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Markus Schweitzer
SCHWARZ
Isar-Kilometer 148
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1 Wohlfühlschwarz
2 Leuchtendes Schwarz
3 Schwarzer Schleier
4 Schwarze Glut
5 Gelbschwarz
6 Schwarzer Strudel
7 Feuchtklebriges Schwarz
8 Elastisches Schwarz
9 Schwarzer Tunnel
10 Sumpfiges Schwarz
11 Samtiges Mattschwarz
12 Glitterndes Schwarz
13 Schwarz auf Schwarz
14 Tiefschwarz
Epilog 1 – Absorbierendweiße Kälte
Epilog 2 – Farbige Schwärze
Nachwort
Impressum neobooks
1 Wohlfühlschwarz
Schwarz. Schwarz ist Schwarz. Ist Teil dieser Welt. Keine Welt ohne Schwarz. Es ist der Gegenpol zum Licht. Schwarz gibt dem Leben Tiefe, Fülle, Abgründe. Die Augen gewöhnen sich an das Dunkel und das Schwarz lässt das Licht leuchten. Das Schwarz ist die Basis, der Hintergrund, das umgebende Universum, vor dem sich alles andere präsentiert und behaupten muss. Schwarz inszeniert. Das andere, nicht sich selbst. Das Schwarz ist bescheiden, es verstärkt das andere, es ist ein Multiplikator. Das macht das Schwarz auch gefährlich. Selbst überlassen breitet es sich aus, besetzt, füllt, vereinnahmt jeden freien Raum. Wie in einem Vakuum schwillt es an. Je größer es wird, desto intensiver verstärkt es das andere. Bis es das andere absorbiert, frisst, schwärzt. Das Schwarz braucht das andere nicht, aber toleriert es, lässt es zu. Das andere hingegen braucht das Schwarz. Um zu leuchten, zu glänzen, hervorzustechen, präsent zu sein. Die Schönheit des Schwarz‘ liegt außerhalb. Im anderen. Die Schönheit des anderen überträgt sich auf das Schwarz. Überzieht es mit Glanz, hüllt es in einen reflektierenden Nebel ein. Das Schwarz ist neutral.
Schwarz. Schwarz ist immer vorhanden, wird immer mitgedacht, beeinflusst alles, auch in seiner scheinbaren Abwesenheit. Es ist nicht möglich das Schwarz an sich, das Schwarz als Konzept zu entfernen ohne auch das Weiß zu eliminieren. Schwarz ist eine reale Illusion. Ein Konstrukt aus Materialeigenschaft und Licht. Ein menschliches Konstrukt, ein Konstrukt menschlicher Wahrnehmung. Schwarz ist, was als Schwarz wahrgenommen wird. Schwarz ist, was Schwarz bedeuten soll. Schwarz bedeutet, was Schwarz als Bedeutung injiziert wird. Es reflektiert die Bedeutung seines Kontexts. Des Kontexts eines Individuums. So wird das neutrale Schwarz zu einem parteiischen, individuellen, subjektiven Schwarzkonstrukt. Das niemand anders in voller Tiefe verstehen kann als man selbst. Es ist eine Illusion, die nur im Individuum real wird. Eine Illusion, die grundlegend für die Innen- und Außenwahrnehmung eines Individuums ist. Schwarz ist eine subjektive Illusion, die als objektiv gilt, als objektiv kommuniziert wird. Neutral bis es mit Bedeutung aufgeladen wird. Schwarz ist negativ. Schwarz ist positiv. Schwarz ist neutral. Schwarz ist subjektiv.
