3x4 Pfötchen und das Netz der weißen Spinne

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3x4 Pfötchen und das Netz der weißen Spinne
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Marion Mollenhauer + Ingrid Siano

3x4 Pfötchen und das Netz der weißen Spinne

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Weitere tierische Mitwirkende:

Die menschlichen Darsteller:

Nando und „Bello Italiano“

Eine merkwürdige Begegnung

Bellagio – ein Hauch von Luxus

Carlotta bietet jeden Preis

... wer ist die Schönste im ganzen Land?

Der unsichtbare Dieb

Wo ist Kaily?

Die erlösende Stimme

Carabiniere Adagio und das Licht im Dunkeln

Eine riskante Aufzugfahrt

Nando, Pipistrello und der VfFV

Zwei Hunde in einem Sack

Acht glühende Augen

Unterwegs mit Vanessa Vampyra

Signora Tarantulla und der König der Lüfte

Zwei richtige Helden

Das Netz der weißen Spinne

Der Rettungsflug

3 x 4 Pfötchen sind wieder vereint

Carabiniere Adagio tut seine Pflicht

Spaghetti für alle

Beste Freunde

Anhang

Impressum

Widmung

Für Abigail, Barny und Curly

Liebe Leseratten,

zuerst möchten wir euch die wichtigsten Tiere und Personen vorstellen, die in unserem spannenden Abenteuer mitspielen. 3 x 4 Pfötchen, das sind wir:


Kaily, eine süße kleine Yorkshire-Terrier-Hündin, ist eine wirkliche Schönheit auf vier Beinen. Sie hat auf Hundeausstellungen bereits viele Preise gewonnen. Wie fast alle „Stars“ ist sie eitel, sehr selbstbewusst, ehrgeizig, ein bisschen frech und manchmal zickig Außerdem ist sie schlau und gewitzt wie alle Terrier. Natürlich genießt sie die Bewunderung, die ihr von allen Vier- und Zweibeinern entgegengebracht wird.


Olivia, Kailys niedliche und hübsche Schwester steht nicht so gerne im Rampenlicht. Sie ist aber ausgesprochen clever und besitzt eine außergewöhnliche Kombinationsgabe. Olivia hat einen ziemlichen Dickkopf, meistens das letzte Wort und fast immer Recht. Das führt zu kleinen oder auch größeren Streitigkeiten.


Barny, ein pfiffiger Yorkie-Rüde, ist der Beschützer der beiden Schwestern. Er nimmt diese Aufgabe sehr ernst, ist mutig und ein wenig aufbrausend. Dabei unterschätzt er manchmal seine Gegenspieler. Mit modischem Firlefanz wie Schleifchen und glitzernden Halsbändern hat er nichts am Hut. Auch für übertriebene Körperpflege kann er sich nicht begeistern. Um seinen rustikalen Typ zu unterstreichen, trägt er einen kurzen Haarschnitt und ein sehr praktisches Halstuch.

Weitere tierische Mitwirkende:

Nando lebt in dem italienischen Städtchen Colico. Seine Mama war eine Dalmatiner-Hündin. Von ihr hat er die schönen Flecken im Fell. Von seinem Papa weiß er nur, dass er ein echter Windhund war. Außer einigen anderen typischen Windhundeigenschaften hat er von ihm den überwältigenden Charme und die langen Beine geerbt, mit denen er eine blitzartige Geschwindigkeit erreichen kann.

Lulu, eine kleine, weiße Pudeldame, ist eigentlich in einem französischen Wanderzirkus zu Hause. Wenn sie mit den anderen Tieren spricht, hört man ihren entzückenden französischen Akzent. Lulu kann viele Kunststücke, ist klug und immer ein wenig traurig.

Vanessa Vampyra sieht ziemlich gruselig aus, denn sie ist eine Riesenfledermaus. Außerdem ist sie die Gattin des Großmeisters vom Verein für Fledermäuse und Vampyre, abgekürzt VfFV, einer sehr nützlichen Einrichtung.

Pipistrello, die hilfsbereite Fledermaus, zeigt ihre Flugkünste nur zwischen Abend- und Morgendämmerung. Sie lebt in einer großen, alten Zeder, hat eine weitläufige Verwandtschaft und ist Mitglied im VfFV.

