Linguistische Stil- und Textanalyse

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Linguistische Stil- und Textanalyse
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Ulrike Krieg-Holz / Lars Bülow

Linguistische Stil- und Textanalyse

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen


© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de • info@francke.de

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0025-0

Inhalt

 1. Text als linguistischer GegenstandWeiterführende Literatur:1.1 TextualitätsmerkmaleWeiterführende Literatur:1.2 TextualitätshinweiseAbgrenzungs- und GliederungshinweiseVerknüpfungshinweiseHinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit

 2. Ebenen der Textbeschreibung2.1 Textebene2.1.1 Textgliederung2.1.2 Textkonstitution2.2 SatzebeneZur Beschreibung von SätzenWortartenPhrasenKonstituententestsSatzbautypenSatzartenKlammerstrukturen und Topologie2.3 WortebeneFlexionWortbildung

 3. Parameter der Stilbeschreibung3.1 Stil und Stilistik: AllgemeinesDer sprachwissenschaftliche StilbegriffMethoden der StilbeschreibungZentrale Begriffe der Stilanalyse3.2 Einzelne stilistische Phänomene anhand der Textebenen3.2.1 Textaufbau3.2.2 Satzbau und Morphologisches3.2.3 Lexik und Wortbildung3.2.4 Generelles zur Verwendung der Einzelelemente3.2.5 Stilfiguren3.3 Komplexe stilistische Phänomene3.3.1 Zur Typologie stilistischer Handlungsmuster3.3.2 Inhaltlich determinierte stilistische Muster3.3.3 Strukturell determinierte stilistische Muster

 4. Textsorten und Textklassifikation4.1 Vorschläge zur Textsortenklassifikation im Überblick4.2 Zum Textsortenbegriff4.3 Dimensionen der Textsortenbeschreibung4.3.1 Situative Aspekte4.3.2 Funktionale Aspekte4.3.3 Thematische Aspekte4.3.4 Äußere Form und Strukturiertheit4.3.5 Sprachlicher Stil

 5. Anwendungen5.1 Forensische LinguistikAufgabenbereiche der Forensischen LinguistikAutorenerkennungFragestellungen und MethodenAnalysebeispiele5.2 KiezdeutschZur Entwicklung und EinordnungStil oder VarietätKiezdeutsch als StilphänomenAnwendungsbeispiel5.3 SchreibdidaktikWeiterführende Literatur:

  Literaturverzeichnis

  Textnachweise

  Abbildungsnachweise

1. Text als linguistischer Gegenstand

Am Anfang jeder textanalytischen Überlegung sollte die Frage nach der Definition des Untersuchungsgegenstandes stehen: Was ist ein Text?

Prinzipiell wird das Spektrum unterschiedlicher Textauffassungen durch zwei extreme Positionen eingegrenzt. Die eine bezeichnet als ‚Text‘ alles das, was an beobachtbar geäußerter Sprache – wie auch immer realisiert – vorliegt. Die andere Position bezieht den Textbegriff auf das Funktionieren von Sprache jenseits der Satzgrenze. Diese Blickrichtung vom Satz zum Text soll hier den methodologischen Ausgangspunkt bilden, von dem aus verschiedene Herangehensweisen an die linguistische Beschreibung von Texten entwickelt werden bzw. die Analyse der Wesensmerkmale von Texten erfolgt.

