Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

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3.5 Rütliwiese

3.5.1 Rütliwiese vor-ikonografisch (synchron)

Die Wiese bedeckt die höchst gelegene Zone der Anlage (Bilder 3 und 33). Den nördlichen Abschluss bildet die obere Scheune, den südlichen die mit Granitsteinen markierte Schusslinie. Seeseitig grenzt ein bewaldetes Steilbord die Wiese ein, hangseitig der Waldrand der steil ansteigenden Bergflanke. Nach der oberen Scheune verzweigt sich der Weg: Der eine geht geradeaus weiter zum höchsten Punkt, der andere dreht nach rechts. In dieser Weggabelung trägt eine Stange das Schild, das die Rütliwiese in den vier Landessprachen und in Englisch kennzeichnet; am Baum daneben weist ein Holzschild, Teil einer älteren Beschilderung, den Weg in Richtung Feuerstelle. Der Weg rechts teilt sich am höchsten Punkt erneut in zwei Fortsetzungen: Nach links führt er zur steinernen Sitzgruppe, geradeaus führt er einerseits hinunter zum neuen Stall, andererseits weiter auf dem alten Weg in den Wald hinein.

Auf dem höchsten Punkt der Wiese stehen drei schwere Granitsteinbänke – ähnlich denjenigen des Schwurplatzes – in einem Halbkreis, der Boden dazwischen ist mit dichtem Wurzelwerk bedeckt. Hinter den Bänken ragen drei, markant gekrümmte Föhren in den Himmel. Südlich davon zieht sich eine auffällige Granitsteinlinie der Hangkante entlang, die Schusslinie des historischen Rütlischiessens (Bild 33). Die Aussicht nach Osten ist durch die bewaldete Böschung verdeckt, nach Norden öffnet sich der Blick über den See in Richtung Brunnen und Mythen, nach Süden in Richtung Bristen und nach Nordwesten über den Wieshang mit den hölzernen Scheibenhalterungen des historischen Pistolenschiessens hinweg und hinauf zur goldenen Kuppel des ehemaligen Grandhotels Sonnenberg und dem danebenliegenden Schillerbalkon. Zwischen Bankgruppe und Scheibenhalterungen flattert die Schweizerfahne an einer hölzernen Stange, mitten auf der Wiese, von Weitem gut sichtbar.

Schweift der Blick nach Südwesten, trifft er in genau 300 Meter Entfernung auf ein steiles, gerodetes Waldstück. Dort befinden sich die Scheibenstandsvorrichtungen des 300-m-Rütlischiessens. In dieser Sichtachse, am Waldrand der Wiese, ist auf einem Stein eine kleine, beschriftete Bronzeplatte des Schweizerischen Schützenvereins angebracht (Bild 36).

3.5.2 Rütliwiese vor-ikonografisch (diachron)

Was 1860 für die Anlage insgesamt galt, war auch für die Wiese wichtig: Bäume sollten den Lichtungscharakter wiederherstellen, für satte Wiesen kam Dünger zum Einsatz.[463] Die einzige dokumentierte Zäsur erfuhr die Wiese, als sie nach dem intensivsten Besuchsjahr in der Geschichte des Rütlis überhaupt, am Ende des Jubiläumsjahrs 1941 derart beschädigt war, dass sie umgehackt und neu angesät werden musste.[464]

Wie der Plan der Anlage aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zeigt, wird die Stelle mit den drei Steinbänken, denen jeweils ein Baum zugeordnet ist, als Ruheplatz bezeichnet (Bild 7). Dieser Ruheplatz bildete den Höhepunkt des Rundweges über das Gelände und bot eine Aussichtsplattform auf See und Berge.[465] Daneben sollte er, wie bereits 1855, als Veranstaltungsort dienen für Feste grösserer Gruppen, für die der Schwurplatz nicht genügend Raum bot.[466] Zu diesem Zeitpunkt, also 1860, verstand die SGG unter der «Wiese» jenen Teil der Anlage, der sich unterhalb des Rütlihauses und des Quellplatzes erstreckte.[467] Die oben erwähnten Pläne wiederum verwenden den Begriff der Rütliwiese für das gesamte Gelände. Heute wird der ursprüngliche Ruheplatz als Rütliwiese bezeichnet. Diese Bedeutungsverschiebung dürfte schon sehr früh erfolgt sein, ein erster, eindeutiger Beleg fällt in das Jahr 1902.[468] Aber auch danach scheint eine Präzisierung immer wieder erforderlich gewesen zu sein, denn noch 1941 präzisierte die SGG in einer Medienmitteilung, dass die Jubiläumsfeier auf der «oberen Rütliwiese» stattfinde, verwendete aber an anderer Stelle einfach «Rütliwiese».[469]

