Franz und das Schwarz

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Franz und das Schwarz
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Franz und das Schwarz

1  Impressum

2  Titel

3  Widmung

4  Vorwort

5  Für dich

6  Franz und das Etwas

7  Teil 1

8  Rückwärts, blind mit Selbstjustiz

9  Finsterwald

10  Miss Almadeamor

11  Der Pythagoräer

12  Flaschenpost

13  Flavius

14  Der Basilisk

15  Hang zur Misanthropie

16  Das schwarz-weiße Haus

17  Zwei Mal sehen

18  Teil 2

19  Das Verlangen

20  Kadavergehorsam

21  Das Oxymoron

22  Bigotterie und Verum

23  Maskenball mit Marie Antoinette

24  Philanthropie durch surreale Eidetik

25  Die Avantgarde

26  Der Blechmann

27  Kaliban

28  Unter der Erde

29  Teil 3

30  Das Summen des Funkens (Dechiffriert)

31  Segeln

32  Devot bis zum Herzstillstand

33  Vagabund der Anderswelt (Reformation des Geistes)

34  Ich rufe dich

35  Die Einsiedler (eine unbekannte Zeit)

36  Herkunft bestimmter Figuren und ihrer Namen

37  Danksagung

38  Der expressive Extremist

39  Über den Autor

Impressum

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by Marius Rehwalt

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber

David Walther

Dornblüthstraße 21

01277 Dresden

0173 3714104

Umschlaggestaltung und Motiv: Marius Rehwalt

Für Fragen, Anregungen, Buchungen und Presse:

David Walther

0173 3714104

Instagram: mariusrehwalt

Mail: marius_rehwalt@web.de

mariusrehwalt.com

Druck (Taschenbuch): epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Marius Rehwalt

Franz

und das

Schwarz

Eine

surreale

Erzählung

Gewidmet meinem Opa.

Vorwort

Geschrieben 2017 während einer elfwöchigen, stationären Therapie und in den darauffolgenden zwei Monaten.

Aufgezeichnete, wirre Ideen. Neuorientierung eines alten Körpers zu einem neuen Leben.

Mein wichtigstes Anliegen bei der drei Jahre später erfolgten Überarbeitung dieses Werkes war es, die kindliche Not, in welcher wir uns befinden, wenn wir uns unzulänglich, minderwertig, falsch, angegriffen oder Ähnliches fühlen, möglichst zu erhalten. Eine Depression ist an vielen Stellen nicht rational. Auch ich fühlte mich in vielen Momenten nicht einfach nur hilflos, sondern wie ein ausgeliefertes Kind. Handlungsunfähig, nervig und überflüssig. Fragen, die ich mir stellte, empfand ich selbst als dumm. Gefühle, die ich hatte, erachtete ich als überbewertet. Ich hoffe, trotz – oder gerade wegen – der langen Pause zwischen den Überarbeitungen zwei wichtige Dinge vereint zu haben: die naive Sprache und meine Emotionen aus der damaligen Zeit, in der ich oft nichts anderes als weinen oder sterben oder wenigstens in eine einsame Dunkelheit verschwinden wollte. So hoffe ich aber auch, Textstellen und Sätze, welche gänzlich aus dem Raster gefallen sind, womöglich nicht klar oder sprachlich ästhetisch waren, gut stilisiert zu haben. Mein Ansporn war, einen Feinschliff ohne zu tiefen Einschnitt vorzunehmen, um für intensive Vorstellungen und einen angenehmen Lesefluss zu sorgen, aber auch Interpretationsspielraum zu geben.

Daher möchte ich mich schon hier für jede Minute und die Geduld bedanken, welche Senta Herrmann auch diesem sensiblen Werk geschenkt hat. Ohne sie wäre Franz und das Schwarz noch lange nicht bereit, präsentiert zu werden. Für mich persönlich möchte ich damit einige Kapitel meines Lebens als abgeschlossen betrachten.

Ich danke jedem, der sich mit diesem Werk und seinen Gedanken, aber auch dem Entstehungsprozess sowie dem Warum und Wie auseinandersetzt.

Euer Marius, Dresden, 2021

Für dich,

die mich kriechen ließ

am dunkelsten Orte meiner Seele.

Die mein Denken und Fühlen verformte,

meinen Geist masochistisch quälte.

Nahmst mir Hoffnung, Liebe und Kraft,

bis ich als Würde beschwor

meines Leibes Nekrose.

Doch hör genau hin,

verkneife höhnisches Lachen!