Signora Tarantulla gehört zur Familie der dicken, weißen Riesenspinnen. Ihr Hobby ist es, über Nacht riesige Netze zu spinnen und darauf zu lauern, dass sich ihre Beute darin verfängt. Wenn sie sich ärgert, wird sie giftig und spinnt besonders viel.

Abenaki, ein stolzer Steinadler, spielt als König der Lüfte eine entscheidende Rolle in diesem Abenteuer.

Famiglia Lampadina ist eine Glühwürmchenfamilie, deren Mitglieder kleine Verwandlungskünstler und wahre Meister im Formationsflug sind.

Die menschlichen Darsteller:

Familie Graf, bestehend aus Vater, Mutter und Tochter. Rolf Graf und Lucie Graf, die Eltern, machen zusammen mit ihrer Tochter Mariella Urlaub in Italien, im Ferienhaus am Comer See. Sie unternehmen viel mit ihrer Tochter und sorgen liebevoll für sie und das manchmal recht anstrengende Yorkie-Trio. Mariella hat alle Tiere gern, doch am meisten liebt sie ihre drei Hunde. Sie kann die Tiersprache zwar nicht verstehen, aber im Gegensatz zu den Erwachsenen fühlt oder ahnt sie oft, was die Tiere den Menschen mitteilen wollen.

Carlotta Dubiosa (Kürzel CD) versucht als feine, reiche Dame aufzutreten. Dabei ist sie furchtbar protzig und schrecklich schrill. Ihre Markenzeichen sind platinblond gefärbte Haare, blutrot lackierte Fingernägel und viel zu hohe Stöckelschuhe. Sie vertritt die Meinung, dass man mit Geld wirklich alles kaufen kann.

Giovanni Grasso, der Chauffeur von CD, wirkt mit seinen stets fettigen Haaren, der Spiegelglas-Sonnenbrille und den zweifarbigen Schuhen mindestens genauso unsympathisch wie seine Chefin.

Carabiniere Adagio bringt alle mit seinem Schneckentempo zur Verzweiflung, ist jedoch immer pflichtbewusst.

So, das war’s. Auf der nächsten Seite fängt das Abenteuer an. 3 x 4 Pfötchen wünschen euch viel Spaß und spannende Unterhaltung!

Auf dieser Karte vom Comer See in Norditalien findet ihr die Orte, wo die 3 x 4 Pfötchen ihre Abenteuer erleben:


Nando und „Bello Italiano“

„Autsch!!!“ Kaily schüttelte empört ihren Kopf, so dass ihre langen, goldenen Haare nur so flogen und die rote Schleife hin und her wippte. Sie streckte ihre kleine, schwarze Knopfnase beleidigt in die Luft und würdigte ihr Gegenüber keines Blickes. Nando – sein Vater war ein richtiger Windhund, seine Mutter eine schöne Dalmatinerdame – beugte seinen Kopf ganz tief herunter. Treuherzig blickte er dem hübschen, kleinen Yorkshire-Terrier-Mädchen in die Augen. „Och, piccolina, sei nicht beleidigt. Ich habe doch nur ein bisschen an deinem süßen Mauseohr geknabbert.“

Kaily machte ganz schmale, wütend funkelnde Katzenaugen und giftete: „Geknabbert? Hallo ...? Wenn du mit deinen großen Zähnen knabberst, fühlt es sich an, als wolltest du mir das Ohr abbeißen. Außerdem hast du meine Frisur durcheinander gebracht.Wenn Mariella das sieht, wird sie mich wieder stundenlang kämmen. Siehst du, da kommt sie schon.“

Nando hatte das Mädchen schon entdeckt und rannte ihr freudig entgegen, während Kaily mit zierlichen, eleganten Schritten, wie eine Ballerina auf vier Pfoten, hinter ihm her trippelte.

 

„Ciao, Nando, amico mio“, freute sich Mariella, die mal wieder, zusammen mit ihren Eltern und ihren drei Hunden, in dem hübschen Häuschen am Comer See Urlaub machte.

„Woher weißt du denn schon, dass wir hier sind, und wie kommst du in unseren Garten? Hast du dich wieder unter dem Zaun durchgegraben?“ Na klar hab ich das, dachte Nando, aber ich verrate dir ganz bestimmt nicht, wo ich das Loch gegraben habe!

