Phantastica

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In Europa wuchs durch den Import aus dem Osten die Zahl der Adepten für diesen Stoff, der, vielleicht anfangs als Arzneistoff genommen, sein Opfer nicht mehr freigab. Ich kenne Mitteilungen aus dem sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert, nach denen in Deutschland Menschen ärztlich beobachtet worden sind, die „dem Opiumessen ergeben“, davon bis zu etwa 40 g täglich verbrauchten und danach nur „stumpfsinnig und dauernd schläfrig benommen“ waren. Von einigen solcher wird angegeben, dass sie über viele Jahre das Opiumeinnehmen in steigenden Mengen fortgesetzt hätten, dass z. B. eine Frau in 14 Jahren 63 Pfund „flüssiges Laudanum“, d. h. Opiumtinktur, eine andere 19 Jahre lang täglich 4 g Opium, also, insgesamt etwa 27 kg verbrauchte und dass eine dritte, die sich infolge einer Zufallsverletzung dadurch schmerzfrei zu werden genötigt sah, in 34 Jahren davon angeblich 100 kg Opium in ihren Körper gebracht habe.

[61] Aus dem Ende des 16. Jahrhunderts berichtet Prospero Alpini, dass es unter den Ägyptern solche gäbe, die durch allmähliche Gewöhnung täglich 12 g Opium ohne Nachteil nähmen.30 Es hat später, z. B. im 17. Jahrhundert, Ärzte, wie Sydenham, gegeben, die begeisterte Verbreiter des Opiums durch Empfehlung nicht nur für allen Schmerz gewesen sind. Infolgedessen sah man Opium „als eine Gotteshand“, als „geheiligten Lebensanker“ an.

Von den so überaus vielen, die ihm in den weiteren Jahrhunderten als Sklaven anheimfielen und umkamen, liegen, außer vereinzelten ärztlichen Berichten, nur wenige Selbstbeobachtungen vor. Eine solche, die etwa 50 Jahre umfasst, stammt von einem englischen Schriftsteller de Quincy,31 der wegen neuralgischer Beschwerden zu siebzehn Jahren mit dem Einnehmen von Opiumtinktur begann, acht Jahre keine Beschwerden dadurch empfand, dann in ein Stadium eintrat, in dem ihm „der göttliche Mohnsaft so notwendig wie das Atemholen wurde“und er davon täglich ein Glas voll mit Portwein und Wasser vermischt, trank. Erneut auftretende Körperbeschwerden machten ihn zu einem „determined opium eater“. Nach acht Jahren nahm er täglich 8000 Tropfen, also etwa 20 g der Opiumtinktur zu sich. In einem weiteren Jahr, welches „wie ein Edelstein vom reinsten Wasser in seiner dunklen Einfassung von Vergangenheit und Zukunft strahlte“, war ihm eine Herabsetzung der täglichen Dosis auf den achten Teil geglückt – auf lange Zeit der letzte Lichtblick in seinem Leben, in dem er in den Bann dieser Zaubermacht gespannt war. Trotz erneuten Ansteigens in den verbrauchten Mengen glaubte er dem Opium [62] Glückeszeiten verdankt zu haben – bis zu dem Zeitpunkt wo das Opiumelend, die Opiumleiden, begannen.

Alle erfahren diese Leiden. Körper und Seele sind verkauft. Der Erlös wird schnell durch die Opiumwonnen verjubelt. Die bittere, reuedurchflochtene Not des materiellen und geistigen Ichs folgt unerbittlich. So erfuhr es auch der englische Dichter Coleridge, der an manchen Tagen 20 bis 25 g Opiumtinktur verbraucht hat und so brach das Unglück auch über Francis Thompson, der zu den begabtesten unter den jüngeren englischen Dichtern gehörte, herein.

Dass auch einzelne Ärzte schon frühzeitig dem Opiumgenuss frönten, ist bekannt. Man wusste in jenen Zeiten sogar schon, dass Opiumgewöhnte durch Substitution gleichgültiger Mittel sich nicht täuschen ließen, weil sie wie die heutigen Morphinisten, „unerträgliche Schmerzen bekamen“.