Dich zu hassen

bleibt nicht mein einziges Wachen.

Ebenso Liebe und Dankbarkeit

sind in mir für dich

in Flammen entfacht.

Lehrtest mich Kämpfen und Menschlichkeit,

Verständnis und Einfühlen für andere Schwache.

Jetzt steh’n wir im Ring,

du ganz in Waffen;

ich muss allein

und nackt hier erschein’.

Doch höre mit mir

das Summen des Funkens.

Der letzte Ton

ist noch nicht erklungen.

Krieg frei, liebe Dysthymia!

Franz und das Etwas

Jeder schätzte, dass der kleinste Windstoß Franz davontragen würde. Klein und hager kam er daher. Seine dünnen Ärmchen hingen ihm wie Streichhölzer links und rechts seines leichten Buckels herab. Schlapp, als könnten sie sich niemals von selbst bis zu den Schultern erheben.

Keiner konnte mehr genau sagen, was ihn zu seiner plötzlichen Reise animiert hatte, doch es war nichts Gutes gewesen. Vielmehr etwas Schmerzliches, etwas, das sein Leben und seine Befindlichkeit so ins Wanken gebracht hatte, dass es in ihm zum Überlaufen gekommen war.

Seine Welt bestand schon lange aus einer Art schwarzem Schleim, den er seit vielen, vielen Jahren in seiner Brust mit sich herumschleppte. Er sah die Welt in Grau. Egal wie farbig er sie sich ausmalte, wie sehr er auch mit Pinsel und Stiften versuchte, sie bunter zu gestalten, das Grau bestimmte seinen Alltag. Mit dem Einbruch des großen Unglücks breitete sich die Schwärze weiter aus. Sie ergriff von ihm Besitz und übermannt ihn. Von seiner Brust aus wuchs sie und wuchs sie wie ein seelisches Krebsgeschwür, für das es keine Heilung zu geben schien. Bald war die Welt nicht mehr grau, sondern pures Schwarz. Seine Adern pulsierten schwarze Masse durch Herz und Hirn.

Doch in der hintersten Ecke seines Herzens gab es ein Fünkchen, tausendmal kleiner als die Spitze einer Stecknadel. Einen Funken aus purer Liebe. Es war seine Liebe zu den Menschen, zu seiner Familie, zu seinen Freunden. Und zum Leben. Das Leben war schön. Das hatte er immer gewusst, nur das Gespür dafür allmählich verloren. Sein Funke aber hatte ihn nun zum Aufbruch bewogen. Zu einer Reise tief in sich. Um den Funken zu entfachen und das Schwarze aus sich zu vertreiben.

 

Und so war er in jener Nacht ruhig eingeschlafen und hatte die Wanderung begonnen …

Teil 1

Der Weg

Pures Schwarz zerfrisst mich ganz,

ich taufe mich in Traurigkeit.

Rückwärts, blind mit Selbstjustiz

verlauf ich mich im Finsterwald.

Ich sehne mich zurück

nach etwas, das ich nie gekannt.

Nach einem alten Licht,

welches tiefer in mir brennt.

Doch nur noch dessen Glut

leise im Wind kämpft.

In meinem toten Körper

ist nichts als diese Leere.

Es kreist umher ein stummer Schrei,

ein alter Virus um sich greift.

Mit Widerhaken zieht

die Welt an meiner Haut.

Es rinnt das Blut, es beißt der Schmerz,

ich bin verwirrt geboren.

Pures Schwarz zerfrisst mich ganz,

ich taufe mich in Traurigkeit.

Finsterwald

Franz stand auf einem kleinen Hügel. Die Wolken hingen schwer über ihm. Grau und fahl zogen sie am Himmel nach Osten. Das Gras war welk, nirgendwo sah er eine einzige Blume. Vom Hügel ging ein geschwungener Pfad hinab, an dessen Fuß einst ein kleines Rinnsal verlaufen war. Die Brücke, die Besucher hinüberbringen sollte, war zerbrochen und abgebrannt, als hätte jemand den Weg in den dunklen Wald dahinter versperren wollen.

Hoch über dem Wald sah Franz einige Raben und Krähen ihre Bahnen ziehen. Hin und wieder hörte er ein leises würgendes Gurgeln.

Langsam bewegte Franz sich auf den Wald zu.

Dieser schien nicht still. Irgendetwas an ihm wirkte, als befände er sich in ständiger Bewegung. Die grauen Bäume, die Büsche … Nichts schien standhaft an einem Ort zu verweilen. Kurz hielt Franz inne und mit einem Mal war alles ruhig.

