GRAUENVOLLER TAUNUS - 13 HORROR GESCHICHTEN

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GRAUENVOLLER TAUNUS - 13 HORROR GESCHICHTEN
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MARTIN WISCHMANN

GRAUENVOLLER TAUNUS

13 HORROR-GESCHICHTEN

Für Maria, Jasmin, Marvin, Kevin und Maxi

Für die Guten, die bereits in die ewigen Jagdgründe eingegangen sind

Für die Armen dieser Welt, die systematisch unterdrückt werden

Für die Reichen, die ohne Ausnutzung Anderer reich wurden

Für die Standhalter, in der Brandung des Lebens

Für alle Taunusbewohner, ob lieb und wert oder unsympathisch

Ebenfalls von Martin Wischmann erschienen:

WILLST DU LEBEN..DANN SPRINGE

( MEINE TABUTHEMA – GESCHICHTE ) , Autobiographisch

JOHANNAS GERECHTIGKEIT

( RACHE EINER VERGEWALTIGTEN ) , Roman , teilfiktiv


Bild: 1 Martin Wischmann bei seinem Solo - Lauf:

- Eintausend Kilometer durch Arizona -

Inhaltsverzeichnis

Liebe Leserin, lieber Leser,

01 Der Mann, der Lärm hasste.

02 Das Begräbnis

03 Puls der Zeit

04 Die Emanze

05 Unter Strom

06 Die Austauschschülerin

07 Klimawandel

08 Bäckereimonster

09 Wolfsblut

10 Zigaretten

11 Die Schildkröte

12 Der verzweifelte Alte

13 Das Ende des Taunus

Zu guter Letzt

Liebe Leserin, lieber Leser,

seltsam, dass ich sie so freundlich anspreche, obwohl ich sie vermutlich gar nicht kenne und somit nicht einmal weiß, ob sie mir sympathisch und lieb sind oder sie einen Charakter haben, der mich anwidert. Egal, sie haben sich für dieses Buch entschieden, -für die GRAUENVOLLEN KURZGESCHICHTEN AUS DEM TAUNUS. Alleine dies macht Sie mir zumindest ein klein wenig sympathisch, denn so sorgen sie indirekt dafür, dass ich mir eine Scheibe Brot mit Butter und Schinken leisten kann. Also alles gut. Danke sehr. Sollte es Ihnen aber in den Sinn kommen, mir den Schinken vom Brot zu stehlen, würden Sie im Grunde ihr eigenes Grab schaufeln. Ja, ich habe zwei Gesichter, mindestens. So wie die meisten Menschen, die ich kenne. Gottlob kenne ich nicht viele Menschen, da ich Geselligkeit und Freundschaften nicht brauche, sie zeitlebens abgelehnt habe. Sehen wir nicht Alle, Tag für Tag viel zu viele Menschen, in dieser von Menschen übervölkerten Welt? Selbst im Taunus, in diesem Mittelgebirge nördlich der mollochenden, gleich einem bösen Geschwür wuchernden Großstadt Frankfurt am Main, leben viel zu viele Menschen für meinen Geschmack, denn aufgrund der hohen Preise der Bauplätze stehen selbst Neubauten heutzutage quasi Wand an Wand, so dass man den Bewohner im Nachbarhaus durch die billigdünnen Hauswände furzen hört. Beim Schreiben dieser Zeilen lebe ich schon über fünfzig Jahre im hessischen Taunus, unweit der bekannten Ausflugziele “Großer Feldberg“, “Saalburg“ und “Hessenpark“. Davon alleine dreiundvierzig Jahre in dem Dorf Finsternthal, welches zur Gemeinde Weilrod zählt und unweit des Weiltales liegt. Der Taunus mit seinen, die Waage haltenden Menschen der wirklich Liebenswerten und der garstig Unsympathischen hat mein ganzes Leben bestimmt, denn niemals wohnte ich anderswo. So trug ich unzählige unheimliche Gedanken und Geschichten zusammen, wobei ich sicher bin, dass ich mir selbst mehr als einmal gedanklich eine frei erfundene Handlung zusammen schusterte, die ich nach kurzer Zeit für die einzig reale Wahrheit hielt, auch was den Taunus der Gegenwart betrifft, mit all seinen ehrbaren Bürgern und Halsabschneidern, die es freilich überall gibt. Wie ich bereits sagte, -ich habe zwei Gesichter. Trauen sie mir daher nicht über den Weg, denn auch ich traue ihnen nicht, da ich selbst meinem lächelnden Spiegelbild kein Vertrauen schenken würde. Wer weiß, ob mein Spiegelbild im Bad mich nicht hinterrücks erdolchen würde, wenn ich mich unbedacht umdrehe? Ich möchte an dieser Stelle nicht verheimlichen, dass ich nach Suizidabsichten vor mehreren Jahren, ein knappes halbes Jahr in der Psychiatrie verweilte. Diese Zeit war sehr wichtig, -überlebenswichtig für mich, weshalb ich nur raten kann, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn es notwendig ist. Wobei, -die meisten “Kranken“, die ich erkenne, würden nie freiwillig zugeben, dass die ein oder andere Tasse in ihrem Oberstübchen einen Sprung hat. Über mein Psycho-Drama habe ich ausführlich in meinem Buch “WILLST DU LEBEN..DANN SPRINGE“ geschrieben. Die Nacht auf dem eisigen Turm