Er rannte um Mariella herum, stupste sie mit seiner spitzen Schnauze an und blieb dann wie erstarrt stehen. Vor ihm standen plötzlich noch zwei Yorkies, und beide knurrten ihn an, als wären sie große, gefährliche Hunde. Nando drehte sich verwundert nach Kaily um. „Scusa, bellissima, wer sind denn diese beiden Giftspritzen? Sind das etwa Verwandte von dir?“

Bevor Kaily antworten konnte, sagte Mariella: „Jetzt seid mal nett, ihr beiden. Das ist unser guter Freund Nando, den Kaily und ich im letzten Urlaub hier am Comer See kennen gelernt haben. Er wohnt in der Nachbarschaft. Nando, das sind Kailys Schwester Olivia und unser Barny.“

Zu Olivia gewandt machte Nando eine formvollendete Verbeugung und sagte vornehm: „Piacere, sehr erfreut!“ Dann jedoch fragte er: „Barny – wer?“ „Barny, mein Bodyguard“, antwortete Kaily mit wichtiger Miene.

„Dein BO-DY-GUARD???” Das italienische Temperament ging mit Nando durch. Er kugelte sich lachend über die Wiese, während Barnys Knurren in lautes, wütendes Kläffen überging.

„Ach so, ihr wollt spielen“, interpretierte Mariella das Benehmen der beiden. Sie hob einen kleinen Ast auf und warf ihn so weit sie konnte. Dank seiner langen Beine und der Schnelligkeit, die er von seinen Windhundvorfahren geerbt hatte, erreichte Nando den Ast als Erster. Aber Barny war ebenfalls pfeilschnell und nur kurz hinter ihm. Beide bissen in das Holz. Sie zogen daran und zerrten sich gegenseitig durch den Garten. Dabei knurrten sie und warfen sich abwechselnd Schimpfworte an den Kopf.


„Na, die beiden sind erst mal beschäftigt. Schön, dass sie sich gleich so gut verstehen“, stellte Mariella zufrieden fest.

Olivia und Kaily sahen sich vielsagend an. „Na klar verstehen die sich“, kicherte Kaily. „Schließlich haben wir mit Barny geübt, wie man „Bello Italiano“ spricht. Aber wer hat ihm die Schimpfworte beigebracht? Du vielleicht?“

Olivia schüttelte entrüstet den Kopf. „Was weiß denn ich, wo er sich weitergebildet hat, dein Bodyguard“, antwortete sie ironisch. Mariella beugte sich zu ihnen hinunter und nahm Kaily auf den Arm. „Kommt, eure Schleifen sitzen schief und euer Fell ist zerzaust. Ich muss euch noch mal kämmen und bürsten.“ Sie streichelte Kaily über den Kopf. „Denk dran, es sind nur noch zwei Tage bis zur Hundeausstellung in Bellagio, und da musst du besonders schön sein.“

„Ich hab’s ja gewusst“, seufzte Kaily. „Immer das blöde Kämmen“, murrte Olivia und lief missmutig neben Mariella zum Haus. Auf der Terrasse saßen Rolf und Lucie Graf, Mariellas Eltern, und genossen die traumhafte Aussicht auf den See und die Berge am gegenüberliegenden Ufer.

„Na, ihr drei Hübschen, was habt ihr vor?“, fragte Mariellas Vater gut gelaunt. „Wir drei werden uns jetzt frisieren“, antwortete Mariella und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Olivia versuchte, sich unter einem Liegestuhl zu verstecken. Mit einer geübten Handbewegung holte sie die kleine, heftig strampelnde Ausreißerin unter dem Möbelstück hervor.

„Wieso muss ich eigentlich genauso oft gekämmt und gebürstet werden wie du?“, giftete Olly in Kailys Richtung. „Schließlich musst du auf den Laufsteg und nicht ich! Und was ist mit Barny? Warum ist der nie dran mit Kämmen?“ Als hätte sie die Unterhaltung ihrer beiden Yorkies verstanden, rief Mariella: „Barny, komm mal her!“

Barny, der immer noch mit Nando um den Ast kämpfte, ließ diesen augenblicklich los, und Nando kullerte ein Stück den Berghang hinunter. „Eeeh, Bodyguard, das war ein fieser Trick!“, rief er Barny hinterher.„Aber wir sehen uns sicher noch mal wieder!“

„Worauf du dich verlassen kannst, amico mio“, knurrte Barny über die Schulter zurück, lief ins Haus und stellte sich brav hinter Olivia an, um von Mariella gekämmt zu werden. Später saßen alle auf der Terrasse, bewunderten den Sonnenuntergang und beobachteten, wie in den Bergdörfern am anderen Ufer des Sees nach und nach die Lichter angingen. Aus einem der Nachbarhäuser schallte Hundegebell in die abendliche Stille, in das Barny lauthals mit einstimmte, während die beiden Yorkie-Mädchen sich vornehm zurückhielten.

