Bechstein, Fallensteller, Merowinger und ich

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Bechstein, Fallensteller, Merowinger und ich
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Impressum

Bechstein, Fallensteller, Merowinger und ich

Malte König

Copyright 2012 Malte König

Umschlagillustration: Caroline Streck

Drei Männer, 2012

Copyright 2012 Caroline Streck

published at epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-2324-8

I.

Sagen wir, die drei heißen Bechstein, Fallensteller und Merowinger. Und die Herren sind natürlich nicht irgendwer, sondern die berühmtesten Literaturkritiker, die ich überhaupt erdenken kann. Alle drei erschaffe ich etwa zwei Schritte vor mir, nebeneinander gruppiert, und erteile ihnen den Auftrag, die folgende Geschichte zu rezensieren.

„Also, auf, meine Herren! Bewegen Sie sich!“ sage ich und klatsche in die Hände.

Bechstein, der bekannteste der drei Kritiker, entpuppt sich als ebenso gelassen und beherrscht, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Während sich die Anderen noch verwirrt in der Geschichte umschauen und eine Definition ihrer selbst suchen, hat der greise Bechstein die Situation bereits erfasst und formuliert seine erste allumfassende Kritik.

„Mein lieber Autor“, spricht er mich in seiner schreckenerregenden Güte an, die schon Generationen von Schriftstellern in den Suff getrieben hat. Eine eindrucksvolle Pause folgt, gerade lang genug, um den Worten eine tiefsinnige Schwere zu verleihen. „Ich bewundere Ihre Kühnheit, junger Freund, und will Ihnen Ihren Leichtsinn verzeihen. Doch kann ich nicht umhin, Sie darauf hinzuweisen, dass es unmöglich ist, eine Geschichte zu besprechen, aus der heraus sich die eigene Existenz begründet.“ Milde lächelt er mich an. „Sie werfen die Ebenen durcheinander! Was stellen sie sich bloß vor?“

Schade, fährt es mir durch den Kopf. Bechstein ist nicht der richtige Mann für den Job – zu alt, zu unflexibel, nicht mehr offen für neue Ideen. Stellt außerdem zu viele Fragen. Traurig betrachte ich seine imposante Gestalt.

Nun gut, es bringt nichts! Ersatzlos streiche ich ihn aus dem Konzept.

Fallensteller und Merowinger, die bis hierhin geschwiegen haben, ganz damit beschäftigt, blass und gestaltlos in der Gegend herumzustehen, betrachten mit Beklemmung den Platz des verschwundenen Kollegen. Dann kratzt sich Merowinger an der Stirn und löst dort einen Denkprozess aus, der sich den Weg in seinen Zeigefinger sucht. Flugs reißt er ihn in die Höh‘, wo er wild mit einem anderen Finger zu schnipsen beginnt. Mit der Linken weist er wiederholt auf sich, um hastig seiner spontanen Begeisterung Ausdruck zu geben.

„Tolle Idee!“ meint der Rezensent. Unbedingt wolle er eine Geschichte besprechen, in der er selbst erfunden worden sei. „Eine wunderbare Erfahrung“, heuchelt die Memme so gotterbärmlich schlecht, dass ich überlege, auch ihn gleich wieder auszulöschen.

Fallensteller hat den unbeobachteten Moment genutzt, um sich die interessantesten und schrulligsten Charaktermerkmale des entschwundenen Kritikerpapstes zu eigen zu machen. Ein Kopf, der nicht lange undefiniert bleiben kann und will, dieser Fallensteller. Mit Verwunderung stelle ich fest, dass er sich in den wenigen Sätzen, die ich seinem Kollegen gewidmet habe, einen Bart, ein fein gewebtes Sakko und eine teure Armbanduhr zugelegt hat.

Woher, frage ich mich erstaunt. Er gefällt mir.

Nachdenklich schweigend fährt er sich über das Kinn, als mein allmächtiger Blick ihn streift. Um Zeit zu gewinnen, beginnt er, seine Brille zu putzen.

Fallensteller putzt seine Brille.

Dem Leser sei derweil gesagt, dass sich Fallensteller natürlich längst entschieden hat...

Doch glaubt er leider, es einer eingebildeten Würde schuldig zu sein, einen kritischen Augenblick verstreichen zu lassen und die Ungeduld des Verfassers zu provozieren...

