Mails von Marge

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Zwei Suppen wurden aufgetragen, selbstverständlich vom Mann mit der Mütze. Bei der einen Suppe wurde gesagt, dass es eine Spezialität der Region ist. Es schwimmen so glibbelige Streifen darin, denke dabei an Hirn oder so. Bei einem perfekten Dinner würde ich äußern, das war nicht so mein Ding. Der Rest des Essens wurde genussvoll verschlemmt. Dem Fisch, der angeboten wurde, wehte keine “ungut“ Wolke voraus. In der Diele war ja auch kein Gedanke – ah – bzw. äh – heute gibt es Fisch aufgekommen. In Hamburg geborene Prinzessinnennasen sind diesbezüglich sehr “erbsig“.

Nachdem die wachen Augen des Australiers flink über den Tisch gehuscht waren und keinen weiteren Wein entdecken konnten, löste sich unsere gemütliche Runde auf. Auf der Terrasse saß der Mann mit der Mütze, verteilte die Pilgerpässe mit den Ausweisen und kassierte für die Übernachtung und Essen. Zog dann mit seinem Kästchen weiter zum Kornspeicher. Am großen Tisch in der Diele hielten sich einige Pilger an Cogñac-Schwenkern gefüllt mit einer goldgelben Flüssigkeit fest. Auch die Frankfurter und der Brite holten sich ihr Schlafmittel hier ab. Man kann ja auch nicht immer Kakao trinken. Wir zuckelten ab, in unser Zimmer.

Volle Belegung. Aha, die junge Ärztin war auch in unserem Zimmer. Sie lag auf Christian, der sich von ihr massieren ließ. Wuschi und ich hätten uns auch gern unter ihre zarten Hände begeben, man kann nicht alles haben. Die Amerikanerin schlief schon, eingemummelt in der Wolldecke. Stundenlang hatte sie ihre Füße im Pool gebadet. Die waren nun gut durchgeweicht, damit sie auf jeden Fall, beim Weiterlaufen, schöne bunte Blasen bekommt. Den Stuhl hatte sie ganz zu ihrem Bett gerückt. Gerhard lag auch schon schlafbereit. Leise warf ich meinen Schlafsack, gefolgt von dem Seideninlett, auf meine Bettstatt. Rückte den Stuhl wieder etwas mittiger und sprang in mein Hochbett. Pellte mich ins Inlett und legte mich auf den offenen Schlafsack. Das Bett war sehr schmal, hatte eine Breite von ca. 70 cm, gefühlte 60 cm. Dachte noch so, nun wollen wir aber mal schön so liegen bleiben, sonst mach ich einen unsauberen Abgang.

Dank des Fensterwächters war das Fenster offen. Hm – Richtung Garten und Terrasse. Die goldgelbe Flüssigkeit muss nachgeschenkt worden sein. Ich hörte nicht nur den Briten, er hatte einen tiefen Bariton, ausgelassen reden und lachen. Mit vor 8.30 Uhr aufstehen wird es wohl wieder nix bei dem Frankfurter. Ich wartete nur darauf, dass von meinen Mitbewohnern einer aufsteht und das Fenster zu macht. Einige Zeit später wurde wohl kein Schnaps mehr ausgeschenkt. Draußen wurde es ruhig. Christian und die Ärztin hatten ihre iPod-Kopfhörer auf und schienen auch zu schlafen. Nun schlief auch der Wiener, was er schnarchend mitteilte. Die Prinzessin lag vom Inlett eingewickelt in ihrem Bett. Unter sich eine Erbse. Eine große Erbse, sie hatte eine Größe von 185 cm und ein Gewicht von etwa 104 kg. Die Prinzessin überwand ihre Angst herunter zu fallen und rüttelte am Bett. Die große Erbse schnarchte laut weiter.

21.08.2011 Gestern folgte ich, nachdem ich meine Seite beendet hatte, dem Ruf der Gartenwerkzeuge und nahm sie fleißig ins “Gebeet“. Plötzlich Aufregung im Hause, ich solle sofort hereinkommen. Wasn los? Der Paketbote stand vor unserer Haustür. Wolfgang meinte nur: Da! Der Paketbote trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ich nahm das Paket, 20 x 13 cm klein, in die Hand und schaute auf den Absender. Lach! Es kam von TelefónicaAlice. Ich schüttelte es, aber es fühlte sich leer an. Wir öffneten es nicht, sondern ließen es einfach zurückgehen. Es war wohl nur die TV-Sim-Karte drin. Ich bin stolz auf meinen Mann, dass er so gut aufgepasst hatte. Zurück zur anderen Seite von Spanien.

