Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Technologien

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Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Technologien
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Markus Schäfer

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Verlag Barbara Budrich GmbH, Opladen, Berlin & Toronto

www.budrich.de

ISBN 978-3-8474-2388-1 (Paperback)

eISBN 978-3-8474-1612-8 (E-Book)

eISBN 978-3-8474-1594-7 (PDF)

DOI 10.3224/84742388

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung und Titelbildnachweis: Bettina Lehfeldt, Kleinmachnow

Satz: Bernd Burkart, Weinstadt-Baach

Lektorat: Dr. Andrea Lassalle, Berlin

E-Book-Conversion: CPI books GmbH, Leck

Inhalt

Vorwort

Was bietet dieses Lehrbuch?

Zum Umgang mit diesem Lehrbuch

1 Kompetenzentwicklung für die digitale Welt – strukturgebende Elemente

2 Bildungswissenschaftliche Referenzen und Anforderungen

3 Konsequenzen für die Entwicklung von Designprojekten

4 Zur Bedeutung des Mediums Film als Bildungsmedium

5 Erklärfilme: Eigenschaften, Produktionstechniken und Verwendungszwecke

6 Designprojekte durchführen

6.1 Themenfindung und Anlässe – Einstiege

6.2 Das Manuskript

6.2.1 Organisatorisch-strukturelle Implikationen

6.2.2 Didaktische Implikationen

6.2.3 Moderierende Faktoren und Analysesituationen

6.3 Deklamation und Audioproduktion

6.3.1 Organisatorisch-strukturelle Implikationen

6.3.2 Mediendidaktische Implikationen

6.3.3 Moderierende Faktoren und Analysesituationen

6.4 Videoschnitt

6.4.1 Organisatorisch-strukturelle Implikationen

6.4.2 Mediendidaktische Implikationen

6.4.3 Moderierende Faktoren und Analysesituationen

6.5 Designprodukte veröffentlichen und nachnutzen

6.5.1 Potentiale und Defizite des Mediums 2D-Film als Bildungsmedium

6.5.2 Veröffentlichungsstrategien für Designprodukte

6.5.3 Moderierende Faktoren und Analysesituationen

7 Kompetenzentwicklung in Designprojekten beurteilen

8 Designprojekte moderieren – übergreifende Phänomenologie

9 Praxisbeispiel: von der analogen Lernsituation zum digitalen Designprojekt

10 Digitale Tools für die Lehre

10.1 Themenfindung und Vorbereitung

10.2 Manuskript

10.3 Nachnutzung und Distribution

10.4 Evaluation

11 Designprojekte organisieren – eine Zusammenstellung von Varianten

12 Fazit und Ausblick

13 Glossar

14 Abbildungen

15 Tabellen

16 Literatur

[7] Vorwort

Das World Wide Web stellt einen grenzenlosen Raum dar, der stetig wächst: Tag für Tag, Stunde für Stunde und Minute für Minute kommen neue Inhalte hinzu. Der Mensch erschafft einen Raum, den alle jederzeit betreten können; es gibt keine Diskrimination aufgrund von intellektuellen Fähigkeiten, Einkommen, Lebensweisen, Kontakten, Einstellungen, Status etc. Jeder Mensch darf hier seine inhaltlichen Überzeugungen ausdrücken und seinen Wissensdurst stillen. Allein die Server des Internetgiganten Youtube speichern in jeder Minute rund 400 Stunden ‚neues‘ Videomaterial (vgl. Google 2019). Dabei geht es nicht nur um Unterhaltungsvideos. Vielmehr teilen die Nutzer*innen laut Malik Ducard, Director of Family and Learning bei Youtube, täglich auch über eine Million explizit als Tutorials bzw. Informationsvideos ausgewiesene Inhalte (vgl. Ducard 2017). Diese Entwicklung hat Folgen. So sind die klassischen Bildungsanbieter und -systeme weltweit mit einem Phänomen konfrontiert, das