecken immer die Eier. Bestimmt gibt es nichts, weil du dein Zimmer nicht aufräumen wolltest!“, gab Max wütend zurück.

Julia traten die Tränen in die Augen. „Das ist ungerecht! Du warst auch ganz frech zu Mama und Papa. Und es gibt den Osterhasen wohl! Er hat nur Angst vor Apollo!“

Max grübelte. Ob Julia recht hatte? Sie waren schon öfter nicht ganz brav gewesen, aber es hatte immer wenigstens eine Kleinigkeit gegeben zu Ostern.

„Möglich ist es. Er jagt ja alle kleinen Tiere. Logisch, dass kein Hase mehr freiwillig auf unser Grundstück kommt. Lass uns mal nachsehen, ob unser Bild weg ist.“

Die Kinder gingen zur Fensterbank ihres Zimmers. Dort lag unberührt das Frühlingsbild für den Osterhasen.

„Das ist der Beweis!“, sagte Max.

„Apollo, du bist unmöglich, du kannst doch nicht den Osterhasen vom Grundstück jagen!“, schimpfte Julia mit dem Welpen.

Der Kleine zog den Schwanz ein und lief ins Haus. Die Kinder folgten ihm und erzählten ihren Eltern, was sie vermuteten.

Gegen Mittag fuhr die Familie zu den Großeltern, die im Nachbarort wohnten. Oma hatte lecker gekocht und nach dem Mittagessen sagte Mama: „Ich finde, wir sollten eine Runde durch den Wald spazieren. Apollo muss mal raus und uns tut ein wenig Bewegung nach diesem guten Essen auch gut.“

Während die anderen Erwachsenen ihr zustimmten, murrte Max: „Och Mann, immer spazieren gehen, das ist so langweilig!“

„Ja echt, können wir nicht hier bleiben und fernsehen?“, fragte Julia.

„Kommt nicht infrage. Etwas frische Luft wird euch nicht schaden. Auf geht’s!“, erwiderten die Eltern und schoben die beiden zur Tür.

Im nahen Wald musste Apollo an der Leine laufen, was er gar nicht mochte. Er hatte die Nase immer am Boden. Roch es hier nicht nach Hase?

Plötzlich rief Julia, die vorauslief: „Max, schau mal, hier liegt ein Osterei!“

„Tatsächlich! Lass uns gucken, ob wir noch mehr finden.“

Aufmerksam sahen sie sich am Wegesrand um. Und wirklich: Sie fanden hier ein Nugatei auf einem Baumstamm, dort ein Marzipanei in einer Astgabel und sogar bunt gefärbte Hühnereier in Reisignestern. Bald mussten sie ihre Schätze in Mamas Handtasche stecken, weil in ihren Jackentaschen kein Platz mehr war.

Als sie den Wald verließen, hatten sie viel mehr Eier als in den letzten Jahren gefunden, freuten sich und hopsten fröhlich umher.

Der kleine Osterhase saß vergnügt hinter einem Baumstumpf und schaute den Kindern nach. Apollo witterte ihn und sah zu ihm hin. Wütend, weil er angeleint war, kläffte er laut. Felix zeigte ihm eine lange Nase und hüpfte davon, bevor die Menschen ihn bemerkten.

In den folgenden Jahren durfte Apollo nie am Ostermorgen in den Garten und Felix konnte die Eier von Julia und Max ungestört verstecken.

Sue Hiegemann, geb. 1969 in Leverkusen, wohnt mit ihrer Familie und vielen Tieren auf einem Vierseiten-Bauernhof im schönen Leipziger Neuseenland. Sie schreibt Geschichten für Kinder und Erwachsene sowie gelegentlich Beiträge für den Lokalteil der Leipziger Volkszeitung. Einige Kurzgeschichten wurden bereits in Anthologien veröffentlicht.

*

Kleiner Eisbär mit großem Mut

Ungeduldig hopst Snusel der kleine Eisbär von einem Fuß auf den anderen. Ach, wenn es doch endlich losginge! Papa Bär will ihn heute mit auf die Jagd nehmen. Zum allerersten Mal. Mama Bär kann leider nicht mitkommen. Sie muss sich um seinen kleinen Bruder kümmern. Der ist noch ein Baby und hat die ganze Nacht geweint. Aber das macht nichts. Babys haben auf der Jagd eh nichts verloren.

„Und bringt einen leckeren Fisch mit“, ruft Mama Bär ihnen hinterher.

