Macht der tiefen Gefühle - Auf der Suche nach dir Gesamtsausgabe Band 1 - 3

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Einen Moment lang herrschte nur noch betretenes Schweigen.

Dann erzählte Maria weiter: »Ich habe nur gesehen, dass Paolo noch schlafend neben mir lag …«

Wieder machte sie eine kurze Pause, bevor sie weitersprach.

»Es muss seine Wohnung gewesen sein. Ich weiß nicht, was passiert ist, ob etwas passiert ist. Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern, verdammt. Ich weiß nur noch, dass ich panikartig die Wohnung verlassen habe. Ich habe nur noch den Drang gehabt, sofort zu verschwinden. An mehr kann ich mich einfach nicht erinnern, so sehr ich mich auch bemühe.«

»Das lässt ja einiges in einem anderen Licht erscheinen. Und er hat sich noch mal bei dir gemeldet am nächsten Morgen?«

»Nein. Ich habe privat nichts mehr von ihm gehört. Er hat dann innerhalb einer Woche die Stadt verlassen und ist nach Mailand gegangen, wo er ein weiteres Geschäft eröffnet hat. Seitdem lebt er dort. Er hat mich nie auf diesen Abend bzw. diese Nacht angesprochen – nie wieder. Verstehst du? Nie wieder hat er auch nur ein Sterbenswörtchen erwähnt.«

»Aber vielleicht könnte er dir deine offenen Fragen beantworten.«

»Nein, niemals.«

»Hm. Ich kann verstehen, dass du nicht die ganze Zeit zusammen mit ihm im Büro verbringen willst. Aber du musst die Sache klären. Du musst mit ihm reden. Wenn du möchtest, werde ich dabei sein.«

»Nein, das möchte ich nicht. Das ist lieb von dir. Aber ich werde das wohl alleine tun müssen. Du hast recht. Ich muss mit ihm reden.«

»Wieso hast du denn mit Sophia nicht darüber gesprochen? Eine Frau hätte dir bestimmt besseren Beistand geben können in so einer Situation.«

»Gerade mal ein paar Wochen später habt ihr euch getrennt. Sie hatte genug mit sich zu tun und war am Boden zerstört. Alles schien sich zu wiederholen, so als hätte sie ein Déjà-vu.«

»Oh Gott. So habe ich es gar nicht betrachtet.«

»Was?«

»Ach. Ja schon schlimm das Ganze. Aber vielleicht habt ihr zwei noch Gelegenheit, vor ihrer Abreise die Dinge zu klären, und du kannst sie vielleicht auf Paolo ansprechen. Das wäre doch schön, oder?«

»Ich werde es versuchen.«

»Schön. Ich möchte doch auch, dass es dir gut geht. Vielleicht bist du dann auch nicht mehr so launisch, wenn die Dinge erst einmal geklärt sind.«

»Das kann schon sein. Mir würde es aber noch besser gehen, wenn ich Sophia endlich die Wahrheit sagen könnte über uns.«

»Bitte lass uns damit noch etwas warten, bis sie aus dem Urlaub zurück ist. Bis dahin hat sie sich ein bisschen erholt und ist ausgeruht. Sie verkraftet es dann vielleicht besser.«

»Wie du meinst. Schade. Dann muss ich wohl noch eine Weile warten. Hoffentlich geht das gut. Wir können uns doch nicht ewig verstecken. Wer fragt eigentlich, wann ich mich erholt habe?«

»Das können wir nicht, nein. Du hast recht. Wir können uns nicht ewig verstecken. Aber vielleicht gehen wir weg von hier. Das wäre doch eine Möglichkeit, dass wir ganz von vorne an einem anderen Ort anfangen. Und dann brauchen wir uns auch nicht mehr zu verstecken.«

»Versteh ich zwar nicht so ganz, aber du wirst schon wissen, was du willst. Ich kann dir da nicht so ganz folgen. Weggehen … das ist doch auch keine Lösung. Deswegen wird sie es trotzdem irgendwann erfahren. Es sehen uns doch auch ein paar Leute und spätestens dann ist die Enttäuschung noch größer, wenn sie es von anderen erfahren muss. Findest du nicht?«

»Sie wird es nicht von anderen Leuten erfahren. Glaub mir. Wir sagen es ihr, wenn sie zurück ist, versprochen.«

»Okay. Oh, gleich halb vier. Sie wird schon auf mich warten. Sie will nachher gleich los. Hat wohl noch ein paar Wege zu erledigen so kurz vor ihrer Abreise.«

»Ach so? Na dann lass uns zahlen, Maria«, warf Alessandro ein. »Luigi, die Rechnung bitte«, rief er kurz darauf.