im Taunus würde ebenfalls in dieses Taunus- Horror- Buch passen, doch sie ist keine Kurzgeschichte, weshalb ich ihr ein ganzes Buch gewidmet habe. Ja, auch heute, da das neue Jahrtausend bereits über zwei Jahrzehnte alt ist, lebe ich im ländlichen, von den Frankfurter Städtern so geliebten Taunus, genau genommen im nördlichsten Hintertaunus, wobei ich den Taunus nicht als Heimat betrachte, denn Heimatgefühle oder gar Heimatstolz kenne ich nicht. Gewiss, die Dörfer von Heute weisen nicht mehr den altehrwürdigen landwirtschaftlichen Charakter meiner Kindheit auf, denn die Zeiten haben sich geändert, seit ich etwa zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Bad Homburger Krankenhaus das Licht der Welt erblickte. Heute ist es hoffentlich undenkbar, dass neugeborene, aber unerwünschte Katzenbabys zwecks Tötung gegen das Scheunentor geschmettert oder in der Jauchegrube ertränkt werden. Auch sind in den bäuerlichen Ställen die armen Ochsen verschwunden, die einst vom Kälberalter bis zur Abholung durch den Metzger mittels starker Ketten an einer Stelle im fensterlosen Stall, Zeit ihres Lebens fixiert waren, ohne jemals Tageslicht zu sehen. Ebenso hat die menschliche Inzucht mit ihren sexuellen Kontakten mit Blutsverwandten die abgelegenen Taunusdörfer, -die von den Alten Sackdörfer titulierten, verlassen, wodurch auch der früher öfters vorgekommene seltsam proportionierte, schwellköpfige Kleingewachsene mit Buckel, fliehender Stirn und monströsem Pferdegebiss nicht mehr zum heutigen Straßenbild zählt. Schade, -höre ich jetzt manch einen denken. Ja, -ich durchschaue sie, werte Leserschaft. Sie werden mir immer lieber! Der Lehrer, -der sogenannte Schulmeister, der vor siebzig Jahren den nackten Hintern der Schulkinder mit dem Rohrstock maßregelte, ist genau wie der Hühnerbauer, der angeblich seine sexuelle Lust an einem lebenden Huhn befriedigte, in der Gegenwart nicht mehr auffindbar. Obwohl, -wer weiß es schon? Das Abscheuliche und Unfassbare geschah und geschieht ohnehin hinter verschlossenen Türen, früher und heute. Denken wir nur an den Jähzorn, der im hirnlosen Alkoholrausch tagtäglich Frau und Kinder vermöbelt. Die Dunkelziffer dieser schändlichen Straftaten ist immens hoch. So wie sich der Großgrundbesitzer früherer Tage an seinen Mägden verging, so endet heutzutage für die ein oder andere Frau die Karriereleiter unter dem Schreibtisch ihres Vorgesetzten, der freilich seine Hose bereits herunter gelassen hat. Ist “Er“ mit “Ihrer“ Zungenarbeit zufrieden, wird sie befördert, bis zum nächsten Schreibtisch, den sie natürlich nur erreicht, wenn sie permanent extrem kurze “Schnellfickerröcke“ und unüberhörbar klackernde Hochhackige trägt. Die sogenannten ungeschriebenen Gesetze gehen früher wie heute im Grunde Richtung Horror. Der Ehrlichkeit würde ich überall misstrauen. Wer weiß, vielleicht rotzt oder pinkelt der Koch ihres Vertrauens in ihr Getränk oder ihre Speise, bevor es serviert wird. Die Wege und Gedanken der Menschen sind undurchschaubar. Zudem hat der Mensch in den letzten einhundert Jahren alles, -wirklich alles dafür getan, dass das Leben auf der Erde immer oberflächlicher, gestresster, gereizter, materieller und sinnloser wird. Leichtgläubige glauben das Lügenmärchen von der sogenannten “schnelllebigen Zeit“, obwohl der heutige Tag immer noch vierundzwanzig Stunden zählt und die Arbeitszeiten immer kürzer werden. Viele lassen sich alles erzählen und glauben den größten Unsinn, weil sie zu kompliziert denken, die Stressreise ans andere Ende der Welt antreten, anstatt auf dem heimischen Liegestuhl zu entspannen. Wir leben heute auf einem Planeten voller arbeitsgeiler, selbstverliebter und hochnäsiger Zeitgenossen, die nur ihren eigenen Vorteil im Sinn haben, sich gegenseitig bekriegen, nur weil man mit Rüstungsgütern wirtschaftlichen Gewinn einfährt, mit PS Protzkisten und Flugzeugen die Atmosphäre zerstören, mit Gift und Müll die Meere verpesten und im Grunde genommen alles dafür tun, dass durch die Überbevölkerung der Menschheit der Planet Erde in spätestens einhundert Jahren zu Grunde geht. Ist es also in diesem irren Szenario der Menschrealität, dieser real irren Welt von heute ein Wunder, dass der ein oder andere durchdreht, wahnsinnig wird oder die Tier – und Pflanzenwelt, ja die gesamte Natur rebelliert? Sicher nicht, denn alles ist