Dann stampfen Papa Bär und Snusel den Schneepfad entlang. Der Korb auf Snusels Rücken schaukelt hin und her. „Lass uns laufen!“, ruft Snusel und flitzt davon. Er rennt schneller und schneller. Aber Papa Bär hat ihn bald überholt. Snusel braucht eine kleine Pause. „Ich kann nicht mehr“, schnauft er.

Papa Bär lacht, und streicht ihm über das weiche Fell. „Siehst du dahinten die Eisscholle?“, fragt Papa Bär. „Das ist ein guter Platz zum Angeln. Lass uns rüber gehen.“

Papa Bär läuft vor. Doch oh weh! Was ist das? Plötzlich knackt und rumpelt es. Laut krachend bricht die Eisscholle in zwei Teile. Papa Bär kann sich gerade noch rechtzeitig festhalten.

„Papa, Papa!“, ruft Snusel aufgeregt. „Ist dir etwas passiert?“

„Hm“, grunzt Papa Bär und hält sich seinen schmerzenden Fuß. „Ich glaube ich habe mir den Fuß verstaucht. Du bist doch schon mein großer Junge“, sagt Papa Bär liebevoll. „Du musst jetzt tapfer sein und Hilfe holen. Schaffst du das?“

Snusel nickt. Ohne zu zögern, läuft er los. Auf halben Weg dreht er sich um und ruft Papa Bär zu: „Papa, ich schaff das schon, mach dir keine Sorgen!“

Doch ihm ist ganz schön mulmig im Bauch. Bis zur nächsten Wegkreuzung ist es nicht weit. Er bleibt stehen. Ratlos schaut Snusel sich um. Die Wege sehen alle gleich aus. Woher soll Snusel wissen, welcher Weg nach Hause führt?

Plötzlich hört Snusel hinter sich ein Geräusch. Ängstlich bleibt er stehen. Doch es ist nur ein Polarhase, der aus einem Gebüsch schlüpft. „Wer bist du denn?“, fragt Snusel neugierig?

„Ich bin Hoppli, ich habe mich hier versteckt. Der Schneepflug ist nämlich im Anmarsch“, sagt Hoppli aufgeregt. „Und ich habe Angst um meine schönen Ostereier.“

Erst jetzt bemerkt Snusel die vielen bunten Eier, die sorgfältig mit Moos umhüllt, in einem Weidenkorb liegen. „Du bist der Osterhase!“, stellt Snusel erstaunt fest.

„Ja“, Hoppli nickt. „Und ich bin schon verdammt spät dran mit dem Eierausteilen. Alles nur wegen des blöden Schneepflugs. Die Kinder warten sicher schon ungeduldig“, jammert Hoppli.

Snusel lauscht in den Wald. Jetzt hört er es auch. Das Poltern und Rattern kommt immer näher. Eine riesige gelbe Schaufel schiebt sich durch die Eislandschaft.

Neugierig schaut Snusel zu, wie der Schnee an die Seite gedrückt wird. Das sieht aus wie eine Rodelbahn. Denkt Snusel belustigt und das bringt ihn auf eine Idee. „Los komm!“, ruft Snusel und rennt auf die Piste zu.

„Was hast du vor?“, fragt Hoppli verwundert.

„Das wirst du gleich sehen“, antwortet Snusel. Er greift nach dem Korb, reicht Hoppli die Hand und zieht ihn mit sich. „Jetzt zeig ich dir, wie schnell wir ins Tal kommen“, sagt Snusel. Er setzt sich auf das kalte Eis und hebt Hoppli samt Korb auf seinen Schoss. „Bitte anschnallen“, ruft Snusel übermütig, und dann zischen sie los. Blitzschnell rutschen sie die Piste hinunter. Unterwegs müssen sie ein paar Pinguinen ausweichen, die ihren Schlitten ziehen.

„Vorsicht! Vor uns die Bäume!“, schreit Hoppli ängstlich.

Erschreckt bremst Snusel mit den Füßen ab. Brennende Funken sprühen in die Luft. Haarscharf lenkt Snusel sie an den Baumgruppen vorbei. Schnee spritzt, eine Schneelawine erfasst Snusel, und er gerät ins Straucheln. Snusel verliert das Gleichgewicht und kugelt den Abhang hinunter. Im tiefen, weißen Schnee kommt er zum Stehen.