Einen ungeheuer langen, sehr, sehr kritischen Augenblick! Fast zu lange für so eine kleine Brille und einen so großen Autor, tippe ich drohend in die Maschine.

Umständlich langsam setzt Fallensteller sich die Gläser auf und teilt mir mit, dass er grundsätzlich bereit sei, zu kooperieren.

Bravo! Herr Dr. Fallensteller ist also bereit, mit mir zu „kooperieren“! Ich weiß nicht, wie ich ihm danken soll – ihm, Fallensteller, dem Unersetzbaren, König aller Rezensenten! Halleluja!

Habe ich diese Leute erfunden? Gab es keine anderen? Bin ich vielleicht...

„Und wie lautet die Geschichte, die ich besprechen soll?“ unterbricht Fallensteller meine Gedanken mit gelangweilter Stimme.

„Na, wir haben doch zwei Seiten. Sie könnten ja schon mal den Anfang, während ich...“ versuche ich einen Scherz, über den Merowinger so laut und unbändig lacht, dass mir übel wird.

So ein Idiot, denke ich und ärgere mich, dass Dingsda weg ist, also der Andere, der vom Anfang der.

„Was haben Sie geplant?“ wiederholt der Kritiker seine Frage, ohne auch nur die Miene zu verziehen. Der Herr Doktor ist nicht zu Scherzen aufgelegt. Aber das ist kein Problem, ich habe etwas vorzuweisen.

„Also, ich dachte an einen Roman über einen Schriftsteller Ende vierzig, der...“

„Um Gottes Willen!“ entfährt es Fallensteller. Entrüstet dreht er sich weg und entfernt sich in den Raum.

„Moment, jetzt hören Sie doch zu. Es kommt ja erst.“ Der Rezensent stöhnt und winkt ab.

„Der Schriftsteller hat eine Schreibhemmung und wird von seiner Frau verlassen!“

„Was Sie nicht sagen...“ erwidert Fallensteller und beschleunigt seinen Schritt. Dann bleibt er stehen, hält Ausschau nach links und rechts.

„Es gibt hier keinen Automaten“, rufe ich erbost. Der soll sich mit dem Plot beschäftigen. Fallensteller greift in die Tasche.

„Zigaretten haben Sie keine und hören Sie auf, nach einer Tür zu suchen. Die Geschichte hat keinen Ausgang. Ich mein‘, wo wollen Sie denn hin? Denken Sie doch mal nach!“

„Und kommen Sie jetzt wieder her“, füge ich dann leise hinzu, als mir einfällt, dass ich nicht zu schreien brauche.

Merowinger meldet sich zu Wort und meint, er fände die Grundidee nicht schlecht. Na also. Zwar habe er schon einmal etwas ähnliches...

Er stockt, als mein Blick ihn trifft; im Augenwinkel sehe ich Fallensteller lächeln.

„Also, höchstens an eine Geschichte kann ich mich erinnern, und die war eigentlich nicht wirklich...“ fügt Merowinger hinzu und bricht ab. Unser Promovierter verzieht das Gesicht, dann schaut er mit ernster Miene zu Boden.

„Mein lieber Autor“, meint er schließlich und richtet sich auf, um mir geradewegs in die Augen zu sehen, „müssen Sie denn unbedingt eine Geschichte schreiben?“

„Wieso?“

„Haben Sie nicht vielleicht andere Hobbys, die Sie...“

„Hobbys!“ fahre ich auf. „Wer redet denn hier von Hobbys?“

„Nein, nein“, erwidert Fallensteller in beschwichtigendem Ton, „ich habe wohl mich falsch ausgedrückt. Ich wollte nur fragen, ob Sie sich nicht schon – eventuell – auf einem anderen Gebiet künstlerisch ausgedrückt haben.“

„Also, er will sagen“, mischt sich Merowinger ein, „haben Sie nicht vielleicht bereits als Maler... Arbeiten Sie möglicherweise hin und wieder mit Lehm, beziehungsweise Ton?“

Lehm?

„Also, Lehm- beziehungsweise Tonarbeiten, ich sage Ihnen...“

„Spielen Sie ein Instrument?“ fragt Fallensteller.

„Oder Origami. Es ist ja erstaunlich, was manche Leute aus Papier machen können“, murmelt Merowinger und verstummt, als Fallensteller ihm einen Blick zuwirft.