Schwarz. Schwarz ist vielfältig, bunt. Es ist facettenreich. Schwarz ist subjektiv und kontextabhängig. Ob eine Fläche schwarz, grau, im Schatten liegend farbig oder sogar weiß ist, basiert auf einer subjektiven Bewertung. Schwarz ist nur ein Eindruck, als mentales Konstrukt ist es vergänglich. Schwarz ist eine Frage der gemachten Erfahrungen, des Lichts, der Umgebung, der Stimmung. Ist eine weiße Wand im Dunkeln betrachtet weiß oder schwarz? Kontextlos betrachtet ist sie schwarz, bestenfalls grau. Kontextbezogen betrachtet ist sie vielleicht weiß. Schwarz oder weiß, schwarz oder farbig ist eine Frage des individuellen Kontexts und der Perspektive. Einer immer individuell geprägten Perspektive. Sie ist vom Gefühl, vom Wohlbefinden jedes einzelnen Betrachters beeinflusst. Schwarz hat zunächst keine wertende Bedeutung. Schwarz bedeutet nicht unbedingt gleich düster, dunkel, finster. Häufig ist Schwarz positiv besetzt, ein klares Statement, eine bewusste Entscheidung, ein Gestaltungsmittel. Diese Bewertung beruht nicht auf objektiv darstellbaren, realen Kriterien und ist doch subjektive Realität. Schwarz ist daher so vielfältig wie die Menschheit. Jeder Mensch hat sein eigenes Schwarz, geht auf eigene Art und Weise mit seinem Schwarz um. Entwickelt es weiter, macht es farbig oder entfärbt es. Schwarz ist kein Zustand, es ist ein Prozess. Schwarz bedeutet nicht statischer Stillstand, sondern dynamische Bewegung. Schwarz an sich ist neutral, die Zuweisung von Attributen, das Empfinden in der realen Situation hingegen ist subjektiv konnotiert. Schwarz ist bunt.
Schwarz. Schwarz kann sich verändern, kann aktiv verändert werden. Schwarz kann die Seele fressen, es kann sich explosiv ausbreiten und alles Farbige überdecken. Es kann Momente der Unachtsamkeit, der fehlenden Selbstdisziplin ausnutzen, um sich in allen noch so kleinen Poren und Ritzen festzusetzen. Es kann alles andere verdrängen. Das Laufen hält das Schwarz in Schach, verwandelt das Schwarz, gibt ihm eine positive Konnotation zurück. Das Laufen bedeutet Disziplin, es hat selbst eine schwarze Seite, die das Laufen erst ermöglicht. Das Laufen reicht dem Schwarz die Hand zu einer produktiven Koexistenz. Es will das Schwarz nicht verdrängen, vernichten, es will das Schwarz nutzen und integrieren. Das Laufen nutzt die schwarze Energie, die schwarze Kraft, die schwarze Unerbittlichkeit und bringt die schwarze Schönheit zum Vorschein. Das Schwarz und das Laufen bilden eine fragile, ständig neu auszutarierende Balance. Sie wird ständig neu verhandelt. Jeder Lauf eine Verhandlung an deren Ende ein neues Kräfteverhältnis steht. Jedes Vordringen des Schwarz eine Aufforderung neu zu verhandeln. Eine Verhandlung ist jederzeit möglich, das Schwarz stellt sich jeder Aufforderung, jeder Herausforderung. Das Schwarz ist neutral, ohne Willen, ohne Hintergedanken, ohne Präferenzen. Schwarz ist veränderbar.
Schwarz. Schwarz ist ein kontrastierendes Element. Schwarz ist der maximale Kontrast zu Weiß. Weiß der maximale Kontrast zu Schwarz. Dabei lässt ein unendlich tiefes, unendlich dicht komprimiertes, undurchdringliches Schwarz keinen Kontrast zu. Ein solches Schwarz kennt keinen Kontrast. Wenn die Farben aus der Wahrnehmungswelt verschwinden, spricht man von dem Wahrgenommenen als etwas in Schwarz-Weiß. Wie ein Schwarz-Weiß-Foto. Schwarz-Weiß-Kontrast. Blickschärfendes Schwarz. Hervorhebung durch Reduktion. Verstehen durch Entfremdung. Grau beschreibt diese Wahrnehmung jedoch meistens treffender. Ein Zustand, eine Situation in Graustufen. Ein fließender Übergang ohne Farben, ohne Farbinformation. Weich. Ein Schwarz-Weiß hingegen ist sehr hart. Ohne Grautöne ohne Zwischentöne, extrem, hart, kantig. Zuspitzend, betonend und fordernd. Einen harten Gegenpol bildend. Feinheiten, Details egalisierend. Es bedeutet das komplette Ausblenden von Zwischenstufen, Zwischentönen, von allem Weichen, allem Vagen. Es ist kompromisslos. Verschwinden zusätzlich zu den Zwischentönen noch die Strukturen und Konturen, ist Schwarz wirklich schwarz. Tiefe gebendes Schwarz. Undurchdringliches Schwarz. Aber Schwarz muss nicht so kompromisslos hart sein. Schwarz kann Textur haben. Es kann samtig und weich sein. Es kann rau und porös daherkommen. Oder eben hart und glatt. Im Kontrast neutral. Kontrastierendes Schwarz.