„Barny scheint das italienische Hundegebell schon gut zu verstehen“, meinte Lucie Graf. Mariella lächelte ihre Mutter verschmitzt an: „Ja, ich finde auch, er spricht perfekt „Bello Italiano“. Aber schau, Mama, da ist wieder die Fledermaus, die schon im letzten Jahr hier war.“ In der Dämmerung schwirrte etwas haarscharf über ihre Köpfe hinweg.

„Buona sera, Pipistrello!“, rief Kaily. „Schön, dass du auch wieder da bist.“ „Buona sera, meine Süße“, piepste die kleine Fledermaus zurück, während sie pfeilschnell an der Terrasse vorbeiflog und in rasender Geschwindigkeit zweimal die große Pinie im Garten umkreiste. „Ich freu mich auch, euch alle wiederzusehen. Aber ich habe heute Abend gar keine Zeit. Ich muss zum monatlichen Fledermaustreffen ins Fuerte de Fuentes.“ Sie flog noch einen gewagten Looping und schwirrte dann ab, in Richtung des alten Forts, das auf einem Hügel am See lag.

„Wahnsinn!!“ Barny hatte seine Unterhaltung mit der vierbeinigen, italienisch bellenden Dorfbevölkerung unterbrochen und sah Pipistrello verträumt nach. „So möchte ich auch mal fliegen können.“

„Dann hättest du Flughund werden sollen“, riss ihn Olivia mit ihrer direkten Art recht unsanft aus seinen Träumereien. Sie konnte nicht ahnen, dass Barnys Traum sich bald auf recht ungewöhnliche Weise erfüllen sollte.

Eine merkwürdige Begegnung

Zwei Tage später war es dann so weit: Alle zwei- und vierbeinigen Mitglieder der Familie Graf standen sehr früh auf, um zur Hundeausstellung nach Bellagio zu fahren. Aber zunächst wurden Olivia und Kaily in die Badewanne gesteckt, mit duftendem Shampoo eingeseift und wieder abgeduscht. Dann massierte Mariella ihnen eine Haarkur ins Fell und spülte sie gründlich wieder aus. Anschließend föhnte sie die langen, seidigen Haare der kleinen Terrier vorsichtig auf lauwarmer Stufe trocken. Morgenmuffelig ließen die beiden Yorkie-Mädchen die Prozedur über sich ergehen. Als Mariella schließlich den Föhn ausschaltete, kam Barny, der sich erfolgreich vor dem Baden gedrückt hatte, aus seinem Versteck hervor und sagte bewundernd: „Super, Mädels, ihr seht toll aus. Kaily, du erreichst bestimmt einen der ersten Plätze.“

„Phhh“, machte Kaily, deren Haarkleid stahlblau und golden in der Morgensonne glänzte, „was soll ich mit einem der ersten Plätze? Ich will den 1. Platz und den riesengroßen Siegerpokal. Dann bin ich der schönste Hund Europas.“ „Das wollen die anderen aber auch alle erreichen“, gab Olivia zu bedenken, die zwar sehr hübsch war, aber nie Interesse am Showgeschäft gezeigt hatte. „Aber ich werde es schaffen!“, sagte Kaily selbstbewusst und hielt ganz still, als Frau Graf ihr eine prächtige, rote, perlenverzierte Schleife ins Haar steckte. Herr Graf trieb ungeduldig zur Eile an. „Beeilt euch, sonst braust uns die Fähre in Varenna noch vor der Nase weg“, rief er und brachte schon mal den Campingtisch und die Stühle zum Auto.