als Privatisierung der Aus- und Weiterbildung charakterisiert werden kann. „Schließlich erhielt ich online eine weitaus bessere und sogar viel praxisbezogenere Ausbildung für meine spätere Laufbahn [sic] als die Schule sie mir jemals bieten konnte“, schreibt Edward Snowden in seinem Buch Permanent Record und liefert die Erklärung für das Phänomen, das sich offensichtlich schon in den frühen 1990er Jahren abzeichnete (Snowden 2019: S. 59). Was vor knapp 30 Jahren, zu Beginn des digitalen Zeitalters wie wir es heute kennen, nur Spezialisten möglich war, ist mittlerweile zum Massenphänomen avanciert. Das Wissen der Welt erschließt sich heute scheinbar selbstverständlich per Mausklick. So werden auf den Youtube-Servern täglich eine Milliarde Stunden Video-Wiedergabezeit registriert (vgl. Google 2019). Wir erleben aktuell, dass Youtube und Co. die institutionalisierten sekundären, tertiären und quartären Systeme der Aus- und Weiterbildung mit ihren weitgehend frei verfügbaren textuellen, visuellen und audiovisuellen Inhalten strukturell beeinflussen und mit ihnen in Konkurrenz treten. Wissenschaft und Praxis sind sich mittlerweile weitgehend einig darüber, dass es auch für die Akteur*innen der formalen Bildung an der Zeit ist, die Enkulturation digitalisierter Bildungsformate, wie sie das Word Wide Web und seine Dienste anbieten, aktiver mitgestalten und einbinden sollten, als sie das bisher tun. Diese Notwendigkeit ergibt sich zum einen aus dem offensichtlich vorhandenen Aktivierungspotenzial [8] digitaler Medien und Technologien. Zum anderen geht es aber auch darum, nicht-kommerzielle, inklusive, freiheitliche und demokratische Strukturen zu stärken. Die Entwicklung entsprechender Bildungsformate beinhaltet in diesem Verständnis die Produktion und Distribution von qualitätsgeprüften Medien, die Anregung zu kreativer und künstlerischer Aktivität, die Auseinandersetzung mit medienethischen und medienrechtlichen Fragestellungen und die lernwirksame Rezeption digitaler Medien in institutionalisierten Kontexten. Sie schließt eine kritische Bewertung digitaler Inhalte mit ein und nimmt auch die Realisierungsformate sowie die Produktions- und Distributionstechnologien in den Blick. Es geht nicht darum die konventionelle Lehre zu digitalisieren, indem einzelne Elemente (Fachbücher, Arbeitsblätter, Kreativtechniken etc.) digital umgesetzt werden. Die isolierte Integration digitaler Applikationen und Technologien greift in einer digital geprägten Kultur deutlich zu kurz (vgl. Kapitel 10)! Der Fokus muss vielmehr auf der Entwicklung und der Implementierung bildungswissenschaftlich fundierter und ganzheitlich digitalisierter didaktischer Konzepte liegen. Es geht darum eine Lernkultur entstehen zu lassen, die kreatives Gestalten, konstruktives Zusammenarbeiten (Kollaboration), kritisches Denken und kommunikatives Handeln in den Mittelpunkt stellt. Diese Kultur entsteht nicht voraussetzungslos. Sie muss vielmehr bildungswissenschaftlich fundierte und reflektierte Lernräume eröffnen. Sie hat Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, die an der Entfaltung des Humankapitals eines jeden einzelnen Menschen ausgerichtet sind. Die digitale Welt bietet theoretisch geradezu revolutionäre Möglichkeiten dazu, eine mitbestimmte und demokratische Lehre zu organisieren und Teilhabehürden abzubauen.

 

[9] Was bietet dieses Lehrbuch?

