Allah ist unsichtbar

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Allah ist unsichtbar
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Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Inhaltsverzeichnis

Titelblatt

Impressum

Widmung

0 Einleitung

1 Apophatische und kataphatische Theologie – Begriffsbestimmung

1.1 Apophatische Theologie

1.2 Kataphatische Theologie

2 1000 Jahre «apophatische Theologie» in der griechischen Philosophie 2.1 Platon

2.1.1 Der 7. Brief[19]

2.1.2 Die «Rede an Diotima» aus dem «Gastmahl» (Symposion)[21]

2.1.3 Die zweite Rede des Sokrates an Phaidros[22]

2.1.4 Das «Höhlengleichnis» aus der «Politeia»[24]

2.2 Die Synthese jüdischer und griechischer Philosophie bei Philon von Alexandria (15/10 v.d.Z.– 40 n.d.Z.)[27]

2.3 Neuplatonische apophatische Theologie bei Plotin (205–270) und Proklos (410–485)

2.3.1 Plotin (205–270)

2.3.2 Proklos (410–485)

3 Dionysius Areopagites

3.1 Der Nicht-Greifbare: Mythos und Biografie des Dionysius Areopagites

3.2 Das corpus dionysiacum

3.2.1 De divinis nominibus

3.2.2 Die Hierarchienlehre des Dionysius Areopagites

3.2.2.1 De caelesti hierarchia

3.2.2.2 De ecclesiastica hierarchia

3.2.3 Die Mystische Theologie

3.2.4 Die Briefe

4 Eine neue Gründerfigur

4.0 Einleitung

4.1 Der Greifbare: Leben und Intentionen Mohammeds 4.1.1 Quellen zur Biografie Mohammeds

4.1.1.1 Der Koran

4.1.1.2 Die Hadithensammlung

4.1.1.3 Die Prophetenliteratur der Sira

4.1.2 Das geografische und historische Umfeld im 7. Jahrhundert

4.1.3 Die Biografie

4.1.3.1 Das Umfeld

4.1.3.2 Kindheit und Jugend

4.1.3.3 Als junger Mann

4.1.3.4 Der Verkünder

4.1.3.5 Der Geächtete

4.2 Der Koran

4.2.1 Von Gott gedichtet, vom Engel diktiert, von Mohammed gesungen

4.2.2 Ein Versuch: «Spirituelle Interpretation» als interreligiöser Brückenschlag

4.2.2.1 Der Text als Zeichen Gottes

4.2.2.2 Offenbarung und Apophasie

4.2.2.3 Unendlichkeit und Zeitlosigkeit

4.2.2.4 Entscheidungsfreiheit versus Entscheidungspflicht

4.2.2.5 Gebetshaltungen

4.2.2.6 Poesie und Schattenseiten

4.3 Chronologieversuch zur Kontinuität oraler Tradition 4.3.1 Die Spur der «Hanifen»

4.3.1.1 Hanifen als neuplatonisch inspirierte Monotheisten mit starkem Reinheitsideal

4.3.1.2 Hanifen glauben an Engelshierarchien

4.3.1.3 Hanifen führen Tieropfer durch und lehnen die christliche Idee eines sich opfernden Gottes ab.

4.3.1.4 Hanifen führen den Beschneidungsritus durch

4.3.1.5 Islam ist in die Geschichte eingetretenes Hanifentum

4.3.2 Zur Frage der Kontinuität apophatischer Theologie. Eine Chronologie

4.3.3 Tausendundeine Rede über Gottes Überunaussprechlichkeit

5 Unterschiede und Gemeinsamkeiten

5.1 Instrument der Beschreibung

5.2 Instrument des Vergleichs

5.3 Stufen interreligiöser Kommunikation

5.4 Mediation und andere Methoden der Gesprächsführung

5.5 Kriterien der Themenauswahl

6 Apophatische Theologie als Instrument für den Interreligiösen Dialog 6.1 Ausgangslage Verteidigung: Zum Erosverständnis in Islam und Christentum 6.1.1 Die Liebe. Abhandlung zur 1. Empfehlung