Auch meine Gedanken und Augen machten irgendwann die Denk- und Lidklappen zu. Da wir einen Beinruhetag einlegen wollten, warteten wir am Morgen, bis sich die anderen Pilger aus unserem Zimmer geduscht hatten und bepackt den Raum verließen. In aller Ruhe trödelten wir rum und machten uns dann für den Tag bereit. Beeilen brauchten wir uns nicht, denn es goss wie aus Kübeln. Ich sprang über die Pfützen auf der Terrasse unter einen Sonnen- bzw. momentan Regenschirm. Dort stand auch der Brite, der sich an seiner Pfeife festhielt. Es entstand wieder unsere übliche “Unterhaltung“, grinsten uns an, während wir Dampfwolken ausstießen, das war´s.

Ab zum Frühstück. Wir gingen wieder in den Privadoraum, der andere Speiseraum war noch voll besetzt. Ich steuerte bewusst den hintersten Tisch an, so konnten wir den ganzen Raum übersehen. Uns wurden Riesentassen, auch sie waren getöpfert und mit dem Schriftzug “En el Camino“ versehen, für den Café hingestellt. Es gab frisch geröstetes Weißbrot. Die ältere Frau kam mit dem Mann mit der Mütze herein und wurde von ihm an den Tisch neben uns geleitet. Sie bevorzugte auch die Möglichkeit des “Überblicks“. Viele Pilger nahmen das Angebot war, hier einen Zwischen-Stopp zu machen. Die ältere Frau sprach den Mann mit der Mütze mit Eduardo an, prima, ab jetzt hatte er nicht nur die Mütze an, sondern auch für uns einen Namen. Die ältere Frau war aus Deutschland, also nicht Eduardos Großmutter.

Es kamen drei “Bicis“ herein. Gut erkennbar durch ihre “Tour de France“ Bekleidung. Es waren Brasilianer. Der eine von ihnen hatte den Tag Geburtstag. Ein Mitfahrer zündete eine Kerze an, die auf einem Minitörtchen stand. Das “Geburtstagkind“ ca. 40 Jahre, freute sich auch über das Ständchen, dass ihm zugeträllert wurde. Er stand mit dem Rücken zu uns gewandt. Er trug ein grellgelbes Trikot mit einer leuchtend roten Bici-Hose. Die Bekleidung war bestimmt schon länger in seinem Besitz. Nur seine Körpermaße hatten sich wohl im Laufe der Jahre stark verändert. Als er sich vorbückte, gab die Hose nach und den Blick auf nahtlos braune Bäckchenansätze mit geschlitzter Mitte frei. Die ältere Frau und ich lachten uns zu und sie meinte nur: „Manchmal sieht man eben Dinge, die man gar nicht sehen möchte.”

Die Bici´s gönnten sich ein üppiges Frühstück. Da betrat eine strahlende Paula, jetzt begleitet von einem jungen Mann, den Raum. Wir freuten uns Paula zu sehen. Schnell kam sie mit den Brasilianern ins Gespräch. „My name is Paula, I came from Australia.” Nun war ich aber platt, gibt es in Australien eine Stadt namens San Francisco? Nö! Wie schnell einen doch der Camino verändert. Sogar das Land, aus dem man kommt, verändert sich innerhalb einer Woche.

Der Brasilianer, der Geburtstag hatte, zog eine rote Bandrolle aus seinem Gepäck. Das wäre ein Glücksband aus seiner Heimatstadt Bahia. Er erklärte Paula, er würde nun mit zwei Knoten ein Stück Band an ihrem Handgelenk befestigen. Bei jedem Knoten sollte sie sich etwas wünschen. Auch wir erhalten jeder ein Stück Band und verknoteten, langsam, sodass wir Zeit für die Wünsche hatten, das Band am Handgelenk des anderen. Paula wanderte, nun von guten Wünschen begleitet, mit ihrem Begleiter, der nicht ein Wort gesagt hatte, ab. In der Diele wartete der Junge, der nur die letzten 100 km laufen wollte, darauf, dass ihn jemand mit dem Auto zur Busstation fuhr. Ich ging dann weiter zum Dampfen in den Garten. Auch die brasilianischen Bici´s sattelten ihre Fahrräder. Natürlich hatte das Geburtstagskind das Frühstück ausgegeben. Seine Brieftasche lugte in Hüfthöhe aus der eh schon überquellenden roten Bicihose. Ich überlegte, ob er bewusst das Geldtäschchen so mitnahm. Sprach ihn dann doch lieber an und zeigte auf das fast herausfallende Portemonnaie. Erschrocken sprang er wieder vom Bici, verstaute seine Habe doch lieber in der Gepäcktasche, die an dem Rad befestigt war. Wir lachten noch zusammen eine Runde. Glücklich folgte er, mit einem ¡Buen camino! verabschiedet, seinen Compañeros.