Das vorliegende Lehrbuch greift die skizzierten Entwicklungen auf, indem es die lernwirksame Produktion und Rezeption des Mediums Film bzw. Video in den Mittelpunkt eines ganzheitlichen didaktischen Ansatzes stellt. Es präsentiert ein didaktisches Konzept, mit dem eine aktivierende, bildungswissenschaftlich fundierte Lehre mit digitalen Medien und Technologien methodisch in Form von Projekten umgesetzt werden kann (vgl. Dewey & Oelkers 2010; Frey 1996; Gudjons 2009). Das Konzept integriert dazu einen Transformationsprozess, der konventionelle Seminare bzw. Lehrveranstaltungen in digital organisierte, lerner*innenaktive Lernprojekte überführt. Diese Lernprojekte werden im Folgenden auch als Designprojekte bezeichnet. Designprojekte stellen ein didaktisches Organisationsformat dar, das eine digital organisierte, kreative und lerner*innenaktive Auseinandersetzung mit Sachinhalten ermöglicht. Lerner*innen entwickeln dabei in produktiven Schreib-, Vortrags- und Gestaltungsprozessen ihre Fachkompetenz, während sie sich gleichzeitig mit Fragen der Medienethik, der Mediennutzung und der Mediengestaltung auseinandersetzen. Lerner*innen werden in Designprojekten zu Designer*innen: Sie entwickeln funktionale Produkte und gestalten neue, virtuelle Lernräume. In Designprojekten erhält die Produktorientierung – ein tradiertes Merkmal der klassischen Projektpädagogik – eine besondere Bedeutung (vgl. Kapitel 2). Diese resultiert daraus, dass sich digitale Handlungsprodukte, wie sie in Designprojekten entstehen, von den Produkten konventioneller Lernprojekte unterscheiden. Während diese reale Produkte (Plakate, Arbeitsblätter, Bauteile etc.) hervorbringen, die in der Regel eine begrenzte Haltbarkeit besitzen, nur bedingt verändert bzw. angepasst werden können und sich eher selten für eine nachhaltige Nutzung eignen, geht es in Designprojekten um die Entwicklung von digitalen Handlungsprodukten mit einer klar definierten Funktion: Sie dienen als offene Lernressourcen. Digitale Handlungsprodukte (Texte, Filme, Audios, Grafiken etc.) bieten gegenüber analogen Medien in der Regel den Mehrwert, dass sie theoretisch unendlich lange haltbar sind und beliebig angepasst, erweitert, geteilt, verändert, integriert und aggregiert werden können. Designprojekte integrieren damit die Erkenntnis, dass Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken im 21. Jahrhundert ein besonderer Stellenwert als Schlüsselqualifikationen zukommt, [10] in ein bildungswissenschaftlich fundiertes Konzept. Sie transformieren klassische Lernsituationen aus den Kategorien

•Dokumentation von Prozessabläufen

•Aufarbeitung von Theorieinhalten

•Entwicklung von Dokumentationen (Veranstaltungen, Maschinen, Geräte etc.)

in einen kreativen, digital organisierten Lehr-/Lernprozess (vgl. Kapitel 6.1). Dabei entstehen hochwertige Designprodukte (Manuskripte, Audios, Kurzfilme), die in wechselwirkenden Kontexten als offene Lern- oder Informationsressourcen, in Flipped-Classroom-Konzepten, geteilt, überarbeitet, erweitert und nachgenutzt werden können (vgl. Kapitel 6.5). Designprojekte eignen sich für praktisch alle Lernorte – von der Universität bis zum handwerklichen Ausbildungsbetrieb.

Die Leser*innen erfahren im Lehrbuch u. a., wie das designorientierte didaktische Konzept

•Erklärvideos hervorbringt, die als qualitätsgeprüfte Lernressourcen in beliebigen Lern- bzw. Content-Management-Systemen oder auf Youtube & Co. nutzbar gemacht werde können;

•die Auseinandersetzung mit rechtlichen, ethischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Mediennutzung integriert;

•den Umgang mit Fachsprache zielgerichtet, transparent und kontrollierbar trainiert;

•es ermöglicht, eine Portfolio-Analyse in den Ausbildungsprozess zu integrieren und damit ein effektives Instrument zur Leistungs- bzw. Fachkompetenzbeurteilung zur Verfügung stellt;

•über die Mediennutzung motivationspsychologische Potentiale entfaltet und lerner*innenaktives Handeln im Prozess des Lernens fördert;

•digitale Lernprojekte (Designprojekte) zu einem pädagogischen Standard werden lässt;

•die Erkenntnisse aus der Projektpädagogik nutzt, um den Einsatz digitaler Medien und Technologien in einem bildungswissenschaftlich fundierteren Setting umzusetzen.