Auf dem Wege über Persien brachten schon im achten Jahrhundert Araber den Mohn und die Kenntnis seiner schlafmachenden Wirkung nach Indien und China – China, das an Zahl ein Viertel der ganzen Menschheit in sich schließt. Vor der Tang-Dynastie war er dort unbekannt. Etwa um 973 wurde er, der den Namen Ying-tzŭ-su führte, offiziell in das medizinische Werk K’ai-pao-pên-tsăo aufgenommen und um die gleiche Zeit findet sich bereits in einem Gedicht des Su Tung-P’a die Empfehlung des Mohngetränks, die den Eindruck macht, als wenn auch anderes und angenehmeres als die Heilwirkung gegen Dysenterie u. a. m. dadurch bezeichnet werden sollte. Zu Beginn des zwölften Jahrhunderts stellte man Opiumkuchen aus dem eingedickten Milchsaft des Mohns in Form eines Fisches dar, gewiss nicht nur für arzneiliche Zwecke. Im letzten Teil des fünfzehnten Jahrhunderts bestand bereits ein beträchtlicher Handel in China mit einheimischem und von anderwärts her eingeführtem Opium. Gegen Ende der Ming-Dynastie – der letzte Ming-Kaiser herrschte von 1628 - 1644 – als das Tabakrauchen verboten wurde, kam die Übung auf, Opium zu rauchen, die sich später, wie noch um 1793 die nach China geschickte Gesandtschaft berichtete, in die Gewohnheit wandelte, Tabak mit etwas Opium zu rauchen. Als 1729, vorzugsweise durch die Portugiesen aus Goa, 200 Kisten Opium eingeführt worden waren, erließ der Kaiser Yung Ching ein strenges Verbot gegen Opiumverkauf und Opiumrauchen. Um 1790 wurden jährlich schon über 4000 Kisten, 1830 16000, 1838 mehr als 25000 und 1858 70000 Kisten eingeführt. Der Gebrauch des Opiums als Genussmittel wuchs schnell zu großer Höhe an, damit auch der Opiumschmuggel, gegen den im Jahre 1800 erneute Maßregeln getroffen worden waren. Das letzte Verbot, Opium in China einzuführen, stammt aus dem Jahre 1820. Es hatte, da die Engländer darin eine Benachteiligung ihres Handels erblickten, den „Opiumkrieg“ zur Folge, der mit der Zerstörung von 20000 Kisten Opium seitens der Chinesen begann und der sich von 1834 bis 1842 hinzog und die Chinesen schließlich dahin brachte, den Frieden mit bedeutenden territorialen und Geldverlusten zu erkaufen. Schon nach fünfzehn weiteren Jahren folgte ein zweiterKrieg, der gleichfalls für China unglücklich endete. Im Vertrage von Tientsin wurde der Opiumhandel in China legalisiert.32 In dieser harten Not entschloss sich China, selbst Mohn zu bauen, wofür große Landstrecken unter Aufgeben von Nahrungsfruchtbau in Angriff genommen wurden. Unterdessen hatte die Leidenschaft des Opiumrauchens weite Kreise des Volkes ergriffen und wuchs wahrscheinlich beträchtlich mit der leichteren Erlangbarkeit des Mittels im Inlande.

Eine neue Wandlung trat 1906 ein. Nach einem Jahrhundert der Demoralisation durch Opium entschloss sich [64]China, den Mohnanbau aufzugeben. Nach einem Übereinkommen mit England sollte derselbe in zehn Jahren progressiv gemindert werden, während England in derselben Progression den Import von Opium nach China einschränken sollte. Diesem Abkommen hat das Jahr 1917 das Ende und einen gewissen Erfolg gebracht: eine Provinz nach der anderen verlor überraschend schnell die Mohnkultur und der englische Import hörte offiziell auf. Der heimliche Anbau von Mohn ist unter schwerste Strafe gestellt worden. Leider aber fehlt China die Kontrollmöglichkeit über den Handel in den fremden Konzessionsgebieten, z. B. in Schanghai, Hongkong und Macao. Hier wie an noch anderen Stellen kann der Chinese Opium kaufen und es eventuell weiterhin verhandeln. In Macao wird Rauchopium hergestellt, das, da eine offene Einfuhr nach China unter den heutigen Verhaltnissen unmöglich ist, ausschließlich durch Schmuggelhandel verbreitet wird. Ein beträchtlicher Teil findet natürlich am Orte selbst in den bekannten Opiumhöhlen Verwendung, in denen, wie ich es anderwärts sah, die von dem Mittel Bezwungenen auf mehrstöckigen, den Brotgestellen im Backraum ähnlichen Lagerstellen liegen und den höchsten Genuss ihres Erdendaseins auskosten.