Eduardo hatte vom Vortag noch einen Pilgerpass mit Ausweis übrig und fragte uns, ob wir den Pilger kennen würden. Ja, gesehen hatte ich ihn. Wenn der Pass noch hier war, bedeutete es, dass der Pilger seine Unterkunft und das Essen nicht bezahlt hatte. Ohne Pass und Ausweis wird er keine Unterkunft bekommen, aber vielleicht hatte er auch mehrere Ausweise. Der Wanderer kam nicht zurück, um sich seine Papiere zu holen.

Kühl war es an diesem Morgen, der Regen hatte sich aber verzogen. Ich suchte mir ein Plätzchen an der Mauer auf einer Steinbank aus, das bereits von der Sonne erobert worden war. An den Seiten der Bank rankte Wein an der Wand. Er war sauber beschnitten, kräftige Reben hingen daran. Die Trauben sahen aus wie große Liebesperlen - äh – oder Erbsen. Die ältere Frau, Eduardo nannte sie Heike, kam zu mir. Sie meinte, das wäre doch ein nettes Plätzchen und sie wollte ihr Frühstück hier weiter essen. Wolfgang und ich holten ihr noch einen Tisch und Eduardo deckte hier ihr noch nicht beendetes Frühstück auf. Wieder ein feiner Ort, um die Pilger und das Treiben der Herberge zu beobachten.

Jede Handbewegung von Heike wirkte verzögert, so benötigte sie auch viel Zeit, um sich ein Brot zu schmieren. Sie hatte graue, kräftige, halblange, glatte Haare und ihr Körper war fast spitteldürr. Heike begann zu erzählen. Sieben Mal sei sie den Camino gelaufen. Dann hatte sie erst einen schweren Unfall und danach einen Schlaganfall. Nun würde sie seit Jahren, inzwischen ist sie 71 Jahre, hier immer 5 Wochen Urlaub verbringen. Ihr Mann bliebe lieber daheim in Frankfurt, für ihn ist das nichts. Sie reise immer alleine mit dem Bus an und würde dann von der Busstation abgeholt werden. Sie mag diesen Ort und die Menschen hier. Eduardo würde immer vorausahnen, wenn sie seine Hilfe benötigte. Urplötzlich stehe er im Kornspeicher, wenn sie sich am Morgen zurechtgemacht hatte und würde sie dort abholen.

Wir hatten zwischenzeitlich unser Doppelzimmer – zum Auspacken – bezogen. Unsere gesamte Wäsche, außer der Kleidung die wir trugen, gesammelt. Eduardos Mutter, heldenhafte Wächterin über die Waschmaschinen, zum Waschen gegeben. Die Pilger durften die Waschmaschinen nicht bedienen. Sie hatten aber die Möglichkeit, ihre Sachen an Waschbecken auszuwaschen. Es ist ja auch egal, ob man 3,00 € in einen Zähler der Waschmaschine wirft, die dann nicht anspringt oder jemand dafür bezahlt bekommt und die Tätigkeit erledigt. Prima ich hatte ja einen freien Tag.

 

Wir setzten uns wieder zu Heike. Sie schläft gerne im Kornspeicher unter den Pilgern. Ihre klugen, dunklen Augen wanderten mit jedem Pilger zum Eingang des Haupthauses. Sie ist Psychoanalytikerin, dass merkte man auch. Ihr heller Kopf widersprach ihrer körperlichen Unbeweglichkeit. Trotz ihrer Eingeschränktheit duldete sie nur Hilfe, wenn sie sie einforderte und einen von uns bat, einen Tisch zu verstellen oder ihren kleinen Rucksack zu tragen.

Die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken eindeutig gewonnen, nicht ein klitzekleiner Himmelswattebausch ließ sich mehr blicken. So wanderten wir vom Sonnenplatz in den Halbschatten eines Apfelbaumes. Der Baum war wie ein Weinstock beschnitten. Hatte einen kräftigen Stamm und dicke Äste. Zweige konnte man an ihm nicht finden. So hingen die noch kleinen Äpfelchen in Vierer- oder Dreierbünden an den großen Ästen. Apfelmus wird man von den Früchten nicht herstellen können. Denn die Äpfel wuchsen so dicht, dass wenn sie größer wurden, keiner mehr Platz am Ast hatte und wohl herunterfielen.