aus den Fugen geraten. Durch den Mensch! Einzig durch den modernen Menschen! Darum haben auch Sie, ja ich meine genau Sie, die Person, die gerade diese Zeilen liest, dieses Buch erworben. Sie wollen nichts über Friede, Freude, Eierkuchen lesen. Nein, sie sind so, wie sie sind. Sie sind gespannt auf Ekel, Angst, Verzweiflung, Horror, Pein, Unmenschlichkeit, Panik, Unfassbares, Rachegelüste, Ausgleichende Gerechtigkeit, Trauer, Folter, Seelenschmerz, Menschcharakter, Wunden, Schmerzen und Tod. Bedenken sie dabei, dass sich vielleicht gerade in diesem Moment der Horror in ihrer Hand befindet, eventuell in Form einer Zigarette, mit der sie durch jeden einzelnen Zug siebentausend Giftstoffe ihrem Körper zuführen. Und jeder dieser Giftzwerge beginnt alsbald in ihrem Inneren sein schauriges Werk. Auch die reife Banane, die sie gerade verzehren, kann durchaus 0,6 % Alkohol enthalten. Möchten sie damit ihr Baby füttern? Ich möchte sie nicht ängstigen, darum komme ich wieder auf ihre Vorliebe, bezüglich Bücher zurück. Sie wollen das Unfassbare nicht in irgendeiner weit entfernten Region erleben, so wie einst “Dracula“ in Transsylvanien oder “Die Vögel“ an der amerikanischen Pazifikküste. Nein, sie wollen das Schaurige ganz nah erleben, in einer Region im eigenen Land, welche sie womöglich sogar kennen. Vielleicht leben sie sogar dort. Genau hier, im Taunus, dort wo es garantiert nicht weniger Irre, Bemitleidenswerte, Böse und Pechvögel gibt, als anderswo. Darum lassen sie uns beginnen. Langsam beginnen. Der Horror kommt nicht sofort, nicht in der ersten Zeile des ersten Kapitels, sonst könnte ja direkt in dem Moment, in dem sie auf dem Klosett sitzen, eine krallenfingrige, hornhautige Hand aus der Kanalisation emporschnellen, sich in ihrem Intimbereich festschlagen und sie unter furchtbaren Schmerzen in die Toilette zerren, wo das enge Abflussrohr ihnen keinen Raum zum Atmen gibt. ..Nein, -wir beginnen langsam.. Ob die Geschichte, welche sie lesen, real oder fiktiv ist, sich so oder ähnlich abgespielt hat, mir von einem Realisten oder Lügner erzählt wurde, oder im Traum oder Fieberwahn, vielleicht auch tagträumend ersonnen wurde, ist ohne jeden Belang. Nun wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung bei ihrer Reise durch den Taunus, den sie garantiert mit anderen Augen sehen werden als bislang gewohnt. Bedenken sie dabei stets auf der Hut zu sein, denn sie werden öfters verfolgt und beobachtet, als sie es für möglich halten. Es gibt heute Mikrofone und Minikameras an Stellen, die sie nicht für möglich halten, Ferngläser und Nachtsichtgeräte und Handys und Kuscheltiere, die sie überall orten können, wenn nur einer bitterböse Absichten hat. Und ob ihr Mann ihr Mann ist oder ihre Frau ihre Frau, sollten sie auch nicht blind glauben. Vieles ist nicht das, für das Sie es halten. Seien sie überall achtsam, denn selbst die Federn in ihrer Bettdecke könnten ein Eigenleben entwickeln. Bemerken sie, wenn sie völlig entspannt im Bett liegen, das seltsame Pulsieren unter ihnen? Es könnten tausende von Bettwanzen sein, die in ihrer Matratze hausen. Vergrößert unter dem Mikroskop sehen sie wie grauenhafte Heuschrecken- Aliens aus, die dem Traum eines Irrsinnigen entsprungen sind. Wenn diese Riesenarmee der unerwünschten Bettbewohner wirklich wollte, könnte sie wahrscheinlich binnen Stunden ihren Körper komplett von den Hautschichten befreien, so dass sie plötzlich wahnsinnig vor Schmerzen wundrotfleischig und gehäutet voller Panik schreiend aufwachen und Sekunden später sterben werden. Aber seien sie als Taunusbewohner auch achtsam vor sich selbst, -sie Sklaventreiber. Denn jeder Taunusbewohner, sie und ich, aber auch jeder andere Bundesbürger hat seine teils minderjährigen Sklaven in der Dritten Welt, die dort Gold, Diamanten oder auch Kobalt für die Handys unter teils grausamen Bedingungen für einen erbärmlichen Hungerlohn abbauen, ohne das es uns auch nur ansatzweise juckt. Seien wir ehrlich! Ja, das Blut an Goldkette oder Diamantenring ist nicht mehr sichtbar, aber der Abbau war für viele der von uns Ausgebeuteten der blanke Horror, -oft ein Leben lang! Sie sehen, der Horror ist selbst da, wo wir ihn nicht vermuten, denn “Wir“ sind der Horror. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung und Standhaftigkeit in dieser, dem Untergang geweihten Welt.