Ein paar Minuten später kam Luigi zu ihnen an den Platz. Er wollte die Wogen glätten, die sich durch Lucas Verhalten aufgetan hatten.

»Ich wollte mich noch einmal für die Indiskretion meines Mitarbeiters bei Ihnen entschuldigen. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Luigi, mach nicht so ein Drama draus. Alles okay – wirklich.«

»Danke.«

»Bis zum nächsten Mal.«

»Ciao ihr beiden.«

Nachdem Sophia die Gelegenheit nutzen konnte, um mit Paolo zu reden, wartete sie, wie auf Kohlen sitzend, auf Marias Rückkehr. Sie hatte die Zeit im Nacken und wollte los.

Nach einer Weile traf Maria im Reisebüro ein. Ihren Unmut musste Sophia gleich darüber ausdrücken, denn wenn sie eins hasste, dann war es, auf etwas oder jemanden lange warten zu müssen.

Das konnte sie überhaupt nicht leiden und so fuhr sie Maria an: »Wo bleibst du denn solange?«

»Tut mir leid. Ich habe mich beeilt.«

Maria war immer noch ganz außer Atem. Sie hatte sich wirklich sehr beeilt und wollte eigentlich mit Sophia ein paar Worte wechseln.

Doch Sophia sagte nur: »Schon gut. Ich muss los, wir reden ein anderes Mal, ja?«

»Ja okay. Bis dann.«

»Ciao«, rief Sophia im Rausgehen aus dem Laden und war schon verschwunden.

Maria blieb nichts weiter übrig, als ihr hinterherzuschauen und ihr Gespräch, das sie mit ihr hatte führen wollen, auf später zu vertagen.

Leicht frustriert und verärgert warf Maria ihre Handtasche auf den Schreibtisch und hatte keine Lust mehr, den Nachmittag im Reisebüro zu verbringen.

Sie fragte sich die ganze Zeit, wofür sie sich so beeilt hatte. Sie fühlte sich ignoriert, wie zuvor auch schon von Alessandro. Sie war gekränkt.

Kapitel 5

Die letzten drei Wochen waren wie im Fluge vergangen. Morgen ging es nun tatsächlich los. Die Wartezeit auf den Urlaub kam ihr unendlich lange vor. Sie konnte es gar nicht mehr abwarten, endlich in die Sonne zu fliegen und an den schneeweißen Stränden zu liegen und ihre Füße in das glasklare türkisblaue Wasser zu halten.

Sie freute sich sehr, ihre Familie endlich wiederzusehen. Viel Zeit war vergangen, dass sie sie das letzte Mal besucht hatte.

Gestern hatte sie mit Alisa, ihrer Mutter, telefoniert. Sie freute sich und war mindestens genauso aufgeregt wie Sophia, dass sie morgen nach Hause kommen sollte.

Sophias Koffer waren gepackt und dann konnte es losgehen. Die Papiere waren vollständig, die sie noch brauchte, und ihre Tickets waren auch schon da. Es konnte also gar nichts mehr schiefgehen.

Unterdessen war Maria immer noch gereizt und ihre Nervosität ließ ebenfalls nicht nach, so wie sie es gehofft hatte.

Warum kann ich ihr nicht einfach sagen, dass Alessandro und ich jetzt ein Paar sind? Ich würde es am liebsten geradezu herausplatzen lassen. Es belastet mich so sehr, dass ich es für mich behalten muss.

Ich kann unser Glück dadurch gar nicht richtig genießen. Warum ist immer alles kompliziert? Es könnte so schön einfach sein. Aber ich habe es Alessandro versprochen, nichts zu sagen – noch nicht.

Es sind nur noch ein paar Wochen. Das werde ich schon überstehen. Dann sagen wir es ihr endlich – hoffentlich. Ich behalte es nur ungern noch länger für mich. Ich finde es nicht richtig, dass ich es ihr nicht sagen kann.

Irgendwie ist das so, als würde ich sie belügen. Es geht mir nicht gut damit. Sie ist doch meine Freundin. Warum sitze ich immer zwischen den Stühlen? Es ist aber auch wie verhext. Egal, wie ich mich entscheide, irgendjemandem tue ich weh.