6.1.1.1 1. Empfehlung

6.1.2 Die Unschuld. Abhandlung zur 2. Empfehlung

6.1.2.1 2. Empfehlung

6.1.3 Die «gnadenvolle Selbsthingabe».[544] Abhandlung zur 3. Empfehlung

6.1.3.1 3. Empfehlung

6.1.3.2 4. Empfehlung

6.2 Himmelsleitern, Wüstenpfade, Engel und Reinheitsideale. Martyriums- und Askeseverständnis in Frühchristentum und Islam

6.2.1 5. Empfehlung

6.3 Ausgangslage Gleichheit: «Gott ist schön.» [584] Poesie und Unaussprechlichkeit in Islam und Christentum

6.3.1 6. Empfehlung

7 Resümee

7.1 «Macht leise eure Rede oder laut»

7.2 Eine Dattel, ein Glas Wasser und das Morgenrot

7.3 Doppelte religiöse Staatsbürgerschaft[612]

7.3.1 Individuell

7.3.2 Gesamtgesellschaftlich

Bibliografie

Abkürzungen

Literatur

Master-Arbeit

 

Apophatische Theologie und Poesie bei Dionysius Areopagites

als Basis eines interreligiösen Dialogs mit dem Islam

unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Mariano Delgado

Institut für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog

Prof. Dr. Franz Mali

Assoziierter Professor für griechische Patristik und Sprachen des christlichen Orients

Departement für Patristik und Kirchengeschichte

P. Dr. Christian M. Rutishauser SJ

St. Gallen, Februar 2014

Eingereicht an der Theologischen Fakultät Freiburg / Schweiz von Dr. Martina Schäfer

Multergasse 35

9000 St. Gallen

Telefon: 071 223 31 53

Mail: schaefer.m52@bluewin.ch

Dieses Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter https://portal.dnb.de abrufbar.

© Martina Schäfer 2018

ISBN 978-3-7450-8284-5

Verlag:

KIRK

Krisenintervention für interreligiöse und interkulturelle Konflikte

www.martinaschaefer.ch

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Widmung

In dankbarer Freundschaft für Dr. Hisham Maizar

Präsident des Schweizerischen Rates der Religionen

Präsident der Förderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (FIDS)

Präsident des Dachverbandes Islamischer Gemeinden der Ostschweiz und des Fürstentums Liechtenstein (DIGO)

10. November 1941 – 14. Mai 2015

Morgens ging ich in den Garten,

eine Rose mir zu pflücken,

heimlich und in Furcht,

der Gärtner könnte mich dabei erblicken.

Doch es waren seine Worte

köstlich über mein Erwarten:

«Nicht die Rose nur allein, ich

schenke dir den ganzen Garten!»

Mevlana Rumi (1207–1273)

0 Einleitung

Interkulturelle Kommunikation muss mit den Werten umgehen, welche hinter dem Reden und Verhalten von Menschen, mit denen ein Gespräch geführt wer­den soll, stehen.

Die meisten dieser Werte sind unbewusst, vom Gegenüber nicht so leicht zu durchschauen und oft hoch emotional besetzt. Insofern kommt im Rahmen interkulturellen Bemühens der interreligiösen Kommunikation eine ganz beson­dere Bedeutung zu: Sind doch die Religionen im guten wie im schlechten Sinne Quelle und Legitimation von Werten, ethischen Vorstellun­gen und moralischen Anforderungen.

Man kann die andere Kultur, die andere Religion nun als das ganz Andere, Fremde, gar Bedrohliche sehen, was sicherlich für eine befrie­digende Kom­munikation nicht sehr sinnvoll ist, wie ich im Kapitel 5, das den Methoden interkultureller Kommunikation gewidmet ist, aufzeigen werde. Man kann aber auch von möglichen oder erhofften Gemeinsam­keiten ausgehen, was allerdings die Gefahr der Vereinnahmung des/der anderen in sich birgt, was ich ebenfalls in diesem Kapitel ausführen werde.

Eine dritte und sicherlich sehr fruchtbare, Möglichkeit wäre, sich auf die gemeinsamen Wurzeln verschiedener Religionen zu beziehen, die dann mit den bearbeiteten Religionen etwa so viel und so wenig zu tun haben, wie das eiszeitliche Prszewalskiperd mit einem Arabischen Vollblut oder einem Zebra. Aber auch die Differenz zwischen Zebra und Vollblut bleibt auf diese Weise erkennbar, wobei im Rahmen der vorliegenden Arbeit Zebra und Vollblut für das Christentum und den Islam stehen, das Urpferd für die beiden Religionen gemeinsame Inspiration durch die griechische Philosophie.