 

Martin Wischmann , Weilrod , Taunus

01 Der Mann, der Lärm hasste.

Eigentlich war es ein ganz normaler Samstagmorgen im Taunus, genauer gesagt im Usinger Land. Die Kleinstadt Usingen mit ihren im Umland weit verstreuten Stadtteilen, welche meist eher kleine Dörfer waren, erwachte an diesem Frühlingssamstag kurz nach Sonnenaufgang genauso, wie an jedem Samstag mit Sonnenschein. Und da der Morgen eben genau so gleich, wie an jedem verfluchten Samstag begann, zog Rüdiger, der alleinlebende drahtige Mitfünfziger aus der Schießhüttenstraße im Usinger Stadtteil Merzhausen, missgelaunt und fluchend, aber dennoch leise und materialschonend den Holzrollladen seines Schlafzimmerfensters hoch. Fluchend deshalb, weil ihn die umgebende Nachbarschaft ebenso wie an jedem Samstag empfing, -mit Lärm! Mit Lärm, der für manche Nachbarn wohl zum Wochenende gehörte, wie das Amen in der Kirche. Da war zum einen der von dem topfitten Rüdiger Rasenmäher-Mann genannte, auf dessen Grundstück zwar von Montag bis Freitag einer dieser dauersummenden, nie müde werdenden, kreuz und quer umherkurvenden Rasenmäher- Roboter sein nimmer endendes Unwesen trieb, was den glatzköpfigen, schwammig dicken Großvater, dessen hakiger, entenwatschliger Gang auf etliche künstliche Gelenke schließen ließ, jedoch nicht davon abhielt jeden, -wirklich jeden verkackten Samstag von früh bis spät mit seinem unrund laufenden, viertackt Uralt-Rasenmäher jedem Grashalm, der die zweieinhalb Millimetermarke überschritt, den Gar aus zu machen. Selbst dann, wenn die Sommer brottrocken und das Gras schon heutrocken verdorrt förmlich um Gnade hechelte. Dieser Irre schob stundenlang den Rasenmäher auf und ab, begleitet von regelmäßigen Schlägen, wenn das Schneideblatt gegen einen Stein schlug. Etwa alle zehn Minuten leerte der Alte, der zu Berufszeiten Beamter im öffentlichen Dienst war, den an dem Rasenmäher befindlichen Grasfangkorb aus, nur um eine Handvoll Grasstaub in der Schubkarre festzustellen. „Du dummes Arschloch, schüttle den Fangkorb doch noch länger aus. Er ist leerer als leer! Dein Rasen, -dein Samstagsrasen besteht doch ohnehin nur aus verbrannter brauner Erde. Arschloch“, sagte Rüdiger kopfschüttelnd, aber sehr leise, beim Betrachten des verhassten Nachbarn. „Korinthenkackendes Kleinbürger- Arschloch“, fuhr Rüdiger, während er gereizt seinen Milchkaffee umrührte, kopfschüttelnd fort. Sein Kopfschütteln verstärkte sich noch, als der alte Nachbar abermals den kaum noch vorhandenen gelb-beige-braunen Rasenrest mit dem schon überhitzt rauchenden Rasenmäher malträtierte. Rüdiger hatte kaum seine Kaffeetasse zur Hälfte geleert, als die samstäglichen Familienschreie aus dem Haus gegenüber ertönten, ebenso wie an jedem Samstag. Die Schreie kamen von dem jungen Familienvater, -einem verklemmten, gehemmten, stets unsicher nach unten blickenden, das Gesicht unter einem breiten Mützenschirm verbergenden schnakenhalsigen, dürren Hungerhaken, mit schmierig verschwitzten kurzen Haaren und einem streuselkuchenähnlichen Pickelgesicht. Die Schreie galten seiner ebenfalls spindeldürren Ehefrau und den drei kleinen Kindern, die Rüdiger für ihre unfähigen Eltern bemitleidete. „Vollidiot“, sprach Rüdiger kaum hörbar aus, „wie kann ein derart geistig minderbemittelter wie du, so unverantwortlich sein und Kinder in die Welt setzen? Kein Mensch mit Verstand schreit. Für jede Kleinigkeit braucht man in diesem Land eine Genehmigung, -nur Kinder darf jedes dumme Arschloch zeugen. Ich fasse es nicht. Und die naive doofe Dumpfbacke an seiner Seite schafft es offensichtlich noch nicht einmal etwas Essbares auf den Tisch zu bringen, so dürr wie sie alle sind.“ Nach einigen Minuten hörten die Schreie des unfähigen Familienvaters auf. Rüdiger schloss gespannt die Augen und wartete, denn er wusste nur zu gut, was gleich geschehen würde, -so wie jeden Samstag. Und tatsächlich, nach zwei Minuten erklang das laute Geräusch, welches der wütende Rüdiger erwartet hatte. Er vernahm mit zornig zusammengepressten Lippen das bösartig hohe, beißende Geräusch der Motorsäge, mit welcher das Milchbübchen Woche für Woche die Nachbarschaft tyrannisierte. Mit weiterhin geschlossenen Augen und einem deutlich erhöhten Puls flüsterte Rüdiger, während sich gleichzeitig seine Hände zu Fäusten ballten: „Schwachmat, geistiger Tiefflieger, -du sägst Holz, als wolltest du einen ganzen Winter lang Kanada von Calgary bis Montreal mit Brennholz versorgen. Woche für Woche. Dein Holz reicht bei unseren warmen Wintern doch für mindestens dreißig Jahre. Vollidiot! Aber sei dir sicher, -wenn deine unschuldigen, bemitleidenswerten Kinder nicht wären, würde ich eines Nachts mit der Motorsäge neben deinem Bett stehen und dir mit zwei raschen Bewegungen die Arme abtrennen. Aber vielleicht wird es ja noch was, wenn du mal alleine im Haus bist. Obwohl..