Isar-Verlauf
Er mag das Schwarz. Er mag das Laufen. Beides gehört für ihn zusammen. Beim Laufen tariert sich die Balance zwischen beidem in ihm aus. Das Schwarz in seinem Inneren ist nach dem Laufen ein anderes als davor. Jeder Schritt eine Veränderung des Schwarz. Jeder Meter ein Stück Weg zum schwarzen Gleichgewicht. Er läuft im Schwarz, mit dem Schwarz, für das Schwarz, gegen das Schwarz. Schritt für Schritt eine Neudefinition seines eigenen, individuellen, subjektiven Schwarz. Jeder Lauf ist eine Neuverhandlung des Schwarzanteils in ihm und um ihn herum. Er läuft um zu neutralisieren. Das Schwarz zu neutralisieren.
Die Isar ist sein ständiger Begleiter. Sie ist immer da, nie gleich, jedes Mal neu. Mal ruhig und sanft, mal rau und wild, aber immer unterschwellig gefährlich. In ihrem Verlauf vom Ursprung bis zur Mündung verändert sie sich. Meter für Meter, Kilometer für Kilometer wird sie erwachsener, verliert ihren wilden Charakter, der in gezähmte Konformität übergeht. Steinig rau, grünlich bemoost, einem Rinnsal ähnelnd, tröpfelt sie die ersten Meter durch das Erdreich. Verwandelt sich schnell in einen klaren verwunschenen Bach, rundherum mit grünem Moos bewachsen, schwarz verwittert, leicht zu überspringen, ohne bemerkenswerte Tiefe. Eingeschlossen im Karwendelgebirge, sich einen Weg grabend, schnell breiter werdend. Klares Wasser, von den Seiten kommend, lässt sie schneller fließen, gibt Breite und Tiefe, sprudelt über Gesteinsbrocken und Kiesel hinweg, unter als improvisierte schmale Brücken dienenden Baumstämmen und Brettern hindurch. Sucht sich ständig sich verändernde Wege durch riesige Kiesflächen, säuselt an den Rändern der im Kiesbett mäandernden Rinnsale. Vorbei an Nadelbäumen, natürlichen, grauen Schutthalden, Endmoränen und grünen Wiesenflächen, sich immer breiter verteilend durch tiefe Schluchten. Transparentes Wasser wird auf weiß scheinenden hellgrauen Kieseln zu einem durchdringenden Türkis, funkelnd, glitzernd sich endlos bewegend. Sich massegewinnend schlängelnd, immer lauter rauschend. Um dann, jetzt noch nur wenige Kilometer alt, ein erstes Mal ausbeutend gebändigt zu werden.
Flach noch breitet sie sich dann in der Ebene zwischen den Bergen im weit erscheinenden Kiesbett aus, das türkisfarbene Wasser sich in einer Hauptrinne bündelnd, am Rande des Kiesbetts mal kleinere, mal größere Bäume, Tannen, Latschenkiefern, mal eine Straße, ein Weg oder ein Trampelpfad, mal steil aufsteigende Hänge. Auch das Ufer mal flach, dann wieder höher mit harten Abbruchkanten, unterspült teilweise, den Querschnitt der Landschaft freilegend, offenbarend und präsentierend. Büsche ragen in das Wasser, Zweige, Äste, Bäume vereinnahmen den Raum über der fluiden Wasseroberfläche. Hier und da Kiesbänke zwischen den flachen Wasseradern. Am Ufer teils Zaunpfosten, ohne Verspannung, durchlässig eine Abgrenzung markierend. Unter der transparent türkisfarbenen, sich kräuselnden Wasseroberfläche erscheinen Steine und Kiesel wie unter der Lupe, Bewegung vortäuschend. Nahezu unbemerkt überschreitet das Wasser die Ländergrenze zwischen Österreich und Deutschland. Unbeeindruckt macht die Natur keinen Unterschied zwischen den Ländern. Wie reingeworfen bilden Felsbrocken, aus der Wasseroberfläche stechend, eine mal mehr, mal weniger durchlässige Sperre im Fluss. Mal vereinzelt, mal in der Gruppe entwickeln die Felsbrocken ein Eigenleben im rauschenden Wasser und reflektierenden, wechselhaften Sonnenlicht. Treibholz türmt sich auf Kiesbänken und im kurvigen Uferbereich mit fast vergessenen, versteckten Ecken.