[11] Zum Umgang mit diesem Lehrbuch

Das Lehrbuch stellt nach einer Einführung in die Thematik (Kapitel 1) in den Kapiteln 2 und 4 grundlegende bildungswissenschaftliche Bezüge des didaktischen Konzepts vor. Diese Kapitel richten sich entsprechend eher an Leser*innen, die sich für die theoretische Grundlegung der Entscheidungsprozesse zum Konzept interessieren.

Für einen eher praxisorientierten Einstieg gibt es zwei alternative Möglichkeiten, mit dem Buch zu arbeiten: Für erfahrene Praktiker*innen bietet die Lektüre von Kapitel 6 zur Phasierung von Designprojekten einen systematischen Einstieg in die Arbeit mit Designprojekten. Die Kapitel 6.1, 6.2, 6.3, 6.4 und 6.5 differenzieren die Phasen eines Designprojekts jeweils in drei Blöcken (organisatorisch-strukturell, didaktisch und bildungswissenschaftlich moderierend) aus.

Zusätzlich ist auch ein Schnelleinstieg möglich. Das in Kapitel 9 vorgestellte exemplarische Designprojekt kann hier als Ausgangspunkt für die Entwicklung eigener Designprojekte dienen. Verweise auf Detailinformationen und auf die Handlungsprodukte (vgl. www.kfz4me.de und www.designorientierung.de) ermöglichen die gezielte Vertiefung einzelner Aspekte. Kapitel 11 liefert eine Übersicht zur möglichen Diversifikation. Das Kapitel stellt Designschemata für den praktischen Einsatz zur Verfügung. Die verschiedenen Schemata entstehen, indem das Konzept in seinen Phasen über Varianten ausdifferenziert wird. Die Varianten ermöglichen in ihren unterschiedlichen Aggregationen die entsprechenden Designschemata. Hier werden auch Hinweise dazu gegeben, wie hoch der jeweilige Implementierungsaufwand für die Lehrkräfte ist und welche methodischen Anforderungen die jeweilige Variante an die Lerner*innen selbst stellt.

Die Besonderheit dieses Lehrbuchs ist, dass es aus der Praxis heraus entwickelt wurde. Zugleich liefert es aber auch ein bildungswissenschaftlich fundiertes Instrumentarium, mit dem Lehrkräfte eigene Designprojekte prozessual evaluieren und steuern können. Kapitel 8 stellt moderierende Faktoren vor, die Designprojekte phasenübergreifend begleiten. Spezielle Hinweise zu den moderierenden Faktoren finden sich zudem direkt in den jeweiligen Unterkapiteln zur Organisation von Designprojekten im Kapitel 6.