Eine solche Vorgehensweise orientiert sich also eher an Strukturen, denn an Inhalten, sie fragt beispielsweise nicht so sehr danach, WAS denn nun z.B. offenbart wird, sondern eher, ob überhaupt und wenn ja, WIE sich diese Offenbarungsformen voneinander unterscheiden.

Während religiöse Inhalte oft sehr emotional besetzt und in einem Glaubens­kanon festgelegt sind, der nicht hinterfragt werden darf (z.B. das christliche Glaubensbekenntnis «Ich glaube an Gott … und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn …», ist es eine Struktur weniger.

Insofern liegt dieser Arbeit z.B. der strukturelle Unterschied zwischen der Art, wie man über das Transzendente reden könnte, zugrunde: Der zwischen negativer (apophatischer) und positiver (kataphatischer) Theo­logie, wobei hier nicht nur eine christliche Theologie gemeint ist, sondern auch die vor- oder nichtchristlicher Religionen, respektive Spiritualitäten. Eine kurze Ein­führung und Begriffs­bestim­mung in apophatische und kataphatische Theolo­gie ist von daher das Thema des 1. Kapitels.

Bereits bei einer oberflächlichen Beschäftigung mit Philosophien und Reli­gionen des östlichen Mittelmeerraumes fällt ihre allgemeine struktu­relle Ähnlichkeit ins Auge. Am stärksten die Tatsache, dass es sich z.B. in der Zeit der ersten Jahr­hunderte n.d.Z. vor allen Dingen um mono­theistische Religi­onen handelt. Doch auch beim näheren Hinsehen folgt ein «Aha-Erlebnis» dem anderen. Mir persönlich ging es so, als wir im Rahmen der lectio spiritualis Übungen unseres Studienganges zur Christ­lichen Spiritualität Ori­ge­nes und die Wüstenväter lasen, denn seit einigen Jahren engagierte ich mich insbesondere im Rahmen des inter­religiösen Dialogs mit dem Islam und kannte die wichtigsten Inhalte dieser Religion sowie den Koran und was gläubige Muslime mit ihm verbinden.

So wurde ich also auch auf die neueren Forschungen von z.B. NEU­WIRTH und anderen hingewiesen und referiere im 2. Kapitel dieser Arbeit die gemeinsamen Traditionen und Auseinandersetzungen der mono­theis­tischen Religionen des Vorderen Orients mit neuplatonischer Philosophie, mit der sich alle monotheisti­schen Religionen des letzten halben Jahrtau­sends vor und des ersten halben Jahrtausends n.d.Z. auseinan­dersetzten.

Ein zweites «Aha-Erlebnis» hatte ich, als wir während des besagten Stu­dien­ganges in Biografie und Texte des Dionysius Areopagites eingeführt wurden. Hier lernte ich, dass die mir sehr bekannte Haltung islamischer Gläubigkeit, jegliche Personalisierung Gottes und auch die Idee zweisei­tiger Gespräche mit diesem Gott, wie das Judentum sie kennt, abzuleh­nen, in der christlichen Theologie «apophatisch» genannt wird.

Da ich ausserdem gerne Kriminalromane lese (die Struktur von Kriminalroma­nen war sogar ein Thema meiner germanistischen Dissertation), faszinierte mich natürlich diese unbekannte Biografie des Dionysius Areo­pagites – auch als gutes Zeichen für die Begrenztheit von Wissenschaft, als Appell, niemals alles wissen zu können und diese Grenzen unseres Erkenntnisvermögens zu achten – eben­falls eine Art «apophati­sche» Haltung der Bescheidenheit.

Zum Dritten faszinierte mich als Literaturwissenschaftlerin der Aspekt des Poeti­schen und der Sprachübersteigerung, der ja unweigerlich mit apophati­schem Den­ken verknüpft ist.