„Was soll denn die Fragerei?“ erwidere ich ungehalten und glaube plötzlich zu verstehen. „Hören Sie, meine Herren, es ist ein Unding, den Autor einer Geschichte bis aufs Mark auszuquetschen. Es geht doch nicht an, dass Rezensenten Erzählungen immer aus der Biographie des Autors heraus erklären. Das literarische Kunstwerk“, beginne ich zu dozieren, „steht für sich und kann und muss den Anspruch erheben, aus sich selbst heraus analysiert und interpretiert zu werden. Ein Schriftsteller ist ein Medium. Man merkt, dass Sie so etwas noch nie gemacht haben. Kennen Sie Georg Christoph Lichtenberg?“ frage ich in dem guten Wissen, das er beiden bekannt ist. „Der hat das wunderbar auf den Punkt gebracht. Er schrieb nämlich: ‚Vielleicht sollte man nicht sagen: Ich denke, sondern es denkt. So wie man sagt: Es blitzt.‘ Brillanter Spruch, nicht wahr? Und deshalb, genau deshalb bin ich überzeugt, dass man sich einem literarischen Kunstwerk niemals, nein, nie, nie, nie, über die Biographie des Künstlers nähern darf. Denn er ist nur das Medium. Und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen – so leid es mir tut – keine Informationen zu meiner Person geben werde. Verstehen Sie das?“

Fallensteller und Merowinger schauen sich ratlos an, dann mich.

„Guter Mann“, zögert Fallensteller und hebt die Hand, um dann unschlüssig in dieser Haltung zu verharren, bevor er schleppend, nach Worten suchend, fortfährt: „Das war nicht das, worauf wir hinauswollten. Was ich meinte, beziehungsweise, was wir wissen wollten... Gibt es nicht einen anderen künstlerischen Zweig, in dem Sie sich selbstverwirklichen können?“

„Wir verstehen ja, dass Sie zu sich selbst finden wollen“, unterbricht Merowinger, „dass Sie ihre Mitte suchen. Ich persönlich finde so was ja auch gut, gerade in der Musik...“

„Selbstverwirklichen?!“ platzt es aus mir heraus, und Merowinger versucht vergeblich, ein Stück zurückzuweichen. „Sie glauben, Sie meinen ernsthaft, ich wollte, also nur so zur Selbstverwirklichung? In mich gekehrt, weltfremd, blöde auf mich fixiert? Um auszuloten, wer ich bin... Selbsterfahrung, meinen Sie das? Das wollen Sie sagen, nicht wahr? Sprechen Sie von egomanischer Versenkung im Ich? Sagen Sie’s klar heraus, sprechen Sie frei weg! Selbstverwirklichung... ich bin offen für Kritik!! Mir kann man so etwas sagen!“ brülle ich die Beiden an und vertippe mich mehrmals.

 

„Beruhigen Sie sich doch“, stottert Merowinger, den mein Ausbruch aus der Fassung bringt. „So hat der Dr. Fallensteller das nicht gemeint. Sie haben ja ihre Mitte, Sie stehen ja senkrecht in sich. Das sieht doch jeder. Nein, Sie sind ja ganz Sie selbst, aber ja! Bitte entschuldigen Sie dem Dr. Fallensteller diesen Lapsus. Selbstverwirklichung, nein, darum geht es nicht.“

Fallensteller lugt besserwisserisch über den Rand seiner Lesebrille.

„Sagen Sie“, fragt er schließlich, „was wollen Sie denn dann mit ihrer Geschichte über einen Schriftsteller, Ende Vierzig, frisch verlassen und so weiter. Was wollen Sie denn mit so einer Geschichte erreichen? Und vor allem wen? Und“, fügt er sanft und leise hinzu, „wie geht es eigentlich Ihrer Frau?“

Und er steht da und lächelt und...

„Was meine Frau macht, das geht Sie einen feuchten Kehricht an! Meiner Frau geht es wunderbar, der geht es phantastisch! Meine Frau wohnt auch noch bei mir. Grinsen Sie nicht so dämlich! Wir lieben uns, Sie! – und ich will mich nicht selbstverwirklichen, verdammt nochmal. Meine Kunst, mein Werk... also, ich muss... Ich meine, ich will... Ich möchte, dass die Welt...“

An dieser Stelle sterben Fallensteller und Merowinger vor Lachen, kurz bevor ich sie erschlagen kann. Das bleibt diesen Schweinen also erspart.

Post ist keine gekommen, der Kühlschrank ist leer. Ich gehe einkaufen.

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