Vorsichtig wischt Snusel sich den Schnee aus den Augen und schüttelt sein Fell aus. Wo ist Hoppli? Besorgt schaut er sich um. „Hoppli, Hoppli!“, ruft er laut. Doch er bekommt keine Antwort. Snusel hebt ein paar Zweige von einem Gebüsch hoch, er durchwühlt Schneehaufen und durchsucht kleine Baumhöhlen. Doch von Hoppli keine Spur. Auch der Korb mit den Ostereiern ist verschwunden. Nur ein rotes und ein gelbes Ei liegen verlassen im weißen Schnee.

Langsam bekommt Snusel Angst. Wo kann Hoppli nur sein? Was, wenn Hoppli etwas zugestoßen ist? Er rennt tiefer in den Wald hinein, bis er auf eine Baumhütte stößt.

Plötzlich fällt ein dunkler Schatten auf Snusel. „Was machst du hier?“, fragt eine tiefe Stimme hinter ihm.

Vorsichtig dreht Snusel seinen Kopf und schaut in die Augen eines großen Walrosses. Entsetzt hopst er einen Schritt zurück. „Ähäm, ich brauche Hilfe“, stottert Snusel. „Mein Papa hat sich den Fuß verstaucht.“

Das Walross blickt ihn böse an. „Und warum kommst du da zu mir?“, fragt es mürrisch.

„Ähäm, weil du ein starkes Walross bist“, erklärt Snusel mutig. Doch sein Herz klopft wie wild.

„So, so!“, murmelt das Walross und kratzt sich an seinen Barthaaren. Es ist sichtlich geschmeichelt. Nach einer kurzen Bedenkpause sagt er: „Meinetwegen! Ich helfe dir! Aber nur unter einer Bedingung!“, fordert das Walross.

Snusel runzelt die Stirn. „Und die wäre?“

„Zur Belohnung gebt ihr mir was von euren Fischen ab.“

„Wenn es weiter nichts ist“, denkt Snusel erleichtert. „Papa hat bestimmt nichts dagegen.“ Snusel fällt ein dicker Stein vom Herzen. Er ist froh, dass er das Walross getroffen hat.

„Komm herein und wärm dich auf. Ich muss noch ein paar Sachen zusammenpacken“, sagt das Walross und öffnet die Tür. In der Baumhütte ist es schön mollig warm. Mitten im Raum steht ein großer runder Tisch. Im Kamin lodert ein Feuer. Es duftet herrlich nach Holz und frischem Fisch.

Snusels Blick fällt auf etwas weißes Wuscheliges, das in einem Korb liegt. Nur eine rosa Nase schaut vorwitzig heraus. „Hoppli!“, ruft Snusel erfreut. „Da bist du ja!“ Jubelnd fallen sich die beiden Freunde in die Arme.

„Ihr kennt euch?“, fragt das Walross erstaunt.

Schnell erzählen sie dem Walross ihre Geschichte.

„Das ist wirklich lustig“, lacht das Walross, aber jetzt müssen wir wirklich los. Es wird bald dunkel.“ Das Walross nimmt ein Seil vom Haken, bindet sich einen Lederriemen um den Bauch und befestigt einen Schlitten an der Gürtelschnalle. Dann machen sie sich auf den Weg.

„Ich kenne eine Abkürzung“, sagt das Walross. Nach einer Weile erreichen sie eine Lichtung. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die weiße Schneelandschaft.

 

„Seht mal da unten“, ruft Snusel aufgeregt. „Da auf der Eisscholle, das ist mein Papa“, brüllt Snusel. Snusel ist jetzt nicht mehr zu halten. „Papa, ich komme!“, ruft er. Aufgeregt stürmt er den Abhang hinunter. Seine neuen Freunde kommen kaum hinterher.

Zufrieden liegt Papa Bär auf der Eisscholle. Neben ihm steht ein Eimer gefüllt mit frischen Fischen und Seeigeln.„Hallo, meine Retter!“, ruft er ihnen zu.

Gemeinsam schaffen sie es, Papa Bär ans Ufer zu ziehen.

„Danke!“, sagt Papa Bär. Stolz drückt er Snusel an sich. „Ihr seid alle zum großen Fischessen eingeladen. Aber zuerst müssen wir deinem neuen Freund Hoppli noch helfen die Ostereier zu verteilen“, ruft Papa Bär fröhlich und setzt sich auf den Schlitten.

„Kein Problem“, antwortete das Walross. „Ich bin der weltbeste Eierverteiler. Fröhliche Ostern“, ruft er.

Und dann ziehen sie gemeinsam den Schlitten.

Manuela Wolfermann lebt mit ihrem Mann, zwei Kinder, Katze, Kaninchen und Hund in Dortmund. Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und in pädagogischen Fachzeitschriften.