“, und Rüdigers Gesicht nahm ein fieses Lächeln an, „ich habe ja bereits einen Plan für dich und den Rasenmäher-Mann. Ihr bekommt alle, was ihr verdient. Seid euch gewiss, dass eure Vergehen an mir, auf meine persönliche Art und Weise gerächt werden. Ihr entkommt mir nicht. Keiner von euch wird seinen nächsten runden Geburtstag erleben. Keiner!!“ Rüdiger war durch seine eigenen Worte derart in Rage geraten, -vor allem weil weiterhin Rasenmäher und Motorsäge um die Lärmherrschaft buhlten und massiv am fragilen Nervenkostüm des alleine lebenden Mannes zerrten, dass seine daumendicke Halsschlagader sichtbar pulsierte und sich durch das vermehrte Ballen der Fäuste die sehnigen, von gewaltiger Körperkraft zeugenden, kräftigen Unterarmmuskelstränge wie tanzende Schlangenkörper unter der sonnengegerbten Haut abzeichneten. Als am frühen Nachmittag zuerst der Rasenmäher des alten Alkoholikers und gut eine Stunde später die Motorsäge des jähzornigen, teils auch innerfamiliär handgreiflich werdenden Pickelgesichtes verstummte, nahm Rüdiger, wütend tief einatmend, ein weiteres Geräusch wahr, welches schräg hinter dem gegenüberliegenden Parkplatz entsprang, ebenfalls wie an jedem Samstag, wie an jedem Scheiß- Samstag, wie Rüdiger dachte. „Ja, er hat noch gefehlt“, zischte der leicht ergraute, körperlich in Topform befindliche Mann, „genau er hat noch gefehlt zu meinem samstäglichen Glück, der wahnsinnige Hochdruckreiniger mit seinem überflüssigen Spielzeug. Deine Pflastersteine müssten sich doch schon aufgelöst haben, so oft, wie du sie abspritzt. Ebenso der Lack deines Autos. Na ja, was heißt dein Auto? Da die Protzkiste ein Münchener Kennzeichen hat, ist sie wohl ein Firmenwagen. Aber Hauptsache protzen, und natürlich auch private Fahrten unternehmen, die eigentlich gar nicht zulässig sind. Obwohl, welcher durch und durch ehrliche Zeitgenosse kann sich schon ein Auto für hunderttausend Kröten leisten? Ja, das Protzen liegt wohl in der Familie des Hochdruckreinigers. Deine Alte mit den lächerlich nach oben zeigenden Silikontitten, dem affigen Schlauchbootmund und ihrem SUV Familienpanzer trägt die Nase ja auch so hoch, dass es fast rein regnet. Und du, du Hochdruckreiniger, du bist obendrein noch der Rasierwassermann, der hundert Meter gegen den Wind wie ein nasser Fuchs mit fünf Promille stinkt. Dein ätzendes Rasierwasser hat deine Wangen ja schon grau verfärbt. Alles verätzt! Aber Hauptsache auf der Mainstream Mitschwimmerwelle reiten, um dazu zu gehören. Wie die Lemminge, -alle in eine Richtung. Mein Gott, ich habe noch niemals Rasierwasser benutzt, nur klares Wasser und ich fühle mich hundertprozentig gut. Aber euer eitles Protzgehabe ist mir gleichgültig, -du jedoch wirst für dein allwöchentliches Hochdruckreinigen, für das stundenlange nervige Lärmen bezahlen, ebenso wie der alte Sack und das verschwitzte Greenhorn, das seine Kinder schlägt. Meine Geduld ist zu Ende! Ihr habt den Bogen überspannt! Ich sehe rot! Ihr werdet alsbald meine Rache zu spüren bekommen. Ja, sprühe auch noch mit Hochdruck deine Hauswände ab, sprühe bis der Putz abfällt. Genau, auch noch den Motorraum deines nicht bezahlten Autos. Mit Hochdruck auf die empfindliche Motorelektronik. Mein Gott, du hast mehr Scheiße im Schädel als ein Brauereigaul im Dickdarm.“ Rüdigers Puls war gefühlt bei mindestens einhundertachtzig Schlägen, wie an jedem Samstag. Wäre er seinem Spontangefühl gefolgt, hätte er jeden der Lärmenden direkt mit der bloßen Faust erschlagen. Als erstes den pickligen Jüngling, denn den hasste er am meisten. Der Blick auf die alte Wanduhr verriet Rüdiger, dass in Kürze die Nummer Vier der verhassten Samstaglärmenden auf den Plan treten würde. Und tatsächlich hörte der Zornige wenige Minuten später parallel zu dem nimmermüden Hochdruckreiniger das lautstark eingestellte Radio des von Rüdiger Fußball-Konferenzler geschimpften. Rüdiger verachtete diese, in seinen Augen sinnlose Fußballberichterstattung im Radio, die von den, sich ständig verbal wiederholenden Reportern so dramatisch geschildert wurde, als ob das Überleben der Welt davon