Ältere Aufnahmen zeigen die Struktur der koordinierten Steinbank- und Baumgruppen noch an (Bild 34). Dadurch erscheint die Steinbank-Gruppe deutlich dichter mit Bäumen bestanden, als dies heute der Fall ist (Bild 33). Umgekehrt beeinträchtigte die Vegetation der abfallenden Böschung gegen Osten hin die Aussicht deutlich weniger als heute. Die Renovation 2008/2012 hat hier einerseits ursprüngliche Sichtachsen zumindest teilweise wiederhergestellt, andererseits den Baumbestand des zentralen Ruheplatzes auf drei Föhren konzentriert.[470]

Die heute so markante Schweizerfahne auf der Rütliwiese kam wohl erst im Jubiläumsjahr 1941 als Ausstattungselement hinzu.[471] Auch dann noch schien man Sorge zur neu gehissten Fahne tragen zu wollen und nahm sie bei schlechtem Wetter weg, worüber sich prompt ein Besucher beklagte.[472] Postkarten der Kriegs- und Nachkriegszeit zeigen die Wiese stets mit Fahne, ein Bild, das an Feiertagen und an schönen Sommerstagen sicherlich auch der Realität entsprach.[473] Doch auch vor 1941 wehte die Fahne ab und zu auf der Wiese: Sie wurde jeweils speziell für Feiern aufgestellt, so beispielsweise 1891 für die 600-Jahr-Feier,[474] 1938 und 1940 für die 1.-August-Feiern,[475] 1940 für den Rütli-Rapport.[476] Weitere Akzentuierungen erfolgten in der Nachkriegszeit. 1968 beschloss die Rütlikommission, dass auf der Wiese nur noch die Schweizerfahne gehisst werden dürfe,[477] 1982, dass die Fahne mindestens am 1.8., beim Rütlischiessen, am Bettag und an schönen Sommertagen wehen solle,[478] 1988 erhielt die Fahne eine Beleuchtung,[479] und 2012 schliesslich ersetzte eine Holzstange die bisherige aus Aluminium.[480]

Ursprünglich erschloss das Wegnetz die Rütliwiese von der oberen Scheune her direkt zu den Steinbänken und weiter nach Süden in Richtung der ehemaligen Baumschule (Bilder 7 und 34a). Erst seit den Arbeiten von 2008/2012 zweigt auf der Höhe der oberen Scheune der fahrbreit gehaltene Weg nach rechts ab, der die Wiese in weitem Bogen umfasst: Szenografisch wird so die Rütliwiese betont und zugleich, pragmatisch, die Zufahrt zum neuen Stall in der südlich gelegenen Senke sichergestellt.[481] Der alte, direkt zur Sitzgruppe führende Weg ist dennoch sicht- und begehbar geblieben. Ebenfalls im Rahmen der Arbeiten von 2008/2012 wurde die charakteristische Baumgruppe auf die drei Föhren reduziert, ein Laubbaum gefällt, die östlich gelegene Böschung gelichtet und die Schiesslinie neu mit Granitquadern gezogen.[482] Letztere dürfte nach 1891 entstanden sein, nachdem sich die Innerschweizer Sektionen des Rütli-Schützen-Vereins um dessen Anlegung bemüht hatten.[483] Die in 300 Metern Entfernung liegenden Anlagen des Rütlischiessens wurden im Verlauf der Zeit, bedingt durch die gewachsene Zahl der Schützen, wiederholt vergrössert und modernisiert.[484] Die jeweils am westlichen Hang der Wiese montierten Scheiben für den Pistolenschiessstand hatten durch die Jahrzehnte zu einer massiven Bleibelastung geführt, was im Jahr 2000 eine aufwändige Bodensanierung erforderte.[485]