Dionysius Areopagites Leben und Werk ist das Thema des 3. Kapitels, wobei in der Beschäftigung mit ihm noch die Frage nach den Werten, welche ein Philosoph, eine Autorin, ein Religionsstifter, etc. vertritt, aufkam und in wel­chem Verhältnis diese Werte zur umgebenden Kultur stehen: Wider­sprüch­lich? Antwort auf generelle Fragestellungen der Umgebung? Ein Dorn im Auge der Mächtigen? Opium für das Volk?

Nachdem mit diesen ersten drei Kapiteln die Grundlage für das Aufeinander­bezie­hen von Islam und Christentum unter dem Aspekt einer apophatischen Theologie und eben auch Poesie gelegt wurde, ist das 4. Kapitel dann Leben und Werk des Propheten Mohammed gewidmet, wobei ich in diesem Kapitel auch die Gelegenheit ergriff, ein allgemeines historische Bild etwa der ersten Jahr­tau­send­hälfte im Nahen Orient darzustellen sowie den Versuch zu star­ten, eine mögliche chronologische Abfolge für die orale Tradition von frühen Hym­nen­dichtern bis Mohammed zu erstellen. Letzteres bitte ich als Gedan­ken­anregung für vertiefte altphilologische und orientalistische Forschungen zu nehmen und nicht als wis­sen­schaftlich abgesicherte Theorie.

Aus den Kapiteln 2–4 konnte ich Inhalte und Strukturelemente herausdestil­lieren, passende Elemente für einen interreligiösen Dialog auf Basis apo­pha­tischer Einstellungen, die mir als Grundlage für die weitere Arbeit dienten.

Kapitel 5 befasst sich also, wie bereits gesagt, mit Methoden und Instru­menten interkultureller und interreligiöser Kommunikation und einer daraus resultieren­den Auswahl aus den Inhalten und Struktur­elementen der vorherigen Kapitel, da ich natürlich, aus Gründen des Umfangs einer solchen Masterarbeit, nicht sämt­liche Aspekte besprechen konnte.

Kapitel 6 befasst sich dann mit einigen dieser Themen und wie sie für den interreligiösen Dialog zwischen Islam und Christentum nutzbar wären.

Im 7. Kapitel weite ich in abschliessender Weise noch einmal den Blick über das engere Thema meiner Arbeit hinaus und propagiere die «apophatische» Empfeh­lung für eine allgemeine, gesellschaftlich-kommunale Ebene der Auseinan­dersetzung zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften: Lieber gemeinsam zu feiern statt zu reden und für die individuelle Ebene der interreligiösen Begeg­nung eine «doppelte religiöse Staatsbürgerschaft».

1 Apophatische und kataphatische Theologie – Begriffsbestimmung
1.1 Apophatische Theologie

Apophasie bedeutet, dass «Gott» oder «das Eine» des Platonismus letztlich nicht zu erkennen oder zu begreifen ist. Woraus folgt, dass «Gott» eben auch nicht beschreib­bar, nicht darzustellen ist.[1]

Eine Erkenntnis, welche die zahllosen Abbildungsverbote im Laufe der Geschichte monotheistischer Religionen konsequent umsetzten.

Gleich zu Anfang wage ich aber auch, zu behaupten, dass apophatische Theologie per definitionem das Wesen von Mystik und Spiritualität aus­macht – ganz im Sinne McGINNs, der in seinem ersten Band der Ge­schichte der «Mystik im Abendland» schreibt: «Negative bzw. apopha­tische Theologie wird historisch wie syste­ma­tisch den Hauptteil unserer Geschichte der Spiritualität ausma­chen.»[2]

Wie ich weiter unten ausführlicher darstellen werde, treten gedankliche Vorläu­fer für die Idee des Apophatischen, das heisst, ein Bewusstsein der letztlichen Unbeschreib­barkeit von Transzendenz, bereits in der grie­chi­schen Philosophie etwa ab dem 4. Jahrhundert v.d.Z. auf.

Sie ist ausserdem, meiner Meinung nach, der logische Schritt, welcher sich aus der Entwicklung von polytheistischen Religionssystemen zu monothe­isti­schen ergibt.[3]

Apophatische Theologie ist, zum Dritten, die klösterliche Schwester der weltlichen apophatischen Philosophie des Neuplatonismus oder, wenn man so will, die sakrale Variante, ein spiritueller Ausweg aus den ratio­nalisti­schen Höhenflügen, welche ansonsten zum Agnostischen oder gar Atheisti­schen führen würden – was ja nun mal nicht Jedermanns oder Jederfraus Sache ist.