„Wir sind schon fertig.“ Mariella stellte die große, bequem ausgestattete Hundetransportbox, in der Olivia und Kaily wie zwei Prinzessinnen in der Sänfte saßen, in den Wagen. Dann setzte sie sich ebenfalls auf den Rücksitz. „Barny kann aber nicht den ganzen Tag alleine zu Hause bleiben“, rief sie ihrer Mutter zu, die mit der Provianttasche aus dem Haus kam. Lucie Graf deutete auf den Vordersitz: „Schau mal, wer sich da schon breit macht“, lachte sie. Barny wackelte charmant mit dem Schwänzchen und sprang dann bereitwillig zu Mariella und ihren beiden Schützlingen auf den Rücksitz. Als Herr Graf losfuhr, stand plötzlich Nando am Straßenrand. „Ciao, bambina“, rief er. „Wohin soll die Reise gehen?“ Fast mühelos rannte er mit seinen langen Windhundbeinen ein Stück neben dem Auto her. „Dahin, wo der Pfeffer wächst“, knurrte Barny ziemlich unfreundlich. Aber Olivia übertönte ihn mit ihrem hellen Stimmchen: „Nach Bellagio, zum Schönheitswettbewerb“, rief sie.

„Bene, cara mia, dann sehen wir uns heute Abend, wenn ihr zurück seid“, antwortete Nando. „Viel Glück!“ Dann blieb er stehen, denn er war nun doch ein wenig außer Atem.

Am Fähranleger in Varenna standen bereits mehrere Autos in zwei Warteschlangen. „Na, hoffentlich ist die Fähre groß genug, um alle Wagen mitzunehmen“. Rolf Graf sah besorgt auf seine Armbanduhr. „Die nächste Fähre geht eine Viertelstunde später. Das ist immer noch früh genug“, beruhigte ihn Frau Graf. In diesem Moment trat ihr Mann heftig auf die Bremse. Der Fahrer einer großen, protzigen Limousine, an deren Motorhaube die goldenen Buchstaben „CD“ prangten, versuchte sich in die kleine Lücke zwischen dem Auto der Grafs und deren Vordermann zu schieben.

„Das hat der sich so gedacht“, sagte Mariellas Vater und ließ sein Auto millimeterweise vorrollen. Schließlich setzte die Limousine zurück und reihte sich hinter ihnen als letztes Auto in die Warteschlange ein. „Warum nicht gleich so?“, brummte Herr Graf. „Habt ihr die merkwürdigen Leute in dem Auto gesehen?“, fragte Mariella. „Die Frau auf dem Rücksitz trägt eine Pelzstola mitten im Juni, und die Sonnenbrille des Chauffeurs hat Spiegelgläser.“

„Kleines, jeder kann sich so kleiden, wie er möchte. Das geht uns nichts an.“ Die Stimme von Mariellas Mutter hatte einen leicht tadelnden Unterton. Herr Graf schmunzelte und sagte: „Also, ich finde auch, dass der Chauffeur wie ein Mafioso aussieht.“ Mariella beugte sich zu der Hundebox hinunter und flüsterte: „Ich weiß zwar nicht genau, was ein Mafioso ist – aber er sieht merkwürdig aus.“ Laut sagte sie: „Ich glaube, die hatten auch ’nen Hund dabei.“ „Ach herrje“, seufzte Olivia. „Ein Mafia-Hund! Und direkt hinter uns in der Warteschlange! Das hat uns gerade noch gefehlt.“

„Das wissen wir doch noch gar nicht genau“, brummelte Barny, der noch ein kleines Nickerchen gemacht hatte. „Außerdem, was soll schon passieren, solange ich bei euch bin.“ Er reckte und streckte sich ausgiebig.

„Du solltest dir die Leute wenigstens mal ansehen, alte Schlafmütze.“ Olivia war etwas ungehalten. „Genau“, mischte sich Kaily ein. „Schließlich habe ich dich als Bodyguard engagiert und nicht als Langschläfer. Also, pass gefälligst auf mich auf. Sonst sorge ich dafür, dass du die nächsten Ferien in der Tierpension verbringst.“ Das hatte gesessen. Jetzt war Barny hellwach und riskierte einen Blick aus der Heckscheibe auf die hinter ihnen parkende Limousine. Der Chauffeur war gerade ausgestiegen, um eine Fahrkarte für die Fähre zu kaufen. Als er bezahlte, blitzte ein großer Ring an seinem Finger. Auch die Spiegelgläser seiner Sonnenbrille warfen wütende Blitze in Richtung des Autos, das ihn nicht vorgelassen hatte. Barny legte sich schnell wieder auf den Rücksitz. „Der Typ sieht wirklich nicht sehr freundlich aus“, sagte er.

