Mails von Marge

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Mails von Marge
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Mails von Marge

Da läuft ganz schön was zusammen

Margrit Lange

Auch wir, also mein Mann und ich, machten uns auf den Weg. Schon klar – über den Jakobsweg. Beginnend ab 2011 trotteten wir im Paarlauf des Weges. Dabei wollte ich immer alleine gehen. Wieder im Alltagstrott gelandet, war mein Kopf gefüllt mit den Erinnerungen. Die Bilder im Kopf ließen mich nicht los. So schrieb ich fast jeden Tag eine Mail an unsere Kinder und Freunde über unsere Camino-Erfahrungen. Als wenn sich um meinen nackigen Körper eine Schnur geschlungen hatte, die mit jedem Satz, jeder Seite, von meinem Leib abgerollt wurde, mich in einen Brummkreisel verwandelte, bis ich völlig entblättert war.

Sobald man sich die Stiefel schnürt und sich über den recht steinigen Jakobsweg macht, verändert sich das Leben. Wo gibt es etwas zu trinken und zu essen. Wo kann ich mein Pusteblumenköpfchen für die Nacht auf das Kissen schmeißen. Das Span-nendste sind aber die unterschiedlichen Menschen die einem begegnen.

Sicher erzähle ich die Eindrücke, die ich hatte ein bisschen sarkastisch, quengelnd, lauffaul, wartend auf die mit kulinarischen Köstlichkeiten ausgestattete Sänfte. Die mich über den steinigen Camino »trägt». Woraus man mich am Ende der Etappe vorsichtig hebt und mich in die duftige Dammastbettwäsche zum Ruhen legt.

Ich bin kein liebes Mädchen, will ich auch nicht mehr werden. Punkt. Zu spät. Wen ich mag, den mag ich von Herzen. Wenn ich aber jemanden »gefressen« habe, dann schäumt die grüne Seife ganz schön über. Und unter den Pilgern gibt es nicht nur die mit dem strahlend gelben Ring um den Kopp – nö. Alle wurden so verarbeitet, wie ich sie beobachtet hatte. Wobei ich mit mir auch nicht immer nett umgegangen bin. Mit meinem persönlichen Schnarchgesellen auch nicht.

Mails von Marge

Da läuft ganz schön was zusammen

Margrit Lange

Impressum

Texte: © Copyright by Margrit Lange

Umschlaggestaltung: © Copyright by Margrit Lange

Foto: © Copyright by Wolfgang Lange

2011

Vorlauf

Es geht los. Meine ersten Schritte auf dem Laptop.

Ach ja, laufen äh oder ausgelaufen? Bin gar nicht mehr wech – sondern wieder hier. Blödes Revier. Die Kinder hatten uns mit ihrem neuen Auto vom Flughafen abgeholt. Wir überlegten noch, können wir mit unseren verdreckten Wanderstiefeln in dieses schnieke strahlend weiße Auto einsteigen. Gibt es vielleicht schon Filzpuschen dafür? Gutes Geburtstagsgeschenk, unbedingt merken.

Wollten wir nicht sechs Wochen laufen? Den Jakobsweg von Pamplona nach Santiago de Compostela? Sind wir gerast oder Kenianer. Nein, wir waren gelaufen - bis – bis Wolfgangs Sehnenentzündung keine Besserung erwarten ließ.

Hatte ich gerade begonnen auf meinem Laptop zu hacken, beginnt bei uns das Reihenhausleben. Fröhlich wird der Rasenmäher linksseitig über den gut gedüngten Rasen gelenkt. Rechtsseitig kämpft man mit zwei Kleinkindern und dem Handrasenmäher. Meine Lust zum Schreiben wurde abrupt beendet. Nachdem ich alles zusammengepackt hatte, war der Rasen auch gemäht.

Vielleicht sollte ich auch anstandshalber eine Runde im Garten werkeln, kommt immer gut an. Punkt. Gesagt getan.

Gestern mühsam den Laptop eingerichtet. Ich besitze ihn schon seit August vorigen Jahres. Nur leider war meine Lizenz für das Virenprogramm unter einem Monat gültig. Also warten. Über das Warten und der zwischenzeitigen Verlängerung hatte ich ihn schlicht missachtet. Vielleicht auch irritiert durch den Hinweis: eingeschränkte Garantie, lebensgefährliche Stromschläge wenn die Anschlüsse in falscher Reihenfolge angebracht werden. Toll!!