Praktisch unsichtbar sind auf resp. unmittelbar neben der Rütliwiese zwei Denkmäler angebracht. 1960 jährte sich der Rütli-Rapport zum 20. Mal, der öffentliche Druck von verschiedenen Seiten, auf dem Rütli ein entsprechendes Gedenkzeichen zu errichten, erhöhte sich. Alt Bundesrat Etter beispielsweise schlug vor, eine Büste des Generals aufzustellen.[486] Die Kommission lehnte auch in diesem Fall sämtliche Vorschläge ab, stets mit dem wiederkehrenden Argument, wonach sie den Ort denkmalfrei halten und verhindern wolle, das Rütli in ein «Mausoleum» zu verwandeln.[487]

Die Weigerung der SGG führte ein Jahr später zum Plan des «Komittees für die Schaffung einer Gedenkstätte in Erinnerung an den Rütli-Rapport», einen schlichten Gedenkstein aufzustellen, und zwar oberhalb der Rütliwiese am Rand des steilen Fusswegs vom Rütli hoch zum ehemaligen Grandhotel Sonnenberg (Bild 35).[488] Diese randständige Positionierung war das Ergebnis eines Kompromisses: Der Gedenkstein gewährt einen direkten und nahen Blick auf den Ort des Rapports, liegt aber nicht auf dem Rütli-Grundstück, sondern unmittelbar an dessen Grenze auf Grund und Boden der Kooperation Uri (Bild 33).[489] Die Einweihung erfolgt 1967 am Jahrestag des Rütli-Rapports im Rahmen einer grossen Feier, an der unter anderem ein Bundesrat sowie der Präsident des Nationalrates eine Rede hielten.[490] Gygli, Generalstabschef der Armee, versuchte in seiner Ansprache, den abgelegenen Standort des Steins zu kompensieren, indem er die Bedeutung des symbolischen Ereignisses unterstrich. Die Fernsehbeiträge, die anlässlich der Einweihung ausgestrahlt wurden, verzichteten ironischerweise darauf, den Gedenkstein zu zeigen.[491] Die besondere Standortlösung mochte unbefriedigend erscheinen, insbesondere den Mitgliedern des Vereins «Dampferfreunde Vierwaldstättersee». Sie organisierten eine private Geldsammlung, in geringem Umfang auch durch die Öffentliche Hand unterstützt.[492] Am 40. Jahrestag konnten sie dann, unter dem Ehrenpatronat des Bundespräsidenten, in dessen Anwesenheit und derjenigen von Offizieren, ein Bronzerelief einweihen – sozusagen als schwimmendes Denkmal, da es sich im Vestibül des Dampfschiffes «Luzern» befindet, jenes Dampfers also, der den General 1940 auf das Rütli gebracht hatte.[493] Ein weiteres Bemühen um Gedenken darf darin gesehen werden, dass 1985 im Rütlihaus ein Porträt des Generals – zusammen mit einem Bild des Schöpfers des Rütlilieds – angebracht wurde (Bild 32).[494]

 