Die Frage, wo die beträchtlichen Mengen von Opium bleiben, die in Britisch-Indien33, z. B. in Patna, Malva, Benares, produziert werden, legt mehr als die Möglichkeit nahe, dass sie auf Umwegen auch nach China gelangen. Dieses, in den „vereinigten Provinzen“ gewonnene ist Monopol-Opium. Die gesamte Produktion muss für einen festgesetzten Preis an Regierungsagenten abgegeben werden. Es gelangt dann an die Regierun gsmanufaktur in Ghazipur, um dort marktfähig gemacht zu werden. Allmonatlich werden in Kalkutta Auktionen dieser Ware abgehalten. Das in den Eingeborenenstaaten von Rajputana und Zentralindien gewonnene Produkt, das beim Eingang in das Regierungsgebiet einem Zoll unterliegt, wird wie englisches bezahlt.

[65]In den Freihäfen vor der Seezollsperre liegen nach einer neuen Mitteilung34 seit Jahren große Mengen von indischem Opium im Werte von unschätzbaren Millionen. Im Jahre 1912 wurde der Wert des nur in Schanghai lagernden Opiums auf 11 Millionen Pfund Sterling geschätzt. Es kann, nach den Verträgen, China nicht überschwemmen, wenn der Nachweis nicht erbracht werden kann, dass in China selbst noch Opium angebaut wird. Die große Mühewaltung, die China zur Erreichung des Zieles des Freiwerdens vom Opium, das seine weitere Lebensbedingung und Entwicklung in sich schließt, entfaltet hat, ließ auch im entlegensten Winkel des eigentlichen Reiches auf früheren bunten Mohnfeldern Hirse und Baumwolle aufsprießen. Dieser wirklich gute Wille scheint nun zu einem Teil, dadurch im Ergebnis beeinträchtigt zu werden, dass die Barbarenstämme Osttibets, die, obschon zum größten Teil unabhängig, doch nach dem Wortlaute des Opiumvertrages gebietsmäßig zu China gehören, in ihren weltfernen, einsamen, schwer auffindbaren Gebirgswildnissen, wohin die chinesische Macht und bezahlte Kundschafter nur selten und schwer gelangen können, den Mohn wachsen lassen und seinen Saft auf Schmuggelpfaden nach China einbringen.

Im eigentlichen Tibet haben merkwürdigerweise die Chinesen die Opiumleidenschaft den Eingeborenen bisher nicht in nennenswertem Umfange beigebracht.

Neuerdings ist Japan als größter Opiumkäufer in Kalkutta aufgetreten.35 Die Ware geht nach Kobe und von dort nach Tsingtau. In Japan sollen sehr beträchtliche Mengen von Morphin hergestellt werden, das durch japanische, mit Formosapässen versehene Händler bis nach [66] der Mandschurei vertrieben wird. Von Tsingtau aus geht es über die Schantungprovinz, Nganhwei und Kiangsu, von Formosa zusammen auch mit Opium, nach Fokien und Kwangtung. Auf diese Weise wird China mit den beiden Produkten von dieser Seite organisiert überschwemmt. Man schätzte ihre Gesamtmenge auf 20 tons im Jahr. Eine Morphineinspritzung kostet 3 bis 4 Cents.

 

Der Export von Morphin aus England nach Ostasien wuchs bis 1914. Er betrug:


19115 1/2 tons
19127 1/2 tons
191311 1/4 tons
191414 tons

Nach japanischen Quellen wäre in der Neuzeit der Export von Morphin aus England von 600.229 Unzen in 1917 auf ein Viertel dieser Menge in 1918 gesunken – was durch die Darstellung dieses Stoffes in Japan Erklärung fände.

Was diese neue Morphinphase in der Geschichte des Opiumgebrauches für das Leben der Ostasiaten bedeutet, zumal wenn, wie sicher anzunehmen ist, das Morphin in größerem Umfange seinen Siegeszug fortsetzen sollte, davon geben die bisherigen Erfahrungen in Europa Kunde. Schon wird von zahlreichen Opfern des Morphinismus in Niutschwang aus den Jahren 1914 und 1915 berichtet. Schon vor Jahren wurde mitgeteilt, dass ein alter Opiumraucher den brennenden Wunsch gehabt hat von seiner traurigen Gewohnheit befreit zu werden. Für die Erfüllung desselben setzte er eine namhafte Belohnung aus. Einer seiner Landsleute, der von einem fremden Arzte die Verwendungsweise des Morphins kennengelernt hatte, machte sich anheischig, ihn zu heilen und unterzog ihn einer Behandlung mit Morphineinspritzungen. Die dadurch hervorgerufenen Sensationen erschienen dem Opiumraucher so angenehm, dass er sehr bald [67] von seiner Opiumpfeife abließ. Der Heilkünstler begab sich nach Hongkong und machte bekannt, dass er ein unfehlbares Mittel gegen die Gewohnheit des Opiumrauchens besitze. In kurzer Zeit wuchs seine Klientel so an, dass er eine ganze Reihe von Morphin-Injektionsanstalten errichtete. Es waren zuletzt etwa zwanzig solcher im Gange. Meistens Kulis ließen sich zwei- bis viermal täglich Einspritzungen machen. Es wurde schließlich durch die Regierung eine Schließung dieser Menschen- Verwüstungsanstalten bewerkstelligt und angeordnet, dass Morphin nur noch auf ärztliche Anordnung verabreicht werden dürfe. So wächst und blüht das Übel nunmehr verborgen weiter.