„Außerdem trägt er schwarz-weiße Schuhe.“

„Siehste“, trumpfte Olivia auf, „doch ein Mafioso. Ich habe im Fernsehen gesehen, dass die solche Schuhe tragen.“

„Wie geschmacklos“, mokierte sich Kaily. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Leute zur Hundeausstellung gehen.“

„Jedenfalls werde ich sie im Auge behalten“, versprach Barny, dem das Wort „Tierpension“ einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.

Auch Mariellas Eltern hatten die seltsamen Schuhe bemerkt und einen vielsagenden Blick gewechselt. Aber da rollte die Autoschlange auch schon vorwärts, und Herr Graf musste sich konzentrieren, denn sein Fahrzeug wurde als letztes auf die Fähre gewunken. Die riesige Limousine hinter ihnen passte nicht mehr auf das Schiff. Sie blieb als einziges Fahrzeug am Ufer zurück. „Die ärgern sich jetzt bestimmt“, stellte Mariella zufrieden fest. „Kümmere dich nicht mehr um diese Leute, sondern steig lieber aus und schau mal, wie schön es hier ist.“ Lucie Graf ging mit ihrer Tochter zum Heck der Fähre, die inzwischen abgelegt hatte.

Bellagio – ein Hauch von Luxus

 

Die hübschen bunten Häuser Varennas leuchteten in der Morgensonne. Hohe Berge zeichneten sich scharf gegen den blauen Himmel ab und hoch über dem Städtchen thronte majestätisch das uralte, halb verfallene Castello di Vezio. Lucie Graf erzählte Mariella die Geschichte von der LangobardenköniginTheodolinda, die vor vielen hundert Jahren in dieser alten Burg weilte. „Vielleicht können wir das Castello einmal besichtigen“, schlug sie vor. „Man hat einen Teil des alten Gemäuers restauriert. Außerdem soll es da oben eine Greifvogelzucht geben.“

„Was sind Greifvögel?“, fragte Mariella, die sich brennend für alle Tiere interessierte. „Falken, Habichte, Adler und auch Uhus nennt man Greifvögel“, antwortete ihre Mutter. „Zeitweise fliegen die sogar frei herum und kehren immer wieder zur Burg zurück.“ Mariella war begeistert. „Toll, das müssen wir sehen“, rief sie übermütig, während sie zum Bug des Schiffes lief, denn der Fähranleger von Bellagio kam bereits in Sicht. Im Gegensatz zu den kleinen farbenfrohen Häusern Varennas waren die Gebäude Bellagios wesentlich größer und vornehm weiß oder pastellfarben gestrichen. Lucie Graf erklärte ihrer Tochter, dass in den meisten dieser Häuser große luxuriöse Hotels oder Geschäfte untergebracht waren. Auch hier erhob sich über der Stadt ein weithin sichtbares, schlossähnliches Gebäude, die „Villa Serbelloni“. Bellagio lag in der Mitte des Comer Sees auf einer großen Landzunge, die den See in zwei Seearme teilte. Deshalb war die Fahrt mit der Fähre der einfachste Weg, um dorthin zu kommen.

„Was ist das für ein riesiges Gebäude?“, fragte Mariella und deutete auf die weitläufige terrakottafarbene Fassade des alten Grandhotels Britannia, das direkt hinter dem Schiffsanleger lag. „Das ist ein ehemaliges Luxushotel, das leider schon lange leer steht und allmählich verfällt“, antwortete ihre Mutter. „Das sieht doch aber gar nicht verfallen aus“, meinte Mariella. „Aus der Nähe sieht man schon, dass es nicht mehr bewohnt wird. Aber jetzt komm, wir müssen zurück. Sonst fährt Papa ohne uns los.“ Gerade rechtzeitig waren sie wieder am Auto. Während Rolf Graf den Wagen startete, erzählte Mariella, was sie soeben gelernt hatte.