Letztes Jahr war Eduardo vier Wochen bei Heike in Frankfurt und hätte dort Deutsch-Unterricht an einer Sprachenschule genommen. Das erklärte seine deutschen Sprachkenntnisse. Er versuchte jeden Pilger mit seiner Heimatsprache anzusprechen. Er hätte auch einige Wochen in Brasilien verbracht und von dort diese, wie Heike fand, unmöglichen Holzpapageien, die im Garten verteilt waren, mitgebracht. Ich erzählte lieber nichts von meinen Spanischversuchen. Klar, ich hatte mir das rechte Handgelenk gebrochen und war dann nicht mehr zum Kurs gegangen. Aber mein Kopf war in Ordnung – na ja – ein büsschen oder eben nicht für Sprachen gemacht. Und manchmal bin ich auch völlig sprachlos. Heike sagte barsch, sie verbiete mir, sie Heike zu nennen, und durchlöcherte mich dabei strafend mit ihren Augen. Mein Unterkiefer klappte Richtung Boden nach unten. Sie hatte uns doch von Beginn an geduzt, ich war mir keiner Schuld bewusst. Da kehrte Milde in ihre Augen zurück und sie erklärte uns, dass sie Heinke heißen würde und sehr stolz darauf sei. Puh!

Außer Eduardo und seiner Mutter, gab es noch mehrere helfende Hände. Der Vater war für den Garten zuständig. Eine Köchin, so richtig im Dress, karierte Hose und Kochjacke, schwang die Töpfe in der Küche. Alle grüßten strahlend, wenn sie an den Pilgern vorbeigingen. Es war keine aufgesetzte Freundlichkeit, wie bei einem Bankangestellten, der erfahren hatte, dass man Millionär ist, sondern irgendwie – echt -. Als eine junge Frau zum wiederholten Male mit Pilgern Richtung Kornspeicher ging, fragte ich Heinke, ob es die Frau von Eduardo wäre. Nein, meinte Heinke, Mariella – hoffentlich habe ich den Namen richtig behalten – sei Italienerin, im richtigen Alter, leider aber schon mit einem jungen Mann aus Barcelona liiert. Das fand Heinke sehr schade, ich auch. Wirklich schade, wir sahen uns an und lachten dabei.

29.08.2011 Hatte ich 3 Tage Kopfschmerzen, Grippe oder sonstige Unpässlichkeiten? Na ja – fast. Wir waren in Schweden. Ich hatte überhaupt keine Lust, aber Wolfgang wollte nicht alleine fahren. Da er mich längere Zeit begleitet hatte, wollte ich denn auch mal guten Willen zeigen. So hatten wir uns einer Gruppe Hamburg-Freezers-Fans angeschlossen und rasten durch Dänemark nach Schweden. Bis auf die Gurkerei im Schweigebus, 9-Sitzer belegt mit 5 Piepel, war die Tour besonders beim letzten Spiel erfrischend ausgelassen. Ich machte in dem Kleinbus den Hinterbänkler und überließ den Platz neben Wolfgang, er war der Chauffeur, für einen männlichen Beifahrer. Auf längeren Strecken ist ein unterstützend unterhaltsamer Beifahrer viel Wert. Von diesem Beifahrer kam nix – drei Tage nix – überhaupt nix. Tz-tz-tz und für so was hatte ich den Spitzenplatz freigegeben – unglaublich. Ich begebe mich lieber auf den südlichen Weg.

Gerne beobachtete ich die schlanke, junge Frau. Mit einem warmen Lächeln begleitete sie leichtfüßig, Ruhe ausstrahlend, die erschöpften Pilger durch den Garten zum Speicher. Von unserem Platz, unter dem ausgelichteten Apfelbaum, sah man den Kirchturm. Auf der Turmspitze sind drei Storchennester, aus denen sich die halbstarken Jungstörche reckten und den ein oder anderen Flügel ausbreiteten, danach sich wieder zurücksetzten. Gezanke gab es aber nicht, sah nach friedlicher WG aus.