Nun gestern endlich dabei gegangen. Virenprogramm installieren, übliche rauf- und herunterfahren. Einmal – zweimal – dreimal. Dabei wurden die Updates von Windows installiert, erst waren es 43, dann waren es 50 Updates. Warten – warten. Ich bin ja so geduldig beim Warten. Was machen die eigentlich bei Microsoft? Wieso so viel Updates in einem Zeitraum von 9 Monaten. Gebären sie Fehlerentdeckungen?

Nun aber mal los, nicht so viel jammern.

Unsere Vorbereitungen liefen über Monate. Stiefel kaufen, einlaufen, umtauschen, die Nächsten einlaufen. Odlo Unterwäsche, Schlafsäcke, Inletts, Fleecejacken, Funktionsshirts, Wolfgang Suppa-Funktionsjacke – ich hatte ja schon meine Extremsportjacke – hallo! In Weiß!! – wie blöd kann man eigentlich sein? In Weiß! Gut das ich sie nicht gebraucht hatte – sie ist noch weiß. Bei Regen hätte ich bestimmt immer nur meine Fleecejacke getragen, nur um die Extremsportjacke zu schonen. Weiter in der “Vorbereitungs- und Einkaufsliste“: Taschenmesser, Rucksäcke, für viele albern – Schutzhüllen für Rucksäcke, Merinowolle Schlafshirt, Wandersocken, Funktionshosen, Regenbilligponcho, Regenhüllen für Rucksäcke, Notverpflegung, Sandalen, Plastikflaschen für Shampoo, Duschzeug, Sonnencreme, Sonnenhüte, Sicherheitsnadeln, Wäscheleine, extra leichte Badehandtücher, Pacsafe-Bauchtaschen, Pilgerausweise, Outdoor-Reiseführer, Moleskine Notizbücher (fast leer zurück – meins jedenfalls), Nähzeug (auch fürs Blasen aufstechen), Ohrstöpsel und das ganze Sortiment an Blasenpflaster, Hirschtalg, Magnesium, Globuli, Handdesinfektionsmittel, Pipi-Rinne für Mädels (auch alte Mädels) und eine Kackschaufel, viel was wir für den Weg geschenkt bekommen hatten. Man, was waren wir ausgerüstet.

Anreise

Am 14.05.2011 ging es endlich los. Ab zum Flughafen. Guten Mutes liefen wir zum Bahnhof. Ich hatte im Laufe der Woche ja schon Probepackungen vorgenommen. Alles klar 8.630 g mein Rucksack, Wolfgangs 9.400 g. Abflugtag meiner 9.800 g? Zum Fliegen hatten wir uns alte Sachen angezogen, die wir in Pamplona wegwerfen wollten. Na, kommt denn wohl so hin – dachte ich noch. Leicht war der Rucksack aber nicht wirklich.

Schleppt man nicht sein ganzes Leben Dinge mit sich, die man nie braucht? Aber immer dabei hat – es könnte ja sein, dass man sie doch benötigt?

Eine geniale Idee ist ja die E-Bordcard (für wen?? Ach ja, für Willi-Unwichtig) – man braucht ja nicht mehr einchecken! Doch musst du, wenn du Gepäck hast.

Lufthansaschlangen haben nichts mit Luftschlangen gemein. Denn sie sind wirklich sehr – sehr lang. Alle Lufthansafluggäste (für sämtliche Flüge) bitte in einer Schlange anstellen. Klasse Idee – Begeisterung – denn die Zeit auf der Uhr zeigt an, das könnte knapp werden. Trotz E-Bordcard – ha!

In der Schlange präparierten wir unsere Rucksäcke mit den Plastikhüllen, damit wir in Pamplona mit heilen, sauberen Rucksäcken landen können. Beim Verpacken rann mir schon mal ein büsschen Schweiß von der Stirn. Natürlich mussten wir mit unseren etwas seltsam verpackten Rucksäcken zum Schwerlastschalter. Aber dann hatten wir alles erledigt, ab durch die Personenkontrolle. Wir hatten ja kein Handgepäck, das Puckelgepäck war endlich weg. Pacsafe ab, Gürtel ab, alles aus den Taschen raus und? Na und? Ich war längst durch. Na wo ist denn der Wolfgang? Es piehipte. Er musste in eine Kammer und seine Schuhe ausziehen. Es dauert und dauert. Puh! Endlich hatten wir es bis in die Wartehalle des Gates geschafft. Puh!