abhinge. Unsinnige Bezeichnungen, -wie Pflichtsieg, Standortbestimmung, Das Runde ins Eckige, ein sauberer heerrlliicchheerr Pass, Schööön und Tooor, -der Reporter am Mikrofon waren zwar ein wenig abwechslungsreicher als das geistlose Äh ja gut, ich wollte der Mannschaft helfen, wir müssen Fußball spielen, -dass die Spieler nach dem Abpfiff im Interview zum Besten gaben, doch sie widerten Rüdiger allesamt an. Ohnehin konnte Rüdiger mit Mannschaftssport, Teamplayer und Wir- Sagern ganz und gar nichts anfangen, -er der lebenslange Einzelaktivist, der teils Wochen und Monate alleine durch die Wildnis wanderte, nur um keinen Menschen zu sehen und zu hören. Folglich war gerade Fußball mit seinen Zehntausenden Zuschauern im Stadion und noch mehr vor den Fernsehern und Radios das uninteressanteste, dass er sich nur vorstellen konnte. Anderen Menschen zujubeln, weil sie einen Ball in ein Tor schossen, -das konnte Rüdiger nicht verstehen. Bei Kindern ja, aber nicht bei Erwachsenen. Aber Rüdiger konnte vieles nicht nachvollziehen, zum Beispiel dass extrem fettleibige den ganzen Tag weiterfraßen, obwohl sie sich mit ihrer immensen Körpermaße nicht mehr bewegen konnten. Ebenso verachtete er die stets volltrunkenen Lebensbankroteure, die mit ihrer roten Suffnase immer den Politikern, -denen DA OBEN die Schuld für ihr eigenes jämmerliches Leben gaben, denn Rüdiger war sich sicher, dass Jeder selbst für sein eigenes Glück verantwortlich ist. „Ich hasse euch alle! Ich hasse Menschen“, zischte Rüdiger, während er wohl oder übel die laute Fußballkonferenz im Radio des Nachbarn über sich ergehen lassen musste. Dabei fiel sein Blick auf ein Gemälde an der Wand. Es handelte sich bei dem siebzig Zentimeter hohen Acrylgemälde um eine selbsterschaffene Kreation von Rüdiger. Er hatte vor Jahren ein international berühmtes Gemälde mit seinen Möglichkeiten, so gut er konnte, nachgeahmt. So hing nun ein Klassiker neben seinem Bett. Das Werk “DER SCHREI“, des Malers Edvard Munch zählte als Original zu den berühmtesten Gemälden der Welt. Rüdiger sah sich immer selbst in der Rolle des mit offenem Mund über das Leid der Welt Schreienden. Außerdem war der Künstler aus Norwegen Rüdiger sehr sympathisch, denn er hatte lange Zeit seines Lebens in der Psychiatrie verbracht, ebenso wie Rüdiger. Während Rüdigers Blick mit den gemalten, schaurig aufgerissenen Augen des Schreienden fast verschmolzen, dachte der Mitfünfziger, dessen erregte und wild pulsierenden Halsschlagadern dick auf dem festen Hals lagen, dass in der Merzhausener Nachbarschaft Norman Bates, Freddy Krüger, Poltergeist oder ES hausen müssten. Jeder von den Vieren hätte sich einen der lärmenden Nachbarn, -einen dieser krachmachenden Vollidioten vornehmen sollen. Dann wäre endgültig Ruhe im Viertel. Doch er wusste, dass er von keinem seiner Romanhelden Hilfe erwarten durfte. Keiner würde seine kräftige Hand aus dem Gullideckel schnellen lassen, keiner unter dem nächtlichen Bett lauern, keiner sich im Brustkorb des Schuldigen einnisten oder das Kind des lärmenden entführen und bei lebendigem Leibe häuten. „Schade“, sagte Rüdiger, „obwohl, hahaa, ich kenne die Schule und die täglichen Abfahrzeiten des privaten Busses, der die Kinder des Motorsägenmannes abholt. Ich könnte mich als Fahrer bei dem Unternehmen bewerben. Ich kenne auch den minutiösen Tagesablauf der Eltern, weiß wann jedes Familienmitglied alleine Zuhause ist. Und von zwei der lärmenden Nachbarn habe ich sogar einen Haustürschlüssel. Tja, eben Pech, wenn man den Schlüsselbund an der Haustür hängen lässt und nicht damit rechnet, dass der gute Nachbar von Gegenüber nur fünf Sekunden braucht, um einen Schlüsselabdruck aus Kinderknete anzufertigen. Ich könnte auch im Dunkeln auf dem Rücksitz des dürren Motorsägen-Rowdies hocken und ihn auf der frühmorgendlichen Autofahrt zum Arbeitsplatz im Wagen überraschen. …Zufällig habe ich noch Chloroform im Keller. …Verrecken sollst du, du Ausgeburt der Unterwelt! Ruhig, …ganz ruhig, Rüdiger! Ich muss ruhig und besonnen vorgehen, wie jedes Mal, wenn es ans Eingemachte geht. Ruhig, …ganz ruhig.“ Nach den letzten, sehr leise und sanft betonten Worten waren die Augen des Mannes tiefrot unterlaufen und wirkten vom Ausdruck her bitterböse und eisig kalt. Nach ein bis zwei Minuten mit maskenhaft bewegungslosem Gesicht sagte er noch leiser als vorher: „Ich bekomme euch alle Vier! Ihr entkommt mir nicht!