Es kamen immer mehr Übernachtungspilger. Junge Leute nutzten den Pool aus. Ein junger Mann hatte viel Spaß daran, mit einer ”Ar…bombenlandung” in den Pool zu platschen. Er war leider der Einzige, der das witzig fand. Die von oben bis unten nass gespritzten, amüsierten sich nicht so gut. Heinke hob ihre Hand, als Eduardo zu uns sah. Eduardo wird im Winter wieder einige Zeit bei ihr im Hause wohnen und weiter an seinen Sprachkenntnissen arbeiten. Aber nur vier Wochen, länger würde Heinkes Mann keine Gäste ertragen. Eduardo hat den Wink mit der Hand verstanden. Prompt erschien er mit einer halb vollen Flasche Weißwein. Sie meinte, es wäre jetzt die richtige Zeit um ein Glas zu trinken. Ich fragte ihn, ob den der Pilgerpass, der vom Vortag noch über war, abgeholt worden ist. Nein, der Mann hatte sich immer noch nicht gemeldet. Komisch.

Drei Amerikaner, eine Frau, ein Mann und ein jüngerer Mann tauchten auf. Ich glaube nicht, dass es eine Familie war. Sie trug eine rosa Fleeceweste und ihre Hose war bordeauxfarbend. Etwas abgelegen, an einem Tisch, machten Mariella und die Köchin gelegentlich ein Päuschen – Smoktime. Einige Meter davor aß ein Pilgerpaar eine Zwischenmahlzeit und hatte auch gefüllte Gläser mit Getränken vor sich auf dem Tisch stehen. Das Pilgerpaar verließ kurz seinen Platz und ging hinein. Die rosa Weste ging zielstrebig zum Pausentisch, nahm den Aschenbecher, entfernte im Gehen ein Stück Papier aus dem Ascher und schmiss es auf den Teller von dem Pilger, der gerade aufgestanden war. Sie setzte sich dann auf die andere Seite des Gartens, mit dem Aschenbecher. Zwei Augenpaare hatten sie die ganze Zeit verfolgt. Diese gehörten Heinke und mir. Übereinstimmend stellen wir fest, dass das doch an Dreistigkeit nicht zu übertreffen sei. Gelangweilt strich sich die rosa Westenträgerin ihr braunes, schulterlanges, sowieso schon glattes Haar zurück und rauchte. Sie und ihre Begleitung passten nicht hier her. Dass sie dumm war, hatte sie ja schon bewiesen. Bei den Amerikanern fehlt die Mimik im Gesicht. Es war an ihnen weder Freude, Freundlichkeit, Erschöpfung, Interesse oder ein Hauch von Intelligenz erkennbar. Dummies?

31.08.2011 Eine Gutschrift von Allitsche für den HD-Rekorder erhalten. Bin sehr misstrauisch, der Hausmeister Alexander der ”Große” hat nicht unterschrieben. Wenn das man gut geht. Zurück zur Erinnerung.

Nicht nur die Albergue wurde voller, auch die Wäscheleinen, die hier an zwei Seiten gespannt waren. Sie wiesen kaum noch Lücken auf. Viele Handtücher flatterten an den Leinen. Sie unterschieden sich nur in der Farbe. Diese extra dünnen Microfaser-Handtücher gab es nur in hell- oder dunkelblau. Leider waren die meisten in Hellblau, natürlich wie unsere. Hatte ab und an einen Blick auf unsere Wäsche geworfen, um mich von der Vollzähligkeit zu überzeugen. Endlich war alles trocken und ich trug die Wäsche gespannt nach oben. Die Spannung ließ schnell nach und wich einer Enttäuschung. Diese blöden Fettflecken waren immer noch vorhanden, nur etwas blasser. Auch eine Art von Begleitung.

In meinem Körper machte sich Unruhe breit. Ständig sitzen, dabei essen und trinken reichte ihm wohl nicht mehr. Sollte ich mich wirklich ans Pilgern gewöhnt haben? Mein Mann erzählte abermals, dass ja nun die Meseta kommt, diese 18 km ohne Baum und Strauch. Wieso käme jetzt die Meseta, wir liefen doch schon längst da durch. Er meinte, dass schaffe er mit seinem Bein nicht und wollte Eduardo fragen, ob uns jemand am nächsten Tag mit dem Auto zum Bus bringen könnte.

Wo doch diese Strecke besonders gut für Flachlandbewohner ist. Keine Hügel, keine Hochebene einfach nur platt. Ich hätte diese Etappen geliebt, wäre nur so durch die Meseta geschwebt – leichtfüßig voran gepilgert – theoretisch –. Oder ich hätte danach auch so hübsche violette, blutdurchtränkte Blasen an meinen fünfzehigen Quaktaschen. Wer weiß – vielleicht hätte ich dann in die Klagelieder der Männer mit einstimmen können – wer weiß. Wie unnett von mir.