»Was grübelst du schon wieder, Maria? Du siehst so nachdenklich aus.«

»Ja, morgen ist es nun schon so weit und dann bist du so lange nicht hier. Ich werde dich vermissen.«

»Ich werde dich auch vermissen. Aber ich werde die Erholung genießen und ich freue mich schon sehr auf alle neuen Eindrücke, die mich erwarten. Ich bin aufgeregt wie ein kleines Mädchen.«

»Das merke ich«, sagte Maria genervter, als sie eigentlich wollte.

»Ach Maria, alte Spaßbremse. Du kannst mir die Reise nicht vermiesen, egal, wie viel Mühe du dir gibst«, neckte Sophia lachend.

»Ist schon gut, hab ich auch gar nicht vor. Ich freue mich, wenn du wieder da bist. Na ja, und die Zeit mit Paolo … da muss ich eben durch.«

»Ach, du und dein Problem mit Paolo. Was ist eigentlich los mit euch? Ist irgendetwas vorgefallen, warum du so komisch bist?«

»Nein, schon gut. Ich hab ihn einfach nicht gerne in meiner Nähe. Er ist eben nicht wie du.«

»Ah … soso. Geht auch schlecht«, scherzte Sophia.

»Hallo Signora Rossi«, begrüßte Sophia eine Stammkundin, die gerade das kleine Reisebüro betrat.

»Hallo Sophia. Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ich möchte mit meinen Enkeln in die Ferien fahren.«

»Sophia, ich gehe schnell zur Bank. Ich bin gleich zurück.«

»Ja, ist gut, Maria. Bis gleich. Na dann wollen wir mal, Signora Rossi. Wo soll es denn hingehen? Haben Sie schon eine genaue Vorstellung?«

»Ach Kindchen. Ich weiß nicht recht. Vielleicht nach Griechenland, Santorin. Da wollten wir immer schon mal hin. Nur leider hat es im letzten Jahr nicht so recht geklappt. Da musste mein Sohn kurzfristig für jemanden einspringen, der einen Unfall hatte, und dann konnte die ganze Familie keinen Urlaub machen. Da sind sie zu Hause geblieben, denn meine Schwiegertochter konnte ihren Urlaub nicht mehr verschieben.«

»Oh, das ist ärgerlich. Ich fahre morgen für eine Weile in den Urlaub.«

»Toll, wo geht es denn hin, wenn ich fragen darf?«

»Ach, zuerst besuche ich meine Familie und dann fliege ich in die Karibik. Ein bisschen Ruhe und Erholung kann ich gut gebrauchen.«

 

»Das kann ich verstehen. Ist nicht einfach, wenn die beste Freundin mit dem eigenen Partner durchbrennt, was?«

Sophia blieb der Mund offen stehen.

Die Antwort traf sie wie ein Schlag.

Sie war sichtlich geschockt.

»Wie … mit dem eigenen Partner? Was meinen Sie?«, stammelte sie.

»Oh mein Gott, nein. Du hast keine Ahnung? Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern. Oh weh, das wollte ich nicht. Ich dachte, du weißt, dass Maria mit Alessandro zusammen ist. Er wohnt bei ihr schon eine ganze Weile.«

»Nein, Signora Rossi, das wusste ich nicht. Aber das erklärt, warum Maria so komisch zu mir ist. Jetzt wird mir alles klar. Sie ist total anders als sonst, sie hat nicht mehr so viel Zeit für mich wie früher und auch sonst ist sie sehr verschlossen. Wie konnte ich nur so dumm sein und das nicht merken!«

Sophia wurde heiß und kalt, hatte sie richtig gehört. Sie wusste nicht, was sie denken sollte? Noch immer rang sie um Fassung.