Seltsam, dachte Franz. Einige Augenblicke blieb er stehen und betrachtete den schwarzen Wald, ehe er weiter auf die Brücke zuging. Zwischen seinen Beinen huschte etwas hindurch. Er erschrak und sprang einen Schritt zurück.

Zitternd suchte er den Boden ab. War es ein Tier?

Nach einigen Momenten der erfolglosen Suche beschloss er, die Sache auf sich beruhen zu lassen, und nahm wieder seinen Kurs auf.

Wenige Meter weiter kreuzte ihn wieder etwas zwischen seinen Beinen. Als er abermals zurückwich, tippelte es erneut vorbei. Nach einer kurzen Zeit wieder. Und wieder und wieder und wieder. Es entstand eine kleine Staubwolke auf dem trockenen Pfad. Eine feine, piepsige Stimme drang an seine Ohren.

»Hallo, Znarf!«

Franz weitete die Augen. Wer? Znarf? Wer soll Znarf sein?, fragte er sich.

»Na, na. Nicht so schüchtern, lieber Znarf«, fuhr das Stimmchen fort.

Allmählich legte sich die Staubwolke und Franz erkannte ein kleines, nacktes Tierchen. Es hatte ungefähr die Größe einer Ratte, besaß jedoch kein Fell. Seine Augen wurden von einer großen Fettschicht überdeckt, die in einen schmalen Rüssel überging. Es stand auf vier dünnen Beinen mit hühnergleichen Füßchen und hatte obenauf zwei kleine Flügel, ähnlich einer Stubenfliege. Die nackte Haut war rosa-grau.

»Hallihallo, mein lieber Zarf. Warum denn nur so schreckhaft? Bin doch klein und fein. Was soll ich schon tun gegen dich so großen Mann?«

Franz fand langsam wieder zu seiner Sprache. »Was bist du? Und warum sagst du meinen Namen falsch herum?«

»Doofe Fragen, dumme Fragen. Sinnlos! Was geht nur in dir vor?«

»Nichts ist dumm. Macht es dir Spaß, mich zu beleidigen? Das find ich unerhört. Wo bin ich hier? Es ist so kalt, so grau. Noch grauer als die Wirklichkeit.«

Das kleine Wesen erhob sich und flog um ihn herum. Franz hatte alle Mühe, ihm zu folgen und es nicht aus den Augen zu verlieren. Nach zwei, drei Runden setzte es sich wieder auf den Pfad, spreizte die Hinterbeine weit auseinander und stieß einen großen Seufzer aus.

»Ach, herrje! Das kann was werden. Wo –«

»Hörst du wohl auf! Beantworte seine Fragen, ob dumm, ob schlecht! Schnell, bevor die Nacht einhält!«, schmetterte eine erhabene weibliche Stimme aus dem Nichts und ließ den Boden erbeben.

Franz fuhr zusammen und sank auf seine Knie. Die Hände hielt er sich schützend über den Kopf.

»Ja, ja. Ich mach ja schon. Immer hat sie was … Immer schreit sie … Was ist sie nur so hart?«, brabbelte das Wesen in sich hinein.

Franz blickte es fragend an, die Arme immer noch abwehrend erhoben.

»Nun gut, du Albermann. Ich will dir sagen, wer ich bin. Ich bin Iocus. Doch was ich bin, kann ich nicht sagen. Das weißt nur du allein. Und wo du bist? Was denkst du denn? Streng dich nur an!«

Franz nahm seine dünnen Ärmchen herunter und schaute sich um.

»Es ist so trostlos hier. So kalt, so rau. Alles seh ich nur in Grau.« Franz sackte ein wenig in sich zusammen und wirkte umso buckliger. »Dies hier muss mein Herz wohl sein. Ich kann es mir nicht anders denken.«

»Oh, oh, oh! Du kleiner Narr. Dein Herz? Dein Herz so grau? Dies hier ist für dich grau? Durfte lange nicht in so freudvollen Gegenden spazieren. Niemals ist dies dein Herz. Bis dahin ist’s noch weit. Dunkler, schwärzer, bis du nichts mehr siehst! Bist du einmal in deinem Herzen, wirst du nur tastend kriechen. Aber hui, du hast mich gar zum Schmunzeln wohl gebracht, hab Dank. Rat ruhig weiter, nur folge mir derweil! Die Alte macht mich sonst nur mürbe, wenn wir zu spät nach Hause kehren.«

»Wohin gehen wir?« Langsam stand Franz auf und blickte in den Wald. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinab.