[13] 1 Kompetenzentwicklung für die digitale Welt – strukturgebende Elemente

„Experten fordern Einbindung von Youtube im Unterricht“ titelt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung in einem Beitrag vom 04.06.2019 (Schumacher 2019) und verweist auf eine vom IFAK Institut Taunusstein im Auftrag des Rates für Kulturelle Bildung e. V. durchgeführte Studie zur Nutzung kultureller Bildungsangebote an digitalen Kulturorten (vgl. IFAK 2019). Die IFAK-Studie bestätigt Erkenntnisse, auf die von der Jugendstudie Information und Multimedia (z.B. mpfs 2018) bereits seit einigen Jahren hingewiesen wird. Regelmäßig wird hier die wachsende Bedeutung des Mediums Film bzw. Video als Lern- und Informationsmedium im Allgemeinen und des digitalen Kulturortes Youtube im Speziellen betont. Youtube zählt danach mittlerweile für knapp zwei Drittel der Jugendlichen zu einem ihrer drei liebsten Internetangebote und platziert sich damit deutlich vor Netflix, Facebook, Instagram & Co (vgl. mpfs 2018: S. 34). In der aktuellen JIM-Studie 2018 geben zudem 19 % der befragten 12- bis 19-jährigen Mädchen und 22 % der Jungen dieser Altersgruppe an, täglich Youtube-Videos für die Schule zu schauen (vgl. mpfs 2018: S. 50). Bemerkenswert ist dabei die Konklusion der IFAK-Studie: Mit Vehemenz empfiehlt sie, dass das Bildungssystem mit seinen Akteur*innen digitale Kulturorte als Lernorte ernst nehmen solle und fordert aktive Beteiligung. Man solle das Feld nicht kampflos räumen, sondern aktiv mitgestalten, eigene Formate entwickeln und diese in der Fort- und Weiterbildung implementieren (vgl. IFAK 2019: S. 8). Auch der Vorsitzende des Rates für kulturelle Bildung, Eckart Liebau, spricht in diesem Zusammenhang die bereits erwähnten strukturellen Veränderungen im System an. Es zeige sich, dass die Grenzen zwischen formalen und informellen Kompetenz- und Bildungsprozessen durchlässiger würden. Dabei seien es aktuell vor allem die Nutzer*innen selbst, die diese Bildungswelten zusammenbrächten. Liebau weist darauf hin, dass die neue Bildungskonstellation mit erheblichen Folgen für das Lernen, aber auch für Schule und Unterricht verbunden seien (vgl. Schäfer 2018). Es gehe nicht nur um die mediale Erweiterung des Angebots und der individuellen Nutzungsmöglichkeiten, sondern um eine grundsätzliche Neuausrichtung von Aus- und Weiterbildungsangeboten. Eine zentrale Herausforderung sieht Liebau dabei darin, dass kommerzielle, nicht öffentlich kontrollierte Player [14] mittlerweile eine zentrale Rolle für Bildungsprozesse einnehmen und dadurch auch die Meinungs- und Persönlichkeitsbildung der Konsument*innen massiv beeinflussen. Hier fordert er Bildungspolitik und Bildungsinstitutionen auf, mit der neuen Verschränkung von kommerziellen nicht öffentlichen und öffentlichen Bildungswelten angemessen umzugehen und eigene didaktische Konzepte für die Filmentwicklung und die rezeptive Filmbildung zu entwickeln (vgl. IFAK 2019: S. 4).

Die genannten Studien zeigen, dass das Medium Film, das sich als Lernmedium ab den späten 1970er Jahren nie wirklich durchsetzen konnte, in der digitalen Welt eine neue Chance erhalten hat. Der Film, genauer der Kurzfilm, erfährt im Zeitalter der Digitalierung und Informatisierung als Lernmedium in seinen vielfältigen Formaten eine deutlich gesteigerte Wertschätzung. In diesem Lehrbuch wird dieser Aspekt aufgenommen, indem es ein didaktisches Konzept ausdifferenziert, das die konventionelle Lehre über digitale Transformationsprozesse anreichert und im Medium Film dokumentiert: Das designorientierte didaktische Konzept richtet das bildungswissenschaftlich fundierte Konzept der Projektpädagogik im Medium Kurzfilm zeitgemäß digital aus und integriert es in eine Lernkultur, die kreatives Gestalten, konstruktives Zusammenarbeiten (Kollaboration), kritisches Denken und kommunikatives Handeln in den Mittelpunkt stellt.

Bevor das zweite Kapitel die bildungswissenschaftliche Grundlegung einer designorientierten Didaktik im Kontext projektpädagogischer Ansätze skizziert, sollen in diesem ersten Kapitel einführend strukturgebende Elemente der Konzeptentwicklung erläutert werden. Die designorientierte Didaktik will hier einen Beitrag dazu leisten, dass die Lehre in einer digital geprägten Kultur ein konkretes Umsetzungsformat erhält und fokussiert mit ihrer fächerübergreifenden und ganzheitlichen Ausrichtung einen inklusiven und interdisziplinären Ansatz (vgl. GI 2016). Welchen Beitrag das Konzept dazu leisten kann (Medien-)Kompetenzentwicklung ganzheitlich in die Lehre zu integrieren, wird im ersten Abschnitt des Kapitels beleuchtet. Im zweiten Abschnitt geht es um medienpädagogische Fragestellungen im Kontext bildungswissenschaftlicher Implikationen. Den Abschnitten zu den genannten Elementen sind im Folgenden jeweils zentrale Aussagen in einem Teaser vorangestellt.