Der Schweizerische Schützenverein erhielt 1990 von der Rütlikommission die Erlaubnis, anlässlich der 700-Jahr-Feier der Schweiz auf dem Rütli ein sichtbares und bleibendes Zeichen zu setzen. Es sollte ein sogenannter Mutterstein mit Schrifttafel werden, platziert an einer für die Aussteigenden sichtbaren Stelle.[495] Vorausgegangen waren intensive Diskussionen, da die Kommission das selbst auferlegte Denkmalverbot auch in diesem Fall durchsetzen wollte. Zu Beginn wollten die Schützen einen anderthalb Meter hohen obeliskartigen Granitstein aufstellen. Diese prominente Zeichensetzung schien dem Verband angemessen, angesichts seines Gewichts mit seinen 500 000 Mitgliedern und der engen ideellen Verbundenheit mit dem Land: Die Schützen nahmen für sich in Anspruch, dass vor allem sie für das Vaterland und seine Verteidigung einstünden.[496] Diesen Argumenten begegnete die SGG durchaus positiv, zumal es nicht um die Ehrung einer Einzelperson ging und die Materialität sowohl dem Ort als auch der gewünschten Symbolik für Wehr- und Standhaftigkeit entsprach. Hingegen erkannten die Kommissionsmitglieder keinen Zusammenhang zwischen dem Verein und dem Rütli, und zudem befürchteten sie, dass Denkmäler weder zeitgemäss seien noch von den Besucherinnen und Besuchern akzeptiert würden. Daher bestand ein erster Kompromissvorschlag darin, dass ein in der Nähe der Schiffstation vorhandener Stein verwendet werden müsse. Es kam anders: Die ursprüngliche Idee, das Rütlidenkmal als Mutterstein zu setzen, scheiterte, denn die kantonalen Schützensektionen fanden sich nicht bereit, sogenannte Töchtersteine dezentral in den Kantonen zu platzieren. Daher beschlossen die Vertreter des Dachvereins, die intendierte Denkmalform auf eine Platte zu reduzieren.[497] Und diese kam, wie bereits erwähnt und auf Geheiss der SGG, auf einem Findling zu liegen, am Rand der Rütliwiese in der Schusslinie des 300-m-Schiessens (Bild 36).[498] Aus ursprünglich aufragenden, gut sichtbaren steinernen Zeichen war eine kaum sichtbare Metallplatte geworden.

3.5.3 Rütliwiese ikonografisch/ikonologisch

Die ursprünglich konzipierte Anlage zeugt zum einen von der intendierten touristischen Nutzung: Die Steinbänke wurden zu Beginn als Ruheplatz bezeichnet, die wunderschöne Aussichten auf die Mythen und den Bristen gewährten. Diese Funktion ist heute durch den östlich gelegenen Baumbestand teilweise eingeschränkt. Zum anderen könnte die halbkreisförmige Anordnung der schweren Steinbänke auch auf einen Versammlungsort hindeuten, der, wie schon der Schwurplatz, einem Thingplatz ähnlich sieht.[499]

Die Schweizerfahne auf der Wiese ist bedeutsam, vor allem weil sie seit 1941 nicht mehr nur für besondere Anlässe aufgestellt wird, sondern den Ort nun kontinuierlich und von Weitem gut sichtbar markiert. Noch 1908 hatte die Rütlikommission den Vorschlag abgelehnt, im Sommer eine das Rütli kennzeichnende Fahne aufzustellen, da ihr dies für eine Gaststätte typisch schien.[500] Allgemein gilt, dass nationale Flaggen bei praktisch keiner patriotischen Inszenierung im politischen Leben fehlen.[501] Sie kann beispielsweise nationalen Besitz resp. nationale Besitznahme oder staatliches Andenken markieren und entweder als motivisch-attributives Beiwerk oder als eigenständiger Ausdrucksträger erscheinen; stets ist sie jedoch Symbolträger ersten Grades nach Speitkamp.[502] Im Falle der Rütliwiese lässt sich eine Entwicklung vom Beiwerk zum eigenständigen Ausdrucksträger ausmachen: von der Dekoration bei speziellen Anlässen hin zu einer ständigen und selbstständigen Ausdrucksform staatlicher Präsenz, ja nationalen Andenkens. Ähnlich der Markierung von Berggipfeln verweist die Fahne auf den, im übertragenen Sinn, höchsten Ort des Rütlis und könnte so spätestens ab den 1940er-Jahren – allenfalls befördert durch den Rütli-Rapport und vor allem auch durch das 650-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft – vom Schwurplatz und dem Rütlihaus die Funktion als zentraler Punkt des Denkmalgeländes übernommen haben. In der Verbindung mit dem Rütli-Rapport kommt der Flagge zudem auch eine militärische Symbolik zu als Zeichen der Wehrhaftigkeit und -bereitschaft.