»Ach Kindchen, alles wird gut. Du wirst sehen. Er war nicht der Richtige für dich. Du bist eine hübsche junge Frau. Der Richtige ist bestimmt schon ganz nah, glaub mir. Es wird nicht mehr lange dauern und du bist über ihn hinweg. Er war nicht gut für dich. Für Maria scheint er auch nicht gut zu sein, denn sonst würde sie anders durch die Gegend laufen. Sie strahlt überhaupt nicht. Sie ist irgendwie fahrig. Findest du nicht?«

»Ich weiß nicht, ich weiß nur, dass ich hier weg muss, bevor mir schlecht wird. Das ist zu viel für mich. Alles wiederholt sich irgendwie. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Wie viel Schmerz kann ein Mensch ertragen, bevor er zusammenbricht? Nun auch noch dieser heimtückische Verrat. Sie ist meine beste Freundin. Wann ist das denn passiert? Oh Gott.«

»Beruhige dich, Sophia. Ach, hätte ich dir doch nur nichts gesagt. Vielleicht wäre es besser gewesen. Aber ich wusste nicht …«

Signora Rossi rang nach Worten.

»Nein, Sie können nichts dafür, Signora Rossi. Ich bin Ihnen dankbar, dass ich jetzt die Wahrheit kenne, dass Sie mir die Augen geöffnet haben. Ich hätte es sonst wohl noch lange nicht erfahren. Die Frage ist nur, wie soll ich damit umgehen.«

»Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Sophia.«

Signora Rossi redete weiter, ob Sophia das hören wollte oder nicht: »Was gehen will, das geht. Was bleiben will, bleibt, ohne es festhalten zu müssen. Liebe findet immer einen Weg – immer. Das kannst du mir glauben. Ich könnte dir Geschichten erzählen«, lachte die alte Dame und versuchte Sophia zu beruhigen.

Sophia lächelte müde.

»Signora Rossi, schauen Sie mal, hier habe ich etwas für Sie und Ihre Enkel gefunden. Ein schönes Familienhotel für zwei Wochen, all-inclusive zum absoluten Sparpreis. Wie finden Sie das? Ich schaue gleich mal, ob noch Flüge frei sind. Wann kann es denn losgehen?«

»Von mir aus sofort. Also das ist egal, in den nächsten Tagen und für zwei Wochen.«

»Okay, ich schau mal, ob wir da noch Glück haben und einen Flug finden.«

Sophia brauchte wenige Minuten, bis sie eine Fluggesellschaft gefunden hatte, die noch drei Plätze zum angegebenen Zeitpunkt zur Verfügung hatte.

»Darf ich das so für Sie buchen, Signora Rossi? Am Samstag geht es los. Um 04.40 Uhr geht der Flieger nach Kreta. Vierzehn Tage, all-inclusive im Vier-Sterne-Hotel Garden Beach.«

»Ja prima. Das kannst du gerne buchen für mich. Ich weiß doch, dass du immer etwas Schönes für mich heraussuchst. Bisher konnte ich mich immer auf dich verlassen.«

»Okay, das freut mich. Dann schicken wir Sie mal in den Urlaub, Signora Rossi. Da werden Sie Ihre Freude haben. Es gibt auch jede Menge Ausflüge, die Sie dort noch buchen können bei der Reiseleitung. Dann lernen Sie ein bisschen Land und Leute kennen. Das wird von unseren Gästen immer wieder gerne in Anspruch genommen und ist auch schöner, als nur Urlaub von der Stange.«

»Sophia, lass dich drücken«, Signora Rossi stand auf und umarmte Sophia herzlich.

Sophia drückte ihr die Buchungsunterlagen in die Hand, verabschiedete sich von Signora Rossi und sackte auf ihrem Stuhl zusammen, als sie allein war. Ihr war ganz komisch und sie wurde ohnmächtig.

Eine Kundin betrat den Laden und fand Sophia bewusstlos an ihrem Tisch. Sie sprach Sophia an und hielt ihr ein Fläschchen mit Parfum unter die Nase.

Nach einer Weile erwachte Sophia, wohl auch von den leichten Rüttelversuchen, der Frau.

»Gott sei Dank, sind Sie wieder da. Ich habe schon gedacht, ich muss den Notarzt rufen«, sagte die Kundin aufgeregt.

»Was? Oh. Was ist denn los?«

»Sie sind ohnmächtig geworden. Geht es Ihnen nicht gut? Möchten Sie etwas trinken?«

»Es geht schon wieder. Oh ja, etwas Wasser wäre gut. Ja, bitte.«

Sie goss einen kleinen Schluck in ein Glas, das auf einem Tischchen in der Wartezone stand und gab es Sophia.