Der Teil des indischen Opiums, der nun nicht mehr direkt nach China gelangt, sucht neue Märkte oder gelangt auf einem anderen Wege in chinesische Handels- bzw. Verbraucherhände. Besonders sind es die in fremdem Besitz befindlichen früher chinesischen Gebiete, die ein stärkeres Einströmen von Opium erkennen lassen. So wuchs im Fremdenviertel von Schanghai die Zahl der Opiumläden von 131 im Jahre 1908 auf 663 im Jahre 1916. Aus ihnen können die Bewohner des chinesischen Stadtviertels so viel Opium wie sie wollen, beziehen. Ähnlich liegen die Verhältnisse für Hongkong mit Kaulung und Lantau.

Nächst Indien sind die Türkei und Persien die größten Opiumproduzenten der Welt. Ein großer Teil des persischen Opiums, das im reinen Zustande als Schire-Teriak bezeichnet wird, aber für den Export und den Inlandverbrauch Zusätze erhält – Teriak-i-Tschume und Teriak-i-Jule – geht nach Hongkong und Formosa und von dort sehr wahrscheinlich auch nach China. Aus diesem Grunde fehlt es wohl in der folgenden statistischen Tabelle unter den Herkunftsländern des Opiums. In ganz Persien wird Opium gebaut. Die besten Sorten liefern unter anderen Orten Ispahan und das auch weinberühmte Schiras, das vielbesungene Tal der Rosen und [68] Nachtigallen, Schiras, das die Gräber der Dichter Hafis und Saadi birgt. Ispahan ist das Zentrum des Opiumhandels. Schon vor vierzig Jahren gingen von Buschir 2000 Opium- Üsten im Werte von etwa drei Millionen Mark nach England.

Große Opiummengen werden jetzt auch in Mazedonien, Bulgarien und Jugoslawien erzeugt. Im letzteren Gebiete betrug vor dem Kriege die jährliche Opiumproduktion durchschnittlich 120.000 kg. Sie erhöhte sich in den letzten Jahren schon auf 150.000 kg im Werte von 200 Millionen Dinar.

In Ägypten ist jetzt der Anbau von Opium untersagt.

Aber auch andere Länder nehmen davon reichlich auf, z.B. Cochinchina, das importierte:

1912 – 1913 1914 – 1915 1916 – 1917

840 2690 3440

Kisten zu 140 pounds.

In Saϊgon wird das Rohopium als staatliches Monopol zu dem Rauchprodukt Chandu verfeinert. Schon vor etwa 20 Jahren waren es jährlich insgesamt 67.000 kg Rohopium, die 44.800 kg Chandu lieferten. Ohne die geschmuggelte Ware rechnete man auf einen Jahresverbrauch von 120.000 kg als Rauchopium. Daran waren hauptsächlich die in den Zentren, wie Saϊgon oder Cholon lebenden Chinesen beteiligt.

Beträchtliche Mengen gehen in fernere Gebiete. So importierte z. B. das kleine Mauritius 1912 – 13 nur 10 Kisten, 1916 – 17 aber schon 120 Kisten.