In der Struktur einzelner Sprachen können u.a. folgende Ebenen erscheinen:

 Text

 Satz

 Wortgruppe

 Wort

 Minimale Elemente (bedeutungstragende: z.B. Morpheme, bedeutungsunterscheidende: z.B. Phoneme)

Der Begriff ‚Text‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang zunächst die sprachliche Struktur oberhalb der Struktur des Satzes. Dementsprechend wird der Text aufgefasst als ein übersatzförmiges, d.h. transphrastisches Gebilde (vgl. engl. phrase ‚Satz‘). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine textlinguistische Analyse erst oberhalb der Satzebene beginnt. Vielmehr bedarf sie auch der systematischen Betrachtung der Elemente auf tieferliegenden Ebenen der Sprachbeschreibung. Es bedeutet ebenfalls nicht, dass ein Text immer unbedingt aus Einheiten zusammengesetzt ist, die als Sätze definiert werden können. Das heißt, Texte können – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Kap. 3 und 4) – grundsätzlich nicht ausschließlich durch grammatische Einheiten (wie die des Satzes) bestimmt werden, sonst müssten zahlreiche, für einzelne Textsorten besonders charakteristische Textelemente von vornherein von der Analyse ausgeschlossen werden. Dazu würde der Slogan SOS-Kinderdorf – Wir sind Familie! einer Werbeanzeige ebenso gehören wie Brot im Tank als Überschrift zum Thema „Herstellung des Biokraftstoffs E10 aus Getreide“ in einer überregionalen Tageszeitung.

Mit der Blickrichtung vom Satz zum Text verbindet sich eine Perspektive, die den Text als etwas Ganzes Lesbares und in sich mehr oder weniger Geschlossenes betrachtet. Dabei geht es weniger um solche Fälle wie den Zettel mit der Aufschrift Prüfung! an einer Bürotür, die sehr weite Definitionen des Begriffes ‚Text‘ einschließen (vgl. Kap. 1.1), sondern vor allem um komplexere sprachliche Gebilde, wie es die spätlateinische Wurzel des Wortes Text (lat. textus ‚Gewebe, Geflecht‘, abgeleitet vom Verb texere ‚weben, flechten‘) in Analogie zur Struktur von Textilien bereits suggeriert.

Der Begriff der ‚Textualität‘ bezeichnet dabei die Menge an Eigenschaften, die ein sprachliches Gebilde zu einem Text machen. Dazu muss zunächst die Frage beantwortet werden, welche Gemeinsamkeiten etwa zwischen einem Buch, einem Zeitungsartikel, einem Brief, einer Printanzeige oder einer Internetseite bestehen. Auf dieser Grundlage kann dann der Frage nachgegangen werden, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein sprachliches Gebilde, also eine bestimmte Ansammlung sprachlicher Erscheinungsformen, als Text wahrgenommen wird. Diese Bedingungen an Texte und deren spezifische Eigenschaften werden in der sprachwissenschaftlichen Forschung mit den Termini ‚Textualitätskriterien‘ oder ‚Textualitätsmerkmale‘ erfasst. Die Bestimmung und Beschreibung dieser Textualitätskriterien bzw. Textualitätsmerkmale ermöglicht dann eine Definition des Begriffes ‚Text‘ (vgl. Kap. 1.1).

Texte signalisieren Textualität durch bestimmte Hinweise, sog. Textualitätshinweise, die wiederum auf der Grundlage der Textualitätsmerkmale bestimmt und systematisiert werden können (vgl. Kap. 1.2). Sowohl die Textualitätsmerkmale als auch die Textualitätshinweise bestehen dabei aus sprachlichen und außersprachlichen Komponenten.

Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass sich der Ausdruck ‚Text‘ in diesem Buch ausschließlich auf die schriftbasierte Kommunikation bezieht. Die grundlegende Unterscheidung zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch scheint auf den ersten Blick unproblematisch, sie wird innerhalb der Sprachwissenschaft traditionell mit dem Begriff des Mediums verbunden. Schriftlichkeit wurde im Allgemeinen komplementär zur Mündlichkeit wahrgenommen und daher im Vergleich mit dieser und in Abgrenzung von dieser definiert und charakterisiert. Der Begriff der Schriftlichkeit umfasst neben den gesellschaftlichen Traditionen und Funktionen des Schreibens vor allem die Merkmale und die Charakteristik geschriebener Texte, ihre Textkonstitution und die Bindung an die Schriftsprache unter dem Gesichtspunkt des sprachlichen Systems. Dabei ist vorerst von elementarer Bedeutung, ob eine Äußerung aufgeschrieben ist oder nicht. Die kognitiven Produktions- und Verarbeitungsprozesse unterscheiden sich beim Schreiben und Lesen deutlich vom Sprechen und Zuhören, was zum Teil an den Eigenschaften des Mediums liegt. So gilt das Schreiben in der Regel als langsamer und als stärker geplanter Prozess, worauf besser strukturierte und kohärentere Texte zurückgeführt werden, die komplexer aufgebaut und in mehreren Arbeitsgängen konzipiert, überarbeitet und korrigiert werden können.