Ebenso wie umgekehrt: Philosophie als Rettung aus einem entweder kindlich-naiv, beschreibenden oder sogar allzu abstrakt ab geschwebten Gottesbild. [4]

 

Spiritualität oder Mystik (ich erlaube mir, der Einfachheit halber diese beiden Begriffe, wie McGINN in seiner Einleitung[5] synonym zu ver­wenden[6]) ist dann in einem solchen Zusammenhang eigentlich der Versuch, sich dem Unnennbaren und Unbeschreibbaren doch irgendwie und irgendwann annähern zu können, wenn nicht sogar, sich mit diesem «Einen», mit «Gott» vereinen zu können. Mystik zu betreiben bedeutet also, Wege zu begehen, «Lebenswege»[7], Stufen, «Himmelsleitern»[8] zu ersteigen oder weitere Bemühungen des Erreichens dieses Unnenn­ba­ren, sich mit dieser sakralen Unbegreiflichkeit zu verbinden.

Gott ist das nicht Erkennbare, niemals vollständig zu Erfassende, woraus dann folgt, dass Gott auch nicht beschreibbar ist, nicht auszudrücken.

McGINN unterscheidet nun noch, ob das für alle Menschen gilt oder nur für bestimmte, nur zu einer gewissen Zeit oder jederzeit, usf.,[9] was ich hier aber einmal dahin gestellt lasse.

Wenn Gott also nicht beschreibbar ist, denn jede Beschreibung würde dieses besondere zu Beschreibende Unendliche wieder einschränken, nicht definierbar, kann ich mich ergo einer Erkenntnis über Gott nur annähern, indem ich aus­drücke, was Gott n i c h t ist. Die mögliche Annäherung geschieht durch die Negation von Eigenschaften, weshalb man in Verbindung mit der Apophasie auch von Negativer Theologie spricht.

Auch diese Negation muss sich allerdings in sich selber wieder durch ihr Gegen­teil auflösen, sonst wäre eine Negativbeschreibung (quasi durch die Hintertüre des Ausschlussverfahrens) doch wieder eine positive.

Also beispielsweise: «Gott ist weder Mann» – notwendig muss nun folgen: «noch Frau noch Kind». Sonst wäre er ja das Ausgeschlossene.

Oder auch: «Gott ist nicht in der Welt» – das würde den Begriff wieder be­schrän­ken, also muss es zwingend weiter heissen: «und auch nicht ausserhalb».

«Gott ist weder endlich noch unendlich, übermächtig noch ohnmächtig, weder Geist noch Materie, … usw.».[10]

Das bedeutet weiterhin, dass paradoxe Sprachspielereien, poetische Über­steigerungen oder eben das Verstummen zum sprachlichen Reper­toire der Apophasie dazu gehören und übrigens Musik für apophatische AutorInnen eben­falls ihre besondere Bedeutung hat.

Apophatisches Sprechen ist per definitionem Auflösung von Sprache und vom Misstrauen gegen ihre Ausdrucksfähigkeit getragen.

Apophatisches Sprechen ist ergo auch ein sehr modernes Sprechen – modern im Sinne der literarischen Strömung des Expressionismus, des­sen Zweifel an der Sprache dann im Extrem zum Silbenstottern oder Dadaismus führte. Oder in einer anderen Expressionismusrichtung zu eruptiven Ausdrücken reiner Gefühle und Leiden­schaften in Wort, Bild und teilweise auch in der Musik.

1.2 Kataphatische Theologie

Das Gegenteil der apophatischen, der negativen Theologie ist sodann die kata­phatische oder positive Theologie. Diese erscheint auf den ersten Blick dem Denken einfacher, denn mit ihrer Hilfe wird versucht, sich durch das Anhäufen von Beschreibungen, Zuschreibungen, substantivierten Tätigkeiten, etc. einem Verständnis dessen, was Gott sein könnte, anzunähern.