Dann, fast unvermittelt gehen die großzügigen, freien Uferbereiche in befestigte, gezähmte, den Fluss zügelnde, kanalisierende Ufer über. Sie zwängen das Wasser in eine definierte Breite. Ordnen es der menschlichen Zivilisation unter, sperren streckenweise den Menschen aus. Der Fluss wird industrialisiert, ausgebeutet. Dann, einer kurzen Erholung gleich, wird die Landschaft wieder weiter, das Kiesbrett breiter, die Ufer deregulierter. Auf den teils höher gelegenen Ufern zeugen die Buckelwiesen von zahllosen kleinen Moränen aus der Würmeiszeit. Auen tun sich auf, um dann genauso unvermittelt wieder zu verschwinden. Deichen platzmachend. Milchigtürkis mäandert das Wasser im wieder breiter werdenden Kiesbett zwischen Sand- und Kiesbänken dahin. Weite Auen, spärlich grasbewachsen, abwechselnd mit grünen Wiesen, Büschen und Sträuchern. Seitlich einmündende Bäche und Rinnsale, während sich das türkisfarbene Wasser durch Nadelholz bewaldete Hügel schlängelt. Plötzlich sich zu einer Art See weitend. Um dann, Wahrzeichen seiner Industrialisierung, in den Sylvensteinspeicher zu münden. Gelblich lehmige Uferbereiche, teils mit Büschen und Gras bewachsen, rahmen das petrolgrüne Wasser des künstlichen Sees, rundum eingeschlossen von Bergen. Die Landschaft spiegelnd erstreckt sich die weite Wasserfläche dahin. Gelbgrüne Wiesen, kontrastierend zum Türkis und Petrol des Sees. Schlammmarken markieren verschiedene Wasserstände, offenbaren den niedrigen Wasserstand. Freigelegte Baumstümpfe gefällter Bäume, morbide aus dem schlammigbraunen, flachen Wasser im Uferbereich ragend. Bräunlichgelbe Flecken aus Blütenstaub auf der Wasseroberfläche treibend. Tier-, Vogelspuren im Schlick. Feuerstellen vergangener Lagerfeuer an trockenen Sommerabenden. Dümpelnde, grün beplante Boote am Ufer. Die kaltgrüne Oberfläche des Speichersees zieht sich lang dahin, um dann tief unten, einer künstlich erzeugten, parasitären Astgabel gleichend, den Fluss wieder freizugeben.
Das Wasser wieder freier fließend, das Flussbett weitend. Zögerlich erst, dann zu größerem Selbstbewusstsein zurückkehrend. Das Wasser fließt wieder türkisfarben über weiße, wo vom Uferwasser nur leicht benetzt bräunlichgelbe Kiesel, zur Flussmitte hin mit steigender Wassertiefe immer intensiver gefärbt bis hin zu einem Dunkeltürkis. Treibholz am Rand, morsche, verwitterte Baumstämme im Kiesbett liegend. Das Wasser, Sträucher umspülend, vom Kiesbett Besitz ergreifend. Dann wieder eingezwängt zwischen baumbestandenen, definierten Ufern, tiefer nun, smaragdgrün durchgefärbt, die weißen Kiesel verdeckend. Um sich bald darauf wieder auszuweiten. Der Fluss schlängelt sich durch die Landschaft, die Berge immer weiter zurückrückend, sich mal einseitig, mal beidseitig mehrere Meter tief in die weißbraunen, oben bewachsenen Kiesufer eingrabend. Vorbei an Stauwehren. Die Ufer mal steppengleich, mal bewaldet, mal riesige Kiesflächen und -bänke. Immer im Wechsel von eng geführter Zähmung und ungezähmter Ausbreitung, von kurzzeitiger Stauung und freifließendem Gewässer.