Die Ausdrucksvielfalt der geschriebenen Sprache ist gegenüber der gesprochenen Sprache einerseits eingeschränkt, weil sie nicht über paraverbale Ausdrucksformen verfügt (z.B. Lautstärke, Stimmqualität, Rhythmus) oder mit nonverbalen Ausdrucksformen verbunden ist (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten usw.). Andererseits verfügt sie über Ausdrucksmittel, die die gesprochene Sprache nicht hat und die oft als Kompensationsformen interpretiert werden. In der geschriebenen Sprache entsprechen dem Parasprachlichen im engeren Sinne dabei weniger die häufig genannten Satzzeichen, sondern eher die sehr stark differenzierbaren Schrifttypen und Schriftgrößen sowie die besonderen Eigenschaften der Trägermedien.

 

Schriftlichkeit ist generell gekennzeichnet durch Einwegigkeit (deshalb Monologizität), durch die Reduktion der para- und nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten, die auf der syntaktischen, lexikalischen und textlinguistischen Ebene kompensiert werden müssen1, durch fehlende Synchronie von Produktion und Rezeption sowie durch das Fehlen des unmittelbaren pragmatischen Kontextes, wodurch weitere verbale Kompensationen notwendig sind. Alle vier Punkte werden häufig als pragmatische Defizite von Schriftlichkeit zusammengefasst, d.h., die Spezifika der schriftlichen Kommunikation gelten als Mängel, die durch größere sprachliche Anstrengungen kompensiert werden müssen, dafür aber auch die größere kulturgeschichtliche Leistung darstellen.

Modernere Bestimmungen des Konzepts der Schriftlichkeit nehmen neben der medialen Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium eine konzeptionelle Schriftlichkeit an, die auf bestimmte Merkmale der Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1) zurückgeführt wird. Dazu gehört beispielsweise das Kriterium der raum-zeitlichen Distanz der Kommunikationsteilnehmer.

Schriftliche Texte stellen den Gegenstandsbereich der Textlinguistik dar. Die Textlinguistik wird in der germanistischen Forschung als eigenständige linguistische Teildisziplin angesehen. Sie wird in der Regel von der Gesprächsanalyse abgegrenzt, die einen eigenständigen Beschreibungsrahmen für die mündliche Kommunikation bildet.

Definition:

Die Textlinguistik ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit den formalen und funktionalen Eigenschaften von schriftlichen Texten beschäftigt. Im Fokus stehen dabei die satzübergreifende Analyse sprachlicher Regularitäten und das Ziel, die konstitutiven Merkmale der sprachlichen Einheit ‚Text‘ zu bestimmen.

In anderen Sprachwissenschaften hat die Textlinguistik mitunter eine andere Position. So wird sie im angloamerikanischen Raum in der Regel als Teilbereich einer umfassenden Diskursanalyse (discourse analysis, DA) gesehen.

Weiterführende Literatur:

Coseriu, Eugenio: Textlinguistik. Eine Einführung. Narr Francke Attempto, Tübingen 2007.

Hausendorf, Heiko/Kesselheim, Wolfgang: Textlinguistik fürs Examen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.

Schubert, Christoph: Englische Textlinguistik. Eine Einführung. Erich Schmidt, Berlin 2008.