Uns interessiert besonders wie sich in dieser Beziehung Deutschland verhält. Darüber gibt die folgende lehrreiche Tabelle Aufklärung, in der auch die Herkunftsländer des Opiums ihren Platz gefunden haben:

[70]


2. Verbreitung des Opium- und Morphingenießens in der Jetztzeit.

Ein tief mahnendes Gesamtbild bietet sich demjenigen dar, der von höherer Warte der Erkenntnis aus die Verbreitung der Opium- und Morphinleidenschaft über die Welt zu schildern unternimmt. Fast über die ganze Erde lagert sich als junge Vorstoßkraft das Morphin, bequem ohne Apparatur verwendbar: eine Spritze, ein Fläschchen, eine dunkle Ecke und der evtl. auch bekleidete Arm oder die Oberschenkel. Die Nadel dringt durch. Kein verräterischer Duft wie nach Opium, kein Hindämmern, das die Ruhelage erfordert – das Verschwinden der Morphinlösung in dem Unterhautgewebe kann aus dem vorher gebrochenen, von Abstinenz durchwühlten Arbeitsunfähigen auch einen Helden irgendwelcher moderner Zweckgestaltung machen. Die Zeit wird – wenn nicht Wunder sich vollziehen werden – kommen, in der das junge Morphin das so alte, schwerfällige Opium wenn vielleicht auch nicht überwältigt, so doch entthront haben wird. Liebhaber für das Traum- und Visionsleben im Opiumschlaf wird es trotzdem immer geben, weil es anziehender, verführerischer ist als die kalte Morphinwirkung. Daher sieht man auch heute in Europa inselartig Liebhaber für das Opium auftauchen. Trennt uns doch nur eine kurze Zeitspanne von der ersten Feststellung, dass in Paris an bestimmten Stellen das Narkotikum auch von Frauen und sogar von jungen Mädchen gebraucht worden ist. In der französischen Kriegsmarine hatte noch kurz vor dem Kriege36 die Öffentlichkeit und sogar die Deportiertenkammer sich mit der Entdeckung beschäftigt, dass in den Kriegshäfen, zumal des Mittelmeeres, das Laster so zugenommen habe, dass daraus eine nationale Gefahr bewirkt werde. Ein Teil des Opiums sollte aus den staatlichen Fabriken von Indochina, ein anderer europäischer Herkunft gewesen sein. [71]

Es gibt noch andere Stellen in Europa, wo verlebte degenerierte Süchtlinge beiderlei Geschlechts, Ganzdirnen, Halbdirnen und Halbmänner – Opfer blinden [sic!], selbst- beherrschungslosen Genießenwollens – ihrer ungezügelten Leidenschaft diese Rauchopfer bringen. Je weiter zum Osten, um so massiger werden die Opiumanhänger. Schon in den Balkanländern und von dort in stetem Wachsen nach Kleinasien hin, steigt der Verbrauch an – stellenweis, wie z. B. in Damaskus, nicht offen gehandhabt, aber weiterhin als anerkanntes Genussmittel in die Volksschicht eingedrungen. Von den drei Gebieten Irans: Afghanistan, Beludschistan und Persien nimmt das letztere auch als Verbrauchsland einen hohen Rang ein. In den Nordprovinzen, zumal in Khorassan, wird von Mohammedanern und Nichtmohammedanern viel Opium geraucht. Buchara und Afghanistan verbrauchen nur wenig davon. Manche schwere Last davon mag jedoch den Weg über den Hindukusch und die eisstarrenden, nach Ost-Turkestan führenden Pässe nehmen. Hier, z. B. in Kaschgar, rauchen Männer und Frauen leidenschaftlich auch in einem öffentlich als Opiumetablissement anerkannten Raume.

Wendet sich der Blick südwärts nach Indien, so wächst die Leidenschaft für Opium. In den vorwiegend mohammedanischen Radschputana- Staaten rauchen Radschputen und Sikhs, die kräftigsten Rassen unter den Eingeborenen. Dem Genusse sind aber auch Hindus ergeben. An der Koromandelküste nehmen hoch und niedrig an diesem Genuss aus der Pfeife, der Huka, teil. Man raucht ein Gemisch von Opium mit Rosenblättern und wenig Tabak. Es gibt auch Opiumesser, z. B. in Bengalen. Für Haidarabad wurde vor Jahren die Zahl der Opiumisten bei einer Bevölkerung von elf Millionen auf weit über eine Million geschätzt. An dem Gebrauche sollten 12% Mohammedaner, 7% Hindus und 5% Parias teilnehmen – Menschen aus dem Flachlande, den Städten und dem Hochland. Nur [72] bei einzelnen Sekten, wie den Jeragis in Ostbengalen, ist Opiumessen als Betäubungsmittel verpönt. Das Verhältnis der Opium essenden Männer zu den Frauen beträgt in Indien 73 : 27. Die Mehrzahlt steht im Alter von 30 bis 40 Jahren.