[15] Die Vorbereitung auf das Leben und Arbeiten in der digitalen Welt muss die Digitalisierung als kulturellen Prozess begreifen, der praktisch alle Lebensbereiche betrifft. Das Management der mit der Digitalisierung einhergehenden Herausforderungen stellt entsprechend zunächst eine Querschnittsaufgabe dar. Diese Aufgabe ist für den Bereich „Schule“ über die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ in ihren Kompetenzbereichen spezifiziert worden.

 

Auch wenn die Dynamik digitaler Transformationsprozesse nur schwer zu fassen ist, spiegeln sich die skizzierten Empfehlungen und Forderungen, die sich aus den genannten Studien (vgl. mpfs 2018; IFAK 2019) ergeben, bereits in zahlreichen Handreichungen und Strategieempfehlungen aus Politik und Wissenschaft wider (vgl. GI 2016). Mit der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, die von der Kultusminister-Konferenz (KMK) am 08.02.2016 vorgelegt wurde, soll der ‚Supertanker‘ Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland für eine Lernwelt fit gemacht werden, in der die Informatisierung weitreichende, auch strukturelle Veränderungen in den institutionalisierten Bildungssystemen der Sekundarstufe I und II bewirkt. In einer gemeinsamen Strategie haben sich hier alle Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, ihre Bildungssysteme auf der Grundlage eines Kompetenzrahmens weiter zu entwickeln. Die Kompetenzen in der digitalen Welt, die dabei definiert wurden, umfassen sechs Kompetenzbereiche mit insgesamt 22 Dimensionen (vgl. KMK 2016).

Das von der KMK ausdifferenzierte Konzept wird von den einzelnen Bundesländern zwar teilweise modifiziert und akzentuiert, es schafft aber eine abgestimmte Rahmung für die Entwicklung zeitgemäßer didaktischer Formate und bietet Orientierung. Auch die Entwicklung der Konzepte, die dieses Lehrbuch zur Verfügung stellt, wurden durch die KMK-Strategie inspiriert. Die folgende Tabelle stellt die Kompetenzbereiche entsprechend der KMK-Vorgabe im Original dar. Die Anzahl der vergebenen Sterne zeigt in einem Vorgriff auf die Ausführungen zum eigentlichen Konzept in den folgenden Kapiteln, dass mit der Umsetzung einer designorientierten Didaktik zahlreiche Kompetenzbereiche unmittelbar (*) bzw. mittelbar (**) adressiert werden können.

[16] Tabelle 1: Medienkompetenzentwicklung in Designprojekten. In enger Anlehnung an die Kompetenzbereiche der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“