1.1 Textualitätsmerkmale

Im Gegensatz zum Alltagsverständnis von Text beruhen sprachwissenschaftliche Textdefinitionen auf Überlegungen zu den Kriterien, die einen Text zu einem Text machen, die also die Bedingung für Textualität sind. Sie werden im folgenden Textualitätsmerkmale genannt.

Eine frühe, über lange Zeit etablierte Textdefinition stammt von de Beaugrande/Dressler (1981), die davon ausgehen, dass genau sieben dieser Textualitätsmerkmale erfüllt sein müssen, damit ein Text zustande kommt. Es sind die Kriterien:

 Kohäsion

 Kohärenz

 Intentionalität

 Akzeptabilität

 Informativität

 Situationalität

 Intertextualität

Das erste der sieben Merkmale ist die Kohäsion. Sie bezieht sich auf die Art, wie Texte auf der Textoberfläche durch grammatische Formen miteinander verbunden sind. Bei dieser grammatischen Beziehung zwischen den Einheiten eines Textes handelt es sich häufig um satzübergreifende Relationen, d.h. solche Phänomene, die für eine transphrastische Analyse von Bedeutung sind.

Das Merkmal der Kohärenz umfasst nicht die grammatischen Mittel, sondern die Bedeutungsaspekte von Texten wie etwa Kausalitäts-, Referenz- und Zeitbeziehungen, also die inhaltlichen Zusammenhänge. Es geht dabei um die Herstellung und um das Verstehen von Textsinn durch die Verknüpfung des im Text repräsentierten Wissens mit dem Weltwissen der Kommunikationsbeteiligten. Sinn bedeutet in diesem Zusammenhang die im Text aktualisierte Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks, Textsinn die Gesamtheit der einem Text zugrunde liegenden Sinnrelationen, die mit der realen Welt natürlich nicht übereinstimmen müssen.

Die beiden Merkmale Kohäsion und Kohärenz gehören zu den textinternen Merkmalen von Texten, eben weil sie sich auf die inhärente grammatische und semantische Struktur eines Textes beziehen. Demgegenüber gelten die übrigen Merkmale als textexterne, die die kommunikativen und pragmatischen Eigenschaften von Texten betreffen.

Das Kriterium der Intentionalität bezieht sich auf die Absicht des Textproduzenten, einen kohäsiven und kohärenten Text zu erzeugen, um ein bestimmtes kommunikatives Ziel zu erreichen. Mit dem Kriterium der Akzeptabilität wird die Erwartung des Textrezipienten beschrieben, dass ein Text zusammenhängend und für ihn in irgendeiner Weise nützlich oder relevant ist.

Unter Informativität wird das Ausmaß an Erwartbarkeit oder Bekanntheit der dargebotenen Textelemente verstanden. Das bedeutet, je weniger die Inhalte erwartet oder bekannt sind, umso höher ist der Grad an Informativität. Um Textualität herzustellen, ist dabei jedoch ein Mindestmaß an neuer Information notwendig.

Mit dem Kriterium der Situationalität wird versucht, die Faktoren zu beschreiben, die einen Text für eine Kommunikationssituation relevant machen. Dazu gehört beispielsweise der Aspekt der juristischen Relevanz, der dazu führt, dass Verträge oder Versicherungspolicen in der Regel länger sind als ein Kochrezept.

Das letzte Kriterium ist die Intertextualität, die auf zweifache Weise verstanden werden kann: 1. als Bezug auf die Textsorte und 2. als Bezug auf andere Texte. Im ersten Fall geht es um die Differenzierung von Klassen von Texten mit typischen Mustern von Eigenschaften. So haben Kleinanzeigen, Beipackzettel, Bedienungsanleitungen oder Sonette bestimmte formale und inhaltliche Merkmale. Im zweiten Fall betrifft Intertextualität bestimmte Textsorten wie Kritiken, Buchbesprechungen oder Parodien, bei denen das Verständnis stark von der Vorkenntnis anderer Texte, auf die Bezug genommen wird, abhängt.