Im Warteraum von Lufthansa, früher gab es hier mal Zeitungen, taxierte ich die Fluggäste der Maschine Hamburg-Düsseldorf. Was fällt mir auf? Zwei Frauen, eine in Khakibraungelb die andere in Türkis, Dreckigtürkis. Irgendwie glaubte ich, dass die Beiden die gleiche Reiseroute haben. Khaki isst erst mal ein Käsebrot.

In Düsseldorf angekommen, benötigen wir nur ein paar Schritte, um zum Abfluggate zu kommen.

Hallo, was ist denn hier los. Erschien eben ein Icon Windows-Update? Hallo, bin doch gar nicht am Netz. Fährt der Laptop doch einfach herunter. Wenn er so weiter macht, werden wir nicht wirklich dicke Freunde. Darf ich weiterschreiben? Danke.

Gate A 20 Düsseldorf – Bilbao. Ich hielt Umschau. Sah mehrere Wanderstiefel an den Füßen. Aha, es ist das richtige Gate. Na, wer ist auch da? Na klar, Khaki und Türkis. Ich mag diese Frauen nicht. Khaki isst erst mal das nächste mitgebrachte Käsebrot. Türkis muss die Arme ganz weit ausbreiten, um ihre herabfallenden Mundwinkel aufzufangen. Der erste Eindruck über die Frauen, vergiss sie.

Ein Wandersmann durchschreitet im Stechschritt die Halle. Gerade Körperhaltung, ausdrückend; ich bin ein sehr guter Läufer – stark, energisch, ha! Dabei ist sein Körpermaß ca. 160 cm. Die meisten Passagiere fliegen weiter nach Bilbao. Türkis grummelt immer noch. Zicke.

Vom Flughafen Bilbao soll ein Bus in die Stadt zum Busbahnhof fahren. Er war natürlich schon weg. Vor der Haltestelle stehen alle meine “Freunde“. Obwohl das Käsebrot ist jetzt wohl alle. Stechschritt fragte ob wir heute noch die erste Etappe laufen wollen. Es ist bereits 13.30 Uhr. Klapskalli.

Als der Bus kam (angegebene Fahrplanzeiten wollen wir mal schlicht vergessen) und wir einstiegen, konnte ich endlich mein vorzügliches Spanisch anbringen „Dos billete a Bilbao por favor“. Na ja, der Bus fuhr ja auch nur nach Bilbao.

An der zweiten Station stiegen die beiden Frauen aus. Ich war unruhig, wollte auch raus. Wolfgang fragte lieber nach, auf Englisch, sicherheitshalber auf Englisch. Bei meinem Spanisch! Wir blieben bis zur Endstation sitzen und die Weibsen waren wir auch los.

Es war gestern heiß – sehr heiß. Die Luft bestand nur aus durchsichtigen Marshmallows. Dann kam nach langer Trockenheit das Gewitter. Ein Instinkt schreit – los reiß dir die Klamotten vom Leib und tanze durch den prasselnden Regen. Eine Reinigung - nicht nur der Luft. Was hielt mich davon ab, mich zu entblättern? Das Gewitter oder die Nachbarn – beides. Schade eigentlich.

 

Nun wollen wir aber wieder auf den richtigen Weg kommen.

Busbahnhof Bilbao, mein zweiter Einsatz „Dos billete a Pamplona por favor“, hat geklappt. Hielt zwei Fahrkarten nach Pamplona, Abfahrt 15.15 Uhr, in der Hand. In der Wartezeit lernten wir zwei Pilger kennen. Einen Hamburger und einen Rheinländer. Der Rheinländer war sehr aufgeregt. Er möchte den Camino in Logroño beginnen, ist überhaupt nicht vorbereitet und möchte negative Dinge die sein Leben begleitet hatten weglaufen. Der Hamburger war ein Jahr zuvor ab Saint-Jean-Pied-de-Port gelaufen. Er wäre süchtig geworden und wird ab Burgos beginnen. Er hatte seinen Rucksack auch mit einem Plastiksack vor Verschmutzung gesichert. Er arbeitet bei der Lufthansa. Wir verabschiedeten uns mit einem ¡Buen camino! – sehr sympathisch.