Das Wasser allmählich wechselnd von Türkis zu Hellbräunlich, das Flussbett veralgend, Schlick ablagernd, die Kiesel teilweise bemoost, von Algen umwickelt. Abschnittsweise fast wieder so klar wie an der Quelle. Streckenweise sich aufteilend in einen Kanal und den Fluss, nebeneinanderher fließend, dem Fluss Energie und Wasser raubend. Richtung München, durch München hindurch, an München vorbei. Um München herum von zahlreicher werdenden Brücken überspannt. Vorbei an und begleitet von erholungsuchenden Großstädtern. Eine grüne, wenn auch künstliche, Ursprünglichkeit vortäuschende Schneise durch die Zivilisation grabend. Fast durchgehend eingedeicht jetzt, fast unmerklich, unaufdringlich noch.
Hinter der Stadt die Deiche in immer größerer Brutalität, aufdringlich, rücksichtslos, je näher die noch entfernte Mündung rückt. Säumende Wälder mit immer älter werdenden Bäumen, morsch, brüchig, verwachsen, verwunschen, bemoost. Durch aufgebrochene Erdschichten drängen untere Gesteinsschichten im Flussbett nach oben. Nagelfluh, von früherer maritimer Vergangenheit berichtend, erscheint wie im Fluss planlos ausgeschütteter Beton. Knallgrün leuchtet das fast phosphoreszierende Moos im Unterholz, während das kanalisierte Wasser immer dunkler, brauner, älter wird. Die Frische des Ursprungs fast vergessen, die Berge nur noch eine vage Ahnung. Felder und Wiesen als neuer Rahmen. Trotzdem noch anmutig, teilweise wild, das Wasser noch klar. Vorbei an zahlreichen Wehren, durch flache Landschaft jetzt, Schilf und Gras am Ufer, weniger werdende Kiesstrände, kleinere Kiesbänke, die meisten großflächig bewachsen.
Auf dem letzten Viertel wechseln sich große Stauseen mit kanalisierten Abschnitten ab. Jahrelang vergessene Boote verrotten im Schatten von Isar 1 am Rand des Stausees, verschmutzt, bemoost, von Blättern bedeckt, teils gesunken. Endzeitstimmung angesichts der nahenden Mündung. Die Wassermassen der Stauseen von hohen Deichen gezähmt, sich aus der Landschaft erhebend. Zwischen den Stauseen sich lang erstreckende Deiche, gen Mündung die Wälder hinter den Deichen abtrennend, die unterhalb der Deiche ein eigenes Leben führen. Zum Wasser hin hohes Gras, Schilf, Pflanzen. In der Sommerhitze drückende Schwüle verbreitend. Zum Schluss hin bis zur Mündung befestigte Ufer. Das Wasser der Isar sich unspektakulär, fast scheu mit der Donau verbindend. Der Fluss, nach vorübergehender Breite, hier in einem nahezu schmalen Bett fließend. Braun, dunkel, verblüht, erschöpft. Sich auflösend.
Schwarzglänzend
Schwarze Nässe. Feuchtglänzend erstreckt sich das frische Schwarz des ausgehenden Winters und des bald kommenden Frühlings. Vollgesogen mit Schmelzwasser und Regen die vermodernde Basis des Neuen bildend. Grobkörniger schwarzer Dreck. Feingranular flüssiger, schwarzer Schlamm. Plattgedrückt schwarz verfaulendes Grün. In den Augen brennend, an den Füssen klebend. Sich verspritzend überall verteilendes, flüchtiges Schwarz. Schwer, feucht, erdig riechend. Gehaltvolles, nahrhaftes Schwarz. Klammer Schatten des Winters, schmieriger Vorbote des aufkeimenden Frühlings. Schwarzdurchnässte, sich ausbreitende Feuchte.