Auch wenn die genannten Kriterien von vielen Autoren aufgegriffen werden, bedeutet dies durchaus nicht, dass sie allgemein gültig und unumstritten sind. Nach wie vor sind die Bestimmung von Textualitätsmerkmalen und die damit verbundene Terminologie vielfältig. Als unverzichtbar wird in der Regel die Kohärenz dargestellt, da sie sich auf die Sinnkontinuität eines Textes bezieht. Diese wird vielfach als das dominierende Textualitätsmerkmal angesehen, weil sie zentral für das Zustandekommen eines Textes ist. Das erklärt zugleich auch, warum ein einzelnes Wort (wie das oben genannte Prüfung!) hier nicht als prototypischer Text betrachtet wird, denn in diesem Fall erübrigt sich natürlich das Kriterium der Kohärenz.

Das Kriterium der Kohäsion, der grammatischen Abhängigkeiten und semantischen Beziehungen in einem Text, scheint auf den ersten Blick sehr wichtig. Sie kann jedoch fehlen, wie der folgende Text – ein Gedicht von Sarah Kirsch, bei dem in großen Teilen auf Kohäsion verzichtet bzw. bewusst gegen ihre Regeln verstoßen wird – zeigt:

Ich in der Sonne deines Sterbemonats

Ich in der Sonne deines Sterbemonats

Ich im geöffneten Fenster

Ich betreibe Gewohntes: trockne

Gewaschenes Haar

Schaukeln fliegen

Am Augenwinkel vorbei, Wespen

Stelzen auf faulenden Birnen

Angesichts weißer Laken

Schreit der Wäschereihund: er ist noch klein

Flieg Haar von meinem Kamm

Flieg zwischen Spinnenfäden

Schwarzes Haar totes Haar

Eben noch bei mir

(Sarah Kirsch1)

Dessen ungeachtet soll Kohäsion hier als Textualitätsmerkmal definiert werden, weil wohl die Mehrzahl aller Texte über diesen an der Textoberfläche signalisierten Zusammenhang verfügen. Texte, die (die Regel bestätigende) Ausnahmen davon bilden, kompensieren fehlende Kohäsion häufig – so zeigt auch das o.g. Gedicht – durch Musterhaftigkeit, im Sinne einer besonderen Strukturiertheit. Bei zahlreichen Texten bzw. Textsorten treten Kohäsion und Musterhaftigkeit kombiniert auf. Das heißt, diese Texte können überwiegend kohäsiv sein (Fließtext), zugleich jedoch Bestandteile aufweisen (z.B. Überschriften, Schlagzeilen), die an der Oberfläche allein durch die Musterhaftigkeit des Textes/der Textsorte die Zusammengehörigkeit der Textelemente anzeigen. Aus diesem Grund wird das Textualitätsmerkmal Kohäsion im Folgenden ergänzt durch das Kriterium der Musterhaftigkeit. Musterhaftigkeit bezieht sich auf die Beschreibungsebene der Textgliederung, also die äußere Form und Strukturiertheit von Texten. Sie schließt ein weiteres wichtiges Kriterium für die Definition von Texten scheinbar unweigerlich mit ein: die Begrenztheit.