Die Busfahrt nach Pamplona verlief sehr geruhsam, wir waren beide eingenickt. Pamplona ist größer, als ich erwartet hatte. Auf unserem Miniplan von Outdoor brauchten wir nur über den Rio Arga einer Brücke folgen, schon sind wir am Hotel. Theoretisch, praktisch liefen wir in die falsche Richtung. Klar, weil wir den Rio Arga gar nicht sehen konnten. Also fragen. Nun konnte ich schon mal feststellen, dass ich überhaupt kein Spanisch kann. Ich verstand mal nix, zum Glück gibt es ja noch Handzeichen. An der Stadtmauer angekommen sehen wir ganz – ganz weit unten den Rio Arga. Beim Hinuntertapern der Treppen graute mir schon vor dem Morgen. Überall wo man hinunter geht, muss man ja auch wieder hinauf. Gedankenächs.

Nach überqueren der Brücke beginnt ein neuerer Stadtteil. Oft hatten wir nach dem Hotel gefragt. Margie hatte wieder nichts verstanden – Dialekt? Lass ich jetzt mal so stehen. Nach gefühlt gelaufenen 5 km hatten wir endlich unser Hotel erreicht. Unsere erste Unterkunft war in Ordnung – vale. Sind noch wieder zurück in die Stadt gelaufen, wollten etwas essen. Gegenüber der Brücke standen viele Leute. Komisch, nachsehen, aha, mitten in der Stadtmauer fährt ein Seil-Lift in die Altstadt. Leckere Tapas gegessen und ab in Bett.

Wir waren schon schön eingeduselt, saßen plötzlich wie auf Kommando aufrecht im Bett. Es kruschelte an der Tür und sie wurde aufgeschlossen, geöffnet und wieder geschlossen. (Ich klau dem Schei… vom Bauhof gleich die nervige Säge) Wolfgang sprang auf und steckte den Schlüssel ins Schloss. Was war das denn. Fühlte mich gerade sehr – sehr sicher.

Pamplona – Puente la Reina

Es war Sonntag der 15.05.2011, nach dem Frühstück ohne mantequilla (Butter), die hatten sie vergessen, ging es los. Deckten uns noch mit Brötchen und Wasser ein. Pilgerten durch Pamplona. Ich wollte unbedingt noch einen Pilgerstab haben. An der Universität of Navarra, Universität päpstlichen Rechts, Opus Dei, trafen wir einen Geistlichen, Wolfgang unterhielt sich mit ihm auf Englisch.

Heute Morgen sah ich auf den Wecker, es war 10.30 Uhr, mensch, hab ich aber gut und lange geschlafen. Stimmt nicht, es war erst 6.50 Uhr. Während unserer Abwesenheit gab es einen Stromausfall und ich hatte den elektrischen Wecker noch nicht wieder richtig eingestellt. Fühle mich gleich unausgeschlafen. Reibe mir die Augen und weiter geht es.

Wir umkreisten, ich lief im würdigen Abstand von zwei Metern hinter den Männern, das gesamte Gelände der Universität. Der Geistliche sieht sehr gut aus, wieder ein Fall von Verschwendung, nix zu holen für Mädels. Seinen Gang kenn ich von meinem jungen Chef. Ja genau, dieses leichte Nachhüpfen mit der Ferse. Wolfgang teilte mir mit, dass sie zwar keine Pilgerstäbe hätten, aber wir könnten Stempel in unseren Pilgerpass bekommen. Ich wollte keinen Stempel, ich wollte einen Stab. Wir warteten vor einem vergitterten Fenster, nix tat sich. Wollten schon von dannen ziehen. Plötzlich ging das Fenster im Hochparterre auf. Ein Mann mit grimmigem Gesicht wedelte mit seinem behaarten Arm herum. Hätte Wolfgang nicht ganz schnell seinen Pilgerpass hingereicht, wäre das Fenster zugeknallt worden. Opus Dei eben.

Nun waren wir einen km extra gelaufen, Wolfgang hatte einen schönen Stempel von der Uni und ich immer noch keine Wanderhilfe. Es war ja Sonntag, alle Geschäfte, außer Panderien (Bäckereien) und Bars, waren natürlich geschlossen. Später, wenn wir in unsere Pässe geschaut hatten, ärgerte ich mich schon ein büsschen, dass ich ausgerechnet diesen besonders schönen Stempel nicht habe. Hatte mir aber vorgenommen nur in den Orten, wo ich meine Tagesetappen beende, meinen Pass abstempeln zu lassen.