In den Gebieten vom Radschputana, Zentralindien und in der Provinz Gudscharat findet bei Festlichkeiten unter dem Namen Amalpani und Kusamba eine 5prozentige Opiumlösung Verwendung. Zu dem wesentlich nur in Städten geübten Rauchen werden die Opiumextrakte Maddak und Chandu benutzt, das letztere ein hochwertiges Extrakt, das nach zwölfmonatiger Reifung unter der Einwirkung von Aspergillus niger benutzt wird.

Weiter zieht sich die Gebrauchskette am Süden des Himalaja bis zu dem Flussgebiet des Brahmaputra. In Assam überlassen sich die Eingeborenen mit vollster Hingebung dem Opium. Die Katscharies sind ihm so leidenschaftlich ergeben, dass sie statt Arbeitslohn Opium fordern. Bei den Kakhyens, Karens, Lapais usw. der Khasi-Berge rauchen Männer und Frauen das Opium, das sie nur in kleinen Mengen wegen der großen Höhe ihrer Berge durch Mohnpflanzung gewinnen, zum größten Teil von China beziehen. Die wilden Turungs und Nagas kommen von ihren Bergen in die Täler, um Elfenbein, Baumwolle usw. gegen Reis und Opium einzutauschen. Die Begierde des Erlangens wächst sich hier wie weiter ostwärts bis zum chinesischen Meer und an den Stillen Ozean fast zu einer Lebensnotwendigkeit aus. Stämme von Birma, wie die Pa-yii und und die Katschin üben als Hauptbeschäftigung das Opium, rauchen. Die riesige Nachahmungsinfektion ließ Siam nicht unberührt. Trotz aller, auch scherster Strafandrohung bahnte sich das Opium seinen Weg hierher ging über den Mekong nach Tonkin, Anam, Cambodja, Cochinchina37. Die Tonkinesen rauchen weniger als die Cochinchinesen und vorzüglich die besitzende Schicht. Bei ihnen wie bei den als hysterisch verrufenen und durch [73] Opium so gewordenen Anamiten bringt es ein mittelstarker Raucher auf 60 bis 80, starke bis zu 150 und mehr Pfeifchen täglich.

Ein großer Schmuggelhandel aus China mit billigerer Ware, als sie an Ort and Stelle die von französischen Lieferungsstellen in Saigon, Hanoi usw. erhältlich ist, hat Platz gegriffen. Betrüblich genug sind auch nicht wenige Europäer Abnehmer.

Die mannigfaltigsten Körperstörungen suchen die Opiumraucher heim, von besonderen Mundentzündungen, Magenleiden an bis zu Kreislaufstörungen, Herzarhythmie, lähmungsartiger Schwäche der Gliedmaßen, gelegentlich auch Blasenstörungen und seitens der Gehirnarbeit allem dem, was Morphinisten aufweisen.

Und nun erreicht das Opium sein ausgedehntestes Gebrauchsgebiet – China – , das zugleich das Zentrum ist, von dem aus auch die Verbreitung des Gebrauchs dahin, wo Chinesen in die Welt gezogen sind, sich vollzieht. Weitab vom Heimatslande haben sie die Gewohnheit weiter getragen: tief drinnen in den Wäldern an der mandschurischen Bahn, nur auf schmalem Pfad zu erreichen, finden sich heimliche Ansiedlungen zum Anbau von Mohn, aus dem Opium hergestellt und versteckt in die Städte, hauptsächlich nach Charbin, zum Verkauf gebracht wird.

Nach welcher Himmelsrichtung der Opiumgewöhnte seinen Weg in die Ferne nimmt, begleitet ihn dieser Stoff, auch in die Zivilisation, nach Amerika, Kanada, bis in die Gebiete um die Straße San Juan de Fuca, wo ich diese Leidenschaft toben sah, nach der Vancouver-Insel, nach Alaska, nach Afrika und Australien.

In China selbst wurde bisher excessiv geraucht. Es gibt kaum eine Provinz, die ausgenommen werden kann. In Chinesisch-Turkestan sind die Schantus dem Opium ergeben, für Kan-Su, im Süd-Kokunor-Gebiete, wurde in den Städten eine Beteiligung daran von 80%, in den Dörfern von [74] 30 bis 40% der Bevölkerung geschätzt, wobei als mittlere verrauchte Monatsmenge 150 bis 200 g pro Kopf bezeichnet worden sind. Tafel konnte auf seiner Tibetreise in Kansu schwer Leute bekommen, die nicht Opium rauchten. Yünnan und Sze-tschwan sind die Landschaften, in denen die Bevölkerung am schlimmsten unter dem Fluche des Opiums steht. In Kiang-Si klagen die Missionare über das Opiumrauchen und besonders das Opiumessen der Weiber – letzteres zum Selbstmord. So trifft der Blick des Reisenden in dem Riesengebiete des chinesischen Reiches allenthalben auf die verheerenden Wirkungen, die Opium in Menschen erzeugt hat und – weiter erzeugen wird.