“ Mit dem gleichen, starren, dem Wahnsinn nahe scheinenden Gesichtsausdruck, schritt Rüdiger die vierzehnstufige, knarrende Treppe aus altem Kiefernholz in das kühle Kellergewölbe hinab. Er steuerte zielstrebig auf eine alte Holztruhe zu, deren Deckel mit einem Vorhängeschloss verriegelt war. Der wirr dreinblickende Mann öffnete das Schloss und hob den leicht klemmenden Deckel an, um zwei mit Schraubdeckel versehene Dosen aus der Truhe zu entnehmen. Dabei dachte er an den bereits verstorbenen Schreiner, der ihm vor Jahren die Truhe angefertigt hatte. Der Holzhandwerker hatte in jungen Jahren einen Mann, der ihn angriff mit einem Fausthieb todgeschlagen. Alleine deshalb mochte Rüdiger ihn. Wieder oben in seiner Wohnung angelangt, öffnete Rüdiger in der Küche beide Dosen und besah sich vorsichtig die weißbraune Pulversubstanz in deren Innerem, wohlbedacht nicht tief einzuatmen, um womöglich das Pulver einzuatmen. Er hätte bereits einen Mund -und Nasenschutz anlegen können, doch der Mann war den behutsamen Umgang mit Giftigkeiten unterschiedlichster Art gewohnt, denn er hatte schon früher Ärger mit gewissen Personen, mit denen er irgendwann abrechnen musste. Das Pulver, dass er sich besah, war nichts anderes als getrocknete und gemahlene Pilze, jedoch von den giftigsten Arten. Fliegenpilz, Knollenpilz, Blätterpilz und etliche artverwandte Unterarten, die Rüdiger kannte wie seine eigene Westentasche. Alles in konzentrierter Form. Ferner nahm der zu allem Entschlossene zwei komplette Packungen mit Tabletten aus seinem Küchenschrank, -sogenannte Blutverdünner, wie sie gerne von dopenden Ausdauersportlern genommen werden, um größere Leistungen zu erbringen. Er zerkleinerte die Tabletten mit einem über vierzigjährigen Granitmörser, der schon viel Leid und Verderb miterlebt hatte. Schließlich war nur noch feinstes Tablettenmehl vorhanden. Anschließend wog Rüdiger, dessen rechter Unterarm durch die Mörser-Stößel Zerkleinerungsarbeit muskulär zu einem wahren Kegel aufgepumpt war, weitere Zutaten ab. Dazu nahm er seine diskusscheibenähnliche Küchenwaage, die er aufgrund ihrer Form liebevoll Tellermiene nannte und die er, -wenn es eine echte Miene gewesen wäre, liebend gerne in den Gärten der Lärmverursacher deponiert hätte, zur Hand. Die weiteren Zutaten bestanden in der Hauptsache aus Mehl, Zucker und Butter, aber auch aus Eiern, Salz, Backpulver, Zitronenabrieb, Zimt, sowie einer feinen Vanilleschote und gemahlenen Mandeln. All dies knetete der Mann mit dem totenstarren Blick mittels einer nach verschmortem Stromkabel riechenden Uralt-Knetmaschine zu einem glatten, glänzenden Buttermürbeteig, der beabsichtigt noch sehr weich, -ja fast breiig war, denn anschließend knetete die Maschine noch mit niedrigstem Tempo des grauen Knetarmes das hinzu gefügte Giftpilzpulver und das blutverdünnende, weiße Tablettenmehl unter den Teig, der schlussendlich eine perfekte Konsistenz aufwies. Es war Rüdiger sehr wichtig, vor allem das giftige Pilzpulver, dass er bereits vor Monaten durch Trocknung und Mahlung der selbst gesammelten Pilze hergestellt hatte, erst kurz vor Knetende dem fertigen Teig zuzuführen, um eine Staubbildung in der Küche zu vermeiden, denn schließlich wollte er nicht selbst die giftigen Pilzsporen einatmen. Mittels etwas Weizenmehles Typ 405 auf dem Küchentisch und dem alten Rollholz, -dem im Taunus sogenannten Wälscherholz, welches ihm seine Mutter, die sich bereits vor neunzehn Jahren totgesoffen hatte, hinterlassen hatte, rollte Rüdiger den Teig auf einen guten halben Zentimeter Stärke aus. Danach teilte er mit einem Messer die Teigfläche durch vertikale und horizontale Schnitte in unzählige kleine Quadrate, die wiederum durch lange Querschnitte durch die gesamte Teigfläche, in Dreiecke verwandelt wurden. Da der Mann in jungen Jahren den Beruf des Bäckers von der Pike auf erlernt hatte, fielen ihm die präzisen Arbeitsschritte sehr leicht. Beim Anblick der Dreiecke huschte ein Lächeln, ein satansgleiches Lächeln, über Rüdigers Gesicht und er sprach kaum hörbar zu sich: „Diese Dreiecke gleichen der Schamhaarform der Schlampe, mit der ich acht Jahre zusammen leben musste. Sie hat mich nur Geld und Nerven gekostet und sie hat so viel geredet, dass sich bildlich gesprochen, meine Gehörgänge entzündeten. Mein Gott, sie konnte keine zwanzig Minuten das Maul halten. Aber am meisten ging sie mir mit ihrem allmorgendlichen Föhnlärm auf den Geist. Jeden Morgen! Aber Pech für sie, dass sie eines Abends beim Baden in der Wanne einschlief und der Föhn, dessen Kabel in der Steckdose war, rein zufällig ins Badewasser fiel. Zufällig, ..rein zufällig. F r e i h e i t für mich! Aber sie hat wenigstens einmal schön gezuckt, zeitgleich mit dem Rausspringen der Sicherung und dem Erlöschen des Lichtes. Und anschließend im Bett war sie mir auch dienlich, jedenfalls bevor die Leichenstarre eintrat. Na ja, nach einiger Zeit hat sie ja wieder nachgelassen. Und endlich alles ohne Wiederrede. Aber sie hat ständig aufgestoßen. Egal, alles egal!