Ganz im Sinne dieser postulierten Zentrumsfunktion hat sich die Wiese von einem Aussichtspunkt mit historisierendem Mobiliar zu einem symbolträchtigen Ort entwickelt – ganz besonders durch die neueste Renovation 2008/2012: die Dreizahl der Föhren bei den Ruhebänken, die Fahnenstange aus rohem Holz, der neue Weg, der das Umschreiten der Wiese geradezu inszeniert. Zum Symbolwert tragen überdies zwei Denkmäler bei, die auf oder nahe der Rütliwiese liegen. Beide bestehen hauptsächlich aus einem grösseren Naturstein, sind praktisch unsichtbar und kommemorieren höchstens indirekt den Ursprungsmythos. Die beiden ersten Eigenschaften verhindern, dass die Naturhaftigkeit der einfachen Alpwiese gestört wird.

Insgesamt wirkt die Gestaltung in dreierlei Hinsicht. Die Rütliwiese hat sich von einem vor allem touristisch gedachten Aussichtspunkt mit historisierendem Mobiliar zu einem in mehreren Schichten symbolhaften Ort entwickelt. Die Schweizerfahne markiert sichtbar und für alle wiedererkennbar einen zentralen Ort, den Ort des Gründungsmythos. Die Naturhaftigkeit des Ortes schliesslich ist erhalten trotz der intensiven, aber sehr diskreten Gestaltung, die sogar zwei Denkmalkörper umfasst.

3.6 Picknickplatz

3.6.1 Picknickplatz vor-ikonografisch (synchron)

An der südöstlichen Ecke des Geländes, auf steil abfallendem Felsen über dem See, liegt – etwas überraschend – ein geräumiger Platz. Aus Beton gegossene, pflanzlich-organisch geformte Tische und Hocker markieren die Infrastruktur für Picknicks, die überdies zwei Feuerstellen und ein überdachtes Holzdepot umfasst (Bild 37). Ein aus Granitplatten gefertigter Brunnen, ein Geschenk des Rotary Clubs Uri, spendet Wasser. Der Platz ist umzäunt und bietet grosszügige Ausblicke in südöstliche und südliche Richtung.

3.6.2 Picknickplatz vor-ikonografisch (diachron)

Der Plan aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zeigt eine Möblierung des heutigen Picknickplatzes, die im Wesentlichen aus vier Elementen bestand (Bild 7). Am ältesten sind sicherlich Teile des den Platz beschreibenden Wegsystems, die 1864 fertiggestellt waren.[503] Der prägende Eingriff erfolgte mit der feierlichen Einweihung des Krauer-Greith-Denkmals im Mai 1884.[504] Initiiert durch den Gesangsverein des Kantons Luzern liess die Rütlikommission ein schlichtes Denkmal errichten zu Ehren der Schöpfer des Rütliliedes,[505] also des Dichters Krauer und des Komponisten Greith. Es bestand aus einem grossen Granitblock, der die beiden Porträtmedaillons sowie die folgenden Inschriften in Metall-Lettern trug:

DEN SÄNGERN DES RÜTLILIEDES. DICHTER / J. G. KRAUER / von Emmen Cant. Luzern / geb. 1792, gest. 1845 / COMPONIST / JOS. GREITH / Rapperswyl Ct. St. Gallen / geb. 1798, gest. 1868. <Zwischen beiden Medaillons> 1821 /Hier standen die Väter zusammen / Für Freiheit und heimisches Gut / Und schwuren beim heiligsten Namen / Zu stürzen die Zwingherrenbrut / Errichtet 1884.

Den nun angelegten Denkmalplatz durchzogen neue Wege, die ihrerseits mit dem bereits vorhandenen Weg verbunden wurden. Wohl zu diesem Zeitpunkt kamen die auf dem Plan erkennbaren, einen Halbkreis beschreibenden Steinbänke dazu (Bild 7). Ihre Ausrichtung nach Westen in Richtung Denkmal legt diese Vermutung nahe. Sie dienten also als funktionale Objekte dieses nunmehr dritten Ruheplatzes zur Kontemplation des Denkmals.[506] Die wohl ältesten Aufnahmen des nunmehr als Denkmalplatz bezeichneten Ortes dürfte, aufgrund des Postkarten-Layouts, aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen (Bilder 38 und 39). Sie zeigen nicht nur die naturhafte Gestalt des Denkmals, sondern auch das sich verzweigende Wegsystem sowie die imposante Sichtachse auf den südlich gelegenen Bristen. Die Steinbänke bleiben unsichtbar – ob sie tatsächlich realisiert worden waren?