 

Das Eindringen in die Mongolei vollzog sich zwangsläufig. Schon Prschewalski, einer der erfolgreichsten Forschungsreisenden in China, der bereits vor fünfzig Jahren die Folgen der Opiumpest für China voraussah, fand sie auch in Ala-Schan. Auf Formosa herrscht die gleiche Leidenschaft. Selbst das Betelkauen der wilden Chinwan wird durch Opium verdrängt. In Japan scheint das Mittel jetzt keinen sonderlichen Verbrauchsboden mehr zu finden.

Auf den Philippinen leben etwa 70.000 Chinesen, von denen die große Mehrzahl Opiumisten sind. Viele der Eingeborenen haben sich dem Laster zugewendet, das die Spanier schon seit 1844 durch die Opiumregie glaubten bekämpfen zu können. Amerika will hier durch strenge Strafen, durch Heilanstalten, Belehrung, helfen – kann aber am eigenen Herd das Opium als Genussmittel nicht erwürgen.

Unaufhaltsam ist der Opiumgebrauch bis auf den Niederländischen Archipel weitergezogen: nach Java, Sumatra – wo u. a. die Bataker ihm leidenschaftlich frönen und bei plötzlichem Entbehren Deliriumszustände bekommen, nach Nias, zu den Inseln des Bandameeres, zumal auf den östlichen Teil der Molukken und West-Neuguinea, auf die Aru- und Keyinseln, nach Ceram, Borneo, wo es außer Chinesen die wilden Dajaks rauchen. Der Handel damit [75] ist, wie auch anderwärts, in dem Inselmeer monopolisiert. Bis in das kleinste Dorf hinein erstrecken sich die Verkaufsstellen dieses Produkts.

Das Opium-Apostolat der Chinesen ging auch nach dem fünften Erdteil, nach Australien. Sie brachten es dem Alkohol zur Gesellschaft. Nicht sie jedoch haben den Hauptvorteil im Verdienen daran gehabt, sondern Europäer. Der Alkoholismus, viel mehr aber das Opiumrauchen, das die Eingeborenen schnell und sicher von Weißen und Chinesen erlernen und für das sie eine verhängnisvolle Vorliebe entwickeln, haben zum auffälligsten Abnehmen ihres Bestandes geführt. Die ausgemergelten, blassgesichtigen Gestalten der früher gut entwickelten Maoris sah man in ihren Lagern in Queensland und anderwärts. Es ist zumeist importiertes Opium, das Verwendung findet. Anbauversuche im Lande ergaben ein hochwertiges Produkt.

Auch Inseln der Südsee haben sich dem Opium, dem Überallsieger, unterworfen. Wo er Fuß gefasst hat, da bleibt er. Von einzelnen der Eilande kam über ihn Kunde, so z. B. von den Gilbert- und Marquesasinseln. Dorthin haben gleichfalls die Chinesen den Glauben an das Opium gebracht und dadurch an vielen Orten leider das bis dahin gebrauchte harmlose Kawagetränk verdrängen lassen. Die Eingeborenen der letztgenannten Inseln kaufen Opium, das am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Generalpächter der französischen Regie nur an Chinesen verkaufen sollte.

Wo in Afrika Opium geraucht wird, ist die Gewohnheit im Wesentlichen bodenständig, wie die Mohnkultur. Dies gilt z. B. für Ägypten, wo schon vor vielen Jahren auf den entnervenden Einfluss des Mittels hingewiesen wurde, den es auf die untere Volksschicht in den Städten ausübe. In Tunis sowie im ganzen Westen der afrikanischen Nordküste wird nur heimlich und in geringem Umfang dem Opium gefrönt. In der tripolitanischen Stadt Mursuk scheint es mehr Liebhaber dafür zu geben. In Arabien ist das Opium[76]rauchen nicht umfänglich. In Mekka gibt es eine Straße „Kaschkaschia“,38 d. h. Straße der Opiumverkäufer. Man steigt in eine Art von leeren Keller hinein, der an den Wänden steinerne Vorsprünge als Sitze der Gäste hat. Dort finden sich trotz der braunen Haut blass und blutlos erscheinende Menschen, von denen jeder kleine kurze Pfeifen in der Hand hält, aus denen der Dampf des glimmenden Opiums eingesogen wird, um sich an der feuchten Schleimhaut der Luftwege wieder zu kondensieren. Keiner dieser Genießer spricht ein Wort. Nur von Zeit zu Zeit entfährt einem oder dem andern der Ruf: „O Allah!“ oder „O Güte Gottes!“ In Ost- und Zentralafrika, z. B. in der Nähe von Mazaro an den Ufern des Kwakwa in Mozambique sind von Indiern aus Malva vor Jahren Mohnkulturen angelegt worden, ohne dass ein nennenswerter örtlicher Verbrauch des gewonnenen Opiums sich daraus entwickelte. Nicht viele Araber sind durch Indier zum Opiumrauchen veranlasst worden. So ist es auch an einzelnen anderen Stellen, z. B. im nördlichen Ostafrika, in Uganda oder am Kongo, wo chinesische Arbeiter das Rauchen betreiben.