Das Kriterium der Intentionalität soll hier nicht als eine notwendige Bedingung für Textualität angesehen werden, sondern vielmehr als grundlegende Voraussetzung für jegliche Art von Kommunikation. Die Intention des Textproduzenten, ein bestimmtes kommunikatives Ziel zu erreichen, ist jedoch ein wichtiger Parameter für die Klassifikation und Beschreibung von Textsorten, weshalb der handlungsorientierte Charakter des Intentionalitätskriteriums in den Beschreibungsansatz von Textsorten einfließen wird (vgl. Kap. 4.3.2 textexterne Determinanten von Textsorten: Textfunktion). Um eine eher allgemeine Voraussetzung für erfolgreiches Kommunizieren handelt es sich auch beim Kriterium der Akzeptabilität, das erst dann annähernd objektiv und adäquat beschrieben werden kann, wenn es in Relation zu einer Textsorte gesetzt wird. Denn neben dem allgemeinen Weltwissen und der Fähigkeit, beim Verstehen eines Textes Sinn zu stiften, spielt das Textsortenwissen eine wichtige Rolle dafür, ob ein Rezipient einen bestimmten Text – ein Gedicht, einen Kinderreim, ein Vertragsformular oder einen Lebenslauf – akzeptabel findet oder nicht. Deshalb wird das Kriterium der Akzeptabilität hier ebenfalls als wichtiger Bestandteil der Textsortenbeschreibung und Klassifikation angesehen, und zwar im Sinne von stilistischer Angemessenheit der Textgestaltung sowie Aspekten von Normerwartung und Normverstoß in Abhängigkeit zur konkreten Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1 und Kap. 4.3.5).

Das Kriterium der Informativität ist im oben dargestellten Sinne insofern problematisch, als es einen Text, der nur Bekanntes enthält, als nicht informativ kennzeichnet. Demzufolge müsste ein Text, der nur Unerwartetes und Unbekanntes enthält, äußerst informativ sein. Informativität kann allerdings auch als Thematizität verstanden werden, d.h. als grundlegende Eigenschaft des Textes, ein Thema zu haben, denn athematische Texte existieren nicht. Während die thematische Zusammengehörigkeit eine wichtige Bedingung für die Texterstellung darstellt, die sich im Textualitätsmerkmal der Kohärenz und den damit verbundenen sprachwissenschaftlichen Konzepten widerspiegelt (Formen der Wiederaufnahme, Frames, Scripts s.u.), kann das Thema eines Textes wiederum ein bedeutsames Kriterium für eine Textsortensystematik sein (z.B. Wetterbericht, Traueranzeige; vgl. Kap. 4.3.3).

Ebenfalls ein entscheidendes Kriterium für die Klassifikation von Textsorten ist die Situationalität (vgl. Kap. 4.3.1). Sie stellt ein allgemeines textexternes Merkmal von Kommunikation dar, weil jede Form von Kommunikation in einen bestimmten situativen Kontext eingebettet ist. Zu diesem situativen Kontext gehören zeitliche und räumliche Konstellationen ebenso wie die Charakterisierung der Interaktionsteilnehmer. Die situative Dimension der Text- bzw. Textsortenbeschreibung betrifft zudem die Unterscheidung von Kommunikationsbereichen (Kap. 4.2) und den medialen Aspekt. Der mediale Aspekt besteht zunächst in der traditionellen Gegenüberstellung zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Darüber hinaus betrifft er die Frage nach den Massenmedien und den anderen Formen der technisch vermittelten Kommunikation. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die mediale Verfasstheit eines Kommunikationsproduktes (z.B. Anteil an Text, Bildern oder graphischen Darstellungen, Eigenschaften der Trägermedien wie Papierqualität, Farben usw.).

 

Der Begriff der Intertextualität stammt aus der Literaturwissenschaft, wo er einst im Sinne der ‚Auflösung/Entgrenzung‘ des Textbegriffs die Forschungsdiskussion nachhaltig beeinflusst hat, mittlerweile jedoch ausgefasert und zum Etikett für schwer zu überschauende Forschungsrichtungen geworden ist. Innerhalb der Sprachwissenschaft gehört zum Kriterium der Intertextualität vor allem der Aspekt, dass Texte einen direkten oder vermittelten Bezug zu vorgängigen und nachgängigen Texten haben können und dass Texte – selbst wenn sie auf keinen praktischen Effekt im engeren Sinne abzielen – das spätere kommunikative Verhalten beeinflussen. Das Ausmaß eines solchen Einflusses kann mehr oder weniger groß und mehr oder weniger sichtbar sein: z.B.