Die nächste wesentliche Umgestaltung erfolgte Ende der 1960er-Jahre, als die Rütlikommission das Denkmal wieder abtragen liess.[507] Dieser Denkmalsturz resultierte aus dem Entscheid der Kommission, die eigenen Prinzipien konsequent umzusetzen und das Rütli denkmalfrei zu halten. Als sich 1960 der Rütli-Rapport zum 20. Mal jährte und der öffentliche Druck, auf dem Rütli ein entsprechendes Gedenkzeichen zu errichten, massiv erhöhte, entschied sich die SGG kurzerhand, das einzige vorhandene Denkmal zu entfernen.[508] Zu diesem Zeitpunkt dürfte die Umbenennung zum Picknickplatz erfolgt sein.

Die Möblierung in den Jahren danach ist nicht dokumentiert, bis heute sichtbar bleibt einzig der 2005 eingeweihte Brunnen des Rotary Clubs Uri.[509] Zu seinem Jubiläum schenkte der Club dem Bund diesen Brunnen mit der Absicht, in jeder Urner Gemeinde entlang des Weges der Schweiz weitere Brunnen aufzustellen. Aufgrund der markanten und stelenartigen Gestalt behielt sich die SGG das Recht vor, den Brunnen nach zehn Jahren zurückzubauen. Von diesem Recht machte die SGG keinen Gebrauch, vielmehr wurden die beiden Granitstelen in das neue Erscheinungsbild integriert, das die umfassende Renovation von 2008/2012 geschaffen hat. Die Landschaftsarchitekten bezogen sich für das neue Mobiliar aus Tischen und Hockern auf den ursprünglichen Rodungscharakter des Ortes und liessen stilisierte Baumstrünke aus dem modernen Material des Betons giessen, um so Tradition und Zeitgemässes zu verbinden. Frei geschlagene Sichtachsen gewähren wieder – wie im 19. Jahrhundert – freie und weite Sicht in die umgebende Landschaft. Das Kreuzmuster des neuen Holzgeländers mit Kreuzmuster bezieht sich mit dieser Formensprache auf die bis in die Zwischenkriegszeit vorhandenen Geländer auf dem Rütli.

3.6.3 Picknickplatz ikonografisch/ikonologisch

Dieser Teil der Anlage veränderte seine Funktion während des Untersuchungszeitraums deutlich. Als südlichster und exponiert gelegenener Punkt war er zu Beginn als weiterer Ruheplatz gedacht auf dem Rundgang über das Rütli. 1884 gewann er einige Bedeutung als Ort des einzigen Denkmals auf dem ganzen Gelände, erhielt die Gestalt eines Platzes sowie eine entsprechende Bezeichnung. Nach Beseitigung des Krauer-Greith-Steins wurde der Denkmalort in einen Picknickplatz verwandelt, in einen freizeitbezogenen Ort. Inwiefern die Abtragung des Denkmals auf einen veränderten geschichtskulturellen Kontext verweist, wird in Kapitel 3.9.1 ausgeführt.

 

Insgesamt konzentriert sich die Gestaltungsabsicht dieses Ortes auf zwei wesentliche Elemente. Einerseits hat der Platz die ursprüngliche touristische Funktion wiedererlangt, indem das markante Denkmal abgetragen wurde und sich danach eine funktionale Bezeichnung des Ortes als Picknick-Platz etablieren konnte. Andererseits hat sich das Mobiliar dieses touristischen Ortes gut sichtbar – für das Rütli eine Ausnahme – der Zeit angepasst. Die erstaunlich moderne Möblierung nimmt keinen Bezug auf den Gründungsmythos, sondern knüpft an die natürlichen Ressourcen und Traditionen an.

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