Vorher liefen wir durch die Straßen von Pamplona, immer die Augen konzentriert auf die Muschel in den Fußwegplatten oder den gelben Pfeilen an den Hauswänden geheftet. Bloß nicht verlieren - den Weg. Auf der anderen Straßenseite lief ein anderes Pilgerpaar. Er schreitet gleichmäßig gehend, natürlich mit einem Pilgerstab ausgerüstet. Seine Frau wirkte lebendiger, quirliger, sie benutzte einen Stick. Also wir sind nicht alleine auf dem Camino. Wechselseitig schaute man hinüber.

Wir liefen locker durch die Stadt, dann durch die Vororte. Echt locker. Es ist Sonntag und was machen die Spanier? Es werden keine Stiere getrieben, sondern die Menschen folgen ihrem Bewegungstrieb. Es wird voller auf dem Camino. Fahrradfahrer, Jogger (Mädels immer mit Handtäschchen – immer!!!) Und ganz viele Sonntagspilger.

Es wurde voll. Vor uns läuft eine Gruppe Franzosen. Ohne schweres Gepäck, Luxuspilger, mit gebuchten Hotels, Transportservice. Alle mit Sticks. Grummel!! Eine Frau, in pinkem Shirt, von der Gruppe sabbelte die ganze Zeit. Immer wenn uns Fahrradfahrer, Jogger oder Pilger überholten, oder entgegenkamen, wurde uns ein freundliches ¡Hola! - ¡Buenos días! - ¡Buen camino! Zugerufen. Entsprechend wurde von uns geantwortet. Es sind viele an uns vorbeigezogen. In Cizur Menor gibt es zum Glück eine Bar und wir machten unsere erste Pause. Es ist wirklich Zeit für einen Cafe und na? Klar es ist Smokytime.

Auch ein anderes Paar steuerte die Bar an. In hightech Ausrüstung. Sie rotbackig, immer grinsend mit einer Bauchtasche, in der Größe eines zweiten Rucksackes. Klimatisierte Getränkeflaschen baumeln daneben, auf dem Kopf eine Kappe. Er hat ein Melonengesicht, ein GPS-Gerät hängt an seinem Hals. Seine Getränkeflaschen hängen auch vor seinem nicht unüppigem Bauch. Wahrscheinlich zieht er sie wie Pistolen aus dem Halfter. Hey – ich habe Durst – peng – peng. Und – und jeder hat zwei Sticks – zwei!!! Jeder!!! Ich hatte immer noch keinen Stab oder Stick. Hightech Holländer eben. Wir redeten ein büsschen und zogen dann weiter.

Im Outdoor Reiseführer stand für Radfahrer: Die Fahrt auf die Passhöhe des Puerto del Perdón ist sehr anstrengend, die daran anschließende Abfahrt dann wahrhaft halsbrecherisch. Ach ja, und was ist mit Pilgern, die zu Fuß gehen? Haben wir Flügel? Segeln wir eben mal auf den Pass und mit zwei Flügelschlägen sind wir auch schon wieder unten?

Nö, wir liefen nur bergauf, die sabbelnden Franzosen vor uns. Immer bergauf. Ich krallte meine Hände in die Trageriemen meines Rucksackes (wo sollte ich auch sonst mit ihnen hin – jammer – wo ist mein Stöckchen) zählte immer 10 Schritte – schnaufen – 20 Schritte – schnaufen. An der Wegstrecke standen alle Marlboro´s meines Lebens. Sie bogen sich vor Lachen, ätzend. Ich sah vor mir immer Wolfgangs Po-Bäckchen, sind gar nicht so groß – oder machte das die Entfernung?

Mit uns hüselten zwei Spanier eine Karre bergauf. Ständig fielen ihnen Stangen – Zeltstangen? - von der Karre. Endlich jemand der langsamer war als wir. Irgendwann nahm ich ihnen zwei Stangen ab. Zwar keine Sticks aber ich hatte etwas in den Händen. Ihnen trullerten immer wieder Gegenstände von der Karre.