Das Wesen setzte zum Fluge an, umschwirrte ihn und stupste ihn dann zum Gehen. Franz gehorchte und lief los. Langsam und bedächtig durch die welken Gräser. Iocus setzte sich auf seine Schulter.

»Ach, kleiner Znarf, ich mag dich doch irgendwie. Siehst so elend aus. Bist so allein. Aber das wird nicht immer sein.«

Bei jedem Schritt, den Franz auf den Pfad setzte, sah er es jetzt sicher. Die Bäume des Waldes schoben sich hierhin, dorthin und kurz danach wieder woandershin. Bäume, die erst vorn gewesen, rutschten nun nach hinten. Von links nach rechts, es gab nur Ruhe, wenn auch Franz innehielt. Mulmig wurde ihm davon. Iocus schien genau in diese Richtung zu wollen, hinein in diesen dunklen Wald.

Die kleine Brücke ließ er rechts von sich liegen, der Bachlauf war ohnehin ausgetrocknet. Zwei, drei Meter stieg Franz hinab, übersprang die großen Steine und kletterte auf der anderen Seite wieder hinauf.

Überall krächzte es, gurgelte, knackte und rumorte. Auch die Raben und Krähen schrien immer wieder wütend. Der Wald war so dicht bewachsen, dass Franz sich fragte, wie er hindurchkommen sollte. Iocus flog von seiner Schulter bis zur anderen Seite der Brücke. Dort hielt er an und deutete zwischen die Bäume.

»Hier geht’s lang, du schlaffer Bub. Los, los, bald tönen schon die Schatten!«

Franz hatte das dumpfe Gefühl, dass alles, was das kleine Wesen sagte, höhnisch, gar spöttisch war. Fieberhaft überlegte er, was es wohl für ein Wesen sein könnte. Doch im Moment fiel ihm nichts ein. Er verscheuchte den Gedanken und besann sich seines Weges. Er folgte Iocus, der schon vorweg zum Waldrand geflogen war. Dort stand er nun vor einem schmalen Weg ins Reich des Morbiden. Franz konnte nur zehn oder zwanzig Meter weit in den Wald hineinschauen, dahinter lag tiefe Dunkelheit. Die Bäume umschlossen den Pfad zu allen Seiten, bildeten einen Tunnel und ein Dach aus morschen und vertrockneten Ästen. Die Geräuschkulisse wurde immer lauter, immer bedrohlicher.

Am Anfang des Weges erkannte Franz deutlich eine Linie auf dem Boden. Eine Art Grenze. Irgendwer muss sie mit einem Stock gezeichnet haben, schlussfolgerte Franz.

»Und? Haben wir es nun? Ich würd gern los. Nun komm!«

Franz nickte kurz und setzte seinen Fuß über die Linie. In diesem Moment drehte es ihn einmal um sich selbst, bis er wieder auf die Brücke schaute. Herumdrehen konnte er sich nicht. Er wollte zurücklaufen, den Strich erneut Richtung Brücke und Hügel überschreiten, aber auch dies blieb ihm versagt. Jeden Schritt, den er setzte, lief er rückwärts.

»Was ist hier los? Hilf mir doch, du freches Wesen!«, schrie Franz und stand den Tränen nahe.

»Habe nicht immer so viel Angst. Da musst du durch! So ist dein Finsterwald. Er macht, was er will. Oder was du wohl willst? Wer weiß das schon genau? Wirst du schon noch erfahren. Laufe nur, der Wald wählt heute deinen Weg. Ich schaue schon, dass du nicht fällst – über Wurzeln oder was dich sonst noch quält.«

Iocus krallte sich einen Zipfel seines Hemdes und zog an ihm.

Es war ein Graus für Franz’ Kopf. Jede Bewegung, die er machte, trieb ihn einen Schritt nach hinten. Dahin, wo er keine Augen hatte, immer tiefer in die verstörende Finsternis hinein. Schon nach wenigen Schritten schloss sich vor ihm das Dickicht. Die Brücke war weg, der kleine Hügel verschwunden. Düster war es nun geworden und seine Blicke huschten nervös hin und her. Aber er setzte weiter seine Schritte, einen nach dem anderen.

Manchmal versuchte Franz, hinter sich zu blicken, doch er konnte nicht weit sehen. Er sah nur, wie der Wald sich weiter wandelte und einen Weg freigab. Lange konnte er so nicht gehen, ehe ihn sein Nacken schmerzte.