Unter den angekommenen Wanderern waren viele Deutsche. Auf der Steinbank, zwischen den Weinranken, hatte eine deutsche Frau ihre in einer dunkelgrünen Fleecejacke steckende leicht gerundete Figur niedergelassen. Sie rauchte eine Etappenankomm-Zigarette und blinzelte in die Sonne. Spontane Sympathie flog ihr von meiner Seite zu. Nicht weil sie rauchte, sondern ihre gemütliche, warme Ausstrahlung gefiel mir. Es gibt auch Raucherinnen, die kann ich überhaupt nicht leiden – Amerikanerinnen? – genau. Die ”Dummiene” in rosa Weste lief den ganzen Nachmittag durch den Garten. Immer mit Zigarette und wenn der Glimmstängel abgeraucht war, wurde er einfach fallengelassen, ausgetreten und liegengelassen. Auf diesem englischen Rasen – unglaublich. Schade, dass ich sie nie hechelnd einen Anstieg hab nehmen sehen. Dann hätte ich, natürlich während ich an ihr vorbeilief, meine Packung herausgeholt, damit gewedelt und nä–nä–nä-nä-nä gemacht. Aber wahrscheinlich liefen diese Amerikaner auch nur bis zu ihrem Auto, das sie um die Ecke geparkt hatten.

Eine andere Deutsche, Brillenträgerin in Streifenbluse mit halblangen Stangenlocken, setzte sich zur Frau mit der dunkelgrünen Fleecejacke und sabbelte los. Sie wäre am Somportpass gestartet und hätte den aragonesischen Weg bis Obanos genommen. Ihre Art zu sprechen erinnerte mich ganz stark an die orange betuchte Platzanweiserin. Bla-bla-bla-bla- ohne Pause verzückte die Frau in Grün nicht wirklich. Dann war die Streifenbluse fertig, stand auf und meckerte zu der Grünträgerin: In der halben Stunde hat sie zwei Zigaretten geraucht, das ist ja wohl zu viel oder? Da sprang auch Grün fassungslos auf. Man spürte den ”Wutrauch” wabbern.

Die Frau in der dunkelgrünen Fleecejacke war einfach sprachlos, lief ein paar Schritte nach links, dann ein paar Schritte nach rechts, bis sie sich endlich beruhigt hatte. Die Streifenbluse hatte sich längst Richtung Kornspeicher entfernt.

Am Morgen hatte es noch fürchterlich gegossen und ich mich zum ersten Mal nicht eingecremt. Kostenloses Botox hatte sich nicht unter die Haut begeben, sondern darauf. Die Spannung meiner Gesichtshaut war exzellent gelungen, ich hatte nun eine Glühbirne. Die sich inzwischen beruhigte Frau in der Fleecejacke berichtete, sie sei schon bis Frómista, 6 km weiter, gelaufen. Hätte dort auf ihre Freundin gewartet, aber die wäre nicht gekommen. Verärgert hatte sie ein Taxi genommen und war hierher zurückgefahren. Und sie denke im Traum nicht daran, diese zusätzlichen Kilometer nochmals zu laufen.

Meine Augen huschten unruhig durch den Garten. Es liefen vier große Hunde durch das Areal. Sie sahen wie Schäferhunde aus, nur diese waren tiefschwarze Schäferhunde. Mein Verhältnis zu Schäferhunden ist seit meiner Kindheit gestört. Der Chef meines Vaters besaß einen, Prinz hieß das Tier. Ich war noch in einem Alter, wo ich die gleiche – gefühlte – Körpergröße wie der Hund hatte. Der Prinz hatte die kleine Prinzessin immer böse angeknurrt, dass mochte die Prinzessin überhaupt nicht. Heinke bemerkte, dass das Eduardos Hunde sind. Er hat sechs Hunde. Na toll, hoffentlich ließ er wenigstens die restlichen Hunde nicht auch noch in den Garten. Heinke kannte auch die Namen der Hunde. Mutig streichelte ich zwei der Hunde, damit sie meinen Geruch aufnahmen, aber nicht meinen Schiss in de Büx merkten.

Was während des Pilgermenus los war, weiß ich einfach nicht mehr – wohl nix. Keine Erinnerung. Wir gingen frühzeitig schlafen. Ich möchte auch gerne weiter, Ruhetage machen mich eher unruhig.