Wir hatten den Puerto del Perdón Höhe 734 m erreicht. Auf dem Bergrücken ”wo der Weg der Winde mit dem Weg der Sterne zusammentrifft“ stehen 40 Windräder. Ich sah auch Sterne, die Luft war voller Tröpfchen, sie flogen auf mich zu. Oben auf dem Pass sich umdrehen, zurückblicken, feststellen, was für eine Strecke man gegangen war. Das kann man nicht erklären, nur fühlen. Holland war auch schon da. Ließen sich von Wolfgang fotografieren. Ob wir auch zusammen ein Foto haben möchten. Ich verneinte und stellte klar, dass ich gestelzte Fotos hasse. Hatte dann von Wolfgang zwei Stelzfotos gemacht.

Es ging bergab, meine Zeit war gekommen. Das Becken nach vorne gekippt, leicht in den Knien eingesunken, tippelte ich den Abhang hinunter. Grinsend drehte ich mich um. Hinter mir stakste Frau Holland mit ihren Sticks vorsichtig den Boden ab, um dann bedächtig einen Schritt vor den anderen zu setzen. Sie sah sehr kopflastig dabei aus. Pah! Diesmal war Wolfgang hinter mir. Der Abgang war auch sehr gerölllastig. Eigentlich wie alle Wege. Wer Sandwege erwartete, war hier falsch. Ja – ja, der Jakobsweg ist ein sehr steiniger Weg, in welcher Beziehung auch immer. Nachdem wir noch einen Iren kennengelernt hatten, die Orte Uterga – Eunate – Obanos durchquerten, landeten wir in Puente la Reina. Als wir Obanos durchliefen, fiel mir ein Hostal auf. Es wirkte so ruhig, beschaulich. Sind aber noch die restlichen 3,1 km gelaufen.

Nach sieben Stunden hatten wir Puente la Reina erreicht. Wir fragten beim Hotel Jakue nach: „Un habitacion doble con baño.“ Ich verstand nur, es gibt ein Vierbettzimmer ohne Bad und kostet 36,00 €. Mir war das zu teuer. Wir liefen weiter zum nächsten Hostal, hier kostete das Zimmer 50,00 €. War mir auch zu teuer. Wir liefen bis in die Altstadt. Entdeckten ein 3-Sterne Hotel. Fragten nach einem Zimmer. Sie hatten nur noch einen Single-Room, würden sie uns aber für einen Preisnachlass von 82,00 € statt der 87,50 € geben. Ich nickte nur noch müde. Wolfgang sagte lieber nichts, er war auch müde.

Das Zimmer ist wie ein übliches Einzelzimmer, alles auf engstem Raum. Aber nett eingerichtet, hat eine Dusche und ist blitzesauber. Wolfgang packte seinen Rucksack ganz aus. Verteilte seine Sachen im Zimmer, sortierte sozusagen. Ja, er ist diesmal für seinen Kram selber verantwortlich. Nachdem wir geduscht und unsere Höschen gewaschen hatten, streiften wir noch durch den Ort, um Sticks oder Wanderstäbe kaufen. Wir nahmen jeder einen Stick. Die Wanderstäbe waren mir einfach zu glatt.

Im Hotel gab es erst um 20.00 Uhr das Pilgermenu. Übrigens das Essen und das Frühstück waren im Preis enthalten. Wir trafen den Iren wieder, er wanderte zurzeit allein. Seine Frau kommt in Burgos nach und läuft dann mit ihm bis Leon. Er suchte dann eine Bar, eine richtige Bar auf. Ich glaube, Iren trinken ganz gern mal.

Es dauerte, bis es endlich 20.00 Uhr war, wir hatten tierischen Hunger. Übrigens die Franzosen, die Luxuspilger, waren in dem gleichen Hotel. Super angezogen, geschminkt, die Haare gedresst, saßen sie im Speiseraum und schnatterten. Das Pilgerpärchen, das wir zuerst in Pamplona gesehen hatten, saß auch an einem der Tische. Es gab ein leckeres Menue. Vorspeise, Hauptgericht, Dessert, Wasser und Wein von bester Qualität.

Ab in Bett. Es war 21.30 Uhr, nach den ca. 26,5 km (man muss ja die Extrakilometer innerhalb Pamplonas zurechnen)lag ich todmüde im Bett. Wolfgang schnorchelte schon selig. Und dann, und dann ging es los. Die Kirchenglocke erinnerte mich viertel-, halbstündlich und stündlich daran wie spät es schon ist. Viertelstündlich mit einem, halbstündlich mit drei Glockenschlägen (wieso eigentlich drei? Hatte gerade keinen zum Fragen)und stündlich gaben die Glocken dann alles. Zu meinem Trost wurden die Glockenschläge nach Mitternacht weniger.