Nach einer ganzen Weile glaubte Franz, dass es ein wenig heller wurde. Der Wald war in ein tiefes, dunkles Blau getaucht, dem sich ein Hauch von Lila untermischte. Die Bäume blieben weiter fahl, grau und wie abgestorben. Einige wirkten, als ob hier und da ein Feuer gebrannt hätte. Manchmal meinte er sogar, noch eine Glut oder einen dünnen Rauchschwaden zu sehen. Er war sich dessen aber nie ganz sicher. Zu viel Bewegung befand sich im Geäst.

Plötzlich stolperte er und stürzte auf den Rücken. Er stieß sich den Kopf und schrie auf. Als er sich aufsetzte, erkannte er eine Wurzel, die dick war wie ein Oberschenkel.

»Warum hast du nichts gesagt, Iocus?«

Das Wesen schaute ihn dümmlich an und schwieg. Zwischendurch zuckten kurz seine dünnen Flügel.

»Hey, ich rede mit dir! Was soll das? Du kannst doch alles sehen und geradeaus fliegen. Warum legst du mich so herein?« Franz wurde sauer. Dieser Ort, so fremd und gespenstisch, ein Wesen mit einem seltsamen Namen … Ihm wurde das alles viel zu viel.

Doch in diesem Moment lachte das Wesen lauthals los. Es rollte sich auf seinen Po, landete auf dem Rücken und lief purpurrot an.

»Hihihi … hohoho …«

»Was gibt es da zu lachen? Hast du das mit Absicht gemacht? Mich eiskalt über diese Wurzel stolpern lassen?«

Iocus wurde lauter, lachte und gluckste. Tränen kullerten aus seinen Augen, unter dieser dicken Fettschicht hervor.

Franz stand auf und wollte das Wesen fassen, es ergreifen und schütteln. Doch es war zu flink. Es schnellte hoch und umsurrte ihn weiter lachend. Franz ballte seine kleinen Hände zu Fäusten und senkte seinen Blick.

Nach einer ganzen Weile sagte er: »So langsam weiß ich, was du wohl für ein Wesen bist. Du musst der Argwohn sein. Nichts andres fänd’ ich passend.«

Augenblicklich hörte das Wesen auf zu lachen und zu surren. Gerade noch war es hinter Franz, nun setzte es sich vor ihm hin.

»Oh, er spricht also auch mal ein paar kluge Sätze. Ja, ja, so in der Form hat mich auch das Weib betitelt. Bist der Zweite, der das sagt. Ach, i wo! Damit kann ich wohl leben. Was ist schon dabei, am Leid der anderen? Am Unglück, hä?«

»Das ist nicht schön. Das tut den anderen weh. Wenn nicht körperlich, dann wohl im Herzen. Wer kann dir sagen, wer nicht schlafen kann – wohl wegen deiner Taten? Ich finde dich entsetzlich, nun, wo ich dein wahres Gesicht erblicken musste.«

»Bist du wohl still? Halt die Fresse!« Das Wesen wurde wütend und wuchs pulsierend heran, bis es Franz um mehrere Köpfe überragte.

Seine Stimme war nun nicht mehr piepsig, quiekend böse traf es eher.

»Bist du wohl selbst schuld, du Nichtsnutz! Hast den Schwarzen Mann gewähren lassen, der alles infizierte. Früher war ich lustig, witzig. Jeder wollte mit mir lachen. Fell hatte ich und große Augen. Sieh mich an, was mit mir passierte! Aus Humor hast du den Argwohn geboren. Tölpel! Wie sehn’ ich mich zurück nach wahrem Witz!«

 

Franz beruhigte sich. Ihm erschien nicht alles klar, doch er bemerkte, dass das kleine Wesen auf eine Art recht hatte. Er spürte, dass es mit Grund nicht erfreut über seine Worte war.

Und so entschuldigte sich Franz höflich bei dem Argwohn.

»Nun gut. Ich nehme sie an, deine Entschuldigung. Es sei verziehen. Aber merk dir eins, mein lieber Znarf, verletz’ hier niemanden! Du hast sie alle so gemacht. Du hast sie sich so verwandeln lassen.«

»Gut, mein Freund. Es tut mir leid.« Franz reichte Iocus seine Hand.

Iocus schlug mit seiner kleinen Pranke ein und pulsierte sich kurz darauf wieder auf seine eigentliche Größe.