1. Suchen, verarbeiten und aufbewahren
1.1 Suchen und filtern: Arbeits- und Suchinteressen klären und festlegen; Suchstrategien nutzen und weiterentwickeln; in verschiedenen digitalen Umgebungen suchen; relevante Quellen identifizieren und zusammenführen **
1.2 Auswerten und bewerten: Informationen und Daten analysieren, interpretieren und kritisch bewerten; Informationsquellen analysieren und kritisch bewerten **
1.3 Speichern und abrufen: Informationen und Daten sicher speichern, wiederfinden und von verschiedenen Orten abrufen; Informationen und Daten zusammenfassen, organisieren und strukturiert aufbewahren **
2. Kommunizieren und kooperieren
2.1 Interagieren: mit Hilfe verschiedener digitaler Kommunikationsmöglichkeiten kommunizieren; digitale Kommunikationsmöglichkeiten zielgerichtet und situationsgerecht auswählen *
2.2 Teilen: Dateien, Informationen und Links teilen; Referenzierungspraxis beherrschen (Quellenangaben) **
2.3 Zusammenarbeiten: digitale Werkzeuge für die Zusammenarbeit bei der Zusammenführung von Informationen, Daten und Ressourcen nutzen; digitale Werkzeuge bei der gemeinsamen Erarbeitung von Dokumenten nutzen **
2.4 Umgangsregeln kennen und einhalten (Netiquette): Verhaltensregeln bei digitaler Interaktion und Kooperation kennen und anwenden; die Kommunikation der jeweiligen Umgebung anpassen; ethische Prinzipien bei der Kommunikation kennen und berücksichtigen; kulturelle Vielfalt in digitalen Umgebungen berücksichtigen *
2.5 An der Gesellschaft aktiv teilhaben: öffentliche und private Dienste nutzen; Medienerfahrungen weitergeben und in kommunikative Prozesse einbringen; als selbstbestimmter Bürger*innen aktiv an der Gesellschaft teilhaben **
3. Produzieren und präsentieren
3.1 Entwickeln und produzieren: mehrere technische Bearbeitungswerkzeuge kennen und anwenden; eine Produktion planen und in verschiedenen Formaten gestalten, präsentieren, veröffentlichen oder teilen **
3.2 Weiterverarbeiten und integrieren: Inhalte in verschiedenen Formaten bearbeiten, zusammenführen, präsentieren und veröffentlichen oder teilen; Informationen, Inhalte und vorhandene digitale Produkte weiterverarbeiten und in bestehendes Wissen integrieren **
3.3 Rechtliche Vorgaben beachten: Bedeutung von Urheberrecht und geistigem Eigentum kennen; Urheber- und Nutzungsrechte (Lizenzen) bei eigenen und fremden Werken berücksichtigen; Persönlichkeitsrechte beachten **
4. Schützen und sicher agieren
4.1 Sicher in digitalen Umgebungen agieren: Risiken und Gefahren in digitalen Umgebungen kennen, reflektieren und berücksichtigen; Strategien zum Schutz entwickeln und anwenden *
[17] 4.2 Persönliche Daten und Privatsphäre schützen: Maßnahmen für Datensicherheit und gegen Datenmissbrauch berücksichtigen; Privatsphäre in digitalen Umgebungen durch geeignete Maßnahmen schützen; Sicherheitseinstellungen ständig aktualisieren; Jugendschutz- und Verbraucherschutzmaßnahmen berücksichtigen **
4.3 Gesundheit schützen: Suchtgefahren vermeiden, sich selbst und andere vor möglichen Gefahren schützen; Digitale Technologien gesundheitsbewusst nutzen; digitale Technologien für soziales Wohlergehen und Eingliederung nutzen *
4.4 Natur und Umwelt schützen: Umweltauswirkungen digitaler Technologien berücksichtigen
5. Probleme lösen und handeln
5.1 Technische Probleme lösen: Anforderungen an digitale Umgebungen formulieren technische Probleme identifizieren; Bedarfe für Lösungen ermitteln und Lösungen finden bzw. Lösungsstrategien entwickeln
5.2 Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen: eine Vielzahl von digitalen Werkzeugen kennen und kreativ anwenden; Anforderungen an digitale Werkzeuge formulieren; passende Werkzeuge zur Lösung identifizieren; digitale Umgebungen und Werkzeuge zum persönlichen Gebrauch anpassen **
5.3 Eigene Defizite ermitteln und nach Lösungen suchen: eigene Defizite bei der Nutzung digitaler Werkzeuge erkennen und Strategien zur Beseitigung entwickeln; eigene Strategien zur Problemlösung mit anderen teilen **
5.4 Digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen: effektive digitale Lernmöglichkeiten finden, bewerten und nutzen; persönliches System von vernetzten digitalen Lernressourcen selbst organisieren können *
5.5 Algorithmen erkennen und formulieren: Funktionsweisen und grundlegende Prinzipien der digitalen Welt kennen und verstehen; Algorithmische Strukturen in genutzten digitalen Tools erkennen und formulieren; eine strukturierte, algorithmische Sequenz zur Lösung eines Problems planen und verwenden
6. Analysieren und reflektieren
6.1 Medien analysieren und bewerten: Gestaltungsmittel von digitalen Medienangeboten kennen und bewerten; interessengeleitete Setzung, Verbreitung und Dominanz von Themen in digitalen Umgebungen erkennen und beurteilen; Wirkungen von Medien in der digitalen Welt (mediale Konstrukte, Stars, Idole, Computerspiele, mediale Gewaltdarstellungen etc.) analysieren und konstruktiv damit umgehen **
6.2 Medien in der digitalen Welt verstehen und reflektieren: Vielfalt der digitalen Medienlandschaft kennen; Chancen und Risiken des Mediengebrauchs in unterschiedlichen Lebensbereichen erkennen, eigenen Mediengebrauch reflektieren und ggf. modifizieren; Vorteile und Risiken von Geschäftsaktivitäten und Services im Internet analysieren und beurteilen; wirtschaftliche Bedeutung der digitalen Medien und digitaler Technologien kennen und sie für eigene Geschäftsideen nutzen; die Bedeutung von digitalen Medien für die politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung kennen und nutzen; Potenziale der Digitalisierung im Sinne sozialer Integration und sozialer Teilhabe erkennen, analysieren und reflektieren *