Mondgedicht

…, –

fertig ist das Mondgedicht.

(Robert Gernhardt2)

Deutlich erkennbar ist der Einfluss, wenn der Textproduzent explizite Bezüge herstellt, d.h., wenn er den gelesenen Text oder Passagen daraus wiederholt, zusammenfasst, übersetzt, kommentiert, interpretiert oder bewertet. Dabei besteht aus sprachwissenschaftlicher Sicht ein wichtiger Punkt in der sprachlich fassbaren Markierung intertextueller Bezüge im Text, weil ihre unterschiedliche Ausprägung ein Kriterium für die Beschreibung von Texten/Textsorten sein kann. Derartige intertextuelle Bezüge sind textsortenspezifisch geprägt und lassen sich konkret an einzelnen Textsortenexemplaren nachweisen. Sie sind für einige Textsorten charakteristisch (z.B. Rezension). Andere Textsorten sind gerade nicht als kooperative Texte angelegt, sie streben zumindest primär keine Interaktion zwischen Text-Produzenten an (z.B. einseitige Kommunikationsformen in den Massenmedien). Kooperativ sind sie dennoch insoweit, als auf jeden Text und jede Textsorte in irgendeiner Form (Kritik, Zustimmung usw.) reagiert werden kann. In diesem Verständnis ist Intertextualität ein Kriterium, das eine große Bandbreite an Abstufungen enthält und daher als brauchbares Merkmal, das entweder erfüllt ist oder nicht, kaum anwendbar ist.

Gegenüber dieser Form von Intertextualität, die die konkreten Beziehungen zwischen Einzeltexten betrifft und als sog. „spezielle“ oder auch „syntagmatische“ Intertextualität bezeichnet wird, kann die „allgemeine“ oder „paradigmatische“ (auch „texttypologische“) Intertextualität als ein generelles Textmerkmal aufgefasst werden. Es bezieht sich auf die grundsätzliche Textsortengeprägtheit aller Texte. Diese intertextuelle Prägung von Texten spiegelt sich in der mentalen Repräsentation von Textmustern und Textsorten, denn die Kommunikationsbeteiligten setzen bei der Textproduktion und Textrezeption ihre im Bewusstsein gespeicherte kommunikative Erfahrung und das entsprechende Wissen über andere Texte intuitiv oder bewusst ein. Intertextualität wird in diesem Sinne als integrale Komponente vorheriger Kommunikationserfahrung betrachtet, durch die sich gleiche oder ähnliche Texte in Bezug auf Invarianten und Varianten im Sprachbewusstsein miteinander verbinden, verallgemeinert werden und so Prototypen und Strukturmodelle herausbilden können. Das bedeutet, der Aspekt der allgemeinen Intertextualität bzw. der intertextuellen Prägung als generelles Merkmal von Texten fällt mit dem Textualitätsmerkmal der Musterhaftigkeit zusammen, wobei zur Vereinfachung der Terminologie im Umkreis der Intertextualitätsproblematik eine Beschränkung auf den Begriff ‚Musterhaftigkeit‘ vorgeschlagen wird.

Demzufolge können vier Merkmale erfasst werden, die zusammen für die Bestimmung dessen ausreichen, was aus einem lesbaren Etwas einen Text macht. Textualität schließt also folgende Merkmale ein:

 Kohärenz

 Kohäsion

 Musterhaftigkeit

 Begrenztheit

Aus dieser Menge der für einen Text konstitutiven Eigenschaften kann eine Definition von Text abgeleitet werden. Eine mögliche Definition von Text lautet deshalb folgendermaßen:

Definition:

Ein Text ist ein begrenztes sprachliches Gebilde, das einen thematischen Zusammenhang aufweist, in der Regel innertextuell verknüpft ist und/oder durch Musterhaftigkeit den Zusammenhalt seiner Elemente an der Textoberfläche signalisiert.