Puente la Reina - Estella

Leider gab es erst um 8.00 Uhr Frühstück. Wir betraten den Raum, alle Tische waren besetzt, nur ein Tisch war nicht abgeräumt aber wohl frei. Abräumen war wohl nicht geplant. Wir schoben alles an die Seite und frühstückten. Ich holte mir noch einen Cafe con Leche, Wolfgang war auch nicht am Platz. Da räumte doch tatsächlich eine junge Frau alles von einem anderen Tisch, stellte das schmutzige Geschirr bei uns mit drauf, um mit ihrem Sohn zu frühstücken. Ich schaute sie mit offenem Mund an, man sah, dass der Tisch noch belebt war. Nun war er überbelebt. Tellerberge. Es war eine Deutsche, sie entschuldigte sich halbherzig, ließ aber die Tellerberge stehen.

Von Puente la Reina geht es natürlich steil bergauf. Was denn auch sonst. Wir liefen an den leuchtendgrünen Getreidefeldern vorbei. Hier wird noch Essbares angebaut, nicht nur Biogas und E 10 (Mais + Raps). In den Feldern blinkerte der knallrote Mohn - so als wolle er uns Mut machen. Die Kornblumen halten sich etwas zurück, Raps ist nur am Feldrand zu sehen. Wenn man hechelnd stehen bleibt, zurückblickt, möchte man sich in die Felder legen. Es soll bei dieser Etappe bis nach Estella (22,2 km) gehen – oder laufen. Es war 10º wärmer als am Vortag, das Laufen blieb mühsam.

 

In Cirauqui die erste Rast. Der Ire nahm auch einen Café con Leche und ich fragte mich, wie schaffte er es, dass sein Café größer war und irgendwie leckerer aussah, als meiner. Obwohl der Café bisher immer gut war. Ich kannte von früheren Urlauben auf den spanischen Inseln nur Plörre. Den machen die dort mit Absicht so. Holland stickerte auch um die Ecke. Er hatte ein schneeweißes T-Shirt an, hallo – schneeweiß – geht’s noch? Ja, sie hätten auch in Puente la Reina genächtigt, im Hotel Jakue für 36,00 € ein Vierbettzimmer für sich alleine, alles ganz – ganz toll. Wieso mag ich die nicht.

Wir liefen auf einer alten Römerstraße. Sie ist gebaut aus Steinen, die mit dem Buckel nach oben liegen, blöde Römer, wenn sie die Steine anders gelegt hätten, wäre die Piste vielleicht glatter gewesen. Man kennt das aus Büchern: Nach der langen Kutschfahrt schmerzten Madame alle Knochen im Leib. Jetzt verstehe ich Madame besser.

Holland stöckelte hinter uns. Wir müssten mal ein büsschen schneller laufen. Aber da musste Frau Holland auch schon wieder in die Büsche. Hätte mit unserer iPOOD-Schaufel wedeln können. Auf dem Wege neben der Römerstraße winkte uns ein Spanier im Blaumann. Ich dachte nur, na? Will er uns locken und dann überfallen? Er ruderte weiter mit den Armen, wir sollten ihm folgen. Wir sahen uns kurz an, verließen die Straße und folgten dem Spanier auf dem kleinen Weg. Und siehe da, der Zugang zur Römerbrücke war zerfallen.

Unter einer Brücke fließt der Salado, er ist flach und voller Steine. Eine Gruppe Koreaner amüsierte sich im und am Wasser. Wanderstiefel hatte keiner, dafür Badelatschen, dünne Turnschuhe und sonstiges Schuhzeug. Es ging weiter bergan, wir waren kurz vor Lorca. Eine junge Pilgerin stand am Weg, bat uns, durch den Weinberg zu laufen. Vor einer Stunde hatte ein Pilger einen Herzinfarkt erlitten, er lag noch zugedeckt auf der Straße. Später erfuhren wir, er war Däne und hätte noch vor vier Tagen seinen 76. Geburtstag gefeiert. Wir liefen betroffen und schweigend durch den Weinberg, bis wir wieder auf den Weg stießen. Wolfgangs Traurigkeit wird uns noch eine Weile begleiten. Es ist die Befürchtung auch so zu enden – einfach Schluss.