Kaily rekelte sich vorsichtig, damit ihr Fell nicht in Unordnung geriet, und flötete: „Habt ihr gut zugehört? Ein Hauch von Luxus liegt über diesem Städtchen. Ich glaube, ich bin hier genau richtig.“ Olivia, die in der äußersten Ecke der bequemen Transportbox lag, um ja nicht eines von Kailys Haaren zu zerknittern, verdrehte die Augen. „Du lebst doch schon im Luxus“, erwiderte sie. „Du bist ein Showgirl, machst Urlaub im Süden, du hast ’ne tolle Familie, du wirst im Auto herumkutschiert, du hast Barny und mich – was willst du denn noch? Denk mal an den armen Nando, der meistens auf der Straße lebt.“ „Denk mal an Nando ...,“ äffte Kaily sie nach. „Es reicht ja wohl, wenn du an ihn denkst, oder?“

„Du bist eingebildet und frech“, ereiferte sich Olly. „Barny, was sagst du dazu?“ „Vertragt euch, Mädels. Denkt dran, gleich ist Showtime“, versuchte Barny zu schlichten und fügte gelangweilt hinzu: „Dieser italienische Nando-Casanova ist doch total unwichtig.“

„Find ich auch“, pflichtete Kaily ihm bei. Olly drehte ihnen beleidigt den Rücken zu und zischte: „Ich finde euch beide doof.“

Inzwischen wendete die Fähre, um dann mit dem Heck voran in Bellagio anzulegen. So konnte das Auto der Grafs als erstes Fahrzeug vom Schiff rollen. Staunend betrachtete Mariella die prächtigen Fassaden der alten Hotels. Die meisten Geschäfte befanden sich in schattigen Laubengängen, vor denen altmodische, in Falten gelegte, bis auf den Boden reichende Stoffmarkisen angebracht waren. Rolf Graf fuhr die Uferstraße entlang, die von blühenden Oleanderbäumen und duftenden Blumenrabatten gesäumt wurde. Auf der anderen Straßenseite konnte man nun das ehemalige Grandhotel Britannia ganz aus der Nähe betrachten. „Jetzt sieht es doch ein bisschen unheimlich aus“, sagte Mariella. „Das passiert mit alten Häusern, wenn sie für längere Zeit unbewohnt sind“, entgegnete Lucie Graf. „Aber man sieht doch immer noch, dass es einmal ein sehr prachtvolles Gebäude war.“ Mariella nickte zustimmend und schaute weiter interessiert aus dem Fenster. „Seht mal, da sind ja schon ganz viele Leute mit ihren Hunden. Ich glaube, wir sind bald da“, rief sie. Herr Graf fuhr jetzt sehr langsam und vorsichtig, denn vor, hinter und neben ihnen strebten Hunde aller Rassen, zusammen mit ihren Besitzern, dem Ausstellungsgelände zu. Während das Auto geparkt wurde, machte Kaily in der Transportbox vorsichtig einige Aerobic-Übungen. „Heh, was hampelst du hier herum?“ Olivia, die ein kleines Nickerchen gemacht hatte, fühlte sich gestört. „Wir sind da, du alte Schlafmütze!“, klärte Kaily sie auf und machte unverdrossen weiter. „Ich hampel nicht, ich mache Lockerungsübungen. Schließlich muss ich mich nachher auf dem Catwalk graziös bewegen.“

„Ach, und deshalb benimmst du dich jetzt wie ein Trampeltier“, schnaubte Olly. Kaily hörte auf der Stelle mit ihren Übungen auf und sah sie fassungslos an. „Sagtest du gerade Tram-pel-tier?“, fragte sie und betonte jede Silbe.

„Ja-wohl!!!“, trumpfte Olivia auf. Wütend starrten sich die beiden an, und Kaily wollte gerade anfangen, Olly an den Haaren zu ziehen, als Barny, den das Gezanke nervte, dem Streit ein Ende machte. Ganz beiläufig bemerkte er „Cara mia, deine größte Konkurrentin, Pepita von Stolzenfels, ist auch hier – und sie sieht toll aus.“

Kaily war sofort abgelenkt und setzte sich in Positur. „Toller als ich???“, fragte sie mit einem Unterton, der es nicht zuließ, dass man diese Frage mit „Ja“ beantwortete. Barny zog sich geschickt aus der Affäre: „Sie ist doch ein völlig anderer Typ als du, bellissima, das kann man gar nicht vergleichen.“

„Außerdem weiß doch jeder von uns, dass du die Schönste bist“, fügte Olivia süffisant hinzu, was Kaily geflissentlich überhörte. Vorsichtig und ordentlich drapierte sie ihr Haarkleid um sich herum und seufzte: „Ach ja, aber hoffentlich wissen das auch die Preisrichter.“

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