Er läuft erwartungsvoll auf die Isar zu. Gespannt, wie sie sich heute darstellen wird. Es ist morgens, die Luft frisch, die Sonne gerade hinter den Wolken aufgetaucht. Das Schwarz der Nacht gerade verblasst. So früh sind noch nicht ganz so viele Leute unterwegs. Die Isar und die Stadt wachen gerade auf, während er schon munter ist. Er schaut nach links auf die Isar, läuft rechts der Isar in Richtung der weit entfernten Donaumündung. Sieht das Wasser, die ersten Enten, die sich noch müde mit dem Wasser treiben lassen. Sieht, wie die Sonnenstrahlen die letzten noch verbliebenen Herbstblätter bunt erleuchten. Sieht die noch nicht abgetrocknete Morgenfeuchtigkeit auf den immergrünen Blättern und den Grashalmen. Er läuft ohne auf den Weg zu achten, den Blick von links nach rechts und wieder zurück schweifen lassend. Läuft an einer Staustufe vorbei und hört das erst lauter und dann mit zunehmender Entfernung wieder leiser werdende Rauschen des Wassers, das über die Stufe weiß schäumend nach unten stürzt und, eine kleine Walze bildend, sich wieder glättend weiterströmt. Er läuft an einigen wenigen anderen Joggern vorbei. Bekannte Gesichter, unbekannte Personen. Er spürt den vom gestrigen Regen aufgeweichten samtigen Boden unter den Füssen. Überspringt kleine Pfützen. Weicht Fliegen und anderen umherschwirrenden Insekten aus, versucht die zwitschernden Vögel zu erspähen. Läuft vom baumbestandenen Weg ins Freie, über eine Brücke. Spürt die Wärme der aufsteigenden Sonne, sieht über die freie Wasserfläche zurück. Sieht die frischen Nagespuren eines Bibers an einem mittlerweile rechtwinklig umgeknickt in der Isar liegenden Baumstamm. Die hellen frischen Späne am Boden.
Er läuft rechts abbiegend weiter. An alten ausgehöhlten, von Insekten durchbohrten, zersetzten, fast schon zu Staub zerfallenden Baumstämmen vorbei. An Brücken vorbei, unter Brücken hindurch. In und um München herum ist die Brückendichte über die Isar hoch. Während sonst etliche Kilometer lang keine Brücke den Wechsel auf die andere Isarseite erlaubt, überspannt hier mindestens alle paar hundert Meter eine Brücke den Fluss. Verbindet beide Seiten zu einer Einheit. Macht den Fluss auch von der Wassermitte aus erlebbar. Bietet einen Blick aus der Vogelperspektive auf die Wasseroberfläche hinab. Er läuft vorbei an Feldern, über kleine Seitenkanäle und Bäche. Erfreut sich an der durch für Strommasten geschlagene Schneisen scheinenden Sonne. Läuft nun fast direkt auf die Sonne zu. Der Weg an der Isar größtenteils flach steigt mal auf mehrere Meter über dem Wasserspiegel an, um dann wieder fast auf dasselbe Niveau mit dem Wasserspiegel hinabzuführen. Führt mal direkt am Wasser lang, um dann von Bäumen und Büschen, mal auch durch eine Wiese oder eine größere Baumgruppe vom Wasser getrennt zu werden. Hat schattig kühle und sonnig schwüle Passagen. Irgendwann kehrt er um, läuft an den nun mehr werdenden anderen Joggern, Radfahrern und Fußgängern vorbei. Sieht die Isar nun aus der anderen Perspektive. Fühlt sich locker und leicht. Spürt keine Anstrengung. Erfreut sich an der wärmer werdenden Luft und einer nun aufkommenden leichten Brise. Läuft nun mit der Sonne im Rücken in den Morgen hinein, in einen neuen Arbeitstag. Aus der beruhigenden, gefühlt unberührten Natur in die umtriebige Stadt hinein. Mit neu gesammelter Energie und Motivation. Ausgepowert und doch energiegeladen.