In Lorca gab es in einer wunderschönen Albergue, endlich einen Café und Bocadillo con jamón. Wolfgang füllte unsere fast leeren Getränkeflaschen am Brunnen auf. Herr Holland, inzwischen auch hier gelandet, stellte nur fest, sie würden das Brunnenwasser nicht nehmen. Seine Frau verträgt das Brunnenwasser nicht, es wäre zu stark gechlort. Hm -, wir zogen weiter.

Wir liefen von Lorca auf einem Weg neben der Landstraße entlang. Nachdem man schon mehrere Kilometer (13,2 km)hinter sich hat und eine längere Pause einlegte, fällt der Rest der Strecke besonders schwer. Meine Augen richteten sich ständig nach Lorca zurück. Ich wartete auf ein Fahrzeug, irgendeins, das war mir so egal, hätte mich davor geworfen, den Fahrer so gezwungen uns mitzunehmen. Es kam keins. Bei mir keimte der Verdacht auf, dass die Strecken nur nach Luftlinie berechnet wurden. Bei uns sind 4 km = 4 km, hier ist es anders. Auf dem Jakobsweg sind 4 km gefühlte oder tatsächliche 7 km.

In Villatuerta sah ich eine Bushaltestelle, versuchte aus dem Fahrplan schlau zu werden, seufzte, wechselte die Fahrbahn, wo Wolfgang etwas entfernt wartete. Ha! Da kam ein Bus. Woher nahm ich bloß diese Kraftreserven, im Sprint zurück zur Haltestelle. Fragte den Busfahrer, ob der Bus nach Estella fährt, er nickte mit mitleidigem Blick. Hoffend, Wolfgang begriff, dass es mit dem Bus weitergeht, ich hätte den Bus nicht wieder verlassen. Aber da kam er schon angezuckelt.

In Estella angekommen, hielt der Bus irgendwo in der Stadt. Die Stadt ist größer als erwartet. Wir suchten den Jakobsweg, über einige Brücken gelangten wir auf die alte Pilgerstraße, nach längerem Suchen natürlich. Neben der letzten Brücke stand, an ein Auto gelehnt, eine junge Frau und warb für eine Appartement-Anlage. Gab uns ein Prospektblatt und wollte uns auch gleich den Schlüssel mitgeben. Wir Doofi´s hatten ihn nicht genommen. Wir irrten durch die romanische Altstadt, kein Hostal, kein Hotel. Wieder über die Brücken zurück. Dort gesucht, nur komplette (volle) gefunden. Dem Hinweisschild Informatión del peregrino nachgegangen. Zurück über die Brücken, Stadtplan geholt und schon wieder ging es über die Brücken zurück.

Auf dem Stadtplan war auch die Appartement-Anlage gekennzeichnet. Hin, geklingelt, nix – aber auch gar nix tat sich. Tja, wenn man einen Schlüssel gehabt hätte!! Das nächste Hostal angesteuert. Davor zwei Deutsche, sie hatten hässlich blaue T-Shirts mit einer gelben Jakobsmuschel an. Meinten nur, wir sollten dort klingeln. Es war ein Mehrfamilienhaus. Unser Klingeln wurde nicht beachtet. Ein Paar schloss die Tür auf. Wir huschten einfach mit hinein. In der zweiten Etage endlich ein Schild Hostal Christina. Diesmal Reaktion auf die Klingel. Eine freundliche Frau öffnete, nickte zum Glück auf die Frage nach einem Doppelzimmer mit dem Kopf.

Yippie, wir hatten endlich eine Unterkunft. Wer glaubt, dass wir durch unsere Kurzbusfahrt weniger gelaufen waren, der irrt sich gewaltig. Schön geduscht, was kann ein am Körper klebender Duschvorhang doch so was von egal sein. Die Laufsachen ausgewaschen, den Minibalkon mit der Wäsche verziert, Pilgermenu und Eis gegessen, ab in Bett. Eis ist in Spanien sehr teuer 2,00 € eine Kugel, geschmeckt hatte es auch nicht.

Schlafen – nur schlafen. Köstlich!! Äh – bis sich das Paar (Ehepaar?) im Nebenzimmer in die Wolle kriegte. Gut, dass wir nicht versucht hatten mit dem Finger durch die Wände zu bohren, es wäre uns bestimmt gelungen. Papier? Er regte sich barsch über das Zimmer, den Preis und was einen überhaupt nicht interessierte auf, lange und immer wieder. Als er fertig war, konnte auch ich endlich schlafen.