»Danke schön. Gut, dass Sie mich gefunden haben.«

»Brauchen Sie wirklich keinen Arzt?«

»Nein, mir war nur ein wenig schwarz vor Augen. Es geht schon wieder.«

»Ich bin zufällig hier vorbeigekommen und bin gerade auf dem Weg zur Arbeit. Da habe ich Sie hier zusammengesackt gesehen und habe nachgeschaut.«

»Gott sei Dank. Sie können gerne wieder gehen. Meine Kollegin wird jeden Moment zurück sein. Sie wollte nur zur Bank.«

»Kann ich Sie wirklich alleine lassen?«

»Ja, ist schon in Ordnung. Sie kommt bestimmt gleich wieder.«

»Okay. Lassen Sie am besten die Tür auf, damit Sie etwas frische Luft haben. Alles Gute für Sie«, sagte sie und eilte weiter zur Arbeit.

Sophias Gedankenkarussell begann sich wieder zu drehen.

Wie konnte mir Alessandro das nur antun? Wie konnte er nur! Ausgerechnet Maria. Sie ist meine beste Freundin. Wann soll das überhaupt gewesen sein mit den beiden? Wann hat das angefangen? Wieso hat sie mir nichts gesagt?

Ich bin doch ihre beste Freundin. Denkt sie denn, ich hätte ihr die Augen ausgekratzt? Sicher wird sie so denken und damit hat sie nicht ganz unrecht.

Das ist doch absolut tabu unter Freunden oder bin ich einfach nur zu naiv in solchen Dingen? Macht man denn vor nichts mehr halt? Ich fass es nicht.

Aber Alessandro, wie konnte er mir das antun, nach allem, was er über mich weiß. Was ist er für ein Mensch? Was hat er sich dabei gedacht? Wie konnte er nur! Ich bin so wütend, so enttäuscht – es tut so sehr weh, dass ich nicht weiß, was ich jetzt tun soll.

Sophia liefen hoffnungslos die Tränen übers Gesicht. Sie konnte sich einfach nicht beruhigen.

Maria war inzwischen auf dem Weg zur Bank. Sie war unruhig. Auch sie hatte vorhin die Kundin erkannt und wusste, dass diese sie schon ein paar Mal mit Alessandro zusammen gesehen hat.

Was, wenn sie Sophia zufällig alles verraten wird? Was, wenn die Bombe platzt? Was soll ich nur tun? Ich weiß gar nicht, wie ich reagieren soll, wenn sie tatsächlich die Katze aus dem Sack gelassen hat. Was mach ich bloß? Ich muss Alessandro anrufen.

Sie nestelte in ihrer Tasche nach ihrem Handy und wählte Alessandros Nummer, nachdem sie es zwischen den zahlreichen Utensilien, die sie so täglich mit sich herumschleppte, gefunden hatte. Es dauerte auch nicht lange und er meldete sich.

»Hallo mein Schatz, was hast du auf dem Herzen?«, sagte er fröhlich und gut gelaunt durch den Hörer.

»Alessandro, ich glaube, wir haben ein Problem.«

»Wieso? Was ist denn los?«

»Vorhin, als ich aufbrach, um zur Bank zu gehen, kam eine Stammkundin ins Reisebüro. Signora Rossi, du weißt, wir haben sie schon ein paar Mal beim Essen und Einkaufen getroffen, die ältere, freundliche Dame. Sie hat uns schon des Öfteren gesehen. Ich habe das leise Gefühl, dass sie vielleicht bei Sophia auf uns zu sprechen kommt. Du weißt doch, wie dumm der Zufall manchmal so spielt. Was machen wir denn jetzt, Alessandro?«

»Bleib ruhig, Schatz, sie wird schon nichts erzählen. Warum sollte sie dies tun? Es ist doch gar nicht so interessant für sie. Sie weiß doch die Hintergründe nicht, und dass Sophia es nicht schon längst weiß. Beruhige dich, Schatz. Alles ist gut, solange du dir nichts anmerken lässt. Du wirst schon sehen, du machst dir ganz unnötig Sorgen.«

»Und was, wenn nicht? Was machen wir dann? Oder besser, was mache ICH dann? Denn ich treffe sie nachher zuerst, wenn ich von der Bank zurück bin.«

»Auf alle Fälle die Ruhe bewahren. Dann werden wir eine Lösung finden. Mach dich nicht verrückt. Morgen fährt sie in den Urlaub und dann überlegen wir uns, wie wir es ihr am besten sagen.«

»Okay, Schatz. Ich melde mich, falls es Neuigkeiten gibt.«

»Ja, mach das. Ciao.«

»Ciao.«

Der hat gut reden. Toll, nun bin ich genauso schlau wie vorher. Das hat gerade so gar nichts gebracht.