Allerdings ist dieses Projekt natürlich von vorne herein mehr oder minder ebenso zum Scheitern verurteilt wie die negative Theologie, denn das Transzendente zeichnet sich ja nun gerade durch das Überschreiten, das Jenseitig-von-Allem-Sein, aus. Eine fast mathematische Frage wäre dann, ob denn eine unendliche Aufzählung positiver Beschreibungen oder negativer Paradoxien Gott darstellen könnte?

Ein Gedanke, der sich beispielsweise im Islam durch die Aufzählung der 99 Namen Allahs ausdrückt. Wobei die Zahl «99» symbolisch gemeint ist und für die eigentliche Unendlichkeit beschreibbarer Möglichkeiten steht: Es könnten auch 999 Namen sein oder 9999 – eine vollständige Beschreibung Gottes kann nie erreicht werden.

Positive Theologie ist jedoch in allen Religionen da von Nöten, wo Gott an­sprech­bar sein soll, wo die Gläubigen die Möglichkeit brauchen, eine vorstellbare Gestalt zu preisen oder um Gnaden zu bitten. Göttlichkeit zum Anfassen, zur Vorstellung, einen Gott der Phantasie … gleich kommen Heiligenbilder, Prozes­sionen, Statuen von Göttinnen und Göttern, Bilder, die «das Volk» sich machen muss, soll es glauben können – was immer auch das erste Gebot, die zweite Sure befehlen mögen. Weshalb man auch von «affirmativer» Theologie spricht.

Hier hinein gehört auch die Vorstellung eines persönlichen Gottes, wie es Chris­ten­tum und Judentum pflegen, eine Vorstellung, welcher der Islam, wie ich weiter unten darstellen werde, eher ablehnend gegenüber steht oder die ver­schie­denen Vorstellungen von Offenbarung in den drei monotheistischen Religionen: Als konkrete Gesetzessammlung, als Mensch, als Buch.

Origenes (185 Alexandria–254 in Caesarea) setzte diese Erkenntnis sehr prag­matisch in seinen Anleitungen zum Gebet um[11] und entwickelte entsprechend verschiedene Arten der Gebetsweisen.[12]

Positive Theologie ist die Einschränkung des Göttlichen auf ein menschliches Mass – um der Menschen willen – sie ist Pastorale, nicht Philosophie, Impres­sio­nis­mus, lumen de lumine, l'art pour l'art wie die negative, apophatische Theolo­gie.

Von daher verwendet kataphatisches Sprechen unterschiedliche Methoden des Ausdrucks: Vergleiche, Allegorien, Gleichnisse, weitere analoge Redeweisen, Ver­gleiche und Gleichnisse, Anhäufungen, Metaphern, etc. Kataphatische Texte, beson­ders wenn sie Erzählungen oder Berichte sind, ziehen Deutungen nach sich, brauchen den allegorischen Sinn, um so zu den Ausdeutungen der heiligen Texte zu gelangen.

Über die Jahrhunderte hinweg entwickelten sich z.B. im Christentum Theorien, Methoden der «geistlichen Sinne», mit deren Hilfe Texte stufenweise gedeutet werden konnten.[13] Da gibt es den reinen «Wortsinn», welcher das Geschriebene wort-wörtlich nimmt, hermeneutisch vorgeht in seiner Interpretation, philolo­gisch den Ableitungen hinterher spürt, Origenes nennt ihn den «historischen Sinn», mit dessen Hilfe das Mythische in Geschichte und Tradition, also letztlich in Identität und Glaube umgewandelt wird. Eine weitere Deutungsmethode ist die «allego­rische», für die eben «eine Rose» nicht unbedingt nur «eine Rose»[14] ist – usw.

Beginnt man – so RUH in seinem Kapitel zu Dionysius Areopagites – in apopha­tischer Rede von «unten», also bei denjenigen Zuschreibungen, welche «Gott» am fernsten sind, startet kataphatisches Sprechen «oben», bei jenen Eigen­schaften, welche «Gott» am ähnlichsten sind [15]. Und wie sich zwei parallele Gera­den doch im Unendlichen schneiden, geht auch kataphatisches Sprechen und Beten in apophatisches über.

Wie Dionysius Areopagites diese auf- und absteigende Bewegung als Methode des individuellen Weges darstellt und diesen gleichzeitig in die Ordnung himm­lischer und irdischer Hierarchien hinein stellt, werde ich weiter unten erläutern.