Ein ganz besonderes Interesse gewinnt die Frage der Ausbreitung des Opiumgenießens in irgendeiner Form in den Vereinigten Staaten von Amerika, besonders mit Rücksicht auf den Kampf, der gegen den Alkohol auf dem Wege der Gesetzgebung dort durchgeführt worden ist. Schon vor etwa dreißig Jahren wurden Eröffnungen über das Wachsen des Opiumverbrauches in einzelnen Distrikten, z. B. in Albany, gemacht. Während die Bevölkerung um 59% wuchs, stieg der Opiumverbrauch um 900% und der des Morphins um 1100%. Ganz allgemein wurde behauptet, dass der größte Verbrauchszuwachs sich in den [77] Temperenzstaaten vollzogen habe. Aus neuester Zeit liegt eine Tatsachenfeststellung vor, die von dem unheimlichen, dort wachsenden Weltunglück ein betrübliches Stück kennen lehrt.

Nach Mitteilungen, die der oberste Gesundheitsbeamte der Stadt New York im Jahre 1921 gemacht hat, sollen die Amerikaner zwölfmal mehr Opium als irgendein anderes Volk der Welt verbrauchen. Mehr als 750.000 Pfund werden jedes Jahr nach den Vereinigten Staaten eingeführt, wonach etwa 2,5 g auf den Kopf der Bevölkerung kommen. Die zu gesetzmäßigen Zwecken verwendete Opiummenge beträgt nicht mehr als 70.000 Pfund im Jahr. Wie sehr die Opiumsucht in New York zugenommen hat, beweisen auch die Angaben des Arztes des großen New Yorker Staatsgefängnisses, nach denen die Zahl der Gefangenen, die wegen unerlaubten Opiumgenusses eingeliefert wurden, um 789% in den Jahren 1918 bis 1921 gestiegen ist. Ich stelle diese, wie ich annehme, richtigen Angaben nicht in eine Beziehung zum Prohibitionismus, da auch Äußerungen der Gegenseite vorliegen, die entweder ein Wachsen der Zahl der Narkomanen leugnet oder, falls dies doch der Fall sein sollte, andere Ursachen hierfür heranzieht.

Was ich hier in großen Zügen geschildert habe, lehrt mit überzeugender Eindringlichkeit, wie weder Weltmeere noch himmelanstrebende Gebirge eine Wehr gegen das Menschengehirne in Bann schlagende, die Seele zermürbende, den Körper in falsche Daseinsbahnen zwingende Opium und Morphin liefert. Und Hilfe? Ein fast aussichtsloses Unternehmen! Denn wenn man auch im fernen Osten die Opiumverbrauchsstätten ganz unterdrücken würde, bliebe immer noch der Gebrauch im eigenen Raumund, was sehr viel mehr bedeutet: das Morphin und die Morphinspritze.

Das, was sich jetzt im äußersten Ostasien in Bezug auf den Ersatz von Opiumrauchen durch Morphineinspritzen vollzieht, zeigt deutlich genug, dass, wenn schon dem alten Übel [78] zu wehren unmöglich war, das wachsende neue dort überhaupt unbeeinflussbar ist, schon deswegen, weil der Verbreitung des Mittels durch Händler keine durchgreifende Hemmung entgegengesetzt werden kann. Spielte sich doch im Frühjahr dieses Jahres in Hamburg ein Prozess gegen mehrere Kaufleute ab, die zirka 50 kg Morphin, für die eine Ausfuhrbewilligung nach der Türkei vorlag, statt dorthin zu schicken, nach China umladen ließen.