Immer steh ich alleine da, wenn es brenzlig wird. Wozu ist er überhaupt nütze? Jetzt ärgere ich mich schon wieder, dass ich ihn überhaupt angerufen habe.

Sie setzte ihren Weg zur Bank fort.

Sophia konnte immer noch keinen klaren Gedanken fassen und war außer sich vor Wut, vor Trauer und vor Verzweiflung.

Sie war so verletzt, dass man ihr Vertrauen auf so üble Art und Weise missbraucht hatte. Sie wusste nicht, ob sie so etwas jemals verzeihen könnte.

Es tut so furchtbar weh, zu wissen, wer es ist. Dabei dachte ich, ich hätte es schon fast überwunden. Aber da habe ich mir wohl selbst etwas vorgemacht. Ich hasse dieses ständige Auf und Ab. Mal brennt alles lichterloh und im nächsten Moment ist alles in mir zu Eis erstarrt. Wie konnten sie mich nur so hintergehen! Ich muss hier raus – jetzt sofort!

Sophia fasste einen Entschluss. Sie wollte auf keinen Fall mehr im Büro sein, wenn Maria von ihrem Bankweg zurück kam. Es war ihr in dem Moment egal. Sie wollte einfach nur weg.

Sie entschloss sich, Maria eine Nachricht auf einem Zettel zu hinterlassen und den Laden abzuschließen.

»Außergewöhnliche Ereignisse erfordern nun mal ungewöhnliche Maßnahmen«, murmelte sie und schrieb:

Maria, du wunderst dich sicher, dass der Laden abgeschlossen war, als du zurückkamst. Ich muss hier raus! Ich verstehe nicht, wie du mir noch in die Augen sehen kannst. Ihr zwei seid das Allerletzte. Ich hoffe, ihr bekommt, was ihr verdient. Ciao

Sie legte den Zettel auf Marias Schreibtisch und suchte sich noch ein paar Dinge zusammen, die sie benötigte, wie Kofferbänder und einen Reiseführer, und verließ wutentbrannt das Reisebüro.

Voller Selbstzweifel und tränenüberströmt lief sie wahllos durch die Straßen, ohne jedes Ziel. Sie mochte auch noch nicht nach Hause gehen. Sie wollte einfach nur ihren Kopf frei kriegen. Das war im Moment im Büro einfach unmöglich nach dieser Nachricht.

Ich bin Signora Rossi sehr dankbar, dass sie mir die Augen geöffnet hat und ich nun endlich Bescheid weiß. Wie lange wollten sie mir das eigentlich noch verschweigen?

Das ist nicht zu fassen. Wie abgebrüht muss man sein, seinen Partner so zu hintergehen? Vor allen Dingen auch seine beste Freundin so zu verraten. Ich kann es einfach nicht verstehen. Das ist das Allerletzte.

Verärgert und frustriert zog sie durch die Straßen, setzte sich auf der Piazza San Marco auf eine Bank und sah den Tauben zu, wie sie auf dem Boden hin und her liefen. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus und ging weiter. Instinktiv trugen ihre Füße sie in die Osteria zu Luigi. Hier stand Luca an der Tür und nahm sie in Empfang.

»Was ist denn passiert, Sophia? Hallo.«

»Ach, mir geht es nicht gut. Bring mir bitte etwas zu trinken, was Starkes.«

»Hier kannst du dich setzen«, sagte Luca zu ihr und zeigte ihr den kleinen Tisch in der versteckten Ecke. Der Tisch, an dem Maria mit Alessandro erst noch gesessen hatte.

»Danke.«

Luigi hatte die beiden bemerkt und eilte hinzu.

»Was hast du denn? Ist alles in Ordnung?«

»Nein, mir geht es nicht gut. Ich brauche erst mal etwas zu trinken. Dann geht es mir bestimmt etwas besser.«

»Luca, holst du ihr bitte etwas?«

»Bin schon auf dem Weg.«

»Sophia, wenn du reden willst … kannst du mir jederzeit alles erzählen. Ich schweige wie ein Grab.«

 

»Du weißt es doch bestimmt auch schon.«

»Was denn?«, fragte er zögernd und ahnte, worum es ging.