Ab diesem Moment machte der Argwohn hin und wieder einen kleinen bösen Witz. Meist, um sich über ihn oder irgendwelche Bewohner dieser Welt, die Franz aber alle unbekannt waren, lustig zu machen. Hier und da schmunzelte er mit oder machte auch einmal den einen oder anderen Witz. Aber natürlich meist über sich selbst. Er machte sich nicht gern über andere lustig, wusste er doch zu gut, wie es sich anfühlte, das Opfer von Hohn und Verachtung zu sein. Gleichermaßen erschrak er über sich, da ihm dennoch hin und wieder etwas einfiel, was er bei anderen abwertend oder spöttisch betrachtete. Und so war er gespalten in seinen Reaktionen, sein guter Geist mochte die Späße des Argwohns zumeist wirklich nicht, nein, sie missfielen ihm regelrecht. Doch dann pochte etwas Fremdes in ihm auf und er musste schmunzeln.

Wo kommt das nur her?

Immer wieder sprach der Argwohn über ein altes Weib, zu dem sie hinmüssten. Sie könne an jedem Ort mit Franz und auch den anderen Wesen in dieser Welt reden.

»Sie sieht alles!«, sprach Iocus ganz frei heraus.

»War sie die laute Stimme vorhin, als du mir nicht hast antworten wollen?«

»Ja, ja. Das war sie. Denk nur scharf nach! Du weißt, wer sie wohl ist. Ist geprägt von Urbeginn. Kann dir Hinweise geben, Korrektur, Anmerkungen wohl. Kommt nur nicht raus, muss bleiben drin in ihrer Hütte. Der Schwarze Mann vertreibt sie sonst. Ach, was sag ich! Auslöschen würde er sie, wenn sie nicht bliebe im Licht.«

Franz hatte keine Ahnung, wer sie sein sollte. Er zermarterte sich den Kopf, entschied dann aber, dass es ihm nichts brachte. Wenn er sie sah, würde er sie fragen. Und wer oder was war eigentlich der Schwarze Mann?

So liefen sie weiter und weiter. Franz nach wie vor rückwärts, Iocus schwebte vor ihm, hinter ihm oder neben seinem Kopf. Gelegentlich setzte er sich auf seine Schulter, wenn er müde schien vom Fliegen. Manchmal aber hockte er auch auf Franz’ Kopf. Immer so, wie es ihm gerade beliebte. Es wurde immer dunkler und Franz fragte sich, wie lange sie schon gingen. Doch sein Zeitgefühl hatte ihn vor einigen Stunden schon verlassen. Der Argwohn achtete nun genau darauf, Franz immer rechtzeitig zu warnen, damit er nicht noch einmal fiel. Auch wenn man dem Argwohn anmerkte, dass es in ihm brannte, Franz noch ein weiteres Mal zum Stolpern zu bringen.

Dann endlich quiekte das Wesen von seinem Kopf: »Wir sind da. Miss Almadeamor, Miss Alma, wir sind da!«

Über seine Schulter sah Franz eine kleine Hütte. Sie hatte die Form eines Dreiecks, war zwei Mann hoch. Die Dachseiten reichten bis in die Erde und waren mit Moos, Gras und einem kurzen, dünnen Bäumchen bewachsen. Eine kleine, bucklige Esse befand sich im hinteren Bereich des Daches. Vor der Hütte sah Franz eine Veranda, deren Geländer an einigen Stellen gebrochen war. In der ihm zugewandten Dachseite gab es ein Fenster. So klein, dass Franz nicht einmal seinen Kopf hindurchstecken könnte. Ein schwaches, warmes Licht strahlte aus dem Inneren.

Franz wurde von einem Moment zum anderen bitterkalt. Er zitterte und schwitzte gleichzeitig. Seine Bewegungen wurden immer langsamer, er schien Stück für Stück einzufrieren. Dann hörte er etwas, das alles in ihm zusammenfahren ließ. Ein Tuscheln. Ein Raunen. Zähne klapperten und Sabber hörte er triefen.

»Rrrrmph … Rrrrmmmph …«, machten tausende Stimmen in unterschiedlichen Höhen und Stimmlagen.

Andere raunten und zogen immer wieder geräuschvoll die Nase hoch. Gequälte Schreie mischte sich dazwischen.

»Schnell!«, schrie der Argwohn Franz an und zog an ihm. »Die Schwärze hat sich gleich geschlossen. Schnell, nun komm!«

Franz stürzte die Veranda hinauf, kam ins Fallen und rollte rückwärts über seinen Kopf. Eine Tür wurde zugeschlagen und Franz verfiel in Düsternis.

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