“ Zufrieden setzte Rüdiger die kleinen, hellen Teigdreiecke auf seine drei Backbleche und schob sie anschließend in den Backofen. Nach wenigen Minuten waren herrlich duftende Butterplätzchen entstanden und der Mann mit dem lüsternden Blick bedauerte, keines der kleinen Backwerke kosten zu dürfen, denn sie waren für Andere bestimmt. Drei Tage später ging Rüdiger zu einem frühabendlichen Zeitpunkt, -als alle vier “Lärmnachbarn“, -der hagere, nach Altschweiß stinkende, vergrämt dreinschauende Motorsägenmann, -der keinen Grashalm verschonende, wohl halbsenile Rasenmähermann, der penetrante und hochnäsige Hochdruckreiniger und schlussendlich der nervende Fußballkonferenzler, in ihren Häusern waren, zu jedem Einzelnen an die Haustüre, klingelte dezent und gab ihnen jeweils eine kleine Holzschale der selbst gebackenen Kekse. Er gab als Grund an, sich beim Rezept verrechnet zu haben und nun viel zu viel Gebäck zu haben für den Eigenverzehr. Zudem müssten sie rasch vernascht werden, da sie binnen eines Tages hart würden. Ferner dürften Kinder die Kekse nicht essen, da Alkohol in ihnen sei. Dies war freilich gelogen, denn es ging dem Mann einzig darum, dass die Lärmverursacher und gerne ihre genauso unsympathischen Lebenspartnerinnen das Backwerk rasch aßen. Mit keinem der Nachbarn hatte Rüdiger vorher jemals gesprochen, denn er mochte sie von Anfang an nicht, weil er Nachbarn die näher als einhundert Meter entfernt wohnten, generell nicht mochte, da er Menschen an sich nicht mochte. Gute Nachbarn waren für Rüdiger Nachbarn, die man weder sah, noch hörte. Alle Lärmverursacher nahmen das Gebäck dankend an, was den Mann im Grunde ein wenig überraschte, und so dachte er beim Betreten seines Hauses: „Ihr leichtgläubigen Arschlöcher!“ Kaum zwei Stunden später, -es war draußen schon dunkel, vernahm Rüdiger, der in der komplett verdunkelten Wohnung rücklings auf dem Bett lag und mit starren Augen auf die unsichtbar nachtdunkle Zimmerdecke blickte, ein bläuliches Lichtzucken zwischen den Schlitzen des Rollladen. Kurze Zeit später drang ein ähnlicher Lichtschein vom zweiten Fenster herüber. Das Blaulicht wurde mehr und mehr. Dazu immer mehr, teil aufgeregte Menschenstimmen und Klagelaute, die wie das heulende Elend klangen. Rüdiger erhob sich vom Bett, spannte tief einatmend seine kräftigen Brustmuskeln an und schritt mit zusammen gekniffenen Augen zu dem breitesten Rollladenschlitz, um hinaus auf die Straße zu schauen. Das spätabendliche Merzhausen vor seinem Haus war in zuckendes Blaulicht gehüllt. Der Mann sah mehrere Krankenwagen, etliche Polizeifahrzeuge und auf den ersten Blick drei Leichenwagen. Kaum hörbar sagte er zu sich: „Ihr Bestatter, jetzt habt ihr euren Festtag, könnt euch eure raffhalsigen Taschen vollschlagen. Und ihr ehrenwerten Notdienstmitarbeiter habt endlich früh Feierabend.“ Doch als Rüdiger mehr und mehr die wahre Situation realisierte rief er plötzlich mit zu Jubelfäusten geballten Händen: „Hahaa, Jauu, Gerechtigkeit! F r e i h e i t , …Es ist vollbracht!“ Unmittelbar nach diesen Worten schritt er in der dunklen Wohnung vom Schlafzimmer in die Küche. Etwa vierzig Minuten später klingelte es an Rüdigers Haustür, doch der Hausherr öffnete nicht. Nach mehrmaligem Klingeln verschafften sich die vor der Haustür wartenden Polizisten, durch Mithilfe eines Herren, welcher einen Schlüsseldienst betrieb, Zugang zu dem Gebäude, in dem kein einziges Licht brannte. Vier Polizisten gingen vorsichtig durch Wohnzimmer und Badezimmer, wo sie jedoch niemanden fanden. Dann betraten zwei der Beamten die Küche, schalteten das Licht an und entdeckten Rüdiger, der inmitten einer riesigen Blutlache bäuchlings auf dem Boden lag, neben einem umgekippten Holzstuhl und einem Brotmesser. Blutspuren fanden sich auch an einer Wand und dem Küchenmobiliar. Der Mann, der Lärm hasste, hatte sich mit dem Messer die Pulsadern geöffnet, -leise, ohne dass es jemand mitbekam.

 
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