[18] In welcher Tiefe die KMK-Kompetenzbereiche bzw. Dimensionen in den jeweiligen Seminaren, Unterweisungen, Veranstaltungen oder Unterrichtseinheiten adressiert werden, richtet sich im Detail danach, wie das jeweilige Training angelegt ist und welche Ziele mit dem Training verfolgt werden. Selbstverständlich können einzelne Kompetenzbereiche in Designprojekten immer auch explizit thematisiert werden. Auch die Integration von überfachlichen Kompetenzfeldern, z. B. Datenschutz, Informationskritik, Cyberkriminalität, Medienkonsum oder informationstechnische Grundlagen, ist möglich: So kann ein Designprojekt zum Beispiel Designprodukte (Manuskripte, Audios, Videos etc.) zum Thema Cyberkriminalität und Datensicherheit hervorbringen.

Die KMK-Kompetenzbereiche gelten zunächst für den allgemeinbildenden Elementar-, Primar- und Sekundarbereich I. Berufliche Aus- und Weiterbildungsprozesse im Sekundarbereich II sowie im Tertiär- und Quartärbereich knüpfen bei der Vorbereitung auf die Arbeitswelt von heute und morgen dynamisch an die Kompetenzen an, die an den allgemeinbildenden Schulen im Sekundarbereich I und II erworbenen werden. Wegen der Nähe zu realwirtschaftlichen Produktions- und Beschäftigungssystemen ist die berufliche Aus- und Weiterbildung vom technologischen Wandel durch die Digitalisierung allerdings besonders betroffen: Der aus der Digitalisierung resultierende Handlungsdruck zur Implementierung digitaler Transformationsprozesse ist im realwirtschaftlichen Umfeld existenziell. Die Zielsetzung beruflicher Bildung – der Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz – bedingt hier entsprechend, dass der Kompetenzerwerb grundsätzlich im Kontext von digitalen Arbeits- und Geschäftsprozessen angelegt werden muss. Entsprechend sind die Institutionen der Aus- und Weiterbildungssysteme zusätzlich dazu aufgefordert, sehr spezielle Entwicklungen wie das Internet der Dinge, Industrie bzw. Wirtschaft 4.0, Wissensmanagement, smartes Handwerk, digitales Bauen, E-Commerce, smarte Landwirtschaft oder E-Health in ihren Bildungsplänen und Seminaren zu berücksichtigen. Dem bildungswissenschaftlichen Primat der Zukunfts- und Gegenwartsbedeutung folgend, sollten diese durch die Digitalisierung ausgelösten Entwicklungen dynamisch in den Bildungsplänen, Ausbildungsordnungen und didaktischen Jahresplanungen abgebildet und in den Bildungsgängen implementiert werden.