»Von Maria und Alessandro.«

Luigi sah verlegen aus und konnte sich schlecht verstellen.

»Also doch. Du weißt es schon.«

»Ja, seit einer Weile. Haben sie es dir endlich gesagt? Ich habe vor Kurzem Maria erst gesagt, dass sie mit dir reden soll.«

»Das hat sie aber nicht getan.«

»Oh, dann hat Alessandro das übernommen.«

»Nein, auch nicht. Keiner der beiden hat es für nötig gehalten, mir so eine wichtige Information zu erzählen. Keiner war aufrichtig und ehrlich. Stattdessen haben sie schön die Füße still gehalten und haben wohl gedacht, sie könnten es aussitzen und die dumme kleine Sophia wird schon nichts bemerken. Wie blöd muss man eigentlich sein?«

»Autsch. Das ist nicht gut. Wer hat es dir denn gesagt? Luca?«

»Nein, um Gottes willen. Er war es nicht. Toll, er weiß es also auch. Hätte ich mir denken können«, stutzte Sophia und war enttäuscht darüber, dass es anscheinend alle wussten, nur sie nicht.

»Wie konnte ich nur so blind sein, Luigi? Ich hätte es doch merken müssen. Das ganze Herumdrucksen von Maria, die Ausreden, wenn ich mit ihr mal etwas unternehmen wollte. Sie hatte immer etwas vor in letzter Zeit. Wo konnte denn Alessandro so schnell unterkommen? So schnell bekommt man hier weiß Gott keine andere Wohnung.«

»Ach Sophia, ich weiß, es tut weh. Aber du wirst darüber hinwegkommen. Du hast jemand Besseren verdient.«

»Luigi, es tut aber weh. Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn dir jemand das Herz bei vollem Bewusstsein aus der Brust reißt? Nein, natürlich nicht. Aber man kann es sich vorstellen. So in etwa fühlt es sich an. Hört der Schmerz denn niemals auf? Mussten sie mich dermaßen demütigen?«

»Ach Sophia. Hier komm, trink das. Das wird dir guttun. Bald wird auch für dich die Sonne wieder scheinen. Vergiss ihn. Er ist den Kummer und die Tränen nicht wert.«

Sophia trank an diesem Nachmittag ein paar Gläschen und machte sich dann auf den Heimweg.

Luca, der sich inzwischen in der Küche ein Herz gefasst hatte, steckte Sophia ein paar Zeilen in ihre Jackentasche. In der Hoffnung, sie würde sie lesen, verabschiedete er sich von ihr.

Luigi brachte Sophia nach Hause. Sie verabschiedeten sich und Luigi trat den Heimweg an.

Als Sophia in ihrer kleinen Wohnung angekommen war, bemerkte sie den Zettel in ihrer Jackentasche.

Nanu, was ist das?, stutzte sie und las die Zeilen:

Liebe Sophia

Ich trage mich schon eine ganze Weile mit dem Gedanken, dir ein paar Zeilen zu schreiben.

Ich kann es nicht ertragen, dich so traurig zu sehen. Du bist eine kluge, hübsche Frau. Sehr gerne würde ich mit dir ausgehen.

Leider habe ich mich nicht getraut, dich persönlich danach zu fragen, denn ich empfinde sehr viel für dich.

Lass es mich wissen, wenn aus uns vielleicht mehr werden kann.

Liebe Grüße Luca.

Mit einem lauten Seufzer legte sie den Zettel beiseite.

Armer Kerl. Mir steht jetzt ganz bestimmt nicht der Sinn nach einem Ablenkungsmanöver oder was auch immer er sich dabei gedacht hat. Mir reicht es erst einmal. Ich hab die Schnauze voll von Männern. Niemandem kann man mehr trauen. Was ist bloß los mit den Menschen! Jeder hintergeht jeden. Wo soll das hinführen? Das macht mir Angst und nimmt mir jegliche Freude auf die Zukunft. Kein Wunder, wenn man denkt, man kann sich nie wieder verlieben. Die Angst, enttäuscht zu werden, wird immer größer. Es lähmt einen so sehr, dass man sich irgendwann gar nicht mehr traut, noch einen Schritt auf jemanden zuzugehen. Oder man projiziert seine ganzen Ängste auf die neue Person. Das macht mir Angst und ich mag gar nicht darüber nachdenken, was die Zukunft bringt.